Title Author(s) ICHTS UND NICHTS (II) EINIGE BEMERKUNGEN IN BEZUG AU F DAS PROBLEM : DEUTSCHER GEIST UND DER ORIENT. BESO NDERS DEN WEST-ÖSTLICHEN DICHTER GOETHE BETREFFEN D. Sonoda, Kokun Editor(s) Citation Issue Date URL 大阪府立大学紀要(人文・社会科学). 1962, 10, p.1-22 1962-03-30 http://hdl.handle.net/10466/12043 Rights http://repository.osakafu-u.ac.jp/dspace/ ICHTS UND NICHTS (II) EINIGE BEMERKUNGEN IN BEZUG AUF DAS PROBLEM : DEUTSCHER GEIST UND DER ORIENT. BESONDERS DEN WESTbSTLICHEN DICHTER GOETHE BETREFFEND. KOKvN SONODA . VII ' Um nun die geistesgeschichtliche Bedeutung des Buddhismus in der allge' meinen ostlichen Gedankenwelt zu begreifen, mttSte man erst die spezielle Stellung, die er mitten in den indischen GeistesstrOmungen einnimmt, erfassen. Im allgemeinen, so will mir scheinen, neigen die europaischen Orientalisten dazu, den Buddhismus ganz und gar in der Kontinuitat der indischen ReligionPhilosophie zu betrachten und die Seite seiner Inkontinuitat nicht genttgend zu werten. Selbstverstandlich ist der Buddhismus auf der Grundlage des indischen Geistes im allgemeinen, d. h. auf der des Brahm4nentums zustandegekommen; in Hinsicht auf die Konstruktionselemente der Weltanschauung bricht er infolgedessen nicht im geringsten die nationaltraditionellen Vorbedingungen, aber unter denselben Vorbedingungen hat er doch eine schwunghafte Umwendung vollbracht und dadurch eine solche geistige H6he erreicht, daB er sich der nationalen Tradition fast Uberhob, was denn u, a. der Grund dazu ware, daB er unter allen Religionen Indiens einzig und allein sich weit ttber die Grenze hinaus durch das ganze Asien verbreitet hat. Diese, sozusagen, intefnationale Seite des Buddhismus geringzuschatzen, wie dazu die europaischen Forscher neigen, ware also ein Ver- sehen, sowohl wie die herk6mmliche Tendenz der japanischen,Buddhisten, im Gegenteil auf die nationale Grundlage dessen gar keine Rttcksicht zu nehmen, nicht minder ein Fehler ist. Um die Zeit herum, wo der Buddha Sakyamuni auf die Bthhne des indischen geistlichen Lebens auftrat, scheint dieses Land, vielleicht wegen der bedeutenden sozialen und wirtschaftlichen Aufschwimgen der indischen Nation damals, in einer heftigen geistigen Garung gestanden zu haben, wo neben dem tiberlieferten, orthodoxen Glauben, der lange auf der Autoritat des Veda und der Upanishaden unangefochten geruht hatte, allerlei neue, mehr oder weniger fortschrittliche, d. h. mehr oder weniger von der vedischen Autoritat emanzipierte religdse Gedanken- systeme miteinander wetteifernd emporkeimten und jedes fttr sich Verkundiger samt Anhangern erschufen. Die geistlichen Personen dieser letzten Richtung ' 2 KoKuN SONODA wurden mit dem gemeinschaftlichen Namen "satnana" bezeichnet, wahrend die herkdmmlichen Priester, die auf der vedischen Autoritat beruhten, "brahmana"i) genannt waren, und Buddha hieB auch der "Samana Gotama", wie seine JUnger "die samanas, die dem Sakyasohne anhangen." Dem Gedankeninhalt nach kdnnen wir aber, grob gesprochen, diese verschiedenen Gedankensysteme in zwei Grundtypen klassifizieren : die Emanationstheorie und die Zizsammenset2ungstheorie2), sozusagen. Die eine vertritt die geistige Haltung, hinter aller vergtinglichen, veranderlichen Vielheit der Sinnenwelt eine absolute Einheit, das ewige, unveranderliche Eine anzunehmen und die erstere als die Emanation aus dem letztern aufzufassen, wahrend die andere diejenige ist, die, im Gegenteil, vor allem die substanziellen Einzelheiten voraussetzt und mit deren mannigfaltigen Zusammensetzungen die kosmische Gesamtheit erklaren will. Es wird allbekannt sein, daB dertraditionelle Standpunkt des Brahmanentums nichts anders als die erstere war, wahrend der sogenannte Samanentum mehr oder weniger eher der letztern neigte3'. Allein die beiden Grundtypen der indischen Weltanschauung haben, wie schatf sie sich auch voneinander abzuheben scheinen m6gen, doch wenigstens einen Punkt gemein : die Grundanschauung .der Substangtheorie. Mit der Be2eichnung "Substanz" ist hier gemeint: das Wesen, das hinter allen Veranderungen unveranderlich bleibt. Der Brahmanentum als Emanationstheorie setat als Urgrund aller Erscheinungen das alleinige. Wesen "Brahman" voraus, wtihrend die ZusammenSetzungstheorie als Bestandteile aller verdnderlichen Dinge die letcten unvertinderlichen Teilchen annimmt : der Unterschied ist nur, ob die Substanz im Singular gedacht ist oder im Plural. Der Urbegriff der Substanziaiitat liegt bewuBt oder unbewuBt zu Grunde des Weltbildes sowohl des Brahmanentums als auch des Samanentums: mit der Ausnahme des Buddhismus natttrlich, denn unter allen den indischen religidsen und philosophischen Weltan- schauungen befreite,sich dieser einzig und allein von diesem menschlichen Urbegriff oder vielmehr Urwahn : Substanzialitat, was in der buddhistischen Terminologie "atman" ( : Ich-heit, Ich-Substanz)`) heiBt. In diesem Sinne ist die Lehre von 1) samana: ilY>Fg, brahmana: twncFg 2) Emanationstheorie : Ubersetzung deS ijnjth od. thtllst, Zusammensetzungstheorie : ssgeM /・ 3) Von diesen neuen Sekten ist am meisten bemerkenswert : die sogenannte "Sankya-Lehre" (twrt2FR). Dieser konsequente Rationalismus, der mit dem entschiedenen Hinwegtun der Allseele, des alten All-Einen der Upanishaden und mit' der versttindiger, fast m6chte man sagen naturwissenschaftlicher 'Betrachtungsweise sich anntihrenden Analyse des Mechanismus, der das Geschehen der Erscheinungswelt beherrscht, doch einen einzigartigen Weg der religi6sen Er16sung findet, vertritt auch eine Seite der indischen Religiositat. 4) atman (Ich-heit, Ich-Substanz, X): mit dieser Bezeichnung ist nicht nur das sogenannte Ich gemeint, sondern Uberhaupt alles, was die Eigenschaft von "besttindig, sich-selbst-gleichbleibend, unabhangig, unbedingt" (ts-EE!) hat, d. i. die Substanz. Solch ein substanzielles Wesen in sich oder in andern Dingen annehmen und daran haften, das ist ntimlich Ich-Anhtinglich・ keit (im weitern Sinne), die wiederum Ich-Anhtinglichkeit (im engern Sinne) und Ding-Anhtinglichkeit enthtilt. Dementsprechend will auch anatman (Nicht-Ich, Ich-losigkeit, ffa) verstanden werden. ' ICHTS UND NICHTS (II) 3 "anatman" (:Nicht-Ich), welche die grttndliche Ich-losigkeit, d. h. die Substanz- losigkeit aller Dinge (dharma)5) predigt, die Grundanschauung des Buddhismus im besondern. Sakyamuni aber lehnte diesen Begriff "atman" ab, nicht etwa aus irgendwelchen philosophischen Spekulationen, sondern im Gegenteil, weil dieser ein rnetaphysischer Dogmatismus ist ; "anatman" ist durchaus nicht eine philoso- phische Meinung, sondern das Schauen der So-heit, der Ist-heit der Dinge6), d.i. der Dinge, wie sie sind. Schauen heiBt Erfahrung. Alle die Gedankensysteme des Buddhismus stammen aus der einzigen Erleuchtungs-Erfahrung des Buddha, und diese besteht in nichts anderm als in jenem Schauen des anatman. In diesem SinRe ist der Buddhismus-was alle sptitere Dialektik auch immer an Gedanken ttber den Sinn der Erleuchtungs-Erfahrung entwickelt haben magvielmehr "radikaler Empirismus, radikale Erfahrungswissenschaft'"7). Der Inhalt dieses Schauens ist nun von Buddha selbst auch mit dem Wort "Pratitya-samutpacla"8) (:Entstehen in Abhangigkeit) erlatitert. Alle Dinge entstehen in Abhangigkeit voneinander : so ist diese Weisheit schlicht und einfach formuliert, sie aber enthalt ein umstUrzlerisches Prinzip in sich, denn diese bud- dhistische "Abhdngigkeitstheorie" st6Bt die Grundanschauung der Substanzialitat, jenen menschlichen Ur- und Erbwahn, der nicht nur den bisherigen indischen religi6sen und philosophischen Gedanken angehaftet sind, sondern ttberhaupt den natiirlichen Grund der alltaglichen Wekempfindung der Menschen ausmacht, mit einem Schlage um und eroffnet eine neue, ganz unerh6rte Ebene: Alle Dingevom All-Einen Brahman herab bis zu den winzigsten Partikeln-werden ihrer Substanzialitat entauBert und in lauter Beziehungen aufeinander aufge16st. Nicht daB am Anfang mehrere Wesenheiten da sind und dann miteinander in Beziehungen traten, sondern dats nur durch Beziehungen auch die Wesenheiten da sind. Das "Sein" ist nichts mehr als ein provisorisches Stillstehen in den mannigfaltig sich verschlingenden Beziehungen, ein zusammengesetztes Komplex (lehandha)9) von allerlei "Ursachen und Bedingungen"iO); insofern es aber ein solches provisorisches Komplex ist, so muB es sich auch immer wandeln je nach 5) Das buddhistische Wort dharma (tk) ist sehr vieldeutig, hier ist im Sinne von Ding gebraucht; nur bedeutet dieses "Ding" nicht nur materielles, sondern auch geistiges Ding, nicht nur physisches, sondern auch metaphysisches. Von den andern Bedeutungen, die das Wort dharma haben, vgl. unten S. 7. Anm. 15. Ich-losigkeit aller Dinge: su?2inett. ' 6) So-heit, Ist-heit:Vbersetzung des au (tatha). Schauen der So-heit:aNscrafi. 7) vgl. Daisetz T. Suzuki, der westliche und der 6stliche Weg (aus dem Amerikanischen ifbersetzt von Liselotte und Walter Hilsbecher). 1960. Ullstein Buch. Nr. 299. S. 51. 8) Pratilya-samuipada: waee. Eine der Lieblingsformeln Buddhas, wenn er von "pratityasamutpada" predigt, lautet:"Wenn dies ist, ist auch jenes; wenn dies nicht ist, ist auch jenes nicht ; wenn dies vergeht, vergeht auch jenes." 9) khandu: wt 10) Ursachen und Bedingungen: pawa dem Wechsel der Bedingungen. Alles schwebt in einem ProzeB des Entstehens und Vergehens, es gibt kein einziges Wesen in der Welt, das ewig sich-selbst-gleich bleiben kann, also kein "atman". Kurz: von dem Standpunkt der "Abhangigkeitstheorie" qus gesehen, kann es in dieser Welt Uberhaupt keine Substanzialitat exi- stieren, sei es im Sinne der Emanationstheorie oder der Zusammensetzungstheorie. Es ist gleichsam ein groBes Netzwerk, diese Welt, das mit den unztihligen Faden der Beziehungen, und zwar der unermeBlich mannigfaltig sich ineinander verschlingenden und auch noch dazu mit jedem Augenblick wechselnden Beziehungen der Dinge gewebt ist : der Dinge, die ihrerseits wieder je nur einstweilige Resultate der vielfachen Ursachen und Bedingungen sind. Was aber durch die Zusammenkunft der Ursachen und Bedingungen gestaltet ist, muB auch durch die Zerstreuung deren vergehen. Alles ist geworden, also ich-los und verganglich, oder, um einen bei den Buddhisten besonders beliebten Ausdruck zu gebrauchen, leer. Es gibt in dieser Welt schlechterdings kein Ding, dem anzuhangen sich am letzten Ende belohnte; desungeachtet halten wir Vergangliches ftir ewig Bleibendes, tragen in alle Dinge den Begriff "Ich-Substanz" hinein, kleben und haften mit allen Gelttsten und Begierden daran an, und als Folge dessen leiden E wir immerwahrend, von allerlei irrtttmlichen G,egensatzlichkeiten gefesselt, unter der endlosen Folter des unersattlichen Durstes. Alles kommt aus dem einzigen "Ich-Gedanken", aus jenem Urwahn der Substanzialitat. Um daher, von allen den Fesseln des Durstes losge16st, in den quallosen Zustand der absoluten Frei- heit (:nirvana)'i) einzutreten, muB man die Wahrheit der absoluten "Leerheit" (sunyata)'2) einsehen und die Anhanglichkeit an die Ich-Substanz grUndlich vernichten.-In diesem Sinne ist die buddhistische Abhangigkeitstheorie gewiB eine Logik der totalen Verneinung aller Dinge. Wir mttssen aber zugleich genUgend aufmerken, daB diese Lehre der absoluten "Leerheit" keinesweges ein bloBer Negativismus ist, nein, ein ungemein positives Prinzip in sich hegt: arn extremen Punkt der totalen Verneinungwendet sie sich zur ebenfalls totalen Bejahung um. Der Buddhismus ist bisher von den unsympathischen AuBenstehenden-nicht nur von den westlichen, sondern auch sogar von den 6stlichen-nicht selten dahin gedeutet worden, daS er ein konsequenter Nihilismus sei, der als sein Ziel nichts anders als das ghrizliche VerlOschen des Daseins Uberhaupt, das Eingehen in das Nichts um des Nichts willen erstrebte, welche Anschauung aber ein vOlliger Irrtum ist, der vor allem von den MiBverstandnissen der "Leerheit" herrthhrt. Die "Leerheit" ist nicht synonym mit dem nicht-Existieren, sondern bedeutet nur die Substanzlosigkeit, und die Ansicht: was substanzlos ist, das kann nicht existieren, diese Ansicht gerade ist die grand- 11) niroana; gee 12) sunyata: ig,・ ICHTS UND NICHTS (Ir) 5 liche Tauschung, die den naturlichen Menschen unaustilgbar innewohnt, in ebendemselben Grade, wie die umgekehrte Ansicht: was existiert, ist sogleich substanziell, es ist. Ein Ding ist nicht leer, weil es Uberhaupt nicht existiert, sondern nur weil es in scheinbarer Sichselbstgleichheit da steht; weil aber die Menschen an dieser scheinbarer Substanzialitat anhaften, sind sie nicht imstande, die So-heit der Dinge zu schauen und sind von der falschen Gegensatzlichkeit von "Sein und Nichtsein" gefesselt. "An eine Zweiheit" so lautet es in einer Predigt des Buddha, "pfiegt diese Welt sich zu halten, an das `Es ist' und an das `Es ist nicht'. Wer aber ,in Wahrheit und Weisheit' es anschaut, wie die Dinge in der Welt entstehen, fur den gibt es kein `Es ist nicht' in dieser Welt. Wer in Wahrheit und Weisheit es anschaut, wie die Dinge in der Welt vergehen, fur den gibt es kein `Es ist' in dieser Welt.-`Alles ist', dies ist das eine Ende. `Alles ist nicht', dies ist das andre Ende. Von diesen beiden Enden fern bleibend, verkUndet in der Mitte der Vollendete die Wahrheit." Diese mittlere Wahrheit ist nichts anders als die der Leerheit; wer die Leerheit der Dinge schaut, nur der schaut die ewige So-heit der Dinge: der Dinge, wie sie entstehen und vergehen ; wie sie sind und nicht sind. Man wird einsehen, daB die Lehre der Leerheit, die scheinbar die totale Verneinung aller Dinge war, in Wahrheit eine totale Bejahung deren gewesen war. Nun k6nnten wir das namliche, von der Rttckseite her, auch folgenderma6en ausdrUcken: Die ewige So-heit kann sich nur deswegen an den Dingen manifestieren, weil die Dinge an sich leer sind; in diesem Sinne ist die "So-heit" eben, so kdnnten wir sagen, nichts anders als das einzig und allein ewige Gesetz- liche in der Welt, und die Leerheit ist sozusagen der "Ort", in welchem dieses Ewige sich verwirklicht. .Die Dinge sollen verganglich sein, aber solange sie es ttberhaupt sind, so muB es etwas da sein, das sie dazu nOtigt, wodurch sie ent- stehen und vergehen; dieses etwas ist auch als das Weltgesetz der Kausalitat bezeichnet. Das Kausalgesetz ist namlich nichts anders als die Form, in der jene "So-heit " sich verwirklicht, oder mit andern Worten, die formale Seite der So-heit. Nur mifssen wir dieses keineswegs substanziell auffassen : die Kette von Ursache- Bedingung-Resultat, als welche das Kausalgesetz bestimmt ist, ist nicht etwas Fixiertes, sondern sehr FlieBendes. Alle Dinge sind untereinander Ursache, Bedingung, Resultat ; A, als Ursaghe des B, kann auch zugleich Resultat desselben B sein, B, als Resultat des C, kann auch eine Bedingung desselben C sein usw. In Wahrheit ist es hier vielmehr nur die eine Tatsache der mannigfaltig sich einander verschlingenden Beziehungen, und die sogenannte Kausalkette ist nichts mehr als provisorische Regelung dieser Tatsache von einem bestimmten Standpunkt aus; die Kombination der Kettenglieder kann also, je nach dem Wechsel des Standpunktes, sich gehorig andern. Wenn man aber nur diesen Punkt genau ' im Kopf behalt, so ist die Aussage, dets das Kausalgestz die formale Seite der So-heit sei, ganz richtig. Folglich k6nnen wir auch sagen, dats unter den Dingen, die ohne einzige Ausnahme verganglich und veranderlich sind, dieses Gesetz allein ewig und wahr ist. Da aber dieses Gesetz einmal ewig und wahr ist, so mUssen nun die Dinge, die durch dieses Gesetz entstehen oder vergehen, auch wahr und heilig sein : nicht weil sie nicht verganglich sind, sondern im Gegenteil weil sie eben verganglich sind! Nicht weil sie ihre eigeRe unsterblicheSubstanz haben, nein, gerade weil sie an sich leer sind! "Blumen sind gerade im Fallen ewig"i3), so sagt ein Zen-Sprichwort. Wegen der unschnittbaren Anhanglichkeit an die bltihenden Blumen schmerzen uns die fallenden unsaglich ; wenn wir aber diese Anhanglichkeit aufgeben und die reale Blumen ich-los anschauen, so sind nicht die blUhenden allein die Manifestation des Ewigen, auch die fallenden sind es nicht minder. An jeder der feinen Ver- anderungen der Blumen offenbart sich getreu das heilige Gesetz des Allebens, jede der kleinen Blumen, die durch die notwendigen Ursachen und Bedingungen hier aufo1tthen, dort verwelken, ist selbst das gdttliche Walten der einzigen Grundidee des Weltalls. Wenn man in die Biumen unveratiderliche Substanz hineintragt und sich an diese anklammert, sind sie nichts mehr als eitle Erschei- nungen, aber sobald man die Leerheit, d.i. die Substanzlosigkeit der einzelnen Blumen anschaut, wird sie trotz der Verganglichkeit doch ewig, oder vielmehr : ebep dieser Vergatiglichkeit wegen sind sie ewig. Dieses Wunder begrUndet sich aber einfach auf die Tatsache der Leerheit. In diesem Sinne konnte man auch sagen, daB die Leerheit der ideelle Grund der Dinge ist : durch die Vermittlung der Leerheit wird jedes Wesen seines eigenen Selbst transzendiert und nimmt am Walten der ewigen Idee unmittelbar teil. Was wir aber hier am meisten merken mttssen, ist dies : daB das Wesen, das also seines eigenen Selbst transzendiert ist, in Wahrheit eben dadurch sein eigentliches Selbst geworden ist. Eine Biume z. B. ist an sich leer, also ein Symbol des Ewigen, aber darum doch ist sie nicht nicht-Blume, sie bleibt noch immer eine Blume, vielmehr mUBten wir sagen : Sie ist desto mehr eine BIume, je mehr sie Ieer ist, und je mehr sie eine Blume ist, um so lebhafter kann sie Ewigkeit symbolisieren ! "Weiden(blatter) grifn, Blumen rot"i`), sagt ein anderes Zen-Sprichwort. Weidenblatter sind als solche grifn uRd herabhangend, uRd die Blumen etwa der Kqmelien auch als solche rot und emporstrebend; sie behalten je ihre Spezialitat, und in diesen Spezialitaten siRd sie doch gleich Manifestation der einen Idee. Das Gesetz, das die Weidenblatter grttn und schmiegsam herab- htingen 1taBt, ist dasselbe Gesetz, wonach die Kamelienblumen rot und massiv 13) Vbersetzung von: FIECgtw6tw6kfil] 14) tibersetzung von: rnjPaSee, JiEVgrcJ ' ICHTS UND NICHTS (It> 7 aufbltthen ; wenn die Weidenblatter rot emporstrebten und die Kamelienblumen grttn herabhangten, so ware es nicht gesetzmaBig, also nicht "naturlich". Weil das Gesetz je nach den Bedingungen, den Umstanden gemaB, sich mannigfaltig verkdrpern kann, ist es eben das eine, das allgegenwartige Gesetzi5). Besondere Einzelheiten bedeuten keineswegs die teilweise Erscheinungen des Allgemeinen, sondern nur die den gegebenen Bedingungen gemaBe Gegenwart des Ganzen, die lebendig augenblickliche Offenbarung des Ewigen. Das Allgemeine kann nur an den Besonderen sich verwirklichen, und die Besonderen sind nur deshalb imstande da zu sein, weil das Allgemeine in und durch sie wirkt; deswegen denn auch die Besonderen desto glanzender sind, je tiefer das All- gemeine ist, und auch umgekehrt. Der Grund also, daS die Besonderen als solche existieren, ist'nichts anders als die Allgegenwartigkeit des Allgemeinen. Nein, der Ausdruck : Das Allgemeine verwirklicht sich an den Besonderen, dieser Ausdruck sogar ist eine nachtragliche, den alltaglichen Begriffen angepaBte Erlauterung; nicht daB am Anfang das Allgemeine da ware und dann sich an den Besonderen manifestiere, nein, in Wahrheit vielmehr: Gerade mit dem sichManifestieren erst ist auch das Allgemeine im Nu da. Wenn man aber mit diesen Worten etwa die Prioritat des Besonderen vor dem Allgemeinen bedeuten lassen wollte, so ist es selbstverstandlich auch ein lacherliches MiBgreifen der wahren Beschaffenheit : vor dem sich-Manifestieren gibt es auch das Besondere nirgends da. Mit diesem unnennbaren sich-Manifestieren bestehen das Allgemeine und das Besondere zugleich da, und die Verkorperung, sozusagen, dieses unsaglichen sich-Manifestierens ist : das Ding.. In diesem Sinne ist das Ding der Brennpunkt des ewigen sich-Manifestierens, das zugleich-Bestehen des Allgemeinen und des Besonderen, des Ideellen und des Faktischen. Und aus den Dingen in diesem Sinne ist wiederum die Welt hergestellt.-Solcherlei Konstruktion der Welt erlautern die Buddhisten mit den Worten : "Die Welt (besteht) im・In- und Durcheinander des Ideellen und des Faktischen"i6). Da aber die einzelnen Dinge schon je fUr sich das In- und Durcheinander des Ideellen und des Faktischen sind, so mifssen sie auch untereinander eins in und durch das artdere wirken und leben kdnnen, welche Verhaltnisse auch von jenen folgendermaBen ausgedrttckt sind: 15) Die Tatsache, daB ein Ding da ist, bezeigt an sich das Existieren des Gesetzes, wonach es solches ist. Also bedeutet das Wort:dharma, das eigentlich das "Ding" bezeichnet (s. oben S. 3, Anm. 5.), zugleich das "Gesetz", und auch noch nicht nqr das allgemeingUltige, sondern auch die "speziellen" Gesetze, wonach die Spezialitat je Spezia!itat ist. (Auch die Lehre, die diese Wahrheit belehrt, wird dharma benannt.) DaB also mit ein und demselben Worte sowohl das Sein als auch das Sollen bezeichnet werden soll, wie sonderbar es auch den modernen Logiker erscheinen mdge, deutet die eigentUmliche Denkweise des Buddhisrhus an. Der Terminus: ,IViztur heiBt bei den Buddhisten diese Aufhebung von Seiri und Sollen. Vgl. in der vorigen Nummer die Stelle, wo ich die buddhistische Gebrauchsweise dieses Wortes berUhre. (S. 6) 16) Die Welt im In- und Durcheinander des Ideellen und des Faktischen: mp$ftee?!lge. 8 KoKuN SONODA "Die Welt (besteht) im In- und Durcheinander des Faktischen und des Faktischen""). Solches ist die wahre Beschaffenheit der Welt in ihrer So-heit. Nur mtissen wir niemals vergessen, daS diese erhabene So-heit nur auf der Grundlage der absoluten Leerheit aller Dinge bestehen kann. Ohne dieselbige wUrde die Welt von lauter steinernen Ich-Substanzen wimmeln und das glanzende "In- und Durcheinander" der Dinge gar nicht vorhanden sein, und wo das "In- und Durcheinander" nicht vorhanden ist, da kann es auch kein sachliches Ding existieren. Die Leerheit ist also nicht nur. der ideelle, sondern auch der faktische Grund der Dinge. Ja, das Ding an sich ist nichts anders als die Leerheit selbst; nur weil im Grund der Dinge die Leerheit ist, konnen sie als solche existieren. Da aber dieses Weltganze nichts anders als ein ungeheures Gewebe der Dinge ist, so muft die Welt auch im ganzen ganz leer sein. Im Urgrund der Welt gibt es solche grundlose Leerheit; mit andern Worten: Die Leerheit eben ist der Welt grundloser Grund. Aber diese Leerheit, wie ich's nicht mehr von neuem zu erklaren brauchen werde, ist nicht jenes "einseitige" Nichts, das das Sein einfach verneint und vernichtet, sondern das "absolute" Nichts, das in der ganzlicher Nichtheit seiner selbst, aus der grundlosen Leerheit, Dinge auf Dinge unerschopflich entstehen und auch schonungslos vergehen laBt, und gerade durch dieses Entstehen und Vergehen eines jeden Dinges jene unnennbare So-heit sich vergegenwartigen laBt. Es ist sozusagen eine Null voll unendlicher Moglichkeiten. DaB wer diesen grundlosen Grund vermiBt und an den Dingen selbst als den unveranderlichen Substanzen anhttnglich klebt, der die So-heit nicht schauen, also nicht erldst werden kann, ware schon selbstversttindlich. Worauf wir hier aufs neue mit Nachdruck hinweisen mttssen, ist dieses : Daes wer dagegen hinter den vergting- lichen "Erscheinungen" ein unveranderliches, unwandelbares "Wesen", mit was fUr einem Namen es auch immer bezeichnet sein mdge, phantasiert und sich aus diesem nichtigen "Diesseits" in jenes selige "Jenseits" hinein zu fiUchten hinsehnt, der auch so wenig erlOst sein kann wie der Obige, denn der sieht auch nicht die So-heit der Welt. Es gibt kein anderes Unveranderliches noch Wesentliches als dasjenige, das an dem Werden und Vergehen selbst sich unsichtbar manifestiert : wenn man dieses noch solches nennen kOnnte, natUrlich. Jenes sogenannte "wesenhafte" Jenseits ist nic'hts mehr als die in die Hinterwelt tibertragene Substanz-Anhanglichkeit, ein verkleideter Ich-Wahn. Hinter den Dingen existiert so wenig wie in denen irgendein substanzielles Sein: dort wie hier ist nur die Leerheit, nur wer sie schaut, der sieht erst die So-heit. Hier tritt aber wiederum das andre Extrem auf: der sogenannte Nihilismus. 17) Die Welt irn In- und Durcheinander des Faktischen und des Faktischen: $$neeeik$. ICHTS UND NICHTS (II) 9 Der ist namlich die Ansicht, die gerade in der Leerheit nichts mehr als das einseitige Nichts sehen kann. Er will alle die m6glichen Seienden als eine Illusion im ganzen verneinen und betet das ganzliche ErlOschen des Seins Uberhaupt an: das Erreichen des, in seiner Absicht allerdings, "absoluten" Nichts. Aber auch abgesehen davan, ob und auf welche Weise solches eigentlich moglich ware, vor allem mUssen wir streng einsehen, daB dieses Nichts doch noch immer ein Substanz-Begriff ist; das Nichts ais eine Substanz ist aber nichts anders als eine neue Art des Seins: Nihilismus ist auch eine umgekehrte Anhanglichkeit an die Ich-Substanz. Oder um das ndmliche von der andern Seite her zu sagen, dieses Nichts ist der bloBe Gegensatz zum Sein, das einseitige Nichts, das mit dem ebenso einseitigen Ichts auf derselben Ebene nebeneinander steht und sich ei" nander ausschlieBt: das angebliche "absolute" Nichts war in Wahrheit eben das relative gewesen. Das relative Nichts kann aber, solange es relativ ist, das Sein weder verneinen noch erlosen. Das wahre, im ganzen Sinne des Wortes "absolute" Nichts steht noch jenseits dieser Gegensatzlickeit von Sein und Nichtsein, Ichts und Nichts, verneint daher nicht nur das Sein, sondern auch das Nichtsein zugleich und gibt gerade dadurch sowohl dem Sein als auch dem Nichtsein den Grund des Bestehens: es ist der "Ort", in welchem alles Sein (einschlieSlich des Nichtseins, denn, wie obenerwahnt, das Nichtsein in diesem Sinne ist nichts anders als eine Art des Seins) als Sein bestimmt wird. Dieses absolute Nichts ist gerade: die Leerheit. Im Urgrund der Welt liegt solch ein schlechterdings Nichtiges in der ewigen Ruhe, deswegen denn auch alles Sein in seiner heiligen So-heit lebhaft da ist. Wer nicht daher am Sein selbst klebt, sondern durch das Sein hindurch die grUndliche Leerheit durchschaut, nur der wird auch die So-heit des Seins schauen, wodurch denn auch' jene HOhe erreicht wird, von der aus alle die Seienden, so wie sie entstehen und so wie sie vergehen, im ganzen gutgeheiBen werden k6nnen. Das Sein, das einmal als an sich leer verneint worden ist, wird nun als ein an sich heiliges bejaht, es gibt kein andres Wahres als dasjenige, das, nicht hinter, $ondern an der Ist-heit der Dinge selbst sich manifestiert; "Nur in der wahren Leerheit besteht das heilige Sein, die Dinge sind an sich die heilige Wesenheit."i8): diese Worte sind nur in dieser Die totale Bejahung durch die totale Verneinung, mit einem Worte, oder um den Ausdruck, den ich in der vorigen Nummer benutzt habe, hier wieder zu gebrauchen, "`das absolute Sein' durch `das absolute Nichts"': dieses eben ist das A und O des genzen Buddhismus. DaB dieses auch als die 6stliche Weisheit ttberhaupt, oder vielmehr als das 6stliche "Urerlebnis" zu betrachten sei, davon 18) Vbersetzung von: RzaRPpa>Jfi, vazaRPXdi. . 10 KoKvN SONODA habe ich in der vorigen Nummer erwahnt, aber durch die obigen ErOrterungen wird man auch ungefahr eingeshen haben, daB von allen den 6stlichen Gedankensystemen der Buddhismus insbesondere dieses allgemein-6stliche Urerlebnis am klarsten und am entschiedensten sich zum BewuBtsein gebracht hat. Noch ein paar Worte dttrfte ich wohl hinzufttgen, ob es auch ein biBchen zu weitlaufig klingen m6ge: von dem Schauen namlich. Wie genug erwahnt, kommt es bei der buddhistis:hen Lehre alles auf das Schauen der Leerheit, d.i. . der Ich-losigkeit aller Dinge. c.:-; aber dieses Schauen: das bedeutet keineswegs das im alltaglichen Sinne `'objektive" Schauen. DaB man die Ich-losigkeit der Dinge gegenstandlich schaut, gen"gt nicht, vor allem muB man dieselbige seiner selbst schauen, mit andern Worten, die Ich-losigkeit ich-los schauen. In diesem Sinne heiBt das Schauen vielmehr das Werden: wer selbst ich-los wird, der schaut erst die grUndliche Ich-losigkeit der Welt auch. Und: weil wer die Ichlosigkeit der Welt sehaut, der auch die So-heit schaut, so bedeutet das ich-losWerden sogleich die So-heit in sich ftthlen ; mehr noch : da es in dieser Situation kein Ich mehr gibt, so bedeutete "die So-heit in sich ftthlen" wiederum vielmehr, daB die eine ewige So-heit durch ein ich-loses Ich wirkt und lebt. Wie kOnnte sonst das Ich Uberhaupt die Ich-losigkeit seiner selbst schauen : wenn nicht ein Uber-ichtiges Licht das Ich durchleuchtete ! Nicht : ich schaue die So-heit, sondern : die So-heit schaut mich; die So-heit schaut durch mich hindurch die So-heit selbst'9)! Man wird sehen, wie sich mit der Vertiefung des religi6sen Erlebnisses des Schauens die heilige So-heit, diese positive Seite, oder sozusagen die "sichtbare" Seite der Leerheit, in den Vordergrund hervordrangt und als solche angebeten zu werden anfangt: die So-heit (die "wahre So-heit"20)) ist nun das "heilige Sein" an sich. Diese allein ist wahr, diese allein real, unge- boren und unvergehend, kurz: absolut2'). Dieses absolute Sein eben ist die Basis der Erleuchtung gewesen, durch welche der Buddha Buddha wurde: die Buddhaschaft schlechthin22), sozusagen, vermittelst deren allein jeder einzelne 19) vgl. Meister Eckehart: Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht. Mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben. (Deutsche Predigten und Traktate, herausg. und tibers. von Josef Quint. S. 216. Predigt Nr. 13) 20) wahre So-heit:fika 21) Nur muB man darauf aufmerksam sein, daB dieses "heilige Sein" nach wie vor durch und durch auf der Basis der "absoluten Leerheit" besteht ; es soll keineswegs jenes "substanzielle Wesen" hinter der "Erscheinungen", wie es oben erwtihnt ist, sein. 22) Buddhaschaft schlechthin: dharma-ledya (f*9) in der buddhistischen Terminologie. Genau gesprochen, dharma-kaya kann nur die absolute Leerheit selbst sein. In der Tat kommt nachher allmtihlich die neue Form der Buddhaschaft, die der So-heit entspricht, zustande : sambhogaledya (eq,E}). Amida-Buddha z. B. geh6rt zu dieser Gattung ; sein Land sulehavati (auf japanisch: ts:E±) ist also die wahre So-heit an sich, die sichtbar gewordene Leerheit sozusagen. ICHTS UND NICHTS (Il) lt Buddha23) Buddha ist; nun ist atich der Sakyamuni-Buddha nur einer der wie ' die Sande des Ganges unzahlbaren Buddhas, die von der ewigen Vergthngenheit bis in die endlose Zuktinft hinein einer' nach dem andern aus jener unsichtbaren Basis erscheinen und wieder dorthin verschwinden, Auch wir k6npen durch das Anteilhaben an'dieser Buddhaschaft ebenfalls erldst werden. Man ist in einer Nacht von der Niveau der alltaglichen Ichtigkeit auf den der heiligen Bud- dhaschaft konserviert: Nun sieht man alles mit dem Auge des Buddha, man tut alles im Leben des Buddha: nicht ich handle, nein, es handelt in mir!-Der sogenannte Mahayana-Buddhismus2`) ist nichts anders als das ungeheure religiOse System, das in dieser Richtung der Positivierung und'Religiosierung (?) der Lehre sich mannigfaltig entwickelt hat. . Aber ich bin wahrscheinlich ein biBchen zu weit ausgeschweift, denn dieses alles gehdrt vielmehr zu der Entwicklung nach dem Tode des historischen Buddha und meistens auSer Indien, besonders in China und Japan. Der historische, indische Buddha ist noch nicht zu diesem AuBersten gelangt ; vielmehr scheint er sich damit begnUgt zu haben, diese Seligkeiten eher mit negativen Aussagen nur zurUckhaltend anzudeuten, und das mit Recht: wo man.vor seinenieigenen Augen die' verkOrp¢rte BUddhaschaft personlich gehen und kommen sieht, wozu denn brauchte man die geschwatzigen Deuteleien darUber! Aber in dieser erhabenen Pers6nlichkeit leben und weben schon und bereits alle die MOglichkeiten zu den spatern Positivierungen und Religi6sierungen lebhaft; wer in ihm, von seinen ruhigen, bescheidenen AuBerungen getauscht, nichts mehr als einen ironischen Negativisten sehen konnte, der begeht einen ungew6hnlichen Irrtum・ DaB der Tod ihres Stifters der Lehre selbst eine neue sprunghafte Entfaltung verursache, das ist nicht der Fall, der allein in der buddhistischen Geschichte gesehen worden wtire. VIII Indem ich eigentlich die Spezialitat des Buddhismus innerha}b der indischen Denkweise m6glichst in BerUhrung mit den wirklichen GeistesstrOmungen betrachten wollte, habe ich unbemerkt die indische Grenze Uberschritten, aber ich glaube, daB die eigentUmliche Stellung dieser Lehre auch binnen Indien unterdessen von selbst einigermatsen klar geworden ist. Hier will ich aber noch einmal 23) der einzelne Buddha: nirmdina-ledya (Pif9), d. i. der zeit- und ortgemaB erschienene Buddha. Dharma-ledya, sambhaga-ledya und nirmdina-ledya : diese drei Formen der Buddhaschaft sind "dreierlei K6rper des Buddha" genannt. 24) Mahayana (:das groBe Vehikel), im Gegensatz zu Hinayana (:das kleine Vehikel) ' 12 KoKuN ,SONODA den sogenannten brahmanischen Gedanken besonders hervorheben und ihn ein Weilchen dem Buddhismus gegentiberstellen ; denn dieses echt indische Gedanken- system, das wie bekannt in der ur-indischen heiligen Schrift Veda keimt nnd besonders in den Upanishaden in einem tiberwa!tigenden Glanz systematisiert ist, ist von den allgemeinen Europaern fUr das nicht gerade einzige, doch stellvertre- tendste und das hochste Produkt des indischen Geistes gehalten worden, und in der Tat ware es auch nicht zu leugnen, daS es wenigstens der Grund und Boden aller spatern indischen philosophisch-religidsen Gedanken einschlieBlich des Bud- dhismus sei, sodaB diese beiden Systeme noch konkreter zu vergleichen und die Gleich- und Verschiedenheiten beider genau zu begreifen, nicht nur notwendig ware, um die Mangelhaftigkeiten des oben Erwahnten zu erganzen, sondern auch dazu ntttzlich, unsre Darlegung wieder auf unser eigentliches Thema : "deutscher Geist und der Orient" zur"ckzulenken, denn das Indien, wo die Romantiker "das h6chste Romantische suchen" wollten, war nichts anders als das "brahmanische Indien", ebensowohl wie dasjenige, das der "west-Ostliche" Dichter Goethe, dessen Welt seltsam an die buddhistische erinnert, doch in Wirklichkeit als "verrUckt-monstros" verabscheute, ebenfalls es war25), also daB das brahmanische Indien im Spiegel des Buddhismus wieder zu prUfen, bei unsrem Thema in mehrerem Betracht wichtig ist, Mit einem Wort : Der Grundstandpunkt des Brahmanentums ist, wie schon erwahnt, derjenige der "Emanationstheorie", und diese vertritt die geistige Haltung, hinter aller vergtinglichen, mannigfaltigen Vielheit der Sinnenwelt eine absolute Einheit, das allein ewige, das allein unveranderliche Eine anzunehmen und die erstere als die Emanation aus dem letatern aufzufassen. Der Brahmanismus setzt von vorn herein als das Wesen des Universums das absolut Eine voraus: das "Brahman"26), das Ungeborene und Unsterbliche, das Ungeschaffene und ewig sich-selbst-gleich-Bleibende, das hinter allen den Erscheinungen der Vielheit selig und unbeweglich in sich rnht. Diese Vielen aber, die aus jenem Ursprung ausgewandert und doch von der "Schleier der Maja " umhUllt,ihres eigenen Ursprungs vergessend durch viele Geburten und Tode umherirren, auch diese haben eigentlich, da sie doch einmal die Ausflttsse aus jenem Ursprunge sind, je das Brahman in sich. Brahman in dieser Form, d. i. im Herzen der einzelnen Wesen, heiSt der "Atman" ("das Ich"). Wer sich in seinem Innern dieses "wahren" Ich bewuBt wird, dem wird sein Atman, der "kleiner als ein Reiskorn oder 25) Obgleich sie, nicht zu spre¢hen von Goethe auch die Romantiker sogar, noch nicht direkt aus den Texten der Upanishaden exakte Kenntnisse darUber gehabt, sondern durch die spatere Literatur nur mittelbar erkannt hatten. Selbst Schopenhauer, der bei jenen den "Trost meines Lebens und den meines Sterbens" gesehen haben wollte, benutzte noch jene verruchte fehlervolle Auszugs- und Uberdies mittelbare Ubersetzung : "Oupnek'hat". 26) Brahrnan (jliE), nachher auch als Brahma (rcJEi) personifiziert. ICHTS UND NICHTS (Il) 13 Gerstenkorn oder Senfkorn oder Hirsekorn oder eines Hirsekorns Kern" ist, auf einmal "groBer als die Erde, gr6Ser als der Luftraum, gr6Ber als der Himmel, gr6Ser als alle Welten." Nein, er ist die ganze Welt, die Welt selbst, "dieses All", denn Atman ist an sich mit Brahman identisch, ist nichts anders als Brahman selbst gewesen. "Tat tvam asi" (Das bist du):dieses "groBe Wort", das seit Schopenhauer als die Essenz der ganzen indischen Weisheit den Europaern weitbekannt ist, ist der einfachste und der umfassendste Ausdruck diesgr Theotie der Identitat von Brahman-Atman. Alle die leidvollen Seelenwandrungen (Samsara2')) waren einzig und allein aus dem Unwissen dieser Wahrheit gestammt, wer aber einmal diese Weisheit erlangt hat, ist damit ein- fur allemal aus dem Geburteni' kreislauf ausgetreten, er ist er16st, ist in seine selige Urheimat zurUck. Wenn man nun die obige fiUchtige Zeichnung der brahmanischen Lehre unvorsichtig hinliest, k6nnte man darin allzu viele direkte Vorklange der bud- dhistischen vernehmen, besonders da man vorwiegend den spatern "entwickelten" Buddhismus, den Mahayama-Buddhismus namlich, im Augen haben : viele Worte, die man da von den Seligkeiten der "wahren So-heit" redet, klingen sogar, als hOrten wir die Denker der Upanishaden selber von ihrem Brahman Lob preisen・ Auch was die Lehre des Buddha selbst betrifft, kann es uns nicht entgehen, daB .diese nur auf dem Boden, den vor ihm die Brahmanen emsig bgreitet hatten, gewachsen ist: die Grundstimmung, in der die Lehre steht, ist gemein, die ein- " zelnen stoMichen Elemente, mit denen die Weltanschauung konstruiert ist, ererbt. Aber trotz alledem! Hier ist es ein wichtiger Unterschied vorhanden, ein entschiedener, der die ganze Richtung der Weltanschauung umwendet und alle die einzelnen Werte umwertet. Ein achtsamer Leser wUrde schon langst bemerkt haben, daB dieser Unterschied in nichts anderm als in der Frage besteht: "atman" oder "anatman"? Das ganze buddhistische Gedankensystem stammt aus der einzigen Erleuchtungs-Erfahrung des Buddha, und diese besteht in dem Schauen qes anatman aller Dinge, w2hrend das brahmanische sich auf das Wahrnehmen des atman hinter der Welt und in sich grUndet : gerade in der Erkenntnis der Identitat des hinter- weltigen atman (Brahman) mit dem in sich (Atman) besteht seine Er16sung. Wenn man sagt: die Welt ist leer, so meint damit ein Brahmane nur die Nichtigkeit der auSeren Erscheinungswelt und will damit im Gegenteil innen die ontologische Wesenhaftigkeit des Brahman-Atman gefunden haben, wahrend es fUr einen Buddhisten gerade die ganzliche Leerheit, d. h. die Substanzlosigkeit al1er Dinge bedeutet : nicht nur der phanomenalen sondern auch der wesentlichen, nicht nur der aufterlichen sondern auch der innerlichen ; die Unterscheidung von 27) Samsara:wtas 14 KoKuN SONODA L Wesen und Erscheinung selbst ist die Illusion, die jene urtUmliche Anhanglichkeit an die Ich-Substanz sich erdichtet hat und umgekehrt auch diesen Urwahn immer mehr・ vertieft. Weder in noch hinter der Welt gibt es dberhaupt ein bestandiges Wesen, alles schwebt in einem fortwahrenden ProzeB des Entstehens und Vergehens. "Die brahmanische Spekulation, die der Upanishaden, ergreift in allem Werden das Sein, die buddhistische in allem scheinbaren Sein das Werden. Dort die kausalitatslose Substanz, hier die substanzlose Kausalitat."28) Nicht nur das Atman als das wahre Ich in mir, sonde'rn auch das Brahman als das bestandige Wesen der Welt wird von den Buddhisten als irrtUmliche "Meinung", die das tiefeingewurzelte Dasein des Ich-Gedankens beweist, ferngehalten. Gerade dieses Ich-Gedankens wegen waren wir durch viele Geburten und viele Tode gewandert, wahrend ftir die Brahmanen die$er endlose "Samsara" allein vom Vergessen des wahren lch herriihrte. ' Kurz : das ganze brahmanische Gedankensystem beruht auf dem Fundament der scharfen Unterscheidung von Wesen und Erscheinung ; jenes nur ist bestandig, diese unbestandig. Aus der unbestandigen Erscheinung in das bestandige Wesen hinein-dies ist die brahmanische ErlOsung, um ohne Umschweife zu sagen. Aber diese "ErlOsung": Ist sie nicht ganz synonym mit der "Flucht"? Aus dem Diesseits in das Jenseits, aus dem AuBen nach dem Innen, aus dem Werden in das Sein? Der brahmanisch Erloste kommt nie wieder in diese Welt zurUck. Wie groBartig und unergrtindlich tief dieses metaphysische Universum auch sein mag, eine weltverachtende Abstraktion ist das ganze System letzten Endes ; eines mangelt hier ganzlich: der Sinn fur die Realitat, fttr die nttchterne Wahrheit dessen, was ist. Realitat ist den Metaphysikern der Upanishaden nur Wahn, der das wahre Wesen verschleiert. Atman-Brahman ist gewOhnlich als ein "All-Einer" charakterisiert, aber in Wahrheit ist er nur ein Einer, denn der Atman ist keine besondere und werdende Seele, sondern ein einformiges und steinernes "Ich", ganz identisch mit dem Brahman, das auch seinerseits ein ewig sich-selbst-gleichBleibendes ist. Mit dieser Identifikation wird die Vielheit, Besonderheit, Wandel- barkeit, mit einem Worte, die Realitat ein- fUr allemal weggelassen. Dieses Universum hat nur Innen, kein AuBen, ist einseitig uberrealistisch, jenseitig, metaphysisch und ontologisch. Wie anders ist es bei den Buddhisten. Wie sie durch das Schauen der ganzlichen Leerheit die heilige So-heit schauen, mit andern Worten, alle die Dinge, wie sie sind, bejahen konnten, darUber will ich hier zu wiederholen vermeiden. Was uns aber am meisten wundert, ist, daB diese totale Bejahung nur durch die 28) H. Oldenberg, Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. 4. Aufl. 1903. S. 290. rDieses allgemein anerkannte Studium des Buddhismus, dem aUch der Schreiber vieles verdankt, ist dem Rufe getreu, wenigstens in Bezug auf das Versttindnis des "Ur-Buddhismus", ausgezeichnet. ICHTS UND NICHTS (II) 15 totale Verneinung vollbracht ist; aber genau Uberlegt, so war es eben natttrlich. Denn Null ist gleich unendlich, unendlich ist gleich Null, wer.sich in die absolute Null hineinwirft, der gewinnt zugleich das absolute Ja. Dadurch wird sowohl das ganze Dasein samt seinen unendlichen Moglichkeiten im ganzen gutgeheiBen, als alle die verschiedenen Einzelheiten auch einzeln bewilligt, denn diese "begrenzten" Einzelnen sind in ihrer Begrenztheiten, doch jedes an und fttr sich, ein sich-Manifestieren des "unnennbagen Nichtigen" im grundlosen Urgrund des Weltdaseins. Die sogenannte So-heit ist nichts anders als die gestaltlose Gestalt dieses nirgends Seienden, das in jedem "Hier" und in jedem "Jetzt" sich offenbart. Die "Erscheinungen" sind nicht mehr der Wahn, der das "Wesen" verschleiert, sondern je unersetzliche Manifestation des einen ewig-Jetztigen. Man wird sehen, wie hier jene abstrakte Unterscheidung von Wesen und Erscheinung tiberwunden, wie die Zweiheit von Realittit und Idealitat, Jetzt und Ewig, Hier und Vberall usw. glanzend aufgehoben ist. "Blau im blauen Glanz, Gelb im gelben Glanz, Rot im roten Glanz, und WeiB auch im weiBen Glanz"29), so heiBt es in einem Mahayana-Sutra von der Welt der So-heit. Hier ist schon das brahmanistische steinerne Ich zerschlagen, und doch : eben dadurch ist ein neues "Ich", wennman will, lebhaft da: das ich-lose Ich, das Richt mehr an sein eigenes "Wesen" sich anklammert, sendern in der Leerheit ein- fUr allemal gestorben, und eben dadurch neugeformt wiedergeboren ist. Nun ist Blau in seiner Begrenztheit doch ganz, Gelb, Rot und WeiB sind alle auch so. Die Welt der So-heit ist die organische Ganzheit, die aus solchen ich-losen Ich gewoben ist, wo das lebhafteste "In- und Durcheinander" des . Allgemeinen und des Besondern, des Besondern und des Besondern gegenwartig ist,-Solch eine Welt liegt aber, von unsrer alltaglichen, vom "Ich-Gedanken" konstruierten' Welt aus gesehen, in dem absoluten Jenseits, aber wenn man einmal den "Ich-Gedanken" vollig aufhebt, schlagt es zugleiqh in das absolute Diesseits um30). Dieses absolute Diesseits ist-die Welt der So-heit. Dies ist die Idealwelt der Buddhisten, die in Wahrheit einzig real ist, weil es einzig wahr 29) Vbersetzung von : Fastsfi)E, erthfi)t], 2fikthatk)kEl, tsCfte)Ej (in der chinesischen Version des kleineren Sukhavati-vyuha-Sutra). Diese Worte sind in der Beschreibung des "sukhavati", des Landes Amida-Buddhas, enthalten, aber, wie oben erwtihnt (s. S. 10, Anm. 22), ist sulehavati ein symbolischer Ausdruck der So-heit. 30) Wenn man sich mit der Terminologie des Buddhisrnus beschaftigt, muB man sich behutsam davor hUten, sie mit den brahmanischen Begriffen zu verstehen. Das buddhistische "Jenseits" z. B. ist nicht wie das brahmanische das hinterweltige "Wesen" jenseit der "Erscheinungswelt", sondern vXerneint sowohl diese ,,Erscheinungswelt" als jenes "Wesen": es Iiegt, um mit den brahmanischen Begriffen zu sagen, noch jenseit von Diesseits und Jenseits, also daB es auch das Diesseits umgreift. Diesseits kann nur auf dem Grund des Jenseits bestehen. Ebenfalls beim Worte "Ich". Wenn ein Buddhist vom "Ich" sagt, so meint er damit nicht mehr jene steinerne Ich-Substanz, sondern nur das ich-lose Ich, das durch das Sterben der Ich-Substanz von selbst da ist usw. 16 KoKuN SONODA ist: das "Nirvana". Nirvana ist nicht ErlOschen, sondern Hinabtauchen in die So-heit, und dieses Hinabtauchen bedeutet sogleich die erfrischte Wiederkehr in diese Welt: "In Geburten und Toden ist das Nirvana3')". ' Es ist gesagt: Sucht man ein.Wort, das in der buddhistischen Lehre die Stellung von "tat" (:Das=Brahman) in der brahmanischen einnimmt, so ist es "tatha": das namliche Wort, das ich mit "So-heit" ttbersetze. Nur durch die Vergleichung dieser beiden Worter, die das hochste Prinzip ausdrticken, wird man den Unterschied des Grundcharakters dieser beiden sehen konnen: wie die Braimanen das Leben statisch betrachtet, wie die Buddhisten dynamisch. Eine andere Benennung des Buddha: tathagatha, die gew6hnlich als "der Vollendete" ttbersetzt ist, soll aber eigentlich sowohl tatha+agatha (in der So-heit Kommender) als tatha-gatha ( : in der So-heit Gehender) bedeutet hebensa). Dessen jedes Gehen und Kommen der ewigen Wahrheit entspricht, der mit jedem Tun und Lassen ein absolutes Ja schafft, in dem die heilige So-heit sich ruhig verwirklicht: der ist der Meister, in dem seine Anhanger und Anhangerinnen, Verehrer und Verehrerinnen die Ewigkit selbst im Jetzt und Hier leibhaftig wandeln sah. Aber ich bin nahe daran abermals vom Thema abzuschweifen. Ich wollte nur sagen : daB der nur negative und tiberrealistische Grundzug des indischen Geistes, der im Brahnanentum typisch entwickelt ist, von dem Buddhismus ausgezeichnet tiberwunden ist. In der Tat, der Buddhismus ist in diesem metaphysichen Land eine seltene realistische Religion. Die Realitat, die von den Denkern der Upanishaden vollig ignoriert und ausgeschlossen war, wird nun von dem Buddhismus neu belebt. IJnd doch diese neue Realitat! Die ist nicht mehr jene an sich selbst hartnackig sich anklammernde Realitat, sondern die in ihrem Urgrund nach der Leerheit hin immer weit gedffnete; wegen dieses Ge6ffnetseins eben ist sie auch von selbst in ihre eigene Gegenwart geschlossen. "Weiden grtin, Blumen rot!" -In der einfachen Ist-heit eines Weidengrttns die tiefe Ewigkeit ftihlen, in der schlichten Begrenztheit eines Blumenrotes das ganze Weltuniversum schauen: dies ist der neugeborne buddhistische "Realismus", oder noch richtiger, "Ideal- Realismus'1 Eines in Allem, und Alles in Einem: das "All-Eine" im v611igen Sinne des Wortes' kann nur bei den Buddhisten besprochen werden. Freilich kann es mOglich sein, daB dieser buddhistische "Realismus" nur unter dem starken EinfluB des chinesischen praktischen Geistes und besonders des japanischen klaren Kunstsinns zur heutigen Vollendung gelangt sei, doch wenigstens die Richtung dazu ist im indischen Buddhismus selbst bestimmt gegeben Und ist dieser gar, wenn man ihn mit der metaphysisch obskuren Welt der Upanishaden vergleicht, unvergleichbar gesunder, naiver, praktischer und natttrlicher; Nietzsche, der im 31) ljldiaumaee 32) tatha+agatha:ku)IE, tatha+gatha:anik ' ICHTS UND NICHTS (II) t7 Buddhismus "die einzige eigentlich 'positivistische Religion, die uns die Geschichte zeigt", die gegen eine Obergeistigung "hygienisch" vormugohen als ihr Ziel ansieht, finden wollte, ist doch scharfsinnig33). IX Um nun endlich auf unser eigentliches Thema zurtickzukommen : Wird nicht der Leser, der in der vorigen Nummer meine Beschretbung Uber den "west-6stlichen" Dichter Goethe im Vergleich mit den Rommtikern gelesen hatte und nun die obigen Erdrterungen vom Buddhismus im Vergleich mit dem Brahmanentum liest, wird er nicht verwundern, wie das innere Verhtiltnis zwischen Goethe und den Romantikern demjenigen ven Buddhismus und Brahmanentum ahnlich ist? Die brahmanische Negation, die durch den Wahn der verganglichen Erscheinung hindurch sich in das ewige Urwesen hineinzufinden trachtet, ist ganz des gleichen Typus wie die romantische Sehnsucht, sich der Fesseln der erstarrten Wirklichkeit zu entheben und in den einen uftendlichen Traum zurtickzufiieSen ; nur daes die Brahmanen jenes Urwesen als ein ewig ruhiges "Sein" erfassen, die Romantiker dagegen als ein unendlich fliel}endes "Werden" begreifen. Darin, daB sie das ganze Leben in zwei Halften, in das Wesentliche und das Unwesentliche verteilen und durch die Verneinung der einen Halfte sich in den Busen der andern zu fittchten trachten, sind sie vollkommen einerlei. Zwar halten sie beide angeblich dl'e Gestalten der Endlichen f"r die Emanation aus dem Einen, far die Allegorien des Unendlichen, aber das ist nur vorlaufig: letzten Endes ist fttr sie die Realitat nur' ein ungentigender Schatten, und in diesem Sinne i$t sie nach wie vor der Wahn, der die wahre Beschaffenheit,des Lebens verschleiert und folglich unbedingt zu beseitigen istr Die romantische Sehnsucht wie die brahmanische Weisheit kommt nie zur Bejahung der Realitat zurUck: sie sind beide einseitig Uberrealistisch, einseitig innerlich, einseitig metaphysisch, Negation wie Position ist bei ihnen halbwegs. Wie anders ist es bei Goethe, wie anders bei den Buddhisten! Fttr jenen wie fUr diese ist diese Realitat mit all ihren mannigfaltigen Farben und Klangen nicht mehr eine bloBe UmhUllung des Wesentlichen, sondern, an und fttr $ich, fur jenen das einmiige Gleichnis des unbeschreiblich Ewigen, fdw diese die heilige So-heit des unnenpbar Nichtigen. "Es sei wie es wolle, es war doch sch6n!" (Faust)-Dieses erhabene "Ja" fUr das ganze Dasein mitsamt all seinen Qualen und Freuden, Lichtern und Schatten, in welchem der alte Dichter steht : Erinnert dieses nicht an das groSe Wort, das die buddhistische Allbejahung kUhn ausdrUckt, "In Geburten und Toden ist das Nirvana"? Oder an jene tiefe Ehrfrucht der ' tt 33) Fr. Nietzsche, Der Antichrist. 20. 18 KoKuN SONODA, Buddhisten vor allen den Gegebenen, vor Augen Stehenden, zufallig Getroffenen ? "MUsset・ im Naturbetrachten Immer eins wie alles achten; Nichts ist drinnen, nichts ist drauBen : Denn was innen das ist auBen. So ergreifet ohne Saumnis Heilig 6ffentlich Geheimnis," (Epirrhema) "Natur hat weder Kern Noch Schale, Alles ist sie mit einem Male." (Allerdings) Die hier von dem Naturforscher Goethe herrlich formulierte Aufhebung von Eins und Alles, !nnen und AuBen, Kern und Schale: Erinnert die auch nicht an die gro6artige Beschreibung in einem Mahayana-Sutra "Avatamsaka-Sutra (Kegongy6)" von der Welt im "In- und Durcheinander des Ideelen und des Faktischen" ? Das Faktische ist an sich nichts anders als die lebendig augenblick- liche Offenbarung des Ideellen ; wer also das Besondere lebendig auffaBt, erhalt von selbst das Allgemeine zugleich mit. "Es ist ein groBer Unterschied, ob der Dichter zum Atlgemeinen das Besondere sucht, oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art ent・ steht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie; sie spricht ein Be- sonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faBt, erhalt zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst sptit." (SprUche in Prbsa. 363) ' Man m6ge zurttckdenken an meine Beschreibung in der vorigen Nummer tiber den "west-6stlichen" Symbolismus, den der Dichter im "Divan" sich zu eigen machte, der aber in Wahrheit nichts anders als der eigentlich Goethisehe gewesen war und nun durch den "Flammentod" im Osten letatlich vollendet der universale Stil des alten Dichters wurde. Der war, mit einem Worte, die kimstlerische Situation, wo man in allen den Realen, so wie sie sind, die lebhafte Gegenwart des ttberrealistisch Unendlichen, in allen den Verganglichen, so wie sie gehen und kommen, das g6ttliche G!eichnis des unwandelbar Ewigen schauen kann. Ist dies aber nicht sogleich der buddhistische "real-idealistische" Geist an sich ? Am merlrwUrdigsten ist aber, dats diese totale Bejahung des Realen nur durch die ebenfalls totale Verneinung dessen gewonnen ist. Filr den west-ostlichen Dichter liegt der Grund dessen, dats die Verganglichen ein unvergangliches Gleichnis des G6ttlichen sein k6nnen, gerade darin, daB sie an sich nichtig sind ; sobald man sie, an und fiir sich, ergreift und daran anhaftet, so werden sie im . ICHTS UND NICHTS (II) 19 Nu zu nichts, weil sie, an und .fttr sich, nichtig sind, eben deshalb k6nnen,sie so lebhaft das Ewige symbolisieren. "Das Hbchste ware, zu begreifen, daB alles Faktische schon Theorie isU Die Blaue des Himmels offenbart uns das Grundgesetz der Chromatik Man suche nur nichts hinter den Phanomenen ; sie selbst sind die Lehre" (SprUche in Prosa. 916) Weil die Phanomenen hinter sich ihr eigenes "Wesen" nicht verbergen, mit andern Worten, weil sie an sich leer sind, k6nnen sie selbst die Lehre sein. Wer mit den Phanomenen nicht zufrieded ist und ein Weiteres dahinter suchen will, der ist `・`den Kindern ahnlich, die, wenn sie in einen Spiegel geguckt, ihn sogleich umwenden, um zu sehen, was auf der anderen Seite ist." (Eckermann, den 18.' Februar 1829) In dieser Weisheit aber sind die Buddhisten noch grttndlicher. Sie dringen no'ch in die Tiefe des grundlosen Urgrundes des samtlichen Daseins hinein und finden da die absolute Leerheit; sogar das brahmanische "Sein" muBte von ihnen als eine Ausartung des "Ich-Gedankens" abgelehntwerden. Aber diese Leerheit: die war nicht jenes "einseitige" Nichts, das das "Sein" einfach vernichtet, sondern im Gegenteil das "schaffende" Nichts, das in der ganzlichen Nichtigkeit seiner selbst, aus dem grundlosen Grund, Dinge auf Dinge unersch6pfiich erzeugt, die Null, voll unendlicher M6glichkeiten. Alle die Seienden sind nur als das sich-sichtbar-Machen dieses schlechterdingS Unsichtbaren, nirgends-Seienden, da. Da wird das samtliche Dasein, das einmal ganzlich verneint war,'als ein neues "heiliges" Sein im ganzen gutgehemsenL Das buddhistische Sein besteht doch nur auf der Grundlage der absoluten Leerheit.-Nicht bis in diese grttndliche Leerheit des samtlichen Daseins hinein aber ist Goethe gedrungen. Er bleibt an der Grenze des "Urphanomens" stehn (Geothes "Urphanomen" entspricht etwa der "So-heit" der Buddhisten) und will das Weitere rpit Erstaunen ruhig ver-' ehren, denn dieses sei "die Grenze der Menschheit"., In diesem Punkte ist er doch ein Kind des Abendlandes, das ja eigentlich das Land des "Seins" ist; er wagt nicht wie die Religion des Ostens, der auch von Natur die Welt des "Nichts" ist, bis in das grtindliche Nichts hinein. (Auch daB Goethe ein Kimstler und Naturforscher ist, dagegen der Buddhismus eine Religion, wird dazu Beziehung haben.) Aber, nur von diesem Punkte abgesehen, stimmt die symbolische Weisiheit des alten Dichters, womit er wirklich lebt und dichtet, mit der buddhistischen Weisheit wunderbar ttberein. Ich habe in den vorhergehenden Abschnitten von dem Buddhismus sehr viel gesprochen, vielleicht sogar mehr als unsrem Thema gehdrig; das kommt aber daher, auBer daS ich bedaure, daB man nicht selten, besonders in Europa, die positive Seite dieser Lehre nicht genug wUrdigt, daes die buddhistische Weisheit allzu dringend an die des alten Goethe erinnert. 20 ・ KoKuN SONODA Eigentlich m6chte ich noch allerlei Uber diese Obereinstimmung sprechen; nur aus Furcht davor, dafi ich meine Leser mit weitlaufigen Wiederholungen beltistigen mdge, gebe ich mich mit dem obigen kurzen Umrits zufrieden und erwarte das weitere dem Durchlesen des ganzen Aufsatzes von Seiten der Leser. Daes die Romantiker, diese westliche Vberrealisten an der brahmanischen Metaphysik, diesem 6stlichen Oberrealismus, gr6Bten Anteil nahmen und in jenem traumhaften Land "das h(Schste Romantische suchen" wollte, war sehr natUrlich. (VomBuddhismus sind die Romantiker nicht gerade gar unwissend, aber ihre Ansicht davon ist nicht wenig fehltreffend. Das romantische Indien ist schlietslich das brahmanische. Ich habe bei einer Gelegenheit Uber die Ansicht Fr. Schlegels vom Buddhismus ein wenig erwahnt.3`)) DaB Goethe dieses bralmanische Indien nicht leiden konnte, dies ist auch leicht zu verstehen. Aber daB er, der vom Buddhismus gar nicht kannte-er war eben buchstablich unwissend davon-doch diesen geistigen Zustand, der mit jenem auf eine geheimnisvolle Weise "bereinstimmt, erreicht hat, ist gerade ein Wunder. Ich hatte in der vorigen Nummer festgestellt, daB die "west-Ostliche" Weisheit, die sich der Dichter im Osten zu eigen gemacht zu haben glaubte : "Stirb und werde!", oder um einen ntichternen Asudruck zu gebrauchen, "die totale Bejahung durch die ' totale Verneinung", daB diese Weisheit in der Tat die "Ostliche" Weisheit tiber- haupt oder vielrnehr das Urerlebnis gewesen war, und daB dieses Ostliche durch den "Divan" wieder in die rein "westliche" Energie umgewandelt ist. Nun glaube ich in der vorliegenden Nummer aufs neue festgestellt zu haben, dats auf der andern Seite diese allgemein-dstliche Urerlebnis gerade von dem Buddhismus am k!arsten und am entschiedensten zum BewuBtsein gebracht worden ist. Folglich, auch wenn zwischen diesen beiden, die sich einander gar nicht kannten, eine seltsame Ahnlichkeit existieren moge, ware es nicht gerade ein Wunder : so kdnnte rnan auch sagen. Aber, um die Wahrheit zu sagen, solch eine gezwungene Verbindung ist einfach UberfiUssig. Angesichts dieses groBen Wunders sollten wir vielmehr vor der Tiefe der Menschheit voller Ehrfurcht schweigen. (SchluB) NB. Das Ichts, solange es Ichts ist, kann die endgttltige Auseinandersetzung mit dem Nichts nicht entbehren ; es kommt endlich die Zeit, wo das grthndliche Nichts, das Goethe mit allen seinen Kraften der Resignation jenseits der Ehrfurcht unberUhrt sein lassen wollte, auch im Westen, diesem Lande des Ichts, in seiner 34) In meinem auf japanisch geschriebenen Aufsatz: "Vber das indische Studium der Brtider Schlegel (Fvx..v-b',vSilrecDI y FMXec')vi'(] Jf<wtN[SZJi<e}2relj, eg7F,g, eg-trg)・ Da ist auch das indische Studium Uberhaupt dieser Brtider ziemlich gegenstandlich erforscht. ICHTS UND NICHTS (II) 21 ganzen Gestalt zum Vorschein kommt. Der erste AnkUndiger dessen war Nietzsche. Vor ihm aber steht Schopenhauer, der dern BewuStsein der Europaer zum ersten Mal das buddhistische Indien, nicht nur das brahmanische, mit seinem unheimlichen Nichts, einpragte. Zwar brauchte sein Verstandnis des Buddhismus genau wiedergepr"ft zu werden : erstens unterscheidet er diesen von der Lehre der Upanishaden nicht, sein "Buddhismus" ist ein seltsames Gemisch von diesen beiden, zweitens begreift er diesen allzu negativ, er ergreift namlich die negative Seite dessen scharf, aber daS bei dieser Lehre die Negation von selbst die Position ist, das versteht er nicht. Aber auf jeden Fall ist es sein Verdienst, daes sich die Europaer mit dem absoluten Nichts, das nicht mehr die romantische relative Negation war, bekannt machten. Nietzsche empfing dieses Nichts von ihm und trachtete umgekehrt daraus die dionysische Allbejahung herauszuchmieden; er kdndigte mit der prophetischen Scharfe die notwendige Herankunft des "europaischen" Nihilismus an und wollte ihn "als der erste vollkommene Nihilist Europas" zu Ende leben, um dahinter zu kommen, dieser Versuch gelang ihm aber nicht und stUrzte ihn umgekehrt in den Abgrund des Wahnsinns. Erst mit der Umwendung des Jahrhunderts wird diese bahnbrechende Qual Nietzsches verstanden : der Nihilismus ist auch schon da. Die Finsternis des Nichts, die das gegenwartige Europa umhtt11t, ist nicht mehr die der romantischen Nacht, sondern das abgrimdige nihil, das sowohl den Tag als auch die Nacht samt und sonders hinunterschltickt: hier ist der entschiedene qualitative Unterschied zwischen der romantischen "Nacht" vorigen Jahrhunderts und dem heutigen "nihil". Im Verlauf dieser Entwicklung nun scheint auch die buddhistische bzw. indische Negation Uber den Weg von Schopenhauer-Nietzsche oder sonstigen Weges, ob bewuBt oder unbewuBt, ob aktionar oder reaktionar, nicht wenig mit im Spiel zu sein. Nur bedaure ich, daS dieser "europaische Buddhismus" bis jetzt viel weniger der ()berwindung dls der Bef6rderung des Nihilismus beigetragen zu haben scheint. Wie es dem auch sei: das heutige europaische bzw. deutsche Geistesleben, das sich doch in gewissem Sinne um die Achse des "Ichts und Nichts" herumdreht, von dem obigen Standpunkt auS nachzuprUfen, ware ein viel verheiBender Versuch. . . 22 KoKuN soNODA Druckfehlerverzeichnis der vorigen Nummer i s. s. s. 3,5,6,9, s. falsch z. 8 von unten z. 9 v. unten z. 18 z. pt v. unten sie indischeh ' Anfhebung Setzen Sie nach dem Worte : die Welt der "Unbegrenztheit", 18 s. 12, z. 17 s. 16, z. 3 v. unten s. 11, z. . s. 17, z. 19-20 s. 17, z. 16-15 v. u. s. 19, z. 19 s. 19, z. 13 v. unten z. 11 v. unten richtig sich indischen Aufhebung diese Worte ein: und diese orientalische "[in- bagren2theit" Durchzeicknung Durchzeichnung kUnsttiche west-dstlicher ktinstlerische Setzen Sie nach dem Worte : die Frage, die die die "romantische" west-6stliche dieses Wort ein : ich die "romantische" west-6stlich west・Ostliche hrevorbrachte s. 20, z. 9 zurtickgewiesne hervorbrachte das Geethische Universum zuruckgewiesen s. 20, z. Snandpunkte Standpunkte s. 19, 5 v. unten N . das Universum