Zusatz Seite 12 Der Mensch ist im Fluss – AN-ATMAN: In der hinduistischen Vorstellung besitzt der Mensch ein Element, unwandelbar, mithin göttlich, d.h. unsterblich – in Sanskrit ATMAN (= Selbst). Gott/das Göttliche/Brahman sei in allem, was existiert, in der Welt und im Menschen. Das Atman, der Odem, das Selbst, die Seele, der Geist des Menschen sei mithin Teil des Göttlichen/Brahman – so die indischen Religionen. Atman/das (göttliche) Selbst wandere von Wiedergeburt zu Wiedergeburt (d.h. es handelt sich in der hinduistischen Vorstellung eigentlich um Wiederverkörperung). Anders im Christentum: Es gibt eine Seele/einen Wesenskern des Menschen, eine Art immaterielles Doppel des Körpers, das den Menschen eigentlich ausmacht und das im Tod erhalten bleibt und weiterlebt. Dieser Glaube ist bereits in den ägyptischen Totenbüchern nachweisbar und dann über Griechenland (v. a. Plato) nach Europa gekommen. Die „unsterbliche Seele“, von der in den Katechismen immer die Rede war, gehört – obwohl davon nichts in der Bibel steht und ihre Existenz auch kein Dogma ist – bis heute zum populären Grundbestandteil abendländischen Selbstverständnisses. Auf den ersten Blick formuliert der BuddhaDharma das genaue Gegenteil dazu: Denn der Buddhismus vertritt in allen seinen Schulen eine Nicht-Ich-Lehre, das heißt, dass es keine feste Substanz Ich gibt, sondern nur ein Agglomerat von Körperlichem, von Empfi ndungen, Wahrnehmungen, Gestaltungsimpulsen und Denkvorgängen, die einen Menschen ausmachen, den „Gruppen des Ergreifens“ (Sanskrit skandha). Die Idee eines Selbst (atman) sei also trügerische Illusion. Man sollte aber, sagt der Buddha später, nicht glauben, etwas müsse wirklich existieren, nur Heft 8 Buddhismus weil man einen Namen dafür kennt. Den Namen „Pegasus“ gibt es, das geflügelte Pferd aber gibt es nur in der Phantasie. Zwei Ebenen sind zu unterscheiden, sagt der Buddha: die des Alltags und die der (religiösen) Erkenntnis. Ihnen entsprechen zwei Sprachen: Die Personalpronomen „ich“, „mein“, „mir“ gehören der konventionellen Sprache an und ermöglichen die Verständigung von Menschen untereinander. „Nicht-Ich“, „Nicht-Mein“ usw. bezeichnen dagegen die Wirklichkeit, wie BuddhistInnen sie sehen. Die Konsequenz aus An-Atman hört sich dann klassisch formuliert so an: Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Die Taten gibt es, doch kein Täter fi ndet sich. Erlösung gibt es, doch nicht das erlöste Wesen. Den Pfad gibt es, doch keinen Wanderer sieht man da. (VisuddhiMagga X VI) Quelle: J. Mann, Der Weg des Buddha, Vortragsmanuskript Kloster Wernberg 2005) Der Ursprung der „Nicht-Ich-Lehre“ dürfte in den Erfahrungen der Meditationspraxis liegen – in der Achtsamkeit, die Augenblick für Augenblick den Prozessen folgt, die das Leben ausmachen, und die sich unentwegt ändern. Die „Nicht-Ich-Lehre“ ist, auf den Weg der Übung bezogen, die Aufforderung, das Herz an nichts zu hängen, auch an sich selbst und die eigene Geschichte nicht, wenn man zu der Erfahrung der Befreiung kommen möchte. In diesem Punkt unterscheidet sich der Buddhismus nicht von anderen spirituellen Wegen. Selbstlosigkeit ist die Grundbedingung mystischer Erfahrung, sagen z.B. die abrahamitischen Traditionen. Angesichts der Komplexität und Veränderlichkeit von Lebensprozessen scheinen Worte wie „Ich“, „Selbst“, „körperhaft“ oder „geistig“ nur konventionelle Bezeichnungen zu sein, die auch der Buddha zur Verständigung gebraucht – aber sie nicht ernst, also für real existierend, nimmt. Zusatz Seite 12 Daran knüpft das berühmte Wagengleichnis an, das sich bereits sehr früh fi ndet und zu einer Ontologie des Nicht-Ich führt, wie man etwa an den „Fragen des Königs Milinda“, entstanden um das 1. Jhdt. u. Z., sehen kann. Berichtet wird: Als König Milinda (oder Menander), ein Grieche, der über Gebiete des heutigen Afghanistan, Pakistan und Nordindien herrschte, den buddhistischen Mönch Nagasena nach seinem Namen fragte, antwortete dieser, dass er zwar Nagasena genannt werde, aber dies nur eine Redeweise sei, „denn eine Persönlichkeit ist hier nicht wahrzunehmen“. Es verhalte sich mit ihm wie mit einem Wagen: Weder seien die Achse noch die Deichsel noch die Räder etc. der Wagen, und daher könne man hier nicht von der Existenz eines Wagens sprechen, sondern nur davon, dass alle diese Bestandteile zusammen etwas ergeben, das man Wagen nennt. Ähnlich gelte das für einen Menschen: Haupthaar, Körperhaar, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen usw. und alles, was sonst zum Körperlichen, zur Empfi ndung, zur Wahrnehmung, zu den Impulsen und zum Bewusstsein gehört, ergeben zusammen das, was man einen Menschen nennt. Darüber hinaus, so Nagasena, lasse sich nichts entdecken, kein unabhängiges, immaterielles Wesen, das einen Menschen ausmacht. (U. Baatz, Buddhismus, Diederichs Kom- Der Mensch, so heißt es, „ist“ nicht, er fl ießt, da sich seine Bestandteile unaufhörlich verändern und sich in jedem Augenblick anders zusammensetzen. Die Person ist zusammengefügt aus den fünf Gruppierungen/Aggregaten (Daseinsfaktoren): Körperlichkeit, Wahrnehmung/Empfi ndung, Gefühl, Geistformationen (Willensakte), Bewusstsein. Der Körper bildet die Basis. Durch die Wahrnehmung verbinden wir uns mit der Außenwelt. Auf sie reagieren wir mit Gefühlen. Weiters wird unser Verhalten durch Formationen/Gestaltungen (samskara) gesteuert. Das fünfte Aggregat ist schließlich das Bewusstsein. Mit dem Tod zerfällt der Mensch in diese fünf Gruppierungen/Aggregate. Alle fünf vergehen. Wiedergeburt ist ein neues sich Konstituieren dieser Daseinsformen (nicht desselben Wesens). Wenn ein Leben endet, bleibt von allen Gruppen das Bewusstsein am längsten intakt. Nachdem der Leib taub und kalt geworden ist und die Sinne stumpf, wenn man nichts mehr fühlt, geht das sogenannte Sterbebewusstsein auf einem kürzeren oder längeren Weg hinüber in eine neue Existenz. pakt, 2002) Wie funktioniert ein „ichloser“ Mensch? Die fünf Daseinsfaktoren (skandhas) Bei den brahmanischen und frühhinduistischen Traditionen sind ewige Seelen das im Kreislauf der Existenzen wandernde Subjekt. Die Auffassung der Buddhisten vom Subjekt des Kreislaufs unterscheidet sich davon radikal: Sie anerkennen den Kreislauf als solchen, aber kein in ihm wanderndes Subjekt. Die irdische Persönlichkeit ist nichts als ein Konglomerat von fünf selbstständigen, in letzter Analyse nur für einen Augenblick bestehenden psychischen und physischen Konstituenten/Gruppen/Aggregaten. Die An-Atman-Lehre ist uns noch die Erklärung schuldig, wie denn ein ichloser Mensch funktionieren soll. Wie das Wort Fahrrad, so benennt auch das Wort Mensch ein Ensemble aus verschiedenen Bestandteilen/Gruppen/Aggregaten (skandhas). Heft 8 Buddhismus An-Atman, wie vom Buddha am Menschen demonstriert, gilt für alles und jedes auf der Erde, im Himmel und in der Hölle, für Menschen, Tiere, Geister, Götter. Alles setzt sich aus Teilen zusammen, aus materiellen und geistigen. Aber alle wandeln sich ohne Unterlass. Ein unwandelbares Selbst ist in oder an nichts und niemandem zu entdecken. Als ein Wesen dieser Welt ist der Mensch weltlich, d.h. „leer“, ohne Atman, ohne unwandelbaren Kern, und er ist bedingt. Für BuddhistInnen folgt daraus, dass es nicht lohnt, in die unbeständige Welt über das Lebensnotwendige hinaus zu investieren. Quelle: Josef Mann, Der Weg des Buddha, Vortragsmanuskript Kloster Wernberg 2005; U. Baatz, Buddhismus, Diederichs Kompakt, 2002, S. 52 f.