Die Lyme-Arthritis - Deutsches Ärzteblatt

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M E D I Z I N
DIE ÜBERSICHT
Thomas Kamradt1,2
Andreas Krause1
Susanne Priem1
Gerd-Rüdiger Burmester1
Die Lyme-Arthritis
Klinik, Diagnose und Therapie
ZUSAMMENFASSUNG
Stichwörter: Lyme-Borreliose, Borrelia burgdorferi,
Arthritis, Multi-Systemerkrankung, Antibiotika-Therapie
Die Lyme-Borreliose wird durch eine Infektion mit der von
Zecken übertragenen Spirochäte Borrelia burgdorferi verursacht. Es handelt sich um eine Multi-Systemerkrankung, die
vor allem an Haut, Nervensystem, Muskeln und Gelenken
Symptome verursacht. Die Lyme-Arthritis ist eine häufige Manifestation der Lyme-Borreliose. Durch adäquate antibiotische
Therapie werden etwa 90 Prozent der Patienten geheilt. Dia-
gnostische Probleme ergeben sich aus
der teilweise unspezifischen klinischen
Symptomatik und der oftmals schwierigen Interpretation serologischer Befunde. Dies hat zu einer erheblichen Verunsicherung bezüglich der Häufigkeit chronischer Verläufe der LymeBorreliose geführt. In der vorliegenden Übersicht werden die
gesicherten Erkenntnisse zur Diagnose, Klinik und Therapie
der Lyme-Arthritis dargestellt und Richtlinien für eine rationelle Diagnostik und Therapie gegeben.
Key words: Lyme disease, Borrelia burgdorferi,
arthritis, multisystemic disease, antibiotic therapy
Lyme disease is a multisystem disorder caused by the tick-borne
spirochetes Borrelia burgdorferi, B. garinii and B. afzelli. The
disease affects primarily the skin, nervous system, heart, and
joints and is the most common vector transmitted disease in the
Northern hemisphere. Most patients with Lyme disease are
cured by antibiotic therapy. However, the clinical
spectrum of Lyme arthritis ranges from self-limiting
disease to antibiotic-resistant chronic arthritis. Diagnosis can be
difficult due to the sometimes non-specific clinical symptoms
and the complicated interpretation of serological test-results.
Here we review the current knowledge and make recommendations for the diagnosis and treatment of Lyme arthritis.
E
in gehäuftes Vorkommen von
Arthritiden bei Kindern wurde
1975 im Bezirk Lyme, im USBundesstaat Connecticut, beschrieben und als Lyme-Arthritis bezeichnet
(51). Wenig später stellte sich heraus,
daß die Lyme-Arthritis nur eine Manifestation dieser komplexen Erkrankung darstellt, die auch dermatologische, neurologische, kardiologische
und ophthalmologische Symptome
verursachen kann (52). Borrelia burgdoferi, eine von Zecken übertragene
Spirochäte, wurde als Erreger identifiziert (5). Die vorliegende Übersicht
wird ausschließlich die Lyme-Arthritis
behandeln. Bezüglich anderer klinischer Manifestationen der Lyme-Borreliose wird auf andere Übersichten
verwiesen (16, 17, 36, 44).
Mikrobiologie,
Übertragung und
Epidemiologie
B. burgdorferi sensu lato, der Erreger der Lyme-Borreliose, wird heute
in verschiedene Spezies eingeteilt, von
denen B. burgdorferi sensu stricto, B.
garinii und B. afzelii eine Lyme-Borreliose beim Menschen verursachen
können (3, 4, 57). Es bestehen Anhaltspunkte dafür, daß verschiedene
Spezies bevorzugt verschiedene ManiA-214
festationen der Lyme-Borreliose hervorrufen (2, 8, 55). B. burgdorferi wird
von Schildzecken (in Europa Ixodes
ricinus) übertragen. Die meisten Patienten werden von Ende Mai bis Ende
Juli von Ixodes-Nymphen infiziert.
Seltener erfolgen Infektionen im
Herbst oder sogar an warmen Wintertagen, wenn adulte Zecken ihre Blutmahlzeiten nehmen. In Europa und
Nordamerika ist die Lyme-Borreliose
die häufigste durch Arthopoden übertragene
Infektionskrankheit.
In
Deutschland wird die Inzidenz des
Erythema migrans auf 2 bis 32 pro
100 000 und die Prävalenz aller Stadien auf etwa 50 bis 100 pro 100 000 Einwohner geschätzt (19), neuere Studien
gehen sogar von einer Inzidenz von
über 100/100 000 aus (24a).
Klinik
Zur Beschreibung des klinischen
Verlaufes wird häufig eine Klassifikation der Lyme-Borreliose in drei Stadien verwandt (Textkasten: Klinische
1
Universitätsklinikum Charité, Medizinische
Universitätsklinik und Poliklinik III, Rheumatologie und Klinische Immunologie (Direktor: Prof.
Dr. med. Gerd-Rüdiger Burmester), Berlin
2 Deutsches Rheumaforschungszentrum (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. A. Radbruch), Berlin
(42) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 5, 30. Januar 1998
SUMMARY
Stadien) (46). Eine solche Einteilung
ist notwendigerweise künstlich: Bei
einzelnen Patienten können sich erhebliche Überschneidungen zwischen
den einzelnen Stadien ergeben.
Außerdem kann ein Patient eines
oder mehrere dieser Stadien symptomlos durchlaufen, so daß sich die
Erkrankung erst im fortgeschrittenen
Stadium erstmals klinisch manifestiert.
So erinnern sich nur etwa ein Drittel
aller Patienten mit Lyme-Arthritis an
einen Zeckenstich oder ein vorangegangenes Erythema migrans.
1 Die lokale Infektion (Stadium
I) zeigt sich in Form des Erythema migrans (EM), ein sich zentrifugal ausbreitendes, ringförmiges Erythem mit
zentraler Abblassung, das meist etwa
eine bis vier Wochen nach dem
Zeckenstich auftritt. Unter antibiotischer Therapie verschwindet das EM
innerhalb weniger Tage, aber auch
unbehandelt bildet es sich im Verlaufe
einiger Tage bis Wochen zurück. Ausgehend von dieser Hautläsion kommt
es zur meist hämatogenen Dissemination der Erreger mit konsekutivem
Befall verschiedener Organe.
1 Die rheumatologischen Frühsymptome (Stadium II) von seiten des
Bewegungsapparates sind in dieser
Phase typischerweise flüchtig und
äußern sich durch „wandernde“, zum
Teil heftige Arthralgien und Myalgi-
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DIE ÜBERSICHT
en, die jeweils wenige Stunden bis eiworfen (42). Ein positiver serologiDiagnose
nige Tage lang anhalten. Gelenkscher Befund allein kann die DiagnoZur Diagnose der Lyme-Arthri- se einer Lyme-Borreliose nicht sischwellungen werden in diesem Staditis gehören eine Expositionsanamne- chern.
um nur selten beobachtet.
1 Lyme-Arthritis (Stadium III): se sowie das oben beschriebene kliniSerologie
Etwa 60 Prozent der unbehandelten sche Bild und der Nachweis von IgGPatienten mit Erythema migrans er- Antikörpern gegen B. burgdorferi.
Etwa zwei bis vier Wochen nach
kranken im weiteren Verlauf an einer Auffällig ist, daß die humoralen EntArthritis, wie Beobachtungen des zündungsparameter wie Blutsen- dem EM können IgM-Antikörper
Spontanverlaufes der Lyme-Borrelio- kungsgeschwindigkeit und C-reakti- und nach etwa vier bis acht Wochen
auch IgG-Antikörper gegen
se vor Entdeckung des ErreB. burgdorferi nachgewiegers zeigten (53). Die ArthriKlinische Stadien
sen werden. Die IgM-Anttis trat bei diesen Patienten im
der Lyme-Borreliose
wort wird normalerweise
Mittel sechs Monate nach der
im Verlauf einiger Monate
Infektion auf (Extremwerte: Stadium I: frühe lokalisierte Infektion
schwächer; bei manchen Pativier Tage, zwei Jahre). TypiErythema migrans (EM)
enten bleibt sie jedoch bestescherweise handelte es sich
Konstitutionelle Symptome
hen oder erscheint, nach
bei der Lyme-Arthritis um ei(„Sommergrippe“)
vorübergehender
Rückbilne rezidivierende Mono- oder
dung, erneut. Bei Patienten
Oligoarthritis, hauptsächlich Stadium II: frühe disseminierte Infektion
Hautmanifestationen
mit chronischer Lyme-Borreder großen Gelenke im Bel sekundäre EM Läsionen (selten)
liose, insbesondere Patienten
reich der unteren Extremitäl Lymphadenosis cutis benigna
mit Lyme-Arthritis, finden
ten. Bei fast allen Patienten
(Lymphozytom)
sich normalerweise hochtitrig
wird im Verlaufe der ErkranIgG-Antikörper gegen zahlkung ein Kniegelenk befallen.
Neurologische Manifestationen
reiche B.-burgdorferi-AntiÄhnlich dem Stadium II könl Meningitis
gene (10). Ein negativer seronen aber auch nur heftige Arl Enzephalitis
logischer Befund bei einem
thralgien ohne erkennbare Syl Hirnnervenlähmung
Patienten mit einer Arthritis
novitiden bestehen. Ein sym(vor allem Nervus VII)
hat somit eine ganz anmetrischer Befall kleiner Gel Radikuloneuropathie
dere Aussagekraft als bei eilenke wie bei der rheumatoiKardiale Manifestationen
nem Patienten mit einem
den Arthritis ist selten. Durch
l Karditis mit AV-Block
Erythem. Nach erfolgreicher
adäquate antibiotische TheraRheumatologische Manifestationen
Therapie fallen die IgG-Titer
pie werden etwa 90 Prozent
l Myalgien
sehr langsam, über Monate
der Patienten geheilt. Bei etl Arthralgien
und Jahre, ab, um dann niedwa 10 Prozent der Patienten
l Arthritis
rigtitrig zu persistieren. Abdauert die Arthritis trotz Beweichungen von diesem typihandlung jedoch ein Jahr oder Stadium III: persistierende Infektion
schen Verlauf werden jedoch
länger. Dieses Krankheitsbild
Rheumatologische Manifestationen
beobachtet, so daß eine kritiwird als chronische Lyme-Arl Arthritis
sche Beurteilung aller erhothritis bezeichnet. Aber auch
l Myositis
benen Befunde bei jedem Padie chronische Lyme-Arthritis
Neurologische Spätmanifestationen
tienten notwendig ist. Zum
heilt meist im Laufe mehrel periphere Neuropathie
Antikörpernachweis werden
rer Jahre spontan aus. Bei eil subakute Enzephalopathie
heute im allgemeinen sensitinigen dieser Patienten könl progressive Enzephalomyelitis
ve ELISA als Suchtest eingenen jedoch Erosionen rasetzt und die positiven Befundiologisch nachweisbar werDermatologische Spätmanifestation
den, die in seltenen Fällen zu
l Acrodermatitis chronica atrophicans de mit dem Immunoblot
überprüft (Grafik) (9).
dauerhaften Gelenkschäden
1 ELISA: ELISA sind
führen (53).
1 Sonstige rheumatologische ves Protein oft nur gering oder über- die am häufigsten eingesetzten serologischen Tests zur Diagnose der LyManifestationen der Lyme-Borrelio- haupt nicht erhöht sind.
Keine der im folgenden disku- me-Borreliose. Leider gibt es bislang
se: B. burgdorferi kann gelegentlich
eine Daktylitis, Bursitis oder Myositis tierten Labormethoden hat sich bis- noch keine allgemeinverbindlichen
verursachen (32, 35, 41). Darüber hin- lang als Goldstandard etablieren Standards. Die Sensitivität und Speziaus gibt es Fallbeschreibungen über können; alle Labormethoden sind fität der ELISA schwanken erheblich,
Tenosynovitis (20), Fasziitis (25), mit erheblichen Unsicherheiten be- abhängig unter anderem von dem Stadermatomyositisartige Verläufe (22, haftet und daher starken Schwankun- dium der Erkrankung, dem eingesetz23), Osteomyelitis (26, 38) und Panni- gen in der Qualität ihrer Durch- ten Testverfahren, dem Labor, in dem
führung von Labor zu Labor unter- die Untersuchung durchgeführt wird
culitis (31).
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 5, 30. Januar 1998 (43)
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DIE ÜBERSICHT
und der seroepidemiologischen Situation. Testergebnisse verschiedener
Labors sind somit meist nicht vergleichbar. Im Stadium II der LymeBorreliose sollten sowohl die Spezifität als auch die Sensitivität der IgGELISA bei über 90 Prozent liegen.
1 Western Blot: Der Immunoblot wird meist zur Bestätigung positiver ELISA-Befunde durchgeführt.
Mit Immunoblots können Spezifitäten von 95 bis 100 Prozent erreicht
werden. Ebenso wie beim ELISA besteht jedoch das große Problem der
kombinanten Antigenen von B. burgdorferi, der in einigen Labors verwendet wird und dessen Stellenwert im
Vergleich zum Vollantigen-ELISA
noch ermittelt werden muß.
1 Seronegative Lyme-Arthritis:
Nur in sehr seltenen Fällen, meist
wenn Patienten unmittelbar nach der
Infektion mit B. burgdorferi antibiotisch oder immunsuppressiv behandelt werden, sind keine Antikörper
gegen B. burgdorferi nachweisbar
(33, 48). Die klinischen Beschwerden
dieser Patienten sind häufig untypisch
Grafik
Stufenschema zur Durchführung der Lyme-Borreliose-Serologie
Suchtest
ELISA (hohe Sensitivität)
logische Untersuchungen sollten nur
bei begründetem klinisch/anamnestischen Verdacht auf Lyme-Borreliose
und nicht im Rahmen eines Screening-Programms ungezielt durchgeführt werden. In der Praxis ergeben
sich häufig Probleme, wenn Patienten, die überzeugt davon sind, an
Lyme-Borreliose zu leiden, sich wieder und wieder in verschiedenen Labors testen lassen. Wenn genügend
viele Tests durchgeführt werden, ist es
wahrscheinlich, daß irgendwann ein
meist niedrigtitriger positiver Befund
erhoben wird. Besondere Vorsicht ist
daher bei der Beurteilung eines einzelnen positiven Testes in einer langen Reihe negativer Testresultate geboten. Eine Interpretation der serologischen Befunde ist nur in Zusammenhang mit dem klinischen Bild
möglich.
Polymerase-Kettenreaktion
negativ
positiv
Bei Frage nach dem
Frühstadium
einer Lyme-Borreliose
Bei Frage nach dem
Spätstadium
einer Lyme-Borreliose
Bestätigungstest
(Immunoblot)
eventuell Lues-Serologie
Kontrolle in 4 Wochen
bei anhaltendem
klinischen Verdacht
Keine
Lyme-Borreliose*
Diagnose in
Zusammenschau mit
klinischer Symptomatik
* bezüglich seltener Ausnahmen siehe Text
fehlenden Standardisierung. In einer
erst kürzlich publizierten Studie wurden Sera europäischer Patienten mit
Lyme-Borreliose unter Verwendung
von Immunoblots mit verschiedenen
Stämmen von B. burgdorferi untersucht und neue Interpretationskriterien für die europäische Situation vorgeschlagen (Tabelle 1) (21). Inwieweit
sich diese Kriterien in der Serodiagnostik der Lyme-Arthritis bewähren
werden, bleibt abzuwarten. Ähnliches
gilt auch für den Western Blot mit reA-216
und geringer ausgeprägt als bei Patienten mit klassischer Lyme-Arthritis.
Eine
seronegative
(chronische)
Lyme-Arthritis ist somit eine äußerst
selten zu stellende Ausschlußdiagnose, die letztlich nur in Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Zentrum gestellt werden sollte (10, 12).
1 Kritische Beurteilung serologischer Befunde: Ein Problem serologischer Untersuchungen ist, daß sie
nicht zwischen aktiver Infektion und
„Seronarbe“ unterscheiden. Sero-
(44) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 5, 30. Januar 1998
Der Nachweis von Antikörpern
gegen B. burgdorferi ist nicht mit dem
Nachweis einer aktiven Infektion
gleichzusetzen. Durch die Möglichkeit des direkten, sensitiven Nachweises von B. burgdorferi hat sich die
Polymerase-Kettenreaktion (PCR) in
den letzten Jahren als sensitives und
spezifisches diagnostisches Instrument erwiesen (39). Diese Methode
ist jedoch aufwendig und durch die
hohe Sensitivität äußerst anfällig für
falsch-positive Resultate. Die PCR
kann in Nukleinsäure-Präparationen
von Synovialflüssigkeit, Urin, Liquor
oder Gewebeproben durchgeführt
werden. Sofern die Proben sachgemäß gewonnen und transportiert
werden und die Analyse in einem erfahrenen Labor durchgeführt wird,
kann ein positives PCR-Ergebnis als
sehr gute Evidenz für das Vorliegen
einer Lyme-Borreliose angesehen
werden. Obwohl die Methode nur die
DNA und nicht vitale Erreger nachweist, wird ein positiver Befund derzeit bei entsprechender klinischer
Symptomatik als Behandlungsindikation gewertet. Einschränkend muß jedoch gesagt werden, daß auch ein positiver PCR-Befund allein eine LymeBorreliose nicht nachweist. Auch bei
seropositiven Gesunden kann die
Borrelien-PCR positiv als Hinweis
auf eine asymptomatische Infektion
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DIE ÜBERSICHT
ausfallen (29). Andererseits erreicht
die Sensitivität je nach Material etwa
60 bis 85 Prozent, so daß eine negative
PCR eine B. burgdorferi-Infektion
nicht ausschließen kann (37).
Andere diagnostische
Methoden
Weitere Verfahren wie direkter
kultureller Erregernachweis, Antigennachweis im Urin oder T-Lymphozytenproliferationsassay mit Zellen
aus Blut oder Synovialflüssigkeit sind
für die Routine-Diagnostik der LymeBorreliose derzeit nicht zu empfehlen.
Differentialdiagnose
Patienten mit unspezifischen
Myalgien oder Arthralgien werden
häufig einem Rheumatologen mit der
Frage nach dem Vorliegen einer
Lyme-Arthritis vorgestellt. Hier ist
das ganze Spektrum der möglichen
Differentialdiagnosen zu beachten.
Die Diagnose Lyme-Arthritis wird
oftmals bei Vorliegen unspezifischer
Symptome, die auch durch eine Borrelien-Infektion
verursacht
sein
könnten, fehlerhaft gestellt. Verschiedene Zentren haben festgestellt, daß
nur etwa ein Drittel der Patienten, die
ihnen mit der Diagnose Lyme-Borreliose zugewiesen worden waren,
tatsächlich an dieser Krankheit litten
(40, 43, 54). Besonders häufige Ursachen einer Fehldiagnose sind das
Fibromyalgie-Syndrom und das chronische Müdigkeitssyndrom (11, 24).
Therapie
Die gegenwärtigen Therapieempfehlungen für EM und für LymeArthritis sind in Tabelle 2 zusammengefaßt. Zur Therapie neurologischer,
dermatologischer oder kardiologischer Manifestationen der Lyme-Borreliose sei auf andere Übersichten
verwiesen (16, 36, 44).
Während das EM gut oral mit
Doxyzyklin oder Amoxicillin therapierbar ist, gibt es keine vergleichenden Studien oder einheitlichen Richtlinien zur Frage der oralen oder parenteralen antibiotischen Therapie der
Lyme-Arthritis. Die Mehrzahl der Pa-
tienten spricht auf eine vierwöchige
orale Therapie mit 200 mg Doxyzyklin/die an. Ob parenteral zu applizierende Cephalosporine der dritten
Generation den oralen Antibiotika primär überlegen sind, ist nicht
belegt. Es konnte aber gezeigt werden, daß Lyme-Arthritiden, die trotz
Doxyzyklin-Therapie persistieren, erfolgreich mit Cephalosporinen behandelt werden können, obwohl Studien belegen, daß der Anteil an Behandlungserfolgen mit zunehmender
Erkrankungsdauer abnimmt. Zudem
den oder mit weiteren Organmanifestationen und Patienten, die zuvor mit
Steroiden, Immunsuppressiva oder
erfolglos antibiotisch behandelt wurden, sollten mit Ceftriaxon oder Cefotaxim therapiert werden (6).
Der Therapieerfolg ist klinisch
häufig erst zwei bis drei Monate nach
Therapiebeginn beurteilbar. Wie
schon erwähnt, sinken die Antikörpertiter auch nach erfolgreicher Behandlung nur langsam ab, so daß sie
zur Verlaufskontrolle ungeeignet sind.
Falls drei Monate nach Beginn der an-
Tabelle 1
Definitionskriterien für positiven Western Blot (modifiziert nach Hauser et al. 1997)1
Spezies
IgM-Antikörper
IgG-Antikörper
B. burgdorferi
sensu stricto
(Stamm PKa2)1
> 1 der folgenden Banden:
> 1 der folgenden Banden:
p412, p393, OspC2,
18 kDa2, 17,3 kDa
p934, 58 kDa, 56 kDa,
OspC, 21 kDa5, 18 kDa,
17,3 kDa
> 1 der folgenden Banden:
> 1 der folgenden Banden:
p413, p39, OspC
p934, p39, OspC, 21 kDa5,
17 kDa
> 1 der folgenden Banden:
> 2 der folgenden Banden:
p413, p39, OspC, p17
p934, 58 kDa, 43 kDa, p39,
p30, OspC, 21 kDa5,
17 kDa, 14 kDa
B. garinii
(Stamm PBi)1
B. afzelii
(Stamm Pko)1
1 Die hier dargestellten Kriterien sind unter Verwendung der genannten Stämme erarbeitet
worden. Derzeit ist nicht sicher, daß diese Daten auch auf andere Stämme der jeweiligen Spezies übertragen werden können, da die Expression der genannten Proteine in verschiedenen
Stämmen unterschiedlich sein kann.
2 Proteine, deren kodierende Gensequenz bekannt ist, werden mit der allgemein üblichen
Bezeichnung (z. B. OspC) oder dem Präfix „p“ vor dem Molekulargewicht in Kilodalton
(kDa) (z. B. p41) bezeichnet. Für Proteine, die noch nicht charakterisiert sind, wird nur das
Molekulargewicht (z. B. 18 kDa) angegeben.
3 Für das p41 (Flagellin) werden häufig Kreuzreaktionen beobachtet. Daher zählt eine 41 kDa
Bande nur dann als positiv, wenn sie mindestens so stark ausgeprägt ist, wie die 41 kDa Bande
mit einem stark positiven Kontrollserum.
4 Auch als p83/100 bezeichnet.
5 Nicht zu verwechseln mit dem etwa in gleicher Höhe laufenden OspC!
gibt es Hinweise darauf, daß die oral
behandelten Patienten im Verlauf
häufiger eine chronische Neuroborreliose entwickeln (50). Unseres Erachtens ist daher ein oraler Therapieversuch nur bei Arthritis im Stadium II,
bei blandem Verlauf oder reinen Arthralgien und zudem fehlenden Hinweisen auf eine Neuroborreliose gerechtfertigt (Tabelle 2) (50). Patienten
mit sehr floriden, möglicherweise
schon länger bestehenden Arthriti-
tibiotischen Therapie weiterhin Beschwerden bestehen, sollte eine (zweite) parenterale Antibiotikabehandlung mit Chephalosporinen erfolgen.
Dabei kann wieder auf das gleiche
Präparat zurückgegriffen werden, da
der zunächst mangelnde Therapieerfolg nicht auf einer Resistenzentwicklung, sondern einer Persistenz der Erreger in antibiotisch schwer zugänglichen Regionen beruht. Nur selten ist
ein dritter Therapiezyklus erforder-
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 5, 30. Januar 1998 (45)
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DIE ÜBERSICHT
lich beziehungsweise erfolgsversprechend. Der Nachweis von B.-burgdorferi-DNA mittels PCR ist in solchen
Fällen bei der Indikationsstellung hilfreich. Zudem ist die Synovektomie zu
erwägen, die, begleitet von einer Anti-
samkeit verschiedener, teilweise langfristig durchgeführter antibiotischer
Therapien (15, 18, 56), aber keine
kontrollierten Studien über die Wirksamkeit wiederholter oder langfristiger Therapien mit Antibiotika bei
Tabelle 2
Therapieempfehlungen bei Erythema migrans und Lyme-Arthritis
Symptom
Therapieempfehlung
Medikament
Dosis
Dauer
Erythema
migrans
Tage1
Doxyzyklin
2 (oder 3) x 100 mg/
Tag p.o.
14 (-21)
oder
Amoxicillin
3 x 500 mg/Tag p.o.
14 (-21) Tage1
oder
Erythromycin2
3 x 250 mg/Tag p.o.
14 (-21) Tage1
Doxyzyklin
2 x 100 mg/Tag p.o.
30 Tage
oder
Ceftriaxon
1 x 2 g/Tag i.v.
14 Tage
oder
Cefotaxim
3 x 2 g/Tag i.v.
14 Tage
Arthritis3
1
2
3
Therapiedauer wird nach klinischem Erfolg bestimmt.
Reservemedikament bei Penicillinallergie und Kontraindikationen gegen Doxyzyklin.
Zur Differentialindikation siehe Text.
biose, zur Ausheilung der Erkrankung
führen kann. Bei einer Allergie gegen
Penicilline und Chephalosporine können auch Carbapeneme wie Imipenem oder Meropenem (Cave: selten
Kreuzallergie mit anderen b-LactamAntibiotika) erfolgreich eingesetzt
werden. Gyrasehemmer hingegen
sind nicht wirksam.
Parallel werden die Patienten
physiotherapeutisch und symptomatisch mit nichtsteroidalen Antirheumatika behandelt. Kortikosteroide,
auch lokal in betroffene Gelenke injiziert, sind zwar momentan wirksam,
verzögern jedoch nach unserer Erfahrung die Ausheilung und sind daher
bei der Lyme-Arthritis nicht indiziert.
Gesicherte Richtlinien für die Behandlung von Patienten mit LymeBorreliose, die auf die konventionelle
antibiotische Therapie nicht angesprochen haben, können zur Zeit
nicht gegeben werden. Es gibt einzelne Beschreibungen über die WirkA-218
Patienten mit persistierender LymeArthritis.
Es darf nicht vernachlässigt werden, daß die antibiotische Langzeittherapie, insbesondere mit Cephalosporinen, erhebliche Risiken birgt. So
wurden in einem amerikanischen
Krankenhaus innerhalb von drei Jah-
nöser Ceftriaxon-Therapie aufgrund
vermeintlicher chronischer LymeBorreliosen Cholezystitiden oder eine Cholezystolithiasis entwickelt hatten (13). Vor der prolongierten antibiotischen Behandlung von Patienten
mit positiver Borrelien-Serologie und
unspezifischen Symptomen, die auch
beispielsweise mit einer Fibromyalgie
vereinbar wären, ist daher dringend
zu warnen. Bei Unwirksamkeit der
antibiotischen Therapie ist zunächst
die initiale Diagnose „Lyme-Arthritis“ kritisch zu überprüfen.
Therapieresistente
Lyme-Arthritis oder
„Post-Lyme-Syndrom“?
Bis zu 50 Prozent der Patienten
klagen nach abgeschlossener Therapie über unspezifische Symptome wie
Kopfschmerzen, Müdigkeit, Myalgien und Arthralgien. Diese Beschwerden sprechen auf weitere antibiotische Therapie nicht an, sind jedoch in
der Regel selbstlimitierend (1, 49). Infektionsbedingte Gewebszerstörung,
die auch nach antibiotischer Therapie
der verursachenden Borrelien nicht
zurückgeht, ist auch bei Lyme-Arthritis beschrieben worden (47). Arthralgien bei Zustand nach Lyme-Arthritis
sind keine aktive Lyme-Arthritis. Bei
einer Minderheit der Patienten persistiert eine objektivierbare Arthritis
(nicht bloß Arthralgien) auch nach
zwei- oder dreifacher Behandlung mit
Antibotika. Es stellt sich die Frage,
ob diese therapieresistenten Verläufe
durch Persistenz des Erregers, Autoimmunphänomene oder beides bedingt sind. Neuere Befunde deuten
Mögliche Gründe für persistierende Beschwerden
bei Lyme-Arthritis
!
!
!
!
!
Langsame Rückbildung der Beschwerden über viele Monate
Insuffiziente Primärtherapie
Andere Ursache der Beschwerden (beispielsweise Fibromyalgie)
Immunpathologie
Infektionsbedingte permanente Gewebeschädigung, die auf
Antibiotika nicht reagiert
ren 14 Cholezystektomien, 12 davon
an Kindern und Jugendlichen unter
18 Jahren, durchgeführt, weil die Patienten nach monatelanger intrave-
(46) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 5, 30. Januar 1998
darauf hin, daß die antibiotikaresistente Lyme-Arthritis bei einigen Patienten durch immunpathologische
Vorgänge hervorgerufen sein könn-
M E D I Z I N
DIE ÜBERSICHT/FÜR SIE REFERIERT
ten (7, 27, 34). Der Textkasten: Beschwerden bei Lyme-Arthritis faßt
die möglichen Gründe persistierender Beschwerden nach antibiotischer
Therapie bei Lyme-Arthritis zusammen.
Prophylaxe
Die wirksamste Prophylaxe ist
die Expositionsprophylaxe. Ein Impfstoff gegen die Lyme-Borreliose ist
für Europa derzeit noch nicht in Sicht.
Tierexperimentelle Untersuchungen
haben zwar gezeigt, daß Antikörper
gegen OspA, ein Oberflächenprotein
von B. burgdorferi, vor experimentellen Infektionen mit B. burgdorferi
schützen (14, 45), und derzeit wird rekombinantes OspA in zwei großen
Phase-II-Studien in den USA als
Impfstoff gegen die Lyme-Borreliose
getestet (30). Mit der baldigen Erprobung eines solchen Impfstoffes in Europa ist jedoch nicht zu rechnen, aufgrund der erheblichen antigenen Variationen zwischen den drei in Europa
vorkommenden B. burgdorferi sensu
lato Spezies. Das als Impfstoff erprobte Antigen stammt von B. burgdorferi sensu stricto, der einzigen bislang in Nordamerika nachgewiesenen
Spezies von B. burgdorferi sensu lato.
Es ist daher sehr fraglich, ob ein rekombinantes Antigen, das von einer
Spezies stammt, gegen die anderen
Spezies Schutz gewähren kann. Darüber hinaus gibt es Hinweise, daß die
T-Zell-Erkennung von OspA möglicherweise zur Immunpathologie der
chronischen Lyme-Arthritis beiträgt
(7, 27, 28, 34).
Resümee
Die Lyme-Borreliose ist eine
komplexe Systemerkankung. Erreger
ist die durch Zecken übertragbare
Spirochäte B. burgdorferi sensu lato.
Etwa 60 Prozent der unbehandelten
Patienten entwickeln als Folge der
Infektion mit B. burgdorferi sensu lato eine Lyme-Arthritis. Die Diagnose
erfolgt primär anhand klinischer Kriterien, charakteristisch ist eine Monoarthritis oder eine asymmetrische
Oligoarthritis großer Gelenke bei
anamnestischen Hinweisen auf einen
Zeckenstich oder ein Erythema migrans.
Die serologischen Untersuchungen sollten nur in erfahrenen
Labors durchgeführt werden, ihre
Interpretation darf nur im Zusammenhang mit dem klinischen Befund
erfolgen. Positive ELISA-Ergebnisse bedürfen immer der Bestätigung
im Western Blot. Zur Beurteilung
der Positivität sollten standardisierte Regeln angewandt werden. Eine
seronegative Lyme-Arthritis ist ein
extrem seltenes Krankheitsbild. Die
PCR-Diagnostik ist eine sinnvolle
Ergänzung, wenn sie in besonders
qualifizierten Labors durchgeführt
und von erfahrenen Untersuchern
beurteilt wird.
Die Therapie der Lyme-Arthritis
erfolgt stadien- und symptomabhängig mit oralen oder parenteralen Antibiotika. Eine klinische Beurteilung
des Therapieerfolges ist oft erst nach
zirka drei Monaten möglich, da sich
die Symptome nur langsam zurückbilden. Serologische Parameter sind
zur Beurteilung des Therapieerfolges
Refluxösophagitis und Gewichtsreduktion
70 Prozent der Refluxkranken
sind übergewichtig. Zu den Allgemeinmaßnahmen gehört deshalb neben der Hochlagerung des Oberkörpers die Empfehlung, einige Kilogramm abzuspecken.
Die schwedischen Autoren untersuchten die Hypothese, ob eine
Gewichtsreduktion die subjektiven
und objektiven Auswirkungen eines
gastroösophagealen Refluxes zu verbessern vermag. Dabei wurden zwei
Patientengruppen in sechsmonatigem
Abstand pH-metrisch untersucht. In
der einen Gruppe nahmen die Patienten 10,8 6 1,4 kg ab, in der zweiten
Gruppe primär adipöser Patienten
kam es zu einer Gewichtszunahme
von 0,6 6 0,7 kg während der Beobachtungszeit.
Überraschenderweise ließ sich
pH-metrisch und bezüglich der geklagten Symptome keine Änderung
des Beschwerdebildes nachweisen,
nicht geeignet. Etwa 90 Prozent der
Patienten mit Lyme-Arthritis werden
innerhalb von drei Monaten nach
Therapiebeginn geheilt. Bei Persistenz der Beschwerden ist zunächst
die Diagnose zu überdenken. Für die
Therapie der antibiotikaresistenten
Lyme-Arthritis gibt es derzeit keine
gesicherten Richtlinien. Nichtsteroidale Antirheumatika und chirurgische Synovektomie haben sich als
nützlich erwiesen.
Die Autoren danken dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Modellprogramm zur besseren Versorgung chronisch Kranker („LADET-Studie“, Gz. FB243346-8/47) und dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung
und Technologie (BMBF), Verbundprojekt
Lyme-Borreliose, Fkz. 01 KI 9503, für
die freundliche Unterstützung ihrer Arbeit.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-214–219
[Heft 5]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de)
erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med.
Gerd-Rüdiger Burmester
Medizinische Universitätsklinik
und Poliklinik III
Universitätsklinikum Charité
10098 Berlin
gleichgültig, ob das Gewicht konstant
geblieben war oder ob eine nachhaltige Gewichtsreduktion durch eingeschränkte Kalorienzufuhr zu erzielen
war. Alle Patienten waren weiterhin
auf eine Antirefluxmedikation angewiesen.
w
Kjellin A, Ramel, S, Rössner S, Thor K:
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Obesity Unit, Karolinska Hospital,
11691 Stockholm, Schweden.
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A-219
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