Diagnostik und Therapie der Lese-Rechtschreib

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MEDIZIN
Diagnostik und Therapie der
Lese-Rechtschreib-Störung
3
Punkte
cme
Gerd Schulte-Körne
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Die Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) gehört mit
einer Prävalenz von 5 Prozent zu den häufigen umschriebenen Entwicklungsstörungen. Sie ist durch eine erhebliche Beeinträchtigung des Lesens- und des Rechtschreiberlernens
gekennzeichnet.
Methode: Selektive Literaturrecherche unter Einbeziehung
der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
Ergebnis: Etwa 40 bis 60 Prozent der Kinder mit einer LRS leiden unter psychischen Symptomen wie Ängstlichkeit, Traurigkeit und verringerter Aufmerksamkeit. Die Diagnostik umfasst neben einer symptomspezifischen Testdiagnostik die
Untersuchung der psychischen Befindlichkeit des Kindes unter Einschluss der Eltern und der Schule. Die Therapie basiert
auf der spezifischen Förderung in den beeinträchtigten Lernbereichen und – bei Vorliegen psychischer Störungen – in
einer psychotherapeutischen Behandlung. Zur Prävention
liegen evaluierte Konzepte für den Einsatz im Kindergarten
und für zuhause vor.
Schlussfolgerung: Die LRS sollte anhand des multiaxialen
Schemas diagnostiziert werden. Es fehlen empirische Studien zur Wirksamkeit der Förderung bei der Lese-RechtschreibStörung. Durch gezielte Prävention im Kindergarten können
die Voraussetzungen für das Lesen und Rechtschreiben in der
Schule verbessert werden.
►Zitierweise
Schulte-Körne G: The prevention, diagnosis, and treatment
of dyslexia. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(41): 718–27.
DOI: 10.3238/arztebl.2010.0718
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, München: Prof. Dr. med. Schulte-Körne
ie Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) gehört zu
den umschriebenen Entwicklungsstörungen. Die
Kernsymptome der LRS können zum Teil bis in das Erwachsenenalter fortbestehen. Etwa 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen leiden an einer LRS (1). Die mit
dieser Störung häufig auftretenden psychischen Störungen belasten die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit einer LRS sehr.
Kennzeichnend ist eine spezifische, isolierte Leseund Rechtschreibstörung, die nicht durch eine verzögerte Entwicklung kognitiver Fähigkeiten oder Intelligenzminderung erklärt werden kann. Trotzdem ist das
Vorurteil, Kinder mit einer LRS (auch Legasthenie genannt) seien dumm und nicht für das Gymnasium geeignet, sehr verbreitet.
Das Internationale Klassifikationsschema für psychische Störungen (2) und das diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen (3) beschreiben diagnostische Kriterien, anhand derer die Lese-RechtschreibStörung und – im ICD-10 zusätzlich die isolierte Rechtschreibstörung – festgestellt werden können. Obwohl in
beiden Klassifikationssystemen die LRS unter den psychischen Erkrankungen aufgeführt wird, vergleichbar den
Sprachentwicklungsstörungen und den Störungen der motorischen Entwicklung, wird die LRS im deutschen Gesundheitswesen trotz erheblicher Proteste von Eltern und
Betroffene, die die Behandlungskosten selbst übernehmen
müssen, nicht als Krankheit anerkannt. Im Heilmittelkatalog wird die Behandlung der Legasthenie explizit
ausgeschlossen. Ein möglicher Grund hierfür ist, dass Legasthenie bis in die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts
als eine pädagogisch verursachte Störung aufgefasst wurde. Die Ergebnisse der Grundlagenforschung der letzten
30 Jahre zeigen aber, dass neurobiologische Korrelate der
LRS vorliegen und dass genetische Faktoren die Leseund Rechtschreibfähigkeit beeinflussen (e1– e4).
Die vorliegende selektive Literaturübersicht basiert auf
den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.
D
Teilnahme nur im
Internet möglich:
aerzteblatt.de/cme
Prävalenz
Etwa 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen
leiden an einer Lese-Rechtschreib-Störung.
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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 41 | 15. Oktober 2010
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Lernziele
Die Ziele dieser Übersicht sind:
● Verständnis über die Komplexität der Diagnostik
zu vermitteln
● die Möglichkeiten der Förderung bei der LRS aufzuzeigen.
Symptomatik
Die Lesestörung ist gekennzeichnet durch eine sehr deutliche Verlangsamung der Lesegeschwindigkeit. Oft benötigen Kinder mit einer Lesestörung mehr als das Zweibis Dreifache der Lesezeit. Das verlangsamte Lesetempo
führt dazu, dass der Inhalt des Gelesenen nur schwer verstanden wird, insbesondere bei längeren Sätzen.
Die Zuordnung einzelner Buchstaben zu den entsprechenden Lauten ist sehr verlangsamt und häufig fehlerhaft. Kinder mit einer Lesestörung tendieren dazu, anstelle von Wörtern, die schwer zu lesen sind, inhaltlich
verwandte Wörter zu lesen. Einigen Kindern gelingt es,
auch wenn einzelne Wörter falsch gelesen werden (Esel
statt Segel), anhand der restlichen Wörter auf den Inhalt
des Satzes zu schließen. Daher ist es für die Diagnostik
von großer Bedeutung, nicht ausschließlich auf das Leseverständnis zu schauen, sondern auch auf die Geschwindigkeit, mit der einzelne Wörter laut gelesen werden.
Bei Erwachsenen mit einer Lesestörung steht ebenfalls eine beeinträchtigte Lesegeschwindigkeit im Vordergrund (4). Diese tritt insbesondere bei komplexen,
mehrsilbigen und seltenen Wörtern auf. In Belastungssituationen, zum Beispiel Lesen von Formularen auf einer Behörde oder vor Arbeitskollegen, nimmt die
Symptomatik zu. Die Lesestörung zeigt sich auch im
Zusammenhang mit dem Rechnen (beispielsweise das
Lesen von Textaufgaben) und beim Erlernen von
Fremdsprachen.
Die Rechtschreibstörung ist gekennzeichnet durch eine deutlich erhöhte Anzahl von Rechtschreibfehlern.
Kinder mit einer Rechtschreibstörung schreiben von
40 Prüfwörtern meist nur 10 Prozent richtig. Beim freien
Schreiben von Texten werden Wörter vermieden, von
denen die Kinder vermuten, dass sie sie nicht richtig
schreiben können. Dies wird oft als fehlender Wortschatz oder mangelnde Sprachbegabung aufgefasst. Es
handelt sich aber meist um eine Kompensationsstrategie, mit der Rechtschreibfehler vermieden werden sollen, die immer noch häufig mit Rotstift und negativen
Kommentaren durch Lehrkräfte korrigiert werden.
Die Entwicklung der Rechtschreibfähigkeit verläuft
in Stufen. Zunächst beginnen die Kinder lautgetreu zu
Symptomatik der Lesestörung
Die Lesestörung ist gekennzeichnet durch eine
deutliche Verlangsamung der Lesegeschwindigkeit.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 41 | 15. Oktober 2010
schreiben, zum Beispiel „Munt“ für „Mund“, oder
„heksen“ für „hexen“ (Abbildung 1). Bis alle LautBuchstaben-Verbindungen gelernt sind, vergeht meist
ein Jahr. Kinder mit einer Rechtschreibstörung benötigen für diesen Prozess oft zwei Jahre. Die nächste
Rechtschreibentwicklungsstufe ist das orthografisch
richtige Schreiben. Hierzu gehört unter anderem die
Groß- und Kleinschreibung, die Schreibung von Auslauten (Hund statt Hunt) und die Schreibung von Wortstämmen (Mutter statt Muter, da der Stammvokal kurz
gesprochen wird). Die Grundlagen des orthografisch
richtigen Schreibens entwickeln sich meist bis zum
Ende der 4. Klasse. Kinder mit einer Rechtschreibstörung haben bis ins Erwachsenenalter große Schwierigkeiten, Wörter orthografisch richtig zu verschriftlichen.
Ätiologisch abgrenzbare Subgruppen der Rechtschreibstörung lassen sich nicht differenzieren. Auch
Legasthenie-typische Rechtschreibfehler gibt es nicht,
sondern nur Fehler, die den einzelnen Entwicklungsstufen zugeordnet werden können.
Bei 40 bis 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen
mit einer LRS treten psychische Probleme auf. Dies
liegt deutlich über der Prävalenz psychischer Störungen, die nach den aktuellen Daten des Kinder- und Ju-
Abbildung 1:
Beispiel für lautgetreue Schreibweise im ersten Jahr
des Schrifterwerbs.
Normiertes Verfahren
zur Überprüfung der
Rechtschreibfähigkeit
Symptomatik der Rechtschreibstörung
Die Rechtschreibstörung ist gekennzeichnet
durch eine deutlich erhöhte Anzahl von Rechtschreibfehlern. Kinder mit einer Rechtschreibstörung schreiben von 40 Prüfwörtern meist
nur 10 Prozent richtig.
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Diagnostik
gendsurveys zwischen 5 bis 18 Prozent, abhängig von
den diagnostischen Kriterien und dem Störungsbild
(e5, e6), liegt. Bei Kindern mit einer LRS liegt bereits
im Grundschulalter eine erhöhte Anzahl an negativen
Gedanken, Traurigkeit, gedrückter Stimmung und
schulbezogener Ängste vor. Sie erleben sich häufig als
allein gelassen, von den Lehrkräften abgelehnt und zurückgewiesen.
Die Rate an lebensmüden Gedanken und Suizidversuchen ist bei Jugendlichen mit einer LRS dreimal so
hoch, verglichen mit Gleichaltrigen ohne eine LRS
(5, 6). Die Rate an depressiven Störungen ist bei Jugendlichen mit einer LRS doppelt so hoch, Angststörungen treten sogar dreimal so häufig auf (7). Zu den
häufigsten komorbiden Störungen im Grundschulalter
gehört die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (etwa 20 Prozent).
Außerdem, begründet durch die deutlich verbesserte
Diagnostik, werden immer häufiger Rechenstörungen
(Prävalenz der Rechenstörung circa 5 Prozent [e7]) entdeckt, die als kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten in der ICD-10 (F 81.3) klassifiziert werden. Viele
Jahre galt die Auffassung, wer im Lesen und Rechtschreiben erhebliche Probleme hat, muss gut im Rechnen
sein. Diese Auffassung wurde durch empirische Untersuchungen nicht gestützt. Vielmehr liegt bei etwa 20 bis
40 Prozent der Kinder mit einer Lese- und/oder Rechtschreibstörung zusätzlich eine Rechenstörung vor (7).
Obwohl ICD-10 und DSM-IV von einem Störungsbild ausgehen, das durch eine beeinträchtigte Entwicklung im Lesen und Rechtschreiben gekennzeichnet ist,
zeigt eine aktuelle Untersuchung das Vorliegen von
drei Störungen (8):
● eine kombinierte Lese-Rechtschreib-Störung (LRS)
● eine isolierte Lesestörung (LS)
● eine isolierte Rechtschreibstörung (RS).
Die Prävalenz der kombinierten Lese-RechtschreibStörung liegt bei 8 Prozent, die der Rechtschreibstörung
um 6 Prozent und die der isolierten Lesestörung um
7 Prozent. Unterschiedliche neurokognitive Defizite
scheinen diesen Störungen zugrunde zu liegen. Allerdings fehlen dazu noch valide Forschungsergebnisse (8).
Untersuchungen in großen epidemiologischen Stichproben haben wiederholt gezeigt, dass Jungen zwei- bis dreimal so häufig von einer LRS betroffen sind wie Mädchen.
Bei Differenzierung einer Lese- von einer Rechtschreibstörung zeigte sich, dass Jungen zwar häufiger Rechtschreibprobleme aufweisen, jedoch vergleichbar häufig
wie Mädchen von einer Lesestörung betroffen sind (8, 9).
Die Diagnostik der Lesefähigkeit sollte die Lesegeschwindigkeit, die Lesegenauigkeit und das Leseverständnis umfassen. Hierzu liegen für die 1. bis 6. Klasse
aktuell normierte Testverfahren vor (Tabelle 1). Um
Wortlesen und Leseverständnis zu überprüfen, ist die
Kombination verschiedener Testverfahren notwendig.
Die Durchführung erfolgt in einer Einzeltestung des Kindes mit dem Untersucher. Die Leistung des Kindes wird
mit der von Kindern der gleichen Klassenstufe verglichen. Normen liegen häufig für bestimmte Monate vor,
so dass die Tests nur in diesen begrenzten Zeiträumen
eingesetzt werden sollten. Testverfahren, deren Normierung mehr als zehn Jahre zurückliegen, sollten nicht verwendet werden. Es liegen ferner sogenannte Lese-Screenings vor, die für Gruppentestungen in Schulen, aber
nicht für die Standarddiagnostik geeignet sind.
Zur Überprüfung der Rechtschreibfähigkeit stehen
aktuell für alle Klassenstufen normierte Verfahren zur
Verfügung (Tabelle 2). Hierbei schreiben die Kinder
diktierte Wörter in Lückensätze (Abbildung 1). Abhängig vom Testverfahren liegt die Anzahl der Prüfwörter
zwischen 40 und 60. Der Test erfolgt ohne Zeitbeschränkung. Auch für diese Testverfahren gilt ein eingeschränkter Normierungszeitraum. Dies bedeutet,
Komorbiditäten
Lebensmüde Gedanken und Suizidversuche sind
bei Jugendlichen mit LRS dreimal so häufig wie
bei Gleichaltrigen. Die Rate an depressiven Störungen ist doppelt so hoch, Angststörungen treten
sogar dreimal so oft auf.
Lese- und Rechtschreib-Diagnostik
Die Diagnostik der Lesefähigkeit sollte die
Lesegeschwindigkeit, die Lesegenauigkeit und
das Leseverständnis umfassen. Hierzu liegen für
die 1. bis 6. Klasse aktuell normierte Testverfahren vor.
Die Diagnostik der kombinierte Lese-RechtschreibStörung und auch der isolierten Lese- und Rechtschreibstörung ist komplex und berücksichtigt neben
der Kernsymptomatik, der Lese- und/oder Rechtschreibstörung (beispielhaft):
● die psychiatrische Störung (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung)
● die kognitive Fähigkeit des Kindes (Intelligenz)
● organische Erkrankungen (Diabetes mellitus)
● psychosoziale Belastungsfaktoren (erhebliche schulische Belastungsfaktoren durch Mobbing)
● das psychosoziale Funktionsniveau des Kindes
(Kontaktverhalten zu Gleichaltrigen).
Diese Funktionsbereiche werden klasssifikatorisch
im multiaxialen Klassifikationsschema für psychische
Störungen (MAS, 10) und den dort definierten sechs
Achsen abgebildet. Die Entwicklungsstörungen werden
auf der II. Achse, die psychiatrische Erkrankung auf der
I. Achse, die Intelligenz auf der III. Achse, körperliche
Erkrankungen auf der IV., psychosoziale Faktoren auf
der V. Achse und das psychosoziale Funktionsniveau
auf der VI. Achse verschlüsselt.
Lese- und Rechtschreib-Diagnostik
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 41 | 15. Oktober 2010
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TABELLE 1
Übersicht für die Diagnostik der Lesestörung aktuell normierter Testverfahren*1
Testverfahren
Messvariable
Anwendungszeitraum
Normierung
Referenzen
ELFE 1–6
(ein Leseverständnistest für
Erst- bis Sechstklässler)
Geschwindigkeit und Fehler
beim stillen Wort-, Satz- und
Textlesen. Zeitliche Begrenzung für die einzelnen
Aufgaben.
jeweils die letzten 2 Monate
der 1.–6. Klasse
2.–6. KS: auch Schuljahresmitte
2004
Lenhard W, Schneider W: Ein
Leseverständnistest für Erstbis Sechstklässler. Göttingen:
Hogrefe 2006.
LGVT 6–12
(Lesegeschwindigkeits- und
-verständnistest für die
Klassenstufen 6–12)
stilles Textlesen, Beantwortung von Inhaltsfragen zum
Text. Zeitliche Begrenzung
für die einzelnen Aufgaben.
6.–12. Klasse (alle Schulformen). 2. Schuljahreshälfte
empfohlen
2003/2004
Schneider W, Schlagmüller
M, Ennemoser M:
Lesegeschwindigkeits- und
Verständnistest für die
Klassen 6–12 (LGVT 6–12).
Göttingen: Hogrefe 2007.
SLRT II
(Lese- und Rechtschreibtest)
Lesegeschwindigkeit und
Fehler gemessen innerhalb
einer Minute bei Vorlesen von
Wörtern und Pseudowörtern.
1.–6. Klasse und
Erwachsene
2007–2009
Moll K, Landerl K: SLRT II –
Lese- und Rechtschreibtest.
Bern: Verlag Hans Huber
2010.
SLS 1–4
(Salzburger Lese-Screening
für die Klassenstufen 1–4)
stilles Lesen von einfachen
Sätzen innerhalb von 5
Minuten, bewertet wird die
Richtigkeit der Aussage des
Satzes
Anfang 2. Klasse und jeweils
Mitte und Ende 2.–4. Klasse
unbekannt, vermutlich 2003
Mayringer H, Wimmer H:
Salzburger Lese-Screening
für die Klassenstufen 1–4
(SLS 1–4). Bern: Verlag Hans
Huber 2003/2005.
SLS 5–8
(Salzburger Lese-Screening
für die Klassenstufen 5–8)
stilles Lesen von einfachen
Sätzen, bewertet wird die
Richtigkeit der Aussage des
Satzes
jeweils Ende 5.–8. Klasse
unbekannt, vermutlich 2005
Auer M, Gruber G, Mayringer
H, Wimmer H: Salzburger Lese-Screening für die Klassenstufen 5–8 (SLS 5–8). Bern:
Verlag Hans Huber.
*1 Auswahl hinsichtlich der Aktualität der Normierung (nicht älter als 10 Jahre); KS, Klasse
dass die Rechtschreibtests nur dann eingesetzt werden
sollten, wenn Normen zu dem Testzeitpunkt vorliegen.
Intelligenzdiagnostik
Zur Erfassung der kognitiven Fähigkeit des Schulkindes mit einer LRS empfiehlt es sich ein Verfahren auszuwählen, das die Leistungsfähigkeit möglichst umfangreich abbildet. Hierzu bietet sich der HAWIK-IV
(Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder) an (11),
der für Kinder ab dem 6. Lebensjahr bis zum 17. Lebensjahr normiert ist. Neben sprachlichen Fähigkeiten
erfasst der Test logisches Denken, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Gedächtnisfähigkeiten. Dieses Verfahren ermöglicht anhand des Ergebnisprofils eine differenzialdiagnostische Abgrenzung einer Lese- und
Rechtschreibschwäche bei einer Intelligenzminderung
von einer Lese-Rechtschreib-Störung bei mindestens
im Durchschnittsbereich liegender kognitiver Fähigkeit. Der HAWIK-IV wird einzeln mit dem Schulkind
durchgeführt. Die Dauer der Testdurchführung ist ab-
Intelligenzdiagnostik
Zur Erfassung der kognitiven Fähigkeit des Schulkindes mit einer LRS bietet sich der HAWIK-IV an
(Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder), der
für Kinder ab dem 6. Lebensjahr bis zum 17. Lebensjahr normiert ist.
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hängig von der Aufmerksamkeit, Konzentration und
Motivation des Kindes. Oft ist es notwendig, das umfangreiche Testverfahren auf zwei Untersuchungstermine aufzuteilen. Um für die Schulkinder ein faires Ergebnis zu erzielen, ist es zwingend notwendig, die Testung am Vormittag durchzuführen, da die Leistungsfähigkeit meist zu diesem Zeitpunkt am höchsten ist.
Weitere Diagnostik
Neben der Entwicklungsanamnese kommt der schulbezogenen Anamnese eine große Bedeutung zu. Hierfür
ist es sinnvoll, Informationen über den Entwicklungsverlauf im Lesen, Rechtschreiben, Rechnen und anderen Schulfächern durch die Lehrkräfte zu erhalten. Unterstützt durch Schriftproben (zum Beispiel Geschichten, freie Texte, Diktate) von gegebenenfalls mehreren
Schuljahren kann der Verlauf der Schriftsprachentwicklung festgestellt werden. Zur Untersuchung der Emotionalität, von Ängsten und depressiver Stimmung
kommen neben der Exploration Fragebogenverfahren
Testbedingungen
Um für die Schulkinder ein faires Ergebnis zu erzielen, ist es zwingend notwendig, die Testung am
Vormittag durchzuführen, da die Leistungsfähigkeit meist zu diesem Zeitpunkt am höchsten ist.
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TABELLE 2
Übersicht für die Diagnostik der Rechtschreibstörung aktuell normierter Testverfahren
Testverfahren
Anwendungszeitraum
Normierung
Autoren
WRT 1+ (Weingartener Grundwortschatz Rechtschreibtest für erste und zweite Klassen)
letzte 2 Monate der 1. KS
erste 3 Monate der 2. KS
Januar/Februar 2. KS
2003/2004
Birkel P: Weingartener Grundwortschatz
Rechtschreibtest für erste und zweite Klassen (WRT1+). (2. neu normierte und vollständig überarbeitete Auflage) Göttingen: Hogrefe 2007 .
WRT 2+ (Weingartener Grundwortschatz Rechtschreibtest für zweite und dritte Klassen)
letzte 3 Monate der 2. KS
erste 3 Monate der 3. KS
Januar/Februar 3. KS
2003/2004
Birkel P: Weingartener Grundwortschatz
Rechtschreibtest für zweite und dritte Klassen (WRT2+). (2. neu normierte und vollständig überarbeitete Auflage). Göttingen: Hogrefe 2007.
WRT 3+ (Weingartener Grundwortschatz Rechtschreibtest für dritte und vierte Klassen)
letzte 3 Monate der 3. KS
erste 3 Monate der 4. KS
Januar/Februar 4. KS
2003/2004
Birkel P: Weingartener Grundwortschatz
Rechtschreibtest für dritte und vierte Klassen
(WRT3+). (2. neu normierte und vollständig
überarbeitete Auflage) Göttingen: Hogrefe
2007.
WRT 4+ (Weingartener Grundwortschatz Rechtschreibtest für vierte und fünfte Klassen)
letzte 3 Monate der 4. KS
erste 3 Monate der 5. KS
Januar/Februar und letzte 3 Monate
der 5. KS Hauptschule
2003/2004
Birkel P: Weingartener Grundwortschatz
Rechtschreibtest für 4. und 5. Klassen
(WRT4+) (2. neu normierte und vollständig
überarbeitete Auflage). Weinheim: Beltz 2007.
RST 4–7 Rechtschreibtest für 4.–7. Klassen
jeweils Oktober bis Dezember und
Mai bis Juli 4.–7. KS
2002/2003
Grund M: Rechtschreibtest für Klasse
4–7(RST 4–7). Baden-Baden: Computer
& Lernen 2002–2006.
DERET 1–2+ (Deutscher Rechtschreibtest für das
erste und zweite Schuljahr)
letzte 2 Monate der 1. bzw. 2. KS
erste 2 Monate der 2. bzw. 3. KS
2003
Stock C, Schneider W: DERET 1–2+, Deutscher
Rechtschreibtest für das erste und zweite
Schuljahr. Göttingen, Weinheim: Hogrefe 2008.
DERET 3–4+ (Deutscher Rechtschreibtest für das
dritte und vierte Schuljahr)
letzte 2 Monate der 3. bzw. 4. KS
erste 2 Monate der 4. bzw. 5. KS
2003
Stock C, Schneider W: DERET 3–4+, Deutscher Rechtschreibtest für das dritte und
vierte Schuljahr. Göttingen: Hogrefe 2008.
RST-NRR Rechtschreibtest – Neue Rechtschreibregelung
14–60 Jahre, schulformabhängige
Normen für Haupt-, Realschule und
Gymnasium und Altersnormen
2005
Bulheller S, Ibrahimmovic N, Häcker H:
Rechtschreibtest RST Neue Rechtschreibregelung (RST-NNR) (2. erweiterte Auflage).
Frankfurt am Main: Harcourt Test Services
2005.
R-T Rechtschreibungstest
Altersnormen für 15 bis 30 Jahre,
zusätzlich Altersnormen für Realschüler (15–16-Jährige, 17–18-Jährige,
19–30-Jährige) und für Abiturienten
2004
Kersting M, Althoff K: Rechtschreibungstests(R-T) (3. vollständig überarbeitete und
neu normierte Auflage). Göttingen, Bern, Toronto, Seattle: Hogrefe 2004.
Auswahl hinsichtlich der Aktualität der Normierung (nicht älter als 10 Jahre); KS, Klasse
722
und klinische Interviews zum Einsatz (12). Zur Untersuchung, wie Schulkinder ihre eigene Fähigkeit bezüglich des schulischen Lernens einschätzen, eignen sich
die Skalen zum schulischen Selbstkonzept (13). Um die
Motivation zum schulischen Lernen, das Vermeidungsverhalten und das Erreichen von Leistungszielen zu erfassen, steht mit den Skalen zur Erfassung der Lernund Leistungsmotivation (14) ein valides und reliables
Verfahren zur Verfügung.
Diagnosestellung
Weitere Diagnostik
• schulbezogene Anamnese: Entwicklungsverlauf
im Lesen, Rechtschreiben etc.
• Verlauf der Schriftsprachentwicklung darstellen
• Untersuchung von Emotionalität, Ängsten und
depressiven Stimmungen.
Einschätzung der eigenen Fähigkeiten
Zur Untersuchung, wie Schulkinder ihre eigene
Fähigkeit bezüglich des schulischen Lernens einschätzen, eignen sich die Skalen zum schulischen
Selbstkonzept.
Die Ergebnisse der Lese- und Rechtschreibtests geben jeweils einen Prozentrang an, der einen Vergleich der individuellen Leistung des Kindes mit Kindern derselben Klassenstufe erlaubt. Ein Prozentrang von 15 bedeutet, dass
85 Prozent der Schüler derselben Klassenstufe eine bessere Leistung in diesem Test erzielen. Zur Diagnose einer
LRS ist eine weit unter dem Durchschnitt liegende Leistung im Lesen und Rechtschreiben zu fordern. Dies bedeu-
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 41 | 15. Oktober 2010
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tet einen Prozentrang < 16, der einer Standardabweichung
unterhalb des Durchschnitts entspricht. Sowohl das MAS
(ICD-10) als auch DSM-IV erfordern nicht nur eine Diskrepanz zu dem Klassen- beziehungsweise Altersniveau,
sondern auch eine Abweichung von der Lese- und Rechtschreibfähigkeit, die aufgrund der Intelligenz zu erwarten
ist. In der Praxis bedeutet es, dass die Lese- und Rechtschreibleistung in den einzelnen Testverfahren in Bezug
zum Intelligenzquotienten (IQ) gesetzt wird. Da Lesen,
Rechtschreiben und IQ miteinander mittelhoch korrelieren, führt die Anwendung des Diskrepanzkriteriums bei
Kindern mit niedriger oder hoher Intelligenz nicht zu sinnvollen diagnostischen Ergebnissen. Bei Kindern mit hoher
Intelligenz (zum Beispiel IQ von 115), stellt eine Rechtschreibleistung von PR < 55 (der Durchschnittsbereich
liegt zwischen PR 16–84) bereits eine Diskrepanz von 1,5
Standardabweichungen dar. Daher sollte in der Praxis ein
Regressionskriterium angewandt werden (15). Dieses methodisch angemessenere Kriterium führt bei dem gegebenen Beispiel dazu, dass die Leistung im Rechtschreibtest
unter Prozentrang 14 liegen muss (das heißt im unterdurchschnittlichen Bereich). Tabelle 3 stellt ausgehend
von dem individuellen Gesamt-IQ den kritischen Prozentrang dar, der zur Diagnosestellung einer Lese- und/oder
Rechtschreibstörung unterschritten werden sollte. Tabelle 3 zeigt für beide kritische Diskrepanzen (Spalte 1und 2
für Diskrepanz zwischen Rechtschreibung und IQ von 1,5
Standardabweichungen, Spalte 3 und 4 für 1 Standardabweichung). Die Tabelle 3 ist so zu lesen, dass für die Erfüllung des Kriteriums bei gegebenem IQ der tabellierte
Wert für den Prozentrang unterschritten werden muss, um
von einer Lese-Rechtschreib-Störung zu sprechen.
Die Diagnosestellung sollte jedoch nicht allein auf den
Werten der Lese-Rechtschreibtests beruhen. Bei Jugendlichen mit einer LRS oder bei Kindern, die eine Behandlung erhalten haben, kann der kritische Grenzwert knapp
nicht mehr unterschritten werden, was allerdings nicht bedeutet, dass die Störung ausreichend behandelt ist. Die gesamte psychosoziale Entwicklung des Kindes sollte in die
diagnostische Beurteilung integriert werden. Hierzu gehören die bisher erhaltene Förderung und Behandlung, die
schulische Integration des Kindes, die Beziehungen zu
den Mitschülern und Freunden sowie die familiäre Situation hinsichtlich Belastungen und Unterstützung.
TABELLE 3
Kritische Grenzwerte für die Diagnostik anhand des
Regressionskriteriums*1
IQ
Kritischer
Prozentrang
(Diskrepanz
1,5 SD)
IQ
Kritischer
Prozentrang
(Diskrepanz
1 SD)
70–74
1
70–73
4
75–82
2
74–77
5
83–88
3
78–80
6
89–92
4
81–83
7
93–96
5
84–86
8
97–99
6
87–88
9
100–102
7
89–90
10
103–104
8
91–92
11
105–107
9
93–94
12
108–109
10
95–96
13
110–111
11
97
14
112–113
12
98–99
15
114
13
100
16
115–116
14
101–102
17
117–118
15
103
18
119
16
104–105
19
120–121
17
106
20
122
18
107
21
123–124
19
108–109
22
125
20
110
23
126
21
111
24
127
22
112
25
128–129
23
113
26
130
24
114–115
27
*1 www.kjp.med.uni-muenchen.de/forschung/legasthenie/diagnose.php;
IQ, Intelligenzquotient; SD, Standardabweichung
Die Behandlung besteht zunächst in der Aufklärung über
die Störung, der Elternberatung und möglicherweise auch
der Beratung der Lehrkräfte (16). Die weitere Behandlung
hängt von der Ausprägung der LRS und den psychischen
Symptomen oder dem Vorliegen von komorbiden Störungen ab. Eine Pharmakotherapie zur Behandlung der LRS
ist nicht sinnvoll. Lediglich dann, wenn eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und eine
LRS vorliegen, kann durch die Behandlung der Aufmerksamkeitsstörung auch die Fähigkeit zum schulischen und
außerschulischen Lernen verbessert werden.
Diagnosestellung
Zur Diagnose einer LRS ist eine weit unter dem
Durchschnitt liegende Leistung im Lesen und
Rechtschreiben zu fordern. Dies bedeutet einen
Prozentrang < 16, der genau einer Standardabweichung unter dem Durchschnitt entspricht.
Behandlung
• Aufklärung über die Störung
• Behandlung eventuell vorliegender psychischer
Symptome und komorbider Störungen
• regelmäßige Leseförderung
• individuelle Rechtschreibförderung
Behandlung
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MEDIZIN
GRAFIK
Der Fahrplan, der
an der Klinik des
Autors eingesetzt
wird, um den kleinschrittigen, systematischen Weg zur
richtigen Verschriftlichung aufzuzeigen
(21, 22)
Die Aufklärung über die Störung, ihre Ursachen und
die Behandlungsmöglichkeiten entlasten die Eltern
meist sehr. Der Diagnostik sind oft Monate bis zu mehreren Jahren vorausgegangen, in denen die Eltern,
meist die Mütter, durch tägliches Üben zuhause versucht haben, ihr Kind zu stützen. Mehrstündiges gemeinsames Anfertigen der Hausaufgaben, regelmäßiges, meist frustrierendes Üben der Diktate, Lernunlust
des Kindes, verbunden mit Verzweiflung darüber, dass
trotz intensiven Übens in der Probe oder im Test wieder
bei sehr vielen Wörtern Rechtschreibfehler auftraten,
führen zur anhaltend gedrückten Stimmung des Kindes
und zu Versagensgefühlen der Eltern.
Zusätzlich erhalten die Eltern oft durch die Lehrkräfte die Rückmeldung, dass ihr Kind von mehr Übung
zuhause profitieren könnte. Wenn die Eltern dann im
Beratungsgespräch erfahren, dass sie nicht versagt haben, dass es ihrem Kind aufgrund der neurobiologischen Veränderungen deutlich schwerer als anderen
fällt, Lesen und Rechtschreiben zu erlernen, führt dies
zu einer deutlichen psychischen Entlastung der Eltern.
Auch die Kinder selbst sollten über die Störung aufgeklärt und damit entlastet werden.
Die Beratung der Lehrkräfte dient dazu, die psychische Belastung des Kindes zu erklären und gemeinsam zu überlegen, wie die Integration des Kinds in der
Schule besser gelingt. Außerdem sollte die Diagnose
LRS vermittelt werden. Abhängig vom Bundesland wird
Notengebung
Abhängig vom Bundesland wird die LRS schulrechtlich anerkannt, mit Konsequenzen für die
schulische Unterstützung und die Notengebung.
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die LRS schulrechtlich anerkannt mit Konsequenzen für
die schulische Unterstützung und die Notengebung.
Die Behandlung der LRS hat zwei Säulen, die Behandlung der Kernproblematik im Lesen und Rechtschreiben
und die Behandlung der eventuell auftretenden komorbiden psychischen Störung (16).
Für die Behandlung der psychischen Störungen stehen
die Methoden der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie zur Verfügung, die primär auf die Symptomreduktion
beim Kind und die Stärkung der individuellen Entwicklung des Kindes abzielt.
Die Behandlung der LRS ist zum großen Unverständnis aller Eltern keine Leistung, die von den Krankenversicherungen übernommen wird. Folglich müssen
Eltern auf dem freien Markt fachliche Hilfe suchen. Da
es keine staatlich anerkannte Berufsausbildung für
LRS-Therapeuten gibt, hat der Elternverband „Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. (BVL)“ (17)
mit einer Zertifizierung von Ausbildungseinrichtungen
begonnen. Mit dem Begriff „Dyslexietherapeut nach
BVL“, den die Ausbildungskandidaten bei den entsprechenden Lehrinstituten erwerben, ist eine umfangreiche
theoretische und praktische Ausbildung verbunden. Alle anderen Titel, wie zum Beispiel Legasthenietherapeut, sind nicht geschützt und lassen nicht unbedingt
auf eine geeignete Qualifizierung schließen.
Die Förderung der Lesefähigkeit hängt von dem individuellen Entwicklungsniveau des Kindes ab. Aufbauend auf einer detaillierten Analyse des Entwicklungsstandes im Lesen sollte die Leseförderung regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich über mindestens ein Jahr stattfinden. Zusätzlich zu dieser Therapie
kann die Einrichtung eines lesefreundlichen Familienumfeldes mit der Schaffung von häufigen Leseanlässen
und gemeinsamem Lesen die Leseentwicklung deutlich
verstärken. Nur wenige Behandlungskonzepte der Leseförderung sind empirisch untersucht.
Die Rechtschreibförderung ist getrennt von der Leseförderung zu betrachten. Vergleichbar der Leseförderung
wird zunächst der individuelle Entwicklungsstand festgestellt. Hierauf aufbauend wird die Förderung konzipiert.
Beginnend mit der Förderung der Lauttreue (der Verschriftlichung einzelner Laute), erlernen die Kinder orthographische Regelmäßigkeiten. So wird zum Beispiel der
lange Vokal i im Deutschen in der überwiegenden Anzahl
der Wörter mit dem Bigram „–ie–“ verschriftlicht (sehr
selten „i“ wie in „Tiger“, häufig „ie“ wie in „Tier“). Ähnliche Beispiele gibt es für die Doppelkonsonanten, die nur
auf einen kurz gesprochen Vokal folgen („nass“ mit „ss“,
Fehlende Kostenübernahme
Die Behandlung der LRS ist keine Leistung, die
von den Krankenkassen übernommen wird.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 41 | 15. Oktober 2010
MEDIZIN
aber „Nase“ mit „s“). Zusätzlich erlernen die Kinder, wie
sie dieses Wissen einsetzen können. In einem neu entwickelten Förderprogramm aus der Arbeitsgruppe des Autors wird ein Fahrplan (Grafik) eingesetzt, um den kleinschrittigen, systematischen Weg zur richtigen Verschriftlichung aufzuzeigen. Auch für die Rechtschreibförderung
liegen mit wenigen Ausnahmen kaum Evaluationsdaten
vor. Zwei Förderkonzepte, die „Lautgetreue Rechtschreibförderung“ von Reuter-Liehr (18) und das „Marburger
Rechtschreibtraining“ (19) und dessen aktuelle Weiterentwicklung für die weiterführende Schule (20), gehören zu
den Konzepten, deren Wirksamkeit überprüft wurde
(21–23). Bisher liegen keine Analysen zum Evidenzniveau der symptomspezifischen Intervention vor, eine Analyse hierzu wird voraussichtlich Ende 2010 vorliegen.
Trotz regelmäßiger und intensiver Förderung erreichen
jedoch die meisten Kinder mit einer LRS nur eine geringfügige Verbesserung ihrer Lese- und Rechtschreibleistung. Die Ursachen hierfür sind unverstanden. Zurzeit
wird versucht, mit Hilfe der Registrierung neurobiologischer Korrelate während der Therapie die Prozesse besser
zu verstehen, die bei diesen Kindern gestört sind.
Ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung ist daher
die Psychotherapie. Kindern mit Ängsten und depressiver
Stimmung kann im Rahmen dieser Behandlung wesentlich geholfen werden. Liegt zusätzlich eine ADHS vor, ist
neben der Psychotherapie bei ausgeprägter Störung auch
eine Pharmakotherapie indiziert.
Prävention
Aufgrund des häufig chronischen Verlaufs der Störung,
verbunden mit erheblichen psychosozialen Einschränkungen und psychischen Belastungen kommt der Prävention
von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten eine besondere Bedeutung zu. Im Sinne der Primärprävention wurden
Konzepte entwickelt, die auf der vorschulischen Förderung von Sprachfertigkeiten aufbauen. Unter dem Namen
„Hören, lauschen, lernen“ (e8) ist seit mehreren Jahren ein
Frühförderprogramm in den Kindergärten im Einsatz, das
unter Anleitung der Erzieherinnen in Kleingruppen ein
halbes Jahr vor der Einschulung durchgeführt wird (23).
Im Zentrum stehen Sprachspiele, Reime erkennen, Silbenklatschen und Laute erkennen. Der präventive Effekt auf
die Schriftsprachentwicklung wurde in unkontrollierten
Langzeitstudien bestätigt. Auch für Kinder mit einem Risiko für LRS wirkt sich diese Frühförderung risikomindernd aus (e9–e11). Allerdings liegt eine Wirksamkeit nur
dann vor, wenn die Erzieherinnen für den Einsatz gut geschult werden und entsprechend motiviert sind.
Rechtschreibförderung, deren Wirksamkeit
geprüft wurde
• „Lautgetreue Rechtschreibförderung“ von
Reuter-Liehr
• „Marburger Rechtschreibtraining“ für
Grundschule und weiterführende Schule
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 41 | 15. Oktober 2010
Die Bedeutung der Familie für die Förderung der
Sprachkompetenz im Vorschulalter ist seit langem bekannt. Das Programm „Lass uns lesen!“ verbindet die vorschulische Sprachförderung mit gemeinsamer Vorleseaktivität und der Förderung von Buchstabenkenntnis (24). Im
letzten halben Jahr vor der Einschulung führt ein Elternteil
täglich 15 Minuten gemeinsame Aktivitäten mit dem Kind
durch. Angeleitet durch drei Aktivitätenhefte und umfangreiches Material (Abbildung 2) werden Spiele und Aufgaben zum Reimerkennen und –bilden, zu Silben, zum Wissen über Wörter und Sätze, zum Erkennen von Anlauten,
zu Buchstaben-Laut-Verbindungen sowie zu Auslauten
durchgeführt. Den Kindern machen diese Aktivitäten sehr
viel Spaß, es ist auch eine Hinführung zur Einschulung, da
die Kinder mit konkreten Aufgaben konfrontiert werden.
Die Wirksamkeit der Förderung der phonologischen Fähigkeiten und der Sprachkompetenz durch gemeinsames
Lesen wurde in zwei Evaluationsstudien geprüft, die zeigten, dass die Sprach- und Lautwahrnehmungsfähigkeiten
der Kinder durch das Programm „Lass uns lesen!“ zunehmen und damit die Voraussetzung für das Lesen- und
Schreibenlernen verbessert werden (25, e12).
Abbildung 2:
Beispielübung aus
dem Präventionsprogramm „Lass uns
lesen!“ (24).
Mit freundlicher
Genehmigung
des Verlages
Dr. Dieter Winkler
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 21. 5. 2010, revidierte Fassung angenommen: 16. 7. 2010
LITERATUR
1. Shaywitz SE, Shaywitz BA, Fletcher JM, Escobar MD: Prevalence of
reading disability in boys and girls. Journal of the American Medical
Association 1990; 264: 998–1002.
Zur Risikominimierung tragen bei
• Frühförderprogramm im Kindergarten, das ein
halbes Jahr vor der Einschulung durchgeführt
wird.
• Regelmäßiges Vorlesen und Lesen für und mit
dem Kind.
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MEDIZIN
2. Dilling H, Mombour W, Schmidt MH: Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch-diagnostische
Leitlinien (6., vollständig überarbeitete Auflage). Bern: Huber 2008.
3. Saß H, Wittchen H-U, Zaudig M: Diagnostisches und Statistisches
Manual Psychischer Störungen – Textrevision – DSM-IV-TR. Göttingen: Hogrefe 2003.
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10. Remschmidt H, Schmidt M, Poustka F: Klassifikation nach dem MAS
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12. Schulte-Körne G: Lese-Rechtschreibstörung. In: Mattejat F (Hrsg).:
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13. Schöne C, Dickhäuser, Spinath B, Stiensmeier-Pelster J: SESSKO
-Skalen zur Erfassung des schulischen Selbstkonzepts Göttingen:
Hofgrefe 2002.
14. Spinath B, Stiensmeier-Pelster J, Schöne Dickhäuser O: Skalen zur
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Hofgrefe 2002.
15. Schulte-Körne G, Deimel W, Remschmidt H: Zur Diagnostik der Lese-Rechtschreibstörung; Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother.
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16. Schulte-Körne G: Ratgeber Legasthenie. München: Knaur 2009.
17. Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. www.bvl-legasthenie.de
18. Reuter-Liehr C: Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung. Bochum:
Verlag Dr. Winkler 2006.
19. Schulte-Körne G, Mathwig F: Das Marburger Rechtschreibtraining.
Bochum: Verlag Dr. Winkler 2009.
20. Schulte-Körne G, Deimel W, Remschmidt H: Rechtschreibtraining in
schulischen Fördergruppen – Ergebnisse einer Evaluationsstudie in der
Primarstufe. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 2003; 31(2): 85–98.
21. Ise E, Schulte-Körne G: Rechtschreibförderung für Schüler mit einer
LRS ab der 5. Klasse. Bochum: Verlag Dr. Winkler, in Vorbereitung.
22. Ise E, Schulte-Körne G: Spelling deficits in dyslexia: evaluation of an
orthographic spelling training; Annals of Dyslexia 2010; 60: 18–39.
23. Schneider W, Roth E, Küspert P: Frühe Prävention von Lese-Rechtschreibproblemen: Das Würzburger Trainingsprogramm zur Förderung
sprachlicher Bewusstheit bei Kindergartenkindern. Kindheit und Entwicklung 1999; 8: 147–52.
24. Rückert EM , Kunze S, Schillert M, Schulte-Körne G: Lass uns lesen! Ein
Eltern-Kind-Training zur Vorbereitung auf das Lesen- und Schreibenlernen. Bochum: Verlag Dr. Winkler 2010.
25. Rückert EM , Kunze S, Schillert M, Schulte-Körne G: Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten – Effekte eines Eltern-Kind-Programms
zur Vorbereitung auf den Schriftspracherwerb; Kindheit und Entwicklung
2010; 19(2): 82–9.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne
Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychosomatik und Psychotherapie, Klinikum der Universität München
Pettenkoferstraße 8a, 80336 München
E-Mail: [email protected]
726
SUMMARY
The Prevention, Diagnosis, and Treatment of Dyslexia
Background: Reading and spelling disorder (dyslexia) is one of the more
common specific developmental disorders, with a prevalence of
approximately 5%. It is characterized by severe impairment of learning
to read and spell.
Methods: We discuss major aspects of the diagnosis, treatment, and
prevention of dyslexia on the basis of a selective literature review and
the guidelines of the German Society of Child and Adolescent
Psychiatry, Psychosomatics and Psychotherapy.
Results: 40% to 60% of dyslexic children have psychological
manifestations, including anxiety, depression, and attention deficit. The
diagnostic assessment of dyslexia consists of a battery of standardized
reading and spelling tests and an evaluation of the child’s psychological
state, including additional information obtained from parents and
teachers. The treatment of dyslexia is based on two main strategies:
specific assistance with the impaired learning areas (reading and spelling) and psychotherapy for any coexisting psychological disturbance
that may be present. Evaluated preventive strategies are available for
use in kindergarten and at home.
Conclusion: The diagnosis of dyslexia should be established with the aid
of the multiaxial classification system. The benefit of specific treatment
strategies for dyslexia has not yet been demonstrated empirically. Nonetheless, evaluated prevention programs are available in kindergarten
and their parents that have been found to promote children’s ability to
acquire reading and spelling skills in school.
Zitierweise
Schulte-Körne G: The prevention, diagnosis, and treatment of dyslexia.
Dtsch Arztebl Int 2010; 107(41): 718–27. DOI: 10.3238/arztebl.2010.0718
@
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit4110
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Weitere Informationen zu cme
Dieser Beitrag wurde von der Nordrheinischen Akademie für ärztliche Fort- und
Weiterbildung zertifiziert.
Die erworbenen Fortbildungspunkte können mithilfe der Einheitlichen Fortbildungsnummer (EFN) verwaltet werden.
Unter cme.aerzteblatt.de muss hierfür in der Rubrik „Meine Daten“ oder bei der
Registrierung die EFN in das entsprechende Feld eingegeben werden und durch
Bestätigen der Einverständniserklärung aktiviert werden.
Die 15-stellige EFN steht auf dem Fortbildungsausweis.
Wichtiger Hinweis
Die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung ist ausschließlich über das Internet möglich: cme.aerzteblatt.de
Einsendeschluss ist der 26. 11. 2010.
Einsendungen, die per Brief oder Fax erfolgen, können nicht berücksichtigt werden.
Die Lösungen zu dieser cme-Einheit werden in Heft 49/2010 an dieser Stelle
veröffentlicht.
Die cme-Einheit „Arzneimitteltherapie bei Patienten mit chronischem Nierenversagen“ (Heft 37/2010) kann noch bis zum 29. 10. 2010 bearbeitet werden.
Für Heft 45/2010 ist das Thema „Die Gliome im Erwachsenenalter“ vorgesehen.
Lösungen zur cme-Einheit in Heft 33/2010:
Madea B et al.: Ärztliche Leichenschau
Lösungen: 1c, 2a, 3d, 4e, 5b, 6b, 7e, 8a, 9d, 10c
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MEDIZIN
Bitte beantworten Sie folgende Fragen für die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung. Pro Frage
ist nur eine Antwort möglich. Bitte entscheiden Sie sich für die am ehesten zutreffende Antwort.
Frage Nr. 1
Frage Nr. 6
Welche Komorbiditäten treten häufig bei Kindern mit Lese-Rechtschreib-Störungen auf?
a) taktile Störungen
b) motorische Störungen
c) psychische Störungen
d) neurodegenerative Störungen
e) Sehstörungen
Welcher Test, der für Kinder ab dem 6. Lebensjahr bis
zum 17. Lebensjahr normiert ist, empfiehlt sich zur umfangreichen Erfassung der kognitiven Fähigkeiten eines
Schulkindes?
a) analytischer Intelligenztest
b) Hamburg-Wechsler-Intelligenztest
c) Minnesota Mechanical Assembly Test
d) Intelligenz-Struktur-Test 2000R
e) Stanford-Intelligenz-Test
Frage Nr. 2
Was sollte im Rahmen der Diagnostik bei Verdacht auf
Vorliegen einer Lesestörung überprüft werden?
a) Lautbildung und motorische Koordination
b) Sprachverständnis und Wortschatz
c) Konzentrationsfähigkeit und Syntaxbildung
d) Artikulation und Augenbewegung
e) Lesegeschwindigkeit und Leseverständnis
Frage Nr. 3
Womit haben Kinder, die unter einer Rechtschreibstörung leiden, insbesondere Schwierigkeiten?
a) mit der Einhaltung des Schriftschnitts
b) mit der feinmotorischen Leistung
c) mit der orthographischen Verschriftlichung
d) mit der Einhaltung der Lineatur
e) mit der Hand-Auge-Koordination
Frage Nr. 4
Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Kinder mit einer
Lese-Rechtschreib-Störung, die auch psychische Probleme haben?
a) 0–20%
b) 20–40%
c) 40–60%
d) 60–80%
e) 80–100%
Frage Nr. 5
Woran soll sich die Diagnostik der Lese-RechtschreibStörung orientieren?
a) an den sechs Achsen des Multiaxialen Klassifikationsschemas für psychische Störungen
b) an den fünf Achsen des Multiaxialen Klassifikationsschemas für psychische Störungen.
c) an den vier Achsen des Multiaxialen Klassifikationsschemas für psychische Störungen
d) an den drei Achsen des Multiaxialen Klassifikationsschemas für psychische Störungen.
e) an den zwei Achsen des Multiaxialen Klassifikationsschemas für psychische Störungen
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Frage Nr. 7
Für welche Vorgehen in der Therapie der Lese-Rechtschreib-Störung existieren Studien mit der Evidenzstufe
1b?
a) tägliches halbstündiges Vorlesen
b) Frühförderung mit dem Vorschulkonzept „hören, lauschen
lernen“
c) wöchentliches Training mit einem Dyslexietherapeuten
d) Intensivtraining mit dem Legasthenietherapeuten
e) für keine der genannten Verfahren a) bis d)
Frage Nr. 8
Welches Testverfahren zur Diagnostik der Lesestörung
sollte jeweils in den letzten beiden Monaten der 1.–6.
Klasse angewendet werden?
a) ELFE 1–6
b) LGVT 6–12
c) SLRT II
d) SLS 1–4
e) SLS 5–8
Frage Nr. 9
Welcher Test zur Diagnostik der Rechtschreibstörung
bietet schulformabhängige Normen für Haupt-, Realschule und Gymnasium und Altersnormen für Testpersonen zwischen 14 und 60 Jahren?
a) TR-Rechtschreibungstest
b) DERET 1–2+
c) WRT 4+
d) RST-NRR
e) RST 4–7
Frage Nr. 10
Wie hoch ist die Prävalenz der Kinder und Jugendlichen,
die an einer Lese-Rechtschreib-Störung leiden?
a) 3 Prozent
b) 5 Prozent
c) 7 Prozent
d) 9 Prozent
e) 11 Prozent
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