Bachelor of Arts: Soziale Arbeit Potsdam, 16.07.2013 Bachelorarbeit Betrachtung von Social Justice und Diversity als spezifische Gerechtigkeitstheorie in nationalen und internationalen Richtlinien der Sozialen Arbeit, sowie als spezifisches Trainingskonzept im deutschsprachigen Raum der Sozialen Arbeit. Verfasserin: Mailin Reuscher Matrikelnummer: 10780 [email protected] Fachhochschule Potsdam 1. Gutachterin: Mag. Dr. Gudrun Perko 2. Gutachterin: Leah Carola Czollek Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung.........................................................................................................3 2. Die Social Justice und Diversity Theorie im deutschsprachigen Raum...........4 2.1.1 Leitgedanke der Social Justice Theorie......................................................5 2.1.2 Historische Einordnung..............................................................................6 2.1.3 Der Begriff Social Justice ..........................................................................6 2.1.4 Macht- und Herrschaftsanalysen................................................................7 2.1.6 Intersektionaler Ansatz.............................................................................10 2.1.7 Konzept des Verbündet-Seins..................................................................10 2.2 Konzept des Social Justice und Diversity Trainings im deutschsprachigen Raum ................................................................................................................11 2.2.1 Historischer Ursprung...............................................................................11 2.2.2 Maxime, Intention und Methodik des Trainingskonzepts..........................12 2.2.3 Didaktik ....................................................................................................14 2.2.4 Modul- und inhaltliche Einteilung des Trainings........................................14 3. Anwendung von Social Justice und Diversity auf die ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit ..................................................................................................17 3.1 Einführung und Stellenwert von IFSW und DBSH e.V. in der Sozialen Arbeit ..........................................................................................................................17 3.1.1 Definition Soziale Arbeit............................................................................19 3.1.2 Kapitel I Richtlinien im Kontext der Menschenrechte und Menschwürde. 20 3.1.3 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen Richtlinien im Kapitel I.......................................................................................20 3.1.4 Kapitel II Richtlinien im Kontext der sozialen Gerechtigkeit......................22 3.1.5 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen Richtlinien im Kapitel II......................................................................................23 3.1.6 Kapitel III Richtlinien im Kontext des beruflichen Verhaltens....................24 3.1.7 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen Richtlinien im Kapitel III.....................................................................................25 1 4. Anwendung von Social Justice und Diversity in der Sozialen Arbeit im Hospiz ..........................................................................................................................28 4.1 Aufgabenstellung und Arbeitsbereich der Hospizarbeit...............................30 4.2. Darstellung der Aspekte Sozialer Arbeit im Hospizbereich.........................31 4.3 Social Justice und Diversity im Hospizbereich............................................33 4.3.1 Anwendung Social Justice und Diversity im gesellschaftspolitischen Kontext..............................................................................................................34 4.3.2. Anwendung Social Justice und Diversity in der (Alltags-) Praxis für die Soziale Arbeit im Hospiz....................................................................................36 4.4 Resümee ....................................................................................................39 5. Zusammenfassung........................................................................................40 Literaturverzeichnis...........................................................................................42 2 1. Einleitung Durch die Auseinandersetzung mit meiner Funktion als zukünftige Sozialarbeiterin im Rahmen meines Studiums und damit einhergehend der Identität, den Aufgaben und den Auftrag Sozialer Arbeit, begegnete ich den ethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit. Diese sind in einem Dokument von der internationalen Vereinigung von Sozialarbeiter_innen schriftlich niedergelegt. Die Richtlinien stellen sowohl eine ethische Orientierung und Forderung dar, als auch ein eindeutiges politisches Statement. In dem Dokument wird die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit artikuliert und damit ein gesellschaftlicher Auftrag an die Sozialarbeiter_innen gestellt. Doch wie sollen wir Sozialarbeiter_innen diesen Auftrag umsetzen? In dem Seminar „Ethik in der Sozialen Arbeit“ hörte ich zum ersten Mal von einer Gerechtigkeitstheorie namens Social Justice, die nicht nur auf Theorie und Utopie1 basiert, sondern von der Umsetzbarkeit dessen ausgeht und neben einer stichhaltigen wissenschaftlichen Theorie auch konkrete Methoden für die Soziale Arbeit bereitstellt. In der vorliegenden Abschlussarbeit werde ich mich mit der Betrachtung von Social Justice als spezifische Gerechtigkeitstheorie in den nationalen und internationalen Richtlinien der Sozialen Arbeit, sowie als spezifisches Trainingskonzept im deutschsprachigen Raum der Sozialen Arbeit auseinandersetzen. Im ersten Teil der Arbeit werde ich mich der Frage widmen, inwiefern Social Justice als spezifische Gerechtigkeitstheorie in den nationalen und internationalen Richtlinien der Sozialen Arbeit verankert ist. Denn es bestehen Parallelen zwischen der Forderung nach Gerechtigkeit seitens der Sozialen Arbeit und dem Gerechtigkeitsgedanken im Sinne des Social Justice und deshalb soll überprüft werden, ob Social Justice (indirekt) verankert ist und zugleich analysiert werden, ob Social Justice ein Konzept ist, mit dem die Im Kontext von Social Justice wird nicht von Utopie gesprochen, denn diese impliziert eine niemals real existierende Wunschvorstellung von einem gesellschaftlichen Idealzustand (vgl. hier Utopia- Utopie, Duden 2007: 1071, Weinbach 2006: 62). Ausführlich in: Social Justice statt Kultur der Kälte von Heike Weinbach 2006. 1 3 ethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit umgesetzt bzw. anwendbar gemacht werden können. Im zweiten Teil werde ich mich mit der Frage auseinandersetzen, wie Social Justice und Diversity als spezifisches Trainingskonzept in der Sozialen Arbeit am Beispiel Hospiz aufgenommen werden kann. Hospizliche Sozialarbeit als Bereich mit dem großen Thema Tod und würdevolles Sterben muss sich fortwährend mit sozialer Gerechtigkeit und Machtverhältnissen in der Gesellschaft auseinandersetzen. Mittels der (theoretischen) Anwendung von Social Justice soll überprüft werden, ob es sich um ein realisierbares Gerechtigkeitskonzept für die hospizliche Sozialarbeit handelt und damit in diesem Bereich der Gesundheitsförderung ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit geschaffen werden könnte. In meiner Arbeit werde ich mich überwiegend auf die Literatur von Leah Carola Czollek, Gudrun Perko und Heike Weinbach beziehen. Das resultiert zum einen daraus, dass es so gut wie keine Übersetzungen aus dem englischsprachigen Raum zu der Social Justice Theorie und den einflussreichen philosophischen Schriften von Young, Nussbaum, Fraser etc. gibt und zum anderen sind Czollek, Perko und Weinbach die Begründerinnen der Theorie und des Trainingskonzepts Social Justice und Diversity im deutschsprachigen Raum, der für meine Arbeit von primärer Bedeutung ist. „2005 gründeten [die Multiplikatorinnen Anm. d. A.] das Institut Social Justice und Diversity, bei dem es sowohl um theoretische Erarbeitungen als auch praktische Bezüge sowie Umsetzungsmöglichkeiten des Trainingsansatzes geht […]2“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 9). 2. Die Social Justice und Diversity Theorie im deutschsprachigen Raum In den folgenden zwei Kapiteln wird erläutert, auf welche theoretischen und praktischen Grundlagen sich Social Justice und Diversity im deutschsprachigen Raum stützt und wo Social Justice seinen Ursprung hat. Dies stellt die Grundlage für meine Analyse und Beurteilung (Kapitel 3 und 4) der 2 http://www.social-justice.eu/ 4 “Praxistauglichkeit“ in der Sozialen Arbeit dar, sowohl auf gesellschaftspolitischer als auch auf individueller sozial-praktischer Ebene. Social Justice und Diversity ist eine Gerechtigkeits- und Partizipationstheorie, die eine radikale3 Umgestaltung der Gesellschaft zum Ziel hat und nicht nur so vielen wie möglich, sondern allen Menschen Zugang zu allen gesellschaftlichen, also materiellen, kulturellen, sozialen und institutionellen Ressourcen ermöglichen möchte. (http://www.social-justice.eu/socialjustice.html#definition) Diversity im Kontext von Social Justice „[...] bezieht sich auf partizipative Anerkennung der Diversitäten von Menschen“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 10). Die individuelle und politische Anerkennung von Diversität und Disparität bildet die essentielle Grundlage zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft. 2.1.1 Leitgedanke der Social Justice Theorie Social Justice möchte eine Alternative zur liberalen Gesellschaftsform darstellen, „[...] in der alle Menschen materiell abgesichert leben können, sich wechselseitig helfen, sich als jeweils besondere Individuen anerkennen und Konflikte im Zusammenleben gewaltfrei und konstruktiv lösen“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2009: 48). Ein grundlegendes Element von Social Justice ist die Auffassung der Verteilungs- und Anerkennungsgerechtigkeit. Verteilungsgerechtigkeit „[...] bedeutet eine Gesellschaft dahingehend zu gestalten, dass die Ressourcen so verteilt sind, dass alle Menschen physisch und psychisch in Sicherheit und Wohlbefinden leben können.“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 21) Anerkennungsgerechtigkeit bedeutet die Realisierung der Abschaffung struktureller, institutioneller und kultureller Diskriminierung und damit die Grundlage einer partizipativen Anerkennung (ebd.). 2.1.2 Historische Einordnung Den Entstehungskontext des Begriffs Social Justice bildet die Tradition des englischen Utilitarismus und der amerikanischen Gerechtigkeitsphilosophie von Social Justice ist gegen jede Art von Gewalt, struktureller Diskriminierung und Zwang. Auch wenn die Theorie eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft zum Ziel hat, ist jedoch das wichtigste Dogma die der Freiwilligkeit. Ob das konträr zur Umsetzung der Umgestaltung hin zu einer gerechten Gesellschaft ist, kann hier nicht weiter ausgeführt werden und muss dem/r Leser_in überlassen werden. 3 5 John Stuart Mill im 19. Jahrhundert, welche eine Differenzierung „von Ungerechtigkeit in verschiedenen Lebensbereichen“ (Weinbach 2006: 41) unternahm. Social Justice „als Bezeichnung für ein gemeinsames Projekt von unterschiedlichen […] Antidiskriminierungs- und Anerkennungs- und Partizipationsbewegungen […]“ (ebd.) ist erst in den 1980iger Jahren zu verorten. (Ebd.) Zu den wichtigen Impulsgebern des amerikanischen und internationalen Gerechtigkeitsdiskurses gehören in den 1970-, 1980- und 1990iger Jahren John Rawls, Michael Walzer und Charles Taylor. Kritisiert werden jene Autoren Ende der 1980er von den feministischen Philosophinnen Martha Nussbaum, Nancy Fraser, Iris Marion Young und Judith Butler, die „[...] bei allen diesen Philosophien Versäumnisse in der Thematisierung von Macht und Herrschaft und deren realen Folgen für das Leben von Menschen [sehen Anm. d. A.].“ (Weinbach 2009: 42). In der Bundesrepublik Deutschland fand die Theorie als „Anerkennungs- und Partizipationsbewegung“ (Czollek/ Weinbach 2008: 7) Mitte der 1990iger Jahre Verbreitung, „[…] zu einem Zeitpunkt, als sich allmählich ein Verständnis von interkultureller Handlungskompetenz sowie dem Zusammenhang zwischen verschiedenen Protestformen und Sozialen Bewegungen in der BRD entwickelte.“ (Ebd.) 2.1.3 Der Begriff Social Justice Um Social Justice sowohl begrifflich als auch inhaltlich zu verstehen und warum Social Justice nicht einfach mit sozialer Gerechtigkeit, wie es in Deutschland gegenwärtig geschieht, übersetzt werden kann, muss eine Begriffsanalyse, wie sie Heike Weinbach in „Kultur der Kälte“ gemacht hat, aufgeschlüsselt werden. So beschreibt Weinbach, dass der englische Begriff „social“ (Weinbach 2006: 39) sowohl „gesellschaftlich“ (ebd.), als auch „sozial“ (ebd.) impliziert. „Justice“ (ebd.) sowohl die Bedeutung von „Gerechtigkeit“ (ebd.), als auch von „Recht“ (ebd.) beinhaltet. Folglich wird sowohl eine strukturelle Ebene von Gerechtigkeit betont, als auch die Ebene zwischen den einzelnen Individuen; zudem wird ein damit zusammenhängender Rechtsanspruch hervorgehoben ohne mit der Justiz identisch zu sein. (Weinbach 2006: 39) Die Begriffsanalyse 6 veranschaulicht, dass Social Justice nicht mit sozialer Gerechtigkeit übersetzt werden kann, denn mit sozialer Gerechtigkeit werden im „[...] deutschsprachigen Raum vorrangig Konzepte, Interventionen und Aktionen auf den Feldern der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik […] assoziiert.“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2009: 48-49) Deshalb plädieren Czollek, Perko und Weinbach für eine Beibehaltung und Einführung des englischen Begriffs Social Justice im deutschsprachigen Raum (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 19). Der Begriff als solches ist nicht klar und eindeutig definiert oder geschützt, doch wenn man von Social Justice spricht, impliziert es immer eine Herrschafts- und Machtanalyse und den Fokus auf Diskriminierungsstrukturen (Weinbach 2006: 42). „Theorien des Social Justice haben immer einen deutlichen Gesellschaftsbezug im Hinblick auf Fragen der Gerechtigkeit“ (Czollek / Perko/ Weinbach 2012: 20). 2.1.4 Macht- und Herrschaftsanalysen Iris Marion Young hat u.a. eine besondere Bedeutung für die Social Justice Theorie im deutschsprachigen Raum: Macht- und Herrschaftsanalysen spielen eine zentrale Rolle in ihrer Philosophie, „[...] die die Beseitigung jeder Form von institutioneller und anderer Herrschaft zum Ziel hat“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 23). Auch wenn verschiedene Gruppen oder Individuen wegen individueller Aspekte strukturell und oder institutionell diskriminiert werden, so konnte sie aufgrund ihrer Analysen Gemeinsamkeiten in der Diskriminierung identifizieren – die fünf Formen der Unterdrückung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Form der Unterdrückung einzeln durchlebt wird, sondern dass sie ineinander verwoben sind. (ebd.) Young formuliert die fünf Formen der Unterdrückung folgendermaßen: Ausbeutung: Die ungerechte Unterdrückung in Form von Ausbeutung ist nicht darin begründet, dass die einen Individuen große materielle Güter/finanziellen Reichtum haben und die anderen wenig oder nichts, sondern dass die gesellschaftliche Arbeitsaufteilung (wer was für wen für wie viel tut) einem tiefgreifenden sozialen Prozess zugrunde liegt, der auf Verhältnisse von Ungleichheit und Macht hinauslaufen. (Young 1996: 114) 7 Marginalisierung: Marginalisierung stuft Young als die womöglich „[...] gefährlichste Form der Unterdrückung“ (ebd.: 119) ein. Individuen werden aufgrund von fremdbestimmten Merkmalen und/ oder fehlender Fähigkeiten, die als nützlich oder unnützlich eingestuft werden, vom Arbeitssystem ausgeschlossen. Somit werden eine Vielzahl von Menschen (ältere, geistig und oder körperlich behinderte Menschen, Migrant_innen, etc.) an der Teilhabe am sozialen Geschehen ausgeschlossen. Einen “Ausgleich“ stellen auch die im Rahmen der Marginalisierungsprozesse entstandenen Wohlfahrtsdienste oder die Sozialhilfe nicht dar. Diese führen zur institutionellen Abhängigkeit, die mit Begrenzung bestimmter Rechte oder Freiheiten, die andere Individuen wiederum besitzen, gekoppelt sind. „Marginalsierung hört auch dann nicht auf, ein Form der Unterdrückung zu sein, [...] auch wenn marginalisierte Personen mit einem bequemen materiellen Leben ausgestattet wären und dies im Rahmen von Institutionen, die ihre Freiheit und Würde respektieren, so bliebe trotz allem die Ungerechtigkeit der Marginalisierung in Form von Nutzlosigkeit, Langeweile und mangelnder Selbstachtung bestehen.“ (Ebd.: 119-122) Machtlosigkeit: Machtlosigkeit „[...] bezieht sich auf die gesellschaftlich[e Anm. d. A] Ordnung von Arbeit [...]“ (ebd.: 126) und ist das Ergebnis der einfachen Gleichung, dass einige Menschen (begrenzte) Macht über andere haben (jedoch selber nicht über die Art der Macht und deren Folgen Entscheidungsgewalt haben). Die daraus resultierende gesellschaftliche Stellung führt dazu, dass die Machtlosen ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht ausbauen und oder entwickeln können und somit auf ewig in ihrer Machtlosigkeit gefangen sind. (Ebd.: 123-125) Kulturimperialismus: „Unter Kulturimperialismus zu leiden, heißt zu erfahren, wie durch die in einer Gesellschaft herrschenden Werte die besondere Perspektive der eigenen Gruppe unsichtbar gemacht und wie zugleich die eigene Gruppe stereotypisiert und als andere gekennzeichnet wird. Kulturimperialismus bedeutet, dass die Erfahrungen und die Kultur der herrschenden Gruppe universalisiert und zur Norm gemacht werden“ (ebd.: 127). Damit entstehen Konstruktionen, die Gruppen als “Andere“ kennzeichnen. 8 Young zeigt eine dabei entstehende Paradoxie des einerseits sich unsichtbar fühlen und anderseits als anders gekennzeichnet zu sein auf. (Ebd.: 128-129) Gewalt: Wie Young treffend beschreibt, ist Gewalt als fünfte und letzte Unterdrückungsform nicht die (physisch wie psychisch extreme) situative Gewalttat an sich, sondern der systemische, institutionell geschützte, durch die Gesellschaft akzeptierte und damit Gewalt zur sozialen Praxis entstehende Charakter. Der systemische Charakter „[...] was Gewalt zu einem Phänomen der sozialen Ungerechtigkeit macht [...] ist der soziale Kontext, der diese Handlung umgibt, sie ermöglicht und mitunter sogar akzeptabel erscheinen läßt. [...] Gewalt ist systemisch, wenn sie gegen Mitglieder einer Gruppe allein aus dem Grund gerichtet ist, weil sie Mitglieder dieser Gruppe sind.“ (Young 1996: 131) Youngs fünf Formen der Unterdrückung sind die Grundlage des strukturellen Diskriminierungsbegriffs im Social Justice und Diversity Konzept. Unterdrückung liegt nach Young tief verwurzelt und in seinen verschiedenen Formen ineinander verwoben in gesellschaftlichen Denk- und Handlungsstrukturen. Unterdrückung folgt damit einem gesellschaftlichen Muster von unhinterfragten, unreflektierten Normen und Werten und ist aus diesem Grund so schwer identifizierbar. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 25) Der Unterdrückungsbegriff kann im Social Justice und Diversity mit struktureller Diskriminierung übersetzt werden. Man versteht Diskriminierung also als eine strukturelle Gegebenheit, welche sich auf individueller, institutioneller und kultureller Ebene ereignet. Folglich diagnostiziert Social Justice und Diversity eine gesellschaftliche Grundhaltung, die in unhinterfragten Normen, Werten und Identitätszuschreibungen etc. liegt, gefestigt durch unaufgearbeitete und unreflektierte Ereignisse in der Historie der (deutschen) Gesellschaft. Was Diskriminierung zu einem strukturellen Charakter macht, sind die Ebenen, die miteinander verwobenen sind, Strukturelle Diskriminierung auf verläuft denen auf Diskriminierung kultureller, stattfindet. individueller und institutioneller Ebene. Durch das Ineinandergreifen dieser drei Ebenen entsteht 9 Intersektionalität, also hochgradig miteinander verwobene Diskriminierungsweisen: ein relevanter Begriff in der Social Justice Theorie.4 (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 44) 2.1.6 Intersektionaler Ansatz Diskriminierung, wie sie Iris Marion Young definiert und wie sie im Social Justice Projekt verstanden wird, ist von Intersektionalität geprägt. Das bedeutet z. B., dass eine Frau mit Migrationshintegrund zum einem aufgrund ihres Migrationshintergrunds und/oder auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden kann. Dabei betont Young, dass es keine ausschließliche Täter-OpferRolle gibt, sondern jede_r, die aufgrund eines bestimmten Merkmals oder Zugehörigkeit diskriminiert wird, kann gleichzeitig an Diskriminierung anderer Individuen teilhaben, weil diese_r Privilegien hat, die das von ihm diskriminierte Individuum nicht hat. (Young 1996: 101, Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 25) 2.1.7 Konzept des Verbündet-Seins Social Justice hat das Konzept des Verbündet-Seins zum Ziel: in einer Gesellschaft, in der jede_r physisch und psychisch in Wohlbefinden und Sicherheit, frei von Diskriminierung jedweder Art lebt und partizipativ anerkannt wird, ist es notwendig, eigene Privilegien zu reflektieren und sich für Veränderungen einzusetzen, auch wenn dies eine Veränderung der eigenen Position in der Gesellschaft betrifft. Es bedarf also aktiver gesellschaftlicher Mitglieder, welche die Einsicht teilen, dass eine gerechte Gesellschaft nur möglich ist, wenn alle Individuen über ihr eigenes Wohl hinaus schauen und einen übergreifenden Zusammenhang zwischen ihrem und dem Wohl anderer sehen. Oder wie Czollek, Perko und Weinbach pointiert zum Ausdruck bringen: „Das Projekt und die Theorie Social Justice treten ein für die Idee des Verbündet-Seins, wo uns die Anliegen der Anderen die eigenen Anliegen sind.“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 26) Im Social Justice und Diversity Training werden konkrete Handlungsmöglichkeiten entwickelt, um das gesellschaftliche Verbündet-Sein zu ermöglichen. Es gilt, Social Justice nicht als ein theoretisches Konzept 4 Ausführlich im Kontext von Social Justice im Praxishandbuch Social Justice und Diversity beschrieben (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012). 10 neben vielen anderen „stehen zu lassen“, sondern es als lebbares Projekt mithilfe des dazugehörigen Trainings aktiv in den Alltag zu integrieren. 2.2 Konzept des Social Justice und Diversity Trainings im deutschsprachigen Raum Das Social Justice und Diversity Training, aus englischsprachigen Ländern stammend, wurde von Leah Carola Czollek, Gudrun Perko und Heike Weinbach für den deutschsprachigen Raum erweitert und zu einem großen Teil neu konzipiert. Das Training ist der Ansatz einer Realisierungsmöglichkeit der Theorie Social Justice und hat zur Wesensgrundlage nicht statisch, sondern fortlaufend weiterentwickelt zu werden. Das Social Justice und Diversity Training ist ein ganz neues Bildungs- und Trainingskonzept, welches mit einer von Perko und Czollek speziell entwickelten Methode namens „Mahloquet“, Inputs und Übungen bzw. Methoden durchgeführt wird. Ausgangspunkt des Trainings ist die Auseinandersetzung mit struktureller Diskriminierung und hat zum Ziel „[…] Handlungsoptionen gegen jede Art von Diskriminierung […]“ (http://www.social-justice.eu/socialjustice.html#definition) zu entwickeln. Im Folgenden wird nun der historische Kontext, die Methode Mahloquet, die Maxime und inhaltliche Aspekte des Social Justice und Diversity Trainings erläutert. 2.2.1 Historischer Ursprung Zum einen entstand das Projekt Social Justice in den 1980er Jahren aus sozialen Bewegungen in den USA, in enger Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Antirassismusbewegungen und der Sozialen Arbeit. Zum anderen liegt der Ursprung und die Inspiration für das deutschsprachige Bildungs- und Trainingskonzept Social Justice und Diversity Training in dem seit 1987 in den USA entwickelten interdisziplinären Master- und Promotionsstudiengang Diversity and Social Justice Education an der University of Massachusetts. (Czollek/ Weinbach 2008: 6,13; Czollek / Perko/ Weinbach 2009: 48) Die in dem Studiengang ausgebildeten Menschen arbeiten „[...] im Kontext des formalen, offiziellen Bildungssystem“5 (Czollek/ 5 Dieses kann nach Czollek und Weinbach alles vom Kindergarten bis zum College, Verwaltungen, Beratungen und Supervisionen umfassen ( Czollek/ Weinbach 2008: 13). 11 Weinbach 2008: 13). Der Studiengang bezieht sich, wie das Trainingskonzept und das gesamte Social Justice Projekt im deutschsprachigen Raum, u. a. auf Iris Marion Young und deren Herrschafts- und Machtanalysen und den im Kapitel II erläuterten theoretischen Kontexten und Grundlagen. Sowohl der amerikanische Studiengang als auch das hier verortete Projekt verfolgen dasselbe Ziel: die „[…] Vision einer Gesellschaft, in der alle Mitglieder an den gesellschaftlichen Ressourcen teilhaben können und ihnen die physische und psychische Sicherheit und demokratische Entfaltungsmöglichkeit garantiert ist.“ (Czollek/ Weinbach 2008: 14) 6 2.2.2 Maxime, Intention und Methodik des Trainingskonzepts Grundlage des Trainingskonzepts, neben Inputs durch die Trainer_innen und Übungen, ist die von Gudrun Perko und Leah Carola Czollek entwickelte Methode Mahloquet, als Methode des Dialogs, die ihren historischen Ursprung in der „jüdischen Tradition der Interpretation“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 50; Czollek/ Weinbach 2008: 15) hat und findet auch in der Mediation Gebrauch (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 50; Czollek/ Weinbach 2008: 15). Mahloquet ist eine dialogische und zugleich ethisch-dialogische Gesprächsform und Haltung, die „[...] eine dialogische Auseinandersetzung mit struktureller Diskriminierung ermöglicht.“ (ebd.: 50) Die Methode ist eine Basis zur Infragestellung und Reflexion von Selbstverständlichkeiten und Denkstrukturen den eigenen Lebensbereich betreffend. Die Mahloquet verfolgt drei spezifische Haltungen und bilden die Grundlage der Kommunikation im Training: Haltung des Sprechens und Handelns Haltung der Demut, d. h. Die Allmachtsphantasie aufgeben, als einzige_r Recht zu haben. Gleichwertigkeit verschiedener Denkinhalte: jede_r darf sprechen und wird gehört; der Beitrag eines jeden menschen ist gleich wichtig. Sich-Einlassen auf Fremdheit: jede_r ist im Sinne der Gastfreundschaft des anderen Gast. Anerkennender und respektvoller Umgang von Menschen miteinander. 6 Vergleiche hier detaillierte Ausführungen zum historischen Kontext des Trainingskonzepts Social Justice und Diverstiy in: Lernen in der Begegnung von Czollek/ Weinbach 2008. 12 Wechselseitige Übernahme von Verantwortung füreinander: alle sollen die soziale Verantwortung füreinander übernehmen und demokratisch miteinander sprechen und handeln. Die Haltung der De-Hierachsierung Im Dialog sind alle Subjekte gleichberechtigt. Gleichberechtigtes Verhältnis zwischen den jeweiligen Einzelnen und der Gruppe. Es gibt kein Opfer, insofern die Einzelnen weder einer Idee noch einer Gruppe geopfert werden. Es gibt kein gewalttätiges Zwingen von Menschen in Strukturen. Die kulturelle Identität tritt hinter das Individuum zurück; das Individuum spricht nicht als Repräsentant_in einer Kultur, sondern für sich, auch wenn es in die jeweilige Kultur eingebettet ist. Keine Synthese von Widersprüchen, keine Wahrheitsfindung. Keine ein für allemal abgeschlossene Lösung, sondern ein Prozess. Win-Win-Lösung, ausgehandelter Kompromiss oder etwas ganz anderes. Es geht um keine Belohnung. Kein Kampf der Positionen: insofern eröffnet es den Zirkel des bewertenden polarisierenden Denkens. Infrgestellung von Bedeutungen, Werten; Vorstellungen, Bildern … Die Haltung der „Absichtslosigkeit“ des Handelns Es geht nicht um Überzeugung des Gegenübers von meiner Meinung. Es gibt keine übergeordnete Instanz, die darüber entscheidet, was richtig und was falsch ist (das bedeutet keine Beliebigkeit). Quelle: Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: Praxishandbuch Social Justice und Diversity. S. 52 Die drei Haltungen des Sprechens und Zuhörens bilden die Grundlage für das Ziel der Methode: Das eines diskriminierungsfreien Sprechens und Umgehens miteinander und die Möglichkeit des dialogischen Denkens durch die Mahloquet. Allerdings sind dies Ziele, ohne dass sie eine Garantie für das 13 Aufbrechen von bestehenden Vorurteilen und/ oder Stereotypen im Training bietet – jedoch ist die Methode eine geeignete Möglichkeit dafür. (ebd.: 54) 2.2.3 Didaktik Der räumliche Kontext des Gesprochenen folgt dem gleichen Prinzip der drei Haltungen: es soll ein offener, freundlich-respektvoller, reflexiv und gleichberechtigte Raum, frei von Hierarchie sein. Czollek, Perko und Weinbach ist bei dieser Methode ein wichtiges Anliegen, dass es nicht um „[…] political correctness [geht Anm. d. A.…] sondern [um Anm. d. A.] ein tiefes Verständnis dafür, dass Sprache ausgrenzend und strukturell diskriminierend sein kann.“ (Ebd.: 61) In Bezug und als Erweiterung der Mahloquet geht es als Maxime und Intention im Social Justice und Diversity Training nicht um „[...] Moralisierung und Beschämung“ (ebd.: 69), sondern um das Öffnen und Reflektieren der eigenen Denkstrukturen und Privilegien. Keine Diskriminierung wird hierarchisiert, sondern es soll der strukturelle Charakter jeder Form von Diskriminierung verstanden und analysiert werden. Es existieren keine erwünschten oder unerwünschten Antworten und es besteht kein Zwang zur Äußerung. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 69) Die Arbeit erfolgt in Kleingruppen und im Plenum, zur Perspektivenerweiterung „[…] durch ein dialogisches Miteinander.“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 69) Die Intention des Trainings ist die ausführliche Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen „[…] mit Vorurteilen, Stereotypen, Abwertungen und Herabsetzungsstrukturen in der Gesellschaft.“ (Ebd.) Es geht um die Erkenntnis, dass Analysieren und ein Verständnis „[…] Intoleranz, Vorurteile und strukturelle Diskriminierung […] sowie Eigenbeteiligung an der Reproduktion von Herrschaftsstrukturen zu erkennen [und zu entwickeln Anm. d. A.].“ (Ebd.: 69 - 70) 2.2.4 Modul- und inhaltliche Einteilung des Trainings Die folgenden Diskriminierungsformen im Social Justice und Diversity Training wurden in Hinblick auf den deutschen Kontext angepasst und werden einzeln in den Modulen erarbeitet (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 63). Das Training ist nach einem Grundmodul, welches das Ziel hat, „[...] ein Grundverständnis von 14 Diskriminierung zu erwerben, Grundformen von Diskriminierung zu verstehen, eigene Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen [...] und den eigenen Lernprozessen zu reflektieren [und zu lernen d. A.]“ (ebd.) aufgebaut. Die derzeit thematisierten Diskriminierungsformen im Social Justice und Diversity Training sind folgende:7 Ableismus: Strukturelle Diskriminierung von Menschen mit zugeschriebener „Behinderung“ und von Menschen mit Bezug auf zugeschriebene Verhaltensmöglichkeiten, physische und psychische Befindlichkeiten Altersdiskriminierung: Strukturelle Diskriminierung gegen Menschen aufgrund ihres Altersdiskriminierung Adultismus: strukturelle Diskriminierung von Kindern Epiphanismus: strukturelle Diskriminierung von Jugendlichen Ageismus: strukturelle Diskriminierung von alten Menschen Antisemitismus und Antijudaismus: Strukturelle Diskriminierung von, Feindschaft gegen Juden_Jüdinnen. Der Antijudaismus ist religös motiviert. Der Antisemitismus richtet sich gegen die rechtliche und politische Gleichstellung von Juden_Jüdinnen. Antiziganismus: Strukturelle Diskriminierung von Roma_Romnija und Sinti_ze bzw. Menschen mit Roma_Romnija- und Sinti_ze Hintergrund Feindliche Haltung gegenüber Sinti_ze und Roma_Romnija, die von inneren Vorbehalten über offene Ablehnung, Ausgrenzung und Vertreibung bis zu Tötung und massenhafter Vernichtung reicht. Klassismus: Strukturelle Diskriminierung und Stereotypisierung mit Bezug auf ihre sozio-ökonomische Gruppenzugehörigkeit gegen Menschen aus der Arbeiter_innenklasse, gegen arme Menschen, Intellektuelle etc. Lookismus: Strukturelle Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausschluss mit Bezug auf zugeschriebene Formen von Körper, Aussehen, Kleidung. Ost/ West Stereotypen (DDR/ BRD): aufgrund der Strukturelle Herkunft Diskriminierung, aus der DDR Vorurteile oder und aufgrund 7 Czollek, Perko und Weinbach merken an, dass es sich bei der Aufzählung der Diskriminierungsformen nicht um eine Hierarchie, sondern um eine alphabetische Anordnung handelt. 15 transgenerationeller DDR- Hintergründe; und umgekehrt strukturelle Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zur BRD. Rassismus: Strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Bezug auf zugeschriebene „Hautfarben“, „Ethnien“, „Kulturen“, Migrationshintergründe, Sprachen. Gender: Sexismus/ Heterosexismus: Strukturelle Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts sowie der diesen Erscheinungen zugrunde liegenden Ideologie. Heterosexismus ist ein Denk- und Verhaltenssystem, das Heterosexualität als die einzig „normale“ Form sexueller Orientierung und Beziehung festschreibt. Quelle: Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: Praxishandbuch Social Justice und Diversity. S. 63-64 Die Auswahl der Diskriminierungsformen ist keine endgültige, das Training behandelt stets aktuelle (Diskriminierungs-) Themen. Somit können die Arten der Diskriminierung variiert, ersetzt und erweitert werden (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 63). Das Social Justice und Diversity Training bietet mit seinen Themen und theoretischen Ansätzen die Möglichkeit, sich reflexiv mit struktureller Diskriminierung und dessen historischen und gegenwärtigen Bedingungen auseinanderzusetzen. Eigene Denkmuster, Handlungsstrukturen und Privilegien zu hinterfragen und Handlungsoptionen gegen jede Art von Diskriminierung aufzuzeigen und zu entwickeln. Die Social Justice Theorie und das Social Justice und Diversity Training bieten eine Perspektive zur Realisierung einer gerechteren Gesellschaft. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 63) Das Berufsfeld Soziale Arbeit als Professionswissenschaft bietet großes Potential zur Umsetzung und als Multiplikator. Denn es bestehen zahlreiche Parallelen und Handlungsebenen vom Gerechtigkeitsgedanken von Social Justice und Diversity und den ethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit. 16 3. Anwendung von Social Justice und Diversity auf die ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit In diesem Kapitel geht es um eine dezidierte Auseinandersetzung mit Social Justice und Diversity als Theorie und Trainingskonzept, sowie den Richtlinien, um am Ende eine Verankerung von Social Justice in den Richtlinien zu beurteilen. 3.1 Einführung und Stellenwert von IFSW und DBSH e.V. in der Sozialen Arbeit Soziale Arbeit setzt sich sowohl mit dem Individuum, als auch der Gesellschaft auseinander. Soziale Arbeit ist immer politische Arbeit, national und international. Sozialarbeiter_innen stehen oft in einem Spannungsverhältnis, weil sie im Auftrag des Staates (“Wächteramt“), im Anliegen des Individuums und aus eigener ethischer Grundhaltung heraus agieren8 (Staub-Bernassconi 2007: 198). Damit befindet sich Soziale Arbeit als Profession immer in einem ethischen Konflikt, den es zu reflektieren gilt. Die International Federation of Social Workers (IFSW), in Zusammenarbeit mit der international association of schools of social work (IASSW) sind internationale Organisationen, die im Oktober 2004 auf der Generalversammlung das Dokument „Ethik in der Sozialen Arbeit – Darstellung der Prinzipien“ (Lienkamp 2005: 2 pdf) verabschiedet haben. Die von der IFSW und IASSW niedergeschriebene Definition für Soziale Arbeit und die in diesem Zusammenhang festgelegten Prinzipien der Sozialen Arbeit sind ein internationales Übereinkommen, das eine gemeinsame Stellungnahme als Grundlage der Profession Soziale Arbeit darstellt, mit dem ermutigenden Angebot einer Grundhaltung, sein eigenes (ethisches) Denken und Handeln zu diskutieren und reflektieren –national und international (Lienkamp 2005: 2 pdf). Der DBSH (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e. V.) ist die deutsche Mitgliedsorganisation des IFSW und greift mit seinen nationalen 8 Vgl. „Triple-Mandat“ entwickelt von Staub-Bernassconi In: Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft 2007: 198 17 berufsethischen Richtlinien „das Grundsatzpapier der International Federation of Social Workers […] auf und setzt es um“ (DBSH 2009: 9). Der DBSH als Berufsverband und Gewerkschaft zeichnet sich leider vor allem durch seine geringe Mitgliederzahl und fehlende Präsenz in Hochschulen der Sozialen Arbeit aus. Dessen Gründe an anderer Stelle zu diskutieren wären. Trotzdem wird sich immer wieder auf seine ethischen Prinzipien gestützt, wenn es um Legitimation oder ethische Orientierung innerhalb der Arbeit geht. Die Prinzipien zeigen detailliert ethische Orientierung und eine Grundlage beruflichen Verhaltens auf und trotzdem stellt sich mir, als angehende Sozialarbeiterin die Frage der Umsetzbarkeit dessen im Praxisalltag. Durch die Gegenüberstellung und Analyse der Richtlinien und Social Justice und Diversity als Theorie soll festgestellt werden, ob Social Justice und Diversity ein Konzept ist, mit dem die anspruchsvollen Richtlinien umgesetzt werden können und wenn ja, wie. Grundlage des Vergleichs sind die Richtlinien vom IFSW und IASSW und die im Kapitel 2 erläuterte Theorie und das dazugehörigeTrainingskonzept Social Justice und Diversity. Das von der IFSW und IASSW beschlossene international richtungsweisende Dokument „Ethics in Social Work, Statement of Principles“ (Lienkamp 2005: 1 pdf) wird in ein Vorwort eingeteilt, in dem thematisiert wird, seit wann es dieses Dokument gibt und mit welchen Herausforderungen und Ansprüchen Sozialarbeiter_innen in der Sozialen Arbeit konfrontiert sind. Darauf folgt die 2001 von IFSW und IASSW beschlossene allgemeine internationale Definition9 und welche grundlegenden Dokumente10 für die Soziale Arbeit eine besondere Die allgemein anerkannte internationale Definition Sozialer Arbeit ist keine unveränderbare Definition, sondern ein Prozess, welcher eine Erweiterung der Definition fordert (http://www.lienkamp-berlin.de/resources/IFSW-IASSW_Ethics_in_Social_Work_2004_engldt.pdf). 10 Die Soziale Arbeit legitimiert und stützt ihre Arbeit auf der Grundlage folgender Dokumente: „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte; internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung; Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau; Übereinkommen über die Rechte des Kindes; Übereinkommen betreffend die Ureinwohner[_innen Anm. d. A.] und Stammesvölker (ILO – Übereinkommen 169)“ (Lienkamp 2005: 2-3 pdf). 9 18 Rolle spielen. Abschließend folgen die Prinzipien und ein daraus resultierender Codex über berufliches Verhalten von Sozialarbeiter_innen. 3.1.1 Definition Soziale Arbeit Im Folgenden zitiere ich die Definition Sozialer Arbeit: „Die Profession Sozialer Arbeit setzt sich ein für sozialen Wandel, die Lösung von Problemen in menschlichen Beziehungen sowie die Befähigung und Befreiung von Menschen mit dem Ziel, das Wohlergehen zu fördern. Gestützt auf Theorien menschlichen Verhaltens und sozialer Systeme interveniert Soziale Arbeit an den Stellen, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung stehen. Grundlage der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit.“ (Lienkamp 2005: 2 pdf). Die derzeitige Definition beschreibt zum einen die Interaktion zwischen Individuen und Sozialarbeiter_innen und zum anderen die gesellschaftspolitische Ebene. Die Definition gibt den Sozialarbeiter_innen sowohl eine Orientierung, als auch einen klaren Grundsatz, in dem sie festlegt, dass die Grundlagen die der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit sind. In Deutschland sind die Grundsätze in der Verfassung mit dem Grundgesetzt rechtlich verankert. Mit dem im Jahr 1975 eingeführten Sozialgesetzbuch I (SBG I) wurde die Realisierung und Zuweisung der Aufgabe zur sozialen Gerechtigkeit gesetzlich verankert. So soll das SGB I einen konkreten gesetzlichen Rahmen und damit einen Beitrag „[…] zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit […]“ (§ 1 Absatz 1 Satz 1 SGB I) leisten und zur Umsetzung der Aufgaben ausreichend soziale Dienste und Einrichtungen zur Verfügung stellen. (§ 1 Absatz 1, 2 Satz 1 SGB I) Die Prinzipien sind aufgeteilt in die Kapitel I Menschenrechte und Menschenwürde und Kapitel II soziale Gerechtigkeit. Bei der Gegenüberstellung von den Richtlinien und Social Justice und Diversity werde ich nicht zwischen dem Trainingskonzept und der Theorie unterscheiden, da sich beides bedingt, mich aber selbstverständlich nur auf den bisher erläuterten deutschsprachigen Kontext beziehen. 19 3.1.2 Kapitel I Richtlinien im Kontext der Menschenrechte und Menschwürde Die Richtlinien in Kapitel I halten fest, dass Soziale Arbeit alle Menschen, ihre Werte und Würde und den daraus resultierenden Rechten achtet. Konkret bedeutet das, dass Sozialarbeiter_innen das Recht auf Selbstbestimmung und –beteiligung achten und fördern sollen. Dies gilt sowohl im Klient_innen – Sozialarbeiter_innen – Verhältnis, als auch im gesellschaftlichen Kontext. Im Umgang mit dem Klientel soll das Individuum ganzheitlich wahrgenommen und behandelt werden. Das Individuum existiert als Persönlichkeit, im familiären, sowie sozialen und gesellschaftlichen Umweltkontext. Die Sozialarbeiter_innen sollen ihren Fokus auf die Stärken ihres Klientel und die der Gemeinschaft legen. (Lienkamp 2005: 3 pdf) 3.1.3 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen Richtlinien im Kapitel I Die Achtung der Werte und Würde spiegelt sich pointiert in Social Justice und Diversity in den drei spezifischen Haltungen der Mahloquet wider. In der Mahloquet als ethisch-dialogische Gesprächsform, herrscht die Haltung der Anerkennung der „Gleichwertigkeit verschiedener Denkinhalte“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52), der Absichtslosigkeit, das Gegenüber von der eigenen Meinung zu überzeugen und das gleichberechtigte Verhältnis aller im Dialog befindlichen Individuen (ebd.). Die Achtung und Förderung der Selbstbestimmung und –beteiligung äußert sich im Social Justice in der wechselseitigen Hilfe und Anerkennung als jeweils besondere Individuen innerhalb der Gemeinschaft und dadurch ist Partizipation ein wichtiger Bestandteil des alternativen Gesellschaftsbildes von Social Justice. (Mit einer nie endenden Analyse, warum wer an welcher Stelle über wie viel Macht im kulturellen, institutionellen und sozialen Kontext verfügt.) (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52) Die Wahrnehmung und Behandlung im Sinne der Ganzheitlichkeit des Individuums, wie die Richtlinien es fordern, erweitert Social Justice, in dem es davon ausgeht, das jedes Individuum auf individueller, institutioneller und kultureller Ebene diskriminiert werden kann und man auf allen diesen Ebenen 20 entgegenwirken muss. Zugleich soll im Sinne von Social Justice das Individuum in seiner Einzigartigkeit anerkannt werden, „[…] ohne ihm Gruppenzugehörigkeiten als Diskriminierungen oder Klassifizierungen zuzuschreiben.“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 23) Der Fokus auf die Stärken eines Individuums und der Gemeinschaft werden im Social Justice auf mehreren Ebenen abgedeckt: Zum einen in der grundlegenden Annahme, das es (eine) Alternative zur liberalen, kapitalistischen Gesellschaftsform, wie sie derzeit herrscht, möglich ist, zum anderen sehr konkret im Trainingsansatz, wo von Körper- oder Bewegungsübungen und Rollenspielen abgesehen wird, weil diese einen Diskriminierungscharakter für diejenigen, die dazu nicht in der Lage sind oder denen das unangenehm ist, darstellen kann. Im Social Justice und Diversity Training wird nicht nur über Sprache gearbeitet, weil auch Kinder oder Menschen, die nicht sprechen können, an den Social Justice und Diversity Trainings teilnehmen. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 55-56) In der ersten Gegenüberstellung der Richtlinien und Social Justice und Diversity konnte konkret aufgezeigt werden, dass Social Justice sowohl in theoretischer als auch methodischer Hinsicht den Anforderungen der Richtlinien gerecht wird. Social Justice und Diversity bezieht die Anforderungen, Vorstellungen und richtungweisenden Maximen nicht (nur) auf Sozialarbeiter_innen, sondern sieht diese Aufgaben in der Verantwortung aller Individuen in der Gemeinschaft. Damit möchte ich zur Analyse der Prinzipien des zweiten Kapitels, das der sozialen Gerechtigkeit kommen, welches im Kontext meiner Arbeit eine besondere Bedeutung darstellt. Im zweiten Kapitel beschreiben die Richtlinien eine Verpflichtung der Umsetzung der gestellten Forderungen durch die Sozialarbeiter_innen. Dabei ist hier ein Vergleich des zweiten Kapitels in englischer und deutscher Sprache besonders wichtig, denn im englischen Original wird von Social Justice (!) und damit einhergehend von Verpflichtung der Sozialarbeiter_innen gesprochen11. An dieser stelle möchte ich noch mal auf die Übersetzung Social Justice vom englischen ins deutsche und die damit verbundene Begriffsanalyse von Heike Weinbach, was ich im zweiten 11 21 Wie sich in der Analyse zeigen wird, sind die Parallelen der in Kapitel zwei festgehalten Richtlinien und dem im deutschsprachigen Kontext12 festgehalten Konzept Social Justice und Diversity prägnant. 3.1.4 Kapitel II Richtlinien im Kontext der sozialen Gerechtigkeit Die Prinzipien im zweiten Kapitel verpflichten Sozialarbeiter_innen, sowohl im Kontext ihrer Arbeit mit dem Individuum, als auch im gesellschaftlichen Kontext, soziale Gerechtigkeit zu fördern. Konkret bedeutet das, dass Sozialarbeiter_innen jedwede Art von Diskriminierung13 entgegentreten, zurückweisen und Verschiedenheit wahrnehmen, achten und anerkennen sollen. Die IFSW sieht die Aufgabe der Sicherstellung einer gerechten Verteilung, gemäß den Bedürfnissen, der den Sozialarbeiter_innen zur Verfügung stehenden Ressourcen, bei den Sozialarbeiter_innen. Sozialarbeiter_innen sollen Politik und Praktiken, die auf Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Unterdrückung beruhen öffentlich aufmerksam machen und kritisch zur Diskussion stellen. Schließlich sind Sozialarbeiter_innen dazu verpflichtet solidarisch im Sinne einer inklusiven Gesellschaft hinzuarbeiten und alles was für das Gegenteil sorgt, zurückzuweisen. 3.1.5 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen Richtlinien im Kapitel II Social Justice und Diversity versteht den Diskriminierungsbegriff als strukturelle Diskriminierung, das heißt, dass man auf institutioneller, kultureller und individueller Ebene diskriminiert werden kann und deckt somit alle in den Kapitel meiner Arbeit erläutert habe, hinweisen. 12 Im Rahmen dieser Arbeit kann nur der deutschsprachige Kontext von Social Justice betrachtet werden, schließt aber Parallelen und Überschneidungen zum Konzept in englischsprachigen Ländern natürlich nicht aus. Es schließt auch nicht aus, dass das Original der Prinzipien möglicherweise ein Indikator dafür ist, dass Social Justice als Konzept in der Gesellschaft von englischsprachigen Ländern angekommen ist und versucht wird, es umzusetzen. Wie es sich zum Beispiel im Studiengang Diversity and Social Justice Education an der University of Massachusetts widerspiegelt. 13 In den Richtlinien wird von negativer Diskriminierung gesprochen, weil es Länder gibt, die von positiver und negativer Diskriminierung ausgehen. Von positiver Diskriminierung wird dann gesprochen, wenn positive Handlungen gegen schon geschehen Diskriminierung zur „Entschädigung“ erfolgen. (Vgl. Lienkamp 2005: 4 pdf) 22 Richtlinien aufgeführten Beispiele14 ab. Social Justice und Diversity sieht die Verpflichtung, sich gegen Diskriminierung zu engagieren und zu kämpfen, nicht nur bei einer bestimmten Berufsgruppe, sondern bei allen Menschen. Also im Sinne der Anerkennungsgerechtigkeit, ein aktives Hinwirken aller für eine gerechte(re)n Gesellschaft. Die Anerkennung der Verschiedenheit spielt im Social Justice und Diversity eine primäre Rolle, da Social Justice und Diversity als Partizipationstheorie verstanden wird, in der die Politik so umgestaltet werden muss, dass sie den Individuen mit ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen gerecht wird. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 21) Social Justice und Diversity fordert die Teilhabe an allen gesellschaftlichen (materiellen, kulturellen, institutionellen und sozialen) Ressourcen, was impliziert, dass alle Güter der Gesellschaft so verteilt sind, dass jede_r in Wohlbefinden und Sicherheit leben und (dadurch in der Gesellschaft) partizipieren kann. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 21) Somit erweitert Social Justice und Diversity den Gerechtigkeitsgedanken von einer gerechten Verteilung, wie er in den Richtlinien formuliert ist, in dem Social Justice und Diversity von einem strukturellen Verteilungsgedanken ausgeht. (Ebd.) Die Richtlinien, ungerechte Politik zurückzuweisen und solidarisch zu handeln, spiegeln sich im Konzept des Verbündet-Seins von Social Justice und Diversity wider. Im Konzept geht es um die Notwendigkeit, eigene Privilegien zu reflektieren und sich für Veränderungen einzusetzen, auch wenn dies eine Veränderung der eigenen Position in der Gesellschaft betrifft. Mit dem Ziel, einer Gesellschaft, in der jede_r physisch und psychisch in Wohlbefinden und Sicherheit, frei von Diskriminierung jedweder Art lebt und partizipativ anerkannt wird. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 26) Damit konkretisiert Social Justice und Diversity methodisch die Forderung der Richtlinien. Sozialarbeiter_innen sollen Diskriminierung zurückweisen, „[…] sei es aufgrund von Fähigkeiten, Alter, Kultur, sozialem bzw. biologischem Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischen Status, politischer Meinung, Hautfarbe rassischen oder anderen körperlichen Merkmalen, sexueller Orientierung oder spirituellem Glauben.“ (Lienkamp 2005: 4 pdf) 14 23 Im Folgenden werde ich zusammenfassen, welchen konkreten Aufgaben sich die Sozialarbeiter_innen stellen müssen, um dann in einem Vergleich zwischen den Richtlinien und Social Justice ud Diversity zu analysieren, inwieweit Social Justice und Diversity den Richtlinien entspricht und ob es ein Konzept ist, mit dem die ethischen Richtlinien angewendet werden können. Anschließend werde ich in einem Resümee festhalten, was das für die Soziale Arbeit bedeutet. 3.1.6 Kapitel III Richtlinien im Kontext des beruflichen Verhaltens Die ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit schließen mit dem letzten Kapitel, des beruflichen Verhaltens, in dem die nationalen Mitgliedsverbände dazu verpflichtet werden im Einklang und Kontext der Stellungnahme des IFSW und IASSW eigene berufsethische Richtlinien zu entwickeln, überprüfen und regelmäßig zu überarbeiten. Diese an Sozialarbeiter_innen und die in den Ausbildungsstätten befindlichen darüber zu informieren. In Deutschland übernimmt diese Aufgabe der DBSH als Mitgliedsorganisation des IFSW und IASSW. Die Richtlinien über das berufliche Verhalten sollen einen Standard in der Profession Soziale Arbeit darstellen, an denen sich Sozialarbeiter_innen orientieren und halten sollen. Sozialarbeiter_innen sollen dafür sorgen, dass ihr beruflichen Erfahrungen nicht für unmenschliche Maßnahmen und Praktiken missbraucht werden und sie selbstverständlich auch selber nicht „[…] ihre Position […] für [einen Anm. d. A.] persönlichen Vorteil oder Gewinn [missbrauchen Anm. d. A.]“ (Liennkamp 2012: 5 pdf) Ihre Professionalität soll geprägt sein durch einen respektvollen und gefühlvollen Umgang mit den Individuen, dazu gehört auch, nicht die eigenen Interessen über die der Menschen, die Sozialarbeiter_innen aufsuchen (müssen), zu stellen. Sozialarbeiter_innen haben die Pflicht, alle vertraulichen Daten und Informationen über ihr Klientel zu schützen. Sozialarbeiter_innen müssen berücksichtigen und akzeptieren, dass ihre Handlungen im Widerspruch mit den Interessen der Klient_innen, des Staates, des Berufsstandes und der eigenen Profession stehen können. Sozialarbeiter_innen sind verpflichtet sich zu informieren, weiterzubilden und ihrer hohen ethischen Verantwortlichkeit bewusst zu sein. (ebd.) 24 3.1.7 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen Richtlinien im Kapitel III Das Social Justice und Diversity Training gleicht einem Prozess und hat somit keine Endgültigkeit. Den Anspruch der ständigen Weiterentwicklung des Trainings bildet die wesentliche Basis des Ziels, Handlungsmöglichkeiten gegen jede Art von Diskriminierung zu entwickeln. Somit umfasst das Trainingskonzept die im fünften Kapitel geforderten Kriterien der Aufrechterhaltung der erforderlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten. Die Mahloquet als ethischdialogische Gesprächsform und Grundhaltung, die von den Maximen der Gleichwertigkeit verschiedener Denkinhalte, einen anerkennenden und respektvollen Umgang, der Absichtslosigkeit im Dialog und zu letzt das gleichberechtigte Verhältnis der Individuen im Dialog, geprägt ist, ist eine Methode für Sozialarbeiter_innen, ihrem Klientel mit Respekt und Achtsamkeit zu begegnen und nicht Gefahr zu laufen, ihre Bedürfnisse über die der anderen zu stellen. 3.2 Verankerung von Social Justice und Diversity in den Richtlinien der Sozialen Arbeit Durch die Gegenüberstellung der ethischen Prinzipien und Social Justice und Diversity konnten Parallelen aufgezeigt werden. Social Justice und Diversity und die Mahloquet mit ihrer Vielseitigkeit bieten eine Methode, mit der die allgemeinen Richtlinien über berufliches Verhalten zum großen Teil umgesetzt und angewendet werden kann. Die Auseinandersetzung mit struktureller Diskriminierung ist Ausgangspunkt des Trainings und Grundlage der Mahloquet. Social Justice und Diversity erweitert damit methodisch, was die ethischen Prinzipien Sozialer Arbeit fordern und zum Ziel haben und folglich auch in der Praxis der Sozialen Arbeit nicht fehlen darf. An dieser Stelle betone ich noch mal, dass Social Justice in Bezug auf alle Menschen konzipiert ist und nicht nur in Bezug auf eine bestimmte (Berufs-) Gruppe. Social Justice als eine Theorie, die vor allem erstmal konkret am Individuum und seinen Vorstellungen, Vorurteilen und Stereotypen arbeitet, bietet eine direkte Handlungsmöglichkeit 25 und Arbeitsgrundlage für Sozialarbeiter_innen mit ihrem Klientel. Dies soll die Anwendung von Social Justice in der Sozialen Arbeit im Hospiz verdeutlichen. In der ersten Gegenüberstellung der Richtlinien und Social Justice und Diversity konnte konkret aufgezeigt werden, dass Social Justice und Diversity sowohl in theoretischer als auch methodischer Hinsicht den Anforderungen der Richtlinien gerecht wird. Die ethischen Prinzipien stellen zum einen eine (ethische) Orientierungshilfe für Sozialarbeiter_innen in (problematischen) Situationen dar und zum anderen stellen sie eine Legitimation (der Profession) neben der staatlichen Legitimation dar. Es geht sowohl um gesellschaftliche Verantwortung, als auch um die Berufsbeziehungen zum Klientel. Die Richtlinien der Sozialen Arbeit fordern wie Social Justice und Diversity Gerechtigkeit und gehen von Ungerechtigkeit und (struktureller) Diskriminierung aus. Dort setzt Social Justice und Diversity mit ihrem Trainingskonzept an und leistet somit einen Beitrag hin zu einer gerechteren Gesellschaft. Dieses Konzept beruht auf der Arbeit mit und an Individuen und ihrem tief verwurzelten Verständnis eines Menschen- und Gesellschaftsbildes (die Normen, Werte und Strukturen implizieren). Dieses Trainingskonzept ist für die Soziale Arbeit sehr gut geeignet, weil Sozialarbeiter_innen mit dem Individuum arbeiten, aber immer auch mit gesellschaftlichen Strukturen konfrontiert sind. Ein ökonomisches Konzept, was zweifellos ein wichtiger Bestandteil einer gerechteren Gesellschaft ist, fehlt noch. Solange Ungerechtigkeit in Form einer tiefverwurzelten strukturellen Diskriminierung besteht, nützt auch ein ökonomisches Konzept nicht, weil strukturelle Diskriminierung auch dann bestehen bleibt, wenn alle Menschen materiell abgesichert wären. Die Parallelen zwischen den Richtlinien und Social Justice und Diversity zeigen sich auch zwischen der hospizlichen Sozialarbeit und Social Justice und Diversity. Die ethischen Prinzipien spiegeln sich in ihrer Ganzheitlichkeit in der hospizlichen (Sozial-) Arbeit wieder, wo es um (soziale) Gerechtigkeit, Inklusion, Partizipation und Solidarität geht. Im Folgenden soll Social Justice und Diversity 26 als Gerechtigkeitstheorie und -konzept auf die Umsetzbarkeit in der hospizlichen Sozialarbeit und damit auch die Richtlinien auf methodische Anwendbarkeit überprüft werden. 4. Anwendung von Social Justice und Diversity in der Sozialen Arbeit im Hospiz Sterben ist ein Bestandteil des Lebens. Der Tod erwartet unterschiedslos jeden Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, Kulturund Religionszugehörigkeit, von Gesellschaftsklasse o. Ä. Der Tod ist eine Gemeinsamkeit, die alle Lebewesen teilen. Was die Menschen innerhalb einer Gesellschaft unterscheidet, ist die Art und Weise des Sterbens, der Umstände des Sterbens, der Qualität der letzten Lebensspanne. Diesbezüglich existieren zum Teil immense Unterschiede, die in sozialen Ungleichheiten und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten begründet sind. Einige (wenige) der sterbenden Menschen befinden sich in einer Institution namens Hospiz, wo in medizinischer15 Hinsicht dafür gesorgt wird, dass der Mensch im Prozess des Sterbens körperlich nicht leiden muss und in psychosozialer Hinsicht in Wohlbefinden (soweit es möglich ist) leben kann. Im Hospiz befinden sich Menschen, die nur noch eine begrenzte Lebenszeit von Wochen oder wenigen Monaten haben und sich entschlossen haben, keine lebenserhaltenden Maßnahmen, wie künstliche Beatmung oder Ernährung in Anspruch zu nehmen. Der Grundgedanke des Hospiz ist die Überzeugung und Sicherstellung des Prozesses eines „menschenwürdigen Sterbens“ (Student/ Mühlum/ Student 2007: 14) und damit die Haltung der Unantastbarkeit der Würde des Menschen über den Tod hinaus16. Die meisten Menschen, die an 15 Der medizinische Aspekt der Hospizarbeit wird unter dem Begriff Palliativmedizin zusammen gefasst. „Palliativmedizin widmet sich der Behandlung und Begleitung von Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung. Die Palliativmedizin bejaht das Leben und sieht das Sterben als einen natürlichen Prozess. Sie lehnt aktive Sterbehilfe ab. “ (http://www.dgpalliativmedizin.de/diverses/wir-ueber-uns.html) 16 Das Bestreben und Thematisieren der Wahrung der Würde des Menschen über den Tod hinaus impliziert eine übergeordnete gesellschaftliche Verantwortlichkeit. Denn wie viele Menschen werden so beerdigt, wie sie es sich wünschen bzw. wie viele Familie können einen 27 einer unheilbaren Krankheit leiden und nur noch eine begrenzte Lebenszeit vor sich haben, sterben nicht zuhause oder im Hospiz, sondern in Pflegeheimen und Krankenhäusern (aufgrund mangelnder Plätze im Hospiz und u. a. fehlende finanzielle Sicherheit und Unterstützung für die Pflege zuhause). Dort wird der Tod eines/r Patient_in oft als medizinisches Versagen interpretiert. Durch diese Einstellung zum Tod kann der sterbende Mensch als Randgruppe in der Gesellschaft exkludiert und somit am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 21, 29) Hospizliche Sozialarbeit muss sich tagtäglich mit (sozialer Un-) Gerechtigkeit auf verschiedenen Ebenen auseinandersetzen: Wer hat durch Finanzierung und Verteilung öffentlicher Güter Zugang zum Hospiz? Ist die Teilhabe des sterbenden Menschen am gesellschaftlichen Leben ohne finanzielle Sicherheit und Rückhalt überhaupt möglich? Wie viel Autonomie liegt beim sterbenden Menschen? Denn wer entscheidet und gestaltet wie das Sterben auszusehen hat? Und wie viel Macht und Entscheidungsgewalt liegt tatsächlich beim sterbenden Menschen? (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15, 25) Hier liegt ein zentraler Bereich, der viele Fragen aufwirft und bislang wenige im Gerechtigkeitsdiskurs befriedigende - Antworten bereithält. Social Justice und Diversity, das bei dem Individuum und den gesellschaftlichen Strukturen gleichermaßen einsetzt und arbeitet, scheint ein geeignetes Konzept für die hospizliche Sozialarbeit zu sein.17 In diesem Bereich Sozialer Arbeit wird mit dem sterbenden Menschen als Klient_in, dem sozialen Umfeld, seinem eigenen ethischen Verständnis gearbeitet und ein übergeordnetes Angehörigen “würdevoll“ beerdigen lassen? Die Bestattungsform und -zeremonie ist abhängig vom Einkommen – des eigenen oder dem der Familie. 17 Grundsätzlich zeichnet sich die Soziale Arbeit durch Generalimus aus, für den verschiedene Unterteilungen getroffen werden. Zum einen wird der universelle Generalismus diagnostiziert: um Integration und soziale Gerechtigkeit zu leisten, ist es unumgänglich, übergreifend zu agieren, also interdisziplinär und alle Menschen umfassend. Der/die Sozialarbeiter_in fungiert als Vermittler zwischen den Gesellschaftsteilen, Institutionen usw. Zum anderen existiert stets ein spezialisierter Generalismus in der Sozialen Arbeit, da ein_e Sozialarbeiter_in stets fallbezogen agieren muss; in der psychosozialen Praxis ist es nicht möglich, einem starren Regelmuster zu folgen. In: Sozialarbeit ohne Eigenschaften. Fragmente einer postmodernen Professions- und Wissenschaftstheorie Sozialer Arbeit von Heiko Kleve, Seite 96-97. 28 gesellschaftliches Ziel verfolgt: jenes der Integration des Todes, der Trauer und des Verlustes in den Alltag. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15, 25) Social Justice hat eine gerechte(re) Gesellschaft zum Ziel. Dieses Ziel umfasst ein übergeordnetes, strukturelles Bestreben, deshalb wird zuerst erläutert, was die Arbeit im Hospiz umfasst, wie Soziale Arbeit im Hospiz aussieht, um dann zu bewerten, inwiefern Social Justice und Diversity die Hospizarbeit sowohl in gesellschaftspolitischer Hinsicht, als auch praxisalltäglich die Soziale Arbeit erweitern und bereichern könnte. 4.1 Aufgabenstellung und Arbeitsbereich der Hospizarbeit Die Hospizarbeit lässt sich in einen übergeordneten gesellschaftlichen Auftrag und eine individuelle (medizinische und psychosoziale) Arbeit mit dem sterbenden Mensch aufteilen. Die Grundlage des gesellschaftspolitischen Auftrags der Hospizarbeit ist die Förderung der Teilhabe des Sterbenden am Alltag und am gesellschaftlichen Leben (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15). Sterben als natürlicher Prozess des Lebens soll nicht verborgen im Stillen verdeckt gehalten und mit einem Versagen (z.B. der Medizin) gleichgestellt werden und somit die/den Sterbende_n als eine Form der Marginalisierung zur Randgruppe exkludieren. Das Ziel ist die Integration der/des Sterbenden in den familiären und gesellschaftlichen Alltag. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 21). Im Sinne des Social Justice und Diversity werden auch die sich im Hospiz befindenden Mitarbeitenden (wie Ärzt_innen, Pflegefachkräfte, Sozialarbeiter_innen, Verwaltungskräfte, Köch_innen etc.) und ehrenamtlich Mitarbeitenden, Helfende, die Gäste18(Sterbende) des Hospiz und die direkten Angehörigen der Gäste, sowie das weitere soziale Umfeld, zum gesellschaftspolitischen Kontext gezählt. Denn Social Justice als radikale Gerechtigkeitstheorie setzt bei allen Menschen, Institutionen und Strukturen an und nicht nur an einer (Berufs-) Gruppe. Dies 18 Im Hospiz heißen die Patient_innen/ Klient_innen/ Adressat_innen “Gäste“, zum einem wegen ihres zeitlich begrenzten Aufenthaltes im Hospiz und zum anderen als Zeichen einer bestimmten Einstellung zum Thema Tod, die noch im weiteren erläutert wird. 29 soll die Aufzählung der im Kontext der Hospizarbeit sich befindenden Menschen darstellen. In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf Sozialarbeiter_innen denkt jedoch alle anderen Menschen, Institutionen und Strukturen im Kontext der Hospizarbeit mit und wird folgend in der Anwendung von Social Justice und Diversity im gesellschaftspolitischen Kontext näher erläutert. Der individuelle Aspekt hospizlicher Arbeit umfasst die „[...] psychosoziale [...], spirituelle [...] und Trauerbegleitung, sowie Palliativmedizin und -pflege“ (Student/ Mühlum/ Student 2007: 27). In der psychosozialen und Trauerbegleitung geht es vor allem um Unterstützung, Begleitung, Aufklärung und Förderung in individuellen Angelegenheiten und Möglichkeiten. Also die kontinuierliche Fürsorge von Betroffenen und Angehörigen auch über den Tod hinaus. Dies impliziert auch die eigene Auseinandersetzung und Reflexion von Tod, Trauer und (Verlust-) Ängsten. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15) Diese angeschnittenen Aspekte der psychosozialen und Trauerbegleitung umfassen vor allem die Organisation, Vernetzung und Ausführung der Sozialen Arbeit. In der individuellen Hospizarbeit nimmt der medizinisch-pflegerische Faktor eine ebenso wichtige Rolle ein, wenn es um Symptomkontrolle o. Ä. palliative Kenntnisse und Fähigkeiten geht, sowie die Verfügbarkeit eines interdisziplinären Teams (ebd.: 28). Denn dem Sterbenden soll ein schmerzfreier Tod gewährt werden, im Sinne des „menschenwürdigen Sterbens“ (Student/ Mühlum/ Student 2007: 14), in dem es darum geht, ein (relatives) Wohlbefinden, soweit es möglich ist, zu ermöglichen. In welchen Momenten die Soziale Arbeit sowohl in psychosozialer als auch medizinischer Hinsicht ansetzt und was das konkret für die Klient_innen bedeutet, wird im Folgenden erörtert. 4.2. Darstellung der Aspekte Sozialer Arbeit im Hospizbereich 30 Generalisierend könnte man sagen, die Aufgabenstellungen, Methoden und Konzepte der Sozialen Arbeit im Hospiz sind so weitläufig und vielfältig, wie der/die Klient_in selbst. Die Soziale Arbeit setzt da an, wo es individuell um Probleme, Sorgen, Nöte und Veränderungswünsche und -bedarf geht. Dabei lässt sich die Soziale Arbeit im Hospiz ebenfalls wie die allgemeine Hospizarbeit in einen generalistischen und individuellen Kontext gliedern. Den/die Sterbende_n in seiner Autonomie zu fördern und zu unterstützen, in dem der Mensch in (der Umsetzbarkeit) seinen/ihren Wünsche und Bedürfnisse gefördert wird, gehört zu den wesentlichen Aufgaben der Sozialen Arbeit im Hospiz. Die Förderung der Autonomie als wesentliche Aufgabe in der hospizlichen Sozialarbeit lässt sich nicht nur in den individuellen oder generalistischen Kontext einordnen, sondern bedingt sich miteinander. Denn nur ein Mensch, der in eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt entscheiden kann und auch am Ende seines Lebens darin gefördert wird, kann aktiv am (gesellschaftlichen) Leben teilhaben. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15, 25) Dort setzt die Soziale Arbeit an, in dem der/dir Klient_in in der eigenen Handlungsfähigkeit und Autonomie gefördert wird und die Soziale Arbeit Hilfestellung leistet. Die Selbstbestimmung ist ein wichtiger Ansatzpunkt in der Anerkennungsgerechtigkeit im Sinne des Social Justice und an der Stelle wird zum ersten Mal besonders deutlich, dass die Soziale Arbeit Social Justice methodisch konkretisiert. Die aktive Netzwerkarbeit als wichtiges methodisches Mittel, in der die Nachbarschaft und das soziale Umfeld mobilisiert werden, sowie die Organisation der ehrenamtlichen Mitarbeitenden und Helfenden hat dabei einen weiteren zentralen Stellenwert zur Umsetzung dieses Ziels (Student/ Mühlum/ Student 2007: 28). Zum einem ist die Umsetzung von Wünschen und Bedürfnissen ohne diese meist nicht realisierbar und zum anderen ist der Einbezug von ehrenamtlichen Mitarbeitenden und Helfenden in der Alltagsbegleitung unumgänglich, wie z. B. „am Bett sitzen“ (ebd.: 28) und 31 „zuhören“ (ebd.: 28), die Kinder am Nachmittag betreuen o. Ä. Und umfasst das Ziel die „[...] Sterbebegleitung zum Teil alltäglicher mitmenschlicher Begegnung zu machen und damit der Integration des Sterbens im Alltag zu dienen“ (ebd.: 28) und den sterbenden Menschen in die Gesellschaft zu (re-) integrieren. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15, 25) Diese nachbarschaftliche Unterstützung steht in direkter Verbindung mit dem Verbündet-Sein des Social Justice und wird in 4.3.2 näher erläutert. Die individuelle Begleitung der Sozialarbeiter_innen und ihren Klient_innen umfasst den Aspekt, den/die Sterbende_n nicht mit seinen/ihren Ängsten und Befürchtungen allein zu lassen, unterstützend und aufklärend tätig zu sein. Die Aufklärung über medizinische, rechtliche, finanzielle Bedingungen etc., führt zu einer Verringerung von Ängsten und Befürchtungen. Sozialarbeiter_innen sind auch zuständig für die „Entwicklung von Vertrauen“ (Student/ Mühlum/ Student 2007: 25) in die „eigene Handlungsfähigkeit“ (ebd.) durch Hilfestellung bei der Organisation von pflegerischen Hilfen, vorsorgliche Verfügungen, psychosozialer und ethischer Beratung, Vernetzung und Koordination. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 101) Dazu gehört auch die spirituelle Begleitung im Sinne von transkultureller Aufmerksamkeit und Kommunikation, um auf eine dem Individuum angemessene Weise auf spirituelle und kulturelle Bedürfnisse (Rituale, Nahrung, Gebete etc.) einzugehen. Social Justice und Diversity stellt hier hilfreiche Mittel, z. B. die Mahloquet, die dialogische Gesprächsform und ethisch-dialogische Gesprächshaltung. Dies wird in 4.3.2 anhand einer fiktiven Situation exemplarisch konkretisiert. (Urban 2011: 12) Es wurde deutlich, dass alle Aufgaben der hospizlichen Sozialen Arbeit unentbehrlicher Bestandteil, sowohl in gesellschaftspolitischer Funktion, als auch in der individuellen Begleitung der Klient_innen sind. Inwieweit Social Justice und Diversity die Hospizarbeit theoretisch und methodisch erweitern und bereichern kann, soll nun im Folgenden erörtert werden. 32 4.3 Social Justice und Diversity im Hospizbereich Die Aufgabengebiete der Arbeit im Hospiz sind in ihrer Ganzheitlichkeit, also die Arbeit mit und am Individuum (Begleitung des Sterbenden), sowie der generalistischen Funktion (Ersatz für das, was früher die Familie geleistet hat und die (wieder-) Eingliederung in die Gesellschaft) ein guter Ansatzpunkt für Social Justice und Diversity. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 29, Kleve 2000: 94). Wie bei den Richtlinien schon analysiert wurde, bestehen Parallelen zwischen Sozialer Arbeit und Social Justice und Diversity in Bezug auf Forderungen nach Gerechtigkeit und dem Verständnis von struktureller Diskriminierung. Die Parallelen sind in der Sozialarbeit im Hospiz besonders prägnant. Es wird sowohl auf das Individuum eingegangen, in Form von Anerkennung, Wahrung der Würde und Forderung von Autonomie und Partizipation als auch mit und an der Gesellschaft durch Netzwerkarbeit und Aktivierung des sozialen Umfelds, sowie Öffentlichkeitsarbeit. Inwieweit Social Justice und Diversity mit ihrem theoretischen Ansatz und den praxisrelevanten Methoden Soziale Arbeit erweitern und somit bereichern kann (oder umgekehrt!) soll im Folgenden am Beispiel Hospiz (auf der Basis eines Gedankenspiels) ausgeführt werden. 4.3.1 Anwendung Social Justice und Diversity im gesellschaftspolitischen Kontext Social Justice und Diversity setzt grundsätzlich bei allen Menschen, Institutionen und Strukturen an und verfolgt damit einen übergreifenden Aspekt, der in folgender Skizzierung eines Hospiz mit den sich darin befindenden Menschen verdeutlicht werden soll: Geht man davon aus, dass die Mitarbeitenden, ehrenamtlich Mitarbeitenden und Helfenden eines Hospiz, genauso wie ihr Klientel unterschiedlichen Geschlechts, Alter, sexueller Orientierung, Kultur- und Religionszugehörigkeit, Gesellschaftsklasse, mit und ohne Behinderung, mit und ohne Kind, alleinerziehend o. Ä. sind, wäre das Diversität und Pluralität, wie man sie im Sinne des Social Justice und Diversity Konzepts versteht. (Czollek/ Perko 2009: 33 30) Diversität und Pluralität stellt eine Grundlage, im Kontext der Anerkennungsgerechtigkeit mit dem Ziel strukturelle, institutionelle und kulturelle Diskriminierung abzuschaffen und damit partizipative Anerkennung zu realisieren, dar. Also Vielfältigkeit in einem gleichberechtigten und anerkennenden neben- und miteinander. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 21). Was bedeutet das für die Pluralität im Kontext der Anerkennungsgerechtigkeit für Mitarbeitende, ehrenamtlich Mitarbeitende, Helfende, Sterbende, Angehörige und das soziale Umfeld? Setzt diese Pluralität im Sinne der Anerkennungsgerechtigkeit voraus, dass (ehrenamtlich) Mitarbeitende, Helfende und Klient_innen abgesehen von der professionellen Eignung eine Stelle, einen Platz oder den Raum für Engagement gerade deshalb bekommen (müssen), weil sie unterschiedlichen Geschlechts, Alter, sexueller Orientierung, Kultur- und Religionszugehörigkeit, Gesellschaftsklasse, mit und ohne Behinderung, mit und ohne Kind, alleinerziehend o. Ä. sind – ohne dass sie in ihrer Andersartigkeit stigmatisiert werden? „Insofern gilt im Social Justice und Diversity [...], dass die kulturelle Identität hinter das Individuum zurücktritt und die (Fremd-) Zuschreibung von (eindeutiger) Identität einzelner oder indentitärer Gruppen im gemeinsamen Gespräch immer wieder dekonstruiert wird […], ein Dilemma bezüglich der Anforderung, auf Differenzen von Menschen aufmerksam zu sein und gleichzeitig keine verallgemeinernde Festschreibung von Menschen oder Menschengruppen auf bestimmte Merkmale oder Verhaltensweisen etc. vorzunehmen“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 49). Mit dem Zitat sollte aufgezeigt werden, dass (ehrenamtlich) Mitarbeitende nicht deshalb einen Arbeitsplatz bekommen sollen oder gar müssen, weil sie “anders“ sind, sondern die Möglichkeit eröffnet werden soll, dass jede_r unabhängig festgeschriebener Identitätsmerkmale, die auf (unreflektierten) Werten, Normen und Strukturen basieren, die Möglichkeit auf einen (Arbeits-) Platz bekommen soll(te) und nicht aufgrund von (sozialen) Festschreibungen im Sinne eines “wir“ oder “ihr“ der Platz verschlossen bleibt (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 48). Was das für den gesellschaftspolitischen Kontext bedeutet ist, dass der Ansatz von Social Justice und Diversity für den Hospizbereich sich im individuellen Recht äußert, dass jede_r die Möglichkeit auf einen Hospizplatz hat bzw. jede_r 34 autonom entscheidet und gestaltet, wie sein Prozess des Sterbens auszusehen hat. Dazu ist es unumgänglich, dass jede_r physisch wie psychisch in Wohlbefinden leben kann und partizipativ anerkannt wird (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 21). Also finanzielle Sicherheit auch dann gewährleistet ist, wenn z. B. die Tochter entscheidet, ihre Mutter zuhause zu pflegen und daher nur noch halbtags arbeiten kann. In diesem Zusammenhang bedeutet die partizipative Anerkennung für den gesellschaftspolitischen Kontext, sich als gleichberechtigte Individuen gegenüber zu treten und den jeweils anderen in seiner Andersartigkeit anzuerkennen und dadurch partizipieren und selbstbestimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 10-11) Das Wohlergehen und die Bewahrung der Würde des sterbenden Menschen ist der elementare Aspekt der Hospizarbeit mit ihren Patient_innen. An dieser Stelle greift Social Justice und Diversity ein und erweitert diesen elementaren Grundgedanken mit Fragen (nach struktureller Diskriminierung): Wer hat warum Zugang zum Hospiz, welche Mechanismen wirken, dass eine_r einen Platz bekommt und der/die andere nicht – obwohl beide die notwendige Voraussetzung einer begrenzten und absehbaren Lebenserwartung erfüllen? Denn die Wahrung der Würde des Menschen kann nicht unabhängig von Fragen nach struktureller Diskriminierung betrachtet werden. An dieser Stelle setzt das Trainingskonzept mit dem Verständnis von struktureller Diskriminierung an und ihrer (individuellen) Erarbeitungen von „[...] Handlungsoptionen“ (ebd.: 11) gegen jede Art von Diskriminierung im Kontext des Social Justice und Diversity Verständnis. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 11) Eine ideale Möglichkeit für die Soziale Arbeit, den methodischen Ansatz von Social Justice und Diversity aufzugreifen und in ihrer Arbeit mit den Klient_innen umzusetzen. 4.3.2. Anwendung Social Justice und Diversity in der (Alltags-) Praxis für die Soziale Arbeit im Hospiz Social Justice und Diversity mit der dialogischen Gesprächsform und zugleich ethisch-dialogischen Gesprächshaltung ist die methodische Grundlage von 35 Anerkennung, Reflexion und diskriminierungsfreien Denkens, Sprechens und Handelns und hat somit einen zentralen und vielseitigen Stellenwert und Einsatz in der Umsetzung in der Sozialen Arbeit. Somit wären Ansatzpunkte für Social Justice und Diversity mit der Methode Mahloquet in den zentralen Momenten in der hospizlichen Sozialarbeit, die der Achtung und Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die sich darin äußert, dass der Mensch in seiner Autonomie gefördert und in der individuellen (Aus-) Gestaltung seiner/ihrer Wünsche unterstützt und der sterbende Mensch mit seinen Ängsten und Bedürfnissen nicht allein gelassen wird. Sozialarbeiter_innen, welche die Gesprächshaltung der Mahloquet verinnerlichen und dadurch in den Dialog einfließen lassen, reflektieren eigene festgefahrene Stereotypen und leisten damit einen Beitrag zur Verwirklichung der ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit, sowie des Social Justice und Diversity Konzepts, in dem sie aktiv gegen strukturelle Diskriminierung wirken und dies der Grundstein für eine gleichberechtigte und gerechtere Gesellschaft bildet. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52) Die ethisch-dialogische Gesprächshaltung habe ich im Kapitel 2.2.2 theoretisch erläutert und möchte sie an dieser Stelle mit einer fiktiven Situation im Hospiz exemplarisch verdeutlichen: Nach einem langen kalten Winter, einem kühlen, wenig sonnigen Frühling kehrt nun plötzlich der Sommer ein. Milde, angenehme Temperaturen, eine leichte Sommerbrise weht, der Himmel ist strahlend blau und die Sonne scheint. Situation a: Die Sozialarbeiterin kann sich nicht so richtig über das Wetter freuen, denn ihr Klient, von dem sie weiß, dass er den Sommer liebt und früher viel schwimmen war, muss im Bett liegen, weil er nicht mehr die Kraft hat aufzustehen und das macht sie sehr traurig und sie bekommt ein schlechtes Gewissen, da sie vor hat, am Nachmittag noch schwimmen zu gehen. Als die Sozialarbeiterin ins Zimmer des Klienten kommt, sind die Vorhänge zurück gezogen, die Fenster weit geöffnet und der Klient begrüßt sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht. 36 Auch nach der Begegnung mit ihrem Klienten kann sie ihre Stimmung nicht richtig abschütteln. Situation b: Die Sozialarbeiterin ist gut gelaunt vom sonnigen Wetter und freut sich, dass ihr sterbender Klient nach so langer Zeit nochmal so schönes Wetter (mit-) erleben kann und tritt ihm so gegenüber. Der Klient ist jedoch schlecht gelaunt, sauer und frustriert über dieses schöne Wetter und will die Vorhänge zugezogen haben. Die Sozialarbeiterin versteht ihren Klienten nicht so richtig und kann nicht von ihrer Position abweichen, versucht sich jedoch nichts anmerken zu lassen. Situation c: Die Sozialarbeiterin und ihr Klient sind gut gelaunt wegen des Wetters, doch beide treten sich respektvoll und vorsichtig gegenüber, da sie vom jeweils anderen nicht wissen, wie dieser sich heute fühlt. In einem Gespräch über das Wetter sind sie offen in Bezug auf ihre Stimmung zu einander und können sich am Ende gemeinsam freuen, denn sie haben beide gute Laune wegen des Wetters. Es wurde eine Ausgangssituation in einem Hospizalltag geschildert, mit drei verschiedenen Endsituationen, die abhängig von der Haltung und Interpretation der beiden Beteiligten Klient/Gast des Hospiz und Sozialarbeiterin waren. In allen drei Momenten lässt sich die ethisch-dialogische (Gesprächs-) Haltung exemplarisch erörtern. Situationen a und b waren gekennzeichnet von einer gewissen Voreingenommenheit der Sozialarbeiterin, die sie auch während und nach der Begegnung mit ihrem Klienten nicht richtig abschütteln konnte. Hätte sie an der Stelle die ethisch-dialogische (Gesprächs-) Haltung eingenommen und sich respektvoll, empathisch und „[…] im Sinne der Gastfreundschaft [...]“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52) auf ihr Gegenüber eingelassen, wären sie sich als gleichberechtigte Individuen wie in Situation c gegenüber getreten. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52) Die Mahloquet als Konzept geht vom 37 Grundverständnis davon aus, dass Sprache und Handlungen strukturell diskriminierend sein können. Deshalb wird versucht, durch die Spezifika der Mahloquet „[...] eigene Stereotypen zu reflektieren und schließlich zu dekonstruieren bzw. aufzubrechen. In Hinblick auf verinnerlichte Stereotype kann so das Einnehmen verschiedener Perspektiven dazu führen, die Konstruiertheit (gesellschaftliche Herstellung) von Stereotypen zu erkennen und damit hinterfragbar zu machen“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 51). Auf minimaler Ebene wurde in Situation c gezeigt, dass durch die verinnerlichte Haltung der Mahloquet eine respektvolle Begegnung geschaffen wurde, von der beide Individuen partizipieren können. Durch reflektiertes Sprechen und aufbrechen von verinnerlichten Stereotypen und Vorurteilen wird ein offener reflexiver Raum geschaffen und die Möglichkeit zum dialogischen Denken eröffnet. Momente die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und dadurch in der Auseinandersetzung im Dialog mit Anderen eben diese festgefahrenen Meinungen, Stereotypen, Gesellschafts- und Machtstrukturen erkannt, verstanden, reflektiert und geändert werden. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52) Daran schließt das Konzept des Verbündet-Seins an, dass sich in der nachbarschaftlichen Unterstützung in der Hospizarbeit am ehesten widerspiegelt. Diese nachbarschaftliche Hilfe, die in der Hospizarbeit von primärer Bedeutung ist, kann vor allem dann realisiert werden, wenn äußere Bedingungen dafür geschaffen werden, was durch die Verteilung im Sinne des Social Justice gegeben wäre. An dieser Stelle wird deutlich, dass der übergeordnete und individuelle Kontext nicht voneinander zu trennen sind, sondern sich gegenseitig bedingen. 4.4 Resümee Social Justice und Diversity angewendet im Hospiz bedeutet einen Bereich in der Gesundheitsförderung dahingehend umzugestalten, dass alle Mitarbeitenden, ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die Gäste des Hospiz, Angehörige und das soziale Umfeld in partizipativer Anerkennung miteinander leben. Selbstbestimmung und Autonomie liegen beim sterbenden Menschen, 38 der am (aktiven) Leben teil nimmt. Dies ermöglicht von äußeren, strukturellen Gegebenheiten, wie finanzielle, räumliche und fachliche Sicherheit. Mitarbeitende, die durch das Verinnerlichen der Mahloquet gesellschaftliche Strukturen, Stereotypen und Fremdzuschreibungen die Identität betreffend reflektieren und dadurch aufbrechen und dekonstruieren und somit struktureller Diskriminierung entgegenwirken können. Eine Bereicherung in einer besonderen Situation, in einem besonderen Bereich in der Sozialen Arbeit durch Social Justice und Diversity. 5. Zusammenfassung Der maßgebliche Impuls für die vorliegende Arbeit war und ist die Frage nach der Umsetzbarkeit sozialer Gerechtigkeit, welche von Sozialarbeiter_innen gesellschaftlich und politisch gefordert wird. Diese Forderung, die in den ethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit artikuliert und fixiert ist, stellt die Legitimation und ethische Orientierungshilfe für das Handeln der Akteure in der Sozialen Arbeit dar. Mit der Theorie und Praxis von Social Justice und Diversity ist ein Gerechtigkeitskonzept gefunden, welches sich in großem Maße im Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit anwenden und umsetzen lässt – und das sowohl auf gesellschaftlicher Makroebene als auch auf der Mikroebene, beim gesellschaftlichen Individuum in Alltagssituationen. Denn oberste Priorität des Social Justice und Diversity ist die Arbeit mit und am Individuum. Das Konzept setzt bei tiefliegenden, statischen gesellschaftlichen Strukturen an, die in zu keinem Zeitpunkt öffentlich wirksam hinterfragten und unreflektierten Normen und Werten zu verorten sind. Social Justice und Diversity thematisiert methodisch jene Strukturen im Meinungsbild und Handlungsmuster des einzelnen Individuums. Festgefahrene Muster im Denken und Handeln sollen insbesondere mit Hilfe der ethisch- dialogischen Haltung Mahloquet aufgebrochen und dekonstruiert werden. Das Herz von Social Justice und Diversity ist die Idee des VerbündetSeins, das eine gesellschaftliche Grundhaltung meint, die sich durch Solidarität, Mitgefühl und Vorurteilsfreiheit auszeichnet. 39 Um herauszufinden, ob und inwiefern Social Justice und Diversity bereits thematisch in der Sozialen Arbeit verankert ist, habe ich die ethischen Richtlinien vergleichend herangezogen. Die Ergebnisse der vergleichenden Analyse der ethischen Richtlinien und Social Justice und Diversity sind eindeutig: Einigkeit herrscht in der Forderung nach absoluter sozialer Gerechtigkeit und der aktiven Negierung jedweder Form von Diskriminierung. Parallelen offenbaren sich auch im Konzept des Verbündet-Seins von Social Justice und Diversity und dem Auftrag Sozialer Arbeit ungerechte Politik und Praktiken zurückzuweisen und solidarisch zu handeln. Social Justice und Diversity erweitert die Gerechtigkeitsforderung der Sozialen Arbeit und der Richtlinien indem es anstrebt, die praxisbezogenen Methoden großflächig in allen Bereichen Sozialer Arbeit (und der Gesellschaft) anzuwenden und die Grundidee zu verinnerlichen. Am Praxisbeispiel Hospiz habe ich das System Soziale Arbeit, ethische Richtlinien und das Projekt Social Justice und Diversity gedanklich durchexerziert. Das Ergebnis macht anschaulich, wie soziale Diskriminierung konkret aussieht, wie sie zustande kommt und an welcher Stelle und auf welche Weise alle Beteiligten des gesellschaftlichen Systems einen Beitrag zur Optimierung leisten können. Auch wird offenbar, dass Social Justice ein geeignetes und umsetzbares Gerechtigkeitskonzept für die Soziale Arbeit sein kann. Aufgrund meiner intensiven Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis von Social Justice und Diversity halte ich jenes für ein zukunftsweisendes Projekt zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft innerhalb des Arbeitsbereichs der Sozialen Arbeit. 40 Literaturverzeichnis Czollek, Leah Carola/ Weinbach, Heike 2008: Lernen in der Begegnung. Theorie und Praxis von Social Justice- Trainings. Reader für MultiplikatorInnen in der Jungend- und Bildungsrbeit. Düsseldorf. Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. (Hrsg.). Düssel- Druck & Verlag GmbH. Czollek, Leah Carola/Perko, Gudrun 2009a: »Social Justice. Ein Thema für die klinische Sozialarbeit –Evaluation einer Fortbildung.« In: Gahleitner, Silke/ Hahn, Gernot (Hrsg.): Klinische Sozialarbeit. Forschung aus der PraxisForschung für die Praxis. Beiträge zur psychosozialen Praxis und Forschung 2. Bonn. Psychiatrie- Verlag. Czollek, Leah Carola/Perko, Gudrun 2009b: Eine konkrete Utopie. 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Übersetzung: Andreas Lienkamp, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin 43 Hiermit versichere ich durch meine Unterschrift, dass die vorliegende Arbeit von mir selbstständig, ohne fremde Hilfe angefertigt worden ist. Inhalte und Passagen, die aus fremden Quellen stammen und direkt oder indirekt übernommen worden sind, wurden als solche kenntlich gemacht. Ferner versichere ich, dass ich keine andere, außer der im Literaturverzeichnis angegebenen Literatur verwendet habe. Diese Versicherung bezieht sich sowohl auf Textinhalte sowie alle enthaltenden Abbildungen, Skizzen und Tabellen. Die Arbeit wurde bisher keiner Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Berlin, 16.07.2013 44