Was ist Palliativmedizin - Klinik und Poliklinik für Psychosomatische

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Priv.-Doz. Dr. med. Johanna Anneser
Klinik für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie
Palliativmedizinischer Dienst
Palliativmedizin und Psychosomatik
Das Delir – eine psychosomatische Erkrankung in der
Palliativmedizin ?
1
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Was ist ein Delir ?
Delirium (lat.) von: de lira
( lira = Furche, Spur, Rille, de = von, aus )
Aus der Spur geraten
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Delir
ICD-10 (F05)
A)
B)
C)
D)
E)
F)
Bewusstseinsstörung
Störung der Kognition
Psychomotorische Störung
Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus
Plötzlicher Beginn und Tagesschwankungen
Objektiver Nachweis (…) einer zugrundeliegenden
zerebralen oder systemischen Krankheit
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Delir: eine relevante Diagnose (auch)
in der Palliativmedizin?
• Bis zu 85% der onkologischen
Patienten entwickeln in der
Terminalphase ein delirantes
Syndrom
• Delir bei Aufnahme auf
Palliativstation: 28-48%
aber:
• 61% aller Delire bei
Palliativpatienten wurden nicht
erkannt oder falsch
diagnostiziert (De la Cruz et al. Support
Care Cancer 2015)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
keine Veränderungen
der Psychomotorik (?)
Mischformen
43 - 54%
DelirPsychomotorik
Hypoaktive
Form
29 - 43%
• Apathie, Bewegungsarmut
• Kaum Kontaktaufnahme
• Halluzinationen und Desorientiertheit
erst auf Befragen
• Geringe vegetative Symptome
Hyperaktive
Form
2 - 21%
• Psychomot. Unruhe bis Agitiertheit
• Irritierbarkeit
• Halluzinationen
• Angst
• Deutliche vegetative Symptome
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Behandlung des Delirs
Delir: „making the diagnosis, improving the prognosis (?)“
• Delir bei Aufnahme auf eine Palliativstation ist
mit einer schlechten Prognose verbunden
• Persistenz des Delirs ist mit einer schlechten
Prognose verbunden:
Überleben reversibles Delir: 39.7 +/- 69.8
Überleben irreversibles Delir: 16.8 +/- 10.0
(Leonard et al. Palliat Med 2008)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Behandlung des Delirs
Delir: „making the diagnosis, improving …. QoL“
Belastung für Patienten:
• 74% der Palliativpatienten erinnern Delir als
unangenehmes Erlebnis
(Hui et al. J. Pain Symptom Manag 2010)
• 92% der Patienten geben an, dass geistige Klarheit für sie
in der letzten Lebensphase sehr wichtig ist
(Steinhausser et al. JAMA 2000)
Belastung für Angehörige:
• Delir ist der häufigste Grund, warum bei Tumorpatienten
eine häusliche Pflege nicht fortgesetzt werden kann
(Cobb et al. Cancer Pract 2000)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Ursachen- Befragung von Hospizmitarbeitern (Pflege,
Ärzte, Sozialarbeiter, Seelsorger. N= 130)
(Head & Faul, Am J Hosp. Pall. Med 2005)
Somatische Ursachen
Atemnot (50)
Schmerz (35)
NW von Medikamenten (16)
Krankheitsprogress (10)
Metabolische Ursachen (10)
Psychosoziale Ursachen
Unerledigte Dinge (49)
Familiäre Angelegenheiten (24)
„emotionale“ Ursachen (7)
Spirituell/psychosozial
Angst vor dem Sterben (17)
Noch nicht bereit zu sterben (16)
Nicht im Frieden mit sich selbst (16)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Die häufigsten Ursachen für
Verwirrtheit/Delir in der Palliativmedizin
• Metabolisch: Infektion, Dehydratation, O2/CO2,
Stoffwechselstörung…
• Medikamente und deren Entzug
• Physisch: Schmerz, Müdigkeit, Trauma, Apoplex
• Terminal: Organversagen, ZNS-Ausweitung der
Grunderkrankung
• Psychosozial: Umgebungswechsel, Angst, Depression
• Spirituell: Todesängste
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Ursachen - Medikamente: Die „üblichen
Verdächtigen“ (?)
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Opioide
Benzodiazepine
Dihydropyridine (Ca2+-Kanalblocker)
Antihistaminika
Neuroleptika
Digoxin
Trizyklika
NSAR
Parkinson-Medikation
Steroide
(Clegg & Young: Age and Ageing 2011)
OR 2.5 X
OR 3.0 X
OR 2.4 X
OR 1.8 X
OR 0.9
OR 0.5
?
?
?
?
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Viele Ursachen führen zu einem (relativ)
einheitlichen Bild - gibt es eine gemeinsame
Endstrecke ?
Acetylcholin (Ach)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Pathogenese
Dopamin
• Benzodiazepine
• Alkoholentzug
Reduktion der Ach-Freisetzung
• dopaminerge Medikation
• Alter/Demenz
• Infektion
Prädisponierende Faktoren
(Alter, vorbestehende
Neurodegenerative
Erkrankung)
Entzündungsmediatoren
• Antidepressiva
• Hepatische Enzephalopathie
• Infektion
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Pathogenese
Dopamin
Reduktion der Ach-Freisetzung
• dopaminerge Medikation
• Alter/Demenz
• Infektion
Prädisponierende Faktoren
(Alter, vorbestehende
• Benzodiazepine
Neurotransmitter beim Delir:
Neurodegenerative
• Alkoholentzug
Erkrankung)
Verminderung von Acetylcholin,
Anstieg von Dopamin
Entzündungsmediatoren
• Antidepressiva
• Hepatische Enzephalopathie
• Infektion
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Diagnose des Delirs:
3D-CAM (Confusion Assessment Method)
• Der Untersucher verwendet ein strukturiertes Interview, um 4
Fragen (Fremdbeurteilung) beantworten zu können
• Zeitbedarf : ca. 3 min
• Sensitivität 95%, Spezifität >90%
Kriterien:
1.
2.
3.
or:
4.
ACUTE ONSET/FLUCTUATING COURSE
INATTENTION
DISORGANIZED THINKING
ALTERED LEVEL OF CONSCIOUSNESS
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Diagnose des Delirs:
SQiD („single question in delirium“)
• 21 Tumorpatienten in palliativer Situation
• Fremdbeurteilung durch Angehörige:
„Ist der Patient stärker verwirrt als früher?“
• Sensitivität 80%, Spezifität 71%
(Sands et al. 2010, Palliat. Med.)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Delir
Behandlung - allgemein
• Umgebung: ruhig, sicher
• Beibehaltung des Tag-Nacht- Rhythmus (evtl. „kognitive
Stimulation“ – v.a. bei Demenzpatienten)
• wenige, bekannte Gesichter (v.a. hyperaktiver Typ)
• Reduktion der „Schläuche und Strippen“ (Monitor, Sauerstoff,
DK, i.v.- Zugänge) auf das unbedingt notwendige Maß
• Erleichterung der Reorientierung (Brille, Hörgerät, Uhr,
Kalender …)
• Anpassung der Kommunikation
• Verständnis für veränderte Wahrnehmung
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
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Delir
Behandlung – Beseitigung von
Ursachen
Bei Palliativpatienten besonders denken an:
• Volle Blase, Obstipation, Schmerz
• Bei Opioiden: Rotation erwägen
• Kritische Überprüfung der Medikamente (besonders
auf mögliche anticholinerge Wirkung)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Behandlung des Delirs - Medikamente
Medikament
Haloperidol
(Haldol)
Dosis beim Palliativpatienten
Goldstandard
Risperidon
(Risperdal)
Quetiapin
(Seroquel)
Start mit 0.5-1 mg
0.5 mg 2x tgl.
kurze t1/2
Olanzapin
(Zyprexa)
Benzodiazepine
anxiolytisch, Sedierung
(i.d.R. nur als Co-Medikation
12.5 -5 mg 2x tgl.
2.5-5 mg tgl.
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Delir – Pharmakotherapie: atypische Neuroleptika
• Quetiapin (Seroquel), Risperidon (Risperdal), Olanzapin (Zyprexa):
wirksam in der Therapie des Delir
• Aripiprazol (Abilify): wirksam bei deliranten Tumorpatienten, evtl.
besonders geeignet bei hypoaktivem Delir
• Risperidon, Olanzapin, Haloperidol, Aripiprazol etwa vergleichbar,
höheres EPS-Risiko von Haloperidol wohl erst bei Tagesdosis > 4.5
mg
Keine klare Überlegenheit der atypischen Neuroleptika
gegenüber Haloperidol
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
„Nützliche Nebenwirkungen“ der atypischen
Neuroleptika
Olanzapin: Antisekretorische
Wirkung, sedierende Wirkung
Quetiapin: Sedierende Wirkung
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Was beeinflusst die Höhe der Dosierung ?
Retrospektive Studie:
Höhe der Haloperidol Äquivalentdosis bei Delir (HEDD)
korreliert nicht mit:
• Distress für Patient oder pflegenden Angehörigen
Aber korreliert mit:
• Symptombezogenen Distress der Pflegenden:
 Pat. örtlich desorientiert
P=0.002
 Pat. zeitlich desorientiert
P=0.008
 Wahrnehmungsstörungen
P=0.041
 Agitiertheit
P<0.001
• Symptombezogenen Distress der Ärzte:
 Halluzinatorische Symptome
P=0.006
 Agitiertheit
P=0.006
(Hui et al. J Pain Symptom Management 2010)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
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Palliative Sedierung
keine allgemein akzeptierte Definition
(1) the presence of intractable or severe distress refractory
to standard palliative treatment and
(2) the use of sedative medications with the primary aim of
relieving severe symptoms by reduction in
consciousness.
(Morita et al. 1999)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Das Delir ist der häufigste Grund für eine palliative
Sedierung
Maltoni et al. 2012: J Clin Oncol
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
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Prävention des Delirs
• Nicht- pharmakologische präventive Maßnahmen
(Metaanalyse JAMA Intern Med 2015)
z.B.
 Information der Angehörigen
 Uhr, Vermeidung sensorischer Deprivation
 Reorientierung durch Angehörige (aktuelle Ereignisse)
 persönliche Gegenstände
 ausgedehnte Besuchszeiten
Nichtpharmakologische Maßnahmen führen zu einer Reduktion der Inzidenz
des Delirs (…) mit einem Trend zur Verkürzung des stat. Aufenthaltes
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Delir auf der Intensivstation
Die Verwendung von Ohrstöpseln
verringert die Inzidenz von
Verwirrtheitszuständen auf der
Intensivstation signifikant
(van Rompae, Crit care 2012)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
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Verwirrtheit/Delir
Voraussetzung für die Therapie:
Verständnis für die veränderte Wahrnehmung
des Patienten
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Delir- was erlebt der Patient ?
Wahrnehmungsstörungen - Verzerrung
der Wahrnehmung
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
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Delir- was erlebt der Patient ?
Wahrnehmungsstörungen – Optische
Halluzinationen
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
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Delir- was erlebt der Patient ?
Wahrnehmungsstörungen - Illusionen
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
…. Gedankenexperiment
….. Iatrogen verursachtes Delir (?)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
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„Iatrogenes Delir“
Prospektive Kohortenstudie- Relatives Risiko
•
•
•
•
Fixierung
Blasenkatheter
weniger als ein Mal täglich aus dem Bett
mehr als 12 Stunden auf der Notfallstation
(Inouye, 1996 JAMA)
3,5
3,1
2,3
2,1
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Muss man ein Delir immer
behandeln?
Patient E.F. 74 J
• Präterminaler Patient mit kleinzelligem Bronchialkarzinom
• optische Halluzinationen: Patient sieht Schmetterlinge durchs
Zimmer fliegen, gelegentlich versucht er einen (behutsam) zu
fangen
• Sieht seine von ihm sehr geliebten Enkelin (im 7. Monat
schwanger), die in Spanien lebt und spricht freudestrahlend
mit ihr
• Erschrickt, wenn fremde Personen das Zimmer betreten (und
vor allem laut sprechen)
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Patient E.F. 74 J
Behandlung?
Klärung des Therapieziels:
1) Behandlung der Symptome und Versuch, das Delir zu
beenden
2) Ausschließliche Symptomkontrolle
Palliativmedizinischer
Name der Klinik
Dienst
Zusammenfassung
• Ein Delir wird häufig nicht oder fehldiagnostiziert (insbesondere
die hypoaktive Form)
• Das Delir am Lebensende hat häufig somatische und
psychische Ursachen
• Präventive Maßnahmen sind effektiv
• Häufig können die Ursachen für ein Delir beseitigt werden
• Neuroleptika sind die pharmakologische Behandlung der Wahl,
Haloperidol ist weiter „Goldstandard“ aber „erwünschte
Nebenwirkungen“ anderer Neuroleptika können genutzt werden
• Delir am Lebensende ist der häufigste Grund für eine palliative
Sedierung
• Die Klärung des Therapiezieles ist für die Wahl der
Behandlungsstrategie wesentlich
Palliativmedizinischer
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