Auswirkungen des Konsums neuer Drogen auf Kinder und Jugendliche Ute Hamers 03.07.2015 Funktionen des Substanzkonsums im Jugendalter • Identitätsentwicklung: Demonstration des eigenen „Stils“ • Aufbau von Freundschaften und Beziehungen durch kommunikationsfördernde Wirkung von Drogen • Ablösung vom elterlichen System: Demonstration von Unabhängigkeit, Verletzung der elterlichen Kontrolle • Entwicklung eines eigenen Wertesystems: Drogen als Instrument gewollter Normverletzung, sozialer Protest • Problemlösestrategie bei Schwierigkeiten in der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben Entwicklungsprozess des Substanzkonsums im Jugendalter • „Maturing out“- Hypothese: • Ca. 90% der Jugendlichen lernen mit psychoaktiven Substanzen angemessen umzugehen, Substanzkonsum entwicklungspsychologisch als Bewältigung von alterstypischen Entwicklungsaufgaben • Bei ca. 10% der Jugendlichen bleibt der Substanzkonsum problematisch als Ausdruck einer generellen Anpassungsstörung (vielfach bei bereits bestehenden frühkindlichen Auffälligkeiten) Suchtentwicklung Belohnungssystem Entdeckt durch James Olds und Peter Milner (1954) Beteiligt sind: ventrales Tegmentum, N. accumbens, Frontaler Cortex Amygdala, mesolimbisches dopaminerges System Diagnostische Kriterien der Abhängigkeit (ICD 10) • • • • Z – eine Art Zwang zu konsumieren (Craving) E – Entzugssymptome T – Toleranzentwicklung T – trotz negativer Konsequenzen wird weiter konsumiert • V – Vernachlässigung anderer Interessen • K – Kontrollverlust – ≥ 3 Symptome – Dauer 1 Jahr Psychiatrische Begleiterkrankungen bei Jugendlichen mit Substanzkonsum • Störungen des Sozialverhaltens mit und ohne Hyperaktivität • depressive Störungen • Angststörungen, sozialphobische Störungen • Persönlichkeitsentwicklungsstörungen beispielsweise beginnende „Borderline-Störung“ • Psychische Traumatisierung, Missbrauchserfahrung • Essstörungen (insbesondere „binge eating“ und Bulimia nervosa) • substanzinduzierte Psychosen (durch Cannabis, Ecstasy, Amphetamine, psychotrope Pflanzen beziehungsweise Pilze, Kokain, LSD), sofern ihre Symptome mindestens 4 Wochen trotz Abstinenz bestehen • schizophrene Psychosen. Unspezifische Warnsymptome für Substanzkonsum • • • • • • • • Konzentrationsschwäche und Unruhezustände Stimmungsschwankungen, Aggressivität Eindruck der Eltern, das Kind habe sich verändert Schulschwierigkeiten/Leistungsknick neuer Freundeskreis, „Szenemode“ sozialer Rückzug Eigenartige Gefühlskälte Schlafstörungen, morgendliche Antriebsstörung, depressives Loch nach dem Wochenende • Verwahrlosung/Vernachlässigung der Körperhygiene • Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust • Dissozialität (Erwachsene belügen, Eltern bestehlen, Delinquenz) Diagnostik bei Verdacht auf Substanzkonsum: • Suchtanamnese • Körperliche Untersuchung ( z. Bsp. i.v. Einstichstellen) • Drogenscreening im Urin • Blutabnahme Substanzanamnese: Wichtige anamnestische W-Fragen: Was ? (Substanzname, Szenenname) Wieviel? (Anzahl Tabletten tgl., Anzahl Joints tgl., Milligramm oder Grammangaben pro Tag) Wie? (Aufnahmeweg: peroral, geraucht, intravenös, nasal, Schleimhäute) Wann? (Zeitpunkt, wann zuletzt, regelmäßig oder sporadisch, Intervall) Warum? (Sucht, suizidal?) RAFFT-Drogen-Fragebogen RAFFT ist als Akronym aus relevanten Konsumkontexten gebildet: Relax, Alone, Friends, Familiy,Trouble (e4) • Nimmst du manchmal illegale Drogen, weil du dich entspannen oder du dich besser fühlen möchtest? • Nimmst du manchmal illegale Drogen, weil du dich dazugehörig fühlen möchtest? • Nimmt jemand aus deinem Freundeskreis regelmäßig (mindestens einmal die Woche) illegale Drogen? • Nimmst du manchmal illegale Drogen, wenn du alleine bist? • Hat jemand aus deinem Familienkreis ein Problem mit illegalen Drogen? • Hattest du jemals ernsthafte Schwierigkeiten wegen deines Konsums illegaler Drogen? (Zum Beispiel schlechte Zensuren, Ärger mit dem Gesetz oder den Eltern?) Bei 2 und mehr Zustimmungen liegen bei 12- bis 18-Jährigen Hinweise auf eine Gefährdung (mögliche Entwicklung einer substanzbezogenen Störung) vor. Analog zu illegalen Drogen kann Alkoholkonsum abgefragt werden. Körperliche Hinweise auf Substanzkonsum • Pupillenweite und –reagilibität (eng-weit) • Haut ( Einstichstellen, Infektionen, Ausschlag, Verletzungen) • Nervensystem (Gleichgewichts- und Koordinationsstörung, Hirnnervenausfälle, Bewusstseinsstörungen, kognitive Störungen) • Herz-Kreislaufsystem (Rhythmusstörungen, Blutdruckschwankungen, Atmung) Veränderungen unter „Crystal“ Veränderungen unter „Crystal“ Veränderungen unter „Crystal“ Abhängigkeitspotenzial gängiger Drogen +gering, ++stark, +++ sehr stark, ++++ extrem Drogenüberdosierungen Symptomatik Schweregrad Symptome Überdosierung stimulierender Substanzen, z.B. Psychostimulanzien, Antidepressiva, Kokain, Halluzinogene, Alkohol (niedrig dosiert) 1 Schwitzen, Übererregbarkeit, Zittern, weite Pupillen 2 Verwirrtheit, Fieber, Blutdruckanstieg, schneller Puls 3 Delir, Erregungszustand, Herzrhythmusstörungen 4 Krampfanfälle, Schock, Koma Überdosierung sedierender Substanzen, z.B. Benzodiazepine, Hypnotika, Antipsychotika, trizyklische Substanzen, Opiate 1 Somnolenz, Apathie 2 Sopor oder Koma Grad I 3 Koma Grad II, Atemdepression 4 Koma Grad III-IV nach Ziegenfuß 2007 Meth / Ice / Crystal/„Tschechendroge Crystal/ Tschechendroge“ Tschechendroge Nebenwirkungen, Schäden Sch den • • • • • • • • • Halluzinationen in höheren Dosen paranoide und schizophreniforme Symptome Aggressivität nach Konsumende Depression, Lethargie Haar- und Zahnausfall („Meth-Mund“) Magenschmerzen, -durchbruch Herzrhythmusstörungen Hautentzündungen Gedächtnisstörungen, Hirnschädigung !!! Drogenintoxikation: Drogenüberdosierung Amphetamine Amphetamine und -derivate und Derivate: Symptomatik: Einteilung in 4 Schweregrade: • Grad 1: Unruhe, Schlaflosigkeit, Zittern, gesteigerte Reflexe, weite Pupillen • Grad 2: Hoher Blutdruck, schneller Puls, Herzrhythmusstörungen, Verwirrtheit • Grad 3: Delir, psychotische Symptomatik mit Sinnestäuschungen, Angst • Grad 4: Krampfanfälle, Koma, Herz-Kreislauf-Versagen Drogenintoxikation: Drogenintoxikation Cannabis Cannabis Geringe Toxizität Symptomatik: Initial psychische Stimulation mit Euphorie Später Sedierung und depressive Verstimmung, Halluzinationen, Agitation, Angstzustände, Krampfanfälle, Flashbacks, schneller Puls (in hohen Dosen verlangsamter Puls), Hoher und im Verlauf niedriger Blutdruck, in extrem hohen Dosen: Dämpfung der Atmung, Übelkeit, Erbrechen Drogenintoxikation mit Kräutermischungen • Mischintoxikation durch diverse auf Kräuter aufgebrachte Substanzen • Wirkung durch synthetische Cannabinoide und andere chem. Substanzen • Kreislaufbeschwerden • Mundtrockenheit • Panikattacken, Erregungszustand, Wahnsymptome, Halluzinationen • Herzrasen und Herzrhythmusstörungen bis zur Bewusstlosigkeit • Wirkung kann über einige Tage anhalten (Appetitlosigkeit, Gleichgewichts- und Wahrnehmungsstörungen, starke Kopfschmerzen) Fallbeispiel • Die Eltern berichteten, der Sohn konsumiere schon seit dem 14. Lebensjahr verschiedene Substanzen, darunter Cannabis, Speed, Crystal, Ecstasy, "legale Räuchermischungen". Verstärkt habe er diese seit ca. sieben Wochen zu sich genommen, nun vor allem die Räuchermischung aus dem Internet und ein weißes Pulver, von dem sie nicht wüssten, was es sei. • Der Patient, 19 Jahre, kam in Begleitung der Eltern gegen seinen Willen zur ersten stationären Aufnahme hier im Haus. Er wurde vom Dienstarzt bei Selbst- und Fremdgefährdung und mangelnder Einsichtsfähigkeit gegen seinen Willen auf der geschlossenen Station aufgenommen. Fallbeispiel • Wiederholt habe er Tendenzen zum Größenwahn gezeigt, habe in den letzten Wochen den Wahn geäußert, er werde vor der UNO singen. Außerdem habe er optische Halluzinationen gehabt (er habe einen nicht existenten schwarzen Hund gesehen). In den letzten Wochen habe es Suiziddrohungen gegeben, laut Mutter vermutlich, um zu provozieren. In der letzten Woche am Donnerstag sei es unter Substanzkonsum zu tätlichen Angriffen auf sie und den Bruder gekommen, der Patient habe eine Glastür eingetreten. Am Samstag habe er in einem Lokal die Zeche geprellt und die dazu gerufenen Polizisten beleidigt. Er sei am Sonntag von einer Nachbarin bewusstlos aufgefunden worden. • Der Patient berichtete, er sei ein selbstbestimmter Mensch, er wolle nicht, dass wir seine Kleider anfassten, er sei Künstler und wir könnten ihn nicht beurteilen. Er habe Angst, dass er hier auf Station bestohlen werde. • Alkohol trinke er gelegentlich 5 bis 6 Bier. Links: • Legal-High-Inhaltsstoffe.de – mit Online-Beratung für Konsumenten, Eltern und Fachkräfte • Mindzone.info – mit Online-Beratung + Flyern im PDF-Format zum Runterladen • Land-der-Traeume.de – mit Drogen-Infos, Trip- und Langzeitberichten, Diskussionsforum • mudra-online.de – Drogenberatung – Enterprise 3.0 (Party- und Trenddrogenberatung) • BZgA.de (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)