Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg RAINER BRUNNER Wie er Euch gefällt Anmerkungen zu zwei neuen Muhammad-Biographien Originalbeitrag erschienen in: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.): Islamverherrlichung: wenn die Kritik zum Tabu wird. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. [45]-55 Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.) Islamverherrlichung Wie er Euch gefällt 45 Wie er Euch gefällt Anmerkungen zu zwei neuen Muhammad-Biographien Rainer Brunner Mitten in den hitzeflirrenden August 2009 platzten zwei Nachrichten, die indirekt den muslimischen Propheten Muhammad zum Gegenstand hatten und sogleich Ungemach erahnen ließen. Die eine Meldung – die Vereinshymne des FußballBundesligisten Schalke 04 enthalte eine Strophe, die dazu geeignet sei, Muhammad und mit ihm die Muslime insgesamt zu beleidigen – wurde alsbald als das entlarvt, was sie wohl war: eine Provinzposse, die von einem dubiosen InternetPortal aufgeblasen und von den von Nachrichtenarmut geplagten FeuilletonRedaktionen bereitwillig aufgegriffen wurde (FAZ, 6.8.09). Bei dem OnlinePortal handelte es sich übrigens um die islamistische Webseite muslim-markt.de, deren Betreiber, die schiitischen Brüder Gürhan und Yavuz Özo÷uz, in den vergangenen Jahren mehrfach das Interesse des Verfassungsschutzes erregt haben (Verfassungsschutzbericht 2006: 254; Verfassungsschutzbericht 2007: 234), und die inkriminierte Strophe lautet: „Mohammed war ein Prophet / der vom Fußballspielen nichts versteht / Doch aus all der schönen Farbenpracht / hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht“. Gegenüber den erhitzten Gemütern rief der Zentralrat der Muslime in Deutschland, der sich ungeachtet seiner geringen Mitgliederzahl und heterogenen Struktur gerne als die wichtigste Standesvertretung der Muslime in Deutschland betrachtet, schlicht dazu auf, die „Moschee im Dorf“ zu lassen (islam.de, 5.8.09; Frankfurter Rundschau, 5.8.09; zum Zentralrat siehe auch Glagow 2005 sowie die Beiträge von Khoury und Amirpur in diesem Buch). Die zweite Nachricht verdient allerdings ernster genommen zu werden: Die angesehene Yale University Press kündigte an, das neue Buch der an der Brandeis University lehrenden dänischen Politologin Jytte Klausen über die Hintergründe des Karikaturenstreits von 2005/06 ohne den Stein des Anstoßes, also ohne die Karikaturen, zu veröffentlichen. Darüber hinaus werde man grundsätzlich auf den Abdruck irgendwelcher, auch historischer Abbildungen Muhammads verzichten, um nicht aufs Neue den Ausbruch von Gewalt zu provozieren; schließlich seien die Karikaturen ohnedies jederzeit im Internet verfügbar (The New York Times, 13.8.09). In dem erkennbaren Bemühen, den angerichteten Schaden einzudämmen, legte der Verlag in einer entsprechenden Mitteilung auf seiner Webseite ein pflichtschuldiges Bekenntnis zur Meinungsfreiheit ab und berief sich auf den Rat außenstehender Gutachter, die allesamt unter Hinweis auf 46 Rainer Brunner die zu erwartenden gewalttätigen Reaktionen in der gesamten islamischen Welt davon abgeraten hätten (Yale UP 2009). Die Namen dieser Experten wurden nicht genannt, bis auf drei – nicht übermäßig beeindruckende – Ausnahmen: Marcia Inhorn, Anthropologin der Yale University, sowie Ibrahim Gambari und Joseph Verner Reed, zwei leitende Angestellte der Vereinten Nationen. Die Beteuerungen halfen erwartungsgemäß nichts, die Attacken der üblichen Kommentatoren prasselten in rascher Folge (zum Beispiel Hitchens 2009). Weder die Entscheidung der Yale University Press noch die öffentliche Debatte darüber können ernsthaft überraschen, wenn man sich den eigentlichen Anlass, eben den Karikaturenstreit, vor Augen führt (Rosiny 2007). Auch damals ging es schließlich weniger um die historisch fassbare Gestalt des islamischen Propheten als vielmehr um das Bild, das sich die Gläubigen heute von ihm machen und das sich augenscheinlich bestens dazu eignet, für alle möglichen Zwecke instrumentalisiert zu werden. Diese Erkenntnis ist alles andere als neu. Schon die Entstehung der nach dem Koran zweitwichtigsten religiösen Literaturgattung des Islam, der Prophetenüberlieferung (Hadith), hatte deutlich gemacht, in welchem Maße die Erinnerung an die islamische Frühgeschichte und die Sehnsucht nach ihrer steten Vergegenwärtigung und Verlebendigung das reale Geschehen und die greifbare Person Muhammads überformt hat (siehe auch den Beitrag von Motzki in diesem Buch). Man mag durchaus so weit gehen und, wie Tilman Nagel das getan hat, von einer regelrechten „Vernichtung der Geschichte“ sprechen (1994: 118ff.). Auch die Vorstellung, die sich die Gläubigen von ihrem Glaubensverkünder machten, ist von manch tiefgreifendem Wandel nicht verschont geblieben; wie sonst wäre es zu erklären, dass es beispielsweise auch innerhalb der islamischen Kultur im Laufe der Geschichte zahlreiche Muhammad-Portraits und bildliche Darstellungen seines Lebenswegs gegeben hat? (Ali 2001; siehe auch Nagel 2008) Zu sehen ist das zuletzt in dem jüngst erschienen (und dezidiert positiv gemeinten) Koran für Kinder und Erwachsene (Kaddor/Müller 2008), der seinen Bearbeiterinnen ob ihrer Beifügung historischer Miniaturen inklusive eines Konterfeis Muhammads diverse Proteste seitens orthodoxer Kräfte eingebracht hat (FAZ, 18.9.08). Nun ist es durchaus so, dass sich auch die westliche Historiographie der letzten dreißig Jahre keineswegs über die Person und die Taten dessen einig ist, der da im siebten Jahrhundert als arabischer Prophet einer neuen Religion auftrat. Die Rolle Mekkas als vor- und frühislamisches Handelszentrum – ein Dreh- und Angelpunkt der traditionellen Geschichtsschreibung – wurde in Frage gestellt (Crone 1987), und einzelne Autoren gehen sogar so weit, die schiere Existenz Muhammads zu leugnen. Selbst dort, wo die Bilderstürmerei nicht solche Ausmaße annimmt, herrscht heute Skepsis, und die Figur des Propheten bleibt eher schemenhaft (Nagel 2008a: 835ff.; Crone: 2006; Peters: 1991; Sivers 2003). Das liegt in erster Linie natürlich daran, dass man gelernt hat, die verfügbaren Quel- Wie er Euch gefällt 47 len weitaus kritischer zu lesen und in ihrer Vertrauenswürdigkeit zu beurteilen, als das frühere Muhammad-Biographen von Frants Buhl (1961) oder William Montgomery Watt (1953; 1956; 1961) getan hatten, deren Bücher lange Zeit als Standardwerke galten. Die vormalige Bereitschaft, aus den Quellen mehr oder weniger all das zu akzeptieren, was nicht mit hinreichendem Grund zurückgewiesen werden konnte, ist dem umgekehrten Argwohn gewichen, alles zurückzuweisen, für dessen Akzeptierung kein hinreichender Grund besteht (Cook 1996: 67). Denn die Crux ist und bleibt, dass die älteste erhaltene zusammenhängende Biographie aus der Feder eines muslimischen Autors, die berühmte Sîra des Ibn Ishâq (gestorben etwa 767), erst über ein Jahrhundert nach den Ereignissen, die sie beschreibt, verfasst worden ist; zudem ist sie nicht im Original überliefert, sondern lediglich in der wiederum ein halbes Jahrhundert späteren Bearbeitung von Ibn Hishâm, der 830 nach der Zeitenwende starb (englische Übersetzung bei Guillaume 2006). Die gesamte frühislamische Geschichte, mitsamt allen angeblichen oder tatsächlichen Begebenheiten, die das Erscheinungsbild des Islam und das Selbstverständnis der Muslime bis auf den heutigen Tag entscheidend bestimmen – man denke nur an das grundlegende Schisma der Gemeinde in Sunniten und Schiiten (Brunner 2004, 1-24) –, liegt mithin hinter einem dicken Schleier zumeist tendenziöser Historiographie post festum verborgen, der nur mit viel Geduld und (jedenfalls bislang) mit keinen eindeutigen Ergebnissen zu lüften ist. Diese Tendenz zum Bildersturm manifestiert sich nicht minder in bestimmten Teilen der jüngeren Koranforschung. Bereits Ende der siebziger Jahre erregte John Wansbrough einiges Aufsehen mit der These, der Koran sei keineswegs ein Produkt aus der Zeit Muhammads, sondern vielmehr erst im Laufe eines langen Redaktionsprozesses entstanden, der kaum vor dem Beginn des 9. Jahrhunderts abgeschlossen gewesen sei (1977; siehe auch Berg 1997). Ähnlich spektakulär sind die Thesen des unter Pseudonym schreibenden Christoph Luxenberg, der dem Koran eine „syro-aramäische Lesart“ christlichen Hintergrunds abtrotzt und dem Propheten damit gewissermaßen den muslimischen Boden unter den Füßen wegzieht (2004; siehe auch Burgmer 2007). So umstritten diese Behauptungen auch innerhalb der Fachwissenschaft sein mögen (Hopkins 2003 versus Gilliot 2003), haben sie doch das Interesse einer breiten Öffentlichkeit erregt. Während Wansbroughs Wirkung seinerzeit kaum über die wissenschaftliche Debatte im engeren Sinne hinausreichte, wurde Luxenberg zu einer in der New York Times (2.3.03) und im Guardian (12.1.02) besprochenen Berühmtheit. Das Neue daran ist nicht, dass in dieser Beschäftigung mit Koran und Muhammad immer wieder deutlich wird, dass westliche und muslimische Auffassung auf keinem Gebiet so sehr auseinanderklaffen wie bei der Beurteilung der frühislamischen Geschichte. Respektlose Muhammad-Biographien und despektierliche populäre Verzerrungen hatte es schon früher gegeben – man denke nur 48 Rainer Brunner an Aloys Sprengers kritische Darstellung (1861ff.; siehe dazu Nagel 2008a: 911f.), von der mittelalterlichen Polemik ganz zu schweigen. Neu ist, dass die Beschäftigung mit dem frühen Islam aus der Studierstube heraus ins Scheinwerferlicht der Medien getreten ist und in langen Titelgeschichten in Nachrichtenmagazinen verhandelt wird (Der Spiegel, 2.6.01; 22.11.07; Geo, 4/09). Neu ist schließlich und vor allem auch, dass die Muslime als letztendlicher Gegenstand dieser Forschungen mittlerweile ein fester Bestandteil der westlichen Gesellschaften geworden sind, dass also eine kontroverse Behandlung – ob wissenschaftlich oder nicht – von muslimischen Glaubensgewissheiten automatisch ein erhebliches innergesellschaftliches Konfliktpotential entfaltet. Die Affäre um Salman Rushdies Roman The Satanic Verses hatte vor 20 Jahren erstmals schlagartig klargemacht, welche Reaktionen eine angeblich respektlose Behandlung Muhammads und des Korans in Europa auslösen kann – und wie leicht sich diese Empfindlichkeiten von einschlägig interessierter politischer Seite in der islamischen Welt instrumentalisieren lassen (Malik 2009). Erinnert sei auch an den späteren deutschen Seitenableger dieser Affäre, die hitzige Diskussion über Annemarie Schimmel und ihre in der Tat mehr als unglücklichen Bemerkungen zur Causa Rushdie im Zusammenhang mit der Zuerkennung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1995 an sie (Wild 1996). Bei alledem geht es nicht nur um den „richtigen“ oder „respektvollen“ Umgang mit der Geschichte, sondern letzten Endes um das, was „Identitätspolitik“ zu nennen man sich angewöhnt hat. In einer Zeit, da über die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, den Bau von Moscheen oder die besonders heikle Frage des Kopftuchs gestritten wird, kann das medial vermittelte Muhammad-Bild nicht ohne Einfluss auf diese Debatten bleiben. Umgekehrt ist jedoch nicht minder zu beobachten, dass die wachsende Präsenz von Muslimen im Westen und die sich daraus ergebenden Konflikte Auswirkungen auf das Bild haben, das manche Autoren von der Gestalt Muhammads zeichnen. Zwei aufschlussreiche Beispiele dafür, die im Folgenden etwas eingehender besprochen werden sollen, sind die beiden Muhammad-Biographien von Hans Jansen (2008) und Tariq Ramadan (2007). Beides sind nicht unbedingt Autoren, deren Namen man auf diesem Gebiet selbstverständlich erwartet hätte. Jansen, Arabist und Islamwissenschaftler in Utrecht, ist bislang mit mehreren Monographien in Erscheinung getreten, die der modernistischen Koranauslegung in Ägypten sowie der Genese des islamischen Fundamentalismus und der Gedankenwelt einiger seiner Protagonisten gewidmet waren (1974; 1986; 1997). Ramadan wiederum, der 1962 in der Schweiz geborene und mittlerweile international tätige Intellektuelle und Enkel des Gründers der Muslimbruderschaft, Hasan al-Bannâ (siehe auch den Beitrag von Abu Zayd in diesem Buch), hat zahlreiche programmatische Schriften über die Situation der Muslime in Europa vorgelegt, in denen es ihm zuvorderst darum geht, seinen Glaubensbrüdern einen Wie er Euch gefällt 49 Weg zu einem islamkonformen Leben in einer nichtmuslimischen Umgebung zu weisen (1999; 2004; zuletzt 2008). Spätestens seitdem er vom Time Magazine in der Ausgabe vom 19. April 2004 zu den einhundert einflussreichsten Personen der Gegenwart gewählt worden war, ist seine Stellung als wichtiger Vordenker des Islam in Europa nicht mehr wegzudiskutieren, auch wenn das Echo, das er auslöst, außerordentlich kontrovers ist (sehr kritisch zum Beispiel Ghadban 2006, schwärmerisch dagegen Fürstenberg 2008; siehe auch Brunner 2005). Auf den Feldern der inzwischen hochspezialisierten Hadith-, Korangenese- oder Leben-Muhammad-Forschung haben sich weder Jansen noch Ramadan bislang hervorgetan, und auch diese beiden Bücher sind durchaus nicht in diesem Sinn intendiert. Vielmehr sind sie dezidiert aus demselben Blickwinkel auf den Islam heraus geschrieben (und verfolgen dieselbe Absicht), den die Autoren bereits in ihren früheren Werken erkennen ließen. Jansen hatte bereits bei seiner Beurteilung des islamischen Fundamentalismus mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten, und erklärt, dieser sei „gleichermaßen in vollem Umfang Politik und in vollem Umfang Religion“. Zugleich legte er sich mit der „akademischen Gedankenpolizei in Europa und Amerika“ an, die im Namen politischer Korrektheit den Islam gern vom Fundamentalismus geschieden sähe (1997: 1, 11). In seiner Muhammad-Biographie nun legt er Hand an die Wurzeln des Islams, an den Propheten selbst. Dabei geht es ihm allerdings, wie er selbst einräumt, weniger um eine Rekonstruktion der eigentlichen Vita Muhammads, von der er mehrfach betont, sie stehe auf recht schwachen Füßen. Stattdessen nimmt er sich die Hauptquelle – die erwähnte Biographie von Ibn Ishâq – vor, die er nachdrücklich mit den Augen eines Historikers des 21. Jahrhunderts liest und nach allen Regeln der Kunst auseinandernimmt. Sämtliche bisherigen Lebensbeschreibungen Muhammads von westlichen Autoren, so Jansen, seien praktisch nichts anderes als getreue Nacherzählungen oder Umarbeitungen Ibn Ishâqs, unter gezielter Weglassung all jener Dinge, die nicht in das Konzept oder das Weltbild des jeweiligen Autors passten, insbesondere der Wundererzählungen und der Geschichten, die Muhammad in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen (S. 21ff., 57, 64f., 141f. und öfter). Durch diese Ignorierung des Wunderwirkens des Propheten aber unterscheide sich das Bild Muhammads bei Muslimen und Nichtmuslimen grundlegend (S. 345f.). In besonderem Maße trifft sein Bannstrahl die Arbeiten William Montgomery Watts, den er mehrfach der Verharmlosung der Taten Muhammads zeiht (S. 186, 311, 360, 471; siehe auch Crone 1987: 220, 231ff.). Geradezu lustvoll, ja mitunter sarkastisch (S. 262f., 340) geht Jansen den umgekehrten Weg und referiert immer wieder all das Wundersame, die Engel und just-on-time-Offenbarungen, die Ibn Ishâq eben auch ausbreitet. 50 Rainer Brunner Seine Absicht ist erkennbar eine zweifache: zum einen soll Ibn Ishâqs Opus als halbwegs verlässliche Quelle gründlich in Misskredit gebracht werden, weshalb er immer wieder die Existenz Mekkas als Handelsstadt in Frage stellt (S. 49, 97, 101, 179ff., 352), auf die Wahrscheinlichkeit der Erfindung von Nachrichten im Zuge späterer Abbasiden-Propaganda sowie generell der nachträglichen Legitimierung späterer historischer Figuren durch eine prominente Platzierung in der Sîra verweist (S. 273, 290, 293, 347). Vor allem aber will er den Lebensweg Muhammads als wie auch immer geartete Blaupause für die heutige Zeit unbrauchbar machen. Diesem Ansinnen dienen nicht nur die wiederholten Hinweise auf islamistische Gewalttäter des 20. und 21. Jahrhunderts und deren Inanspruchnahme des prophetischen Vorbilds – Sayyid Qutb (S. 92f.), die SadatAttentäter (S. 116f., 280f.), die holländische Hofstad-Gruppe (S. 198f.), die Erinnerung an Khaybar bei den Palästinensern heute (S. 356, 365) oder der Mord an dem niederländischen Filmemacher und Islamkritiker Theo van Gogh im November 2004 (S. 443) –, sondern in erster Linie die nahezu stereotype Betonung, dass „moderne und areligiöse Leser“ oder schlicht „ein moderner Mensch“ mit derlei Wundergeschichten und Gewaltberichten nichts mehr anzufangen wüssten (S. 12, 48, 51, 52, 98, 133, 197 und öfter). Auch „moderne kritische Wissenschaftler“ werden des Öfteren als Zeugen aufgerufen (S. 36, 74, 136, 147f., 178, 233, 424). Nicht ganz einsichtig ist allerdings, wieso „modern und areligiös“ beständig in einem Atemzug genannt wird. Die Meinung, der moderne Mensch stehe dem Phänomen der Religion automatisch ablehnend, skeptisch oder wenigstens kritisch gegenüber, ist eine These, die vorwiegend von modernen und religionskritischen Menschen vertreten wird. Nun schreibt Jansen nicht ausschließlich mit diesem zu erwartenden westlichen nichtmuslimischen und religionskritischen Leser vor Augen; mehrfach appelliert er auch an „moderne Muslime“, darüber nachzudenken, ob sie wirklich einem solchen Vorbild folgen möchten (S. 40, 285, 309, 360, 386, 450f.). Ob diese sich auf sein Buch allerdings überhaupt einlassen werden, darf man wohl mit einigem Recht bezweifeln, zumal er am Schluss deutliche Sympathie für die Thesen der Extrem-Zweifler um Luxenberg und den Saarbrücker Theologen Karl-Heinz Ohlig erkennen lässt (S. 445ff.), die den Namen „Muhammad“ als arabische Bezeichnung für den „Gepriesenen“, das heißt für Christus, auffassen und ihn damit als real existierende Person aus der Geschichte eliminieren wollen. Diese These wird nicht unbedingt wahrscheinlicher dadurch, dass Ohlig förmlich stolz darauf ist, kein Arabisch zu lesen, um sein Urteil nicht durch Quellenlektüre zu gefährden (dazu Nagel 2008a: 838f.). Nimmt man daraufhin Tariq Ramadans Buch in die Hand, stellt man bereits in dessen Einleitung fest, dass der Unterschied zwischen beiden Werken größer nicht sein könnte. Ramadan schreibt unter der Prämisse „man versteht nur, was Wie er Euch gefällt 51 man liebt“ (2007: 12), mit dem vorhersehbaren Ergebnis einer religiösen Erbauungsschrift. Wo man sich bisweilen an Jansens hemdsärmligem Stil reiben kann, wird man angesichts des süßlichen Kitsches, der Ramadans Buch überzieht, alsbald verzweifeln. Dass er seine Darstellung – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – auf nichts weiter als den Koran, die Hadith-Sammlungen von Bukhârî und Muslim sowie Ibn Ishâq stützt und auch die leiseste Quellenkritik vermissen lässt, darf man ihm nicht ankreiden; das liegt in der Natur von Erbauungsschriften. Ramadan trägt mit seiner Betonung der „Milde, Achtsamkeit und Liebe“– so eine Kapitelüberschrift (S. 169) – des Propheten allerdings so dick auf, dass er sich mitunter hart am Rande der unfreiwilligen Komik bewegt: So erfährt der Leser, dass Muhammad einen seiner Gefährten ermahnt habe, ein Vögelchen, das dieser aus einem Nest genommen hatte, wieder zurückzulegen (S. 203f.), dass er im Haushalt mitgeholfen und seine Kleider und Schuhe geflickt habe (S. 254), und Ramadan wird auch nicht müde, die „Pädagogik der Milde“ (S. 35) oder die „tiefe Spiritualität, die strikte rationale Kohärenz, die außergewöhnliche Intelligenz und das strategische Genie des Propheten“ (S. 236) zu preisen. Mit den Wundererzählungen hat Ramadan dementsprechend kein größeres Problem, wenngleich mit einer interessanten Einschränkung: Er referiert nämlich nur jene Wunder, die dem Propheten angeblich geschahen, sei es, dass Engel (zumeist Gabriel) zu ihm sprachen oder sich Träume oder andere Zeichen, jenseits seiner Einflussnahme, ereigneten: etwa die Geschichte der Brustöffnung, (S. 31ff.), oder die Nachtreise ins Paradies, die einer angeblichen Mehrheit der Exegeten zufolge „eine gleichermaßen physische wie spirituelle Reise“ war (S. 51f., 61, 110ff.). Solche Wunder hingegen, die Muhammad selbst bewirkt haben soll – etwa ein Speisewunder und eine Felsspaltung im Zusammenhang mit dem Grabenkrieg, was bei Ibn Ishâq durchaus eine gewichtige Rolle spielt und bei Jansen erwartungsgemäß ausführlich behandelt wird (2008: 307f.) –, kommen bei Ramadan nicht vor. Sein Prophet ist Gegenstand von Wundern, nicht deren Akteur; wäre er Wundertäter, würde ihn das über die Sphäre des Menschlichen allzu weit hinausheben und ihn für Ramadans zentrales Anliegen unbrauchbar machen (2007: 8f.). Denn auch Ramadan hat – wenngleich in ganz anderem Sinn als Jansen – durchaus heutige Leser vor Augen, nämlich die Muslime in Europa. Ihnen soll der Prophet erzieherisches Vorbild sein, so wie Gott das für den Propheten war – weshalb er die arabische Gottesbezeichnung rabb nicht nur als „seigneur/Herr“, sondern über weite Strecken auch als „éducateur/Erzieher“ übersetzt und – etymologisch unsinnig – mit dem arabischen Wort für „Erziehung“ (tarbiya) in Verbindung bringt (S. 27 und öfter). Dementsprechend wird er nicht müde, das Vorbild des Propheten für alle Zeiten und alle Orte zu betonen, vor allem mit Blick auf das Verhältnis von Muslimen und Nichtmuslimen (S. 40f., 97f., 118ff., 52 Rainer Brunner 150, 177, 285f.), die Stellung der Frau und die Gleichbehandlung von Jungen und Mädchen (S. 125, 179ff., 188, 257, 298, 304, 324), bis hin zur beständigen Sorge um Umwelt- und Tierschutz (S. 29, 173, 192, 199, 306ff.). In einem solchen Szenario aber wären Wunder ebenso kontraproduktiv wie Anfechtungen, weshalb etwa die berühmte Episode der „satanischen Verse“, die der Teufel anstelle des Erzengels Gabriel Muhammad eingeflüstert haben soll, ebenfalls kurzerhand unter den Tisch fällt. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich Ramadans Muhammad-Biographie daher als nahtlose Fortsetzung seiner bisherigen Bücher, mit denen er ja auch quasi im Alleingang eine Reform des Islam für Muslime in Europa hatte bewerkstelligen wollen. So wie er dort die Muslime immer wieder dazu aufrief, sich in Europa niederzulassen, aber zugleich ihren Glaubensfundamenten nicht untreu zu werden (1999: S. 199ff.; 2004: S. 62ff.), beschreibt er hier die nach Medina kommenden „Auswanderer“ (muhâjirûn) als Muslime, die sich in einer mehrheitlich nichtmuslimischen Umgebung zurechtfinden und dabei manch liebgewordene, aber nur kulturell bedingte Angewohnheit aufgeben müssen; am Ende ist Muhammad so gut integriert, dass er auch nach der Eroberung von Mekka nicht mehr dorthin zurück will (2007: 128ff., 281); die hier durchscheinende Scheidung zwischen der akzidentiellen Kultur und den unveräußerlichen und unveränderlichen religiösen Grundlagen ist ein wiederholtes Motiv auch seiner früheren Bücher (2004: 214ff.). Dieser Ansatz macht es geradezu notwendig, dass Ramadan weniger positive Bestimmungen etwa zur Stellung der Frau unterschlägt, oder dass er den Jihad ausnahmslos als ein Weg zum Frieden und als Verteidigungsmaßnahme begreift, zu der Muhammad lediglich durch die Feindseligkeit seiner Gegner gezwungen wurde (S. 83ff., 149ff., 282f.; zum Jihad siehe auch den Beitrag von Reichmuth in diesem Buch). Nirgends wird diese Apologie deutlicher als in dem Kapitel mit der bezeichnenden Überschrift „Verschlagenheit und Verrat“, das Muhammads Umgang mit den jüdischen Stämmen Banû Nadîr und Banû Qurayza zum Gegenstand hat. In einer geschickt komponierten Abfolge werden die positiven Charaktereigenschaften und Angewohnheiten des Propheten strikt alternierend mit der Niedertracht seiner Feinde kontrastiert, die sich ihr Schicksal schlussendlich selbst zuzuschreiben haben (S. 195ff.): Auf den Verrat der Banû Nadîr reagiert Muhammad mit einzigartiger Gnade, die von den Gegnern mit neuer Feindschaft vergolten wird. Deren drohender Angriff schweißt die muslimische Gemeinde beim Aushub der Verteidigungsanlagen emotional zusammen. Nach dem Abzug der Feinde wird der Verrat der Banû Quraiza offenbar, die daraufhin ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Der von Muhammad konsultierte Sa‘d Ibn Mû‘âdh entscheidet auf Tötung der Männer und Versklavung der Frauen und Kinder, was Muhammad akzeptiert (sic!) und in den folgenden Tagen ausführen lässt. Den wiederum positiven Abschluss des Kapitels bildet die Episode um Wie er Euch gefällt 53 Muhammads Tochter Zainab, deren (noch) heidnisch gebliebenem Mann der Prophet ebenfalls mit großer Güte begegnet. Jansen meldet dagegen Zweifel an der Historizität der Geschehnisse gerade um die Ausrottung der Banû Quraiza (über die es überdies keine außermuslimischen Überlieferungen gebe, auch und erst recht nicht in jüdischen Quellen) an und insinuiert, die entsprechenden Berichte könnten später mit der Absicht in Umlauf gebracht worden sein, um potentielle Gegner der muslimischen Eroberer abzuschrecken (2008: 294ff.; siehe auch Nagel 2008a: 369f.). Die Bücher Jansens und Ramadans berichten von zwei vollkommen verschiedenen, miteinander inkompatiblen Personen. So konsequent ersterer sich auf die kriegerischen und gewalttätigen Aspekte konzentriert und Muhammad am Ende etwa 80 Meuchelmorde zur Last legt (Jansen 2008: 443), so unablässig ist letzterer bemüht, das Bild eines naturverbundenen und grundgütigen Weisen zu zeichnen, der seinesgleichen nicht hat. Es wäre müßig, die Frage zu stellen, wie viel die hier entworfenen Bilder mit der realen Figur Muhammads zu tun haben, auch wenn Jansen mit seiner Darstellung, die wichtige Fragen aufwirft und so manche allzu große Leichtgläubigkeit hinsichtlich der Quellen unterminiert, sicherlich weit näher an der Realität ist als Ramadan. Dessen sentimental weichgezeichnete Kritiklosigkeit muss hier versagen und enttäuscht auch nach den Maßstäben einer mit gläubiger Feder geschriebenen Biographie. Aber um eine Muhammad-Biographie im engeren Sinne geht es beiden Autoren gar nicht in erster Linie. Ihr eigentlicher Gegenstand sind die Präsenz und die Rolle des Islams in Europa; Jansen möchte, zumal nach dem Mord an Theo van Gogh, mit Hilfe von Muhammads Kriegslust Europa vor den Islamisten warnen, Ramadan möchte mit Muhammads Friedfertigkeit den Islam für die Muslime europakonform darstellen. Letztlich betreiben beide ein preaching to the converted, und es ist kaum anzunehmen, dass sie im jeweils anderen Lager auf sonderliche Gegenliebe stoßen werden. Dass die Gestalt Muhammads schon früh unter ihrer Wirkungsgeschichte begraben und zu einer Projektionsfläche für alles Mögliche umgedeutet wurde, hat, wie eingangs bereits festgestellt, die Entstehung des Hadîth und seine Kanonisierung im neunten Jahrhundert gezeigt; insofern ist es nur folgerichtig, dass der Prophet nunmehr auch im Europa des 21. Jahrhunderts angekommen ist. Das eine wie das andere Buch lässt sich darum auch als eine Antwort auf den Karikaturenstreit lesen, und beide Autoren steuern dazu – wenngleich eher indirekt –wichtige Erkenntnisse bei: Tariq Ramadan zitiert den angeblichen Ausspruch Muhammads: „Der wahrhaft Starke ist der, der seinen Zorn im Griff hat“ (2007: 156), während Jansen zu der Einsicht gelangt: „Jede Religion ist im Prinzip das, was ihre Anhänger daraus machen.“ (2008: 450). Wer möchte da schon widersprechen? 54 Rainer Brunner Literatur Ali, Wijdan (2001): „From the literal to the spiritual. The development of the prophet Muhammad’s portrayal from 13th century Ilkhanid miniatures to 17th century Ottoman art“, in: Electronic journal of Oriental studies 4/7(2001), S. 1-24. Berg, Herbert (Hrsg.) (1997): Islamic origins reconsidered. John Wansbrough and the study of Islam. Berlin. Brunner, Rainer (2004): Islamic ecumenism in the 20th century. The Azhar and Shiism between rapprochement and restraint. Leiden. 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