Fakultät IV – Wirtschaft und Informatik Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft Günter Buchholz, Ralf Hoburg, Christiane Burbach, Friedrich Heckmann Wirtschaftsethik heute Dokumentation der öffentlichen Vorträge am 18. November 2008 mit zwei Ergänzungen Arbeitspapier 03-2009 ISSN Nr. 1436-1035 (print) ISSN Nr. 1436-1507 (Internet) www.fh-hannover.de/f4 Vorwort Das Thema dieser Vorträge verdankt sich einem Gesprächskreis der Fakultät IV und der Fakultät V im Herbst 2008 anlässlich der Integration der ehemaligen Evangelischen Fachhochschule Hannover als neue Fakultät V in die niedersächsische Fachhochschule Hannover (FHH); es ging dabei um eine mögliche Kooperation. So entstand die Idee des Versuchs einer interdisziplinären Kooperation zum Thema Wirtschaftsethik – heute. Dieses Arbeitspapier soll die Vorträge der Veranstaltung (1, 2, 3 im Inhaltsverzeichnis) in ihrer zeitlichen Reihenfolge dokumentieren und zugleich ergänzen (4, 5, 6 im Inhaltsverzeichnis). An Stelle des erkrankten Friedrich Heckmann übernahm Ralf Hoburg (2) recht kurzfristig die Aufgabe einer kritischen Auseinandersetzung mit den „Fragen und Thesen zur Wirtschaftsethik“ von Günter Buchholz (1), mit denen der Abend begann. Christiane Burbach hat ihre Präsentation (3) durch Thesen ergänzt (4). Der Text - ohne Titel - des ursprünglich geplanten Beitrags von Friedrich Heckmann wird hier unter (5) nachgetragen. Der Herausgeber hat als Titel „Wirtschaft und Ethik“ eingefügt. Günter Buchholz hat – im Hinblick auf politisch-moralische Probleme und die jüngere Diskussion der Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik in der Betriebswirtschaftslehre ergänzend ein kurzes Nachwort angefügt (6). 2 Inhalt 1 Günter Buchholz Fragen und Thesen zur Wirtschaftsethik 4 2 Ralf Hoburg Protestantische Aspekte der Unternehmensethik 13 3 Christiane Burbach Präsentation: Der ehrbare Kaufmann 19 4 Christiane Burbach Der ehrbare Kaufmann – Variationen zur Tugend der Mäßigung (Thesen zur Präsentation) 30 5 Friedrich Heckmann Wirtschaft und Ethik 33 6 Günter Buchholz Wirtschaftsethik heute – ein Nachwort 40 3 Prof. Dr. Günter Buchholz Fragen und Thesen zur Wirtschaftsethik Fakultät IV FH Hannover: „FH meets economy“ 18. November 2008 Meine sehr geehrten Damen und Herren, bis vor kurzem war die Auffassung vorherrschend, daß das Management auch ohne eine Wirtschaftsmoral auskomme, schließlich bestünde, nach Milton Friedman, die Aufgabe der Unternehmen ausschließlich darin, Gewinne zu machen: „The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits.“ (The Times Magazine Sept. 1970) Der Anspruch der Ethik, das Handeln der Wirtschaftsubjekte zu regulieren, wurde von ihm also zurückgewiesen und zugleich dem Gesetzgeber überlassen. Mit dem Eintritt in die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise ist mittlerweile eine gewisse Nachdenklichkeit zu beobachten, erfreulicherweise auch im Management selbst. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das m. E. sehr lesenswerte, neu erschienene Buch des Top-Managers Daniel Goeudevert. Es heißt: „Das Seerosen-Prinzip – Wie uns die Gier ruiniert“, und es ist in diesem Jahr bei DuMont in Köln erschienen. Falls Sie sich darüber hinaus eine wissenschaftlich-systematische Einführung in das Thema Unternehmensethik wünschen, möchte ich Ihnen sehr das inhaltlich ausgezeichnete und doch zugleich verständlich geschriebene, leicht lesbare Buch von Elisabeth Göbel mit dem Titel „Unternehmensethik“ empfehlen, das im Jahr 2006 in Stuttgart erscheinen ist. Hier und heute möchte ich mich darauf beschränken, einige Fragen und Thesen zur Wirtschaftsethik zu formulieren, um die Diskussion mit ihnen vorzubereiten und anzuregen. 4 1. Was verstehen wir unter Wirtschaftsethik? Ethik ist ein Zweig der praktischen Philosophie, wie sie seit mehr als zweitausend Jahren betrieben wird. Es geht hier um die Frage, was wir tun und wie wir handeln sollen - und damit umgekehrt auch, was wir nicht tun und wie wir nicht handeln sollen. Diese Frage nach dem Sollen setzt Freiheit voraus, und sie impliziert, daß eben nicht alles, was getan werden könnte, auch getan werden sollte – wofür Gründe existieren. Die hier als Beispiel geeigneten öffentlichen Debatten aus dem Bereich der Medizinethik werden Ihnen sicherlich allen gegenwärtig sein. In der Wirtschaftsethik werden ethische Überlegungen auf das Praxisfeld Wirtschaft angewandt. Es geht hierbei nicht um die strikt verbindliche Legalitätsgrenze sondern um die faktisch weder strikt verbindliche noch völlig unverbindliche Moralitätsgrenze. Während der Gesetzgeber in Verbindung mit der Justiz die jeweilige Grenze zwischen Legalität und Illegalität bestimmt, muß die in der Regel enger gezogene Moralitätsgrenze von der Zivilgesellschaft in einem öffentlichen ethisch-politischen Reflexionsprozeß bestimmt und als verbindlich anerkannt werden. So wurde zum Beispiel Bestechung im Ausland, aber nicht im Inland, jahrzehntelang als moralisch unbedenklich angesehen; Bestechungsgelder konnten sogar steuermindernd geltend gemacht werden. Das ist inzwischen geändert worden. Die Bestimmung von Moralitätsgrenzen kann sich auch innerhalb einer Berufsgruppe oder Branche vollziehen; in der Consulting-Branche gibt es z. B. verschiedene Professional Codes (Kubr, Milan: Management Consulting, Geneva 1996), d. h. vereinbarte und anerkannte Regelwerke für das ethisch korrekte berufliche Handeln von Unternehmensberatern. Zwar ist damit noch nicht gesichert, daß diese Regeln tatsächlich hinreichend beachtet werden, aber sie sind damit immerhin als ein allgemein gültiger Maßstab greifbar, und das tatsächliche Handeln kann an ihnen gemessen und beurteilt werden. 5 2. Weshalb wird überhaupt vermehrt über Wirtschaftsethik gesprochen? Wirtschaftsethik wird deshalb immer häufiger ein wissenschaftliches und ein öffentliches Thema, weil die Erfahrungen mit dem massiv unethischen Verhalten von Unternehmungen in den Vereinigten Staaten von Amerika (der Fall ENRON) in Italien (der Fall Parmalat) und in Deutschland (die Fälle Siemens und VW) exemplarisch zeigen, daß eben dieses Verhalten von den entfesselten Märkten nicht nur nicht verhindert, sondern ermöglicht und begünstigt worden ist. Für das internationale Banksystem und speziell jene US-Banken, die die Subprime-Krise im amerikanischen Immobiliensektor allem Anschein nach fahrlässig verursacht und die im fragwürdigen Zusammenspiel mit privaten Rating-Agenturen die vermutlich vorsätzliche weltweite Verteilung der Kreditrisiken zu verantworten haben, gilt dies in ganz besonderer Weise. Das FBI ermittelt inzwischen in zahlreichen Fällen. „Was ist die Beraubung einer Bank gegen die Gründung einer Bank?“, hat Brecht einmal rhetorisch gefragt. Der deutsche Steuerzahler ist jedenfalls durch die staatliche Rettung der privaten IKB-Bank mit mehr als 10 Milliarden € geschädigt worden. Es ist deshalb geboten, öffentlich zu fordern, daß ein Bundestagsuntersuchungsausschuß das Geschäftsgebaren des Vorstandes und des Aufsichtsrats der IKB-Bank, durch das diese an den Rand des Konkurses gebracht worden ist, samt Vorgeschichte im einzelnen aufklärt und die Verantwortlichen benennt. Denn es besteht der Verdacht, daß es sich bei der Rettung der IKB-Bank durch die staatliche KfWGruppe um eine Sozialisierung von privaten Verlusten anderer Privatbanken handeln könnte. Dieser Verdacht sollte im Interesse der Privatwirtschaft selbst sorgfältig geprüft und ggf. ausgeräumt werden. Transparenz und Kontrolle sind zwar die richtigen Stichwörter, aber weitergehend wird die internationale Finanzarchitektur grundlegend verändert werden müssen, wenn eine Wiederkehr der Finanzkrise ausgeschlossen werden soll. Dazu müßte wohl vor allem die Spekulation auf allen Märkten (Währungen, Wertpapiere, Güter) eingeschränkt werden. Hochriskante Produkte mit unkalkulierbarer Hebelwirkung oder Intransparenz (wie bei Asset backed Securities usw.) müßten ganz verboten werden. Die internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, Internationaler Währungsfonds) müßten reformiert, und die internationale Wirtschaftspolitik (World Trade Organization) müßte modifiziert werden. Eine verläßliche Kontrolle der privaten Rating-Agenturen dürfte dazu ebenso notwendig sein wie eine Austrocknung der Steueroasen und die Beseitigung von Einkommensanreizen, die ein spekulatives Geschäftsgebaren fördern. Außerdem könnte eine Änderungen der Haftungsnormen hilfreich sein. Letztlich müßte sich die Wirtschaftspolitik auch um eine stärker egalitäre Einkommens- und Vermögensverteilung bemühen, weil von dieser die positive Entwicklung der gesellschaftlichen Wohlfahrt und für die realwirtschaftliche Konunktur- und Wachstumsentwicklung abhängig ist. 6 3. Was wird von Wirtschaftsethik erwartet oder befürchtet? Diejenigen, die an eine wirtschaftsethische Diskussion sowie an die Implementierung praktischer wirtschaftsethischer Konzepte positive Erwartungen knüpfen, sind im Prinzip der Auffassung, daß erstens die empirischen Mängel nicht bagatellisiert oder geleugnet werden können und dürfen, daß zweitens von den deregulierten Märkten keine Besserung zu erwarten sei, und daß es daher drittens notwendig sei, die Mängel normativ, durch Gesetz und durch eine verbindliche institutionelle Moral zu korrigieren. So gilt bekanntlich nach neuester höchstrichterlicher Rechtsprechung im Fall Siemens das Anlegen „Schwarzer Kassen“ in Unternehmen strafrechtlich als Untreue. Und in manchen Unternehmungen werden unter der Bezeichnung „Corporate Social Responsibility“ moralische Codices diskutiert und teils auch implementiert. Es wird dabei klar gesehen, daß es sich um zusätzliche Einschränkungen, Begrenzungen und Kontrollen von privatwirtschaftlichen Handlungsspielräumen handeln muß, wenn eine praktische Besserung erreicht werden soll. Man vergleiche hierzu auch: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ) Beilage der Wochenzeitung „Das Parlament“, das Heft Nr 31/2008; 28. Juli 2008) mit dem Titel „Corporate Citizenship“. Und eben wegen dieser drohenden Einschränkungen gibt es andererseits diejenigen, die eine wirtschaftsethische Diskussion ganz zurückweisen (Vgl. Friedman 1970), und zwar entweder mit dem Argument, es bestehe gar kein Bedarf aufgrund der Selbstregulierungsfähigkeit der Marktwirtschaft, das ist die Position der Problemverleugner, oder aber, es seien in der wettbewerbsgetriebenen Wirtschaft ohnehin nur solche zusätzlichen Normen durchsetzbar und zumutbar, die mit den ökonomischen Verwertungsbedingungen verträglich sind. Das ist die Position derjenigen, die trotz der aufgetretenen Probleme die unbeschränkte Ausschöpfung aller erreichbarer Nutzungschancen auch gegen eine moralische Kritik und Normierung verteidigen wollen: damit alles weitergehen kann wie bisher. Man kann hier erkennen, daß und in welcher Art und Weise gesellschaftliche Interessen – in diesem Fall an einer schrankenlosen Kapitalverwertung und Einkommenserzielung – die akademische Diskussion in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften schon vorab prägen. Diese Präformierung des Denkens durch vorgängige gesellschaftliche Interessen sind für die Wissenschaft ein höchst problematischer Umstand, der eine ganz besondere Aufmerksamkeit verdient. 7 4. Kann die Wirtschaftsethik überhaupt leisten, was von ihr erwartet wird? Die Wirtschaftsethik kann dann wirksam werden, wenn möglichst alle - oder wenigstens genügend zahlreiche - autonome und ethisch einsichtige Handelnde vorhanden sind, die - ohne dazu gezwungen zu sein - entschlossen sind, das gemeinsam erkannte gute Ziel wirklich erreichen zu wollen. Dazu müßte aber ein gesellschaftlicher Prozeß ablaufen, der demjenigen der Erosion der geschäftlichen Moral entgegengesetzt wäre; so etwas zu erwarten oder appellativ zu fordern, dürfte aber ein Ausdruck von Idealismus und somit zum Scheitern verurteilt sein. Diese Vorstellung enthält allerdings eine Schwachstelle, nämlich die Voraussetzung der Autonomie der Entscheidungssubjekte; diese aber ist zwischen den Theorien strittig. Zwar wird in den Handlungstheorien von dieser Voraussetzung ausgegangen, aber die Systemtheorien widersprechen und verweisen auf die Prägung der Subjekte durch Sozialisation sowie auf ihre Integration in bereits vorgegebene sozioökonomische Verhältnisse, also auf den Vorrang des sozioökonomischen Systems und seiner Logik. Die systemische Objektivität wirkt danach prägend und hat deshalb Vorrang gegenüber dem individuellen Handeln mit seiner Subjektivität. (Horkheimer und Adorno 1933). Aus dieser theoretischen Perspektive bestünde folglich kein oder nur ein sehr begrenzter Handlungsspielraum. Wo er jedoch existierte, dort könnte prinzipiell individuell ethisch motiviert gehandelt werden. Sofern die systemtheoretische Sichtweise relevant ist, kann sich die Wirksamkeit der Wirtschaftsethik zwar entfalten, aber nur inerhalb des Systems, aufgrund seiner spezifischen Funktionslogik und der darin möglicherweise enthaltenen freien Handlungsspielräume. In der Wirtschaft wirkt sich beispielsweise der Wettbewerb auf den Märkten beschränkend auf die Handlungsspielräume der Unternehmer aus, aber andererseits gibt es in der Geschichte und in der Gegenwart auch immer wieder beeindruckende Beispiele originellen unternehmerischen Handelns, das von ausgetretenen Pfaden und Managementmoden abweicht. Nicht jede Phantasielosigkeit kann eben mit dem Diktat der Systemlogik entschuldigt werden. 8 5. Welche Ziele könnten mit einer Wirtschafts- bzw. eine Unternehmensethik verfolgt werden? Damit haben wir die Ebene des ethisch-moralischen Diskurses erreicht: - Welche Ziele sind als „gut“ und damit als ethisch gerechtfertigt anzusehen? Und aus welchen Gründen? - Wie gelangen wir zu einem konsensfähigen Ergebnis, und was soll geschehen, wenn es zu keinem Konsens kommt? - Ist ein solches Ergebnis in der bürgerlichen Gesellschaft mit ihren charakteristischen Interessenskonflikten überhaupt möglich? - Sollte eine solche Zielbestimmung möglich sein, wie könnten dann moralisch akzeptierte Ziele unterhalb der Schwelle der Gesetzgebung hinreichend verbindlich gemacht werden? - Welche Kontroll- und welche Sanktionsmechanismen sind denkbar und praktikabel? Die letzten beiden Fragen operieren bereits auf der Managementebene, damit auch von Konzepten wie jener der „Corporate Social Responsibility“. Ich werde darauf hier nicht weiter eingehen. 9 6. Die ethische Problematik der Shareholder-Value-Orientierung in der Wirtschaft Ich werde - auch um des besseren Verständnisses willen - zunächst eine kurze analytische Skizze vortragen, um mich dann den ethischen Fragen zuzuwenden. Der Gegenbegriff zum Shareholder-Value-Konzept ist die sogenannte Stakeholder-Orientierung. Diese impliziert ein bestimmtes Grundverständnis der privaten Unternehmung, das dahin geht, daß diese Institution mehr ist als eine Privatangelegenheit der Eigentümer. Es wird gesehen und darauf aufmerksam gemacht, daß es auch andere relevante Anpruchsgruppen an die private Unternehmung gibt. Hier zählen vorrangig die Beschäftigten, aber auch die Kunden, die Lieferanten, die Kreditgeber und der Staat, nämlich in seinen Rollen als Gewährleister der Infrastruktur, als Subventionszahler und als Steuereinnehmer. Alle diese Gruppen haben bestimmte legitime Erwartungen an die private Unternehmung, und diese Legitimität entsteht durch die fortwährende Interaktion und Wechselwirkung der privaten Unternehmung mit ihrer sozioökonomischen Umwelt. Sie wird dadurch zwar nicht formal und nicht explizit, wohl aber material und implizit als eine gesellschaftliche Institution in privater Form begriffen. Ihr privater Charakter wird dadurch deutlich relativiert. Das Shareholder-Value-Konzept rückt demgegenüber erstens das monetäre Einkommensinteresse der Eigentümer an die oberste Stelle der Zielhierarchie, und es bindet zweitens das EinkommensInteresse der leitenden Manager durch den teilweisen Entgelt mit stock options eng an den Börsenkurs des Unternehmens und damit an die monetären Interessen der Eigentümer, d. h. der shareholder. Damit wird das Management dem Diktat der Quartalszahlen und der Finanzanalysten unterworfen, und der Zeit- und Denkhorizont der geschäftlichen Planung verkürzt sich entsprechend. Zugleich wird damit die reale Ökonomie der monetären Ökonomie untergeordnet. Die Börsen werden zu Leitinstitutionen der Gesamtwirtschaft. Der güterwirtschaftliche Kapitalismus wandelt sich zum Finanzmarkt-Kapitalismus, dessen Krise mit dem Schwarzen Montag, dem 15.09.2008, manifest geworden ist. Zugleich werden jene gesellschaftlichen Kompromisse brüchig und aufgekündigt, die der Stakeholder-Orientierung entsprachen. Die gesellschaftlichen Strukturen geraten politisch und ökonomisch vermittelt in Bewegung. Es kommt zum steilen gesellschaftlichen Aufstieg kleinerer Gruppen und zugleich zum sozialen Abstieg breiter Schichten. Auch die Stabilität der Mittelschichten erweist sich auf die Dauer als gefährdet. Sie werden aufgespalten in einen Teil, der die Prekarisierung fürchten muß, und in einen anderen Teil, der seine soziale Position noch bewahren kann. Wenn diese skizzenhafte Charakterisierung annähernd zutreffend sein sollte, wie wäre diese Entwicklung und der heutige gesellschaftliche Zustand dann aus ethischer Sicht zu beurteilen? Mir scheint hier eine Frage im Zentrum zu stehen, nämlich ob ein solcher gesellschaftlicher Zustand rational und objektivierend als gerecht oder als ungerecht begründet werden kann. Die bloß subjektive Empfindung von Ungerechtigkeit, wie sie das Alltagsbewußtsein bestimmt, sie bleibt m. E. unzureichend. Zwar weiß ich nicht, ob das so gestellte Problem überhaupt lösbar ist, aber wir müßten uns, wenn wir uns denn darauf einließen, Gedanken darüber machen, wie der Begriff der Gerechtigkeit als orientierende Norm und als Maßstab bestimmt werden könnte. Damit kehren wir allerdings zwangsläufig zurück zu den großen, miteinander im Konflikt liegenden Gesellschaftstheorien, die uns zu unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen Deutungen und Erklärungen führen. Und wir kehren zurück zu den interdependenten Werten der Französischen Revolution: liberté, egalité, fraternité oder, sinngemäß: 10 Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit 7. Was Gerechtigkeit im Hinblick auf Gesellschaft bedeuten könnte In einer gerechten Gesellschaft sollten alle Menschen ihr Leben frei entfaltet können, nicht nur eine bestimmte soziale Schicht oder Klasse; der historische Entwicklungsstand der Gesellschaft läßt dies seit langem zu. Da politische Unfreiheit eine freie Entfaltung aller verhindert, steht sie in jeder Form im Gegensatz zur Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist ohne eine funktionierende Demokratie nicht möglich. Demokratie funktioniert wirklich in dem Maße, in dem sie tatsächlich durch Willensbildungsprozesse von unten nach oben bestimmt wird, indem sich also die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung Geltung verschaffen können. Diese Willensbildungsprozesse erfordern kurzfristig Klarheit über die eigenen Interessen, und sie erfordern politische Bildung sowie politische Urteilskraft. Ungerecht wird Demokratie, wenn sie durch die Herrschaftspraxis Privilegierter ausgehöhlt wird, indem die demokratische Willensbildung durch publizistische Manipulation der Bevölkerung, durch Abkoppelung der Parlamentarier von den Wählern, durch Privilegierung der Abgeordneten, durch politischen Lobbyismus gegenüber Parteien, Parlamenten und Regierungen, durch Schwächung der Parlamente und durch konzeptionelle Lenkung der Exekutive seitens privater Stiftungen oder Verbände erschwert oder durch Willensbildungsprozesse von oben nach unten ersetzt wird. Brecht hat hierzu die treffende Frage gestellt: Die Macht geht vom Volke aus – aber wo geht sie hin? Gerechtigkeit ist aber auch nicht möglich ohne eine fundamentale soziale Gleichheit. Soziale Gleichheit bedeutet keineswegs Gleichmacherei oder Verneinung der Individualität und der natürlichen und kulturellen Unterschiedlichkeit der Menschen, sondern vielmehr deren Anerkennung und Akzeptanz ohne Diskriminierung. Gleichheit bedeutet mehr als die glücklicherweise verwirklichte Gleichheit vor dem Gesetz und auch mehr als eine - tatsächlich leider nicht gewährleistete - Gleichheit der Entwicklungschancen. Soziale Gleichheit bedeutet insbesondere die Abwesenheit von faktischen Privilegien sozialer und ökonomischer Art. Es sind diese faktischen Privilegien, die den Kern unseres gesellschaftlichen Gerechtigkeitsproblems bilden. Gerechtigkeit existiert erst dann, wenn sich die - in diesem Sinne - freien und gleichen menschlichen Individuen in ihrer Unterschiedlichkeit dennoch wechselseitig als Mitglieder ein und derselben menschlichen Gemeinschaft begreifen und wenn sie daraus praktische Konsequenzen für ihre gemeinsame Lebensgestaltung ziehen. 11 Literatur Corporate Citizenship, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ) – Beilage der Wochenzeitung „Das Parlament“, Heft Nr 31/2008 vom 28.Juli 2008. Friedman, Milton, The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits, in: The New York Times Magazine, September 13, 1970 Göbel, Elisabeth, Unternehmensethik, UTB 2797- Lucius & Lucius: Stuttgart 2006 Goeudevert, Daniel, Das Seerosen-Prinzip – Wie uns die Gier ruiniert, DuMont: Köln 2008 Horkheimer, Max und Adorno, Theodor W., Materialismus und Moral, in: Zeitschrift für Sozialforschung; Heft 2, II. Jahrgang, 1933 Kubr, Milan, Management Consulting, 3th edition, Geneva 1996, S. 735 ff. 12 Protestantische Aspekte der Unternehmensethik Prof. Dr. Ralf Hoburg Mit jeder Handlung bin ich als Handelnder bereits ein moralisches Subjekt. Dies gilt im individuellen Bereich ebenso wie im Kontext des öffentlichen Handelns – etwa in der Politik – und nicht weniger im Feld des ökonomischen Handelns. In jeder Handlung steckt das Wissen um „gut“/“böse“, richtig oder falsch, von „angemessen“ bzw. „unangemessen“ und dieses Wissen kommt zustande durch mein persönliches Werturteil.1 Auch das ökonomische Handeln setzt ein solches Werturteils-Wissen voraus und ich möchte die These wagen, dass das subjektive Werturteil auch die Grundlage aller ökonomischer Entscheidungen und Handlungen darstellt. Von dieser Perspektive einer moralisch gesättigten Handlungstheorie aus möchte ich meine Überlegungen zur Begründung von Unternehmensethik dezidiert christ-lich protestantisch formulieren.2 Ich beziehe mich hierbei auf die Überlegungen des Kollegen Günther Buchholz von der Fakultät Wirtschaft der FH-Hannover und dessen Thesen zum Thema der Wirtschaftsethik und möchte den Versuch unternehmen, auf der Grundlage seiner Überlegungen Übereinstimmung und kritische Einwände zu formulieren. Es war gewünscht, zu den Thesen kritisch Position zu beziehen, was ich durch insgesamt vier Zwischenrufe tun möchte. Erster Zwischenruf: Das Märchen von der wertfreien Ökonomie Wie es kein Handeln ohne moralische Grundierung gibt, so gibt es auch keinen „wertfreien“ Markt, denn die dort stattfindenden Handlungen sind in sich reduzierbar auf Resultate subjektiven Handelns, also an sich Ergebnisse von diversen Handlungsmotivationen und Handlungsketten, deren Teil auch die moralische Reflexion darstellt. So ist jede Manage-rin/Manager und jeder Besitzer von Aktien an sich auch ein moralisches Subjekt und alles Handeln – einschließlich des wirtschaftlichen Handelns – setzt in mir Maßstäbe von Fairness und Gerechtigkeit und damit durchaus ethische Kriterien voraus. Dass etwa Unternehmer auch „ethische Subjekte“ sind und Unternehmen in vielfacher Weise ethische Handlungs-dimensionen inmitten ihrer ökonomischen Überlegungen aufweisen, wurde in der Vergan-genheit in der öffentlichen Debatte leider oft vernachlässigt, woran die Ökonomen nicht ganz unschuldig sind.3 Zu oft wird etwa das Faktum übersehen, dass in der Bundesrepublik Deutschland die maßgebliche Wirtschaftssäule Betriebe des Mittelstands sind und eben nicht Aktiengesellschaften. Es sind also in der Mehrzahl „Unternehmer“ und nicht „Unternehmen“, deren Ziel die radikale Steigerung des an der Börse notierten Unternehmenswertes zur Befriedigung der Shareholder-Value sind, die ökonomisch handeln. Die Frage nach der Ethik bekommt hier also schon ein ganz anderes Gewicht, wenn im Vorfeld der Referenzrahmen kritisch betrachtet wird.4 Die Ausführungen des Kollegen Buchholz setzen in gewisser Weise das von dem Soziologen Max Weber in seiner Schrift „Die protestantische Wirtschaftsethik“ begründete Theorem rationaler Handlungsweisen bzw. dem Ansatz zweckrationaler Gewinnoptimierung als Grundlage des ökonomischen Handelns voraus. Zwar spricht der Kollege von einer gewissen „Nachdenklichkeit“, die durch die jüngste Wirtschaftskrise in dieser Sache in Gang gekom-men ist, aber das Prinzip der optimierenden Handlungsrationalität als solches stellt er nicht in Frage. Aus meiner Sicht müsste die Ökonomie weiter gehen und genau dieses Theorem der Ökonomie neu überdenken. Denn die jüngste Finanzkrise zeigt: Das moralische Werturteil, dass der Markt eine inhärente Ethik aufweist und sich selbst normativ reguliert, stimmt unter den Bedingungen der Globalisierung nur noch sehr 1 Vgl. hierzu Hans Joas, Die Entstehung der Werte, Frankfurt 1997; den Kontext von Urteilen und Handeln reflektiert prinzipiell Detlef Garz/ Fritz Oser/ Wolfgang Althof (Hgg.), Moralisches Urteil und Handeln, Frankfurt 1999. 2 Grundlage einer modernen Wirtschaftsethik beschreibt Traugott Jähnichen, Wirtschaftsethik. Konstellationen – Verantwortungsebenen – Handlungsfelder, Stuttgart 2008. 3 Eine Untersuchung auf dem Hintergrund qualitativer Probanden-Interviews hat jüngst vorgelegt Klaus Hartmann, Manager und Religion. Zum Wandel beruflicher und religiöser Lebensführung, Konstanz 2007. 4 Siehe Ralf Hoburg, Jenseits des Ökonomischen, DtPfBl 2007. 13 gebrochen.5 Mit grundsätzlichen Beibehaltung des von Adam Smith in seiner Schrift: „Der Reichtum der Nationen“ begrün-deten Annahme6 hat der Kollege Buchholz durchaus im Konsens mit der ökonomischen Theorie – wo er ein ethisches Türchen geöffnet hat – ein entscheidendes Türchen wieder zu gemacht. Denn genau hier besteht bis jetzt die „Krux“ im Dialogfeld von Ethik und Ökonomie. Aus ökonomischer Perspektive wird sehr wohl die Notwendigkeit ethischer Überlegungen gesehen, aber Ethik wird nicht in genügender Form in das Theoriekonzept von Ökonomie „integrativ“ eingebunden, sondern fast ausschließlich aus den Erfordernissen der Praxis bei gleichzeitiger Geltung gängiger Theoreme begründet.7 So schreibt der Kollege Buchholz: „In der Wirtschaftsethik werden ethische Überlegungen auf das Praxisfeld Wirt-schaft angewandt.“ Ethik wird damit zu einem „Adiaphoron“ ökonomischer Prozesse und geriert zur blanken „Legitimationsethik“ bestehender Theorieannahmen bzw. des praktischen unternehmerischen Handelns. Aus der Sicht der protestantischen Sozialethik ist das zu wenig und muss sich die Ethik als Wissenschaft „missbraucht“ vorkommen. Damit bleibt der Kol-lege dem Modell der Dominanz der Ökonomie gegenüber der Ethik verhaftet. Bislang hat einzig Peter Ulrich mit dem St. Gallener Konzept den Versuch einer „integrativen Wirt-schaftsethik“ unternommen, der Ethik und wirtschaft gleichrangig einander zuordnet.8 Demnach ist Unternehmensethik weit mehr als ein praktisch von außen zu implementierendes Konzept, sondern vielmehr ein in der Ökonomie selbst zu verankerndes theoretisches Postulat. Für den Ökonomen Peter Ulrich ist der Wert der „Kritik“ bzw. der Ideologiekritik ein wichtiges Feld in der Argumentation, die er „Ökonomismuskritik“ nennt. Er will den Schein der ökonomischen „Wertfreiheit“ und der ethischen Neutralität der ökonomischen Sachlogik durchschauen.9 Aus dieser Perspektive ist es das Verdienst von Ulrich, als erster Ökonom den „Mythos des Marktes“ beschrieben zu haben. Das wirtschaftliche Handeln muss hierbei wieder mehr an den gesellschaftlichen Kontext herangerückt werden. Lese ich die Überlegungen des Kollegen Buchholz, so begegnet mir bei ihm trotz des für ihn maßgeblich im Hintergrund nach wie vor gültigen Rationalitätstheorems, wie es klassisch die Ökonomie formuliert, in Ansätzen ein ähnlicher gedanklicher Zusammenhang wie bei Peter Ulrich. Grundsätzlich besteht demnach Übereinstimmung zwischen uns, dass die Grundlage aller ökonomischen Prozesse handelnde Subjekte sind, die wie der Kollege schreibt – in Handlungsautonomie – agieren wollen. Damit haben wir aber eine gemeinsame Basis zwischen Ökonomie und Theologie, nämlich vor dem Hintergrund von Handlungs- oder Systemtheorie geht es „subjektorientiert“ um die Prinzipien ökonomischen Handelns von Individuen. 10 Anders formuliert: Der ökonomisch handelnde Mensch und der ethisch handelnde Mensch sind ein und dieselbe Person! Räumt man nämlich den Mythos von der Zweckrationalität des „homo oeconomicus“ einmal beiseite und legt ihn vorläufig in die Mottenkiste wissenschaftlicher Theorien, kommt die Anthropologie als gemeinsame Grundlage von Ökonomie, Ethik und Theologie zu Tage. Der Wirtschaftsjournalist Uwe Jean Heuser räumt in seinem jüngsten Buch „Humanomics. Über die Entdeckung des Menschen in der Wirtschaft“ dem anthropologischen Faktor eine enorme Rolle zu.11 Für ihn ist es eben nicht das Prinzip optimierender Handlungen, sondern das reziproke 5 Darauf weist schon sehr grundlegend hin Martin Büscher (Hg.), Markt als Schicksal? Zur Kritik und Überwindung neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Bochum 1998. Es ist doch für den wissen-schaftlich-theoretischen Zustand der Wirtschaftswissenschaften äußerst tiefblickend, dass die Lehrbuch-Ökonomie so Ideologie-resistent gegenüber neueren kritischen Ansätzen ist. 6 Zur Wirtschaftsgeschichte siehe etwa Peter Jay, Das Streben nach Wohlstand. Die Wirtschaftsgeschichte des Menschen, Düsseldorf 2006. 7 Darin liegt etwa auch die Schwierigkeit im Lehrbuch Elisabeth Göbel, Unternehmensethik. Grundlagen und praktische Umsetzung, Stuttgart 2006. 8 Peter Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, Berlin/ Stuttgart/ Wien, 4. Auflage, 2008. 9 Ebd., 125. 10 Vgl. etwa Johannes Eurich/ Alexander Brink, Zur Rolle der Moral im ökonomischen Modell des Homo oeconomicus, in: Heinz Schmidt (Hg.), Ökonomie und Religion. Fatal Attraction – Fortunate Correction, Heidelberg 2006, 95-128. 11 Vgl. Uwe-Jean Heuser, Humanomics. Die Entdeckung des Menschen in der Wirtschaft, Campus 2008. 14 Handeln zum gegenseitigen Nutzen, das auch das ökonomische Handeln leitet. Nach Heuser gewinnt derjenige, der teilt! Damit ist das Gespräch über ethisches Handeln als Teil eines ökonomischen Prinzips eröffnet. Im Menschenbild könnte durchaus die gemein-same Grundlage für das zukünftige Gespräch zwischen den Disziplinen liegen. Und vom Menschenbild aus gesehen sind es die moralischen Werthaltungen, die gesellschaftlich und biographisch mein Handeln prägen.12 Hier gibt es viel Stoff, den Ökonomen zusammen mit Ethikern, Psychologen, Soziologen und Theologen entdecken können.13 Die Voraussetzung dazu ist allerdings, dass sich die Wirtschaftswissenschaft konkret als Humanwissenschaft begreift und sich auf den Weg zu neuen Theorieufern macht. Zweiter Zwischenruf: Klare Unterscheidung von Unternehmensethik und Wirtschaftsethik Eine der für mich wichtigen Faktoren im gemeinsamen Gespräch zwischen Ökonomie und Theologie besteht in der Klarheit der Verhandlungsgegenstände. Der Verweis auf die Regelungsmechanismen, die der Kollege Buchholz in seinen Thesen mit Rückgriff auf die Argumentationen von Milton Friedman anführt, verweist darauf, dass es ihm im Gespräch vor allem um die „Wirtschaftsethik“ als Gegenstandsbereich geht. Insoweit führt der Kollege in seiner Argumentation mehrfach den Gesetzgeber als Instanz zur Definition von Legalitäts- und Illegalitätsgrenzen an. Aber bereits der öffentlich-ethische Reflexionsprozess über Moralitätsgrenzen, der am Beispiel von Bestechungsskandalen im Ausland angeführt wird, ist wiederum kein wirtschaftsethischer, sondern ein unternehmensethischer Diskurs. Ebenso ist das angeführte „unethische“ Verhalten von Unternehmungen kein Gegenstand der Wirt-schaftsethik. Aus der Sicht der Ethik mahne ich also die Wirtschaftswissenschaft an, klarer zu unterscheiden und sich wissenschaftlich präziser auf das Feld der Ethik zu beziehen, was auch bedeutet sich auf deren theoretische Argumentationsebenen zu beziehen. Der wirtschaftsethische Diskurs lässt sich zurückführen auf die katholische Soziallehre und die Ordnungstheorie von Karl Hohmann. Im engeren Sinne besteht der Gegenstand der Wirtschaftsethik in der Reflexion der Ordnungsprinzipien des wirtschaftlichen Handelns, d.h. der „frame“ wird hierbei zum Thema.14 Letztendlich geht es der Wirtschaftsethik um die Definition der Rahmenordnung oder anders formuliert: um die Definition der Spielregeln des Wettbewerbs. Kommen wir im Gespräch zwischen Ökonomie, Ethik und Theologie also über wirtschaftsethische Fragen ins Gespräch, geht es um die Positionierung und Reflexion der Grundlagenwerte von „Markt“ und „Wettbewerb“. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat hierzu in ihrer wirtschaftsethischen Denkschrift Position bezogen.15 Das normative Thema der Wirtschaftsethik besteht daher in Fragen von Teilhabefähigkeit und sozialer Inklusion unter dem Gesichtspunkt von Chancengleichheit und Beteiligung. Der ethische Maßstab dieser Fragestellung ist der öffentliche Diskurs über die „soziale Gerechtigkeit“.16 Es ist letzt-lich die von dem Kollegen angeführte Position, dass der Markt sich selbst ordnet und regelt, die im wirtschaftsethischen Gespräch überprüft werden sollte. Diesem Anliegen ist dann auch die protestantische Wirtschaftsethik in der Tradition von Arthur Rich bis Eilert Herms gefolgt.17 Das Ziel ist die Gewinnung einer ethischen Grundlagenreflektion des ökonomischen Denkens in der Gesellschaft. Der Gegenstand wirtschaftsethischer Überlegungen muß daher für die Ökonomie die Frage sein, wie durch die Prozesse von Globalisierung und der Gestaltung von Unternehmensstruk-turen bzw. den Prinzipien ökonomischen Handelns soziale Differenz im negativen Fall gefördert und im 12 Letztlich ließe sich von hier aus eine attraktive Form einer Berufsethik für ökonomische Berufe entwickeln. Vgl. etwa in anderem Zusammenhang Ralf Hoburg (Hg.), Theologie der helfenden Berufe, Stuttgart 2008. Die Implementierung einer solchen wirtschaftlichen Berufsethik wäre ein wichtiger Standort- und Erfolgsfaktor einer Fachhochschule. 13 Siehe auch Jean-Pierre Wils (Hg.), Orientierung durch Ethik?, Paderborn 1993. 14 Vgl. hierzu mein Arbeitspapier im Seminar Unternehmensethik Ralf Hoburg, Wirtschaftsethik und Unternehmensethik. 15 Vgl. EKD (Hg.), 16 Vgl. EKD (Hg.), Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Gemeinsame Text Bd. 3, Hannover 1997. 17 Stellvertretend sei genannt Eilert Herms, Theoretische Voraussetzungen einer Ethik des wirtschaftlichen Handelns, in: Ders. (Hg.), Gesellschaft gestalten. Beiträge zur evangelischen Sozialethik, Tübingen 1991, 146ff. 15 positiven Fall gemindert wird. In diesem Sinne ist die notwendige Diskussion über „Managergehälter“, die der Kollege Buchholz in seinen Thesen als Beispiel anführt, ein typisches wirtschaftsethisches Thema oder die Frage nach dem Zusammenhang von ökonomischer Gewinnsteigerung und Streichung von Arbeitsplätzen. Was ist die Funk-tion der Wirtschaft in der Gesellschaft? Darüber würde ich in der Tat gerne mit Ökonomen in die Diskussion kommen. Das klassische Lehrbuch zur Wirtschaftspolitik von Bruno Molitor antwortet darauf nur mit einem kleinen Satz: Das Ziel der Wirtschaft und damit ihr Sinn und Zweck liegt in der „gesamtgesellschaftlichen Wohlstandssteigerung“.18 Zu dieser gesamtge-sellschaftlichen Aufgabe der Wirtschaft gehört dann aber auch ein Diskurs über Geldmit-telverteilung, Beseitigung sozialer Notlagen sowie wirtschaftwissenschaftliche Reflexionen zum Thema der Arbeitsmarktpolitik. Der Kollege hat insofern recht, als mit der Wirtschafts-ethik immer ein gesellschaftlicher Diskurs verbunden ist. Als Fachhochschule täten wir daher gut daran, den wirtschaftsethischen Diskurs normativ für alle Ausbildungsfächer sozusagen als „Studium generale“ zu implementieren, in dem das Bewusstsein einer ethischen Verant-wortung für die Studierenden zu einem Teil ihrer beruflichen Identität wird – eben nicht nur als ethisches Fähnlein in der Sozialarbeit oder einem kirchlich-religiösen Berufsfeld wie dem der Religionspädagogen, sondern gerade und besonders bei Maschinenbauern oder im Bereich der Medien oder gar von Textil und Design. Wer heute die Förderung von Wertebewusstsein der Studierenden im Rahmen eines Studiums als eine zu vernachlässigende Größe ansieht und allein auf technologische Innovation setzt oder die Bildungsvoraussetzungen der Studie-renden, ist leider nicht auf dem aktuellen Stand der Bildungsdiskussion. Die Abschaffung einer Institution wie des Studium Generale an der FHHannover durch das Präsidium ist daher m.E. genau die falsche Entscheidung. Die Ebene der sog. „Codes of Conduct“ bzw. der gesamte Bereich der sog. „Corporate Governance“ betrifft im engeren Sinne die Unternehmensethik. Kommen wir über sie ins Gespräch, geht es um die Frage des ethischen Verhaltens von Unternehmen und der sozialen Gestaltung von ökonomischer Interaktion. Hier sind es vor allem „ethische Haltungen“, die auf der Grundlage ökonomischer Handlungen von Subjekten betrachtet werden müssen. Dahinter verbergen sich eminent praktische Fragen einer „Produzenten-„ bzw. „Rezipientenethik“ so etwa die Frage: wie sind die umweltethischen Bedingungen in Produktions- und Verkaufs-prozesse mit ein zu beziehen?19 Etwas simpel ausgedrückt ist die Unternehmensethik „Lei-tungs- und Führungsethik“ und beschreibt dann die ethischen Handlungsmaßstäbe im gesamten Managementprozess. Etwas komplizierter wird es, wenn man die Umwelt des Unternehmens mit hinzuzieht. Dann wird Unternehmensethik in einem 6-fachen Feld relevant. Ethische Prinzipien kommen dann zur Diskussion Im Umgang mit Wettbewerbern im Markt Im Umgang mit Kunden Im Umgang mit Mitarbeitern Im Umgang mit der Umwelt In der Produkt- und Preispolitik In der Unternehmenskommunikation Dritter Zwischenruf: Der Begriff der Ethik In der Definition der Ethik liegt mein größter Dissens zu den Überlegungen des Kollegen. Ganz im Rückgriff auf die klassisch griechische Definition, die dann bei dem Philosophen Kant aufgegriffen wird, definiert der Kollege Buchholz Ethik als den Bereich dessen, was zu tun oder zu sollen ist.20 18 Bruno Molitor, Wirtschaftspolitik, München/Wien, 6. Auflage, 25. Die Diskussion im Bereich der NPO’s bzw. der NGO’s ist hier weit gediehen. Vgl. zum gesamten Komplex HannsStephan Haas/ Udo Krolzik (Hg.), Unternehmen Diakonie, Stuttgart 2007. 20 Damit bewegt er sich auf dem Pfad deontologischer Denktradition. Wer aber setzt in einer pluralistischen Gesellschaft die normativen bzw. objektiven Maßstäbe des Handelns? Ethische Begründung kann daher im Kontext der Moderne nicht deduktiv vorgehen, sondern induktiv. Es geht um die Begründungszusammenhänge des moralischen Urteilens von Subjekten. 19 16 Mein Einwand dagegen ist die sehr pragmatische Überlegung, dass in pluralistischen und individualistischen Gesellschaft kein Konsens über das Prinzip des guten Handelns mehr besteht. So wie sich individuelles Handeln aufgelöst hat in die Erfordernisse der Situation, ist auch ökonomisches Handeln kontextabhängig. Eine Ethik, die sich auf die Festlegung von Prinzipien des guten Handelns festnageln ließe, wäre im Keim bereits erstickt. Wie kommt es – das ist meine kritische Rückfrage an den Kollegen – zu der Entschei-dungsfindung – welche Ziele im Unternehmen als gut und damit als „ethisch“ gerechtfertigt anzusehen sind? Vielmehr ist der Begriff der Ethik in Aufnahme der Subjektivitäts- und Handlungstheorien als Reflexion der Moral zu verstehen, deren Ziel die Übernahme von Verantwortung in konkreten Handlungssituationen ist. Im Begriff der Ethik, wie ihn der Kollege verwendet, fehlt mir der Aspekt der Wertorientierung des Handelns. Die Ethik in Bezug auf ökonomisches Handeln lässt sich von hier aus betrachtet gut ergänzen durch den systemtheoretischen Aspekt der Umwelt des Unternehmens. Mit den Eckwerten von „Wertorientierung“ als unternehmensethischem Grundsatz und der Einbeziehung der sozialen Umwelt von Unternehmen wird jedes Unternehmen zu einem sozialen Akteur im gesellschaftlichen Feld.21 Mit dieser Beschreibung der Grundlage der Ethik als „Wertorientierung“ öffnet sich ein weites Feld normativer Beschreibungen einer Unternehmenskultur oder Unternehmensphilosophie. Der Begriff des „Wertes“ setzt dabei eine ethische Normorientierung voraus. Die Wertorientierung des Handelns ist es, die das gute Handeln des Kaufmanns ausmacht, denn der gute Kaufmann wird so handeln, dass er nicht den Gewinn um jeden Preis realisiert, sondern ihm geht es um die Zufriedenheit des Kunden und demnach um den Aspekt der „Nachhaltigkeit“. Damit ist die „Wertschätzung“ von Personen, fairen Tauschprozessen und Sachen ein wichtiger Bestandteil unternehmens-ethischer Reflexion, die es in jedem Studiengang als „soziale und ethische Kompetenz“ eigens zu vermitteln gilt. Dadurch wird der Faktor „Sozialität“ als neuartige Kategorie in die Ökono-mie eingeführt. Das ist an sich nichts Neues, denn im Mittelalter war die wirtschaftliche Aktivität eingegliedert in den organischen Zusammenhang der gesamten Gesellschaft. Noch in der frühen Neuzeit hatte die Wirtschaft eine soziale Funktion. Es existierte die Lehre vom „gerechten Preis“ (iustus pretium) und das kirchliche Zinsverbot entwickelte eine Wirkung in der Gesellschaft. Dies änderte sich erst mit dem Aufkommen des Utilitarismus, der mit John Stuart Mill theorieprägend wurde. Ich stimme mit dem Kollegen Günther Buchholz deshalb darin überein, dass es primär die Orientierung an den Stakeholdern ist, die den Referenzrahmen einer Unternehmensethik als den Prinzipien wertorientierten unternehmerischen Handelns bilden sollte. Aber wer sind diese? Zu den Stakeholdern gehört dann neben den Interessen des Unternehmens selbst auch das Interesse des lokalen Gemeinwesens und seiner sozialen und ökonomischen Entwicklung. Es wird eine wissenschaftliche Aufgabe der Zukunft sein, die sozialen Interaktionsprozesse der Unternehmen mit ihrer Umwelt genauer zu erforschen. Die neu erschienene Studie der Bertelsmann-Stiftung über Unternehmen als Sozialpartner bietet hier etliche Anregungen.22 Vierter Zwischenruf: Mahnung zur Bescheidenheit oder: wider die Erwartungen Ethik ist nicht das Allheilmittel für die Probleme, deren Wurzeln woanders liegen. Was kann also die Unternehmensethik bzw. ein wirtschaftsethischer Diskurs im konkreten Dialog zwischen Unternehmen und Wissenschaft leisten? Der aus der Perspektive des Kollegen der Wirtschaftswissenschaften benannte Diskurs über Gerechtigkeitsfragen steht natürlich einem protestantischen Denker durchaus wohl, waren es doch die Aspekte des jüdischen und paulinischen Gerechtigkeitsbegriffs, die Martin Luther in der Reformation zum Klingen ge-bracht und die dann in der Französischen Revolution neu aufgegriffen wurden. Ich möchte den Aspekt der Gleichheit, wie ihn der Kollege in seinen Thesen abschließend reflektiert, aufnehmen: Aus theologischer Sicht 21 So agieren inzwischen die Management-Lehrbücher für den Bereich der NPO’s. Uto Meier/ Bernhard Sill (Hg.), Zwischen Gewissen und Gewinn. Wertorientierte Personalführung und Organisationsentwicklung, Regensburg 2005. 22 Vgl. Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Grenzgänger – Pfadfinder – Arrangeure. Mittlerorganisationen zwischen Unternehmen und Gemeinwohlorganisationen, Gütersloh 2008. 17 – die philosophische Ethik mag hier durchaus abweichen – sollte der Gedanke der sozialen Gleichheit (der sicherlich als absolute Forderung eine Utopie bleibt) ergänzt werden durch den Aspekt der „Gabe“, der aus der jüdischen Tradition heraus stammt. Danach bilden Wohlstand und Reichtum ein „Geschenk“ bzw. eine Gabe, die es zu teilen gilt. Wenn man so will, ist die Klausel des Grundgesetzes, wonach das Eigentum verpflichtet, eine tiefes soziales Erbe jüdischer Kultur in Europa. Kann man so weit gehen und von der „Sozialität des Geldes“ sprechen? M.a.W. stehen wir heute vor der eminent wirtschaftsethischen Frage: Ist der Markt mit seinem ihm implizit zugesprochenen morali-schen „Wertuteil“ gut für alle Bereiche der Gesellschaft zu sein, die wirklich für alle Bereiche der Gesellschaft angemessene Form des ökonomischen Gestaltungsprinzips? Oder deutlicher formuliert: Bedarf es nicht gerade um des „Wohlstandes“ der Nationen willen Bereiche, die dem Marktgeschehen enthoben und eher nach moralisch-ethischen Kriterien behandelt werden? Ich gestehe, dass ich zumindest in zwei Bereichen diese Auffassung vertreten könnte: „Geld“ sollte etwa in der Gesellschaft eine Ware „sui generis“ sein und bleiben, das dem kompletten Zugriff des Marktes enthoben ist und die Systeme der Sozialen Sicherung sind Bereiche, die sich der totalen Ökonomisierung verweigern, weil es in ihnen um das „Letzte“ des Menschen, nämlich seinen Tod bzw. seine Gesundheit geht. Bei alledem wird es darauf ankommen, bescheiden zu bleiben, d.h. es wäre doch schon viel gewonnen, wenn Unternehmer vor Ort mit Wissenschaftlern ins Gespräch kämen über die ethischen Grundsätze ihres persönlichen ökonomischen Handelns. Dabei würden wir fest-stellen, dass jenseits theoretischer Modelle und Diskussionen viel unternehmensethisches Handeln bereits vorhanden ist. Es ist nur noch zu wenig erforscht! Und das ist dann unsere Aufgabe. 18 Der ehrbare Kaufmann Hermes/Merkur, Schutzgott des Verkehrs, der Reisenden, der Kaufleute Nikolaus von Myra, Schutzpatron der Kaufleute, Seefahrer und Bäcker Variationen zur Tugend der Mäßigung Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 1 Variation 1 Johann Siegmund Mann I alias Johann Buddenbrook der Ältere (1765–1842) „Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können“. Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 19 2 Hanseatische Tradition 1 • Bildung: liest Chroniken und Historien • Interkulturelle Kompetenz • Gewinnstreben in Balance mit Risiko und Sicherheit • Pflegt sein Ansehen zum Erhalt seiner Kreditwürdigkeit • Vermögenssicherung durch Sparsamkeit, Bescheidenheit und Maßhalten • Politiker im Dienste seiner Heimatstadt • Mitglied der Handelsgesellschaften • Wahrnehmung von Sozialverpflichtung Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 3 Hinrich Castorp, Lübeck1420-80 Hanseatische Tradition 2 Kaufmännische Solidität/Moral der Vertragstreue (Sombart): • Zuverlässigkeit im Halten von Versprechungen • Reelle Bedingungen • Pünktlichkeit der Erfüllung der Verpflichtungen Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 20 4 Hanseatische Tradition 3 • • • • • • • Nüchtern kalkulieren Hart verhandeln Pünktlich liefern Sauber abrechnen Toleranz Adolph Woermann Engagement für das Gemeinwesen Firma und Mitarbeiter sind im Zweifelsfall wichtiger als die eigene Person1 1 Vgl. Fandel,G./Schwalbach,J. Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 5 Hanseatische Tradition 4 Der ehrbare Kaufmann arbeitet sicher, langsam, beharrlich, besonnen und ist genügsam in seinen Ansprüchen. • „Eile mit Weile!“ • Arbeit soll Segen sein und nicht Geißel • Maßhalten im Ton • Klarheit des Ausdrucks • Kulanz Oswald Bauer, 1906 Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Work-Live-Balance Fakultät V 21 6 Variation 2 Die italienische Tradition • Entstehung der Kaufmannsgilden: Einfluss auf die Ehre des Kaufmanns nach außen und innen • 13.Jahrhundert: Städte wurden sozial und politisch von Kaufleuten dominiert Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 7 Der italienische Kaufmann • • • • Gewinnstreben Rationale und emotionale Kompetenz Organisationstalent Politischer und wirtschaftlicher Weitblick Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 22 8 Der tugendhafte italienische Kaufmann Palazzo dei Priori, Perugia, 1452 Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 9 Dr. Christiane Palazzo deiProf. Priori, PerugiaBurbach, FH, Collegio del CambioFakultät V 10 23 Pietro Vannucci „Il Perugino“ 1496-1500 gemalt Perugia: Palazzo dei Priori/ Collegio del Cambio Prudentia und Justitia Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V Pietro Vannucci „Il Perugino“ 1496-1500 gemalt Perugia: Palazzo dei Priori/ Collegio del Cambio Fortitudo und Temperantia Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 11 Tafel der Temperantia Dic, dea, quae tibi vis! Mores rego, pectoris aestus tempero et his alios, cum volo, reddo pares. Sage, Göttin, was Du für Dich willst! Ich lenke die Sitten, ich mäßige die ungestümen Leidenschaften des Herzens und mache andere diesen gewachsen, wenn ich will. Me sequere et, qua te superes ratione, docebo. Quid, tu quod valeas vincere, maius erit? Folge mir und ich werde Dich lehren, auf welche Weise Du Dich überwindest. Was wird größer sein, als dass Du in der Lage bist zu siegen? Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 13 Die Beispiel-Gestalten • Publio Scipione= Publius Scipio Aemilianus Africanus • Pericles Atheniense= Perikles von Athen • Quinto Cicinnato= Lucius Quinctius Cincinnatus. Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 24 14 12 Pietro Vannucci „Il Perugino“ 1496-1500 gemalt Perugia: Palazzo dei Priori/ Collegio del Cambio Fortitudo und Temperantia Niki de Saint Phalle: La Grande , Temperance Hauptpost Luxemburg Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 15 Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 16 25 Variation 3 Italienische Tradition Die Tugenden der „Guten Regierung“ Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 17 Ambrogio Lorenzetti, Palazzo Pubblico, Siena: Gute Regierung, 14.Jd. Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 26 18 Säen und das Feld bestellen Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 19 Der eigenen Arbeit nachgehen Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 27 20 Heiraten Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 21 Feiern und Tanzen Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 28 22 Variation 4 Globalisierte Welt: Der ehrbare Manager? • Kern: Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit • Kein schamloses Ausnutzen der Lohnunterschiede: Schutz der Wirtschaftsordnung • Langfristige wirtschaftliche Ziel statt kurzfristiger Rendite • Förderung sozialer Entwicklung: Finanzierung von Schulen; Aufbau von Infrastruktur Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 23 Literatur u.a.: Daniel Klink: Der ehrbare Kaufmann, 2007 Dank: Prof. Dr. Wolfram Ax, Institut für Altertumskunde, Klassische Philologie, Köln Frank Schönfeld, Seminar für Kunstgeschichte, Göttingen Prof. Dr. Christiane Burbach, FH, Fakultät V 29 24 Prof. Dr. Christiane Burbach Der ehrbare Kaufmann Variationen zur Tugend der Mäßigung Thesen zur Präsentation am 18.11.2008 anlässlich „FH meets economy“ zum Thema Wirtschaftethik 1. Nachdem zuvor die Makro- und Mesoebene der Wirtschaftsethik betrachtet wurde, möchte ich den Mikrobereich ins Auge fassen. Ich möchte ihnen im folgenden kleinen Intermezzo das Leitbild des ehrbaren Kaufmannes als einer bedeutenden europäischen Tradition der Selbstinterpretation des Standes der Kaufleute nahe bringen. Unter den vielen Facetten, die dieses Ethos beinhaltet, möchte ich aus aktuellen Gründen der Entwicklung im Management der Finanzwirtschaft, die zu einer gigantischen Finanzkrise geführt hat, besonders den Aspekt der vierten Kardinaltugend, der Mäßigung herausheben. 2. Das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns entstand im Mittelalter und wurde im Hochmittelalter zur Zeit der kommerziellen Revolution in Norddeutschland mit der Entstehung der Hanse wie auch in Italien elaboriert.23 Es war die Zeit erster Globalisierungstendenzen in der Wirtschaft. Dieses Leitbild wurde bis in das 21. Jahrhundert hinein weiter entwickelt. Verschiedentlich wird derzeit dieses Leitbild zitiert, allerdings ohne explizit auf diese große standesethische Tradition zu rekurrieren. Anhand von Bildern möchte ich einige Stationen nachzeichnen. 3. Eine Variante des Maßhaltens des ehrbaren Kaufmanns treffen wir in der Ermahnung Johann Siegmund Manns, den wir als Johann Buddenbrook d. Ä. kennen, an seinen Sohn (Folie 2). Hier zeigt sich der Geist dieses Leitbildes im 19. Jahrhundert: Es gilt gute Geschäfte und den eigenen Seelenfrieden in der Balance zu halten. Geschäfte, deren Risiko so hoch ist, dass die Nachtruhe, die ja eine Voraussetzung für besonnenes Handeln bei Tage darstellt, gefährdet ist, müssen als ruinös gelten. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass man als erstes über das eigene Gewissen, die erkennbaren psychosomatischen Zusammenhänge hinweggeht, um schließlich zu erkennen, dass der interne und externe Preis zu hoch war. - Die Balance von Geschäft und Seelenfrieden kann jedoch nur als ein Indikator des ehrbaren Kaufmanns betrachtet werden. Angesichts des Traditionsabbruches eines gemeinsamen Wertesystems könnte es sein, dass einige Manager heute gut schlafen können, weil sie sich weit genug von den Konsequenzen und Folgen ihres Handelns entfernt haben, sich gegen diese Folgen immunisiert haben. Am steigenden Verbrauch von Betablockern, Beruhigungsmedikamenten etc. lässt sich jedoch andererseits ablesen, dass der Zusammenhang von guten Geschäften und Seelenfrieden dennoch nicht obsolet ist.Stationen des Profils eines ehrbaren Kaufmanns nach hanseatischem Modell finden sich auf den Folien 3-6 in den Kriterien Hinrich Castorps, der 1420 bis 1480 in Lübeck lebte, Werner Sombarts, Adolf Woermanns24, Präses der Handelskammer Hamburgs, Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft und im Reichstag sowie Oswald Bauers. Hier fällt besonders auf, wie der Gedanke der Balance zwischen Eigeninteresse und Sozialverpflichtung, wie die Vorstellung des Maßhaltens und der Balance zwischen kurzfristigen Zielen und Nachhaltigkeit sowie Langfristigkeit herausgearbeitet werden. 4. Die italienische Variante des ehrbaren Kaufmanns ist im 13. Jahrhundert entstanden, einer Zeit, in der die oberitalienischen Städte sozial und politisch von Kaufleuten dominiert wurden. In vieler Hinsicht zeigen sich Überschneidungen im Hinblick auf die Kriterien. Allerdings gibt es Darstellungen für den tugendhaften Kaufmann, die noch weit über das 23 Vgl. Daniel Klink; Der ehrbare Kaufmann, www.der-ehrbare-kaufmann.de, 2007, 13ff Woermann war mit seinem Brandweinhandel in Afrika kein unkritisierter Kaufmann, dennoch kann das Dass seines bürgerschaftliches Engagements als wegweisend gelten. 24 30 hanseatische Leitbild hinausgehen. Diese finden sich z.B. im Collegio del Cambio in Perugia. 5. Der Saal der Geldwechsler-Zunft, übrigens auch wieder einer der der Globalisierung verpflichteten Metiers, wurde 1452-57 gebaut und bis 1500 eingerichtet und befindet sich im Palazzo dei Priori.25 Dieser Versammlungsraum verfügt über eine ausgesprochen prächtige und solide Wandverkleidung. Am interessantesten jedoch sind in meinen Augen die Wandfresken, die ein bemerkenswertes Bildprogramm zeigen. Dieses Programm wurde von dem in Perugia lehrenden Humanisten Francesco Maturanzio erstellt und von Pietro Vannucci >il Perugino< ausgeführt. An der linken Wand befinden sich u.a. die Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Stärke und Mäßigung, auf denen die wesentlichen bürgerlichen Lebensnormen beruhen. Diese Darstellungen wollen wir uns aus gegebenem Anlass näher anschauen. Je zwei der Kardialtugenden sind zu einer Bildtafel zusammengefasst. Das Bildprogramm ist so aufgebaut, dass die Allegorie der beiden Tugenden die obere Hälfte des Bildes dominiert. Jeweils zu ihrer Seite haben sie eine Tafel mit zwei charakterisierenden und erklärenden Distichen. In der unteren Hälfte finden sich je drei historische Exempel der jeweiligen Tugend. Werfen wir einen genaueren Blick auf die zweite Tafel: links sehen wir die Fortitudo (Tapferkeit) in Ritterkleidung mit Schild, Zepter und Siegesfahne; rechts neben ihr: Temperantia (Mäßigung) Wein und Wasser in zwei Krügen mischend. Auffallend ist, dass sowohl die Fortitudo als auch ihre historischen Helden ihre Blicke zur rechten Bildhälfte, der der Temperantia, richten. Von ihr ist offenbar die höhere Ordnung und größere Orientierung zu erwarten. Besonders aufschlussreich ist ihre Texttafel. Darin wird ihr das Regieren der Sitten, die Mäßigung der ungestümen Leidenschaften des Herzens und das Gewachsensein diesen Leidenschaften gegenüber zugeschrieben. In Aussicht gestellt wird die Selbstüberwindung, die als der größte Sieg, den man erringen kann, verstanden wird. Ungestüm und Affektbesessenheit sind das Gegenteil von Balance der Kräfte und Impulse. Die drei historischen Helden sind Publius Scipio Aemilianus Africanus, Perikles von Athen und Lucius Quintius Cincinnatus, auf die ich hier nicht weiter eingehe. Sie waren damals bekannt und ihre Taten populär. Heute müssten wir ihren exemplarischen Charakter erst wieder herausarbeiten. Bemerkenswert aber ist, dass die Zunft der Geldwechsler in Perugia sich zur Selbstformung u.a. die Kardinaltugenden an die Wand malen ließen, auch die Temperantia. Bei jeder Versammlung, jedem Zusammentreffen in illustrer Runde, trafen sie unweigerlich auch auf die Tugend der Mäßigung, neben der Tapferkeit, Klugheit und Gerechtigkeit; also eine selbst inszenierte Konfrontation mit universalen Maßstäben. 6. Temperantia wurde in der Renaissance, aber auch in früheren und späteren Epochen in vielfältiger Weise dargestellt26: als Plastik am Dogenpalast als Fresko als Türrelief als Majolika und auch als Statue von Niki de Saint Phalle. Temperantia stellt die Balance her zwischen dem berauschenden und dem ernüchternden Element (Wein und Wasser), zwischen verschiedenen Interessen, zwischen verschiedenen Charaktereigenschaften. Temperantia sorgt dafür, dass die gegensätzlichen und spannungsvollen Kräfte des Lebens in dem bekömmlichen Ausmaß Raum erhalten. Die Mäßigung ist so gesehen kein Knebel, sondern erst das recht verstandene Lebenselixier. 7. In Italien ging man aber noch weiter, die lebensfördernden Kräfte im öffentlichen Raum darzustellen. Im Palazzo Pubblico in Siena finden wir die Darstellung der „Guten Regierung“ (und der „schlechten Regierung“) von Ambrogio Lorenzetti (Folie 18). Die 25 26 Vgl. Klaus Zimmermann: Umbrien. Eine Landschaft im Herzen Italiens4, Köln 1987, 78f. Vgl. z.B.: M.J.Tracy/R.Newhauser/D.Briesemeister: Art. Tugenden und Laster, in LexMA, Bd. VIII, 1085-1090. 31 Regierung selbst ist eine Allegorie der Sienesischen Kommune, gekleidet in Schwarz-Weiß, den Farben des Stadtwappens.27 Zur Linken der Allegorie befinden sich die Personifikationen der Gerechtigkeit, Mäßigung und Großherzigkeit, zur Rechten die Umsicht, Stärke und der Frieden (jeweils von r.n.l.) Es handelt sich um ein modifiziertes und erweitertes Programm der Kardinaltugenden. Für unseren Zusammenhang ist interessant, dass auch hier die Mäßigung eine der wesentlichen Kräfte der guten Regierung darstellt. Die Folien 19 bis 22 zeigen die Folgen der guten Regierung: es sind die Früchte der alltäglichen Arbeit wie z.B. Säen und Ernten, was man gesät hat; handwerkliche Tätigkeiten (Schuhmacherwerkstatt) ebenso wie Lernen (Schule). Zur guten Regierung gehört es, dass Menschen in Ruhe heiraten und eine Familie gründen können! Auch Feste feiern und Tanzen sind Merkmale einer guten Regierung. 8. Wie nun aber könnte und sollte die vierte Variante im Zeitalter der globalisierten Welt aussehen? Gibt es Hinweise auf den „ehrbaren Manager“? Gibt es eine Chance für die Balance unternehmerischer Interessen und die Interessen einer breiten Gesellschaft, der Balance von kurz- und längerfristigen Gesichtspunkten des Wirtschaftens? Oder muss man sagen: das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns ist ein vorkapitalistisches Modell, das heute nicht mehr aktualisierbar ist. Wenn man aber zu dieser Antwort kommt, dann stellt sich die Frage: Können wir es uns wirklich leisten, dass dieses Leitbild veraltet ist? Und: Wer trägt die Kosten dafür? 27 Vgl. Klaus Zimmermann: Toscana. Das Hügelland und die historischen Stadtzentren 4, Köln 1980, 284f. 32 Prof. Dr. Friedrich Heckmann, Sozial- und Wirtschaftsethiker, Theologe und Philosoph Das Handelsblatt – einige von Ihnen werden es lesen und schätzen – bez. die Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH gibt seit Jahren eine wunderbare Reihe von Büchern heraus, die Klassiker der Nationalökonomie. Dort finden Sie wichtige Schriften zur Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften von Aristoteles und seiner Politeia über Adam Smith28 (An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776) und Thomas Robert Malthus29 (Essay on the Principle of Population) bis hin zu Friedrich August von Hayeks Preise und Produktion von 1931. Sie finden jeweils das wieder abgedruckte Originalwerk eines Klassikers und zum anderen ein Kommentar, wie ich ihn hier zu einem nationalökonomischen Klassiker in der Hand halte. Erstaunlicherweise hat das Handelsblatt auch diesen Autoren hier, der vor wenigen Tagen 525 Jahre alt geworden ist, zu den Klassikern der Wirtschaftswissenschaften gezählt: Es ist Martin Luther! Der evangelische Reformator hat sich in vier berühmten Schriften und Predigten mit ökonomischen Fragen auseinandergesetzt. In dieser Schrift von 1524 mit „(Von) Kauffshandlung und Wucher“ erklärte und beurteilte er ein zentrales Phänomen der Ökonomie: Den Wert und den Preis beim Tausch von Gütern, Geld und Dienstleistungen. Mit Martin Luther betrat nicht der erste Wirtschaftsethiker das Feld der Wirtschaftsgeschichte – denn diese Professionsbezeichnung gab es 1524 natürlich noch nicht – und mit Martin Luther betrat auch nicht der erste Theologe die wirtschaftsethische Bühne und es wird auch nicht der letzte sein, ich komme darauf zurück. Luther am Vorabend der Moderne zwischen Mittelalter, Scholastik und Renaissance machte sich nicht folgenlos Gedanken über die Beurteilung der Ökonomie. Nach ihm sind viele andere gekommen, die wirtschaftliche Fragen, Fragen der Ökonomie ethisch reflektieren, die beurteilen wollen, was richtig und was falsch ist - das ist nämlich die ethische Aufgabe - vor allem in unserer Zeit, einer Zeit, die uns mit einer Fülle von ökonomischen Problemen bedrängt: die leidige Finanzkrise, die immer kürzer folgenden Zyklen von Aufschwung und Rezession, sowie Globalisierung, Kurssteigerungen und Kursstürze an den Börsen, Arbeitslosigkeit, Fusionen und Entlassungen, Umweltprobleme... Mit Martin Luther habe ich einen wichtigen Strang wirtschaftsethischer Reflektion benannt. Religiöse, kirchliche und theologische Reflexion wirtschaftlicher Realität und gesellschaftlichen Umgangs mit der Wirtschaft bestimmt bis heute den wissenschaftlichen Diskurs und die öffentliche 28 In seinem wohl berühmtesten Buch entwickelt Adam Smith das erste geschlossene System der Volkswirtschaftslehre. Auf Smith beziehen sich alle späteren Theoretiker, nehmen Bezug auf seine Thesen, dass es erstens im Menschen einen natürlich angelegten Ausgleich zwischen Egoismus und Nächstenliebe gibt und dass sich zweitens das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben ohne staatliche Eingriffe selbst reguliert. 29 Wie Adam Smith sich als Wirtschaftspolitiker und David Ricardo sich als Wegbereiter des monetären Denkens ausgezeichnet haben, so liegt der herausragende Beitrag Malthus’ auf dem Gebiet der Sozialwissenschaft. Sein »Essay on the Principle of Population« entfachte das Interesse und entwickelte Methoden für sozialwissenschaftliche Untersuchungen. Seine These, die Menschheit verdoppele sich alle fünfundzwanzig Jahre und vermehre sich damit schneller als die Nahrungsmittel, die für ihre Existenz notwendig seien, war damals nicht zu widerlegen. Malthus war sich der Bedeutung der von ihm ausgesprochenen Gedanken bewußt - er war überzeugt, die Ursache menschlichen Elends gefunden zu haben. Seine Forderung, das Anwachsen der Bevölkerung durch Enthaltsamkeit zu stoppen, schaffte ihm erbitterte Gegner. Dennoch: Sein Buch »darf Anspruch erheben auf einen Platz unter jenen, die den Fortschritt des Denkens in hohem Maße beeinflußt haben«, schrieb John Maynard Keynes über Malthus’ »Essay«. Und weiter: »Der Essay ist nicht nur in der Methode apriorisch und philosophisch, sondern er ist im Stil kühn und rednerisch, mit viel Bravour in Sprache und Gefühl.« 33 Diskussion mit. Die erste deutschsprachige Wirtschaftsethik hat der reformierte Zürcher Theologieprofessor Arthur Rich in den 80er Jahren vorgelegt, einen sozialethischer Ansatz als mittleren Weg zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und rigiden unternehmerischen Shareholder- value - Standpunkt. Ein Ansatz, der damals in der Schweiz und in Süddeutschland auf großes Interesse der Wirtschaft stieß. Auch heute lassen sich die wirtschaftsethischen Ansätze noch grob so kategorisieren: evangelisch - katholisch - "weltlich" Mit Arthur Rich habe ich einen protestantischen Wissenschaftler benannt, auf katholischer Seite wäre vor allem der etwas ältere Jesuit Oswald von Nell-Breuning (1890-1991) zu nennen: Theologe und Sozialwissenschaftler, einer der Väter der katholischen Soziallehre. Relativ spät - eigentlich erst seit einigen Jahren - dafür aber mit einer fast unübersehbare Flut von Publikationen mischen die weltlichen Wissenschaften mit, die praktische Philosophie und die Politik- und Sozialwissenschaften, zu denen ich nach alter Lesart auch die Wirtschaftswissenschaften zähle! Manchmal ist die Flut der Publikationen etwas ärgerlich, weil viel Oberflächlichkeit im Spiel ist, auch viel Polemik, aber um es mit Peter Ulrich zu sagen, das weist wohl auch drauf hin, dass die Sache "brennt". Vor 15 Jahren, erst 1993 wurde das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE) wurde gegründet. Mitglieder sind Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Kirchen und Wissenschaft, die an wirtschaftsethischen Fragen interessiert sind. Bevor ich jetzt weiter über das Phänomen Wirtschaftsethik rede, gebe ich Ihnen eine Arbeitsdefinition für diesen Abend, damit Sie wissen, was ich unter Ethik verstehe: Wirtschaftsethik ist die wissenschaftliche Reflexion über ethische, moralische und sittliche Fragen in der Wirtschaft. Wirtschaftsethik hat keine unmittelbaren Rezepte für konkrete Einzelfragen, sie gibt aber durchaus Entscheidungshilfen und zielt auf grundsätzliche Sensibilisierung. Wirtschaftsethik zielt auf den vor – politischen und vor – rechtlichen Raum; hier beansprucht sie Normativität, will sie argumentativ festlegen, was gut und richtig ist! Ich komme zu meinem Überblick zurück, die gelernten oder selbst ernannten Wirtschaftsethiker, von denen ich in meiner Groborientierung gesprochen habe, teilen heute beileibe nicht mehr alle den Standpunkt Luthers Luthers Position war ja die, dass es für die Wirtschaft noch andere, d.h. nicht ökonomische Kriterien geben könne und müsse. Ethik und Wirtschaft – ein Gegensatz oder ein Widerspruch? – passen Ethik und Wirtschaft zusammen – oder eher doch nicht? Eine wichtige Position ist diese: Ethische Kriterien für die Wirtschaft – nein danke! Ethik hat in der Wirtschaft nichts zu suchen, wo kämen wir denn da hin. Das ist ein Standpunkt, den Sie sowohl bei Praktikern finden als auch bei Philosophen, selbst unter wirtschaftswissenschaftlich orientierten Theologen finden Sie diese Position. Der bekannteste ist neben den strengen Rationalisten unter den Ökonomen der bekannte Systemtheoretiker Niklas Luhmann. In den modernen differenzierten Gesellschaften hat das Teilsystem Moral faktisch keine integrierende Funktion. Erst recht kann das Teilsystem Ethik oder Moral andere gesellschaftliche Teilsysteme nicht bestimmen oder normieren, d.h. die Spielregeln bestimmen. Die Regelsysteme der Moral und der Wirtschaft, so Luhmann, sind voneinander unabhängig und folgten jeweils ihrer eigenen immanenten Logik. Wenn dagegen der Versuch unternommen werde, wirtschaftliche Effizienz an moralische Kriterien zu binden, komme es leicht zu einer Verletzung der Effizienzkriterien. Wirtschaftssysteme folgten eben nicht moralischen, sondern ausschließlich 34 Effektivitätsregeln. Luhmann behauptet eine Systemneutralität oder sogar Systemschädlichkeit von Moral gegenüber der Wirtschaft. Dieser sozialwissenschaftliche Ansatz trifft sich mit der Theorie einer eigenen Rationalität der Ökonomie: Die Ökonomie hat eine Rationalität, die nicht mit der allgemeinen Rationalität übereinstimmt, insofern kann man ihr mit klarer Vernunft oder gar mit ethischer Vernunft nicht in den Diskurs gehen. Meine Position dazu möchte ich so beschreiben: Weder stimmt dies empirisch, dass Moral und Wirtschaft voneinander unabhängige Regelsysteme sind, noch sollte es so sein. Empirisch sind wirtschaftliche Entscheidungen, bereits die Entscheidung für ein bestimmtes Wirtschaftssystem unvermeidlich von bestimmten Wertannahmen geprägt, etwa dem dass Effizienz, Wirtschaftsliberalität oder Prosperität primäre Handlungsziele und -werte sind. Selbst wenn aber Wirtschaft und Moral wirklich voneinander völlig abgetrennte Teilsysteme wären, wäre ein derartiger Zustand nicht wünschenswert, da jedes menschliche Handeln, auch das wirtschaftliche, an moralischen Kriterien zu messen ist, wenn man jedenfalls, wie offensichtlich auch Luhmann selbst, Moral grundsätzlich akzeptiert, etwa als System von "Achtung und Missachtung". Wirtschaft ist Wirtschaft, Moral ist Moral - Zufallsüberschneidungen sind nicht ausgeschlossen. Moral insgesamt erweist sich als naiv oder störend angesichts der marktwirtschaftlichen Effizienzregeln, das wäre eine etwas abgemilderte Position Die Konsequenzen bleiben dieselben Ethik und Wirtschaft - passt das zusammen - oder doch nicht ? Ein alte Streitfrage, die einen sagen wie Luhmann und neoliberale Ökonomen „nein“, die anderen sagen wie Luther „ja“, aber dieses „ja“ ist nicht so eindeutig wie am Vorabend der Moderne zu Luthers Zeiten, sondern ist heute so differenziert, dass die Vielzahl der Positionen einen schwindelig machen kann. Wenn aber, so setze ich einmal voraus, Geld wirklich die Welt regiert, ist es dann wünschenswert, dass wirtschaftliches Handeln ausgeschlossen ist, oder besser gesagt ausgenommen wird von der Diskussion, ob etwas richtig ist oder falsch, gut ist oder böse ist. Die ökonomische Theorie der Gegenwart neigt mehrheitlich einer Position zu, die sich so umschreiben lässt: Wirtschaftliches Handeln gehorcht den Kriterien der ökonomischen Vernunft und keinen ethischen. Eine durchaus strittige Frage ist das in der philosophischen und politikwissenschaftlichen Diskussion, die Frage also, ob sich Wirtschaft, wirtschaftliches Handeln, die Fragen der Produktion, des Wirtschaftens, des Handelns und des Geldes ethisch beurteilen lassen. Pecunia non olet, - Hildesheimern kommt dieser lateinische Satz unangenehm bekannt vor - sagte Kaiser Vespasian im 1. Jahrhundert nach Christus: Vespasian bekannt für seine rigorose Spar- und Steuerpolitik, besteuerte die öffentlichen Klos in Rom. Geld stinkt nicht, Geld ist neutral, es ist egal, woher es kommt, ob aus den römischen Toiletten, oder der modernen Variante Mc Clean, ob es um Sponsoring im sozialen Bereich durch suspekte Geldgeber geht oder um Finanzierung wissenschaftlicher Publikationen aus Glücksspielgewinnen und Mitteln aus dem Lotto. Auch Aktien von MacDonalds und Coca Cola sind anscheinend wertneutral. Der Kollege Hans Küng hat sein weltweites ambitioniertes Programm für den Weltfrieden aus Coca Cola – Gewinnen finanzieren lassen, das Weltethos – Projekt. Dagegen hält Thomas von Aquin, der vielleicht einflussreichste Philosoph und Theologe der westlichen Christenheit: Nummus non parit nummos, - Geld darf nicht Geld gebären. Und daran hat sich die Christenheit auch lange gehalten: Zinsverbot, welch eine Wohltat wäre dies für alle Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen 35 welch eine Horrorvision für die Banken weltweit - mit Ausnahme der streng islamischen Geldinstitute. Bankleute, die Zins nehmen, sind Diebe am Eigentum Gottes, Zeitdiebe, sie verdienen ihr Geld nicht selber im Schweiße ihres Angesichts, ja sie verdienen sogar am Sonntag, am Feiertag, denn ihr Zinsvertrag trägt ja auch sonntags Früchte, Geld arbeitet am Feiertag, das wendet sich gegen die Zinsnehmer. Und diese heißen noch bei Martin Luther „Wucherer“, er hatte seinen Kirchenvater Thomas gut studiert. Wider die Wucherer zog er kräftig vom Leder in seinen wirtschaftsethischen Schriften „Eyn Sermon von dem Wucher“ (1522), „Von Kauffshandlung und Wucher“ (1524), „Vom Zinsgroschen“ (1535) und kurz vor seinem Tode noch „An die Pfarrherrn wider den Wucher zu predigen, Vermanung“ . Nun, Luther ist aber gleichzeitig mit für das verantwortlich, was wir heute die Moderne nennen. Ohne Luther hätte das Mittelalter nicht überwunden werden können Er stellt die Weichen in unsere Zeit. Und die Moderne brachte uns ein nie gekanntes Wirtschaftsleben - weltweit - global allumfassend. Mit der Moderne und der Demokratisierung des Lebens blieben auch immer mehr die Folterinstrumente der Kirche im Keller, die physischen und die psychischen. Mit dem Fegefeuer hatte man Jahrhunderte lang die Zinsnehmer und Wucherer in Schach gehalten - Zinsnahme war Todsünde, nicht erst seit Thomas, aber seit ihm und durch ihn philosophisch über Aristoteles und theologisch über die Tradition des biblischen Zinsverbotes abgesichert. Nun haben die Menschen ja immer schon Zinsen von ihren Mitmenschen genommen, um zu mehr Geld zu kommen, auch wenn es Todsünde war, im Christentum wie im Islam. Die traditionelle katholische Theologie hatte einen kleinen Ausweg offen gelassen, eben das Fegefeuer, Bankiers und andere Wucherer blieben nicht auf Dauer sanktioniert, sie mussten halt einige Jahrhunderte ins Feuer, aber was tut man nicht alles für Macht und Reichtum hier und jetzt. Zudem gab es ein weiteres kleines Schlupfloch, das in die soziale und kirchliche Richtung weist. Früher hieß man das die mildtätigen Werke. Und die konnten die Dauer des Fegefeuers spürbar abkürzen. Viele Werke der Barmherzigkeit sind der früheren Hartherzigkeit und der späteren Milde alternder Bankiers und Kaufleute geschuldet, dieses bekannte Hospital, jenes Altenheim. Eine der fortschrittlichsten und imposantesten Sozialeinrichtungen des Spät - Mittelalters, noch heute existent, steht in Augsburg: die Fuggerei, gestiftet von den Bankiers der Kaiser und Päpste, der Könige und Bischöfe, der Familie Fugger. Zeichen des Glaubens? Zumindest Ausdruck dessen, dass man Geld nicht mit ins Grab nehmen kann und dass dies vielen, häufig leider erst zu spät, im Alter bewusst wird. Auch heute ist das noch ein Phänomen, vor allem in den USA, dem Land der Stiftungen und Fonds. Ein frommer calvinistischer Millionär stirbt dort auch heute nicht als Millionär. Er hat sein Geld gestiftet. Wir nennen es Sponsoring und Foundraising, wenn Alte von Sozialen Einrichtung hinsichtlich der Verwendung ihres Erbes umworben werden... . Das Zinsverbot ist gefallen, Auswüchse der Zinsnahme juristisch eingeschränkt, aber eben nur dieses. Wer auch nur einen Tag in einer Schuldnerberatung einer deutschen Großstadt verbringt, kommt ins Grübeln, ob nicht der Weg des Verbotes in Islam und Christentum doch etwas für sich hat. Aber die Linie des Vespasian hat sich durchgesetzt: Geld stinkt nicht. Das hat Auswirkungen auf den Geruch des Geldes. Es wird so hoch geschätzt, dass wir alle eher geneigt sind, Veilchen oder Rosen zu riechen, wenn wir zu Geld kommen, als uns Gedanken zu machen, was das für Geld ist. Lohn für ehrliche Arbeit oder Teilhabe an ungerechtem Wirtschaftshandeln? Notwendiges Lebensmittel oder Ergebnis von Ausbeutung anderer? 36 Und kein Banker denkt mehr ans Fegefeuer. Aber damit wir sind mitten drin in der ethischen Diskussion. Wir fragen nach der ethischen Qualität des Bankwesens, in diesen Tagen aktueller denn je. Wir fragen, ob es richtig ist, ja auch danach, ob es gut ist, dass sich die Weltwirtschaft in dieser Weise entwickelt, die wir mit dem Schlagwort der Globalisierung versehen haben. Wir fragen danach, ob das Verhältnis gut ist zwischen den Ländern des Südens, die überwiegend die Rohstoffe dieser Welt besitzen und den Ländern des Nordens mit ihren transnationalen Unternehmen. Wir fragen danach, ob das Handeln jenes niedersächsischen Monopolisten und europäischen Marktführers (VW) den Menschen in Hannover und der Region wirklich hilft und nützt oder eher doch nicht? Wir fragen aber zunehmend auch nach den Machtstrukturen und Marktverhalten der sozialen Organisationen und Unternehmungen, ist das wirtschaftlich noch vertretbar und ethisch legitim? Wir fragen nach der Rangfolge zwischen Ökologie und Ökonomie. Und letztlich können wir, wenn wir vor uns glaubwürdig bleiben wollen, das ist eine moralische, wohl auch ethische Kategorie, wenn wir also weiterhin uns selbst glauben wollen, dann können wir nicht vor uns Halt machen. Wir fragen also nach uns als wirtschaftlichen Subjekten, als Unternehmer, aber auch als Verbraucher, als Kunden, als Kleinaktionäre und als politisch und sozial Handelnde - und das auf der privaten Ebene und auf der professionellen Ebene im Hinblick. Und damit bin ich bei zwei weiteren Groborientierungen dessen, was wir Wirtschaftsethik nennen: a) Individualethik – Sozialethik, den ethischen Fragen für den Einzelnen und den Fragen, die das Gemeinsame, eben das Soziale betreffen. Zu letzterem gehören auch die strukturellen und institutionellen Fragen. b) Die drei Ebenen wirtschaftlichen Handelns und ethischer Reflexion: Mikroebene - Mesoebene - Makroebene Vor 220 Jahren veröffentlichte Adams Smith das Grundlagenwerk der modernen Wirtschaftswissenschaften „Der Wohlstand der Nationen!“ Oder genauer übersetzt: „Eine Untersuchung über die Natur und die Ursache des Wohlstandes der Nationen“. Wenn irgendwo in Deutschland oder in anderen westlichen Ländern darüber gestritten wird, was denn die richtige Wirtschaftspolitik sei, wird dieser Herr Smith angerufen als die Autorität dessen, was wir den freien Markt zu nennen gelernt haben, sozusagen als den ersten Kronzeugen und Heiligen der reinen Wirtschaftslehre. Da ich mich, wenn auch nur als protestantischer Theologe mit Heiligen und Scheinheiligen einigermaßen auskenne, will ich Ihnen ein paar Grundzüge seiner Lehre, um deren reine und pure Auslegung und Interpretation immer wieder gestritten wird, vorstellen. 1. Staatseingriffe und künstliche Produktionsbeschränkunken sind abzulehnen, Zollbarrieren und künstliche Privilegierungen sind also schädlich, nicht förderlich. 2. Wohlstand des Volkes entsteht durch „Erwerbsfleiß“ und „Sparsamkeit“. 3. Gibt es in einer freien Wirtschaft das freie Spiel der Wirtschaftskräfte werden Menschen, Männer und Frauen des Volkes durch das eigene Interesse motiviert, unter den Bedingungen des freien 37 Wettbewerbes genau dieses lernen. 4. Die Bedürfnisse der Menschen sind in etwa gleich, da ihre natürlichen Anlagen gleich sind. Dies führt zu einem Gleichgewicht in der Verteilung der vorhandenen Güter. 5. Das freie Wechselspiel von Angebot und Nachfrage erzwingt eine Preisgestaltung, die sich an den wirklichen Kosten, also an den Produktionskosten orientiert. Der Verbraucher profitiert also von einem freien Markt. Die Konsequenz aus diesen wenigen Grundannahmen ist nach Adam Smith und seiner Nachfolgern bis heute, dass der freie Markt die Wirtschaft reguliert, selbsttätig und ohne anderen Antrieb, das passiert alles von allein - wie durch eine „unsichtbare Hand“. Das ist die berühmte invisible hand des Adam Smith. Sein bekanntester Nachfolger ist Friedrich v. Hayek, der Begründer der Chikago School: Wettbewerb, so die reine Lehre heute, bewirke materiell die höchste Leistung und das kommt auch der Allgemeinheit zugute. Für das Gemeinwohl ist nicht nur gesorgt, sondern es wird der größtmögliche Effekt erzielt (Milton Friedman), mehr als der Wohlfahrtsstaat erreichen kann. Das individuelle Eigeninteresse ist etwas, was feststeht, es bedarf keiner Begründung auch keiner ethischen Legitimation (ethisches a priori), ex post wird alles legitimiert, weil der Erfolg, das wirtschaftliche Wachstum diese Legitimation liefert. Das Denken und Handeln spielt sich quasi in einem geschlossenen System ab: The business of business is business. Soziale Gesichtspunkte, ethische Kriterien gibt es nicht! Es geht um marktliche Selbstbehauptung, Nutzenstreben allein aus Eigeninteresse und Gewinnmaximierung. Lediglich die Kundschaft, die ja auch von Eigeninteresse geleitet wird (wirklich allein aus Eigeninteresse?) oder die öffentliche Meinung können sozialen und ethischen Kriterien bei der Kaufentscheidung Rechnung tragen und beeinflussen natürlich so die Bedingungen wirtschaftlicher Kalkulation. Mehr wird Moral und Ethik nicht zugestanden in der Art von Ökonomie, die zu Liberalisierung, Privatisierung, Deregulierung der letzten zwei Jahrzehnte beigetragen hat, zu der Krise der Finanzmärkte und zu einer Verantwortungslosigkeit der wirtschaftlichen Subjekte, die ohne Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte ist, mit immer nur einem Ziel, den international akzeptablen Renditen für die Shareholder in Höhe von 15 Prozent bis zu den 25 Prozent, von denen der Deutsche-BankChef Ackermann noch vor kurzem geredet hat. Aber im Unterschied zu seinen Nachfolgern in der gegenwärtigen Ökonomie hatte die Wirtschaftslehre des Adam Smith noch ein Ziel! Das Ziel der Wirtschaft ist der Mensch. Smith blendet die Frage, wozu wir wirtschaften, welchen Sinn das macht, er fragt, wem das alles nützen soll. Cui bonum? – Wem kommt das zugute? Und seine Antwort, es dient dem Menschen. Der Mensch ist Ziel und Zweck der Wirtschaft. Wie das auszuführen ist, bleibt Aufgabe der Ethik im Gespräch mit der Anthropologie. Einer der Wirtschaftsethiker, der in diese Richtung forscht, denkt und lehrt, ist Peter Ulrich, der St Gallener Ökonom und Philosoph. Sein Ziel ist der freie und liberale Wirtschaftsbürger, der nicht nur Ziel, sondern auch handelndes Subjekt von Wirtschaft ist. Die Gemeinschaft der Wirtschaftsbürger, als wir alle als Stakeholder mit - diskutieren und bestimmen über das, was Ziel einer „guten“ Wirtschaft ist, bestimmt das Ziel und die Art und Weise guten Wirtschaftens. Argumente geben den Ausschlag über die Richtung, nicht die Macht der Global Player oder die Akkumulation immer größerer Kapitalmengen in den Händen weniger. Im Diskurs zeigt sich, was die richtige Art des Wirtschaftens ist, das gute Wirtschaften. Wenn der Satz des Vespasian, das Geld nicht stinkt, meint, 38 das Geld wertfrei ist, dann hat er nur zum Teil Recht. Der ethische Verstand muss darauf bestehen, dass Geld, seine Herkunft und seine Verwendung, den Kriterien des Gerechten und zwar des Sachgerechten und des Menschengerechten, unterworfen sein muss. Peter Ulrich hat in Anlehnung an Artur Rich den Begriff der lebensdienliche Marktwirtschaft eingeführt, für die politische Ordnungsaufgaben konstitutiv sind. Damit sind fortwährender Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung Grenzen gesetzt. Ein „Primat der Politik vor der Logik auch des globalen Marktes“ hält Ulrich für unverzichtbar.30 Nur so lässt sich die Vision einer auf anderen Werten als Wettbewerb und Gewinnmaximierung basierten Wirtschaftspolitik entwickeln. Deren „Prinzip <ist> nicht die bedingungslose globale Marktöffnung“, „sondern die Differenzierung verschiedener Wirtschaftssektoren, die je nach den für sie vorrangigen vitalpolitischen (kulturellen, sozialen, ökologische und volkswirtschaftlichen) Gesichtspunkten vorzugsweise auf regionaler, staatlicher, oder globaler <lokalisiert> würden“.31 Aus ethischer Sicht geht es Peter Ulrich und seiner Schule darum, die ökonomische Rationalität in eine weitere, eine umfassende ethische Vernunft einzubeziehen. Die integrativen Wirtschaftsethik Peter Ulrichs scheint mir ein tauglicher Versuch in unserer Zeit, den Mensch und die Menschheit wieder in den Mittelpunkt der Wirtschaft zu rücken. Doch hier will ich abbrechen, denn das wäre eine weitere Diskussion – vielleicht auch in diesem Kreis! Vielen Dank! 30 31 Peter Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, Bern 1997, 387. A.a.O. 389 39 Günter Buchholz 03.02.2009 FH meets economy an der Fakultät IV der Fachhochschule Hannover 18. November 2008 Wirtschaftsethik heute – ein Nachwort Die Ablösung von Helmut Schmidt und die Wahl von Helmut Kohl durch das von Hans Tietmeyer (CDU, ehemaliger Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft, späterer BundesbankPräsident) konzeptionell und Otto Graf Lambsdorff und Genscher (FDP) politisch vorbereitete konstruktive Misstrauensvotum im Deutschen Bundestag veranlasste seinerzeit den neu gewählten Bundeskanzler Kohl seltsamerweise zu der Forderung nach einer „geistig-moralischen Wende“. Als beobachtender Staatsbürger musste man sich damals fragen, wie das denn wohl gemeint gewesen sein mochte. Denn Helmut Schmidt war ziemlich unstrittig als fachlich hoch qualifizierter, politisch kluger und moralisch integrer Staatsmann allgemein und zu Recht hoch angesehen, so dass er 2009, im Jahr seines 90. Geburtstages, zu einem Vorbild erhoben worden ist: im Blick auf 60 Jahre Bundesrepublik erscheint er nicht als einer in einer Reihe, sondern fachlich, politisch und moralisch mustergültig als DER BUNDESKANZLER schlechthin. Die von Helmut Kohl geforderte Wende hat es in der Folge in der Tat gegeben, in aller Stille. Aber es war eben keine Wende zu Besseren. Das damalige Tietmeyer-Papier war - wie sich im historischen Rückblick erwiesen hat - die politische Agenda der einsetzenden neoliberalen Gegenreform (Deregulierung, Privatisierung, Abbau des Sozialstaats und öffentlicher Dienstleistungen, also Übergang zur Marktgesellschaft mit der Konsequenz der Wirtschaftskrise von 2008 ff.). Und die Wahl von Kohl öffnete anscheinend auch das Tor zu einer wohl doch neuen Qualität der politischen Korruption, oft in Form von Lobbyismus, oft auch in Form privater Anschlusskarrieren für Politiker. Das Feld der Beschaffungskorruption (Öffentliche Bauaufträge, insbesondere auf kommunaler Ebene, Beschaffung von Rüstungsgütern durch den Bund) hat es bereits in den ersten Jahrzehnten der BRD gegeben. In den 80er Jahren lag allem Anschein nach der Schwerpunkt dann auf dem Mediensektor, d. h. vor allem auf der Durchsetzung privater Fernsehprogrammangebote: überakkumuliertes Kapital suchte neue Anlagefelder; hier zu Lasten der öffentlich-rechtlichen Sender. Nach den Ereignissen des Jahres 1989 kam dann als nach wie vor großes Dunkelfeld die Abwicklung der DDR-Wirtschaft hinzu, und seither geht es im Namen des Wettbewerbs um die großen Privatisierungen (Post, Telekom, Bahn), also um die Beseitigung der öffentlichen Monopole und gleichzeitig um den Aufbau privater Monopole (z.B. im Bereich der Energiewirtschaft) – was von den Interessenten als angeblich wettbewerbspolitisch unbedenklich erklärt wird. Kein Wunder, denn kann es für einen Betriebswirt und für einen privaten Eigentümer oder seine Manager etwas Erstrebenswerteres geben als ein mächtiges privates Monopol? Alle Prozesse neoliberaler Gegenreform werden offenbar mehr oder weniger ausgeprägt von Prozessen politischer Korruption - im weiten Sinne - begleitet. Der systemische Charakter des Vorgangs besteht darin, dass die Politik insgesamt den mehr oder weniger einheitlichen privaten Interessen, wie sie von Wirtschaftsverbänden oder Unternehmens-Stiftungen formuliert wurden, untergeordnet worden ist; für die so genannten „etablierten Parteien“ gilt das jedenfalls sehr weitgehend. Die Politik wird damit faktisch aber illegitimerweise nicht mehr demokratisch bestimmt, sondern von privat-partikulären Interessen geleitet. Darin besteht die „Krise der 40 Repräsentation“, und darin liegt auch die Ursache für die politische Korruption: sie ist das Instrument einer privilegierten einflussreichen Minderheit für die Durchsetzung ihrer Interessen gegen jene der Mehrheit unter den rechtlichen Bedingungen einer formalen Demokratie. Diesem Problem ist aber mit Wirtschafts- oder Unternehmensethik prinzipiell nicht beizukommen. Dennoch soll hier abschließend auf eine lesenswerte und erhellende Veröffentlichung zum Thema Unternehmensethik hingewiesen werden: Prof. Dr. Georg Schreyögg Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation und Führung, „Unternehmensethik zwischen guten Taten und Korruption Perspektiven für die Betriebswirtschaftslehre“ in: zfbf Sonderheft 58/08, S. 116 - 135 41