WISU-MAGAZIN PROFESSOREN–PROFILE Prof. Dr. Thomas Beschorner, 43, ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St.Gallen/Schweiz. Er studierte in Kassel, Erfurt, Galway (Irland) und Oldenburg. Seine Lehrtätigkeit führte ihn nach Kanada. Seine bevorzugten Arbeitsgebiete: Wirtschaftsund Unternehmensethik sowie Ökonomie als Kulturwissenschaft. Seine wichtigsten Buchveröffentlichungen: „Corporate Responsibility in Europe: Government Involvement in SectorSpecific Initiatives“ (Hrsg. zus. mit T. Hajduk/S. Simeonov), „Kooperationen und Ethik“ (Hrsg. zus. mit C. Schank/K. Vorbohle/M. Schmidt) sowie „Ökonomie als Handlungstheorie: Evolutorische Ökonomik, verstehende Soziologie und Überlegungen zu einer neuen Unternehmensethik“. Er ist Gründer und Leiter der „Zeitschrift für Wirtschaftsund Unternehmensethik“, von „CSR News“, „CSR Magazin“, „Transatlantic Doctoral Academy on Corporate Responsibility“ sowie der Stiftung Unternehmensverantwortung. Thomas Beschorner enn Sie auf das Jahr 2013 zurückblicken: Was hat W Sie als Wirtschaftsethiker am meisten gefreut, was am meisten schockiert und was am meisten belustigt? Forschung, in den Gewerkschaften, den Nicht-Regierungsorganisationen oder auch um Konsumenten. Waren es nicht vor allem die vielen Skandale der letzten Gefreut habe ich mich über eine Initiative Züricher StudenJahre, angefangen mit den Bilanzskandalen bei Enron tinnen und Studenten, die von ihrer Uni mehr wirtschaftsbis zu den Bankenskandalen, die der Wirtschaftsethik ethische Ausbildung fordern. Schockiert haben mich die so richtig zum Aufschwung verhalfen? Muss also erst Machenschaften der NSA und anderer Geheimdienste, Schlimmes passieren, damit die Menschen wachen die Bürgerrechte mit Füßen treten, als ob das völlig normal werden? Leider ist das so und als Wirtschaftsethiker — das sei. Was denken die sich eigentlich! Belustigt hat mich, meine ich natürlich ironisch — freut man sich über jeden dass sich Google über die NSA beschwert, die auf seine Skandal und hofft, dass er das Bewusstsein weiter schärft. Daten zugreift. Wahrscheinlich ärgert man sich einfach daDie globale Finanzkrise ab 2007 war solch ein Warnschuss. rüber, dass man dafür kein Geld erhält. Doch vielleicht bedarf es noch eines Super-GAU, damit Haben Sie den Eindruck, dass sich die Mehrzahl der Unnicht nur unsere Art zu wirtschaften reformiert wird, sonternehmen heute ethischer verhält als … sagen wir mal dern eine große Transformation, eine Revolution des Kapivor 50 Jahren? Das lässt sich schwer pauschal beantwortalismus einsetzt. ten, auch weil eine vernünftige Datenbasis fehlt. Allerdings Wenn man die Bankenskandale, von der Subprimehat die Orientierung zu einem Managerkapitalismus und zu krise über die Libor- bis zur Währungsmanipulation, den Kapitalmärkten ab etwa den siebziger Jahren zu massiverfolgt — gibt es Branchen, die besonders anfällig für vem systematischem Fehlverhalten geführt. Wenn nur die unethisches Verhalten sind? Ließe sich dem nicht beAnsprüche der Shareholder begegnen, indem man die Profriedigt werden sollen, bleiben fitchancen dort massiv reduandere Dinge auf der Strecke. „Vielleicht bedarf es noch eines Super-GAU, ziert? Die Finanzbranche gehört Dieses Problem des Kapitalisin der Tat nicht gerade zu den damit ... eine große Transformation, eine mus, der nicht nur Marktwirtethischen Vorreitern der WirtRevolution des Kapitalismus einsetzt“ schaft ist, ist bis heute ungeschaft, was viele Gründe hat, etlöst. Es wird jedoch zunehwa dass es um abstrakte Gemend erkannt, dass auch andere Stakeholder legitime Anschäftsfelder, Produkte und Dienstleistungen geht. Gerasprüche haben, die von den Unternehmen berücksichtigt de hier sind durch exorbitante Boni falsche Anreize gesetzt werden müssen. worden, die zu hochriskanten Geschäften führten. Es wurWarum braucht man Wirtschaftsethik? Gelten in der den Bilanzen und Indizes manipuliert oder man beteiligte Wirtschaft andere ethische Regeln als sonst? Bei Wirtsich an Lebensmittelspekulationen. Banken und Versicheschaftsethik geht es um Fairness und Gerechtigkeit im Hier rungen haben deshalb eine besondere Verantwortung, der und Jetzt und in der Zukunft. Es geht um eine „gute Gesellbislang nur ungenügend nachgekommen wird. schaft“. Die ethischen Anforderungen sehen hier nicht anIn der Schweiz scheiterte kürzlich ein Referendum, das ders aus als sonst, auch hier besteht ein normatives Priden Verdienst der Manager auf das 12-Fache des Vermat gegenüber der Ökonomie. Man muss jedoch nicht nur dienstes der am geringsten Bezahlten im Unternehmen über Normen nachdenken, sondern auch fragen, wie diereduzieren wollte. Ist das der richtige Weg? Und wer se in der Wirtschaft angewendet und implementiert werlegt die Grenzen fest? Aus meiner Sicht ist diese Frage — den können. das habe ich auch vor der Abstimmung so gesagt — wisGilt das nicht auch für die Politik oder den Sport, um nur senschaftlich nicht entscheidbar, denn wir hatten nie in der zwei Beispiele zu nennen? Sollte es also nicht auch PoGeschichte ähnliche Regelungen, die uns helfen könnten, litik- und Sportethik als Lehrfächer geben? Verantwordie Wirkungen eines solchen Gesetzes abzuschätzen. Enttung erstreckt sich nicht nur auf Unternehmen, sondern auf sprechend verhält es sich mit der Relation 1:12. Die Idee der alle Akteure, allen voran in der Politik. Darüber hinaus geht Initiatoren war es, dass der Manager in einem Monat nicht es auch um die Akteure in den Medien, in Wissenschaft und mehr verdienen soll als der am geringsten vergütete BeWISU 12/13 1501 WISU-MAGAZIN schäftigte in einem Jahr. Das sind mehr oder weniger plauIch finde es gut, wenn sich Autoritäten wie Papst Franziskus sible Überlegungen. Wissenschaftlich oder gar moralphizu Wort melden und unsere Wirtschaftsweise mit harschen losophisch begründen lässt sich das nicht. Damit sind es Worten kritisieren. Das stößt auch die gesellschaftliche Dispolitische Fragen, zu denen man die Gesellschaft befrakussion an, die dringend notwendig ist. gen muss, was ja auch geschah. Die IT-Technologie und das Internet haben nicht nur Einige Manager sind der Meinung, sie müssten für die Gutes, sondern — wie die Abhörskandale der letzten Shareholder den maximalen Profit herausholen. Mehr Zeit zeigen — auch viel Schlechtes gebracht. Gehen wir als dass sie sich dabei im Rahmen des rechtlich Erlaubeiner Zukunft entgegen, in der die totale Überwachung ten bewegen, könne man nicht von ihnen verlangen. des Menschen zur Norm wird? Und wie viel Schuld hätUm Moral und Ethik könnten sich Kirche und Philosote die Wirtschaft, die immerzu technische Neuerungen phen kümmern, im knallharten Geschäftsleben würde forciert, die sich dann manchmal als Teufelswerkzeug man damit nur den Kürzeren ziehen und vielleicht sogar entpuppen? Sie sprechen damit ein interessantes und untergehen. Ich denke, das sagt heute kaum noch jemand, recht neues Thema für die Wirtschaftsethik an, mit dem wir und wenn, wäre es ziemlich töricht. Die meisten Manager uns auch an unserem Institut beschäftigen. Neue Kommuverstehen heute, dass die Anforderungen der Gesellschaft nikationsformen wie das Internet wirken sich nicht nur auf an ihr Unternehmen darüber hinausgehen, einfach nur die die Datensicherheit und die Privatsphäre aus. Dadurch entGesetze einzuhalten. Allerdings: stehen auch neue virtuelle so„Walking the talk“, das heißt, ziale Wirklichkeiten, die den„Corporate Social Responsibility ist das Gesagte dann wirklich umnoch sehr real sind und zudem zusetzen, steht oft auf einem keine Reparaturwerkstatt und kein externes ethische Fragen aufwerfen, die anderen Blatt. Korrektiv, sondern integrativer Bestandteil heute noch nicht zu übersehen Die Herausforderungen, desind. Etwa soziale Netzwerke, der Marktwirtschaft“ nen sich Manager heute geriesige Spieler-Communities, genübersehen, sind enorm — virtuelle Währungen wie Bitcoin das reicht vom Klimaschutz und gesundheitsverträgund Mensch-Maschine-Beziehungen. lichen Produkten über die richtige Mitarbeiterführung Sie haben viele Jahre in Nordamerika gearbeitet. Spielt bis zum Überleben im globalen Konkurrenzkampf. BrauWirtschaftsethik dort — zumindest an den Unis — eine chen wir einen neuen Managertyp — oder ist da einfach größere Rolle als in Deutschland und in der Schweiz? jeder überfordert? Die Thematik ist sicher komplex, man An nordamerikanischen Unis wird deutlich entspannter mit kann den Umgang mit Unternehmensverantwortung jeWirtschaftsethik umgegangen als in deutschsprachigen doch lernen. Sowohl wie man die relevanten Themen erLändern. Sie ist dort ein Fach wie jedes andere. Hier gibt es kennt als auch, wie sich Corporate Social Responsibility hingegen oft große Vorurteile. In Deutschland spiegelt sich konkret umsetzen lässt. dies in einer beschämend geringen Zahl von wirtschaftsIst Corporate Social Responsibility so etwas wie ein Geethischen Lehrstühlen wider. Da schreibt man eher die gengift gegen einen überbordenden Kapitalismus? Geneunte Stelle im Bereich Finance aus, als einen Wirtschaftsgengift klingt zu negativ. CSR ist keine Reparaturwerkstatt ethiklehrstuhl einzurichten. und kein externes Korrektiv, sondern integrativer BestandSind die heutigen Studenten eher an ethischen Fragen teil der Marktwirtschaft. Es geht um eine „zivilisierte Marktinteressiert als frühere Studentengenerationen? Sollte wirtschaft“, wie es mein Vorgänger am Institut für WirtWirtschaftsethik gar Pflichtfach werden? Unsere Lehrschaftsethik Peter Ulrich einmal formulierte, indem die Spieveranstaltungen in St.Gallen sind immer sehr gut besucht. ler andere Spielzüge machen. Ich bin dafür, Wirtschaftsethik als Pflichtfach einzurichten, Viele denken bei CSR auch an Ablasshandel. Nach dem was auch in St.Gallen noch nicht der Fall ist. Zum einen geht Motto: Im harten Wettbewerb geht es nicht immer ganz es dabei um wichtige gesellschaftliche Themen. Zum andekoscher zu, dafür finanzieren wir dann eben eine neue ren kann man heute kein Unternehmen mehr ohne WerteGrünanlage oder geben etwas fürs Waisenhaus. CSR ist management und ein ausgeprägtes Bewusstsein für seine keine Spendenethik. Es geht nicht um die Frage, wie Gegesellschaftliche Verantwortung leiten. winne verwendet, sondern wie sie erwirtschaftet werden. An der Harvard Business School wurde der „MBA Oath“ Sind Kapitalismus und Ethik nicht zwei Gegenpole? Aleingeführt. Was halten Sie davon? Wir haben das auch lein schon deshalb, weil der Kapitalismus die Gier andiskutiert, halten jedoch nicht allzu viel davon. Ein Managerstachelt — etwa nach dem Motto „Greed is good“ eid verkürzt die Unternehmensverantwortung auf menschlioder „More is better“? Das ist che Tugenden, die jedoch nur durchaus ein spannungsreiches ein Aspekt der CSR sind. Zu„Wenn wir auch den heutigen Studenten Verhältnis. Es ist unbestritten, dem sollte das Bekenntnis nicht dass sich die Wirtschaft im Lau- erzählen, bei Unternehmen gehe es nur um nur bei der Zeugnisübergabe erfe der Zeit von der Gesellschaft Gewinnmaximierung, muss man sich nicht folgen, sondern ständig erneuentkoppelt hat. Man muss darert werden und mit einer entwundern, wenn sie später so handeln“ über nachdenken, wie sie wiesprechenden „moralischen Perder in sie eingebettet werden formance“ einhergehen sowie kann, sodass auch nicht-ökonomische Werte wieder eine mit regelmäßigen Weiterbildungen verbunden sein. Rolle spielen. Hier muss auch die Wirtschaftswissenschaft Bisher war immer nur von der ethischen Verpflichtung mehr leisten. Die ökonomische Theorie hat die Ethik aus der der Wirtschaft die Rede. Haben die Konsumenten nicht Wirtschaft ausgeblendet. Wenn wir auch den heutigen Stuauch eine Verpflichtung? Mit anderen Worten: Wenn denten erzählen, bei Unternehmen gehe es nur um Gewinnsie keine T-Shirts für drei Euro kaufen würden, müsste maximierung, muss man sich nicht wundern, wenn sie die Wirtschaft sie auch nicht so billig auf Kosten ausgespäter so handeln. beuteter Arbeitnehmer in Asien herstellen lassen. Damit Müssen auch reife Volkswirtschaften immer mehr wachsprechen Sie die Konsumethik an, ein weiteres wichtiges sen? Führt nicht gerade der Wachstumswahn zu unThema der Wirtschaftsethik. Sie haben Recht, es könnte alethischem Verhalten? Die Wachstumsidee ist Teil der les so einfach sein … Wie wir wissen, ist es das aber nicht. neoklassischen Ideologie. Interessant sind Gegenentwürfe Darüber könnten wir jetzt noch eine weitere Stunde spreder Glücksforschung, da sich der „Wohlstand der Nation“ chen. Lassen Sie uns das auf später verschieben. Stattdeshier nicht quantitativ, sondern qualitativ bestimmt. sen sollten wir uns gemeinsam mit den WISU-Lesern vorPapst Franziskus wandte sich jetzt gegen den ungezünehmen, einfach mal öfters über unsere Konsumgewohngelten Kapitalismus. Das müsste doch eine Kritik sein, heiten nachzudenken. Kurz vor dem weihnachtlichen Kondie man als Wirtschaftsethiker unterschreiben kann. sumrausch ist das sicher keine schlechte Idee. WISU 12/13 1502