Kap. 2 - Fakultät für Mathematik, TU Dortmund

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2
I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
Vollständige Induktion
Aufgaben: 1. Berechnen Sie 1 + 3 , 1 + 3 + 5 und 1 + 3 + 5 + 7 , leiten Sie eine allgemeine
Formel für 1 + 3 + · · · + (2n − 3) + (2n − 1) her und versuchen Sie, diese zu beweisen.
2. Ein zu 5% Zinsen pro Jahr angelegtes Kapital vermehrt sich in 12 Jahren um den Faktor
a = 1, 0512 . Versuchen Sie, eine möglichst gute Näherung für a im Kopf zu berechnen.
3. Ein Darlehen wird in monatlichen Raten zu 0, 5% Zinsen zurückgezahlt. Wann ist das
Darlehen getilgt, wenn die Tilgung 0, 1% bzw. 0, 2% pro Monat beträgt ?
4. Für welche Zahlen x ∈ R ist die Menge M = {1+x+x2 +· · ·+xn | n ∈ N} beschränkt ?
2.1 Die arithmetische Summenformel. Für n ∈ N beachtet man
1+
2
+ · · · + (n − 1) + n
+ n + (n − 1) + · · · +
2
+1
= n · (n + 1)
und erhält damit die arithmetische Summenformel
n
P
k =
k=1
1
2
n (n + 1)
für n ∈ N .
(1)
Bemerkung: Sicher war es für Sie nicht schwierig, die angegebene Herleitung von (1) nachzuvollziehen; wesentlich schwieriger wäre es gewesen, den verwendeten Trick“ selbst fin”
den zu müssen. Dieser Kommentar trifft sicher auch auf die Herleitung der geometrischen
Summenformel in (5) unten zu. In dieser Vorlesung werden noch weitere Tricks“ dieser
”
Art vorkommen. Ich empfehle Ihnen dringend, sich diese einzuprägen, um sie bei eigenen
Überlegungen verwenden zu können.
2.2 Das Summenzeichen. a) Summen wie in (1) werden im folgenden mit Hilfe
des Summenzeichens kürzer geschrieben:
1 + 2 + · · · + (n − 1) + n =
n
P
k.
k=1
Die Formel rechts besagt, daß die Zahlen k von k = 1 bis k = n summiert werden.
b) Allgemein definiert man für n, m ∈ Z mit m ≤ n und am , am+1 , . . . , an ∈ R
n
P
ak := am + am+1 + · · · + an ;
k=m
die Zahlen ak werden also von k = m bis k = n summiert.
c) Auf die Bezeichnung des Index (hier k ) kommt es nicht an; man hat etwa
n
P
ak =
k=m
n
P
i=m
ai .
Beispielsweise gilt auch
7
P
k=3
ak = a3 + a4 + a5 + a6 + a7 =
6
P
j=2
aj+1 =
8
P
aℓ−1 ;
ℓ=4
hier wurden die Index-Transformationen k = j + 1 bzw. k = ℓ − 1 durchgeführt. Dabei mußten die Summationsgrenzen entsprechend mittransfor-
2 Vollständige Induktion
9
miert werden; würde man dies unterlassen, erhielte man für k = j + 1 etwa
7
P
j=3
aj+1 = a4 + a5 + a6 + a7 + a8 , und dies ist 6=
7
P
k=3
ak für a8 6= a3 .
d) Analoge Erläuterungen gelten für das Produktzeichen
n
Q
ak := am · am+1 · · · an .
k=m
e) Leere Summen, z. B.
definiert.
0
P
ak , werden als 0 , leere Produkte, z. B.
k=1
n
Q
ak , als 1
k=n+1
2.3 Die arithmetische Summenformel (Variation). a) Die bekannte binomische Formel (x + y)2 = x2 + 2xy + y 2 für x, y ∈ R folgt sofort aus Axiom D. Als
Spezialfall ergibt sich
(k + 1)2 − k 2 = 2k + 1 für k ∈ N .
(2)
Diese Formel kann so veranschaulicht werden: Die Differenz zwischen einem Quadrat
der Seitenlänge k + 1 und einem Quadrat der Seitenlänge k läßt sich zusammensetzen aus zwei Rechtecken mit den Seitenlängen 1 und k sowie einem Quadrat der
Seitenlänge 1 .
b) Addiert man die Differenzen in (2) über k = 1, . . . , n , so erhält man geometrisch
die Differenz zwischen einem Quadrat der Seitenlänge n + 1 und einem solchen der
Seitenlänge 1 ; rechnerisch erhält man entsprechend
((n + 1)2 − n2 ) + (n2 − (n − 1)2 ) + · · · + (32 − 22 ) + (22 − 12 ) = (n + 1)2 − 1 ,
da alle Summanden bis auf den ersten und den letzten sich gegenseitig aufheben.
Eine solche Summe nennt man eine Teleskopsumme.“
”
c) Die Summation der Gleichungen (2) liefert also
(n + 1)2 − 1 =
n
P
(2k + 1) = 2
k=1
2
n
P
n
P
k + n und somit
k=1
k = (n + 1)2 − 1 − n = n2 + n = n(n + 1)
k=1
in Übereinstimmung mit (1).
2.4 Die quadratische Summenformel. a) Aus der binomischen Formel
(x + y)3 = (x2 + 2xy + y 2 ) (x + y) = x3 + 3x2 y + 3xy 2 + y 3
für dritte Potenzen ergibt sich insbesondere die Formel
(k + 1)3 − k 3 = 3k 2 + 3k + 1 für k ∈ N .
(3)
Diese kann man sich an Würfeln veranschaulichen, analog zur Veranschaulichung
von (2) an Quadraten.
10
I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
b) Wie in 2.3 b) addieren wir nun die Gleichungen (3) über k = 1, . . . , n und erhalten
links wieder eine Teleskopsumme. Mit (1) ergibt sich
(n + 1)3 − 1 = 3
n
P
k2 + 3
k=1
3
n
P
k=1
n
P
k + n , also
k=1
k 2 = (n + 1)3 − 1 − 23 n(n + 1) − n
=
1
n(n
2
+ 1)(2n + 1) .
c) Somit erhält man die quadratische Summenformel
n
P
k2 =
k=1
1
n(n
6
+ 1)(2n + 1)
für n ∈ N .
(4)
In Abschnitt 21 wird sie zur Berechnung des Flächeninhalts von Parabelstücken verwendet.
d) Entsprechend kann man auch die Summen höherer Potenzen nacheinander berechnen. Eine geschlossene Formel“ unter Verwendung von Bernoulli-Zahlen findet
”
man in [K1], Abschnitt 41*.
2.5 Die geometrische Summenformel. a) Für q ∈ R und k ∈ N sei q k = q · · · q
(k Faktoren q ) die k -te Potenz von q ; weiter setzt man q 0 := 1 und q −k := ( 1q )k
(für q 6= 0 ). Um die Summe
n
P
qk = 1 + q + q2 + q3 + · · · + qn
k=0
zu berechnen, schreibt man
(1 − q) (1 + q + q 2 + · · · + q n ) = 1 + q + q 2 + · · · + q n
−q − q 2 − · · · − q n − q n+1
und erhält sofort
n
P
(1 − q)
q k = 1 − q n+1
für n ∈ N .
(5)
k=0
b) Eine Konsequenz aus (5) ist die wichtige Abschätzung
∀0≤q<1 ∀n∈N :
n
P
qk ≤
k=0
1
1−q
.
(6)
c) Aus (5) ergibt sich für alle x, y ∈ R die Formel
(x − y)
n
P
xn−k y k = xn+1 − y n+1
für n ∈ N .
(7)
k=0
2.6 Induktionsprinzip. Für jede natürliche Zahl n ∈ N sei eine Aussage A(n)
gegeben. Es gelte:
(a)
(b)
A(1) ist richtig,
∀n ∈ N : A(n) ⇒ A(n + 1) .
Dann ist A(n) für alle n ∈ N richtig.
2 Vollständige Induktion
11
Entsprechend lassen sich auch Aussagen beweisen, die für alle ganzen Zahlen n ∈ Z
mit n ≥ n0 ∈ Z gelten: Man muß nur“ die Gültigkeit von A(n0 ) sowie die Impli”
kationen A(n) ⇒ A(n + 1) für n ≥ n0 zeigen.
2.7 Beispiele. a), b) Induktionsbeweise der arithmetischen Summenformel (1)
und der geometrischen Summenformel (5) (vgl. [K1], 2.3).
c) Die Dreiecks-Ungleichung (1.8) gilt auch für endlich viele Summanden:
|
n
P
ak | ≤
k=1
n
P
|ak |
für n ∈ N .
(8)
k=1
d) Bei Induktionsbeweisen ist es wichtig, einen gültigen Induktionsanfang zu haben. Beispielsweise ist für die falsche Aussage A(n) : n = n + 5“ die Implikation
”
A(n) ⇒ A(n + 1) durchaus richtig.
Bemerkung: Im Gegensatz zur Herleitung von (1) oder (5) erfordert der Induktionsbeweis
von (1) oder (5) keinen Trick“, dafür aber bereits die Kenntnis des Ergebnisses. Dies gilt
”
entsprechend auch für andere Formeln und Abschätzungen in dieser Vorlesung.
2.8 Fakultäten natürlicher Zahlen werden durch
n
Q
n! :=
k = 1 · 2 · 3···n
(9)
k=1
eingeführt. Man setzt noch 0! = 1 . Die Fakultäten wachsen mit n sehr schnell an;
so gilt z. B. 2! = 2, 3! = 6, 4! = 24, 5! = 120, 6! = 720, 7! = 5040, 8! = 40320, . . . ,
12! = 479001600, 16! = 2, 09228 . . . · 1013 , 30! = 2, 65253 . . . · 1032 oder
100! = 9, 33262 . . . · 10157 .
Für die Produkte der ersten n natürlichen Zahlen gibt es keine einfache Formel
wie (1) im Fall der entsprechenden Summen. Die möglichst genaue Erfassung des
Wachstums von n! ist für die Analysis wichtig. Eine grobe Abschätzung gibt Satz
6.4; sehr genaue Näherungen liefern die Stirlingschen Formeln, vgl. [K1], Abschnitte
36 und 41*.
2.9 Satz. Es ist n! die Anzahl der möglichen Anordnungen (Permutationen) einer
Menge aus n Elementen.
Beweis s. [K1], 2.4.
2.10 Binomialkoeffizienten. a) Mit der Notation N0 := N ∪ {0} werden die
Binomialkoeffizienten für n ∈ N0 , k = 0, . . . , n definiert durch
n
k
!
:=
n!
n(n − 1) · · · (n − k + 1)
=
.
k!
k! (n − k)!
Für k ∈ Z mit k < 0 oder k > n setzt man noch
n
0
n
2
=
=
n
n
= 1 ,
n(n−1)
2
,
n
1
n
k
=
=
n
n−1
n
n−k
n
k
= 0 . Es gilt z. B.
= n,
, k = 0, . . . , n .
b) Beim Zahlenlotto 6 aus 49“ gibt es
”
49
49·48·47·46·45·44
= 49 · 47 · 46 · 3 · 44 = 13 983 816
=
1·2·3·4·5·6
6
Ziehungsmöglichkeiten. Allgemein hat man (vgl. [K1], 2.5):
(10)
12
I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
2.11 Satz. Für k = 1, . . . , n ist nk die Anzahl der möglichen Ergebnisse einer
Ziehung von k Zahlen aus der Menge der n Zahlen {1, 2, . . . , n} .
Die Binomialkoeffizienten können rekursiv berechnet werden, vgl. [K1], 2.6:
2.12 Pascalsches Dreieck. a) Für n ∈ N0 und k = 0, . . . , n + 1 gilt
!
n+1
k
=
!
n
k
n
k−1
+
!
(11)
.
b) Formel (11) kann durch das Pascalsche Dreieck veranschaulicht werden:
n=0
n=1
n=2
n=3
n=4
n=5
n=6
1
1
1
1
1
1
1
2
3
4
5
6
1
3
1
6
10
15
1
4
10
1
5
20
15
In Zeile n stehen die (n + 1) Binomialkoeffizienten
Summe der beiden darüber“ stehenden Zahlen.
”
n
k
1
6
1
; nach (11) ist jede Zahl die
2.13 Binomische Formeln. Bekanntlich (vgl. 2.3) gilt die Formel (x + y)2 =
x2 + 2xy + y 2 für x, y ∈ R , und analog folgt
(x + y)3 = (x2 + 2xy + y 2 ) (x + y) = x3 + 3x2 y + 3xy 2 + y 3,
(x + y)4 = x4 + 4x3 y + 6x2 y 2 + 4xy 3 + y 4,
(x + y)5 = x5 + 5x4 y + 10x3 y 2 + 10x2 y 3 + 5xy 4 + y 5.
Multipliziert man allgemein den Ausdruck (x + y)n aus, so erhält man eine Summe
von Termen xn−k y k , wobei der k-te Term so oft auftritt, wie die Zahl der möglichen
Ziehungen von
k Exemplaren von y aus der Menge {1, . . . , n} angibt, nach Satz
n
2.11 also k mal:
2.14 Satz (Binomischer Satz). Für n ∈ N , x, y ∈ R gilt:
(x + y)n =
n P
n
k=0
k
xn−k y k .
Einen Induktionsbeweis findet man in [K1], 2.7.
2.15 Näherungsrechnungen. a) Ist 0 ≤ y < x und q :=
(x + y)n = xn (1 + xy )n ≈ xn (1 + nq +
n(n−1)
2
y
x
klein, so hat man
q 2 ) ∼ xn (1 + nq) .
b) Ein zu 5% Zinsen pro Jahr angelegtes Kapital vermehrt sich in 12 Jahren um den
Faktor w = 1, 0512 = 1, 79586 . Die Näherungsrechnungen ergeben w ∼ 1+12·0, 05 =
1, 6 und w ≈ 1 + 12 · 0, 05 + 6 · 11 · 0, 052 = 1, 765 .
13
2 Vollständige Induktion
2.16 Bernoullische Ungleichung. a) Aus dem binomischen Satz folgt sofort
(1 + x)n ≥ 1 + nx + 12 n(n − 1)x2
für x ≥ 0 und n ∈ N,
(12)
insbesondere also auch (1 + x)n ≥ 1 + nx für x ≥ 0 . Diese Abschätzung gilt sogar
allgemeiner (vgl. [K1], 4.1):
(1 + x)n ≥ 1 + nx für x ≥ −2 und n ∈ N.
(13)
Ihre Gültigkeit auch für negative Zahlen x ≥ −2 ist für einige Beweise in der Analysis
wichtig.
b) Eine wichtige Folgerung aus der Bernoullischen Ungleichung ist die Abschätzung
∀ 0 ≤ q < 1 ∃ C > 0 ∀ n ∈ N : qn ≤ C ·
1
n
.
(14)
Aufgabe: Versuchen Sie, für große n ∈ N möglichst gute Näherungen für n! zu finden !
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