Verwaltungsethik Prof. Dr. Franz Thedieck, Hochschule der Verwaltung, Kehl Prof. Dr. Bernd Banke, Hochschule Reutlingen 1 Einleitung und Begriffe 1.1 Einleitung Eine Recherche des Begriffs “Verwaltungsethik brachte am 3. Juni 2011 ein erstaunliches Ergebnis. Eine eher wissenschaftlich orientierte Suchmaschine aus Deutschland (metager.de) präsentiert als erste Fundstelle, die nach Eingabe des Begriffs “Verwaltungsethik“ gefunden wird, die Erklärung des Wortes „Remonstration“ im onlineLexikon Wikipedia. Versucht man, literarische oder auch nur Rechtsprechungsquellen zur “Verwaltungsethik“ in den Datenbanken des wohl größten und einflussreichsten Verlags für juristische Fachliteratur, dem Beck Verlag, zu finden, so ergibt diese Suche keinen Treffer, der das Thema wirklich im Kern behandelt. Stattdessen erscheinen Fundstellen zu Themen wie „Ethikrichtlinien“, die aber in der Regel zu Aufsätzen und Entscheidungen führen, die die Privatwirtschaft betreffen. Noch überraschender ist eine Suche nach dem Wort Verwaltungsethik auf den Internetseiten von Hochschulen, die Studiengänge im Bereich Verwaltung, Verwaltungswissenschaften oder Public Management anbieten. Hier erscheint häufig das Suchergebnis „KEINE Ergebnisse“ gefunden oder es wird auf eine Liste mit abstracts zu Veröffentlichungen verwiesen, die sich in erster Linie mit Korruptionsbekämpfung und nur in wenigen Fällen mit Verwaltungsethik beschäftigen. Eine abschließende Recherche mit Hilfe der wohl bekanntesten Suchmaschine des Internet, „google“ (hier in der Version „google.de“ benutzt), führt als erste Nennung wiederum zu Wikipedia und einem neueren Beitrag (Stand: 25. März 2011) zum Schlagwort “Verwaltungsethik“. In diesem Artikel findet sich ein Ansatz, der die eher mageren Suchergebnisse mindestens im Ansatz zu erklären vermag: „Im deutschsprachigen Raum ist die Verwaltungsethik bislang wenig verbreitet. Gründe hierfür liegen vor allem in der stark auf Legalität (und weniger auf Legitimität) ausgerichteten Verwaltungskultur. Insoweit wird ethisch-kritischen Reflexionen traditionell eher mit Zurückhaltung bzw. gar mit Misstrauen begegnet.“ In der Folge dessen finden sich am Ende dieses Wikipedia Beitrages denn auch ausschließlich neuere Literaturhinweise. Der älteste dort angegebene Beitrag stammt aus dem Jahr 2000, der neueste aus dem Jahr 2011. Mit diesen Ergebnissen und der Aussage insbesondere des letztgenannten WikipediaBeitrags ist vielleicht das zentrale Spannungsfeld, unter Umständen gar das Dilemma des Untersuchungs- und Forschungsgegenstandes „Verwaltungsethik“ im deutschsprachigen Raum beschrieben. Die starke Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz, die durch Art. 20 Abs. 3 GG Verfassungsrang erhalten hat, steht, übertragen auf die Kategorien der Ethik, für die Idee einer Institutionenethik. Die Vertreter dieser Theorie gehen von der Annahme aus, dass die Fragen ethischen Verhaltens in Institutionen vor allem durch die organisatorischen Rahmenbedingungen bestimmt und entschieden werden. Im Extrem führt dies zu der Aussage, dass jede Entscheidung, die innerhalb der Rahmenvorgaben gefällt wird, zugleich eine ethisch vertretbare Entscheidung ist. So schrieb etwa Christoph Lütge: „Die moralische Bewertung bezieht sich auf die Regeln, die einzelnen Handlungen unter Regeln laufen im Prinzip moralfrei ab.“ Das könnte in der Tat für die in der öffentlichen Verwaltung handelnden bedeuten, dass sie einer eigenen ethisch-moralischen Verantwortung enthoben sind und ihrer Verpflichtung auf diesem Gebiet dadurch nachkommen, dass sie die legislativen Vorgaben © Thedieck / Banke 2011 Seite -2- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke einhalten. Damit wäre die Verwaltungsethik als Gegenstand der Forschung weitestgehend gegenstandlos. Ihr Inhalt würde durch die einzelnen Bereiche öffentlicher Verwaltung, sowie durch die korrekte Gesetzesauslegung und Anwendung ersetzt. Im Ergebnis werden solche Ansätze soweit ersichtlich überwiegend abgelehnt. Ein rein institutionenethischer Ansatz, der Verwaltungshandeln in seiner ethischen Bewertung nur an die Frage knüpft, ob das Gesetz eingehalten wurde, ist auch aus zwei weiteren Aspekten zumindest fraglich. Dies ist zum einen die in § 36 BeamtStG gesetzlich geregelte Remonstrationspflicht der Beamtinnen und Beamten (im Folgenden wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung die Form: Beamter / Beamte stellvertretend für beide Geschlechter benutzt) in Deutschland. Dort wird ausdrücklich eine persönliche Verantwortung der Beamten für ihr Handeln festgelegt. Trotz der Formulierung, dass die Betroffenen nur für die „Rechtmäßigkeit“ und nicht die ethisch / moralische Korrektheit ihrer Entscheidungen einzustehen haben, zeichnet sich hier ein Unterschied zu den Prinzipien einer reinen Institutionenethik ab. Wie sind hier Fragen der unterschiedlichen Nutzung eines gesetzlichen Ermessensspielraums oder der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe zu interpretieren? Wie ist die absolute Grenze des § 36 Abs. 2 Satz 4 BeamtStG zu verstehen, der besagt: „(2) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen haben Beamtinnen und Beamte unverzüglich auf dem Dienstweg geltend zu machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten, haben sie sich, wenn die Bedenken fortbestehen, an die nächst höhere Vorgesetzte oder den nächst höheren Vorgesetzten zu wenden. Wird die Anordnung bestätigt, müssen die Beamtinnen und Beamten sie ausführen und sind von der eigenen Verantwortung befreit. Dies gilt nicht, wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder …“ (Hervorhebung vom Autor) Wer hat die Auslegungs- und Bestimmungshoheit über die Auslegung und Reichweite der Würde des Menschen? Die Auffassung des Papstes wird sich vermutlich von der eines Biologen und Gentechnologen unterscheiden. Welche Auffassung von der Menschenwürde ist in diesem Streit gesetzesgemäß und wo beginnt das Recht und die Pflicht der im öffentlichen Dienst tätigen, Anweisungen der Vorgesetzten nach dem Sinn des § 36 BeamtStG nicht zu befolgen? Ein anderer Aspekt ergibt sich aus einem internationalen Vergleich, der sich in einemweiteren Absatz des wikipedia Artikels zum Begriff Verwaltungsethik findet: „Einen Gegensatz hierzu bildet etwa der anglo-amerikanische Raum, in welchem "Public Service Ethics" ein wichtiges, seit langem diskutiertes Themenfeld ist. Dies wird oft im Zusammenhang damit gesehen, dass hier traditionell eher auf moralische Fragen als auf gesetztes Recht fokussiert wird.“ Dass diese Aussage zutreffend ist, wird durch die große Zahl auch älterer englischsprachiger Publikationen zu diesem Thema bestätigt. Auch hier hilft das Internet und die Nachfrage bei einem der größten internationalen Online-Buchhändler. Zudem wird dort, im anglo-amerikanischen Raum, die Anwendung moralischer Standards häufig sogar durch Gesetze wie den Sarbanes Oxley vorgeschrieben. Diese beiden letztgenannten Aspekte, die Verantwortung des einzelnen nach § 36 BeamtStG sowie die moralische Einbindung der Handelnden in der Verwaltung, weisen in Richtung einer Individualethik oder einer der Ethik der Governance, die weniger der Institution als vielmehr dem einzelnen handelnden Menschen die Pflicht auferlegt, sein Handeln und seine Entscheidungen ethisch-moralischen Grundsätzen zu unterwerfen. © Prof. Dr. Bernd Banke 2011 Seite -3- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke Zu diesem Zweck soll im Folgenden zunächst eine kurze begrifflich Klärung des Untersuchungsgegenstandes vorgenommen werde. 1.2 Begriffe Anders als etwa im angloamerikanischen Sprachraum, in dem die Begriffe „ethics“ und „moral“ bzw. „ethical“ und „moral“ häufig synonym verwendet werden, unterscheidet man im deutschen Sprachgebrauch die Bedeutungen der Begriffe „Ethik“ und „Moral“ inhaltlich. Jedem dieser Begriffe wird ein eigener, spezifischer Gehalt zugewiesen. Unter der Moral im philosophischen Sinne wird im deutschen Sprachraum ein bestehendes Wertesystem verstanden. Das heißt, dass bestimmte Werte, wie zum Beispiel Treue, Loyalität, Glaube oder Nächstenliebe bereits als gut erkannt und akzeptiert werden. Ihre Geltung wird nicht mehr hinterfragt. Moralische Aussagen basieren auf diesem Wertesystem und werden von allen, die den Werten zustimmen, akzeptiert. Ein Beispiel für eine solche Moral ist etwas die Sittenlehre religiöser Institutionen. Der Begriff selbst ist aber wertfrei. Auch die Sitten und Gebräuche der Mafia repräsentieren danach eine bestimmte „Moral“. Unter Ethik versteht man demgegenüber die Reflexionstheorie der Moral. Das heißt, dass Ethik dazu dient, die in einer Moral festgelegten Werte und Aussagen zu hinterfragen und zu prüfen, ob sie wirklich geeignet sind, Menschen zu einem guten, erfüllten Leben zu führen. Die Ethik ist damit das Prüfinstrument, mit Hilfe dessen festgestellt werden soll, ob eine Moral wirklich einem guten Zweck dient und gute Ergebnisse liefert. Es kann sein, dass der von einer Moral angestrebte Zweck bei genauerer Betrachtung in Wirklichkeit nicht gut ist oder aber die aus dem Wert abgeleitete Verhaltensweise andere Werte nicht berücksichtigt oder sogar verletzt. Die Moral der Mafia etwa, würde einer ethischen Prüfung nicht standhalten. Eine der Hauptaufgaben der Ethik als wissenschaftlicher Disziplin ist es, dem Menschen Entscheidungshilfen für Situationen zu geben, in denen jede denkbare Handlungsalternative Vor- und oder Nachteile hat, die ohne weiteres nicht gegeneinander abgewogen werden können. Diese Situation wird als Dilemma bezeichnet. 1.3 Ethisch – moralische Dilemmata der Verwaltung Ein spezifisches Problem öffentlicher Verwaltungstätigkeit ist darin zu sehen, dass die Verwaltung nie Selbstzweck ist, sondern ausschließlich in andere Kontexte eingebunden arbeitet und deren Zielen dient. So erfüllen Sozialbehörden Aufgaben der sozialen Fürsorge des Staates, Finanzämter dienen der Beschaffung von finanziellen Mitteln, Polizeibehörden sorgen für Sicherheit und Ordnung. Zugleich sind alle Institutionen der Verwaltung dem Rechtssystem unterworfen und müssen zudem die Vorgaben der Politik befolgen. Schließlich steht die Verwaltung unter permanenter Beobachtung der Medien und der Öffentlichkeit. Damit sieht sich die Verwaltung einer Vielzahl von Zielen gegenüber, die nicht immer miteinander in Einklang gebracht werden können. Dilemmasituationen sind praktisch vorgezeichnet. Spannungsfelder zwischen den Institutionen, den gesetzlichen Vorschriften, und dem individuellen Gerechtigkeitsempfinden sind nicht ausgeschlossen und führen die betroffenen Amtswalter in eine Dilemmasituation. Solche Dilemmasituationen treten immer dann auf, wenn sich die moralisch / ethische Bewertung einer Situation von der Bewertung unterschiedet, die durch korrekte Anwendung der gesetzlichen Grundlagen vorgeschrieben wird. Die Situation des Amtswalters kann in Form einer Graphik mit vier Quadranten dargestellt werden, in der rechtli- © Prof. Dr. Bernd Banke 2011 Seite -4- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke che und ethische Aspekte einer Handlung in einem Graphen dargestellt werden, auf dessen vertikaler Achse die ethische Bewertung einer Situation als positiver oder negativer Wert dargestellt wird. Auf der horizontalen Achse erscheint die Frage nach Legalität oder Illegalität einer Handlung ebenfalls als positiver oder negativer „Legalitätswert“. Ethisch korrekt 1 4 Legal Illegal 3 2 Ethisch inkorrekt Abbildung 1: Dilemmata-Situationen 1 (Eigene Darstellung) Aus dieser Graphik ergeben sich zwei Quadranten, die eine eindeutige Bewertung von Sachverhalten zulassen und damit keine Dilemmasituationen im Sinne der Ethik verursachen. Wie sich aus der nachfolgenden Graphik ergibt, sind dies die Quadranten 1 und 3. Hier sind eindeutige Entscheidungen möglich. Sofern eine konkrete Entscheidung in einer bestimmten Situation sowohl den Buchstaben und dem Sinn des Gesetzes entspricht, andererseits aber auch eine ethisch / moralisch erstrebenswertes Ziel erreicht, ist diese Entscheidung in jeder Hinsicht korrekt und stellt kein Dilemma dar. Beispiel: Eine alleinerziehende Mutter mit geringem Einkommen erhält zusätzlich staatliche Mittel aus der Sozialhilfe, damit sie nicht ganztägig arbeiten muss, und ihr mehr Zeit zur Betreuung ihrer Kinder bleibt. Dasselbe gilt für den umgekehrten Fall, dass eine Entscheidung gegen den Wortlaut und Sinn der Gesetze verstößt und zugleich ein ethisch und moralisch missbilligtes Ergebnis erzielt. Beispiel: Einem Beamten des Bauamtes werden 15.000 Euro für den Fall zugesagt, dass er eine Baugenehmigung für ein Wochenendhaus im Naturschutzgebiet erteilt. Auch hier liegt keine Dilemmasituation vor, da die Genehmigung illegal und mit den ethischen Werten des Umweltschutzes nicht vereinbar wäre. © Prof. Dr. Bernd Banke 2011 Seite -5- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke Ethisch korrekt 4 1 Eindeutiger Bereich legal und erwünscht Legal Illegal Eindeutiger Bereich 2 illegal und unerwünscht Ethisch inkorrekt 3 Abbildung 2: Dilemmata-Situationen 2 (Eigene Darstellung) Schwierigkeiten bereiten aber die Quadranten 2 und 4, da hier Handlungen zwar ethisch-moralisch wünschenswerten sind, aber nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen (siehe Beispiel 2.2). Oder die Ergebnisse sind legal, aber lassen ethischmoralische Fragen offen. Ethisch korrekt 4 1 Dilemma Bereich Eindeutiger Bereich illegal aber erwünscht legal und erwünscht Legal Illegal 3 Eindeutiger Bereich Dilemma Bereich illegal und unerwünscht legal aber unerwünscht Ethisch inkorrekt 2 Abbildung 3: Dilemmata-Situationen 3 (Eigene Darstellung) Beispiel: Ein somalischer Wirtschaftsflüchtling ist illegal in die Bundesrepublik eingereist. Nach der Rechtslage muss er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und abge- © Prof. Dr. Bernd Banke 2011 Seite -6- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke schoben werden. Der zuständige Beamte im Ausländeramt glaubt aber sicher, dass der Somalier in seinem Heimatland kaum Chancen auf ein menschwürdiges Leben besitzt und auch gesundheitlich gefährdet ist. Konkrete Beweise hierfür besitzt er nicht. Der Beamte ist in einem Zwiespalt zwischen der korrekten Rechtsanwendung und seinem Mitgefühl. Seines Erachtens befindet er sich in der Dilemmasituation des Quadranten 2. Die legale und vorschriftsmäßige Handlung verletzt sein menschliches Mitgefühl und seine ethisch-moralische Verantwortung. Eine strenge Anwendung der Institutionenethik würde die kritischen Quadranten 2 und 4 nicht als Dilemmasituationen identifizieren. Das illegale Verhalten in Quadrant 4 wäre nach diesem theoretischen Ansatz auch ethisch zu verwerfen, da es der Rahmenordnung widerspricht. Im Quadranten 2 wäre das Verhalten durch die Rahmenordnung gebilligt und mithin auch ethisch gerechtfertigt, Dilemmasituationen sind ausgeschlossen. Diese Entscheidungen der Institutionenethik sind aber nur auf den ersten Blick schlüssig. Zuerst stellt sich die Frage nach den Wurzeln der Rahmenordnung. Wer erlässt diese und ist jede Rechtsquelle auch tatsächlich ethisch gerechtfertigt? Nicht nur das Beispiel der Unrechtsgesetzgebung des Dritten Reiches lässt hier Fragen aufkommen. Auch vergleichsweise „harmlose“ Gesetze können moralisch zu missbilligen sein und die Idee der ethisch-moralischen Rahmenordnung in Frage stellen. 2 Verwaltungsethik in der Praxis 2.1 Das 3-Phasen-Modell des Verwaltungsmanagements „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und Grün des Lebens goldner Baum.“ lässt Goethe Mephisto sagen, als dieser “des trocknen Tons nun satt“ ist und wieder „recht den Teufel spielen“ will. Entscheidend wird also sein, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt werden. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist das 3-Phasen-Modell des Managements. Es teilt die Handlungsabläufe des Verwaltungshandelns nach dem Managementmodell in drei Phasen ein: Planung Kontrolle Durchführung Abbildung 4: Das 3-Phasen-Modell des Managements (Eigene Darstellung) Jeder dieser Phasen sind typische Aufgaben zugeordnet; der Planung z.B. Aufgabendefinition, Zielsetzung, Alternativplanung und Entscheidung; der Durchführung Organisation, Kommunikation, Koordination, Realisierung von geplanten Aktivitäten, Einrichtung eines Monitoringsystems; der Kontrolle Steuerung, Feed-Back, Soll-Ist-Vergleich (Evaluation). In jeder dieser Phasen sind ethische Werte zu berücksichtigen. Die Frage ist, welches diese Werte sind und wer sie festlegt. © Prof. Dr. Bernd Banke 2011 Seite -7- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke Die Beantwortung der ersten Frage ist abhängig von den besonderen Gefährdungen, unter denen die jeweiligen Phasen ablaufen. Orientieren wir uns am Beispiel des Baus einer Rheinbrücke, so betrifft eine wichtige Planungsfrage die Entscheidung über die Auswahl des Architekturbüros und der Baufirma. Dabei treten, wie wir aus Erfahrung wissen, spezifische Gefahren auf: Fehler im Ausschreibungsverfahren unzulässige Einflussnahme Dritter bis zu Bestechungsversuchen. In dieser Lage können spezifische Werte helfen, die in ähnlichen Situationen Fehler vermieden haben: Sorgfalt, Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit. Die angesprochenen Gefährdungen resultieren aus individuellen Verhaltensweisen der Verwaltungsmitarbeiter. Sie können sich daneben auch aus der Organisationsstruktur oder -kultur ergeben. Ein Strukturmerkmal von Organisationen ist ihre Befehlshierarchie. Darauf nimmt die oben angesprochene Remonstrationsregel des § 36 Abs. 2 Satz 4 BeamtenStG Bezug: ein höherer Vorgesetzter darf grundsätzlich den handelnden Beamten anweisen, trotz rechtlicher Bedenken die Massnahme auszuführen. Für die Organisationskultur sind u.a. Tradition und berufliche Prägungen massgeblich, die in der jeweiligen Verwaltungssparte oder -behörde anzutreffen ist. So werden sich Eichbehörden in der Regel durch besondere Genauigkeit in der Tatbestandsaufnahme auszeichnen, während ein Bauplanungsamt mehr durch die kreativen und spielerischen Elemente der Architektur geprägt sein wird. 2.2 Planungsphase Im Folgenden gehen wir etwas genauer auf die einzelnen Phasen ein. Zunächst bleiben wir bei der Planungsphase und dem Beispiel des Brückenbaus. Hier unterscheidet sich die Lage in der Verwaltung wenig von der Wirtschaft. Die Verwaltung plant in erheblichem Ausmass. Brückenbau ist eine Tätigkeit, bei der extrem umfangreich geplant wird. Die Südbrücke über den Rhein bei Strassburg wurde in fünf Jahren gebaut. Ihre Planungsphase war verglichen damit unglaublich lang: Eine Nachfrage bei den französischen Ingenieuren ergab, dass sie sechsmal so lang wie die Bauphase war. Das ist so erstaunlich wie verständlich: Es handelt sich um eine internationale Angelegenheit, die durch Staatsvertrag zwischen der deutschen und französischen Seite zu regeln ist. Souveränitätsrechte sind zu übertragen, Haftungsfragen zu klären und auch die jeweils geltenden baulichen Normen sind festzulegen. Daneben ist auch die Finanzierung zu klären und damit ist nur ein Bruchteil der anstehenden Planungsaufgaben genannt. Welche spezifischen Werte kommen im Planungsprozess zur Geltung? In der internationalen Diskussion spielt der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ eine dominante Rolle. Auf der UN-Konferenz von Rio de Janeiro wurde 1992 die Agenda 21 verabschiedet, die inzwischen als Lokale Agenda 21 auch für die kommunale Ebene übersetzt wurde. Als nachhaltig wird nach einer Definition der „BrundtlandKommission“ eine Entwicklung verstanden, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Ausgehend von der Konferenz der UN für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 wurde über verschiedene weitere Etappen verstärkt die Realisierung des Reformprogramms ins Auge gefasst: „Wir haben die Vision integrativer, prosperierender, kreativer und zukunftsfähiger Städte und Gemeinden, die allen Einwohnerinnen und Einwohnern ho- © Prof. Dr. Bernd Banke 2011 Seite -8- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke he Lebensqualität bieten und ihnen die Möglichkeit verschaffen, aktiv an allen Aspekten urbanen Lebens mitzuwirken.“ Diese anspruchsvollen Zielvorstellungen sind wohl leichter zu formulieren als in der Verwaltungspraxis wirksam durchzuführen; hierzu bedarf es nicht nur sorgfältiger Beschäftigung mit der Agenda 21 und wirklichkeitsnaher Übertragung, sondern daneben noch harter Entscheidungen um die Verteilung der knappen Ressourcen, an erster Stelle der Finanzen. Der in der lokalen Agenda 21 zum Ausdruck kommende Gedanke der gesellschaftlichen Verantwortung wird auch in der Wirtschaft verfolgt, und zwar unter dem Gesichtspunkt des Stakeholder-Ansatzes. Darunter wird ein Konzept verstanden, nach dem die Unternehmensführung nicht nur die Interessen der Anteilseigner (Shareholder), sondern aller Anspruchsgruppen, ohne deren Unterstützung das Unternehmen nicht überlebensfähig wäre (Stakeholder) zu berücksichtigen hat. Diese Gruppe ist folglich sehr heterogen und umfasst z.B. die Arbeitnehmer, Kunden und Lieferanten, den Staat und die Öffentlichkeit. Nach diesem Ansatz sind verschiedene Interessengruppen in der Unternehmung tätig, zwischen denen die Unternehmensleitung zu vermitteln hat. Die erzielten Kompromisse entscheiden über die Verteilung des wirtschaftlichen Ergebnisses. Der Stakeholderansatz lässt sich ohne grosse Schwierigkeiten auf das Verwaltungshandeln übertragen. Für das Beispiel des Rheinbrückenbaus können wir folgende Gruppen von Stakeholdern ermitteln: Die beiden Nationalstaaten, Deutschland und Frankreich Die untergeordneten Gebietskörperschaften, in Deutschland, das Land BadenWürttemberg, den Regierungsbezirk Freiburg, das Landratsamt Ortenaukreis und die Gemeinden Kehl und Altenheim; in Frankreich die Région Alsace, das Département Bas-Rhin und die Stadt Strasbourg Die den jeweiligen Gebietskörperschaften zugehörigen Vertretungskörperschaften Das den jeweiligen Gebietskörperschaften zuzurechnende Stimmvolk Die für den internationalen Brückenbau zuständigen Bauverwaltungen beim Regierungspräsidium Freiburg und dem Département Bas-Rhin Die Rheinschiffartskommission in Strasbourg Für die Brückenbenutzer die Automobilverbände und Radfahrervereinigungen diesseits und jenseits des Rheins Für die Benutzer der Wasserstrasse die Interessenvertretungen der Rheinschiffer Die Industrie- und Handelskammern in Freiburg und Strasbourg Das für die Bauplanung und die Bauausführung beauftragte Ingenieurbüro Die beim Brückenbau beschäftigten Industrie- und Handwerksbetriebe Die Wirtschaftsbetriebe in unmittelbarer Nähe der Brückenauffahrten. Die betroffenen Rheinfischer Bei einem so komplexen Vorhaben wird der Kreis der Stakeholder rasch recht gross. Es ist klar, wer über die Gültigkeit von Werten entscheidet: die Stakeholder. Die Wertentscheidungen müssen durch Vereinbarung getroffen werden. Der Vorteil des Stakeholderansatzes liegt auf der Hand. Wie auf einem offenen Markt kommen alle Interessierten zusammen, um ihre Ansichten auf den Tisch zu legen und gemeinsam zu diskutieren. Gleichberechtigter Zugang aller zur Diskussion, Transparenz der Argumente, Of- © Prof. Dr. Bernd Banke 2011 Seite -9- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke fenheit des Meinungsaustauschs, Öffentlichkeit der Entscheidung sind typisch demokratische Werte, die einer sich als demokratisch verstehenden Verwaltung gut anstehen. Dass hierzu während der Planung eines Brückenbaus auch „praktische“ Werte hinzukommen müssen, versteht sich von selbst. Korruptionsvermeidung zählt auf jeden Fall hierzu. 2.2 Durchführungsphase Spätestens in der Durchführungsphase müssen sich die Beteiligten darüber im Klaren sein, welche Werte gelten sollen. Ein Unternehmen gibt sich einen Wertekodex, der materielle Grundlage des Wertemanagements ist. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung wird häufig der Begriff des Leitbildes benutzt. Das Leitbild dient zur Orientierung, Motivation und Legitimation des Verwaltungshandelns. Betrachten wir ein konkretes Leitbild, zum Beispiel das der Stadt Offenburg, so fällt einerseits positiv das Bekenntnis zur lokalen Agenda 21 auf, andererseits aber auch die schwache Aussagekraft des Leitbildes. Beispiel: Leitbild der Stadt Offenburg (Auszug) Der Gemeinderat der Stadt Offenburg bekennt sich zur "Lokalen Agenda 21" ... Dieses Leitbild versteht sich als Orientierungshilfe für den Gemeinderat…Das Leitbild der Stadt Offenburg ist also Erfolgsfaktor und zugleich aber auch Prüfstein für ein bürgerorientiertes Stadtmanagement. Gemeinderat und Verwaltung nimmt es in die Pflicht, ihm gemäß zu entscheiden und zu handeln. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Kriterienkatalog erhalten, um die Qualität von Politik und Verwaltung in der Kommune zu beurteilen. Aber auch das Rathaus hat nun eine Messlatte bekommen, mit der es die Aktionen seiner Partner bei der Gestaltung des Lebensraumes Stadt bewerten kann. Das Leitbild Offenburgs ist eine Selbstverpflichtung der gesamten Stadt zur nachhaltigen Zukunftsgestaltung im Sinne der "Lokalen Agenda 21"… Gemeinsame Identität war schon immer die erfolgreichste Grundlage für gemeinsames Handeln. Als konkrete Themen des Leitbildes werden genannt: Arbeitsplatz der Region Offenburg ist attraktiv für Industrie, Handwerk, Handel und Dienstleistungen. Die Stadt ist mit ihrer vielfältigen Struktur ein wichtiger Arbeitsplatz der Region. Einladende und lebensfrohe Stadt Das offene Tor und der Wein sind Symbole einer einladenden und lebensfrohen Stadt. Soziale und tolerante Stadt. Offenburg ist eine Stadt der offenen Begegnung und des Dialogs. Wie auch immer man die Leitbilder in der öffentlichen Verwaltung beurteilen mag, daneben gibt es noch traditionellere Zusammenhänge, aus denen der Verwaltung eine Wertorientierung geliefert wird. Hierzu zählen vor allem: Verfassung und Recht (Legalität) sowie Traditionen, die auch in Behörden wirken, wie das Beispiel des ehemaligen OB Manfred Rommel im Stuttgarter Rathaus. Hinzu kommen die „Beamtentugenden“, © Prof. Dr. Bernd Banke 2011 Seite -10- des Manuskripts Verwaltungsethik / Prof. Dr. Bernd Banke die auch im reformierten Dienstrecht weiter fortgeführt werden. Verfassungstreue, Unbestechlichkeit, Fleiß, Eifer, Pünktlichkeit, Sparsamkeit, Fachkenntnisse und Ordnung. Bis auf die Verfassungstreue, die an die frühere Treue zum Kaiser und König anknüpft, sind diese Werte seit Jahrhunderten unverändert. Es muss zu denken geben, dass diese Werte die Beamten nicht gehindert haben, an den Verbrechen des Dritten Reichs mitzuwirken. Die Umsetzung des Wertemanagements kann auf zweifache Weise erfolgen, als Compliance oder als Integrity System. Während ersteres stark mit repressiven Vorgaben in der Form von Ge- und Verboten arbeitet, versucht das Integrity System die Selbstverantwortung des Einzelnen mit Vorbildern und Anreizen zu stärken. 2.3 Kontrollphase In der letzten Phase geht es um die Kontrolle des Verwaltungshandelns. Dieser Schritt führt zugleich wieder an den Anfang unseres Management-Dreiecks zurück; denn die Ergebnisse der Kontrolle sind die Ausgangsdaten für die neue Planung. Nicht zuletzt soll die Kontrolle darüber Aufschluss verschaffen, in welchem Masse Wertorientierungen wie Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung in die Verwaltungsabläufe Eingang gefunden haben. Dies kann z.B. im Wege eines Werte- oder Ethik-Audits geschehen. Ausgehend vom New Public Management hat sich der Gedanke der Evaluation in einigen Bereichen der öffentlichen Verwaltung durchgesetzt. Es handelt sich dabei um einen Ansatz, wonach sämtliche Behördenaktivitäten einer systematischen – meist externen – Kontrolle unterworfen werden. In Deutschland wurden systematische Evaluationen zuerst in der Entwicklungspolitik eingeführt; in den Hochschulen sind Lehrevaluationen inzwischen ebenfalls Standard. Evaluation kommt darüber hinaus auch im Bereich der Kommunalverwaltung vor: So unternimmt die Bertelsmann-Stiftung gemeinsam mit der Deutschen Verwaltungshochschule Speyer jährlich ein benchmarking, um die beste Kommunalverwaltung der Welt zu finden. Interessant ist, dass die Verwaltungsevaluation sich immer stärker auf Wertaspekte konzentriert. Dies geschieht über die Einbeziehung von Analysen, die die indirekten Wirkungen des Verwaltungshandelns betrachten. Hierzu gehören entwicklungspolitische Gesichtspunkte wie Nachhaltigkeit, Zusammenhang des jeweiligen Programms mit den nationalen Entwicklungsschwerpunkten und Kohärenz mit den Programmen anderer Geber. Weitere Evaluationsgesichtspunkte sind die Wirkungen des Verwaltungshandelns auf Armutsbekämpfung, Umwelt, Konflikte und Gender. Global Compact ist eine Initiative der UN zum werteorientierten Handeln in Wirtschaft und Verwaltung. Die Teilnehmer verpflichten sich auf die Einhaltung von 10 Prinzipien, von den Allgemeinen Menschenrechten bis zur Anti-Korruption. Allerdings fehlt bislang eine echte Kontrolle der Teilnehmer. Abschliessend ist festzustellen, dass es eine Reihe von geeigneten Ansätzen existiert, die geeignet sind, ethisches Handeln in die Verwaltungspraxis zu implementieren. Allerdings steht dieser Forschungsbereich im deutschsprachigen Raum noch in einem frühen Anfangsstadium. © Prof. Dr. Bernd Banke 2011