SUPRAVENTRIKULÄRE TACHYKARDIEN In der Regel gutartig Die Katheterablation bietet eine kurative Behandlungsoption mit geringen Risiken für den Patienten. Ihre Durchführung kann – in erfahrenen Zentren – großzügig empfohlen werden. en Grundstein für unser heutiges Verständnis supraventrikulärer Tachykardien (SVT) bilden die Arbeiten über die Erregungsleitung zwischen Vorhöfen und Ventrikeln von Kent, His und Tawara (1–3) sowie die ersten Erkenntnisse zum Mechanismus von Reentry-Tachykardien von Barker et al. (4). Klinisch äußern sich SVT typischerweise als paroxysmale Episoden von tachykarden, rhythmischen oder arrhythmischen Palpitationen mit häufig plötzlichem Beginn und Ende. Zu Synkopen oder einer ausgeprägten Schwindelsymptomatik führen SVT nur selten. Neben der Anamnese ist das Tachykardie-EKG für die Differenzialdiagnose entscheidend (5). Hier zeigt sich meist eine schmalkomplexige Tachykardie (QRS < 0,12 s) ohne klar abgrenzbare P-Wellen. Funktionell durch die hohe Kammerfrequenz oder durch vorbestehende Schenkelblockierungen können SVT auch aberrant übergeleitet werden und zu einem breitkomplexigen EKG-Bild führen. Bei laufender Tachykardie können vagale Manöver sowie die Gabe von Adenosin wichtige diagnostische Hinweise liefern (Abbildung 1b). Ist der AVKnoten Teil des Reentry Mechanismus, wird Adenosin die Arrhythmie durch den induzierten AV-Block terminieren. Läuft die Rhythmusstörung nach Adenosingabe unbeirrt weiter, besteht eine Arrhythmie, die sich atrial selbst unterhält (zum Beispiel eine ektope atriale Tachykardie, Vorhofflattern oder Vorhofflimmern). D Illustration: Paulus Kirchhof Primär atriale Tachykardien Mechanismen von supraventrikulären Tachykardien. Grün: AVRT mit posterior gelegener Bahn. Dunkelrot: langsamer Leitungsweg des AV-Knotens („slow pathway“). Hellrot: schneller Leitungsweg („fast pathway“). Lila: Ein im rechten Vorhof gelegenes ektopes Zentrum mit zentrifugaler Erregungsausbreitung. Die blauen Pfeile zeigen einen Reentry-Mechanismus um die Trikuspidalklappe bei typischen Vorhofflattern (Erregung gegen den Uhrzeigersinn). Die orangen Sterne stehen exemplarisch für Automatiezentren aus den Pulmonalvenen sowie Mikroreentry im linken Vorhof bei Vorhofflimmern. 16 Mit einem auf die Lebenszeit bezogenem Risiko von etwa 25 Prozent stellt Vorhofflimmern (VHF) die meist verbreitete anhaltende Rhythmusstörung dar (6). Wie alle supraventrikulären Rhythmusstörungen ist es eine prinzipiell gutartige Erkrankung und als einzelne Krankheitsentität nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlich nicht mit einer reduzierten Lebenserwartung assoziiert (bei Herzinsuffizienz allerdings Assoziation mit erhöhter Mortalität). Der kardioembolische Schlaganfall stellt bei VHF die gefürchtetste und bedrohlichste Komplikation dar. Risikoscores wie der CHA2DS2-Vasc-Score helfen zu entscheiden, welche Patienten ein erhöhtes Risiko für thrombembolische Ereignisse haben und dementsprechend eine schützende orale Antikoagulation benötigen. Eine typische Anamnese gibt es nicht, jedoch sollte ein unregelmäßiger Puls immer an VHF Perspektiven der Kardiologie 2/2015 | Deutsches Ärzteblatt denken lassen. Symptomatische Patienten beschreiben oft neben einem unregelmäßigen Herzschlag eine innere Unruhe und Angst, aber vor allem auch eine Leistungseinschränkung sowie belastungsinadäquate Dyspnoe. Leider kann aber auch ein Schlaganfall die Erstmanifestation darstellen. Im EKG ist Vorhofflimmern durch absolut unregelmäßige RRAbstände sowie das Fehlen von P-Wellen gekennzeichnet. Vorhofflimmern wird anhand seines klinischen Erscheinungsbildes in paroxysmal (Episoden terminieren spontan und dauern kürzer als sieben Tage), persistierend (Episoden dauern länger als sieben Tage oder terminieren durch eine elektrische oder medikamentöse Kardioversion), „long standing“ persistend (Episode dauert weniger als ein Jahr an) und permanentes Vorhofflimmern unterteilt (7). Therapeutische Ansätze sind die reine Frequenzregulation zur Symptomlinderung und um eine mögliche Kardiomyopathie auf dem Boden von tachykardem VHF zu verhindern oder eine Rhythmisierung. In der rhythmuserhaltenden Therapie hat in den letzten Jahren die Pulmonalvenenisolation (PVI) – neben der Gabe von Antiarrhythmika – immer mehr an Stellenwert gewonnen, so dass aktuelle europäische Leitlinien diese bei einer zunehmenden Anzahl an Patienten als Ersttherapie empfehlen (8). Vorhofflattern (AFla) ist eine Kreiserregung durch den Vorhof ohne Beteiligung des AV-Knotens oder der Ventrikel. Bei „typischem“ Vorhofflattern sieht man sägezahnartige P-Wellen in den inferioren Ableitungen des EKG (Abbildung 1), die einen Reentry um die Trikuspidalklappe repräsentieren. Wesentlicher Bestandteil des Reentry ist fast immer der sogenannte rechtsatriale Isthmus zwischen Vena cava inferior und Trikuspidalklappe. Beim atypischen Vorhofflattern besteht zwar ebenfalls eine kreisende Erregung um ein Zone langsamer Leitung (zum Beispiel Narben von Voroperationen oder Ablationen im linken oder rechten Vorhof), aber diese AFla-Formen sind nicht isthmusabhängig. Sehr selten sind Patienten hämodynamisch durch AFla (oder VHF) kompromittiert, in solchen Fällen sollte zur Akuttherapie eine Kardioversion durchgeführt werden. Die Therapie der ersten Wahl bei typischen, aber auch atypischem Vorhofflattern ist jedoch in der Regel die Katheterablation, da eine sehr hohe Heilungschance bei geringer Komplikationsrate besteht. Bei etwa zehn Prozent der Patienten, die wegen VHF mit (Klasse-I-)Antiarrhythmika behandelt werden, konvertiert das VHF in typisches AFla. Im Sinne einer „Hybridtherapie“ wird häufig eine Ablation des cavotrikuspidalen Isthmus durchgeführt und die antiarrhythmische Therapie fortgesetzt (9, 10). Viele dieser Patienten bekommen im Verlauf mittelfristig aber neuerlich VHF. Ektope atriale Tachykardien (EAT) sind Tachykardien, die im Gegensatz zu Macro-Reentry durch eine fokal entstehende Depolarisation der Vorhöfe gekennzeichnet sind. Grundlage für EAT sind abnorme Automatie, getriggerte Aktivität sowie Mikro- 18 Reentry (11). Im EKG unterscheidet sich die P-Welle von der im Sinusrhythmus und kann helfen, den Fokus zu lokalisieren. Vagale Manöver sind hier meist ineffektiv, da hier kein Reentry unter Beteiligung des AV-Knotens vorliegt. In der Akuttherapie sollte die Frequenz gebremst werden und gegebenenfalls eine medikamentöse Kardioversion (zum Beispiel Flecainid) durchgeführt werden. Antiarrhythmika und vor allem die Katheterablation können mit ebenfalls großer Erfolgsrate Rezidive verhindern. AV-Knoten-Reentry-Tachykardien Die AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT) stellt die häufigste regelmäßige schmalkomplexige Tachykardie ohne klar abgrenzbare P-Wellen dar (12). Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer (13). Erste Episoden treten meist im jungen Erwachsenenalter auf, bis eine zweite Episode auftritt, vergehen nicht selten Jahre. Die Rhythmusstörung beruht auf der dualen AV-Knotenphysiologie. Dies bedeutet, dass der AV-Knoten sowohl eine langsame Leitungsbahn (slow pathway) mit einer kurzen Refraktärzeit sowie eine schnelle Leitungsbahn mit einer langen Refraktärzeit besitzt. Bei einer typischen AVNRT („slow-fast“ AVNRT) läuft die kreisende Erregung über den „slow pathway“ vom Vorhof zum Ventrikel und über den „fast path- Abbildung 1a–c: Extremitätenableitungen von 12-KanalEKGs desselben Patienten. A: Typisches Vorhofflattern mit einer 2:1-Überleitung. B: Demaskierung von typischen Flatterwellen nach Gabe von 12 mg Adenosin i.v. mit Übergang in Vorhofflimmern C, rechts im Bild. Perspektiven der Kardiologie 2/2015 | Deutsches Ärzteblatt way“ retrograd zum Vorhof, so werden Ventrikel und Vorhöfe beinahe simultan erregt. Dementsprechend sind bei einer typischen AVNRT die retrograd geleiteten P-Wellen dem QRS-Komplex direkt angelagert oder werden von diesem maskiert. In seltenen Fällen besteht eine atypische AVNRT mit anderen Leitungswegen innerhalb des AV-Knotens; bei dieser ist eine retrograde Vorhoferregung oft nach dem QRS-Komplex nahe oder in der T-Welle zu sehen (14). Valsalva-Manöver können im akuten Anfall die Tachykardie terminieren. Die AV-KnotenModulation mit dem sehr geringen Risiko eines permanenten AV-Blocks III° ist heutzutage die Therapie der Wahl. Atrioventrikuläre ReentryTachykardien (AVRT) Bei Atrioventrikulären Reentry-Tachykardien (AVRT) liegt ein Reentry über eine angeborene extranodale akzessorische atrioventrikuläre Leitungsbahn vor. Leitet diese Bahn im Sinusrhythmus auch antegrad, kann man im Ruhe-EKG eine Delta-Welle oder Präexzitation sehen. Leidet der Patient bei verkürzter PQ-Zeit und Delta-Welle an paroxysmalem Herzrasen, spricht man vom Wolff-Parkinson-White (WPW)-Syndrom. Bei etwa 20–30 Prozent der Patienten mit akzessorischen Leitungsbahnen leiten diese Bahnen jedoch nur retrograd, so dass sie im Ruhe-EKG verborgen bleiben. Aufgrund der Beteiligung des AV-Knotens an der Tachykardie können auch hier im akuten Anfall vagale Manöver oder eine medikamentöse Blockierung des AV-Knotens die Tachykardie beenden. Bei Patienten mit bekanntem Vorhofflimmern ist die Gabe von Verapamil, das die AV-Knoten-Leitung bremst, aber vermutlich auch durch eine sekundäre Sympathikusaktivierung die Leitungszeit der akzessorischen Bahn beschleunigen kann, wegen der Gefahr vom tachykard übergeleitetem Vorhofflimmern kontraindiziert. Bei laufender Tachykardie kann wie bei AVNRT Adenosin zur Terminierung eingesetzt werden. Durch Verkürzung der atrialen Refraktärzeit kann Adenosin zur Entstehung von VHF führen, was im Einzelfall bei einer kurzen Refrakrärzeit zum Auftreten einer schnellen Überleitung des VHF über die akzessorische Leitungsbahn auf die Kammer mit Gefahr von Kammerflimmern führen kann (Abbildung 2b). Dies ist zwar eine sehr seltene Konstellation, unterstreicht aber, wie wichtig es ist, eine antiarrhythmische Akuttherapie immer mit vorhandenem Defibrillator durchzuführen. Auch bei AVRT stellt die kurative Katheterablation die Therapie der Wahl dar. Abbildung 2a–b: Extremitätenableitungen von 12-KanalEKG. A: Präexzitation zu sehen an der positiven Delta-Welle in I und aVL, sowie dem verkürzten PQ-Interval. B: Beim gleichen Patienten Kammerflimmern (B) infolge von tachykard über die akzessorische Bahn geleitetem Vorhofflimmern (sog. „FBI-Tachykardie“; FBI = fast, broad, irregular). besteht, sollte diese großzügig empfohlen werden. Bei SVT mit hohem Thrombembolierisiko (VHF und Afla) sollte insbesondere auf eine effektive Antikoagulation nach individueller Risikoeinschätzung ge▄ achtet werden. DOI: 10.3238/PersKardio.2015.09.18.04 Patrick Leitz Dr. med. Dirk Dechering Abteilung für Rhythmologie, Department für Kardiologie und Angiologie, Universitätsklinikum Münster Prof. Dr. med. Paulus Kirchhof Department für Kardiologie und Angiologie Universitätsklinikum Münster und Institute of Cardiovascular Sciences, University of Birmingham, SWBH and UHB NHS trusts, Birmingham, UK Prof. Dr. med. Lars Eckardt Abteilung für Rhythmologie, Department für Kardiologie und Angiologie, Universitätsklinikum Münster Zusammenfassung Supraventrikuläre Tachykardien sind in der Regel gutartige Herzrhythmusstörungen, jedoch werden sie klinisch oft als störend und zum Teil auch als bedrohlich empfunden. Da heutzutage bei den meisten SVT mit einer Katheterablation in erfahrenen Zentren eine kurative Behandlungsoption mit geringen Risiken Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen. @ Perspektiven der Kardiologie 2/2015 | Deutsches Ärzteblatt Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit3815 19 SUPRAVENTRIKULÄRE TACHYKARDIEN In der Regel gutartig Die Katheterablation bietet eine kurative Behandlungsoption mit geringen Risiken für den Patienten. Ihre Durchführung kann – in erfahrenen Zentren – großzügig empfohlen werden. LITERATUR 1. His WJ: Die Tätigkeit des embryonalen Herzens und deren Bedeutung für die Lehre von der Herzbewegung beim Erwachsenen. 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