Überblick 582 Metabolic Engineering: Entwicklung von Bakterienstämmen für die Lysinproduktion Nicole Kennerknecht, Petra Peters-Wendisch, Lothar Eggeling und Hermann Sahm Institut für Biotechnologie 1, Forschungszentrum Jülich Mit dem Bakterium Corynebacterium glutamicum werden zurzeit neben 1 000 000 Tonnen L-Glutamat jährlich über 600 000 Tonnen L-Lysin produziert. Während bislang die Bakterienstämme zur Herstellung dieser für Mensch und Tier essentiellen L-Aminosäure weitgehend empirisch durch Mutation und Selektion gewonnen wurden, ermöglichen heutzutage detaillierte Untersuchungen der Stoffwechselwege eine gezielte Verbesserung der Stämme mit Hilfe gentechnischer Methoden (Metabolic Engineering). So konnten Engpässe im Lysinsyntheseweg und im Zentralstoffwechsel durch Überexpression der entsprechenden Gene beseitigt und die Produktivität dieser Aminosäure signifikant gesteigert werden. Da auch die Sekretion von Lysin in das Kulturmedium bei der Produktion ein limitierender Faktor sein kann, wurde das Exportsystem in C. glutamicum für diese Aminosäure untersucht und verbessert. Der Bedarf an proteinreichen Nahrungsmitteln wächst mit den steigenden Ernährungsansprüchen einer stetig wachsenden Weltbevölkerung. Mit der klassischen Agrarwirtschaft wird diese „Proteinlücke“ nicht zu schließen sein, denn es wird pro Kopf immer weniger landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung stehen. Bei pflanzlichen Nahrungs- und Futtermitteln sind häufig einige der für Mensch und Tier essentiellen Aminosäuren in nur geringen Mengen enthalten. Durch Anreicherung mit diesen limitierenden Aminosäuren kann der Nährwert jedoch signifikant gesteigert werden. Die meisten heute produzierten Aminosäuren werden mit Hilfe von Bakterien oder Enzymen hergestellt, was zum Vorteil hat, dass ausschließlich die biologisch aktiven L-Aminosäuren gebildet werden. Abb. 1: L-Lysin-Biosyntheseweg mit den Schlüsselenzymen Aspartatkinase und Dihydrodipicolinatsynthase sowie der verzweigten Biosynthese des Intermediats meso-Diaminopimelat in C. glutamicum. BIOspektrum · 5/03 · 9. Jahrgang Überblick 583 Corynebacterium glutamicum – ein Bodenbakterium wird berühmt Die Ära der mikrobiellen Aminosäureproduktion begann 1957, als Kinoshita und Mitarbeiter in Japan ein Gram-positives Bakterium isolierten, das bei Wachstum auf einem einfachen Mineralsalzmedium mit Glukose als Kohlenstoff- und Energiequelle große Mengen Glutamat ins Nährmedium ausscheidet[1]. Dieses Bakterium, Corynebacterium glutamicum, bildet bis zu 75 g/l Glutamat pro Tag. Zurzeit werden jährlich über eine Million Tonnen Na-Glutamat als Geschmacksverstärker im Nahrungsmittelbereich mit diesem Mikroorganismus produziert. Es wurden Mutanten von C. glutamicum isoliert, die auch die essentielle Aminosäure Lysin in großer Menge überproduzieren. Die Produktion von Lysin ist in den letzten zehn Jahren stark angestiegen. So wurden im Jahre 2000 etwa 550.000 Tonnen Lysin mit C. glutamicum-Stämmen produziert, wobei der Markt um sieben bis zehn Prozent jährlich weiter wächst. Während bislang die Bakterienstämme zur Herstellung von Lysin weitgehend empirisch durch Mutation und Selektion gewonnen wurden, ermöglichen heutzutage detaillierte Untersuchungen der Stoffwechselwege und deren Regulationsmechanismen eine gezielte Stammverbesserung mit Hilfe gentechnischer Methoden (Metabolic Engineering)[2]. te Affinität und eine 8,3-fach erhöhte spezifische Aktivität. Die Homoserindehydrogenase wird durch Threonin gehemmt, und die Expression des entsprechenden Gens durch Methionin reprimiert[4]. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass bereits zwei Kopien des Gens für die Dihydrodipicolinatsynthese in C. glutamicum zu einem Threoninmangel bei gleichzeitig erhöhter Lysinsynthese führten. Aufgrund dieses Befundes wurden gezielt Mutationen im Promotor des Dihydrodipicolinatsynthase-Gens hergestellt und die Auswirkungen auf die Lysinbildung getestet[5]. Durch einen Basenaustausch im Promotor gelang es, die spezifische Aktivität der Dihydrodipicolinatsynthase von 0,05 auf 0,19 µmol min–1 (mg Protein)–1 zu steigern, was zu einer Erhöhung der Lysinausscheidung um 28 Prozent führte. Überraschend ist auch, dass es für die Einführung der zweiten Aminogruppe in das Lysinmolekül zwei parallele Synthesewege in C. glutamicum gibt. Die zweite Aminogruppe stammt entweder aus Glutamat und wird über den Succinylaseweg eingebaut, oder sie kommt vom Ammonium, das mit Hilfe der Diaminopimelatdehydrogenase umgesetzt wird (Abb. 1). Diese beiden Wege sind wichtig, weil meso-Diaminopimelat, die unmittelbare Vorstufe von Lysin, gleichzeitig ein essentieller Baustein im Peptidoglykan der Zellwand ist, und sie damit für die Stabilität der Zelle eine Rolle spielen. Die beiden Biosynthesewege in C. glutamicum stellen somit ein wichtiges System zur Synthese eines zentralen Metaboliten dar und können sehr flexibel bei unterschiedlichen Kulturbedingungen die Synthese der lebensnotwendigen Metabolite gewährleisten. Ferner zeigten Genomanalysen, dass einige weitere Bakterienarten wie Clostridium thermocellum und Porphyromonas gingivalis die Strukturgene für diese beiden Wege der meso –Diaminopimelatsynthese besitzen. In C. glutamicum sind beide Stoffwechselwege wichtig für eine hohe Lysinproduktion. Die anaplerotischen Reaktionen Neben der Lysinsynthese spielt der Zentralstoffwechsel für die Bereitstellung der Vorstufen eine wichtige Rolle bei der Lysinproduktion (Abb. 2). Oxalacetat, ein Intermediat des Tricarbonsäure-Zyklus, stellt die direkte Vorstufe der Aminosäure Aspartat dar. Für die Bereitstellung von Oxalacetat sind die anaplerotischen Reaktionen von zentraler Bedeutung. Während man lange Zeit davon ausging, dass in C. glutamicum nur das Enzym PEP-Carboxylase bei Wachs- Der Syntheseweg Aspartat und Pyruvat sind die Vorstufen der Lysinsynthese (Abb. 1). In diesem durch zehn Enzyme katalysierten Biosyntheseweg wird das erste Enzym, die Aspartatkinase, in der Aktivität reguliert. Bei gleichzeitiger Anwesenheit von Lysin und Threonin wird dieses Enzym in seiner Aktivität gehemmt. In Lysinproduktionsstämmen ist die Aspartatkinase im allosterischen Zentrum so verändert, dass keine Hemmung mehr erfolgt. Diese Mutationen sind alle in dem Bereich der β-Untereinheit des Enzyms lokalisiert, das aus 2 α- und 2 β-Untereinheiten aufgebaut ist[3]. Interessant ist, dass das Gen der β-Untereinheit im gleichen Leseraster innerhalb des größeren Gens der α-Untereinheit liegt. Hier ist also der für Bakterien seltene Fall eines Gens im Gen vorhanden. Ein weiterer wesentlicher Schritt der Lysinsynthese in C. glutamicum ist die Kondensation des Aspartatsemialdehyds mit Pyruvat zum Dihydrodipicolinat (Abb. 1). Aspartatsemialdehyd dient gleichzeitig auch der Synthese von Threonin, Isoleucin und Methionin. Das erste Enzym dieses konkurrierenden Synthesewegs, die Homoserindehydrogenase, hat gegenüber der Dihydrodipicolinatsynthase eine 7,5-fach erhöhBIOspektrum · 5/03 · 9. Jahrgang Abb. 2: Der Zentralstoffwechsel von C. glutamicum. Farblich abgehoben sind die für die L-Lysinproduktion entscheidenden Reaktionen über den Pentosephosphatweg (Grün), die anaplerotischen Reaktionen (Orange) und den L-Lysinbiosyntheseweg (Blau). Überblick 584 Abb. 3: Darstellung der komplexen Vernetzung der verschiedenen carboxylierenden und decarboxylierenden Reaktionen zwischen Phosphoenolpyruvat (PEP) bzw. Pyruvat und Oxalacetat bzw. Malat in C. glutamicum. tum auf Glukose als anaplerotisches Enzym für die Bildung von Oxalacetat verantwortlich ist, gelang es kürzlich, die Pyruvatcarboxylase als weiteres anaplerotisches Enzym nachzuweisen (Abb. 3). Somit besitzt C. glutamicum anders als die meisten Organismen zwei C3-carboxylierende Enzyme für die Bildung von Oxalacetat. Die Isolierung des pycGens, das für die Pyruvatcarboxylase kodiert, ermöglichte die Untersuchung des Einflusses dieses Enzyms auf die Lysinbildung. So führte die Deletion des Gens zu einem drastischen Rückgang der Lysinbildung, während durch Überexpression des Gens eine 50-prozentige Steigerung der Produktion erzielt wurde[6]. Diese Ergebnisse zeigen, das in C. glutamicum die Synthese von Oxalacetat bei der Überproduktion von Lysin einen „Flaschenhals“ darstellt, der durch Überexpression des pyc-Gens gezielt beseitigt werden konnte. Quantitative Analysen zu den in vivo-Flüssen mit Hilfe der 13C-NMRSpektroskopie ergaben, dass etwa 90 Prozent des Oxalacetats durch die Pyruvatcarboxylase gebildet werden[7]. Interessanterweise verfügt C. glutamicum nicht nur über zwei C3carboxylierende Enzyme, sondern auch über die drei Enzyme PEP-Carboxykinase, Oxalacetatdecarboxylase und Malatenzym, welche die Decarboxylierung von Oxalacetat beziehungsweise Malat katalysieren (Abb. 3). Die 13C-NMR-Analysen ergaben, dass etwa 70 Prozent des Oxalacetats durch die PEP-Carboxykinase wieder zu Phosphoenolpyruvat decarboxyliert werden. Das gezielte Ausschalten dieses Enzyms in einem Lysinproduktionsstamm führte dann auch zu einer nochmaligen Steigerung der Lysinbildung[8]. Der Pentose-Phosphat-Weg Auch die Verfügbarkeit des reduzierten Coenzyms NADPH ist bei der Stammverbesserung von großer Bedeutung, da für die Synthese eines Mols Lysin vier Mol NADPH benötigt werden. Stoffflussanalysen bei verschiedenen C. glutamicum-Stämmen ergaben, dass der Pentosephosphatweg (PPW) primär für die NADPH-Bereitstellung verantwortlich ist, obwohl auch bei an- deren enzymatischen Reaktionen, wie dem Malatenzym oder der Isocitratdehydrogenase, NADPH gebildet wird. Wie eine Reihe von Untersuchungen zeigten, korreliert die Aktivität des PPW unmittelbar mit dem Bedarf an NADPH für die Lysinbildung, was die große Flexibilität dieses Stoffwechselweges widerspiegelt[9]. In neuen Arbeiten konnte durch das Ausschalten des glykolytischen Enzyms Phosphoglucose-Isomerase die Umsetzung der Glukose ausschließlich über den PPW gelenkt werden. Dies hatte zur Folge, dass aufgrund der erhöhten NADPH-Bildung einerseits das Wachstum reduziert und andererseits, bei gleichzeitiger Reduktion der Nebenproduktbildung, die Lysinproduktion um 40 Prozent verbessert wurde[10]. Transport von Lysin Der Mechanismus der Lysinsekretion in C. glutamicum war lange unklar, obwohl aufgrund der positiven Ladung von Lysin keine Diffusion durch die Cytoplasmamembran erfolgen kann. Untersuchungen zur Exkretion von Lysin bei C. glutamicum ergaben, dass der Export vom Membranpotenzial abhängig ist und einer klassischen Michaelis-Menten-Kinetik unterliegt. Der Km-Wert für Lysin beträgt etwa 20 mM, und die maximale Exportgeschwindigkeit liegt bei 12 nmol min–1 mg–1 Zelltrockengewicht[11]. Die anschließende Klonierung des Strukturgens lysE für den Exporter stellte einen Durchbruch bei den Untersuchungen zum Abb. 4: Topologiemodell des L-Lysinexportcarriers aus C. glutamicum mit fünf transmembranen Helices und einer zusätzlichen hydrophoben α-Helix. BIOspektrum · 5/03 · 9. Jahrgang Überblick 585 Aminosäureexport dar, da damit der erste bakterielle Aminosäureexporter identifiziert werden konnte[12]. Dieser Lysinexporter (LysE) ist ein verhältnismäßig kleines Protein mit einem Molekulargewicht von 25.424. Seine Topologie wurde durch Fusionen mit Reporterproteinen eingehend untersucht[13]. Wie diese Experimente ergaben, besitzt der Lysinexporter fünf transmembrane Helices; eine zusätzliche hydrophobe α-Helix befindet sich vermutlich auf der periplasmatischen Seite der Membran (Abb. 4). Interessanterweise wurde bei der Analyse des Genortes von lysE benachbart ein Regulatorgen identifiziert, das divergent zu lysE transkribiert wird. Dieser mit LysG bezeichnete Regulator zeigt eine hohe Ähnlichkeit zu Regulatorproteinen der LTTR(LysR-type transcriptional regulators)-Familie. Viele Vertreter dieser Regulatorfamilie wirken als transkriptionelle Aktivatoren, die meist noch Induktormoleküle benötigen. Wie Transkriptionsstudien mit LysG in C. glutamicum ergaben, findet eine transkriptionelle Aktivierung der lysE-Expression statt[14]. Dabei wirkt Lysin als Induktor, wodurch die Expression des Lysinexportergens mit zunehmender interner Lysinkonzentration gesteigert wird. Durch Überexpression des lysE-Gens konnte die Lysinsekretionsrate um ein Mehrfaches gesteigert werden. Erste Hinweise auf die eigentliche Bedeutung von LysE im Wildtyp von C. glutamicum ergaben sich bei Untersuchungen zum Wachstum einer lysE-Deletionsmutante, die auf Komplexmedium nur noch sehr langsam wuchs. Bei Zugabe von Lysin-haltigen Peptiden zum Nährmedium wurde das Wachstum dieser Mutante vollständig gehemmt, da die intrazelluläre Lysinkonzentration auf über 1 M anstieg. Offensichtlich dient der Exporter LysE dazu, bei Wachstum auf Peptiden oder Proteinen eine toxische Akkumulation von Lysin im Cytosol zu verhindern, da C. glutamicum Lysin nicht abbauen kann. Die generelle Bedeutung des Aminosäureexporters LysE wird auch durch die weite Verbreitung homologer Exportsysteme in anderen Bakterien deutlich. Bei Genomanalysen sind bis heute mehr als 100 mit LysE verwandte Exporter in anderen Organismen identifiziert worden, deren physiologische Funktion bisher noch nicht im Detail aufgeklärt ist. schungsprojekt für ihre engagierte und erfolgreiche Zusammenarbeit, sowie der Degussa AG und dem Fonds der Chemischen Industrie für die kontinuierliche Förderung. Literatur [1] Kinoshita, S., Udaka, S., Shimono, M. (1957): J. Gen. Appl. Microbiol. 3: 193–205 [2] Sahm, H. (1993): In: Biotechnology, Vol. 1, H. J. Rehm, A. Pühler, G. Reed, and P.J. Stadler, eds. (Weinheim, Germany, VCH Verlagsgesellschaft): 189–221 [3] Kalinowski, J., Cremer, J., Bachmann, B., Eggeling, L., Pühler, A. (1991): Mol Microbiol 5: 1197–1204. [4] Follettie, M. T., Shin, H. K., Sinskey, A. J. (1988): Mol Microbiol 2:53–62 [5] De Graaf, A. A., Eggeling, L., Sahm, H. (2001): Adv. Biochem. Eng. Biotechnol. 73: 9–29 [6] Peters-Wendisch, P. G., Schiel, B., Wendisch, V. F., Katsoulidis, E., Mockel, B., Sahm, H., Eikmanns, B. J. 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(2001): Microbiology 147: 1765–74 Hermann Sahm Nicole Kennerknecht Lothar Eggeling Petra Peters-Wendisch (Jahrgang 1942) leitet seit 1977 das Institut für Biotechnologie (IBT1) des Forschungszentrums und ist C4-Professor für Biotechnologie an der Universität Düsseldorf. (Jahrgang 1970) studierte nach einer Ausbildung zur medizinisch-technischen Laborassistentin Biologie in Düsseldorf, promovierte in der Arbeitsgruppe und arbeitet dort seit 2003 als Postdoc. (Jahrgang 1948) studierte Biologie an der Universität Braunschweig und promovierte 1973–1976 bei Fritz Wagner an der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) in Braunschweig. Er ist seit 1977 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungszentrums Jülich am IBT. (Jahrgang 1966) studierte Biologie an der Universität zu Köln und arbeitet seit ihrer Promotion (1992–1996) in der Arbeitsgruppe Sahm, unterbrochen von einem Postdoc (1998–1999) an der University of California Berkeley BIOspektrum · 5/03 · 9. Jahrgang Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Hermann Sahm Institut für Biotechnologie 1 Forschungszentrum Jülich GmbH D–52425 Jülich Tel.: 02461/613294 Fax: 02461/612710 [email protected]