Mifamurtid zur Behandlung des Osteosarkoms. - Heinrich

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6. Jahrgang, 1. Ausgabe 2012, 20-32
- - - Rubrik Neue Arzneimittel - - -
Mifamurtid zur Behandlung
des Osteosarkoms.
Bedeutung des Osteosarkoms
Klinische Effektivität
Bisherige Pharmakotherapie
Sicherheitsprofil
Wirkungsmechanismus/Kinetik
Spezielle pharmakologische Aspekte
Mifamurtid bei Osteosarkom
- 21 -
Mifamurtid zur Behandlung
des Osteosarkoms
Margarita Fokscha, Linda Kandel, Marlene Kissel, Isabelle Russe,
Nina Rzepka, Clemens Lux
Korrespondenzautor:
Clemens Lux
Fachbereich Pharmazie,
Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Universitätsstr. 1
40225 Düsseldorf
([email protected])
Interessenkonflikt:
keiner
Lektorat:
N.N.
N.N.
Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum
Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html
Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(1):20-31
Mifamurtid bei Osteosarkom
- 22 -
Abstract
Mifamurtide, a new cytostatic drug approved by the EMA in 2009, is applied for
operable, non-metastatic, high-grade
osteosarcoma in children, adolescents
and young adults aged 2 to 30 years. It
is used after a macroscopical complete
tumor resection as part of a combination
therapy. As this disease is considered
rare, life-threatening and is affecting less
than five in 10,000 people, mifamurtide
was declared to be an orphan drug in
June 2004. It is available in a liposomal
formulation named MEPACT®. Being a
synthetic analogue of muramyl dipeptide, a part of the cell wall of mycobacteria, this immunomodulator induces
amongst other things an inflammatory
response through cytokine production,
which likely results in triggering apoptosis of tumor cells. The approval was
based on a randomized, open-label
phase III study in which mifamurtide
reduced the mortality risk by about 30%
and thus increased overall survival in a
combined maintenance therapy. With
678 participants it is the largest study
ever carried out on osteosarcoma. However the study showed some methodical
deficiencies. In addition, common side
effects such as pain, fever, dizziness,
tachycardia, nausea and vomiting were
observed.
Abstract
Mit Mifamurtid wurde 2009 ein neues
Zytostatikum von der EMA zugelassen,
das bei operablem, nicht metastasierendem, hochmalignem Osteosarkom bei
Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 2 bis 30 Jahren
Anwendung findet. Es wird nach einer
makroskopisch vollständigen Tumorresektion im Rahmen einer Kombinationstherapie angewandt. Da diese Erkrankung als selten gilt, wurde Mifamurtid im
Juni 2004 als Arzneimittel für seltene,
lebensbedrohliche Krankheiten, die weniger als fünf von 10000 Menschen
betreffen - als sogenanntes „orphan
drug“ - eingestuft. Erhältlich ist es in
einer liposomalen Zubereitung unter
dem Namen Mepact®. Dieser Immunmodulator ist ein synthetisches Analogon
des Muramyldipeptids, eines Mycobakte-
rienzellwandbestandteils, welcher unter
anderem
durch
Zytokinausschüttung
eine Entzündungsreaktion und so vermutlich die Apoptose der Tumorzellen
induziert. Die Zulassung erfolgte aufgrund
einer
randomisierten,
nicht
verblindeten Phase III Studie – mit 678
Teilnehmern die bisher größte Studie zu
dieser Erkrankung - in der Mifamurtid in
einer kombinierten Erhaltungstherapie
das Sterberisiko um ca. 30% senkte und
somit das Gesamtüberleben steigerte.
Die Studie wies allerdings einige methodische Mängel auf. Darüber hinaus wurden
häufige
Nebenwirkungen
wie
Schmerzen, Fieber, Schwindel, Tachykardie, sowie Übelkeit und Erbrechen
festgestellt.
Bedeutung des Osteosarkoms
Das Osteosarkom ist eine selten vorkommende Form des hochmalignen Knochentumors. Zellen, die für gewöhnlich
Knochen bilden, entarten und bilden in
Folge
unverkalkte
Knochensubstanz,
sogenanntes Osteoid. Hierdurch sind sie
von anderen Knochentumoren zu unterscheiden. Aufgrund dessen werden sie
auch als primäre Knochentumore bezeichnet. Durch das schnelle und unkontrollierte Wachstum des Tumors werden
umliegendes Gewebe, Knochen und insbesondere Gelenke zerstört (s. Abb. 1).
Daher ist eine unmittelbare Behandlung
unerlässlich.
Im Kindesalter stellen die Osteosarkome
die häufigste Form des bösartigen Knochentumors dar. Insgesamt entspricht
diese Krebsform 2,3% aller Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
unter 15 Jahren. Insbesondere in Wachstumsphasen wie der Pubertät verdoppelt
sich die Häufigkeit der Erkrankung auf
über 5% (Weblink 2).
Typischerweise treten Osteosarkome in
Wachstumsfugen langer Röhrenknochen
auf, wie zum Beispiel Elle und Speiche.
Auch ein Befall von Wirbelsäule oder
Hüftgelenk ist nicht unüblich. Insbesondere ist die Erkrankung des Kniegelenks
in über 50% der Fälle hervorzuheben.
Dabei wird sowohl der Knochen, als auch
das Knochenmark befallen. Allerdings
kann das benachbarte Weichteilgewebe
ebenfalls betroffen sein.
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Mifamurtid bei Osteosarkom
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Abb. 1: Darstellung eines sich bildenden Osteosarkoms an der Elle eines Patienten
(Weblink 1).
Die WHO unterscheidet in diesem Zusammenhang aufgrund seiner feingeweblichen Eigenschaften acht verschiedene Formen des Osteosarkoms. Das am
häufigsten Vertretene ist das konventionelle Osteosarkom. Es macht ca. 80 bis
90% aller Osteosarkome aus (Weblink
3). Darüber hinaus bilden sich in einem
frühen Entwicklungsstadium Metastasen,
die auf hämatogenem Weg andere Kompartimente erreichen. Daraus entsteht
insofern ein Problem für die Therapie, als
dass eine zeitige Früherkennung maßgeblich für den Therapieerfolg ist, da
eine Progression bzw. Metastasierung
denselben deutlich herabsetzt. So sind
bei etwa 10 bis 20% der Kinder und Jugendlichen zum Zeitpunkt der Diagnose
bereits Metastasen sichtbar. Auch wenn
eine Metastasierung noch nicht diagnostizierbar ist, so ist das Risiko doch sehr
hoch, dass bereits noch unsichtbare Mikrometastasen andere Organe erreicht
haben. In etwa 70% der Fälle wird die
Lunge von Metastasen in Mitleidenschaft
gezogen. In seltenen Fällen sind sogar
von Beginn der Erkrankung an verschiedene Knochen befallen. Man spricht dann
von einer multilokulären Erkrankung. Bei
den Patienten sind häufig Schwellungen
und Schmerzen im befallenen Bereich ein
Indiz für ein vorhandenes Osteosarkom.
Dabei tritt der empfundene Schmerz unregelmäßig auf und ist darüber hinaus
durchaus belastungsabhängig. Im späteren Stadium können auch äußerlich
sichtbare, gerötete Schwellungen auf
eine Erkrankung hinweisen. Nicht selten
wird ein solches Anzeichen als Sportverletzung falsch gedeutet. Auch bei für
gewöhnlich
harmlosen
Verletzungen
kann es bei Betroffenen zu Frakturen des
erkrankten Knochens kommen. Somit
sind Brüche häufig ein erstes Symptom
eines Osteosarkoms. Bei zunehmender
Progression der Erkrankung können auch
vermeintliche Allgemeinsymptome wie
Fieber, Schwäche und Gewichtsabnahme
Anzeichen einer Erkrankung sein. Zwischen ersten Symptomen und abschließender Diagnose liegen daher zumeist
Wochen bis Monate (Weblink 2).
Nach vermeintlicher Identifizierung des
Osteosarkoms wird der Patient unmittelbar in ein Krankenhaus überwiesen, um
über weitere Befunde das Verdachtsmoment zu erhärten und die Form des Tumors zu verifizieren. Dabei lassen sich
mittels MRT, CT und Szintigraphie die
Lage und Größe des Tumors, sowie etwaig gebildete Metastasen gut erfassen.
Darüber hinaus ist letztlich auch eine Biopsie des betroffenen Gewebes von Nöten. Abschließend sind Untersuchungen
der Herzfunktion, des Blutbildes, sowie
der Nieren- und Lungenfunktion wichtig,
um eventuelle Änderungen im Verlauf
der Therapie besser zu erkennen (Web-
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Mifamurtid bei Osteosarkom
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link 3). Bislang sind die Ursachen der
Entstehung eines Osteosarkoms ungeklärt. Verschiede Risikofaktoren wie radioaktive Strahlung und verschiedene
Zytostatika, welche knochenbildende
Zellen beschädigen und gegebenenfalls
eine Tumorbildung initiieren können,
werden diskutiert. Erkrankungen, wie ein
beidseitiges Retinoblastom, das LiFraume-Syndrom oder auch Morbus Paget werden mit einem erhöhten Osteosarkomrisiko verbunden. Allerdings ist
für ca. 90% aller Patienten keiner der
oben genannten Risikofaktoren zutreffend.
Bisherige Pharmakotherapie
Die Therapie des Osteosarkoms besteht
im Wesentlichen aus drei Säulen: Neoadjuvante Therapie, Operation mit vollständiger Tumorentfernung und adjuvante Therapie. Die wichtigste dieser Therapieoptionen ist die vollständige operative
Entfernung des Tumors. Die Chemotherapie und Strahlentherapie dienen der
Entfernung von Mikrometastasen, die mit
gängigen bildgebenden Verfahren nicht
sichtbar sind und der Erniedrigung des
Rezidivrisikos.
Die
Anwendung
der
Strahlentherapie ist allerdings nur bei
inoperablen Herden sinnvoll, da Osteosarkome nur wenig strahlensensitiv sind.
Alle drei Therapieoptionen werden kombiniert eingesetzt. Eine Therapie mit nur
einer dieser Optionen ist obsolet (Weblink 4).
Zu den verwendeten Chemotherapeutika
gehören Adriamycin (ADR), HochdosisMethotrexat mit Folsäure-Rescue (HDMTX), Cisplatin (DDP) und Ifosfamid (IFO). Es wird empfohlen mehrere dieser
Chemotherapeutika bereits in der frühen
Phase in Kombination einzusetzen.
Zu den begleittherapeutischen Maßnahmen gehört insbesondere die Nierenprotektion durch reichliche Flüssigkeitszufuhr bei Einnahme von DDP, IFO und
HD-MTX. Desweiteren erfordert die Anwendung von IFO eine gleichzeitige Einnahme des Uroprotektivums Uromitexan
und eine mögliche Einnahme von Methylenblau bei gelegentich beobachteter
Enzephalopathie. Bei richtiger Anwendung und begleitenden Maßnahmen ist
HD-MTX vergleichsweise gut verträglich.
Bei Anwendung von HD-MTX sollte eine
Urin-Alkalisierung, Flüssigkeitszufuhr und
eine zusätzliche Gabe von Folsäure in
Abhängigkeit vom MTX-Spiegel erfolgen.
Gelegentlich kann es jedoch zu lebensbedrohlichen Intoxikationen kommen.
Die Gabe des Enzyms Carboxypeptidase
G2 kann in solchen Fällen insbesondere
durch Ausscheidungsstörungen eine lebensrettende Maßnahme darstellen.
Mifamurtid
Indikation Mifamurtid ist im Rahmen
einer Kombinationstherapie indiziert zur
Behandlung resezierbarer, nicht metastasierender hochmaligner Osteosarkome bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Anschluss an eine
makroskopisch vollständige Tumorresektion zur Verbesserung der Überlebensrate.
Wirkungsmechanismus In Abb. 2 ist
die chemische Struktur des Mifamurtids
zu erkennen. Es stellt eine Modifikation
des Muramyldipeptids, welches ein Bestandteil der Bakterienzellwand ist, dar.
Anhand Abb. 3 wird der immunstimulierende Effekt deutlich. Durch die Aktivierung von Makrophagen, dendritischen
Zellen und Monozyten bewirkt Mifarmutid
eine Entzündungsreaktion. Mifamurtid
bindet
nach
Inkorporation
durch
Makrophagen an den Nucleotide-binding
Oligomerization Domain 1- Rezeptor
(NOD-1), welcher sich intrazellulär in
Makrophagen befindet. Durch diese Aktivierung werden folglich Zytokine, wie
Tumornekrosefaktor α (TNF-α), Interleukin-1 (IL-1α/β), IL-6, IL-8 und IL-12
sowie
Adhäsionsmoleküle,
wie
das
Lymphozytenfunktions-assoziierte Antigen-1 (LFA-1) und das interzelluläre Adhäsionsmolekül-1 (ICAM-1), ausgeschüttet (1).
In vitro wurde gezeigt, dass mit Mifamurtid aktivierte Monozyten Tumorzellen
abtöten konnten, ohne dabei körpereigene gesunde Zellen anzugreifen (Weblink
5). In vivo konnte in Maus- und Rattenmodellen das Wachstum von verschiedenen Tumorzellen, wie z. B. Lungenmetastasen, Haut- und Lebertumoren, nach
Anwendung von Mifamurtid gehemmt
werden.
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Abb. 2: Chemische Struktur von Muramyltripeptid-Phosphatidylethanolamin.
Abb. 3: Nach Inkorporation von Mifamurtid durch Makrophagen, bindet es an einen
NOD-1 Rezeptor und zieht über die Aktivierung des NF-κB die Ausschüttung proinflammatorischer Mediatoren nach sich. Modifiziert (nach Weblink 5).
In Hundemodellen konnte eine höhere
krankheitsfreie Überlebensrate nach Behandlung von Osteosarkomen und Hämangiosarkomen mit Mifamurtid gezeigt
werden. Der genaue Wirkmechanismus
der tumorhemmenden Eigenschaften von
Mifamurtid beim Menschen ist jedoch
noch nicht bekannt.
Pharmakokinetik Die Bestimmung der
Plasmagesamtkonzentration und der AUC
erfolgte durch minütliche Blutabnahme
bei 21 gesunden Erwachsenen nach intravenöser Gabe von Mifamurtid. Bestimmt wurde sowohl die Konzentration
der liposomalen Fraktion, als auch die
Konzentration der freien Fraktion, welche
durch die liposomale Formulierung von
Mifamurtid gering war. Zusätzlich erfolgte eine rasche Elimination aus dem
Plasma. Die AUC betrug durchschnittlich
17,0 ± 4,71 h*nM. Die maximale Plas-
makonzentration (cmax) ergab 15,7 ±
3,72 nM (2). Der Vorteil der liposomalen
Zubereitung ist, dass der Wirkstoff selektiv in die Makrophagen und Monozyten
transportiert wird, diese aktiviert und es
hierdurch zur Abtötung von Tumorzellen
kommt.
In einer weiteren Studie (3) wurden die
Serumkonzentrations-Zeit-Kurven
der
Gesamtmenge und der freien Fraktion
des Wirkstoffes bei 14 Patienten mit fortgeschrittenem metastasierendem Krebs
ermittelt. Das Durchschnittsalter der
Probanden betrug dabei 54,6 Jahre. Die
Patienten erhielten 12 Wochen lang zwei
Mal wöchentlich eine 30-minütige Infusion mit 4 mg liposomalem Muramyltripeptid-Phosphatidylethanolamin (L-MTPPE). Blutproben wurden sowohl vor der
Infusion als auch 0,5, 2, 4, 6, 24 und 72
Stunden nach der Infusion entnommen.
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Die Konzentrationsbestimmungen erfolgten mit Hilfe eines Immunoassays. In
Abb. 4 ist zu erkennen, dass die Kurven
der ersten und letzten Gabe dabei ähnliche Verläufe, sowie ähnliche AUCs aufweisen, woraus sich schließen lässt, dass
es während der Behandlung mit Mifamurtid nicht zu einer Kumulation des
Wirkstoffes kommt. Des Weiteren gibt
die
geringere
freie
MifamurtidKonzentration einen Hinweis darauf, dass
es im Blut weiterhin zu einem Großteil an
Liposomen gebunden vorliegt. Die Gesamtkonzentration nach Beendigung der
Infusion betrug 8,5 ± 6,9 nmol/l, während die freie Konzentration 2,0 ± 0,8
nmol/l ausmachte.
Bei einer Untersuchung mit radioaktiv
markierten Liposomen mit 6 mg Mifamurtid konnte nachgewiesen werden,
dass sich der Wirkstoff in Leber, Milz,
Nasopharynx, Schilddrüse und in geringem Maße in der Lunge anreicherte. Die
Elimination des radioaktivierten Materials
verlief biphasisch und wies in der αPhase eine Halbwertszeit von 15 ± 9
Minuten, sowie eine terminale Halbwertszeit von 18 ± 2 Stunden auf. Die
Elimination in Plasma und Erythrozyten
verlief annähernd gleich.
Klinische Effektivität Nachweis der
Wirksamkeit von Mifamurtid beruht auf
der von 1993 bis 1997 durchgeführten
Intergroup study 0133 (INT 0133) (4).
Die randomisierte, nicht verblindete,
prospektive Phase III - Studie wurde in
einem 2x2 faktoriellem Design geplant
(Abb. 5). Ziel der Studie war zu untersuchen, ob sowohl die zusätzliche Gabe
von Ifosfamid, als auch von Mifamurtid
zu einer Chemotherapie mit Doxorubicin,
Cisplatin und hochdosiertem Methotrexat
einen Effekt auf das ereignisfreie Überleben der Probanden zeigte.
Die Studie erfasste 677 Patienten mit
frisch
diagnostiziertem,
nicht-metastasierendem Osteosarkom. Darüberhinaus wurden 91 Patienten mit metastasierendem Osteosarkom untersucht. Das
Alter der Patienten lag zwischen 1 und
30 Jahren, wobei ein Drittel der Patienten zu Beginn der Studie zwischen 12
und 14 Jahre alt war. 55% der Patienten
waren männlichen Geschlechts. Der Primärtumor lag bei 55% der Patienten im
Bereich des Oberschenkelknochens, gefolgt von 27% mit einem Tumor unterhalb des Knies und 11% im Oberarmknochen.
Die Patienten wurden in der Anfangsphase zunächst 10 Wochen lang entweder
mit einer Kombination aus Cisplatin, Doxorubicin und hoch-dosiertem Methotrexat (Regime A) oder Cisplatin, Doxorubicin, hoch-dosiertem Methotrexat und
Ifosfamid (Regime B) therapiert, worauf
die Entfernung des Tumors folgte. In der
12. Woche begann die Erhaltungstherapie mit der fortführenden Gabe der Präparate nach Regime A und B (A-, B-),
wobei die Hälfte der Patienten zusätzlich
Mifamurtid erhielt (A+, B+).
Abb. 4: Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe nach Infusion von Mifamurtid (modifiziert
nach Weblink 6)
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Abb. 5: 2x2 faktorielles Studiendesign (nach Weblink 6).
Die Therapiedauer dieser Erhaltungstherapie betrug 19 Wochen für Regime A-,
26 Wochen für B- und 36 Wochen für
Regime A+ und B+. Dabei erhielten die
Patienten 2-4 mg/m² Mifamurtid zweimal
wöchentlich über 12 Wochen und anschließend einmal wöchentlich für weitere 24 Wochen.
Den primären Endpunkt stellte das ereignisfreie Überleben dar. Als Ereignis
wurde Fortschreiten der Erkrankung,
Diagnose eines zweiten malignen Tumors
oder Tod vor dem Eintritt eines dieser
beiden Ereignisse gewertet. Die Ergebnisse wurden 2005 und 2008 veröffentlicht, wobei sie, wie im Folgenden erläutert, von den Autoren jeweils unterschiedlich analysiert wurden (4,5). In der
ersten Veröffentlichung wird auf die Beobachtung einer Wechselwirkung zwischen
Mifamurtid und Ifosfamid hingewiesen,
woraufhin die Auswertung der Studie
nicht nach ihrer Konzipierung im 2x2
faktoriellem Design durchgeführt werden
konnte, da die Probandenzahl nicht ausreichend war, um trotz einer Wechselwirkung einen Unterschied in den Therapieregimen hinsichtlich des Endpunktes
feststellen zu können. Daraufhin wurden
die Ergebnisse wie Ergebnisse einer 4armigen Studie ausgewertet. Es ist darauf hinzuweisen, dass ein mehrarmiges
Studiendesign ein weitaus größeres Studienkollektiv erfordert, als ein faktorielles Studiendesign (6). Die Studie war
somit nicht entsprechend konzipiert, um
vier Arme mit ausreichender Aussagekraft zu analysieren, was im Folgenden
berücksichtigt werden sollte.
Die Therapie mit Regime A- ging demnach mit einer 71% und 64% Wahrscheinlichkeit für ereignisfreies Überleben nach 3 und 5 Jahren einher, Regime
A+ mit 68% und 63%. Regime B- resultierte in einer 3- und 5-JahresEreignisfreiheit von 61% und 56%, während die Therapie mit Regime B+ eine
78% und 72% Wahrscheinlichkeit für
ereignisfreies Überleben nach 3 und 5
Jahren aufwies. Mifamurtid (Regime A+,
B+) wies somit keinen signifikanten Effekt auf das ereignisfreie Überleben auf.
Die spätere Auswertung erfolgte nach
einem zusätzlichen follow-up. Der primäre Endpunkt umfasste neben dem ereignisfreien Überleben nun zusätzlich das
Gesamtüberleben.
Die
Auswertung
schloss 662 Patienten ein.
Entsprechend der Konzipierung der Studie im 2x2 faktoriellem Design wurde
erneut auf mögliche Interaktionen zwischen den Fragestellungen geprüft. Bezüglich des ereignisfreien Überlebens
ergab sich ein p-Wert von 0,102 und
0,60 hinsichtlich des Gesamtüberlebens.
Die Annahme der Hypothese, dass keine
Interaktionen vorliegen erfolgt bei diesem Test konventionsgemäß bei Signifikanzniveaus unter 0,1 (5). Trotzdem
kamen die Autoren zu dem Schluss, dass
nach ihrer Analyse keine Anhaltspunkte
für Interaktionen vorlagen und somit die
Auswertung entsprechend dem 2x2 faktoriellem Studiendesign durchgeführt
wurde.
Entsprechend der Konzipierung der Studie im 2x2 faktoriellem Design wurde
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erneut auf mögliche Interaktionen zwischen den Fragestellungen geprüft. Bezüglich des ereignisfreien Überlebens
ergab sich ein p-Wert von 0,102 und
0,60 hinsichtlich des Gesamtüberlebens.
famurtid in die Muttermilch übergeht.
Wegen fehlender Daten soll keine Anwendung bei Patienten unter 2 und über
65 Jahren erfolgen. Bei Nieren- oder Leberfunktionsstörungen soll Mifamurtid
mit Vorsicht angewendet werden, da
Daten zur Dosisanpassung fehlen.
Die Therapie sollte ausschließlich durch
erfahrene Onkologen erfolgen. Das Arzneimittel darf nicht als Bolusinjektion
verabreicht werden. Therapieüberwachung und zusätzliche Maßnahmen sollten in folgenden Fällen erfolgen:
•
•
•
•
Abb. 6: Gesamtüberleben von Patienten
mit und ohne Mifamurtid unabhängig
vom Chemotherapie-Regime (5).
Die Annahme der Hypothese, dass keine
Interaktionen vorliegen erfolgt bei diesem Test konventionsgemäß bei Signifikanzniveaus unter 0,1 (5). Trotzdem
kamen die Autoren zu dem Schluss, dass
nach ihrer Analyse keine Anhaltspunkte
für Interaktionen vorlagen und somit die
Auswertung entsprechend dem 2x2 faktoriellem Studiendesign durchgeführt
wurde. Die Ergebnisse beziehen sich nur
auf Patienten ohne Metastasierung bei
Diagnose und mit operablem Primärtumor. Bei Patienten mit Metastasierung ist
Mifamurtid wirkungslos. Patienten mit
inoperablem Primärtumor wurden aus
der Studie ausgeschlossen.
Nebenwirkungen Es gibt zahlreiche
Nebenwirkungen, die vermutlich mit dem
Wirkungsmechanismus von Mifamurtid
im Zusammenhang stehen. Sehr häufige
(> 10%) Nebenwirkungen sind in Tab. 1
dargestellt (2). Die häufigen Nebenwirkungen können in Tab. 3 im Anhang
eingesehen werden.
Kontraindikationen, besondere Vorsichtsmaßnahmen und Interaktionen
Mifamurtid sollte weder in der Schwangerschaft noch bei unzuverlässiger Verhütung angewendet werden. In der Stillzeit gilt eine gründliche Nutzen-RisikoAbwägung, da nicht bekannt ist, ob Mi-
•
•
Atemwegsobstruktion (Prophylaxe
mit einem Bronchodilatator)
Febrile Neutropenie
Bekannte Autoimmunerkrankung
Venöse Thrombose, Vaskulitiden,
instabile kardiovaskuläre Erkrankungen (Kontrolle der Blutgerinnungswerte nach der ersten Gabe)
Allergische Reaktionen
Gastrointestinale Toxizität (parenterale Ernährungsmaßnahmen)
Ein Abbruch der Therapie sollte bei Verstärkung der Symptome erfolgen. Wichtige Wechselwirkungen sind in Tab. 2
zusammengestellt (2).
Nebenwirkungen unter Mifamurtid
Anämien
Anorexie
Kopfschmerz, Schwindel,
Hörstörungen
Tachykardie, Hypertonie,
Hypotonie
Dyspnoe, Tachypnoe,
Husten
Erbrechen, Diarrhö, Verstopfung,
Bauchschmerzen, Übelkeit
vermehrtes Schwitzen
Myalgie, Arthralgien,
Rückenschmerzen, Gliederschmerzen
Fieber, Schüttelfrost, Müdigkeit,
Hypothermie, Schmerzen,
Krankheitsgefühl, Asthenie,
thorakale Schmerzen
Tab. 1: Sehr häufige Nebenwirkungen
von Mifamurtid. Besonders bedeutsame
Nebenwirkungen sind hervorgehoben.
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Wichtige Wechselwirkungen mit Mifamurtid
Ciclosporine und Calcineurin-Inhibitoren
lipophile Substanzen wie Doxorubicin
Dauertherapie mit Glukokortikoiden
NSAIDs
kontraindiziert, können Funktion der Milzmakrophagen und mononukleären Phagozyten beeinträchtigen
zeitlich getrennt verabreichen
Kombination vermeiden, da sie zu Wirkungsverminderung führen
bei hoher Dosis kontraindiziert, da sie die
Makrophagen-aktivierende Wirkung hemmen
Tab. 2: Wichtige Wechselwirkungen mit Mifamurtid
Spezielle pharmakologische Aspekte
Fazit
Mifamurtid kann sowohl stationär als
auch auf ambulanter Basis zusätzlich zur
bisherigen Pharmakotherapie (s.o.) verabreicht werden. Das Präparat ist als
Pulver in einer Durchstechflasche erhältlich. Vor der Anwendung muss es in einer isotonischen 0,9 %igen Natriumchloridlösung rekonstituiert, durch den beigefügten Filter filtriert und anschließend
weiter verdünnt werden. Die fertige Suspension sollte frei von sichtbaren Partikeln, Schaum oder Fettklümpchen sein.
Nach der Herstellung sollte sie bei Raumtemperatur gelagert und innerhalb von 6
Stunden als intravenöse Infusion über
eine Stunde (keinesfalls als Bolusinjektion) verabreicht werden. Für alle Patientengruppen wird eine Dosierung von 2
mg/m² empfohlen. In den ersten 12 Wochen nach der Tumorresektion erfolgt die
Gabe zweimal wöchentlich im Abstand
von mindestens 3 Tagen und in den darauf folgenden 24 Wochen einmal wöchentlich.
Mifamurtid stellt eine neue, zusätzliche
Möglichkeit der Kombinationstherapie
des seltenen, nicht-metastasierendem
Osteosarkoms dar. Da Osteosarkome
wenig strahlensensitiv sind, kommt der
vollständigen Tumorresektion mit unterstützender Gabe von Chemotherapeutika
wie Adriamycin, Methotrexat, Cisplatin,
Ifosfamid und möglicherweise Mifamurtid
eine besondere Bedeutung zu.
Die Verabreichung von Mifamurtid kann
am gleichen Tag wie die adjuvante Kombinations-Chemotherapie erfolgen. Allerdings darf es nicht mit anderen Arzneimitteln im gleichen Behälter oder in der
gleichen i.v.-Zuführung gemischt werden. Daher empfiehlt es sich nach der
Chemotherapie die i.v.-Zuführung zu
spülen. Im weiteren sollte Mifamurtid
zeitlich getrennt von anderen liposomalen oder lipophilen Arzneimitteln (wie
liposomales Doxorubicin) des gleichen
Therapieregimes verabreicht werden.
Weitere Wechselwirkungen, Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen wurden im entsprechenden Abschnitt beschrieben.
Eine mit Mängeln behaftete Phase IIIStudie zeigte, dass Mifamurtid das Gesamtüberleben nach Behandlung eines
Osteosarkoms positiv beeinflussen kann
und bei einer kombinierten Erhaltungstherapie das Gesamtüberleben nach 6
Jahren von 70% auf 78% steigert. Die
Aussagekraft dieser Ergebnisse bleibt
fraglich. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur kam zu dem Schluss, „dass die
Vorteile von Mepact in Kombination mit
anderen Arnzeimitteln gegen Krebs gegenüber den Risiken überwiegen“ (Weblink 7). Es erhielt von der Pharmazeutischen Zeitung den Innovationspreis im
Jahr 2010.
Die Nebenwirkungen von Mifamurtid sind
als moderat einzustufen und liegen im
Bereich der zu erwartenden Nebenwirkungen von Zytostatika wie Erbrechen,
Schwindel und Übelkeit. Eine Verstärkung der Nebenwirkungen oder Toxizität
wurde durch die Add-on Therapie mit
Mifamurtid nicht beobachtet. Ein weiterer
Aspekt zur Beurteilung Mifamurtids sind
die hohen zusätzlichen Therapiekosten:
Bei einer 36 wöchigen Behandlung
betragen die Aufwendungen für ein Kind
110.258 € und für einen Erwachsene
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149.222 € (7). Die Verwendung von Mifamurtid sollte somit nach sorgfältiger
Risiko-Nutzen-Analyse erfolgen. Allenfalls bietet sie in Kombination mit anderen Zytostatika eine hinsichtlich der Ne-
benwirkungen relativ unbedenkliche Alternative
als
Reservetherapeutikum,
dessen Wirksamkeit jedoch in weiteren
klinischen Studien untersucht werden
muss.
Anhang
Systemorganklassen
Nebenwirkungen unter Mifamurtid
Infektionen, parasitäre Erkrankungen
Sepsis, Zellulitis, Nasopharyngitis, Kathederinfektion, Infektion des oberen Atemtrakts, Harnwegsinfektion, Pharyngitis,
Herpes-simplex-Infektion
Tumorschmerzen
Gutartige, bösartige und unspezifische
Neubildungen (einschließlich Zysten und
Polypen)
Psychiatrische Erkrankungen
Augenerkrankungen
Erkrankungen des Ohrs und des Labyrinths
Leber- und Gallenerkrankungen
Erkrankungen der Nieren, Harnwege
Erkrankungen der Geschlechtsorgane,
Brustdrüse
Untersuchungen
Chirurgische und medizinische Eingriffe
Verwirrtheit, Depression, Schlafstörungen,
Angstzustände
Verschwommensehen
Vertigo, Tinnitus, Hörstörungen
Schmerzen im Bereich der Leber
Hämaturie, Dysurie, Pollakisurie
Dysmenorrhoe
Gewichtsabnahme
Schmerzen nach einem Eingriff
Tab. 3.: Häufig auftretende Nebenwirkungen bei Einnahme von Mifamurtid.
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Weblinks
1) Bild eines Osteosarkoms, Uniklinik Freiburg
http://www.uniklinik-freiburg.de/roentgen/live/sektionkinderrad/bilderpedrad.html
2) Kompetenznetz der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie. Osteosarkom
(Kurzinformation)
http://www.kinderkrebsinfo.de/sites/kinderkrebsinfo/content/e9031/e10591/e77088/e63957/e74483/Osteosarkom-Kurzinformation_14012011_ger.pdf
3) Leitlinie "Osteosarkome" der Deutschen Krebsgesellschaft
http://www.krebsgesellschaft.de/download/ll_k_04.pdf
4) AWMF Leitlinie. Osteosarkome. AWMF-Leitlinien- Register Nr. 025/005- Letze
Überarbeitung 2008
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/025-005.html
5) Dissertation F. Runge: Einfluss der NOD1-Aktivierung auf allergeninduzierte Atemwegsinflammation
http://www.diss.fubelin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000007318/Dissertation_Franziska_Runge_20100324.pdf?hosts=
6) Assessment Report For Mepact. European Medicines Agency, 2009
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR__Public_assessment_report/human/000802/WC500026564.pdf
7) Zusammenfassung des Europäischen Öffentlichen Beurteilungsbericht (EPAR) für
Mepact, Stand: 08.10.2010
http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR__Summary_for_the_public/human/000802/WC500026562.pdf
Literatur
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2. Fachinformation (Rote Liste Service GmbH): Mepact® 4 mg Pulver zur Herstellung
einer Infusionssuspension, Stand: Februar 2010
3. Landmann R et al. Pharmacokinetics and immunomodulatory effects on monocytes during prolonged therapy with liposomal muramyltripeptide. Biotherapy.
1993;7(1):1-12
4. Meyers PA et al. Osteosarcoma: a randomized, prospective trial of the addition of
ifosfamide and/or muramyl tripeptide to cisplatin, doxorubicin, and high-dose
methotrexate. J Clin Oncol. 2005;23(9):2004-11.
5. Meyers PA et al. Osteosarcoma: The Addition of Muramyl Tripeptide to Chemotherapy Improves Overall Survival – A Report From The Children’s Oncology
Group. J Clin Oncol 2008;26:633-638.
6. Hidalgo M, Garrett-Mayer E, Clendeninn NJ, Eckhardt SG (Hrsg.): Principles of
Anticancer Drug Development. New York: Springer, 2011, pp 169-170
7. Neue Arzneimittel: Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) über Mepact® (Mifamurtid), Stand: 17.06.2009
Impressum:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(1):20-31
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