Social Justice und Soziale Arbeit_Bachelorarbeit_Reuscher 2013

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Bachelor of Arts:
Soziale Arbeit
Potsdam, 16.07.2013
Bachelorarbeit
Betrachtung von Social Justice und Diversity als spezifische
Gerechtigkeitstheorie in nationalen und internationalen Richtlinien der
Sozialen Arbeit, sowie als spezifisches Trainingskonzept im
deutschsprachigen Raum der Sozialen Arbeit.
Verfasserin: Mailin Reuscher
Matrikelnummer: 10780
[email protected]
Fachhochschule Potsdam
1. Gutachterin: Mag. Dr. Gudrun Perko
2. Gutachterin: Leah Carola Czollek
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung.........................................................................................................3
2. Die Social Justice und Diversity Theorie im deutschsprachigen Raum...........4
2.1.1 Leitgedanke der Social Justice Theorie......................................................5
2.1.2 Historische Einordnung..............................................................................6
2.1.3 Der Begriff Social Justice ..........................................................................6
2.1.4 Macht- und Herrschaftsanalysen................................................................7
2.1.6 Intersektionaler Ansatz.............................................................................10
2.1.7 Konzept des Verbündet-Seins..................................................................10
2.2 Konzept des Social Justice und Diversity Trainings im deutschsprachigen
Raum ................................................................................................................11
2.2.1 Historischer Ursprung...............................................................................11
2.2.2 Maxime, Intention und Methodik des Trainingskonzepts..........................12
2.2.3 Didaktik ....................................................................................................14
2.2.4 Modul- und inhaltliche Einteilung des Trainings........................................14
3. Anwendung von Social Justice und Diversity auf die ethischen Prinzipien der
Sozialen Arbeit ..................................................................................................17
3.1 Einführung und Stellenwert von IFSW und DBSH e.V. in der Sozialen Arbeit
..........................................................................................................................17
3.1.1 Definition Soziale Arbeit............................................................................19
3.1.2 Kapitel I Richtlinien im Kontext der Menschenrechte und Menschwürde. 20
3.1.3 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen
Richtlinien im Kapitel I.......................................................................................20
3.1.4 Kapitel II Richtlinien im Kontext der sozialen Gerechtigkeit......................22
3.1.5 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen
Richtlinien im Kapitel II......................................................................................23
3.1.6 Kapitel III Richtlinien im Kontext des beruflichen Verhaltens....................24
3.1.7 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen
Richtlinien im Kapitel III.....................................................................................25
1
4. Anwendung von Social Justice und Diversity in der Sozialen Arbeit im Hospiz
..........................................................................................................................28
4.1 Aufgabenstellung und Arbeitsbereich der Hospizarbeit...............................30
4.2. Darstellung der Aspekte Sozialer Arbeit im Hospizbereich.........................31
4.3 Social Justice und Diversity im Hospizbereich............................................33
4.3.1 Anwendung Social Justice und Diversity im gesellschaftspolitischen
Kontext..............................................................................................................34
4.3.2. Anwendung Social Justice und Diversity in der (Alltags-) Praxis für die
Soziale Arbeit im Hospiz....................................................................................36
4.4 Resümee ....................................................................................................39
5. Zusammenfassung........................................................................................40
Literaturverzeichnis...........................................................................................42
2
1. Einleitung
Durch
die
Auseinandersetzung
mit
meiner
Funktion
als
zukünftige
Sozialarbeiterin im Rahmen meines Studiums und damit einhergehend der
Identität, den Aufgaben und den Auftrag Sozialer Arbeit, begegnete ich den
ethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit. Diese sind in einem Dokument von
der
internationalen
Vereinigung
von
Sozialarbeiter_innen
schriftlich
niedergelegt. Die Richtlinien stellen sowohl eine ethische Orientierung und
Forderung dar, als auch ein eindeutiges politisches Statement. In dem
Dokument wird die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit artikuliert und damit
ein gesellschaftlicher Auftrag an die Sozialarbeiter_innen gestellt. Doch wie
sollen wir Sozialarbeiter_innen diesen Auftrag umsetzen? In dem Seminar
„Ethik in der Sozialen Arbeit“ hörte ich zum ersten Mal von einer
Gerechtigkeitstheorie namens Social Justice, die nicht nur auf Theorie und
Utopie1 basiert, sondern von der Umsetzbarkeit dessen ausgeht und neben
einer stichhaltigen wissenschaftlichen Theorie auch konkrete Methoden für die
Soziale Arbeit bereitstellt.
In der vorliegenden Abschlussarbeit werde ich mich mit der Betrachtung von
Social Justice als spezifische Gerechtigkeitstheorie in den nationalen und
internationalen Richtlinien der Sozialen Arbeit, sowie als spezifisches
Trainingskonzept im deutschsprachigen Raum der Sozialen Arbeit
auseinandersetzen.
Im ersten Teil der Arbeit werde ich mich der Frage widmen, inwiefern Social
Justice
als
spezifische
Gerechtigkeitstheorie
in
den
nationalen
und
internationalen Richtlinien der Sozialen Arbeit verankert ist. Denn es bestehen
Parallelen zwischen der Forderung nach Gerechtigkeit seitens der Sozialen
Arbeit und dem Gerechtigkeitsgedanken im Sinne des Social Justice und
deshalb soll überprüft werden, ob Social Justice (indirekt) verankert ist und
zugleich analysiert werden, ob Social Justice ein Konzept ist, mit dem die
Im Kontext von Social Justice wird nicht von Utopie gesprochen, denn diese impliziert eine
niemals real existierende Wunschvorstellung von einem gesellschaftlichen Idealzustand (vgl.
hier Utopia- Utopie, Duden 2007: 1071, Weinbach 2006: 62). Ausführlich in: Social Justice statt
Kultur der Kälte von Heike Weinbach 2006.
1
3
ethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit umgesetzt bzw. anwendbar gemacht
werden können.
Im zweiten Teil werde ich mich mit der Frage auseinandersetzen, wie Social
Justice und Diversity als spezifisches Trainingskonzept in der Sozialen Arbeit
am Beispiel Hospiz aufgenommen werden kann.
Hospizliche Sozialarbeit als Bereich mit dem großen Thema Tod und
würdevolles Sterben muss sich fortwährend mit sozialer Gerechtigkeit und
Machtverhältnissen
in
der
Gesellschaft
auseinandersetzen.
Mittels
der
(theoretischen) Anwendung von Social Justice soll überprüft werden, ob es sich
um ein realisierbares Gerechtigkeitskonzept für die hospizliche Sozialarbeit
handelt und damit in diesem Bereich der Gesundheitsförderung ein Mehr an
sozialer Gerechtigkeit geschaffen werden könnte.
In meiner Arbeit werde ich mich überwiegend auf die Literatur von Leah Carola
Czollek, Gudrun Perko und Heike Weinbach beziehen. Das resultiert zum einen
daraus, dass es so gut wie keine Übersetzungen aus dem englischsprachigen
Raum zu der Social Justice Theorie und den einflussreichen philosophischen
Schriften von Young, Nussbaum, Fraser etc. gibt und zum anderen sind
Czollek, Perko und Weinbach die Begründerinnen der Theorie und des
Trainingskonzepts Social Justice und Diversity im deutschsprachigen Raum,
der für meine Arbeit von primärer Bedeutung ist. „2005 gründeten [die
Multiplikatorinnen Anm. d. A.] das Institut Social Justice und Diversity, bei dem
es sowohl um theoretische Erarbeitungen als auch praktische Bezüge sowie
Umsetzungsmöglichkeiten des Trainingsansatzes geht […]2“ (Czollek/ Perko/
Weinbach 2012: 9).
2. Die Social Justice und Diversity Theorie im deutschsprachigen Raum
In den folgenden zwei Kapiteln wird erläutert, auf welche theoretischen und
praktischen Grundlagen sich Social Justice und Diversity im deutschsprachigen
Raum stützt und wo Social Justice seinen Ursprung hat. Dies stellt die
Grundlage für meine Analyse und Beurteilung (Kapitel 3 und 4) der
2
http://www.social-justice.eu/
4
“Praxistauglichkeit“
in
der
Sozialen
Arbeit
dar,
sowohl
auf
gesellschaftspolitischer als auch auf individueller sozial-praktischer Ebene.
Social Justice und Diversity ist eine Gerechtigkeits- und Partizipationstheorie,
die eine radikale3 Umgestaltung der Gesellschaft zum Ziel hat und nicht nur so
vielen wie möglich, sondern allen Menschen Zugang zu allen gesellschaftlichen,
also
materiellen,
kulturellen,
sozialen
und
institutionellen
Ressourcen
ermöglichen möchte. (http://www.social-justice.eu/socialjustice.html#definition)
Diversity im Kontext von Social Justice „[...] bezieht sich auf partizipative
Anerkennung der Diversitäten von Menschen“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012:
10). Die individuelle und politische Anerkennung von Diversität und Disparität
bildet die essentielle Grundlage zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft.
2.1.1 Leitgedanke der Social Justice Theorie
Social Justice möchte eine Alternative zur liberalen Gesellschaftsform
darstellen, „[...] in der alle Menschen materiell abgesichert leben können, sich
wechselseitig helfen, sich als jeweils besondere Individuen anerkennen und
Konflikte im Zusammenleben gewaltfrei und konstruktiv lösen“ (Czollek/ Perko/
Weinbach 2009: 48). Ein grundlegendes Element von Social Justice ist die
Auffassung
der
Verteilungs-
und
Anerkennungsgerechtigkeit.
Verteilungsgerechtigkeit „[...] bedeutet eine Gesellschaft dahingehend zu
gestalten, dass die Ressourcen so verteilt sind, dass alle Menschen physisch
und psychisch in Sicherheit und Wohlbefinden leben können.“ (Czollek/ Perko/
Weinbach 2012: 21) Anerkennungsgerechtigkeit bedeutet die Realisierung der
Abschaffung struktureller, institutioneller und kultureller Diskriminierung und
damit die Grundlage einer partizipativen Anerkennung (ebd.).
2.1.2 Historische Einordnung
Den Entstehungskontext des Begriffs Social Justice bildet die Tradition des
englischen Utilitarismus und der amerikanischen Gerechtigkeitsphilosophie von
Social Justice ist gegen jede Art von Gewalt, struktureller Diskriminierung und Zwang. Auch
wenn die Theorie eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft zum Ziel hat, ist jedoch das
wichtigste Dogma die der Freiwilligkeit. Ob das konträr zur Umsetzung der Umgestaltung hin zu
einer gerechten Gesellschaft ist, kann hier nicht weiter ausgeführt werden und muss dem/r
Leser_in überlassen werden.
3
5
John Stuart Mill im 19. Jahrhundert, welche eine Differenzierung „von
Ungerechtigkeit in verschiedenen Lebensbereichen“ (Weinbach 2006: 41)
unternahm. Social Justice „als Bezeichnung für ein gemeinsames Projekt von
unterschiedlichen
[…]
Antidiskriminierungs-
und
Anerkennungs-
und
Partizipationsbewegungen […]“ (ebd.) ist erst in den 1980iger Jahren zu
verorten. (Ebd.)
Zu den wichtigen Impulsgebern des amerikanischen und internationalen
Gerechtigkeitsdiskurses gehören in den 1970-, 1980- und 1990iger Jahren John
Rawls, Michael Walzer und Charles Taylor. Kritisiert werden jene Autoren Ende
der 1980er von den feministischen Philosophinnen Martha Nussbaum, Nancy
Fraser, Iris Marion Young und Judith Butler, die „[...] bei allen diesen
Philosophien Versäumnisse in der Thematisierung von Macht und Herrschaft
und deren realen Folgen für das Leben von Menschen [sehen Anm. d. A.].“
(Weinbach 2009: 42).
In der Bundesrepublik Deutschland fand die Theorie als „Anerkennungs- und
Partizipationsbewegung“ (Czollek/ Weinbach 2008: 7) Mitte der 1990iger Jahre
Verbreitung, „[…] zu einem Zeitpunkt, als sich allmählich ein Verständnis von
interkultureller Handlungskompetenz sowie dem Zusammenhang zwischen
verschiedenen Protestformen und Sozialen
Bewegungen in der BRD
entwickelte.“ (Ebd.)
2.1.3 Der Begriff Social Justice
Um Social Justice sowohl begrifflich als auch inhaltlich zu verstehen und warum
Social Justice nicht einfach mit sozialer Gerechtigkeit, wie es in Deutschland
gegenwärtig geschieht, übersetzt werden kann, muss eine Begriffsanalyse, wie
sie Heike Weinbach in „Kultur der Kälte“ gemacht hat, aufgeschlüsselt werden.
So beschreibt Weinbach, dass der englische Begriff „social“ (Weinbach 2006:
39) sowohl „gesellschaftlich“ (ebd.), als auch „sozial“ (ebd.) impliziert. „Justice“
(ebd.) sowohl die Bedeutung von „Gerechtigkeit“ (ebd.), als auch von „Recht“
(ebd.) beinhaltet. Folglich wird sowohl eine strukturelle Ebene von Gerechtigkeit
betont, als auch die Ebene zwischen den einzelnen Individuen; zudem wird ein
damit zusammenhängender Rechtsanspruch hervorgehoben ohne mit der
Justiz
identisch
zu
sein.
(Weinbach
2006:
39)
Die
Begriffsanalyse
6
veranschaulicht, dass Social Justice nicht mit sozialer Gerechtigkeit übersetzt
werden
kann,
denn
mit
sozialer
Gerechtigkeit
werden
im
„[...]
deutschsprachigen Raum vorrangig Konzepte, Interventionen und Aktionen auf
den Feldern der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik […] assoziiert.“ (Czollek/ Perko/
Weinbach 2009: 48-49) Deshalb plädieren Czollek, Perko und Weinbach für
eine Beibehaltung und Einführung des englischen Begriffs Social Justice im
deutschsprachigen Raum (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 19). Der Begriff als
solches ist nicht klar und eindeutig definiert oder geschützt, doch wenn man von
Social Justice spricht, impliziert es immer eine Herrschafts- und Machtanalyse
und den Fokus auf Diskriminierungsstrukturen (Weinbach 2006: 42). „Theorien
des Social Justice haben immer einen deutlichen Gesellschaftsbezug im
Hinblick auf Fragen der Gerechtigkeit“ (Czollek / Perko/ Weinbach 2012: 20).
2.1.4 Macht- und Herrschaftsanalysen
Iris Marion Young hat u.a. eine besondere Bedeutung für die Social Justice
Theorie im deutschsprachigen Raum: Macht- und Herrschaftsanalysen spielen
eine zentrale Rolle in ihrer Philosophie, „[...] die die Beseitigung jeder Form von
institutioneller und anderer Herrschaft zum Ziel hat“ (Czollek/ Perko/ Weinbach
2012: 23). Auch wenn verschiedene Gruppen oder Individuen wegen
individueller Aspekte strukturell und oder institutionell diskriminiert werden, so
konnte sie aufgrund ihrer Analysen Gemeinsamkeiten in der Diskriminierung
identifizieren
–
die
fünf
Formen
der
Unterdrückung.
Dabei
ist
zu
berücksichtigen, dass nicht jede Form der Unterdrückung einzeln durchlebt
wird, sondern dass sie ineinander verwoben sind. (ebd.)
Young formuliert die fünf Formen der Unterdrückung folgendermaßen:
Ausbeutung: Die ungerechte Unterdrückung in Form von Ausbeutung ist nicht
darin begründet, dass die einen Individuen große materielle Güter/finanziellen
Reichtum haben und die anderen wenig oder nichts, sondern dass die
gesellschaftliche Arbeitsaufteilung (wer was für wen für wie viel tut) einem
tiefgreifenden sozialen Prozess zugrunde liegt, der auf Verhältnisse von
Ungleichheit und Macht hinauslaufen. (Young 1996: 114)
7
Marginalisierung: Marginalisierung stuft Young als die womöglich „[...]
gefährlichste Form der Unterdrückung“ (ebd.: 119) ein. Individuen werden
aufgrund von fremdbestimmten Merkmalen und/ oder fehlender Fähigkeiten, die
als
nützlich
oder
unnützlich
eingestuft
werden,
vom
Arbeitssystem
ausgeschlossen. Somit werden eine Vielzahl von Menschen (ältere, geistig und
oder körperlich behinderte Menschen, Migrant_innen, etc.) an der Teilhabe am
sozialen Geschehen ausgeschlossen. Einen “Ausgleich“ stellen auch die im
Rahmen der Marginalisierungsprozesse entstandenen Wohlfahrtsdienste oder
die Sozialhilfe nicht dar. Diese führen zur institutionellen Abhängigkeit, die mit
Begrenzung bestimmter Rechte oder Freiheiten, die andere Individuen
wiederum besitzen, gekoppelt sind. „Marginalsierung hört auch dann nicht auf,
ein Form der Unterdrückung zu sein, [...] auch wenn marginalisierte Personen
mit einem bequemen materiellen Leben ausgestattet wären und dies im
Rahmen von Institutionen, die ihre Freiheit und Würde respektieren, so bliebe
trotz allem die Ungerechtigkeit der Marginalisierung in Form von Nutzlosigkeit,
Langeweile und mangelnder Selbstachtung bestehen.“ (Ebd.: 119-122)
Machtlosigkeit: Machtlosigkeit „[...] bezieht sich auf die gesellschaftlich[e Anm.
d. A] Ordnung von Arbeit [...]“ (ebd.: 126) und ist das Ergebnis der einfachen
Gleichung, dass einige Menschen (begrenzte) Macht über andere haben
(jedoch
selber
nicht
über
die
Art
der
Macht
und
deren
Folgen
Entscheidungsgewalt haben). Die daraus resultierende gesellschaftliche
Stellung führt dazu, dass die Machtlosen ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten
nicht ausbauen und oder entwickeln können und somit auf ewig in ihrer
Machtlosigkeit gefangen sind. (Ebd.: 123-125)
Kulturimperialismus: „Unter Kulturimperialismus zu leiden, heißt zu erfahren,
wie durch die in einer Gesellschaft herrschenden Werte die besondere
Perspektive der eigenen Gruppe unsichtbar gemacht und wie zugleich die
eigene
Gruppe
stereotypisiert
und
als
andere
gekennzeichnet
wird.
Kulturimperialismus bedeutet, dass die Erfahrungen und die Kultur der
herrschenden Gruppe universalisiert und zur Norm gemacht werden“ (ebd.:
127). Damit entstehen Konstruktionen, die Gruppen als “Andere“ kennzeichnen.
8
Young zeigt eine dabei entstehende Paradoxie des einerseits sich unsichtbar
fühlen und anderseits als anders gekennzeichnet zu sein auf. (Ebd.: 128-129)
Gewalt: Wie Young treffend beschreibt, ist Gewalt als fünfte und letzte
Unterdrückungsform nicht die (physisch wie psychisch extreme) situative
Gewalttat an sich, sondern der systemische, institutionell geschützte, durch die
Gesellschaft akzeptierte und damit Gewalt zur sozialen Praxis entstehende
Charakter. Der systemische Charakter „[...] was Gewalt zu einem Phänomen
der sozialen Ungerechtigkeit macht [...] ist der soziale Kontext, der diese
Handlung umgibt, sie ermöglicht und mitunter sogar akzeptabel erscheinen läßt.
[...] Gewalt ist systemisch, wenn sie gegen Mitglieder einer Gruppe allein aus
dem Grund gerichtet ist, weil sie Mitglieder dieser Gruppe sind.“ (Young 1996:
131)
Youngs fünf Formen der Unterdrückung sind die Grundlage des strukturellen
Diskriminierungsbegriffs
im
Social
Justice
und
Diversity
Konzept.
Unterdrückung liegt nach Young tief verwurzelt und in seinen verschiedenen
Formen
ineinander
verwoben
in
gesellschaftlichen
Denk-
und
Handlungsstrukturen. Unterdrückung folgt damit einem gesellschaftlichen
Muster von unhinterfragten, unreflektierten Normen und Werten und ist aus
diesem Grund so schwer identifizierbar. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 25)
Der Unterdrückungsbegriff kann im Social Justice und Diversity mit struktureller
Diskriminierung übersetzt werden. Man versteht Diskriminierung also als eine
strukturelle Gegebenheit, welche sich auf individueller, institutioneller und
kultureller Ebene ereignet. Folglich diagnostiziert Social Justice und Diversity
eine gesellschaftliche Grundhaltung, die in unhinterfragten Normen, Werten und
Identitätszuschreibungen etc. liegt, gefestigt durch unaufgearbeitete und
unreflektierte Ereignisse in der Historie der (deutschen) Gesellschaft. Was
Diskriminierung zu einem strukturellen Charakter macht, sind die Ebenen, die
miteinander
verwobenen
sind,
Strukturelle
Diskriminierung
auf
verläuft
denen
auf
Diskriminierung
kultureller,
stattfindet.
individueller
und
institutioneller Ebene. Durch das Ineinandergreifen dieser drei Ebenen entsteht
9
Intersektionalität,
also
hochgradig
miteinander
verwobene
Diskriminierungsweisen: ein relevanter Begriff in der Social Justice Theorie.4
(Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 44)
2.1.6 Intersektionaler Ansatz
Diskriminierung, wie sie Iris Marion Young definiert und wie sie im Social Justice
Projekt verstanden wird, ist von Intersektionalität geprägt. Das bedeutet z. B.,
dass
eine Frau mit Migrationshintegrund zum einem
aufgrund ihres
Migrationshintergrunds und/oder auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert
werden kann. Dabei betont Young, dass es keine ausschließliche Täter-OpferRolle gibt, sondern jede_r, die aufgrund eines bestimmten Merkmals oder
Zugehörigkeit diskriminiert wird, kann gleichzeitig an Diskriminierung anderer
Individuen teilhaben, weil diese_r Privilegien hat, die das von ihm diskriminierte
Individuum nicht hat. (Young 1996: 101, Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 25)
2.1.7 Konzept des Verbündet-Seins
Social Justice hat das Konzept des Verbündet-Seins zum Ziel: in einer
Gesellschaft, in der jede_r physisch und psychisch in Wohlbefinden und
Sicherheit, frei von Diskriminierung jedweder Art lebt und partizipativ anerkannt
wird, ist es notwendig, eigene Privilegien zu reflektieren und sich für
Veränderungen einzusetzen, auch wenn dies eine Veränderung der eigenen
Position in der Gesellschaft betrifft. Es bedarf also aktiver gesellschaftlicher
Mitglieder, welche die Einsicht teilen, dass eine gerechte Gesellschaft nur
möglich ist, wenn alle Individuen über ihr eigenes Wohl hinaus schauen und
einen übergreifenden Zusammenhang zwischen ihrem und dem Wohl anderer
sehen. Oder wie Czollek, Perko und Weinbach pointiert zum Ausdruck bringen:
„Das Projekt und die Theorie Social Justice treten ein für die Idee des
Verbündet-Seins, wo uns die Anliegen der Anderen die eigenen Anliegen sind.“
(Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 26)
Im
Social
Justice
und
Diversity
Training
werden
konkrete
Handlungsmöglichkeiten entwickelt, um das gesellschaftliche Verbündet-Sein
zu ermöglichen. Es gilt, Social Justice nicht als ein theoretisches Konzept
4
Ausführlich im Kontext von Social Justice im Praxishandbuch Social Justice und Diversity
beschrieben (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012).
10
neben vielen anderen „stehen zu lassen“, sondern es als lebbares Projekt
mithilfe des dazugehörigen Trainings aktiv in den Alltag zu integrieren.
2.2 Konzept des Social Justice und Diversity Trainings im
deutschsprachigen Raum
Das Social Justice und Diversity Training, aus englischsprachigen Ländern
stammend, wurde von Leah Carola Czollek, Gudrun Perko und Heike Weinbach
für den deutschsprachigen Raum erweitert und zu einem großen Teil neu
konzipiert. Das Training ist der Ansatz einer Realisierungsmöglichkeit der
Theorie Social Justice und hat zur Wesensgrundlage nicht statisch, sondern
fortlaufend weiterentwickelt zu werden. Das Social Justice und Diversity
Training ist ein ganz neues Bildungs- und Trainingskonzept, welches mit einer
von Perko und Czollek speziell entwickelten Methode namens „Mahloquet“,
Inputs und Übungen bzw. Methoden durchgeführt wird. Ausgangspunkt des
Trainings ist die Auseinandersetzung mit struktureller Diskriminierung und hat
zum Ziel „[…] Handlungsoptionen gegen jede Art von Diskriminierung […]“
(http://www.social-justice.eu/socialjustice.html#definition) zu entwickeln.
Im
Folgenden wird nun der historische Kontext, die Methode Mahloquet, die
Maxime und inhaltliche Aspekte des Social Justice und Diversity Trainings
erläutert.
2.2.1 Historischer Ursprung
Zum einen entstand das Projekt Social Justice in den 1980er Jahren aus
sozialen
Bewegungen
in
den
USA,
in
enger
Zusammenarbeit
mit
Gewerkschaften, Antirassismusbewegungen und der Sozialen Arbeit. Zum
anderen liegt der Ursprung und die Inspiration für das deutschsprachige
Bildungs- und Trainingskonzept Social Justice und Diversity Training in dem seit
1987
in
den
USA
entwickelten
interdisziplinären
Master-
und
Promotionsstudiengang Diversity and Social Justice Education an der
University of Massachusetts. (Czollek/ Weinbach 2008: 6,13; Czollek / Perko/
Weinbach 2009: 48)
Die in dem Studiengang ausgebildeten Menschen
arbeiten „[...] im Kontext des formalen, offiziellen Bildungssystem“5 (Czollek/
5
Dieses kann nach Czollek und Weinbach alles vom Kindergarten bis zum College,
Verwaltungen, Beratungen und Supervisionen umfassen ( Czollek/ Weinbach 2008: 13).
11
Weinbach 2008: 13). Der Studiengang bezieht sich, wie das Trainingskonzept
und das gesamte Social Justice Projekt im deutschsprachigen Raum, u. a. auf
Iris Marion Young und deren Herrschafts- und Machtanalysen und den im
Kapitel II erläuterten theoretischen Kontexten und Grundlagen. Sowohl der
amerikanische Studiengang als auch das hier verortete Projekt verfolgen
dasselbe Ziel: die „[…] Vision einer Gesellschaft, in der alle Mitglieder an den
gesellschaftlichen Ressourcen teilhaben können und ihnen die physische und
psychische Sicherheit und demokratische Entfaltungsmöglichkeit garantiert ist.“
(Czollek/ Weinbach 2008: 14) 6
2.2.2 Maxime, Intention und Methodik des Trainingskonzepts
Grundlage des Trainingskonzepts, neben Inputs durch die Trainer_innen und
Übungen, ist die von Gudrun Perko und Leah Carola Czollek entwickelte
Methode Mahloquet, als Methode des Dialogs, die ihren historischen Ursprung
in der „jüdischen Tradition der Interpretation“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012:
50; Czollek/ Weinbach 2008: 15) hat und findet auch in der Mediation Gebrauch
(Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 50; Czollek/ Weinbach 2008: 15). Mahloquet
ist eine dialogische und zugleich ethisch-dialogische Gesprächsform und
Haltung, die „[...] eine dialogische Auseinandersetzung mit struktureller
Diskriminierung ermöglicht.“ (ebd.: 50) Die Methode ist eine Basis zur
Infragestellung und Reflexion von Selbstverständlichkeiten und Denkstrukturen
den eigenen Lebensbereich betreffend. Die Mahloquet verfolgt drei spezifische
Haltungen und bilden die Grundlage der Kommunikation im Training:
Haltung des Sprechens und Handelns
Haltung der Demut, d. h. Die Allmachtsphantasie aufgeben, als einzige_r
Recht zu haben.
Gleichwertigkeit verschiedener Denkinhalte: jede_r darf sprechen und
wird gehört; der Beitrag eines jeden menschen ist gleich wichtig.
Sich-Einlassen auf Fremdheit: jede_r ist im Sinne der Gastfreundschaft
des anderen Gast.
Anerkennender und respektvoller Umgang von Menschen miteinander.
6
Vergleiche hier detaillierte Ausführungen zum historischen Kontext des Trainingskonzepts
Social Justice und Diverstiy in: Lernen in der Begegnung von Czollek/ Weinbach 2008.
12
Wechselseitige Übernahme von Verantwortung füreinander: alle sollen
die soziale Verantwortung füreinander übernehmen und demokratisch
miteinander sprechen und handeln.
Die Haltung der De-Hierachsierung
Im Dialog sind alle Subjekte gleichberechtigt.
Gleichberechtigtes Verhältnis zwischen den jeweiligen Einzelnen und der
Gruppe.
Es gibt kein Opfer, insofern die Einzelnen weder einer Idee noch einer
Gruppe geopfert werden.
Es gibt kein gewalttätiges Zwingen von Menschen in Strukturen.
Die kulturelle Identität tritt hinter das Individuum zurück; das Individuum
spricht nicht als Repräsentant_in einer Kultur, sondern für sich, auch
wenn es in die jeweilige Kultur eingebettet ist.
Keine Synthese von Widersprüchen, keine Wahrheitsfindung.
Keine ein für allemal abgeschlossene Lösung, sondern ein Prozess.
Win-Win-Lösung,
ausgehandelter
Kompromiss
oder
etwas
ganz
anderes.
Es geht um keine Belohnung.
Kein Kampf der Positionen: insofern eröffnet es den Zirkel des
bewertenden polarisierenden Denkens.
Infrgestellung von Bedeutungen, Werten; Vorstellungen, Bildern …
Die Haltung der „Absichtslosigkeit“ des Handelns
Es geht nicht um Überzeugung des Gegenübers von meiner Meinung.
Es gibt keine übergeordnete Instanz, die darüber entscheidet, was richtig
und was falsch ist (das bedeutet keine Beliebigkeit).
Quelle: Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: Praxishandbuch Social Justice und Diversity. S. 52
Die drei Haltungen des Sprechens und Zuhörens bilden die Grundlage für das
Ziel der Methode: Das eines diskriminierungsfreien Sprechens und Umgehens
miteinander und die Möglichkeit des dialogischen Denkens durch die
Mahloquet. Allerdings sind dies Ziele, ohne dass sie eine Garantie für das
13
Aufbrechen von bestehenden Vorurteilen und/ oder Stereotypen im Training
bietet – jedoch ist die Methode eine geeignete Möglichkeit dafür. (ebd.: 54)
2.2.3 Didaktik
Der räumliche Kontext des Gesprochenen folgt dem gleichen Prinzip der drei
Haltungen:
es
soll
ein
offener,
freundlich-respektvoller,
reflexiv
und
gleichberechtigte Raum, frei von Hierarchie sein.
Czollek, Perko und Weinbach ist bei dieser Methode ein wichtiges Anliegen,
dass es nicht um „[…] political correctness [geht Anm. d. A.…] sondern [um
Anm. d. A.] ein tiefes Verständnis dafür, dass Sprache ausgrenzend und
strukturell diskriminierend sein kann.“ (Ebd.: 61) In Bezug und als Erweiterung
der Mahloquet geht es als Maxime und Intention im Social Justice und Diversity
Training nicht um „[...] Moralisierung und Beschämung“ (ebd.: 69), sondern um
das Öffnen und Reflektieren der eigenen Denkstrukturen und Privilegien. Keine
Diskriminierung wird hierarchisiert, sondern es soll der strukturelle Charakter
jeder Form von Diskriminierung verstanden und analysiert werden. Es
existieren keine erwünschten oder unerwünschten Antworten und es besteht
kein Zwang zur Äußerung. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 69) Die Arbeit
erfolgt in Kleingruppen und im Plenum, zur Perspektivenerweiterung „[…] durch
ein dialogisches Miteinander.“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 69) Die
Intention
des
Trainings
ist
die
ausführliche
Auseinandersetzung
auf
verschiedenen Ebenen „[…] mit Vorurteilen, Stereotypen, Abwertungen und
Herabsetzungsstrukturen in der Gesellschaft.“ (Ebd.) Es geht um die
Erkenntnis, dass Analysieren und ein Verständnis „[…] Intoleranz, Vorurteile
und
strukturelle
Diskriminierung
[…]
sowie
Eigenbeteiligung
an
der
Reproduktion von Herrschaftsstrukturen zu erkennen [und zu entwickeln Anm.
d. A.].“ (Ebd.: 69 - 70)
2.2.4 Modul- und inhaltliche Einteilung des Trainings
Die folgenden Diskriminierungsformen im Social Justice und Diversity Training
wurden in Hinblick auf den deutschen Kontext angepasst und werden einzeln
in den Modulen erarbeitet (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 63). Das Training ist
nach einem Grundmodul, welches das Ziel hat, „[...] ein Grundverständnis von
14
Diskriminierung zu erwerben, Grundformen von Diskriminierung zu verstehen,
eigene
Zugehörigkeiten
zu
sozialen
Gruppen
[...]
und
den
eigenen
Lernprozessen zu reflektieren [und zu lernen d. A.]“ (ebd.) aufgebaut. Die
derzeit thematisierten Diskriminierungsformen im Social Justice und Diversity
Training sind folgende:7
Ableismus: Strukturelle Diskriminierung von Menschen mit zugeschriebener
„Behinderung“
und
von
Menschen
mit
Bezug
auf
zugeschriebene
Verhaltensmöglichkeiten, physische und psychische Befindlichkeiten
Altersdiskriminierung: Strukturelle Diskriminierung gegen Menschen aufgrund
ihres Altersdiskriminierung
Adultismus: strukturelle Diskriminierung von Kindern
Epiphanismus: strukturelle Diskriminierung von Jugendlichen
Ageismus: strukturelle Diskriminierung von alten Menschen
Antisemitismus
und Antijudaismus:
Strukturelle
Diskriminierung
von,
Feindschaft gegen Juden_Jüdinnen. Der Antijudaismus ist religös motiviert. Der
Antisemitismus richtet sich gegen die rechtliche und politische Gleichstellung
von Juden_Jüdinnen.
Antiziganismus: Strukturelle Diskriminierung von Roma_Romnija und Sinti_ze
bzw. Menschen mit Roma_Romnija- und Sinti_ze Hintergrund Feindliche
Haltung gegenüber Sinti_ze und Roma_Romnija, die von inneren Vorbehalten
über offene Ablehnung, Ausgrenzung und Vertreibung bis zu Tötung und
massenhafter Vernichtung reicht.
Klassismus: Strukturelle Diskriminierung und Stereotypisierung mit Bezug auf
ihre sozio-ökonomische Gruppenzugehörigkeit gegen Menschen aus der
Arbeiter_innenklasse, gegen arme Menschen, Intellektuelle etc.
Lookismus: Strukturelle Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausschluss mit
Bezug auf zugeschriebene Formen von Körper, Aussehen, Kleidung.
Ost/
West
Stereotypen
(DDR/
BRD):
aufgrund
der
Strukturelle
Herkunft
Diskriminierung,
aus
der
DDR
Vorurteile
oder
und
aufgrund
7
Czollek, Perko und Weinbach merken an, dass es sich bei der Aufzählung der
Diskriminierungsformen nicht um eine Hierarchie, sondern um eine alphabetische Anordnung
handelt.
15
transgenerationeller
DDR-
Hintergründe;
und
umgekehrt
strukturelle
Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zur BRD.
Rassismus: Strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Bezug auf
zugeschriebene „Hautfarben“, „Ethnien“, „Kulturen“, Migrationshintergründe,
Sprachen.
Gender:
Sexismus/
Heterosexismus:
Strukturelle
Diskriminierung
von
Menschen aufgrund ihres Geschlechts sowie der diesen Erscheinungen
zugrunde
liegenden
Ideologie.
Heterosexismus
ist
ein
Denk-
und
Verhaltenssystem, das Heterosexualität als die einzig „normale“ Form sexueller
Orientierung und Beziehung festschreibt.
Quelle: Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: Praxishandbuch Social Justice und Diversity. S. 63-64
Die Auswahl der Diskriminierungsformen ist keine endgültige, das Training
behandelt stets aktuelle (Diskriminierungs-) Themen. Somit können die Arten
der Diskriminierung variiert, ersetzt und erweitert werden (Czollek/ Perko/
Weinbach 2012: 63).
Das Social Justice und Diversity Training bietet mit seinen Themen und
theoretischen Ansätzen
die
Möglichkeit,
sich
reflexiv
mit
struktureller
Diskriminierung und dessen historischen und gegenwärtigen Bedingungen
auseinanderzusetzen. Eigene Denkmuster, Handlungsstrukturen und Privilegien
zu hinterfragen und Handlungsoptionen gegen jede Art von Diskriminierung
aufzuzeigen und zu entwickeln. Die Social Justice Theorie und das Social
Justice und Diversity Training bieten eine Perspektive zur Realisierung einer
gerechteren Gesellschaft. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 63) Das Berufsfeld
Soziale Arbeit als Professionswissenschaft bietet großes Potential zur
Umsetzung und als Multiplikator. Denn es bestehen zahlreiche Parallelen und
Handlungsebenen
vom Gerechtigkeitsgedanken von Social Justice und
Diversity und den ethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit.
16
3. Anwendung von Social Justice und Diversity auf die ethischen
Prinzipien der Sozialen Arbeit
In diesem Kapitel geht es um eine dezidierte Auseinandersetzung mit Social
Justice und Diversity als Theorie und Trainingskonzept, sowie den Richtlinien,
um am Ende eine Verankerung von Social Justice in den Richtlinien zu
beurteilen.
3.1 Einführung und Stellenwert von IFSW und DBSH e.V. in der Sozialen
Arbeit
Soziale Arbeit setzt sich sowohl mit dem Individuum, als auch der Gesellschaft
auseinander. Soziale Arbeit ist immer politische Arbeit, national und
international. Sozialarbeiter_innen stehen oft in einem Spannungsverhältnis,
weil sie im Auftrag des Staates (“Wächteramt“), im Anliegen des Individuums
und aus eigener ethischer Grundhaltung heraus agieren8 (Staub-Bernassconi
2007: 198). Damit befindet sich Soziale Arbeit als Profession immer in einem
ethischen Konflikt, den es zu reflektieren gilt. Die International Federation of
Social Workers (IFSW), in Zusammenarbeit mit der international association of
schools of social work (IASSW) sind internationale Organisationen, die im
Oktober 2004 auf der Generalversammlung das Dokument „Ethik in der
Sozialen Arbeit – Darstellung der Prinzipien“ (Lienkamp 2005: 2 pdf)
verabschiedet haben. Die von der IFSW und IASSW niedergeschriebene
Definition für Soziale Arbeit und die in diesem Zusammenhang festgelegten
Prinzipien der Sozialen Arbeit sind ein internationales Übereinkommen, das
eine gemeinsame Stellungnahme als Grundlage der Profession Soziale Arbeit
darstellt, mit dem ermutigenden Angebot einer Grundhaltung, sein eigenes
(ethisches) Denken und Handeln zu diskutieren und reflektieren –national und
international (Lienkamp 2005: 2 pdf).
Der DBSH (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e. V.) ist die deutsche
Mitgliedsorganisation
des
IFSW
und
greift
mit
seinen
nationalen
8
Vgl. „Triple-Mandat“ entwickelt von Staub-Bernassconi In: Soziale Arbeit als
Handlungswissenschaft 2007: 198
17
berufsethischen Richtlinien „das Grundsatzpapier der International Federation
of Social Workers […] auf und setzt es um“ (DBSH 2009: 9). Der DBSH als
Berufsverband und Gewerkschaft zeichnet sich leider vor allem durch seine
geringe Mitgliederzahl und fehlende Präsenz in Hochschulen der Sozialen
Arbeit aus. Dessen Gründe an anderer Stelle zu diskutieren wären. Trotzdem
wird sich immer wieder auf seine ethischen Prinzipien gestützt, wenn es um
Legitimation oder ethische Orientierung innerhalb der Arbeit geht.
Die Prinzipien zeigen detailliert ethische Orientierung und eine Grundlage
beruflichen Verhaltens auf und trotzdem stellt sich mir, als angehende
Sozialarbeiterin die Frage der Umsetzbarkeit dessen im Praxisalltag. Durch die
Gegenüberstellung und Analyse der Richtlinien und Social Justice und Diversity
als Theorie soll festgestellt werden, ob Social Justice und Diversity ein Konzept
ist, mit dem die anspruchsvollen Richtlinien umgesetzt werden können und
wenn ja, wie.
Grundlage des Vergleichs sind die Richtlinien vom IFSW und IASSW und die im
Kapitel 2 erläuterte Theorie und das dazugehörigeTrainingskonzept Social
Justice und Diversity.
Das von der IFSW und IASSW beschlossene international richtungsweisende
Dokument „Ethics in Social Work, Statement of Principles“ (Lienkamp 2005: 1
pdf) wird in ein Vorwort eingeteilt, in dem thematisiert wird, seit wann es dieses
Dokument gibt und mit welchen Herausforderungen und Ansprüchen
Sozialarbeiter_innen in der Sozialen Arbeit konfrontiert sind. Darauf folgt die
2001 von IFSW und IASSW beschlossene allgemeine internationale Definition9
und welche grundlegenden Dokumente10 für die Soziale Arbeit eine besondere
Die allgemein anerkannte internationale Definition Sozialer Arbeit ist keine unveränderbare
Definition, sondern ein Prozess, welcher eine Erweiterung der Definition fordert
(http://www.lienkamp-berlin.de/resources/IFSW-IASSW_Ethics_in_Social_Work_2004_engldt.pdf).
10
Die Soziale Arbeit legitimiert und stützt ihre Arbeit auf der Grundlage folgender Dokumente:
„Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; internationaler Pakt über bürgerliche und politische
Rechte; internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; Übereinkommen
zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung; Übereinkommen zur Beseitigung jeder
Form von Diskriminierung der Frau; Übereinkommen über die Rechte des Kindes; Übereinkommen betreffend die Ureinwohner[_innen Anm. d. A.] und Stammesvölker (ILO – Übereinkommen
169)“ (Lienkamp 2005: 2-3 pdf).
9
18
Rolle spielen. Abschließend folgen die Prinzipien und ein daraus resultierender
Codex über berufliches Verhalten von Sozialarbeiter_innen.
3.1.1 Definition Soziale Arbeit
Im Folgenden zitiere ich die Definition Sozialer Arbeit: „Die Profession Sozialer
Arbeit setzt sich ein für sozialen Wandel, die Lösung von Problemen in
menschlichen Beziehungen sowie die Befähigung und Befreiung von Menschen
mit dem Ziel, das Wohlergehen zu fördern. Gestützt auf Theorien menschlichen
Verhaltens und sozialer Systeme interveniert Soziale Arbeit an den Stellen, wo
Menschen mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung stehen. Grundlage der Sozialen
Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit.“
(Lienkamp 2005: 2 pdf).
Die derzeitige Definition beschreibt zum einen die Interaktion zwischen
Individuen und Sozialarbeiter_innen und zum anderen die gesellschaftspolitische Ebene. Die Definition gibt den Sozialarbeiter_innen sowohl eine
Orientierung, als auch einen klaren Grundsatz, in dem sie festlegt, dass die
Grundlagen die der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit sind. In
Deutschland sind die Grundsätze in der Verfassung mit dem Grundgesetzt
rechtlich verankert. Mit dem im Jahr 1975 eingeführten Sozialgesetzbuch I
(SBG I) wurde die Realisierung und Zuweisung der Aufgabe zur sozialen
Gerechtigkeit gesetzlich verankert. So soll das SGB I einen konkreten
gesetzlichen Rahmen und damit einen Beitrag „[…] zur Verwirklichung sozialer
Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit […]“ (§ 1 Absatz 1 Satz 1 SGB I) leisten
und zur Umsetzung der Aufgaben ausreichend soziale Dienste und
Einrichtungen zur Verfügung stellen. (§ 1 Absatz 1, 2 Satz 1 SGB I)
Die Prinzipien sind aufgeteilt in die Kapitel I Menschenrechte und
Menschenwürde und Kapitel II soziale Gerechtigkeit. Bei der
Gegenüberstellung von den Richtlinien und Social Justice und Diversity werde
ich nicht zwischen dem Trainingskonzept und der Theorie unterscheiden, da
sich beides bedingt, mich aber selbstverständlich nur auf den bisher erläuterten
deutschsprachigen Kontext beziehen.
19
3.1.2 Kapitel I Richtlinien im Kontext der Menschenrechte und
Menschwürde
Die Richtlinien in Kapitel I halten fest, dass Soziale Arbeit alle Menschen, ihre
Werte und Würde und den daraus resultierenden Rechten achtet. Konkret
bedeutet das, dass Sozialarbeiter_innen das Recht auf Selbstbestimmung und
–beteiligung achten und fördern sollen. Dies gilt sowohl im Klient_innen –
Sozialarbeiter_innen – Verhältnis, als auch im gesellschaftlichen Kontext. Im
Umgang mit dem Klientel soll das Individuum ganzheitlich wahrgenommen und
behandelt werden. Das Individuum existiert als Persönlichkeit, im familiären,
sowie sozialen und gesellschaftlichen Umweltkontext. Die Sozialarbeiter_innen
sollen ihren Fokus auf die Stärken ihres Klientel und die der Gemeinschaft
legen. (Lienkamp 2005: 3 pdf)
3.1.3 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen
Richtlinien im Kapitel I
Die Achtung der Werte und Würde spiegelt sich pointiert in Social Justice und
Diversity in den drei spezifischen Haltungen der Mahloquet wider. In der
Mahloquet als ethisch-dialogische Gesprächsform, herrscht die Haltung der
Anerkennung der „Gleichwertigkeit verschiedener Denkinhalte“ (Czollek/ Perko/
Weinbach 2012: 52), der Absichtslosigkeit, das Gegenüber von der eigenen
Meinung zu überzeugen und das gleichberechtigte Verhältnis aller im Dialog
befindlichen Individuen (ebd.).
Die Achtung und Förderung der Selbstbestimmung und –beteiligung äußert sich
im Social Justice in der wechselseitigen Hilfe und Anerkennung als jeweils
besondere Individuen innerhalb der Gemeinschaft und dadurch ist Partizipation
ein wichtiger Bestandteil des alternativen Gesellschaftsbildes von Social
Justice. (Mit einer nie endenden Analyse, warum wer an welcher Stelle über wie
viel Macht im kulturellen, institutionellen und sozialen Kontext verfügt.) (Czollek/
Perko/ Weinbach 2012: 52)
Die Wahrnehmung und Behandlung im Sinne der Ganzheitlichkeit des
Individuums, wie die Richtlinien es fordern, erweitert Social Justice, in dem es
davon ausgeht, das jedes Individuum auf individueller, institutioneller und
kultureller Ebene diskriminiert werden kann und man auf allen diesen Ebenen
20
entgegenwirken muss. Zugleich soll im Sinne von Social Justice das Individuum
in seiner Einzigartigkeit anerkannt werden, „[…] ohne ihm
Gruppenzugehörigkeiten als Diskriminierungen oder Klassifizierungen
zuzuschreiben.“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 23)
Der Fokus auf die Stärken eines Individuums und der Gemeinschaft werden im
Social Justice auf mehreren Ebenen abgedeckt: Zum einen in der
grundlegenden Annahme, das es (eine) Alternative zur liberalen,
kapitalistischen Gesellschaftsform, wie sie derzeit herrscht, möglich ist, zum
anderen sehr konkret im Trainingsansatz, wo von Körper- oder
Bewegungsübungen und Rollenspielen abgesehen wird, weil diese einen
Diskriminierungscharakter für diejenigen, die dazu nicht in der Lage sind oder
denen das unangenehm ist, darstellen kann. Im Social Justice und Diversity
Training wird nicht nur über Sprache gearbeitet, weil auch Kinder oder
Menschen, die nicht sprechen können, an den Social Justice und Diversity
Trainings teilnehmen. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 55-56)
In der ersten Gegenüberstellung der Richtlinien und Social Justice und
Diversity konnte konkret aufgezeigt werden, dass Social Justice sowohl in
theoretischer als auch methodischer Hinsicht den Anforderungen der Richtlinien
gerecht wird. Social Justice und Diversity bezieht die Anforderungen,
Vorstellungen und richtungweisenden Maximen nicht (nur) auf
Sozialarbeiter_innen, sondern sieht diese Aufgaben in der Verantwortung aller
Individuen in der Gemeinschaft. Damit möchte ich zur Analyse der Prinzipien
des zweiten Kapitels, das der sozialen Gerechtigkeit kommen, welches im
Kontext meiner Arbeit eine besondere Bedeutung darstellt.
Im zweiten Kapitel beschreiben die Richtlinien eine Verpflichtung der
Umsetzung der gestellten Forderungen durch die Sozialarbeiter_innen. Dabei
ist hier ein Vergleich des zweiten Kapitels in englischer und deutscher Sprache
besonders wichtig, denn im englischen Original wird von Social Justice (!) und
damit einhergehend von Verpflichtung der Sozialarbeiter_innen gesprochen11.
An dieser stelle möchte ich noch mal auf die Übersetzung Social Justice vom englischen ins
deutsche und die damit verbundene Begriffsanalyse von Heike Weinbach, was ich im zweiten
11
21
Wie sich in der Analyse zeigen wird, sind die Parallelen der in Kapitel zwei
festgehalten Richtlinien und dem im deutschsprachigen Kontext12 festgehalten
Konzept Social Justice und Diversity prägnant.
3.1.4 Kapitel II Richtlinien im Kontext der sozialen Gerechtigkeit
Die Prinzipien im zweiten Kapitel verpflichten Sozialarbeiter_innen, sowohl im
Kontext ihrer Arbeit mit dem Individuum, als auch im gesellschaftlichen Kontext,
soziale Gerechtigkeit zu fördern. Konkret bedeutet das, dass
Sozialarbeiter_innen jedwede Art von Diskriminierung13 entgegentreten,
zurückweisen und Verschiedenheit wahrnehmen, achten und anerkennen
sollen.
Die IFSW sieht die Aufgabe der Sicherstellung einer gerechten Verteilung,
gemäß den Bedürfnissen, der den Sozialarbeiter_innen zur Verfügung
stehenden Ressourcen, bei den Sozialarbeiter_innen. Sozialarbeiter_innen
sollen Politik und Praktiken, die auf Ungerechtigkeit, Diskriminierung und
Unterdrückung beruhen öffentlich aufmerksam machen und kritisch zur
Diskussion stellen.
Schließlich sind Sozialarbeiter_innen dazu verpflichtet solidarisch im Sinne
einer inklusiven Gesellschaft hinzuarbeiten und alles was für das Gegenteil
sorgt, zurückzuweisen.
3.1.5 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen
Richtlinien im Kapitel II
Social Justice und Diversity versteht den Diskriminierungsbegriff als strukturelle
Diskriminierung, das heißt, dass man auf institutioneller, kultureller und
individueller Ebene diskriminiert werden kann und deckt somit alle in den
Kapitel meiner Arbeit erläutert habe, hinweisen.
12
Im Rahmen dieser Arbeit kann nur der deutschsprachige Kontext von Social Justice
betrachtet werden, schließt aber Parallelen und Überschneidungen zum Konzept in
englischsprachigen Ländern natürlich nicht aus. Es schließt auch nicht aus, dass das Original
der Prinzipien möglicherweise ein Indikator dafür ist, dass Social Justice als Konzept in der
Gesellschaft von englischsprachigen Ländern angekommen ist und versucht wird, es
umzusetzen. Wie es sich zum Beispiel im Studiengang Diversity and Social Justice Education
an der University of Massachusetts widerspiegelt.
13
In den Richtlinien wird von negativer Diskriminierung gesprochen, weil es Länder gibt, die von
positiver und negativer Diskriminierung ausgehen. Von positiver Diskriminierung wird dann
gesprochen, wenn positive Handlungen gegen schon geschehen Diskriminierung zur
„Entschädigung“ erfolgen. (Vgl. Lienkamp 2005: 4 pdf)
22
Richtlinien aufgeführten Beispiele14 ab. Social Justice und Diversity sieht die
Verpflichtung, sich gegen Diskriminierung zu engagieren und zu kämpfen, nicht
nur bei einer bestimmten Berufsgruppe, sondern bei allen Menschen. Also im
Sinne der Anerkennungsgerechtigkeit, ein aktives Hinwirken aller für eine
gerechte(re)n Gesellschaft. Die Anerkennung der Verschiedenheit spielt im
Social Justice und Diversity eine primäre Rolle, da Social Justice und Diversity
als Partizipationstheorie verstanden wird, in der die Politik so umgestaltet
werden muss, dass sie den Individuen mit ihren individuellen Wünschen und
Bedürfnissen gerecht wird. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 21)
Social Justice und Diversity fordert die Teilhabe an allen gesellschaftlichen
(materiellen, kulturellen, institutionellen und sozialen) Ressourcen, was
impliziert, dass alle Güter der Gesellschaft so verteilt sind, dass jede_r in
Wohlbefinden und Sicherheit leben und (dadurch in der Gesellschaft)
partizipieren kann. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 21) Somit erweitert Social
Justice und Diversity den Gerechtigkeitsgedanken von einer gerechten
Verteilung, wie er in den Richtlinien formuliert ist, in dem Social Justice und
Diversity von einem strukturellen Verteilungsgedanken ausgeht. (Ebd.)
Die Richtlinien, ungerechte Politik zurückzuweisen und solidarisch zu handeln,
spiegeln sich im Konzept des Verbündet-Seins von Social Justice und Diversity
wider. Im Konzept geht es um die Notwendigkeit, eigene Privilegien zu
reflektieren und sich für Veränderungen einzusetzen, auch wenn dies eine
Veränderung der eigenen Position in der Gesellschaft betrifft. Mit dem Ziel,
einer Gesellschaft, in der jede_r physisch und psychisch in Wohlbefinden und
Sicherheit, frei von Diskriminierung jedweder Art lebt und partizipativ anerkannt
wird. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 26) Damit konkretisiert Social Justice
und Diversity methodisch die Forderung der Richtlinien.
Sozialarbeiter_innen sollen Diskriminierung zurückweisen, „[…] sei es aufgrund von
Fähigkeiten, Alter, Kultur, sozialem bzw. biologischem Geschlecht, Familienstand,
sozioökonomischen Status, politischer Meinung, Hautfarbe rassischen oder anderen
körperlichen Merkmalen, sexueller Orientierung oder spirituellem Glauben.“ (Lienkamp 2005: 4
pdf)
14
23
Im Folgenden werde ich zusammenfassen, welchen konkreten Aufgaben sich
die Sozialarbeiter_innen stellen müssen, um dann in einem Vergleich zwischen
den Richtlinien und Social Justice ud Diversity zu analysieren, inwieweit Social
Justice und Diversity den Richtlinien entspricht und ob es ein Konzept ist, mit
dem die ethischen Richtlinien angewendet werden können. Anschließend werde
ich in einem Resümee festhalten, was das für die Soziale Arbeit bedeutet.
3.1.6 Kapitel III Richtlinien im Kontext des beruflichen Verhaltens
Die ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit schließen mit dem letzten Kapitel,
des beruflichen Verhaltens, in dem die nationalen Mitgliedsverbände dazu
verpflichtet werden im Einklang und Kontext der Stellungnahme des IFSW und
IASSW eigene berufsethische Richtlinien zu entwickeln, überprüfen und
regelmäßig zu überarbeiten. Diese an Sozialarbeiter_innen und die in den
Ausbildungsstätten befindlichen darüber zu informieren. In Deutschland
übernimmt diese Aufgabe der DBSH als Mitgliedsorganisation des IFSW und
IASSW.
Die Richtlinien über das berufliche Verhalten sollen einen Standard in der
Profession Soziale Arbeit darstellen, an denen sich Sozialarbeiter_innen
orientieren und halten sollen.
Sozialarbeiter_innen sollen dafür sorgen, dass ihr beruflichen Erfahrungen nicht
für unmenschliche Maßnahmen und Praktiken missbraucht werden und sie
selbstverständlich auch selber nicht „[…] ihre Position […] für [einen Anm. d. A.]
persönlichen Vorteil oder Gewinn [missbrauchen Anm. d. A.]“ (Liennkamp 2012:
5 pdf) Ihre Professionalität soll geprägt sein durch einen respektvollen und
gefühlvollen Umgang mit den Individuen, dazu gehört auch, nicht die eigenen
Interessen über die der Menschen, die Sozialarbeiter_innen aufsuchen
(müssen), zu stellen. Sozialarbeiter_innen haben die Pflicht, alle vertraulichen
Daten und Informationen über ihr Klientel zu schützen. Sozialarbeiter_innen
müssen berücksichtigen und akzeptieren, dass ihre Handlungen im
Widerspruch mit den Interessen der Klient_innen, des Staates, des
Berufsstandes und der eigenen Profession stehen können. Sozialarbeiter_innen
sind verpflichtet sich zu informieren, weiterzubilden und ihrer hohen ethischen
Verantwortlichkeit bewusst zu sein. (ebd.)
24
3.1.7 Gegenüberstellung Social Justice und Diversity mit den ethischen
Richtlinien im Kapitel III
Das Social Justice und Diversity Training gleicht einem Prozess und hat somit
keine Endgültigkeit. Den Anspruch der ständigen Weiterentwicklung des
Trainings bildet die wesentliche Basis des Ziels, Handlungsmöglichkeiten gegen
jede Art von Diskriminierung zu entwickeln. Somit umfasst das Trainingskonzept
die im fünften Kapitel geforderten Kriterien der Aufrechterhaltung der
erforderlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten. Die Mahloquet als ethischdialogische Gesprächsform und Grundhaltung, die von den Maximen der
Gleichwertigkeit verschiedener Denkinhalte, einen anerkennenden und
respektvollen Umgang, der Absichtslosigkeit im Dialog und zu letzt das
gleichberechtigte Verhältnis der Individuen im Dialog, geprägt ist, ist eine
Methode für Sozialarbeiter_innen, ihrem Klientel mit Respekt und Achtsamkeit
zu begegnen und nicht Gefahr zu laufen, ihre Bedürfnisse über die der anderen
zu stellen.
3.2 Verankerung von Social Justice und Diversity in den Richtlinien der
Sozialen Arbeit
Durch die Gegenüberstellung der ethischen Prinzipien und Social Justice und
Diversity konnten Parallelen aufgezeigt werden. Social Justice und Diversity
und die Mahloquet mit ihrer Vielseitigkeit bieten eine Methode, mit der die
allgemeinen Richtlinien über berufliches Verhalten zum großen Teil umgesetzt
und angewendet werden kann. Die Auseinandersetzung mit struktureller
Diskriminierung ist Ausgangspunkt des Trainings und Grundlage der Mahloquet.
Social Justice und Diversity erweitert damit methodisch, was die ethischen
Prinzipien Sozialer Arbeit fordern und zum Ziel haben und folglich auch in der
Praxis der Sozialen Arbeit nicht fehlen darf. An dieser Stelle betone ich noch
mal, dass Social Justice in Bezug auf alle Menschen konzipiert ist und nicht nur
in Bezug auf eine bestimmte (Berufs-) Gruppe. Social Justice als eine Theorie,
die vor allem erstmal konkret am Individuum und seinen Vorstellungen,
Vorurteilen und Stereotypen arbeitet, bietet eine direkte Handlungsmöglichkeit
25
und Arbeitsgrundlage für Sozialarbeiter_innen mit ihrem Klientel. Dies soll die
Anwendung von Social Justice in der Sozialen Arbeit im Hospiz verdeutlichen.
In der ersten Gegenüberstellung
der Richtlinien und Social Justice und
Diversity konnte konkret aufgezeigt werden, dass Social Justice und Diversity
sowohl in theoretischer als auch methodischer Hinsicht den Anforderungen der
Richtlinien gerecht wird.
Die ethischen Prinzipien stellen zum einen eine (ethische) Orientierungshilfe für
Sozialarbeiter_innen in (problematischen) Situationen dar und zum anderen
stellen sie eine Legitimation (der Profession) neben der staatlichen Legitimation
dar. Es geht sowohl um gesellschaftliche Verantwortung, als auch um die
Berufsbeziehungen zum Klientel.
Die Richtlinien der Sozialen Arbeit fordern wie Social Justice und Diversity
Gerechtigkeit und gehen von Ungerechtigkeit und (struktureller) Diskriminierung
aus. Dort setzt Social Justice und Diversity mit ihrem Trainingskonzept an und
leistet somit einen Beitrag hin zu einer gerechteren Gesellschaft. Dieses
Konzept beruht auf der Arbeit mit und an Individuen und ihrem tief verwurzelten
Verständnis eines Menschen- und Gesellschaftsbildes (die Normen, Werte und
Strukturen implizieren). Dieses Trainingskonzept ist für die Soziale Arbeit sehr
gut geeignet, weil Sozialarbeiter_innen mit dem Individuum arbeiten, aber
immer
auch
mit
gesellschaftlichen
Strukturen
konfrontiert
sind.
Ein
ökonomisches Konzept, was zweifellos ein wichtiger Bestandteil einer
gerechteren Gesellschaft ist, fehlt noch. Solange Ungerechtigkeit in Form einer
tiefverwurzelten
strukturellen
Diskriminierung
besteht,
nützt
auch
ein
ökonomisches Konzept nicht, weil strukturelle Diskriminierung auch dann
bestehen bleibt, wenn alle Menschen materiell abgesichert wären. Die
Parallelen zwischen den Richtlinien und Social Justice und Diversity zeigen sich
auch zwischen der hospizlichen Sozialarbeit und Social Justice und Diversity.
Die ethischen Prinzipien spiegeln sich in ihrer Ganzheitlichkeit in der
hospizlichen (Sozial-) Arbeit wieder, wo es um (soziale) Gerechtigkeit, Inklusion,
Partizipation und Solidarität geht. Im Folgenden soll Social Justice und Diversity
26
als Gerechtigkeitstheorie und -konzept auf die Umsetzbarkeit in der
hospizlichen Sozialarbeit und damit auch die Richtlinien auf methodische
Anwendbarkeit überprüft werden.
4. Anwendung von Social Justice und Diversity in der Sozialen Arbeit im
Hospiz
Sterben ist ein Bestandteil des Lebens. Der Tod erwartet unterschiedslos jeden
Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, Kulturund Religionszugehörigkeit, von Gesellschaftsklasse o. Ä. Der Tod ist eine
Gemeinsamkeit, die alle Lebewesen teilen. Was die Menschen innerhalb einer
Gesellschaft unterscheidet, ist die Art und Weise des Sterbens, der Umstände
des Sterbens, der Qualität der letzten Lebensspanne. Diesbezüglich existieren
zum Teil immense Unterschiede, die in sozialen Ungleichheiten und
gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten begründet sind.
Einige (wenige) der sterbenden Menschen befinden sich in einer Institution
namens Hospiz, wo in medizinischer15 Hinsicht dafür gesorgt wird, dass der
Mensch im Prozess des Sterbens körperlich nicht leiden muss und in
psychosozialer Hinsicht in Wohlbefinden (soweit es möglich ist) leben kann.
Im Hospiz befinden sich Menschen, die nur noch eine begrenzte Lebenszeit
von Wochen oder wenigen Monaten haben und sich entschlossen haben, keine
lebenserhaltenden Maßnahmen, wie künstliche Beatmung oder Ernährung in
Anspruch zu nehmen. Der Grundgedanke des Hospiz ist die Überzeugung und
Sicherstellung des Prozesses eines „menschenwürdigen Sterbens“ (Student/
Mühlum/ Student 2007: 14) und damit die Haltung der Unantastbarkeit der
Würde des Menschen über den Tod hinaus16. Die meisten Menschen, die an
15
Der medizinische Aspekt der Hospizarbeit wird unter dem Begriff Palliativmedizin zusammen
gefasst. „Palliativmedizin widmet sich der Behandlung und Begleitung von Patienten mit einer
nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter
Lebenserwartung. Die Palliativmedizin bejaht das Leben und sieht das Sterben als einen
natürlichen Prozess. Sie lehnt aktive Sterbehilfe ab. “
(http://www.dgpalliativmedizin.de/diverses/wir-ueber-uns.html)
16
Das Bestreben und Thematisieren der Wahrung der Würde des Menschen über den Tod
hinaus impliziert eine übergeordnete gesellschaftliche Verantwortlichkeit. Denn wie viele
Menschen werden so beerdigt, wie sie es sich wünschen bzw. wie viele Familie können einen
27
einer unheilbaren Krankheit leiden und nur noch eine begrenzte Lebenszeit vor
sich haben, sterben nicht zuhause oder im Hospiz, sondern in Pflegeheimen
und Krankenhäusern (aufgrund mangelnder Plätze im Hospiz und u. a. fehlende
finanzielle Sicherheit und Unterstützung für die Pflege zuhause). Dort wird der
Tod eines/r Patient_in oft als medizinisches Versagen interpretiert. Durch diese
Einstellung zum Tod kann der sterbende Mensch als Randgruppe in der
Gesellschaft exkludiert und somit am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen
werden. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 21, 29)
Hospizliche Sozialarbeit muss sich tagtäglich mit (sozialer Un-) Gerechtigkeit
auf verschiedenen Ebenen auseinandersetzen: Wer hat durch Finanzierung
und Verteilung öffentlicher Güter Zugang zum Hospiz? Ist die Teilhabe des
sterbenden Menschen am gesellschaftlichen Leben ohne finanzielle Sicherheit
und Rückhalt überhaupt möglich? Wie viel Autonomie liegt beim sterbenden
Menschen? Denn wer entscheidet und gestaltet wie das Sterben auszusehen
hat? Und wie viel Macht und Entscheidungsgewalt liegt tatsächlich beim
sterbenden Menschen? (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15, 25)
Hier liegt ein zentraler Bereich, der viele Fragen aufwirft und bislang wenige im Gerechtigkeitsdiskurs befriedigende - Antworten bereithält.
Social Justice und Diversity, das bei dem Individuum und den gesellschaftlichen
Strukturen gleichermaßen einsetzt und arbeitet, scheint ein geeignetes Konzept
für die hospizliche Sozialarbeit zu sein.17 In diesem Bereich Sozialer Arbeit wird
mit dem sterbenden Menschen als Klient_in, dem sozialen Umfeld, seinem
eigenen ethischen Verständnis gearbeitet und ein übergeordnetes
Angehörigen “würdevoll“ beerdigen lassen? Die Bestattungsform und -zeremonie ist abhängig
vom Einkommen – des eigenen oder dem der Familie.
17
Grundsätzlich zeichnet sich die Soziale Arbeit durch Generalimus aus, für den verschiedene
Unterteilungen getroffen werden. Zum einen wird der universelle Generalismus diagnostiziert:
um Integration und soziale Gerechtigkeit zu leisten, ist es unumgänglich, übergreifend zu
agieren, also interdisziplinär und alle Menschen umfassend. Der/die Sozialarbeiter_in fungiert
als Vermittler zwischen den Gesellschaftsteilen, Institutionen usw. Zum anderen existiert stets
ein spezialisierter Generalismus in der Sozialen Arbeit, da ein_e Sozialarbeiter_in stets
fallbezogen agieren muss; in der psychosozialen Praxis ist es nicht möglich, einem starren
Regelmuster zu folgen. In: Sozialarbeit ohne Eigenschaften. Fragmente einer postmodernen
Professions- und Wissenschaftstheorie Sozialer Arbeit von Heiko Kleve, Seite 96-97.
28
gesellschaftliches Ziel verfolgt: jenes der Integration des Todes, der Trauer und
des Verlustes in den Alltag. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15, 25)
Social Justice hat eine gerechte(re) Gesellschaft zum Ziel. Dieses Ziel umfasst
ein übergeordnetes, strukturelles Bestreben, deshalb wird zuerst erläutert, was
die Arbeit im Hospiz umfasst, wie Soziale Arbeit im Hospiz aussieht, um dann
zu bewerten, inwiefern Social Justice und Diversity die Hospizarbeit sowohl in
gesellschaftspolitischer Hinsicht, als auch praxisalltäglich die Soziale Arbeit
erweitern und bereichern könnte.
4.1 Aufgabenstellung und Arbeitsbereich der Hospizarbeit
Die Hospizarbeit lässt sich in einen übergeordneten gesellschaftlichen Auftrag
und eine individuelle (medizinische und psychosoziale) Arbeit mit dem
sterbenden Mensch aufteilen.
Die Grundlage des gesellschaftspolitischen Auftrags der Hospizarbeit ist die
Förderung der Teilhabe des Sterbenden am Alltag und am gesellschaftlichen
Leben (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15). Sterben als natürlicher Prozess
des Lebens soll nicht verborgen im Stillen verdeckt gehalten und mit einem
Versagen (z.B. der Medizin) gleichgestellt werden und somit die/den
Sterbende_n als eine Form der Marginalisierung zur Randgruppe exkludieren.
Das Ziel ist die Integration der/des Sterbenden in den familiären und
gesellschaftlichen Alltag. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 21).
Im Sinne des Social Justice und Diversity werden auch die sich im Hospiz
befindenden Mitarbeitenden (wie Ärzt_innen, Pflegefachkräfte,
Sozialarbeiter_innen, Verwaltungskräfte, Köch_innen etc.) und ehrenamtlich
Mitarbeitenden, Helfende, die Gäste18(Sterbende) des Hospiz und die direkten
Angehörigen der Gäste, sowie das weitere soziale Umfeld, zum
gesellschaftspolitischen Kontext gezählt.
Denn Social Justice als radikale Gerechtigkeitstheorie setzt bei allen Menschen,
Institutionen und Strukturen an und nicht nur an einer (Berufs-) Gruppe. Dies
18
Im Hospiz heißen die Patient_innen/ Klient_innen/ Adressat_innen “Gäste“, zum einem wegen
ihres zeitlich begrenzten Aufenthaltes im Hospiz und zum anderen als Zeichen einer
bestimmten Einstellung zum Thema Tod, die noch im weiteren erläutert wird.
29
soll die Aufzählung der im Kontext der Hospizarbeit sich befindenden Menschen
darstellen. In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf Sozialarbeiter_innen
denkt jedoch alle anderen Menschen, Institutionen und Strukturen im Kontext
der Hospizarbeit mit und wird folgend in der Anwendung von Social Justice und
Diversity im gesellschaftspolitischen Kontext näher erläutert.
Der individuelle Aspekt hospizlicher Arbeit umfasst die „[...] psychosoziale [...],
spirituelle [...] und Trauerbegleitung, sowie Palliativmedizin und -pflege“
(Student/ Mühlum/ Student 2007: 27).
In der psychosozialen und Trauerbegleitung geht es vor allem um
Unterstützung, Begleitung, Aufklärung und Förderung in individuellen
Angelegenheiten und Möglichkeiten. Also die kontinuierliche Fürsorge von
Betroffenen und Angehörigen auch über den Tod hinaus. Dies impliziert auch
die eigene Auseinandersetzung und Reflexion von Tod, Trauer und (Verlust-)
Ängsten. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15) Diese angeschnittenen Aspekte
der psychosozialen und Trauerbegleitung umfassen vor allem die Organisation,
Vernetzung und Ausführung der Sozialen Arbeit.
In der individuellen Hospizarbeit nimmt der medizinisch-pflegerische Faktor eine
ebenso wichtige Rolle ein, wenn es um Symptomkontrolle o. Ä. palliative
Kenntnisse und Fähigkeiten geht, sowie die Verfügbarkeit eines
interdisziplinären Teams (ebd.: 28). Denn dem Sterbenden soll ein
schmerzfreier Tod gewährt werden, im Sinne des „menschenwürdigen
Sterbens“ (Student/ Mühlum/ Student 2007: 14), in dem es darum geht, ein
(relatives) Wohlbefinden, soweit es möglich ist, zu ermöglichen.
In welchen Momenten die Soziale Arbeit sowohl in psychosozialer als auch
medizinischer Hinsicht ansetzt und was das konkret für die Klient_innen
bedeutet, wird im Folgenden erörtert.
4.2. Darstellung der Aspekte Sozialer Arbeit im Hospizbereich
30
Generalisierend könnte man sagen, die Aufgabenstellungen, Methoden und
Konzepte der Sozialen Arbeit im Hospiz sind so weitläufig und vielfältig, wie
der/die Klient_in selbst. Die Soziale Arbeit setzt da an, wo es individuell um
Probleme, Sorgen, Nöte und Veränderungswünsche und -bedarf geht. Dabei
lässt sich die Soziale Arbeit im Hospiz ebenfalls wie die allgemeine Hospizarbeit
in einen generalistischen und individuellen Kontext gliedern.
Den/die Sterbende_n in seiner Autonomie zu fördern und zu unterstützen, in
dem der Mensch in (der Umsetzbarkeit) seinen/ihren Wünsche und Bedürfnisse
gefördert wird, gehört zu den wesentlichen Aufgaben der Sozialen Arbeit im
Hospiz. Die Förderung der Autonomie als wesentliche Aufgabe in der
hospizlichen Sozialarbeit lässt sich nicht nur in den individuellen oder
generalistischen Kontext einordnen, sondern bedingt sich miteinander. Denn
nur ein Mensch, der in eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt entscheiden
kann und auch am Ende seines Lebens darin gefördert wird, kann aktiv am
(gesellschaftlichen) Leben teilhaben. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 15, 25)
Dort setzt die Soziale Arbeit an, in dem der/dir Klient_in in der eigenen
Handlungsfähigkeit und Autonomie gefördert wird und die Soziale Arbeit
Hilfestellung leistet.
Die Selbstbestimmung ist ein wichtiger Ansatzpunkt in der
Anerkennungsgerechtigkeit im Sinne des Social Justice und an der Stelle wird
zum ersten Mal besonders deutlich, dass die Soziale Arbeit Social Justice
methodisch konkretisiert.
Die aktive Netzwerkarbeit als wichtiges methodisches Mittel, in der die
Nachbarschaft und das soziale Umfeld mobilisiert werden, sowie die
Organisation der ehrenamtlichen Mitarbeitenden und Helfenden hat dabei einen
weiteren zentralen Stellenwert zur Umsetzung dieses Ziels (Student/ Mühlum/
Student 2007: 28). Zum einem ist die Umsetzung von Wünschen und
Bedürfnissen ohne diese meist nicht realisierbar und zum anderen ist der
Einbezug von ehrenamtlichen Mitarbeitenden und Helfenden in der
Alltagsbegleitung unumgänglich, wie z. B. „am Bett sitzen“ (ebd.: 28) und
31
„zuhören“ (ebd.: 28), die Kinder am Nachmittag betreuen o. Ä. Und umfasst das
Ziel die „[...] Sterbebegleitung zum Teil alltäglicher mitmenschlicher Begegnung
zu machen und damit der Integration des Sterbens im Alltag zu dienen“ (ebd.:
28) und den sterbenden Menschen in die Gesellschaft zu (re-) integrieren.
(Student/ Mühlum/ Student 2007: 15, 25) Diese nachbarschaftliche
Unterstützung steht in direkter Verbindung mit dem Verbündet-Sein des Social
Justice und wird in 4.3.2 näher erläutert.
Die individuelle Begleitung der Sozialarbeiter_innen und ihren Klient_innen
umfasst den Aspekt, den/die Sterbende_n nicht mit seinen/ihren Ängsten und
Befürchtungen allein zu lassen, unterstützend und aufklärend tätig zu sein. Die
Aufklärung über medizinische, rechtliche, finanzielle Bedingungen etc., führt zu
einer Verringerung von Ängsten und Befürchtungen. Sozialarbeiter_innen sind
auch zuständig für die „Entwicklung von Vertrauen“ (Student/ Mühlum/ Student
2007: 25) in die „eigene Handlungsfähigkeit“ (ebd.) durch Hilfestellung bei der
Organisation von pflegerischen Hilfen, vorsorgliche Verfügungen,
psychosozialer und ethischer Beratung, Vernetzung und Koordination. (Student/
Mühlum/ Student 2007: 101)
Dazu gehört auch die spirituelle Begleitung im Sinne von transkultureller
Aufmerksamkeit und Kommunikation, um auf eine dem Individuum
angemessene Weise auf spirituelle und kulturelle Bedürfnisse (Rituale,
Nahrung, Gebete etc.) einzugehen. Social Justice und Diversity stellt hier
hilfreiche Mittel, z. B. die Mahloquet, die dialogische Gesprächsform und
ethisch-dialogische Gesprächshaltung. Dies wird in 4.3.2 anhand einer fiktiven
Situation exemplarisch konkretisiert. (Urban 2011: 12)
Es wurde deutlich, dass alle Aufgaben der hospizlichen Sozialen Arbeit
unentbehrlicher Bestandteil, sowohl in gesellschaftspolitischer Funktion, als
auch in der individuellen Begleitung der Klient_innen sind.
Inwieweit Social Justice und Diversity die Hospizarbeit theoretisch und
methodisch erweitern und bereichern kann, soll nun im Folgenden erörtert
werden.
32
4.3 Social Justice und Diversity im Hospizbereich
Die Aufgabengebiete der Arbeit im Hospiz sind in ihrer Ganzheitlichkeit, also die
Arbeit mit und am Individuum (Begleitung des Sterbenden), sowie der
generalistischen Funktion (Ersatz für das, was früher die Familie geleistet hat
und die (wieder-) Eingliederung in die Gesellschaft) ein guter Ansatzpunkt für
Social Justice und Diversity. (Student/ Mühlum/ Student 2007: 29, Kleve 2000:
94). Wie bei den Richtlinien schon analysiert wurde, bestehen Parallelen
zwischen Sozialer Arbeit und Social Justice und Diversity in Bezug auf
Forderungen nach Gerechtigkeit und dem Verständnis von struktureller
Diskriminierung. Die Parallelen sind in der Sozialarbeit im Hospiz besonders
prägnant. Es wird sowohl auf das Individuum eingegangen, in Form von
Anerkennung, Wahrung der Würde und Forderung von Autonomie und
Partizipation als auch mit und an der Gesellschaft durch Netzwerkarbeit und
Aktivierung des sozialen Umfelds, sowie Öffentlichkeitsarbeit. Inwieweit Social
Justice und Diversity mit ihrem theoretischen Ansatz und den praxisrelevanten
Methoden Soziale Arbeit erweitern und somit bereichern kann (oder
umgekehrt!) soll im Folgenden am Beispiel Hospiz (auf der Basis eines
Gedankenspiels) ausgeführt werden.
4.3.1 Anwendung Social Justice und Diversity im gesellschaftspolitischen
Kontext
Social Justice und Diversity setzt grundsätzlich bei allen Menschen,
Institutionen und Strukturen an und verfolgt damit einen übergreifenden Aspekt,
der in folgender Skizzierung eines Hospiz mit den sich darin befindenden
Menschen verdeutlicht werden soll:
Geht man davon aus, dass die Mitarbeitenden, ehrenamtlich Mitarbeitenden
und Helfenden eines Hospiz, genauso wie ihr Klientel unterschiedlichen
Geschlechts, Alter, sexueller Orientierung, Kultur- und Religionszugehörigkeit,
Gesellschaftsklasse, mit und ohne Behinderung, mit und ohne Kind,
alleinerziehend o. Ä. sind, wäre das Diversität und Pluralität, wie man sie im
Sinne des Social Justice und Diversity Konzepts versteht. (Czollek/ Perko 2009:
33
30) Diversität und Pluralität stellt eine Grundlage, im Kontext der
Anerkennungsgerechtigkeit mit dem Ziel strukturelle, institutionelle und
kulturelle Diskriminierung abzuschaffen und damit partizipative Anerkennung zu
realisieren, dar. Also Vielfältigkeit in einem gleichberechtigten und
anerkennenden neben- und miteinander. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 21).
Was bedeutet das für die Pluralität im Kontext der Anerkennungsgerechtigkeit
für Mitarbeitende, ehrenamtlich Mitarbeitende, Helfende, Sterbende,
Angehörige und das soziale Umfeld? Setzt diese Pluralität im Sinne der
Anerkennungsgerechtigkeit voraus, dass (ehrenamtlich) Mitarbeitende,
Helfende und Klient_innen abgesehen von der professionellen Eignung eine
Stelle, einen Platz oder den Raum für Engagement gerade deshalb bekommen
(müssen), weil sie unterschiedlichen Geschlechts, Alter, sexueller Orientierung,
Kultur- und Religionszugehörigkeit, Gesellschaftsklasse, mit und ohne
Behinderung, mit und ohne Kind, alleinerziehend o. Ä. sind – ohne dass sie in
ihrer Andersartigkeit stigmatisiert werden? „Insofern gilt im Social Justice und
Diversity [...], dass die kulturelle Identität hinter das Individuum zurücktritt und
die (Fremd-) Zuschreibung von (eindeutiger) Identität einzelner oder indentitärer
Gruppen im gemeinsamen Gespräch immer wieder dekonstruiert wird […], ein
Dilemma bezüglich der Anforderung, auf Differenzen von Menschen
aufmerksam zu sein und gleichzeitig keine verallgemeinernde Festschreibung
von Menschen oder Menschengruppen auf bestimmte Merkmale oder
Verhaltensweisen etc. vorzunehmen“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 49). Mit
dem Zitat sollte aufgezeigt werden, dass (ehrenamtlich) Mitarbeitende nicht
deshalb einen Arbeitsplatz bekommen sollen oder gar müssen, weil sie “anders“
sind, sondern die Möglichkeit eröffnet werden soll, dass jede_r unabhängig
festgeschriebener Identitätsmerkmale, die auf (unreflektierten) Werten, Normen
und Strukturen basieren, die Möglichkeit auf einen (Arbeits-) Platz bekommen
soll(te) und nicht aufgrund von (sozialen) Festschreibungen im Sinne eines “wir“
oder “ihr“ der Platz verschlossen bleibt (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 48).
Was das für den gesellschaftspolitischen Kontext bedeutet ist, dass der Ansatz
von Social Justice und Diversity für den Hospizbereich sich im individuellen
Recht äußert, dass jede_r die Möglichkeit auf einen Hospizplatz hat bzw. jede_r
34
autonom entscheidet und gestaltet, wie sein Prozess des Sterbens auszusehen
hat. Dazu ist es unumgänglich, dass jede_r physisch wie psychisch in
Wohlbefinden leben kann und partizipativ anerkannt wird (Czollek/ Perko/
Weinbach 2012: 21). Also finanzielle Sicherheit auch dann gewährleistet ist,
wenn z. B. die Tochter entscheidet, ihre Mutter zuhause zu pflegen und daher
nur noch halbtags arbeiten kann. In diesem Zusammenhang bedeutet die
partizipative Anerkennung für den gesellschaftspolitischen Kontext, sich als
gleichberechtigte Individuen gegenüber zu treten und den jeweils anderen in
seiner Andersartigkeit anzuerkennen und dadurch partizipieren und
selbstbestimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. (Czollek/
Perko/ Weinbach 2012: 10-11)
Das Wohlergehen und die Bewahrung der Würde des sterbenden Menschen ist
der elementare Aspekt der Hospizarbeit mit ihren Patient_innen. An dieser
Stelle greift Social Justice und Diversity ein und erweitert diesen elementaren
Grundgedanken mit Fragen (nach struktureller Diskriminierung): Wer hat warum
Zugang zum Hospiz, welche Mechanismen wirken, dass eine_r einen Platz
bekommt und der/die andere nicht – obwohl beide die notwendige
Voraussetzung einer begrenzten und absehbaren Lebenserwartung erfüllen?
Denn die Wahrung der Würde des Menschen kann nicht unabhängig von
Fragen nach struktureller Diskriminierung betrachtet werden. An dieser Stelle
setzt das Trainingskonzept mit dem Verständnis von struktureller
Diskriminierung an und ihrer (individuellen) Erarbeitungen von „[...]
Handlungsoptionen“ (ebd.: 11) gegen jede Art von Diskriminierung im Kontext
des Social Justice und Diversity Verständnis. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012:
11) Eine ideale Möglichkeit für die Soziale Arbeit, den methodischen Ansatz von
Social Justice und Diversity aufzugreifen und in ihrer Arbeit mit den Klient_innen
umzusetzen.
4.3.2. Anwendung Social Justice und Diversity in der (Alltags-) Praxis für
die Soziale Arbeit im Hospiz
Social Justice und Diversity mit der dialogischen Gesprächsform und zugleich
ethisch-dialogischen Gesprächshaltung ist die methodische Grundlage von
35
Anerkennung, Reflexion und diskriminierungsfreien Denkens, Sprechens und
Handelns und hat somit einen zentralen und vielseitigen Stellenwert und
Einsatz in der Umsetzung in der Sozialen Arbeit.
Somit wären Ansatzpunkte für Social Justice und Diversity mit der Methode
Mahloquet in den zentralen Momenten in der hospizlichen Sozialarbeit, die der
Achtung und Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die sich darin äußert,
dass der Mensch in seiner Autonomie gefördert und in der individuellen (Aus-)
Gestaltung seiner/ihrer Wünsche unterstützt und der sterbende Mensch mit
seinen Ängsten und Bedürfnissen nicht allein gelassen wird.
Sozialarbeiter_innen, welche die Gesprächshaltung der Mahloquet
verinnerlichen und dadurch in den Dialog einfließen lassen, reflektieren eigene
festgefahrene Stereotypen und leisten damit einen Beitrag zur Verwirklichung
der ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit, sowie des Social Justice und
Diversity Konzepts, in dem sie aktiv gegen strukturelle Diskriminierung wirken
und dies der Grundstein für eine gleichberechtigte und gerechtere Gesellschaft
bildet. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52)
Die ethisch-dialogische Gesprächshaltung habe ich im Kapitel 2.2.2 theoretisch
erläutert und möchte sie an dieser Stelle mit einer fiktiven Situation im Hospiz
exemplarisch verdeutlichen:
Nach einem langen kalten Winter, einem kühlen, wenig sonnigen Frühling kehrt
nun plötzlich der Sommer ein. Milde, angenehme Temperaturen, eine leichte
Sommerbrise weht, der Himmel ist strahlend blau und die Sonne scheint.
Situation a:
Die Sozialarbeiterin kann sich nicht so richtig über das Wetter freuen, denn ihr
Klient, von dem sie weiß, dass er den Sommer liebt und früher viel schwimmen
war, muss im Bett liegen, weil er nicht mehr die Kraft hat aufzustehen und das
macht sie sehr traurig und sie bekommt ein schlechtes Gewissen, da sie vor
hat, am Nachmittag noch schwimmen zu gehen. Als die Sozialarbeiterin ins
Zimmer des Klienten kommt, sind die Vorhänge zurück gezogen, die Fenster
weit geöffnet und der Klient begrüßt sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
36
Auch nach der Begegnung mit ihrem Klienten kann sie ihre Stimmung nicht
richtig abschütteln.
Situation b:
Die Sozialarbeiterin ist gut gelaunt vom sonnigen Wetter und freut sich, dass ihr
sterbender Klient nach so langer Zeit nochmal so schönes Wetter (mit-) erleben
kann und tritt ihm so gegenüber. Der Klient ist jedoch schlecht gelaunt, sauer
und frustriert über dieses schöne Wetter und will die Vorhänge zugezogen
haben. Die Sozialarbeiterin versteht ihren Klienten nicht so richtig und kann
nicht von ihrer Position abweichen, versucht sich jedoch nichts anmerken zu
lassen.
Situation c:
Die Sozialarbeiterin und ihr Klient sind gut gelaunt wegen des Wetters, doch
beide treten sich respektvoll und vorsichtig gegenüber, da sie vom jeweils
anderen nicht wissen, wie dieser sich heute fühlt. In einem Gespräch über das
Wetter sind sie offen in Bezug auf ihre Stimmung zu einander und können sich
am Ende gemeinsam freuen, denn sie haben beide gute Laune wegen des
Wetters.
Es wurde eine Ausgangssituation in einem Hospizalltag geschildert, mit drei
verschiedenen Endsituationen, die abhängig von der Haltung und Interpretation
der beiden Beteiligten Klient/Gast des Hospiz und Sozialarbeiterin waren. In
allen drei Momenten lässt sich die ethisch-dialogische (Gesprächs-) Haltung
exemplarisch erörtern. Situationen a und b waren gekennzeichnet von einer
gewissen Voreingenommenheit der Sozialarbeiterin, die sie auch während und
nach der Begegnung mit ihrem Klienten nicht richtig abschütteln konnte. Hätte
sie an der Stelle die ethisch-dialogische (Gesprächs-) Haltung eingenommen
und sich respektvoll, empathisch und „[…] im Sinne der Gastfreundschaft [...]“
(Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52) auf ihr Gegenüber eingelassen, wären sie
sich als gleichberechtigte Individuen wie in Situation c gegenüber getreten.
(Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 52) Die Mahloquet als Konzept geht vom
37
Grundverständnis davon aus, dass Sprache und Handlungen strukturell
diskriminierend sein können. Deshalb wird versucht, durch die Spezifika der
Mahloquet „[...] eigene Stereotypen zu reflektieren und schließlich zu
dekonstruieren bzw. aufzubrechen. In Hinblick auf verinnerlichte Stereotype
kann so das Einnehmen verschiedener Perspektiven dazu führen, die
Konstruiertheit (gesellschaftliche Herstellung) von Stereotypen zu erkennen und
damit hinterfragbar zu machen“ (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012: 51). Auf
minimaler Ebene wurde in Situation c gezeigt, dass durch die verinnerlichte
Haltung der Mahloquet eine respektvolle Begegnung geschaffen wurde, von der
beide Individuen partizipieren können. Durch reflektiertes Sprechen und
aufbrechen von verinnerlichten Stereotypen und Vorurteilen wird ein offener
reflexiver Raum geschaffen und die Möglichkeit zum dialogischen Denken
eröffnet. Momente die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und dadurch
in der Auseinandersetzung im Dialog mit Anderen eben diese festgefahrenen
Meinungen, Stereotypen, Gesellschafts- und Machtstrukturen erkannt,
verstanden, reflektiert und geändert werden. (Czollek/ Perko/ Weinbach 2012:
52)
Daran schließt das Konzept des Verbündet-Seins an, dass sich in der
nachbarschaftlichen Unterstützung in der Hospizarbeit am ehesten
widerspiegelt. Diese nachbarschaftliche Hilfe, die in der Hospizarbeit von
primärer Bedeutung ist, kann vor allem dann realisiert werden, wenn äußere
Bedingungen dafür geschaffen werden, was durch die Verteilung im Sinne des
Social Justice gegeben wäre. An dieser Stelle wird deutlich, dass der
übergeordnete und individuelle Kontext nicht voneinander zu trennen sind,
sondern sich gegenseitig bedingen.
4.4 Resümee
Social Justice und Diversity angewendet im Hospiz bedeutet einen Bereich in
der Gesundheitsförderung dahingehend umzugestalten, dass alle
Mitarbeitenden, ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die Gäste des Hospiz,
Angehörige und das soziale Umfeld in partizipativer Anerkennung miteinander
leben. Selbstbestimmung und Autonomie liegen beim sterbenden Menschen,
38
der am (aktiven) Leben teil nimmt. Dies ermöglicht von äußeren, strukturellen
Gegebenheiten, wie finanzielle, räumliche und fachliche Sicherheit.
Mitarbeitende, die durch das Verinnerlichen der Mahloquet gesellschaftliche
Strukturen, Stereotypen und Fremdzuschreibungen die Identität betreffend
reflektieren und dadurch aufbrechen und dekonstruieren und somit struktureller
Diskriminierung entgegenwirken können. Eine Bereicherung in einer
besonderen Situation, in einem besonderen Bereich in der Sozialen Arbeit
durch Social Justice und Diversity.
5. Zusammenfassung
Der maßgebliche Impuls für die vorliegende Arbeit war und ist die Frage nach
der Umsetzbarkeit sozialer Gerechtigkeit, welche von Sozialarbeiter_innen
gesellschaftlich und politisch gefordert wird.
Diese Forderung, die in den ethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit artikuliert
und fixiert ist, stellt die Legitimation und ethische Orientierungshilfe für das
Handeln der Akteure in der Sozialen Arbeit dar.
Mit der Theorie und Praxis von Social Justice und Diversity ist ein
Gerechtigkeitskonzept gefunden, welches sich in großem Maße im
Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit anwenden und umsetzen lässt – und das
sowohl auf gesellschaftlicher Makroebene als auch auf der Mikroebene, beim
gesellschaftlichen Individuum in Alltagssituationen.
Denn oberste Priorität des Social Justice und Diversity ist die Arbeit mit und am
Individuum. Das Konzept setzt bei tiefliegenden, statischen gesellschaftlichen
Strukturen an, die in zu keinem Zeitpunkt öffentlich wirksam hinterfragten und
unreflektierten Normen und Werten zu verorten sind. Social Justice und
Diversity thematisiert methodisch jene Strukturen im Meinungsbild und
Handlungsmuster des einzelnen Individuums.
Festgefahrene Muster im Denken und Handeln sollen insbesondere mit Hilfe
der ethisch- dialogischen Haltung Mahloquet aufgebrochen und dekonstruiert
werden. Das Herz von Social Justice und Diversity ist die Idee des VerbündetSeins, das eine gesellschaftliche Grundhaltung meint, die sich durch Solidarität,
Mitgefühl und Vorurteilsfreiheit auszeichnet.
39
Um herauszufinden, ob und inwiefern Social Justice und Diversity bereits
thematisch in der Sozialen Arbeit verankert ist, habe ich die ethischen
Richtlinien vergleichend herangezogen. Die Ergebnisse der vergleichenden
Analyse der ethischen Richtlinien und Social Justice und Diversity sind
eindeutig: Einigkeit herrscht in der Forderung nach absoluter sozialer
Gerechtigkeit und der aktiven Negierung jedweder Form von Diskriminierung.
Parallelen offenbaren sich auch im Konzept des Verbündet-Seins von Social
Justice und Diversity und dem Auftrag Sozialer Arbeit ungerechte Politik und
Praktiken zurückzuweisen und solidarisch zu handeln.
Social Justice und Diversity erweitert die Gerechtigkeitsforderung der Sozialen
Arbeit und der Richtlinien indem es anstrebt, die praxisbezogenen Methoden
großflächig in allen Bereichen Sozialer Arbeit (und der Gesellschaft)
anzuwenden und die Grundidee zu verinnerlichen.
Am Praxisbeispiel Hospiz habe ich das System Soziale Arbeit, ethische
Richtlinien und das Projekt Social Justice und Diversity gedanklich
durchexerziert. Das Ergebnis macht anschaulich, wie soziale Diskriminierung
konkret aussieht, wie sie zustande kommt und an welcher Stelle und auf welche
Weise alle Beteiligten des gesellschaftlichen Systems einen Beitrag zur
Optimierung leisten können. Auch wird offenbar, dass Social Justice ein
geeignetes und umsetzbares Gerechtigkeitskonzept für die Soziale Arbeit sein
kann.
Aufgrund meiner intensiven Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis von
Social Justice und Diversity halte ich jenes für ein zukunftsweisendes Projekt
zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft innerhalb des Arbeitsbereichs der
Sozialen Arbeit.
40
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Copyright © 2004 International Federation of Social Workers and International
Association of Schools of Social
Work, PO Box 6875, CH-3001 Bern, Switzerland.
Übersetzung: Andreas Lienkamp, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin
43
Hiermit versichere ich durch meine Unterschrift, dass die vorliegende Arbeit von
mir selbstständig, ohne fremde Hilfe angefertigt worden ist. Inhalte und
Passagen, die aus fremden Quellen stammen und direkt oder indirekt
übernommen worden sind, wurden als solche kenntlich gemacht. Ferner
versichere ich, dass ich keine andere, außer der im Literaturverzeichnis
angegebenen Literatur verwendet habe. Diese Versicherung bezieht sich
sowohl auf Textinhalte sowie alle enthaltenden Abbildungen, Skizzen und
Tabellen. Die Arbeit wurde bisher keiner Prüfungsbehörde vorgelegt und auch
noch nicht veröffentlicht.
Berlin, 16.07.2013
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