Masterarbeit Clavier-Fantasie im 18. Jahrhundert.

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Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
Institut 15 Alte Musik
Iga Anna Zakrzewska
Masterarbeit
Clavier-Fantasie im 18. Jahrhundert.
Über die wahre Kunst des Fantasierens. Analyse ausgewählter Fantasien von
Wilhelm Friedemann Bach und Carl Philipp Emanuel Bach.
Beurteilt durch Ao. Univ. Prof. Mag.art. Mag.phil. Dr.phil. Klaus Hubmann
Vorgelegt am 30.04.2014
1
1. Einleitung
3
2. Fantasie
5
2.1 Der Terminus
5
2.2 Der Begriff Fantasie in den Quellen aus dem 18. Jahrhundert
7
3. Entwicklung der Fantasie-Form in der Musik für Tasteninstrumente
im 18. Jahrhundert
16
4. Clavier-Fantasien von W. F. Bach und C. Ph. E. Bach
33
4.1 Die Genialität der Bach-Brüder
33
4.2 Allgemeine Informationen zu Stücken
34
4.2 Analysen der Stücke aus der Sicht der historisch informierten
Aufführungspraxis
36
a) Die Form
37
b) Aufführungspraktische Hinweise
48
5. Zusammenfassung
101
Bibliographie
103
2
1.
Einleitung
Die Idee, über die Clavier-Fantasien des 18. Jahrhunderts eine Masterarbeit zu
schreiben, wurde aus der Faszination von der Musik für Tasteninstrumente Carl
Philipp Emanuel Bachs „geboren“. Die Begeisterung, die für alle, die sich mit
seiner Musik auch nur in kürzester und kleinster Form beschäftigt haben, vollkommen verständlich ist, entwickelte sich mit der Zeit in ein regelmäßiges Studium seines Musikschaffens. Die Geschichte der Entwicklung der FantasieForm, von den Anfängen in der vokalen und instrumentalen Musik im 14. und
15. Jahrhundert bis zu dem Höhepunkt des 18. und 19. Jahrhunderts ist mit
jedem weiteren Schritt mehr und mehr faszinierend.
Zum Zweck dieser Arbeit wurden nur zwei Komponisten, Wilhelm Friedemann
Bach und sein Bruder Carl Philipp Emanuel Bach, ausgewählt. Das Musikschaffen der beiden Künstler auf dem Gebiet Clavier-Fantasie eignet sich am besten,
die Entwicklung dieser Form ausführlich zu betrachten. Um alle Aspekte der
vorgetragenen Form und der Musikstücke gründlich verstehen zu können, wurde entschieden, eine formale und aufführungspraktische Analyse der Werke
durchzuführen. Es ergibt sich vieles erst, wenn man das Thema in mehreren
detaillierten Abschnitten untersucht. Deswegen wurde noch eine engere Auswahl getroffen, um Verwirrungen und Unklarheiten zu vermeiden. Es wurden
nur wenige Werke beider Komponisten zur Analyse genommen, dafür aber aus
mehreren Perspektiven behandelt.
Die Arbeit enthält fünf Kapitel innerhalb derer noch eine Aufteilung gemacht
wurde. Das erste Kapitel ist eine Einführung in das Thema der Arbeit. Es ermöglicht den Lesern einen Einblick in den Aufbau und Inhalt des Aufsatzes zu
haben. Im zweiten Kapitel wurde in zwei Teilen über den Begriff Fantasie geschrieben; zuerst allgemein über den Terminus und Herkunft des Wortes, danach mehr detailliert über den Begriff in der Musikgeschichte bis zum 18. Jahrhundert. Im zweiten Teil des zweiten Kapitels schreibt die Autorin über den Begriff Fantasie aus Sicht der historischen Quellen des 18. Jahrhunderts. Hier gibt
es wieder eine Beschränkung nur zu dieser bestimmten Periode. Die Vorstellung des Themas sollte deutlich und klar genug sein, um den Lesern die richtige
Auffassung zu präsentieren.
3
Das dritte Kapitel betrachtet die Entwicklung der Fantasie-Form in der Musik für
Tasteninstrumente im 18. Jahrhundert. Dadurch, dass es in dem Kapitel nur um
die Fantasie in der Clavier-Musik geht, wurde auch eine engere Auswahl getroffen. Es wurden nur einige Beispiele der Clavier-Fantasien, die deutlich die Entwicklung der Gattung zeigen können, erwähnt.
Das vierte Kapitel ist der Hauptteil der Masterarbeit. Hier wurde ebenfalls in
zwei Teile unterteilt. Im ersten Teil des fünften Kapitels handelt es sich um allgemeine Informationen zu allen Clavier-Fantasien von Wilhelm Friedemann
Bach und Carl Philipp Emanuel Bach (Datierung der Werke, Bezeichnung, Inhalt, usw.). Im zweiten Teil dieses Kapitels befindet sich die ausführliche und
sehr detaillierte Analyse ausgewählter Stücke der Gebrüder Bach. Es wurden
Informationen zur Form jedes ausgewählten Stückes gegeben, die als Einführung zur folgenden detaillierten Analyse gelten. Bei der Analyse wurden die Aspekte der historisch informierten Aufführungspraxis aus Sicht der analysierten
Stücke beschrieben. In diesem Teil, der die Aufführung der Stücke betrachtet,
werden auch genaue Hinweise zu jedem analysierten Werk gegeben, auf Basis
des Lehrwerks Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen von Carl Philipp Emanuel Bach.
Das letzte Kapitel der Masterarbeit beinhaltet die Zusammenfassung über die
Ergebnisse der Analyse, über noch offene Fragen und nicht gefundene Lösungen der Probleme. Im letzten Kapitel wird entschieden, ob das Thema ausführlich bearbeitet wurde, oder ob es noch weiter recherchiert werden soll.
4
2.
Fantasie
2.1 Der Terminus
Um den Begriff Fantasie richtig zu formulieren und allgemein verstehen zu können, ist es notwendig, kurz zu der Herkunft des Wortes zu greifen. Laut dem
deutschen Duden-Wörterbuch1 ist es im allgemeinen Sinne eine „Fähigkeit, Gedächtnisinhalte zu neuen Vorstellungen zu verknüpfen, sich etwas in Gedanken
auszumalen…“.
Die Bedeutung des Wortes in der Musik ist als „instrumentales Musikstück mit
freier, oft improvisationsähnlicher Gestaltung, ohne formale Bindung“ beschrieben. Nach älteren Wörterbüchern ist „die Fantasie“ als ein „Tonstück in freier
Form“ formuliert. Der Begriff „Phantasie“ im selben Wörterbuch bedeutet „Einbildungskraft, Erfindungsgabe“2.
Das Wort Fantasie existiert (nachweislich) in musikalischen Schriften seit dem
14. Jahrhundert. Im Allgemeinen ist sie als innere Vorstellung und Einbildungskraft beschrieben und damit als die „Voraussetzung des Musikmachens“3 gemeint. Es bezieht sich nicht auf den Titel des Werkes, im Sinne der späteren
Musikstücke mit bestimmter Form (frei oder gebunden), sondern mehr auf das
imaginäre Denken, auf einen Einfall oder geistiges Bild4.
Auf der anderen Ebene ist Fantasie als Prozess des Musikmachens dargestellt5. Es handelt sich um Musikstücke, die ex tempore6 erfunden wurden. Obwohl man das Wort schon in Traktaten aus dem 14. und 15. Jahrhundert findet
(als Titel von Sätzen in der Instrumentalmusik), ist es fachbegrifflich erst bei
Diego Ortiz in Trattado de glosas (1553), auch aber in Arte de tañer fantasia
1
Duden Deutsches Universalwörterbuch, 6. Auflage, Mannheim 2007, S. 552.
Das Deutsche Wort, Leipzig 1933, S. 319; S. 740.
3
Thomas Schipperges und Dagmar Teepe, Art. Fantasie, in: MGG-Sachteil 3 (1995), Sp. 316.
4
Marianne Betz, Art. Fantasia, in: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, Stuttgart
1971-2006, Ordner III: F-L, Art. Fantasia, S. 1.
5
siehe: Schipperges-Teepe, Sp. 316.
6
Ex tempore - etwas in diesem Moment erfunden. Es wurde zum fachlichen Terminus im 18.
Jahrhundert.
2
5
(1565) von Tomas de Santa Maria erwähnt. Der Begriff ist im 16. Jahrhundert
sehr eng mit der Improvisation und ihren Regeln, die exakt zu dieser Zeit festgelegt geworden sind, verbunden.
In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erscheinen die ersten gedruckten
Fantasien. Der Terminus bezieht sich auf den Titel des Werkes, wobei der Begriff Fantasie abwechselnd mit anderen Termini benutzt wird7. Die gleichen Stücke wurden in verschiedenen Ausgaben anders genannt. Es kommt vor, dass
der Titel des Werkes keine wichtige Rolle spielte. War die Form von improvisatorischen Musikstücken so ähnlich oder doch so unterschiedlich frei in ihrer Gestaltung, dass es weder möglich, noch nötig war, sie zu systematisieren? Vor
allem Fantasie und Ricercar wurden als austauschbare Termini benutzt.
Im Lauf des 17. Jahrhunderts erschien ein neuer Begriff, nämlich Capriccio, der
sehr ähnlich zur Fantasie stand8. Der Begriff Fantasie existierte weiter und bezog sich auf die Nachbar-Termini, wie die oben genannten Capriccio und
Boutade9.
Eine sehr wichtige und entscheidende Rolle in der Terminologie wurde von
Athanasius Kircher „gespielt“. In seinem Traktat von 1650 (Musurgia universalis) erschien ein neuer Begriff, der stylus phantasticus. Der Autor beschreibt den
fantastischen Stil als eine Art des Komponierens, die an kein Wort und keine
Harmonie gebunden ist. Es ergibt sich eine große Freiheit, die ab dem Moment
der Befreiung des Stils dem Künstler (dem Komponist) viel mehr Möglichkeiten
bietet10.
Der Stylus phantasticus spiegelte sich in musikalischen Formen wie Fantasie,
Ricercar, Toccata, Sonata wider. Der Begriff betrifft hauptsächlich Instrumen-
7
Je nach Region oder Land (z.B. Division, Voluntary, Fancy, Tiento, Diferencia), aber auch
nach der Funktion (Intrada, Preambulum, Praeludium, u.a.), nach dem Charakter und Form des
Stückes (Toccata, Canzon, Ricercar, Fuga), unterscheidet sich die Benennung.
8
siehe: Arnfried Edler, Gattungen der Musik für Tasteninstrumente, Teil 1: Von den Anfängen
bis 1750, Handbuch der musikalischen Gattungen, Band 7/1 Laaber 1997, S. 354.
9
Edler, S. 366.
10
Der Einfluss, den der Kirchersche Traktat auf die Form der Fantasie hatte, wird in späteren
Kapiteln der Arbeit beschrieben.
6
talmusik, was ebenfalls von einer sehr großen Bedeutung für die Entwicklung
der Fantasie-Form war11.
Der Begriff Fantasie wurde im 18. Jahrhundert in eine noch engere Verbindung
zum Extempore-Spiel gesetzt. Auf der einen Seite war es eine Art des Improvisierens, „aus dem Stegreif“ zu spielen, als Vorspiel oder Nachspiel. Aus einer
anderen Sicht waren es fertig komponierte Musikstücke. Im Endeffekt wurden
beide, der Komponist und der Aufführende, zu gleichwertigen Schöpfern des
Stückes. Als Terminus existierte Fantasie abwechselnd mit dem Begriff Stylus
phantasticus. Sie wurde im Lauf des 18. Jahrhunderts von dem Terminus Fuge
getrennt12. Es kommt die Tendenz, noch freier und mehr improvisierend in der
Form der Fantasie zu sein. Die Fugenform ist nicht nur strenger geworden,
sondern ging in die Richtung eines eigenständigen Stückes.
Da sich die Fantasie als Terminus von den anderen, im vorigen Jahrhundert,
gleichwertigen Begriffen „befreit“ hat und selbst in ihrer Form freier geworden
ist, wurde sie zum festen Begriff freie Fantasie umgewandelt.
2.2 Der Begriff Fantasie in den Quellen aus dem 18. Jahrhundert
Die wichtigsten Entwicklungen in der Geschichte der Fantasie fanden im
deutschsprachigen Raum statt. Nicht nur viele bedeutende Kompositionen,
sondern daneben auch sehr viele theoretische und wissenschaftliche Nachweise stehen heutzutage zur Verfügung. Zu den bemerkenswerten Quellen im 18.
Jahrhundert zählen Musiklexika, Wörterbücher und vor allem Traktate und Klavierschulen. Reichlich beschrieben ist nicht nur der Terminus, sondern auch die
Art des Fantasierens13. Laut Brossard ist die Fantasie eine „Gattung der Komposition, […] ein reiner Effekt des Genies“, ohne genaue kompositorische An-
11
Der Schwerpunkt bezog sich allmählich auf Instrumentalmusik, vor allem auf Musik für Tasteninstrumente.
12
Noch im 17. Jahrhundert wurde der Begriff Fantasie im Austausch mit der Fuge benutzt.
13
Was unter Fantasieren zu verstehen ist, wird im weiteren Verlauf der Masterarbeit erläutert.
7
weisungen, wie Takt, oder Rhythmus 14 . Im Lexikon von Johann Gottfried
Walther befindet sich eine sehr ähnliche Beschreibung des Begriffes, und zwar:
Fantasia ist
„der effect (sic!) eines guten Naturelles so auch theils ex tempore sich äussert,
da einer nach seinem Sinn etwas spielet, oder setztet, wie es ihm einfällt, ohne
sich an gewisse Schrancken und Beschaffenheit des Tacts zu binden“15.
Wie zu bemerken ist, war die Beschreibung, obwohl mit großem Zeitabstand,
eigentlich gleich; es wurde in beiden Fällen als eine Form des Improvisierens
bezeichnet. In diesem Sinne war die Musikform als „frei“ vorgestellt. Wenn man
weiter in den Quellen recherchiert, findet man bei Mattheson eine sehr interessante Beschreibung. Er zeichnet „eine gewisse Gattung […] der Melodien, oder
der melodischen Grillen16 […] die von allen übrigen sehr unterschieden ist“ auf.
Es sind die Fantasien, oder „Fantaisies“, „deren Arten sind: die Boutades, Capricci, Toccate, Preludes, Ritornelli“ 17 . Der Autor dieses Traktates beschäftigt
sich außerdem näher mit der Schreibart der Fantasie (neben anderen Gattungen) und auch mit der Aufführungspraxis im „phantastischen Styl“. Es handelt
sich hauptsächlich um improvisatorisches Spiel, das als Vor- oder Nachspiel bei
den Aufführungen stattfindet. Der Komponist empfiehlt dem Spieler (oder Sänger) sich an nichts anderes, als die Harmonie zu verlassen. Im Allgemeinen
schreibt Johann Mattheson über den „phantastischen Nahm […] der nicht sowohl im Setzen oder Componiren mit der Feder, als in einem Singen und Spielen, das aus freiem Geiste, oder wie man sagt, ex tempore geschieht“18. Auf der
14
nach: Sébastien de Brossard, Dictionnaire de Musique, Paris 1703; Stichwort „Fantasia. veut
dire Fantaisie“.
15
Johann Gottfried Walther, Musicalisches Lexikon oder Musicalische Bibliothec, Leipzig 1732,
Faksimile, Kassel 2001, S. 219.
16
Das Wort „die Grille“ ist lt. Wörterbuch Das Deutsche Wort, Leipzig 1933, S. 405 ein wunderlicher Einfall.
17
Johann Mattheson, Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, Faksimile, Kassel-Basel
1954, S. 232, § 132.
18
Ebenda: S. 87, § 88.
8
anderen Seite erwähnt Mattheson, dass die Fantasie „wirklich zu Papier gebracht werde, und man also dem Sänger oder Instrumenten-Spieler die Mühe
erleichtert“19. Im weiteren Verlauf beschreibt der Autor des Vollkommenen Kapellmeisters, dass es schade ist, dass keine Regeln der Fantasie-Kunst verfügbar sind. Der Stylus Phantasticus ist „die allerfreieste und ungebundenste Setz-,
Sing-, und Spielart, die man nur erdenken kann […] da man sich weder an Worte noch Melodie, obwol an Harmonie, bindet, nur damit der Sänger oder Spieler
seine Fertigkeit sehen lasse“20. Laut Mattheson sind die Merkmale des fantastischen Stils folgende: „bald hurtig, bald zögernd“, einmal einstimmig, andermal
vielstimmig, ohne Thema, oder Hauptsatz, „ohne Klang-Maasse“, mit der Absicht den Zuhörer in „Verwunderung zu setzen“.
Eine der wichtigsten Quellen des 18. Jahrhunderts, die über die Klavierkunst
und Art des Akkompagnements berichten, ist der Traktat Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen von Carl Philipp Emanuel Bach 21 . Der Autor
schreibt im Kapitel „Vom Vortrage“ welche Fähigkeiten und Meisterschaften ein
Klavierspieler besitzen sollte, um sich ein guter Clavieriste nennen zu dürfen. Er
schreibt unter anderem über Artikulation, Charakter des Stückes, Affekte und
Fertigkeit der Finger. „Besonders aber kann ein Clavieriste vorzüglich auf allerley Art sich der Gemüther seiner Zuhörer durch Fantasien aus dem Kopfe bemeistern.“22 Ähnlich wie es bei den oben genannten Quellen gezeigt wurde ist
die Fantasie als freie Form des Improvisierens und nicht als fertig komponiertes
Stück angegeben. Im 2. Teil des Versuchs beschreibt der dritte Sohn von Johann Sebastian Bach aber auch die freie Fantasie, die „keine abgemessene
Tacteintheilung enthält, und in mehrere Tonarten ausweichet, als bey andern
Stücken zu geschehen pfleget, welche nach einer Tacteintheilung gesetzet
sind, oder aus dem Stegreif erfunden werden.“23 Nachfolgend befindet sich die
Beschreibung der freien Fantasie. Laut Autor ist sie aus mehreren Sätzen, die
19
Ebenda, S. 87, § 89.
Ebenda, S. 88, § 93.
21
Carl Philipp Emanuel Bach, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, Berlin
1753/1762, Faksimile-Nachdruck, 7. Auflage, Leipzig 1992.
22
Ebenda, 1. Teil, 1753, S. 122-124.
23
Ebenda, 2. Teil, 1762, S. 325, § 1.
20
9
nicht nur harmonisch, sondern auch im Charakter abwechselnd sind, gebaut.
Diese Art des Fantasierens, ohne den Taktstrich zu beachten, die Harmonie
aber richtig zu bemerken, ist sehr frei und kann als einzelnes Stück existieren.
Wenn es um die freie Fantasie, als Vorspiel (oder Nachspiel) geht, ist der Bereich der Freiheit ziemlich begrenzt. In diesem Fall sollte das Stück (oder Art
des Improvisierens) inhaltlich als Einleitung in die Musikstücke, die danach präsentiert werden, oder als „Schlusswort“ dienen. In diesem Sinne sollte das Vor-,
oder Nachspiel das Notenmaterial des folgenden Programms enthalten. Aus
dem reichlichen Bericht von Carl Philipp Emanuel Bach ist zu bemerken, dass
es bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ähnliche, wie bei den anderen Quellen,
die bisher in der Arbeit nachgewiesen wurden, Vorstellungen von Fantasie (bei
Bach von freier Fantasie) gab.
In der Anleitung der musikalischen Gelahrtheit24 von Jacob Adlung findet man
folgende Beschreibung der Kunst des Fantasierens:
„Die Clavierkunst wird mehrentheils in 4 Theile abgetheilet. Der Generalbaß ist
der erste; die Wissenschaft, den Choral zu spielen der zweite; die sogenannte
italiänische Tabulatur die dritte; das Fantasieren, oder das Spielen aus eigener
Erfindung der vierte.“25
Es ist nicht vorgegeben, was der Begriff „Fantasie“ genau bedeutet, sondern
“… was man vor Wege habe ein Fantaste (im guten Verstande) zu werden”.26
Annäherungsweise erklärt diese Problematik Friedrich Wilhelm Marpurg in seinem „Brief an den Herrn Doctor und Professor der Rechten Johann Carl Conrad
Oerlichs“ vom 21. Juli 175927. Der Verfasser schreibt über zwei Arten von Fantasie, die der Organist, je nach Bedarf abwechselnd, als Vorspiel aufführen
kann. „Eine freye Orgelfantasie ist also eine solche Composition aus dem Stegereif, wo man sich nicht einen vesten Gesang, oder den Choral zum Gegen24
Jacob Adlung, Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit, Erfurt 1758, Faksimile-Nachdruck,
Kassel-Basel 1953.
25
Ebenda, S. 625, § 300.
26
Ebenda, S. 733, § 375.
27
Friedrich Wilhelm Marpurg, Kritische Briefe über die Tonkunst, V. Brief, Berlin 1760; Faksimile-Nachdruck, Hildesheim/New York 1974.
10
stande der Ausarbeitung nimmt…“, und eine Choralfantasie, „worinnen der
Choral zum Grunde lieget“28. Bemerkenswert ist noch eines, und zwar: was der
Autor genau über das Wort Fantasie schreibt:
„Wegen des Wortes Fantasie ist zu bemerken, daß selbiges zwar eine jede
Composition aus dem Stegereif anzeiget; aber nicht jeden Mischmasch von
Gedanken, wo man alle Augenblicke und ohne Ursache, die Tactart und die
Anzahl der Stimmen verändert, und immer neue nichts als wilde regellose Einfälle ohne Kunst einander ablösen.“29
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es ziemlich viele Klavierschulen.
Eine von denen, die heutzutage weniger bekannt sind, ist die „Clavier-Schule,
oder kurze und gründliche Anweisung zur Melodie und Harmonie“ von Georg
Simon Löhlein (1765). So beschreibt der Künstler die Kunst des Fantasierens in
seinem Lehrwerk:
„Das Fantasieren, oder Spielen aus dem Stegreife, besteht in einer Kunst, eine
Melodie, mit ihrem gehörigem Basse und Mittelstimme, aus freyem Geiste
selbst zu erfinden, und sogleich zu spielen. Es geschieht dieses, entweder nach
richtigem Zeitmaaße, oder ohne dasselbe. Im ersten Falle heisst es eine gebundene Fantasie; und hierzu wird mehr Geschicklichkeit erfordert, als zur ungebundenen, oder freyen Fantasie wie sie im zweiten Falle heißt.“30
Der Autor stellt eine sehr wichtige Frage im fünften Paragraph des zweiten Teils
seiner Klavierschule, und zwar:
“…warum sollte dem Tonkünstler nicht auch die richtige Verhältniß der musikalischen Perioden, der Rhythmus, oder die Klangfüße und eine richtige Grundlage der Harmonie, zu statten kommen?“. Es wurde davor beschrieben, dass es
leider ganz oft der Fall ist, dass sehr gute Theoretiker nur mittelmäßige Prakti-
28
Ebenda, S. 35.
Ebenda.
30
Georg Simon Löhlein, Clavier-Schule, oder kurze und gründliche Anweisung zur Melodie und
Harmonie, dritte und verbesserte Auflage Leipzig 1779 (erste Auflage Leipzig 1765), S. 179, §1.
29
11
ker sind, und natürlich umgekehrt auch. „Denn das beste Genie ohne Regeln,
ist ein mit vollen Seegeln gehendes Schiff ohne Steuermann“31.
„Die wahre Art das Pianoforte zu spielen“ von Johann Peter Milchmeyer
(1797)32 ist eine sehr späte Quelle. Man sollte sie erwähnen, weil auch hier die
Fantasie abgehandelt wird. Sie ist allerdings nur kurz beschrieben, als „Fantasia, Fantasie, Einfälle aus dem Stegreif, musikalische Gedanken, wie sie dem
Spieler einfallen“. Nicht mehr, nicht weniger. Interessanterweise beschreibt der
Autor die Fantasie nur als „freie“, „improvisatorische“ Gedanken, nicht mal als
Musikstück, das auf dem Papier auch existierte.
Bemerkenswert ist, was Carl Czerny in seiner „Systematischen Anleitung zum
Fantasieren auf dem Pianoforte op. 200“ (1829) über das Thema schreibt, und
zwar, dass man es Fantasieren nennt, wenn der „ausübende Tonkünstler die
Fähigkeit besitzt, die Ideen, welche seine Erfindungsgabe, Begeisterung, oder
Laune ihm eingiebt, sogleich, im Augenblick des Entstehens, auf seinem Instrument nicht nur auszuführen, sondern so zu verbinden, dass der Zusammenhang auf den Hörer die Wirkung eines eigentlichen Tonstückes haben
kann“. Czerny beschreibt die unterschiedlichen Formen vom Fantasieren. Es
sind dies die Präludien (als Vorspiel), die Kadenzen und Fermaten (meistens „in
Concerten“), „das wirkliche, selbstständige Fantasieren (Improvisieren)“ in verschiedenen Fassungen, zum Beispiel als Variationen, als Fantasieren in „gebundenen und fugirtem Styl“, oder in der Art von Capriccio, was der Autor als
freieste und unverbundenste Art des Fantasierens beschreibt.33
Obwohl wir uns schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befinden, baut
sich eine enge Verbindung mit Bemerkungen, die seit dem 16. Jahrhundert zum
gleichen Thema gemacht wurden, auf. Ähnlich wie in den Traktaten von Diruta,
Zarlino oder anderen Lehrwerken und Lexika im 17. und 18. Jahrhundert,
schreibt Czerny über nötige Begabungen, die der Spieler, der gut Fantasieren
will, besitzen sollte. Außer den offensichtlichen Gaben, wie großes musikali31
Ebenda, S. 180, § 4 und § 5.
Johann Peter Milchmeyer, Die wahre Art das Pianoforte zu spielen, Dresden 1797.
33
Die genauen Beschreibungen und Erklärungen zum Thema freie und gebundene Formen der
Fantasie befinden sich in den nächsten Kapiteln der Arbeit.
32
12
sches Gedächtnis, „glücklich“ organisierte Finger und rascher Gedankenflug,
benötigt „der Fantaste" noch andere Fähigkeiten, und zwar „gründliche Ausbildung in allen Theilen der Harmonielehre“ und „ein vollkommen ausgebildetes
Spiel (Virtuosität)“34. Der Zweck des Werkes von Czerny ist, die festen und ordentlichen Regeln, die jeder Künstler verständlich finden kann, zu gründen.
Die letzte in diesem Kapitel beschriebene Quelle aus dem 18. Jahrhundert ist
absichtlich nicht chronologisch (wie die vorher erwähnten Quellen) eingeordnet35. Es handelt sich um ein Traktat von Georg Andreas Sorge aus dem Jahr
1767. Seine „Anleitung zur Fantasie“36 ist eine sehr hilfreiche Quelle. Sorge beschreibt ganz genau, welche Voraussetzungen nötig sind um ein guter AusDem-Kopfe-Spieler zu sein:
„Er muss ein gutes Naturell zur Musik, und viel gute Musik gehöret haben, den
General-Bass verstehen, und von folgenden neun Puncten wohl unterrichtet
sein“37.
Die wichtigen Punkte, die der Theoretiker meinte, sind sehr ähnlich den Voraussetzungen, die Czerny in seiner „Anleitung“ vorstellt. Der gute Fantaste
sollte alle Intervalle, Zusammenklänge und deren Umkehrungen und alle Tonarten kennen. Er sollte Modulationen von einem zu dem anderen Akkord und
Tonart verstehen und spielen können. Das Geschlecht und die Relationen zwischen den Akkorden sollte er auch merken. Der gute Musiker, der Fantasieren
können will, muss noch dazu die Lehre von Fugen und Nachahmung beherrschen.
34
Carl Czerny, Systematische Anleitung zum Fantasieren auf dem Pianoforte, Wien 1829.
Es ist eine der wichtigsten Quellen des 18. Jahrhunderts, die sehr hilfreiche Informationen
über die Art des Fantasierens und die nötigen Begabungen und Kenntnisse in der Musik und
Theorie, aber auch in der Komposition, die jeder Musikus braucht ein guter Fantaste zu sein,
ist. Deswegen hat die Autorin die chronologische Reihenfolge für diese Quelle geändert, um die
Wichtigkeit des Traktats zu zeigen.
36
Georg Andreas Sorge, Anleitung zur Fantasie, oder zu der schönen Kunst, das Clavier, wie
auch andere Instrumente aus dem Kopfe zu spielen, Lobenstein 1767.
37
Ebenda, Kap. I, S. 1.
35
13
Sorge empfiehlt den zukünftigen „Fantasten“ auch die anderen Traktate von
berühmten Musikern, Theoretikern und Komponisten anzuschauen.
„Kann man mit Con- und Dissonanzen wohl umgehen, so lerne man aus Herrn
Matthesons Kern melodischer Wissenschafften und Fuxens Gradibus ad Parnassum eine gute Fuge machen, und ein gewisses Thema oder Subjectum ex
tempore auszuführen“38.
Nicht nur seine „Anleitung zur Fantasie“ liefert die wichtigsten Voraussetzungen
eines guten Fantaste. Auch zwei anderen Arbeiten desselben Autors beschreiben die gleiche Problematik. Im Traktat „Vorgemach der musicalischen Composition, oder: Ausführliche, ordentliche und vorheutige Praxin hinlängliche Anweisung zum Generalbass“ beschreibt Sorge ziemlich detailliert den Weg, der
jedem Musiker hilft, seine Fähigkeiten im Ex-tempore-Spiel zu verbessern.
„Allein unser Zweck gehet vornehmlich auch dahin, dass ein Clavier-Schüler
durch Erlernung des Generalbasses, nach der in diesem Wercke gebrauchten
Methode soll in den Stand kommen, etwas gutes und fundamentelles ex tempore spielen, und folglich zu Pappier bringen, mithin alle Grund-Sätze der musicalischen Composition verstehen, und so gleich einen guten Grund in derselben
soll legen lernen“39.
Sorge weist darauf hin, dass es viele gibt, „die auf dem Clavier ein Stück vom
Blatt ganz gut wegspielen, wenn sie es nemlich vorher fast auswendig gelernet
haben; ja viele können wohl ziemlich lange und schwere Stücke auswendig lernen, und so dann daher spielen: wenn sie aber auch nur wenige Tacte aus dem
Kopffe machen sollen, so bricht ihnen der Angstschweiß aus. Sie sind also wie
diejenigen, die eine Predigt aus der Postille gar fein, und mit gutem Nachdruck
herlesen können, allein aus dem Kopffe können sie nicht den geringsten Vortrag thun. Was ist die Ursach? Antwort: Sie wissen weder was Melodie noch
38
Ebenda, Reg. 16, S. 425.
Georg Andreas Sorge, Vorgemach der musicalischen Composition, Lobenstein 1745, 1. Teil,
Kap.III, §2, S. 7-8.
39
14
Harmonie ist, und haben gemeiniglich wenig oder gar nichts von der Wissenschafft die zum General-Basse gehöret gelernet“40.
Was für eine Lösung hat der Autor des Buches? Er schreibt, dass diejenige, die
aus dem Stegreif spielen lernen wollen, nichts anderes tun sollten als folgendes: „sie lernen den General-Bass in behöriger Ordnung, und mit rechtem Verstande, denn durch denselben lernen sie alle Sätze und Gänge der Harmonie,
und durch die Harmonie lernen sie auch Melodie“41.
In allen oben beschriebenen Quellen aus dem 18. Jahrhundert gibt es ausführliche Vorlagen und viele gute Ratschläge, die einem „Clavier-Schüler“ den richtigen Weg zeigen, ein „guter Fantaste“ zu werden. Es zeigt, wie wichtig das
Thema „Fantasieren“ oder „aus dem Stegreif“ zu spielen war. Diejenigen, die es
konnten, haben der Meinung der größten Musiker des 18. Jahrhunderts nach
die höchste Art des Clavier-Spielens erreicht.
40
41
Ebenda, 3. Teil, Kap. XXX, §2, S. 419-420.
Ebenda, S. 420.
15
3. Entwicklung der Fantasie-Form in der Musik für Tasteninstrumente im 18. Jahrhundert.
Vom Anfang bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts verschob sich langsam die Priorität auf die Claviermusik. Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle Besetzungen
(Laute, Tasteninstrumente, Ensemblemusik) gleichwertig42. Die Entwicklung der
in dieser Arbeit beschriebenen Gattung ist durch das ganze Jahrhundert sehr
umfangreich. Von einzelnen, kurzen und polyphonen Stücken, durch den Satz
des Concertos, der Suite, der Toccata, oder der Sonate, danach als Reihung
von dem freien und fugiertem Satz, bis zu freien, improvisatorischen Formen,
die auch als einzelne Stücke existierten, waren aber aus mehreren, frei strukturierten Teilen gebaut43.
Es ist immer viel leichter und gleichzeitig spannender, die Entwicklung der musikalischen Form anhand von Exempeln zu zeigen. In diesem Kapitel werden
drei Gruppen von Komponisten, nach dem Alter systematisiert und mit einzelnen Beispielen von ihren Clavier-Fantasien beschrieben. Der Zweck einer solchen Bearbeitung des Themas ist, so ausführlich wie möglich die Form der Fantasie in den verschiedenen Zeitpunkten des 18. Jahrhunderts zu präsentieren.
In der ersten Gruppe der Komponisten, die zu der frühesten Periode des 18.
Jahrhunderts gehören, befinden sich drei Namen. Friedrich Wilhelm Zachow
(1663-1712), Johann Krieger (1651-1735) und Johann Pachelbel (1653-1706).
Es konnten nur die Stücke, die in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts komponiert wurden, mit einbezogen werden.
Friedrich Wilhelm Zachows Fantasia D-Dur (Notenbeispiel 1/2) ist ein Beispiel
für die Musik aus dem Hochbarock. Es ist ein Stück von imitierender und kontrapunktischer Struktur, das auf zwei Themen, die durch die ganze, dreiteilige
Komposition mit großer Konsequenz durchgeführt wurden, basiert. Dieses eigenständige, vierstimmige Werk repräsentiert die strenge Regel des Kontrapunkts. Vom Stil erinnert es an die Form des sehr im 16. und 17. Jahrhundert
42
Vgl.: Thomas Schipperges und Dagmar Teepe, Art. Fantasie, in: MGG-Sachteil 3 (1995), Sp.
336.
43
Als Ausnahme gelten die 36 Fantasien für Cembalo solo von Georg Philipp Telemann, die in
den nächsten Kapiteln beschrieben werden. Es sind einzelne, kurze Stücke in da-capo-Form.
16
populären Ricercars44. Bis zum 17. Jahrhundert wurden die Termini Fantasia,
Präludium, Fuga und Ricercar austauschbar benutzt45.
Notenbeispiel 1/3
Das nächste Beispiel (Notenbeispiel 2/3) stammt von Johann Krieger. Es wird
nicht mehr als eigenständiges Stück betrachtet, sondern als Teil des Zyklus. In
dem Fall ist seine Fantasia als erster Satz oder besser als Einleitung zu Partita
zu verstehen. Der Titel des Zyklus lautet: Fantasia e Partita und besteht aus
acht Teilen (Fantasia, Allemande, Corrente, Sarabande, Gigue, Menuett, Bouree, Gavotte). Es stammte aus der Sammlung von 6 Partiten, wobei nur in dem
ersten Stück (Fantasia e Partita C-Dur) befindet sich als erster Satz eine Fantasie. Die anderen Partiten fangen mit einer Allemande an.
Die Fantasie basiert auf drei kontrapunktischen und im Charakter unterschiedlichen Themen, die mit kleinen Überleitungen unterbrochen sind. Von der Struktur erinnert die Fantasia an Toccata. Der Umfang des Stückes ist wesentlich
größer, als der von Zachows Fantasia.
44
Siegbert Rampe (Hrsg.), Bachs Klavier- und Orgelwerke. Das Handbuch, Teilband 1, Laaber
2007, S. 83.
45
Die deutliche Trennung der Termini kann man z.B. in der Sammlung Anmutige Clavier-Übung
bestehend in unterschiedlichen Ricercarien, Präludien, Fugen von Johann Krieger (Nürnberg
1699) sehen. Die Ricercari sind mit großen und die Präludien und Fugen mit kleineren Notenwerten notiert.
17
Notenbeispiel 2/3
Das dritte und letzte Stück in der ersten Gruppe stammt von Johann Pachelbel.
Seine Fantasien wurden als eigenständige Stücke komponiert. Die von der Autorin ausgewählte Fantasia in d-Moll (Notenbeispiel 3/3) ist sehr interessant und
noch im Stil des Hochbarocks komponiert. Es fängt mit dem Thema in der oberen Stimme, die das erste Mal nur mit zwei anderen, kontrapunktischen Stimmen durchgeführt ist, an. Im dritten Takt kommt das Thema in der zweiten
Stimme, sowie am Anfang. In der ersten Stimme aber kommt das Thema in der
Diminution. Die Fantasie hat nur ein Thema und ist sehr konsequent mit allen
Regeln des Kontrapunkts durchgeführt. Der Umfang des Stückes ist der Komposition Zachows ähnlich.
Notenbeispiel 3/3
Die zweite Gruppe von Komponisten besteht aus zwei sehr berühmten Namen:
Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Georg Philipp Telemann (1681-1767).
18
Der Fantasie-Begriff wurde noch am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts austauschbar mit den anderen Termini, die ähnlich in der Form waren,
benutzt. Dem folgend kommen hier als Beispiel 15 Sinfonien Johann Sebastian
Bachs, die zuerst den Namen Fantasien trugen. In der späteren Schrift änderte
Bach den Titel zu Sinfonien (BWV 787-801). Die Stücke sind vom Umfang zwischen 20 und 70 Takte lang und haben unterschiedliche Formen, von Fugato
durch Fugensatz, bis zu imitierenden Stücken mit Tanzcharakter. Alle sind
streng polyphon komponiert. Als Beispiel wurde die ersten Takte aus drei Sinfonien gewählt (Notenbeispiele 4a-c/3; in der Handschrift von H. G. M. Darnköhler; ca. 1745-1755).
Notenbeispiel 4a/3
Notenbeispiel 4b/3
19
Notenbeispiel 4c/3
Die Sinfonien-Fantasien von Johann Sebastian Bach sind nur als Beispiel verschiedener Typen von Clavier-Fantasien im 18. Jahrhundert an dieser Stelle
erwähnt. Viel wichtiger und viel näher zu der freien Form der Fantasie im späten 18. Jahrhunderts ist seine Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV
903 (Notenbeispiel 5a-c/3)46. Es ist ein Meisterwerk, welches eine Brücke zwischen Bachs genialem improvisatorischen Stil des späten Barock und dem
höchstem Niveau des Empfindsamen Stils, in Verbindung mit der Kunst des
Improvisierens in den späten Clavier-Werken seiner Söhne, baut. Die Beschreibungen der Genialität Bachs beim Improvisieren befinden sich u.a. in Bachs
Biographie von Johann Nikolaus Forkel (1802)47. In diesem Fall ist die Fantasie
als eine Einleitung oder Einführung in den Hauptteil (Fuge) gedacht. In dieser
kurzen Analyse wird es Fokus auf die Fantasie gegeben.
Das Werk präsentiert die größte Kunst des Ex-tempore Spiels. Es wechselt ab
zwischen längeren, ganz freien, improvisierten Fragmenten (Notenbeispiel
5b/3) und kürzeren, streng in der Kompositionstechnik gehaltenen Abschnitten
(Notenbeispiel 5c/3). Im Vergleich zu manchen, oben genannten FantasieStücken (z. B. Telemanns Fantasien, die demnächst beschrieben werden), ist
die Chromatische Fantasie von J. S. Bach kein eigenständiges Werk. Es hat
seine bestimmte Funktion, und zwar die Fuge, die danach erscheint, dement46
Es existiert kein Autograph und keine von Bach „geprüfte“ Abschrift des Stückes.
Johann Nikolaus Forkel, Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke,
Leipzig 1802, S. 10 u. 17.
47
20
sprechend einzuführen. Umso wichtiger ist es, den richtigen Charakter des Stückes zu erkennen, da es sich um seine musikalische Funktion handelt.
Notenbeispiel 5a/3
21
Notenbeispiel 5b/3
Notenbeispiel 5c/3
Die Fantasien von Georg Philipp Telemann sind auch als Zyklus komponiert
und zwar sind die 36 Fantasien TWV 33 in drei Teilen zu jeweils 12 Stücken
gruppiert. Alle Fantasien sind zweiteilig und haben eine da capo Form (wobei in
der zweiten Gruppe, nach dem wiederholten ersten Teil, noch ein kleines zweiteiliges Stück kommt). In der ersten und letzten Gruppe, gibt es zuerst einen
schnellen und dann einen langsamen Teil, in der zweiten Gruppe ist es umgekehrt angeordnet. Die Stücke sind im Wesentlichen kurz und meistens homophon. Es sind keine freien Fantasien. Diese kurz gefassten Stücke wurden
streng im Takt komponiert.
Als Notenbeispiele (6a-f/3) wurden zwei Fantasien aus jeder Sammlung genommen.
22
Notenbeispiel 6a/3
Notenbeispiel 6b/3
Notenbeispiel 6c/3
23
Notenbeispiel 6d/3
Notenbeispiel 6e/3
24
Notenbeispiel 6f/3
Die dritte Gruppe der Komponisten besteht aus vier Namen: Ferdinand Kauer
(1751-1831), Wolfgang Amadè Mozart (1756-1791), Joseph Haydn (17321809) und Johann Christian Kittel (1732-1809). Die Fantasien von den oben
erwähnten Künstlern sind in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts erschaffen worden. Sie präsentieren den späten und sehr erweiterten Stil der
Fantasie-Form.
Fantesia per Clavicembalo solo C-Dur (wahrscheinlich aus dem Jahr 1785) von
Ferdinand Kauer ist ein sehr interessantes Beispiel, das auf den verschiedenen
Ideen (Themen) aus seinen eigenen Opern des Komponisten basiert (Notenbeispiele 7a-d/3). Es ist ein riesiges Musikstück, das aus 22 verschiedenen Teilen, die in unterschiedlichen Tonarten gehalten sind, besteht. Es fängt mit einem kurzen, improvisierenden Grave (Notenbeispiel 7a/3), dass mit Taktstrichen notiert ist, an. Trotz der Taktstriche, erinnert der Anfang an die freie Fantasie. Der Charakter des ersten Abschnittes ist sehr improvisatorisch. Er macht
einen Eindruck des Extempore-Spiels, als ob der Komponist oder, prägnanter
gesagt, der Spieler seine Finger aufwärmen wollte, oder das Instrument ausprobieren wollte, oder vielleicht seine Inspiration suchte? Dafür repräsentiert der
Rest des Werkes einen sehr klassischen und homophonen Stil des späten 18.
25
Jahrhunderts. Nach dem Grave kommen die kurzen Teile, u.a. Moderato (Notenbeispiel 7a/3), Larghetto, Allegretto, Tempo di Minuetto., die man als streng
komponierte Abschnitte bezeichnen kann. Das ganze Werk (außer Grave) ist
ziemlich genau im Takt komponiert, was darauf hinweist, dass es keine freie
Fantasie (ohne Taktstrichen) sein kann.
Notenbeispiel 7a/3
Notenbeispiel 7b/3
Notenbeispiel 7c/3
26
Notenbeispiel 7d/3
Als nächstes wird eines der repräsentativsten Werke Mozarts beschrieben,
nämlich die Fantasie in c-Moll, KV 475. Sie wurde im Jahre 1785 komponiert.
Die Fantasie besteht aus fünf Teilen (Adagio, Allegro, Andantino, Più Allegro,
Tempo primo; Notenbeispiele 8a-f/3), wobei der letzte Abschnitt eine modulierte
und verkürzte Wiederholung des ersten Teils ist48. Die Tonart des Stückes ist
nicht von Anfang an klar angedeutet (Notenbeispiel 8a/3). Dadurch, dass Mozarts Fantasie reich an Chromatik und viele Modulationen ist, befinden sich alle
Vorzeichen, außer im Andantino in B-Dur (Notenbeispiel 8c/3), direkt neben den
Noten49. Das ganze Stück endet aber mit dem c-Moll Akkord, was neben den
vielen harmonischen Auswanderungen zu einer Äußerung führt, dass das Stück
doch in c-Moll komponiert wurde (Notenbeispiel 8f/3). Aus der formalen Sicht,
ist die Fantasie c-Moll eine rein improvisatorische Schaffung. Sie basiert auf
kurzen Motiven und Phrasen, die zum großen Teil progressiv modulieren (um
48
Der letzte Abschnitt des Stückes sollte als Coda betrachtet werden. Es ist ein bearbeiteter
Inhalt des ersten Teils, der durch verschiedene Modulationen mit Skala-Läufen das Stück in cMoll beendet.
49
Im zweiten Band (Free Papers) des Berichts aus dem Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongress zum Mozartjahr 1991 Baden-Wien (hrsg. Tutzing 1993), befindet sich ein Artikel
„Der Begriff der Fantasie bei Mozart und dessen Beeinflussung durch Sonate, Präludium und
Toccata. Zur Wechselbeziehung zwischen Satztechnik und Gattung in der c-Moll-Fantasie KV
475“ von W. K. Kreyszig. In diesem Artikel wird erwähnt, dass sich im Autograph dieser Fantasie ursprünglich drei b-Vorzeichen in den ersten drei Zeilen befanden, die später ausradiert
wurden.
27
einen Halb- oder Ganzton). Am Ende jedes Abschnitts bleibt die Phrase hängen. Sie endet nicht, führt aber auch nicht weiter. Es macht den Eindruck, als
das Stück in diesem Moment erfunden wurde. Man kann vom Charakter und
Aufbau des Werkes viele Ähnlichkeiten mit späteren Fantasien der Gebrüder
Bach finden.
Es gibt Meinungen, dass diese Fantasie zusammen mit der Sonate c-Moll KV
457 (Notenbeispiel 8g/3) aufgeführt werden sollte. Obwohl Mozart dieses Stück
ein Jahr später als Sonate c-Moll (1784) erschaffen hatte, befinden sich die
beiden Meisterwerke in einem Manuskript50. Das könnte ein guter Grund sein,
die beiden Werke als ein Zyklus zu betrachten. Ein anderer Grund könnte in der
Geschichte der Gattung gefunden werden, da es schon früher ähnliche Beispiele gab, wo eine Fantasie mit Sonate zusammengestellt wurde51. Es stellt sich
nur die Frage, ob es sich in diesem Fall um eine solche Verbindung handelt. Es
gibt keine direkten und eindeutigen Anweisungen von Mozart, dass die Fantasie c-Moll KV 475 als Einleitung zur Sonate c-Moll KV 457 dienen sollte.
Notenbeispiel 8a/3
50
Siehe: William Kinderman, Mozart’s piano music, Oxford 2006, S. 57.
Fantasie, in Verbindung mit Sonate, wurde als Einleitung des Zyklus betrachtet. Es sollte die
gleiche einführende Funktion, wie die anderen Fantasien, die als erster Teil des Zyklus komponiert wurden, haben.
51
28
Notenbeispiel 8b/3
Notenbeispiel 8c/3
Notenbeispiel 8d/3
29
Notenbeispiel 8e/3
Notenbeispiel 8f/3
Notenbeispiel 8g/3
Das nächste Beispiel ist die Fantasie in C-Dur, Hob.VII:4 (1789) von Joseph
Haydn (Notenbeispiel 9a-b/3). Dieses ziemlich große Stück hat eine interessante Form. Es basiert auf einem Motiv (Thema), das durch verschiedene Tonarten
und Bearbeitungen geführt wird (praktisch in einem Teil komponiert). Das Thema ist zwischendurch von kleinen, improvisatorischen „Zwischenspielen“, die
aus gebrochenen Akkorden (Passagien) bestehen, „gestört“. Sehr homophon,
macht diese Fantasie einen Eindruck, als ob es eine Improvisation von einem
Thema mit homophoner Faktur und klassischer Durchführung des Motivs wäre.
Es ist ein Ex-empore-Spiel in klassischem Stil.
30
Notenbeispiel 9a/3
Notenbeispiel 9b/3
Die letzte, in diesem Kapitel betrachtete Fantasie F-Dur stammt von Johann
Christian Kittel (Notenbeispiel 10/3). Das Stück wurde 1789 (oder 1791) komponiert52. Es ist ein fünfteiliges Stück, das mit einem Grave beginnt (mit starkem, punktiertem Rhythmus), danach kommt Allegro moderato, das homophon
komponiert ist, gefolgt von einem Grave mit 2-taktigem Adagio und wieder mit
einem Allegro moderato Abschnitt und kleiner Kadenz abgeschlossen. Obwohl
das Stück streng mit Taktstrichen notiert wurde, kann man, auf ausdrucksvollen
Grave-Abschnitten basierend, feststellen, dass es sich um ein sehr improvisatorisches (vom Charakter) Werk handelt. Die Form dieser Fantasie ist sehr ähnlich den späten Stücken Carl Philipp Emanuel Bachs. Mit vielen tenuti, dynamischen Bezeichnungen (diminuendo, crescendo, piano, pianissimo) und improvisatorischem Charakter, ist dieses Stück ein treffendes Beispiel des reifen Stils
52
Die Handschrift ist zweifach datiert.
31
der Clavier-Fantasie im 18. Jahrhundert. Jedoch vom Umfang kann es nicht mit
den späten Fantasien Emanuel Bachs verglichen werden.
Notenbeispiel 10/3
32
4.
Clavier-Fantasien von Wilhelm Friedemann Bach und
Carl Philipp Emanuel Bach
4.1 Die Genialität der Bach Brüder.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die beiden Bach-Brüder geniale Musiker
waren. Die beiden Söhne Johann Sebastian Bachs waren hochwertige Komponisten und Virtuosen der Tasteninstrumente auf höchstem Niveau. Beide haben
die gleiche oder eine sehr ähnliche musikalische Ausbildung bekommen (Clavier-Büchlein für Wilhelm Friedemann Bach). Sowohl der ältere Wilhelm Friedemann als auch der vier Jahre jüngere Carl Philipp Emanuel studierten Jura.
Am Anfang der musikalischen Karriere hatten auch beide eine feste Anstellung:
der ältere Bruder in Dresden (danach in Halle)53, der Jüngere in Berlin (später
in Hamburg)54. Warum denn wurde Carl Philipp Emanuel Bach als der große
und berühmte Bach im 18. Jahrhundert bezeichnet? Warum, nach Berichten
der Zeitgenossen, war der ältere Bruder als der größte Improvisator Deutschlands (zumindest bis zu seinem 60. Lebensjahr) beschrieben, aber trotzdem
nicht erfolgreich gewesen?55 Waren es die für Wilhelm Friedemann ungünstigen Versuche, eine andere (bessere) Stelle, als Organist und Kapellmeister zu
finden? Oder war es Carl Philipp, der mehr Begabung und Fähigkeiten besaß?
Es gab Berichte über den schwierigen und komplizierten Charakter Friedemanns. Dass er nach dem Tod seines Vaters Johann Sebastian Bachs Noten
verkauft hat, ist allen wohl bekannt. Aber es war keine sorglose Tätigkeit des
ältesten Sohnes. Es wurde berichtet, dass es dem Friedemann sehr am Herzen
lag, dass das Vermögen seines Vaters einen guten Besitzer findet56.
53
Peter Wollny, Art. Wilhelm Friedemann Bach, in: MGG-Personenteil 1 (1999), Sp. 1536.
54
Wagner, Günther und Leisinger, Ulrich: Carl Philipp Emanuel Bach, in: MGG-Personenteil 1
(1999), Sp. 1313-1317.
55
Ulrich Kahmann, Wilhelm Friedemann Bach. Der unterschätzte Sohn, Bielefeld 2010, S. 241.
56
Stefan Giese, Art. „Fehleinschätzung. Zu Wilhelm Friedemann Bachs Biographie“, in: Michael
Heinemann und Jörg Strodthoff, Wilhelm Friedemann Bach. Der streitbare Sohn, Dresden
2005, S. 35-37.
33
Wurde Carl Philipp Emanuel besser aufgenommen, weil er ein großes, theoretisch-praktisches Werk geschrieben hat? 57 Daniel Hensel erwähnt in seinem
Buch über Wilhelm Friedemann Bach, dass der ältere Bruder Emanuels geplant
hatte, eine „Abhandlung vom harmonischen Dreyklang“ zu publizieren 58 . Ein
Traktat Friedmanns wurde leider nie herausgegeben und gilt bis heute als verloren bzw. unauffindbar.
Der Meinung der Autorin dieses Schriftstückes nach, ist nicht der Fakt wichtig,
welcher von den Bach-Brüdern erfolgreicher zu seiner Zeit (oder danach) war.
Um das zu recherchieren, bräuchte man gezielte Forschungen in diesem Bereich. Wichtiger ist, wie die beiden großen Komponisten mit der Fantasie-Form
im späten 18. Jahrhundert umgehen konnten. Die formale und aufführungspraktische Analyse ausgewählter Stücke von Carl Philipp Emanuel und Wilhelm
Friedemann wird im nächsten Unterkapitel vorgestellt.
4.2 Allgemeine Informationen zu den Stücken.
Die Clavier-Fantasien von den zwei berühmtesten Söhnen Johann Sebastian
Bachs sind als bestes Beispiel für die Entwicklung der Gattung von 16. bis zum
18. Jahrhundert zu betrachten. Unterschiedlich in den Formen, mit verschiedenen Charakteristiken, variablem Umfang und überraschender Vielfalt von den
musikalischen Ideen, zählen diese Musikstücke zu den interessantesten Werken für Tasteninstrumente ihrer Zeit.
Die zu seinem Leben ungedruckten Fantasien von Wilhelm Friedemann wurden
nur in Abschriften überliefert. Es gibt keine Autographe, die uns vielleicht mehr
Informationen über die Datierung der Kompositionen, aufführungspraktische
Aspekte oder Authentizität der Stücke geben könnten. Das einzige Stück, das
als datiert überliefert wurde (1770) ist die Fantasie e-Moll F. 2059. Es ist unentschieden, ob der Komponist neun oder zehn Fantasien erschaffen hat. Laut
Martin Falck, der die Biographie und das Werkverzeichnis von Wilhelm Frie-
57
Es handelt sich um den „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ (1753/1762).
Daniel Hensel, Wilhelm Friedemann Bach. Epigone oder Originalgenie, verquere Erscheinung oder großer Komponist?, Stuttgart 2011, S. 250.
59
F. steht für Falck Werkverzeichnis.
58
34
demann geschrieben und zusammengestellt hat, gab es zehn Fantasien60. Das
zehnte Werk sollte eine G-Dur Fantasie sein. M. Falck schreibt in dem Werkverzeichnis, am Ende seines Buches über Wilhelm Friedemann, die ersten Takte jedes Stückes des Komponisten. Alle Werke sind nach der Gattung, Besetzung und Tonarten katalogisiert. Unter den Fantasien befinden sich auch zwei
zusätzliche Fantasien, eine, nicht sicherer Herkunft, Fantasie G-Dur, mit der
Nummer 22 im Falcks Katalog und, als „unecht“ bezeichnet, laut Falck, von Carl
Philipp Emanuel stammende Fantasie B-Dur61.
Im Vorwort zu der modernen Notenausgabe von den Fantasien Wilhelm Friedmanns, wurde von Peter Schleunig darauf hingewiesen, dass die ersten zwei
Stücke (C-Dur F. 14/D-Dur F. 17) wahrscheinlich aus der Dresden-Periode
(1733-1746) kommen. Das nächste Stück, das in der Schott Ausgabe mit der
Nummer 3 steht (d-Moll F. 18), sollte zu einer späteren Zeit komponiert worden
sein. Wegen dem Entstehungsdatum der nächsten vier Fantasien (a-Moll F. 23
/ e-Moll F. 20 / d-Moll F. 19 / e-Moll F. 21), vermutet Autor des Aufsatzes, dass
sie aus der Zeit, als Wilhelm Friedemann in Halle gelebt hat und wahrscheinlich
aus noch späterer Zeit, stammten. Darauf könnte auch der einzige datierte Abschrift von e-Moll (F. 20) Fantasie hinweisen. Die letzten zwei, aus dieser
Sammlung stammende Werke Bachs (c-Moll F. 15 / c-Moll F. 16) wurden, mit
großer Wahrscheinlichkeit, in den letzten Jahren seines Lebens komponiert62.
Von dem anderen Sohn Johann Sebastian Bachs wurden mehrere Fantasien
überliefert. In seinem Verzeichniß des musikalischen Nachlasses63, erwähnt der
Komponist selbst 13 Fantasien, wobei es nicht ganz klar ist, ob er nicht zweimal
die gleichen Klavierstücke, die in verschiedenen Notenausgaben gedruckt wurden, meinte: „No. 117, B. 1759, besteht aus 3 Fantasien und 3 Solfegien, und
ist gedruckt in Clavierstücke verschiedener Art“…“No. 160, P. 1766, besteht
60
Siehe: Martin Falck, Wilhelm Friedemann Bach. Sein Leben und seine Werke, Nachdruck der
Ausgabe Leipzig 1913, Hildesheim/New York, 1977, S. 85.
61
Siehe: Martin Falck, Wilhelm Friedemann Bach. Sein Leben und seine Werke, Nachdruck der
Ausgabe Leipzig 1913, Hildesheim/New York, 1977, IV. Thematisches Verzeichnis der Kompositionen Wilhelm Friedemann Bachs, S. 4-5.
62
Es gibt nicht genug Noten-, und Textquellen, die ausführlich die in dieser Arbeit beschriebenen Musikstücke Wilhelm Friedemann Bachs behandeln können.
63
Siehe: Autobiographie und Verzeichniß des musikalischen Nachlasses von Carl Philipp
Emanuel Bach = Faksimiles of Early Biographies, Vol.4, Buren, 1991.
35
aus 3 Fantasien und 2 Solfeggien, welche im Musikalischen Vielerley gedruckt
sind“64. Mit Sicherheit nachweisbar sind heutzutage 19 Fantasien65: Es-Dur Wq
58/6 und A-Dur Wq 58/7 aus der vierten Sammlung - Clavier-Sonaten und freye
Fantasien nebst einigen Rondos fürs Fortepiano für Kenner und Liebhaber
(1783), F-Dur Wq 59/5 und C-Dur Wq 59/6 aus der fünften Sammlung - ClavierSonaten…(1785), B-Dur Wq 61/3 und C-Dur Wq 61/6 aus der sechsten Sammlung - Clavier-Sonaten…(1787), c-Moll Wq 63 (1753/1762, in Exempel nebst
achtzehn Probe-Stücken in Sechs Sonaten, als letzter Satz der sechsten Sonate)66, Fantasia fis-Moll Wq 67 (1788), auch bekannt unter dem Titel: Carl Philipp
Emanuel Bachs Empfindungen67, Fantasien aus der Sammlung Clavierstücke
verschiedener Art (1765): D-Dur Wq 112/2, B-Dur Wq 112/8, F-Dur Wq 112/15,
2 Fantasien d-Moll Wq 113/3 und Wq 114/7 aus der ersten und zweiten Sammlung Kurze und leichte Clavierstücke (1766/1768), Es-Dur H 34868 (1748), GDur Wq 117/11, d-Moll Wq 117/12, g-Moll Wq 117/1369 und D-Dur Wq 117/14
(1762) aus dem zweiten Teil des Versuchs (zuerst als Bassnoten mit Bezifferung vorgestellt, danach als ein Beispiel der Realisierung)70. Es existiert noch
ein Stück, erster Satz aus der Suite B-Dur H 370, das Fantasia genannt wurde,
aber die Autorschaft Emanuels ist noch nicht bestätigt.
4.2 Analysen der Stücke aus der Sicht der historisch informierten Aufführungspraxis.
Die Fantasien von Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel sind, der
Meinung der Autorin nach, die adäquatesten Stücke, die Ergebnisse der Ent64
Ebenda, S. 16, 21.
Vgl.: Carl Philipp Emanuel Bach, The Complete Works, (Series I, Volume 3. / 4.2 / 8.1 / 8.2),
hrsg. v. Peter Wollny, Altos, California, 2005/2009.
66
Siehe: Carl Philipp Emanuel Bach, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen mit
Exempeln und achtzehn Probe-Stücken in sechs Sonaten, 1./2. Teil, Faksimile Nachdruck der
1. Auflage, Berlin 1753/1762, Leipzig 1958; das Notenmaterial wurde zusätzlich herausgegeben.
67
Aus diesem Stück wurde vom Komponist selbst eine Bearbeitung für Geige und Cembalo
gefertigt (Wq 80). Dieses Stück steht unter der Bezeichnung Carl Philipp Emanuel Bachs Empfindungen.
68
Es existieren zwei Verzeichnisse, in denen die Werken von Emanuel Bach katalogisiert wurden; eines von Alfred Wotquenne aus dem Jahr 1906 (als Wq bezeichnet), das andere wurde
1989 von Eugene Helm erstellt (als H. gekennzeichnet).
69
Es gibt leider keine genauen Angaben zu Datierung der drei Fantasien Wq 117/11/12/13.
70
Siehe: Bach, Versuch, 2 Teil, S. 341 und 343.
65
36
wicklung der Fantasie-Form bis zum Ende des 18. Jahrhunderts darzustellen.
Nach vielen, sehr langen und genauen Überlegungen, welche Werke in dieser
Arbeit detailliert beschrieben und analysiert werden sollten, wurde eine ziemlich
enge Auswahl getroffen. Die folgenden Stücke wurden ausgesucht und, als für
die Forschung geeignet, bezeichnet: 5 Fantasien von Wilhelm Friedemann (aMoll F. 23, d-Moll F. 19, e-Moll F. 21, c-Moll F. 15, c-Moll F. 16) und 7 Fantasien
von Carl Philipp (Es-Dur und A-Dur Wq 58/6/7, F-Dur und C-Dur Wq 59/5/6, BDur und C-Dur Wq 61/3/6 und fis-Moll Wq 67).
a) Die Form
Die Erforschung der Fantasie-Form ist sehr kompliziert. Die Möglichkeit, solche
Stücke aus verschiedenen Seiten zu analysieren, macht den ganzen Prozess
auf keinen Fall leichter. Es ergibt sich die Gelegenheit, die Fantasien der Bach
Brüder zuerst aus formalem Sicht zu sortieren. Es sind zwei Gruppen: die Stücke, die mit der freien (ohne Taktstriche, oder im „freien“ Charakter) Einleitung
beginnen und die Stücke, deren Anfang im „strengen“ Takt gehalten wird.
Zu der ersten Gruppe gehören zwei Fantasien von Friedemann (a-Moll F. 23
und e-Moll F. 21) und fünf von Emanuel (Es-Dur Wq 58/6, A-Dur Wq 58/7, FDur Wq 59/5 C-Dur Wq 59/6und B-Dur Wq 61/3).
Das erste Stück (F. 23) hat eine sehr kurze, aus Sprüngen und Läufen bestehende Einleitung (Notenbeispiel 1/4). Improvisatorische Art, mehrere Teile
(Adagio und Allegro abwechselnd), die im Tempo und Charakter unterschiedlich
sind und, was noch wichtiger ist, Taktlosigkeit in der ersten Hälfte des Stückes,
weisen auf die „freie“ Form hin. Nur in vorletztem und letztem Abschnitt, (molto
Adagio, Prestissimo), gibt es regelmässige Taktstriche (Notenbeispiel 2/4 und
3/4).
37
Notenbeispiel 1/4
Notenbeispiel 2/4
Notenbeispiel 3/4
38
Ein zweites Stück (F. 21) von Friedemann Bach fängt auch mit der „ungebundenen“ und improvisatorischen Einführung (trotz ein paar Taktstrichen in den
ersten Takten) an. Es fängt mit dem längeren Furioso (am Anfang, beide Hände
unisono in Oktaven, dann sehr schnelle Läufe, die abwechselnd kommen) an,
das zu einem 9-taktigem Rezitativ führt (Notenbeispiel 4/4 und 5/4). Es ist das
erste Mal, dass es ein Rezitativ in den Fantasien von Wilhelm Friedemann gibt.
Es kommt viermal in diesem Stück vor (jedes Mal unterschiedlich in Länge und
wegen Notenmaterial).
Im vorherigen Stück gab es Einleitung, Adagio, Allegro, wieder die gleiche Einleitung, Adagio, Allegro, molto Adagio und Prestissimo. Alle Abschnitte, die sich
wiederholten, hatten den gleichen Notentext, wurden aber in anderen Tonarten
dargestellt. Die Fantasie e-Moll (F. 21) ist viel grösser und viel mehr ausgebaut.
Nach dem ersten Furioso und Recitativ, kommt ein viel längeres Furioso (diesmal in G-Dur), das sehr virtuos und improvisatorisch ist. Die nächsten Abschnitte sind Andantino, Grave, Adagio (1-taktig), Prestissimo (vom Notenmaterial,
sehr der zweiten Hälfte vom zweiten Furioso ähnlich. Es könnte sein, dass der
Komponist „vergessen“ hat, an dieser Stelle, Prestissimo reinzuschreiben), Andantino (in anderen Tonart), wieder Recitativ, Andantino (nur 2-taktig), Recitativ,
Andantino, Recitativ, Andante (es ist eigentlich das Gleiche, wie Andantino) und
wieder Prestissimo, das zu längerem Grave führt, danach 2-taktiges Largo und
am Ende Furioso in Haupttonart, dass eine Brücke mit dem ersten Abschnitt
baut und das Stück als eine Einheit abschließt.
39
Notenbeispiel 4/4
Notenbeispiel 5/4
Wenn es sich um die Stücke von Carl Philipp handelt, alle vier aus der Gruppe
der „freien“ Fantasien, fällt auf, dass sie sehr ähnlich komponiert sind (Wq
58/6/7, Wq 59/5/6). Sie fangen mit längeren, improvisierten Abschnitten an (Notenbeispiele 6-9/4), die eigentlich keine bestimmte Melodie-Linie haben. Meistens sind es zerlegte Akkorde, oder Skalen, die durch verschiedene Tonarten
„spazieren“, manchmal „laufen“. Danach kommen streng komponierte Teile, die
zumeist in Taktstrichen aufgeschrieben sind. Die ersten drei (Es-Dur, A-Dur, FDur) besitzen zwischen vier und sechs Abschnitte (inklusive die, die sich wie40
derholen). Das letzte Stück ist in 12 Teilen komponiert (es wiederholen sich
abwechselnd Andantino, Prestissimo und Allegretto). Obwohl alle, oben genannte Fantasien von Emanuel Bach, auf eine späte und sehr ausgebaute
Form aufweisen, die letzte Fantasie (C-Dur Wq 59/6) gehört zu seinen, schon
sehr komplizierten Werken.
Von den vier, oben beschriebenen, Fantasien Emanuel Bachs, unterscheidet
sich fünfte Fantasie aus der Gruppe der „freien“ Kompositionen. Im ersten Moment, sieht das Stück sehr strikt aus, als ob es eine „gebundene“ Fantasie wäre. Regelmäßig, in Taktstrichen komponiert, mit „quasi“ thematischen Motiven
(Notenbeispiel 10/4), macht es den Eindruck, dass es sich hier um ein rigoros
zusammengesetztes Clavierstück handelt. In Wirklichkeit ist es ein Kompositum, das aus kurzen, kleinen Motiven gebaut ist. Es klingt, wie ein Stück, das
an der Stelle, ex tempore erfunden wurde. Diese Fantasie ist ein gutes Beispiel
für ein „freies“, „ungebundenes“ Musikstück.
Notenbeispiel 6/4
Notenbeispiel 7/4
41
Notenbeispiel 8/4
Notenbeispiel 9/4
Zu der zweiten Gruppe der Stücke mit dem „strengen“ Anfang, gehören insgesamt 5 Fantasien. Im Falck Katalog mit Nummern 19, 15 und 16 bezeichnete
Stücke von Wilhelm Friedemann (eine d-Moll, und zwei c-Moll Fantasien) und
von Alfred Wotquenne nummerierte Fantasien Emanuels, C-Dur und fis-Moll
(61/6; 67).
Schon das erste Stück dieser Gruppe zeigt eine sehr interessante Form. Es
fängt mit regelmäßigem Allegro di molto an, das in Abwechslung mit Grave vorkommt (Notenbeispiel 11/4). Überraschenderweise befindet sich in der Mitte
eine dreistimmige, sehr rigorose Fuga, die zweimal in dem Stück erscheint (No-
42
tenbeispiel 12/4). Ähnlich, wie bei den anderen Fantasien, endet das Stück mit
dem gleichen Teil, mit dem es angefangen hat71 (manchmal mit kleinen Veränderungen). Wegen der Form ist es ein gutes Beispiel für eine Art von „gebundenen“ Fantasien (im Sinne, dass sie keine, oder nur wenige Teile, die improvisatorischen Charakter zeigen, besitzt).
Notenbeispiel 11/4
Notenbeispiel 12/4
71
Vergleichbar mit Fantasien: e-Moll F. 21, Es-Dur Wq 58/6, A-Dur Wq 58/7, C-Dur Wq 59/6,
B-Dur Wq 61/3.
43
Die nächste Fantasie von Friedemann Bach, c-Moll F. 15, fängt mit ganz kurzem Grave (auch im strengen Charakter) an, als Einführung zu Vivace (Notenbeispiel 13/4), das in imitierender Art komponiert wurde. Die Struktur des ganzen Stückes ist auch sehr rigoros erschaffen, ohne Ausnahme ist es in Taktstrichen notiert. Der einzige Teil, der marginal freier sein könnte, ist die ArpeggioStelle, die zweimal in diesem Stück vorkommt (Notenbeispiel 14/4). Wenn es
um den Umfang der Fantasie c-Moll F. 15 geht, gehört dieses Stück zu den
größten und wichtigsten Werken von Wilhelm Friedemann. Es befinden sich 16
Abschnitte auf insgesamt 424 Takten. Zwischen den Grave und Vivace Stellen
kann man ein sehr schönes Andantino und Cantabile, die sehr ausgebaut sind,
finden.
Notenbeispiel 13/4
44
Notenbeispiel 14/4
Das dritte Werk aus der strengen Gruppe von „gebundenen“ Fantasien hat im
Katalog Falcks Nummer 16. Es ist der anderen c-Moll Fantasie sehr ähnlich. Es
besitzt ein schönes Cantabile und Moderato, aber auch Vivace und Grave sind
dort zu finden. Die Abschnitte dieser Fantasie sind meistens (außer Arpeggio)
strikt und nachahmend komponiert.
Die zwei letzten Clavierstücke der zweiten Gruppe kamen von Carl Philipp
Emanuel Bach. Fantasia C-Dur Wq 61/6 und Fantasia fis-Moll Wq 67. Es sind
zwei, sehr unterschiedliche Stücke in ihrer Form. Das erste Stück ist hauptsächlich auf einem Thema (Motiv) basiert (Notenbeispiel 15/4), das nur zweimal von
einem Andante und Larghetto sostenuto gestört wurde (Notenbeispiel 16/4).
Diese Fantasie gehört zu den strengst komponierten Stücken der Art, die von
Emanuel stammten. Es weist eigentlich sehr auf Stil Galant hin, in seiner klaren
Form, in verständlichem Bild, mit kantablerer Phrase und einfacher Melodie.
Eine überraschende Erschaffung Emanuels, wenn man sie mit den anderen,
viel mehr komplizierten Stücken des Komponisten vergleichen will.
45
Notenbeispiel 15/4
Notenbeispiel 16/4
Die Fantasie fis-Moll Wq 67 ist, nach Meinung der Autorin, das höchste Schaffen von Carl Philipp auf dem Fantasie-Gebiet. Der Anfang (Adagio), den der
Komponist nur in ersten zwei Takten mit Taktstrichen aufzeichnete, trotz weiteren Taktlosigkeit, vom Aufbau der Struktur ausgehend, gehört dieses Werk zu
46
den rigorosen Abschnitten (Notenbeispiel 17/4). Es bedeutet aber nicht, dass
das Stück nicht als „freie“ Fantasie betrachtet sein sollte. Aus 10 Teilen gebaut,
zwischen Adagio, Allegretto und Largo abwechselnd, zeigt sich dieses, im Todesjahr Emanuels komponiertes Stück, als vielfaltige, sehr reife und komplizierte Komposition. Wie es schon früher erwähnt wurde, ist die Fantasie fis-Moll
eines der besten Werke von Carl Philipp Emanuel Bach. Die Abschnitte, wie
Allegretto (Notenbeispiel 18/4), besitzen freien, improvisatorischen Charakter.
Allgemein ist dieses Stück homophon komponiert, ohne imitierenden Abschnitten, oder Stellen.
Notenbeispiel 17/4
Adagio
Notenbeispiel 18/4
47
b) Aufführungspraktische Hinweise
Zum Charakter des Stückes
Wie es am besten ist, die Arbeit mit dem Musikstück anzufangen, wird im folgenden Kapitel zu erklären versucht. Es kommen immer die gleichen Probleme
auf, die richtigen Tempi, den passenden Charakter und die adäquaten Verzierungen zu finden. Wie sollte man mit der Interpretation des Stückes umgehen,
ob es mehr oder weniger dem Spieler überlassen sein sollte? Diese und die
vielen anderen Fragen stellt sich jeder Musiker, der seine künstlerische Arbeit
auf ein hohes Niveau stellen will.
Es gibt genug Quellen und Traktaten aus dem 18. Jahrhundert, wie die Lexika,
Enzyklopädien, allgemeine theoretisch-praktische Anweisungen oder mehr
spezifische, von bestimmten Instrumenten betrachtende Versuche oder Schulen. Für die Analyse, die in dieser Arbeit erschaffen wird, wurden nur diese
Traktaten und Quellen ausgewählt, die meistens ausführlich über die Probleme
der Aufführung von Clavier-Fantasien berichten.
Wenn es um den Charakter des Stückes geht, sollte man zuerst die, in den Noten stehenden, Anweisungen des Komponisten betrachten. Die Fantasien von
den beiden Brüdern bestehen aus, manchmal kurzen oder längeren, verschiedenen Abschnitten, von denen jeder seinen eigenen Charakter besitzt (meistens wiederholen sie sich im Lauf jedes Stückes). Die Bezeichnungen, die in
ausgewählten Fantasien vorkommen, sind folgende:
Grave, Adagio, poco Adagio, Largo, Larghetto, Larghetto sostenuto, Andante,
Andantino, Moderato, Allegretto, Allegro, Allegro di molto, Vivace, Presto, Presto di molto, Prestissimo, aber auch Cantabile, Furioso und die, in Fantasie dMoll F. 19 Friedemann Bachs, vorkommende Fuga.
Laut Autorin ist es wichtig, in verschiedenen Quellen zu recherchieren. Es ist
entscheidend für die Interpretation (egal, ob es sich um Charakter oder Tempi
etc. handelt) aus mehreren Blickwinkeln ans Ziel zu kommen. Um die passenden Quellen zu finden, sollte man zuerst an die Datierung der Stücke denken
(wichtig ist, dass die Traktate mindestens in der gleichen Hälfte des betroffenen
Jahrhunderts entstanden sind). Es handelt sich in dem Fall um die zweite Hälfte
des 18. Jahrhunderts. Es existieren viele Lehrbücher zu dieser Zeit, aber die
48
Auswahl, die zum Zweck dieser Analyse getroffen wurde, ist mit Absicht auf die
Instrumental- (meist Klavierschulen) und Kompositionsschulen reduziert.
Bei allen Quellen befinden sich die ähnlichen Beschreibungen von der Art, das
Allegro und Adagio zu spielen. Es ist natürlich nicht immer sofort klar, was für
einen Inhalt der Komponist in seinem Musikstück reingebracht hat und was er
mit Allegro oder Vivace in Wirklichkeit versteht. Wichtig ist, dass das Stück nicht
nur nach der Bezeichnung jedes Abschnittes interpretiert wird. Der Spieler
muss einen Überblick über das Werk haben und merken, ob doch mehr, als nur
Tempo oder Satzbenennung hinter dem Namen steht.
Quantz gibt die folgende Beschreibung:
„Das Wort: Allegro … hat einen … weitläuftigen Begriff: und werden in dieser
Bedeutung vielerley Arten von geschwinden Stücken, als: Allegro, Allegro
assai, Allegro di molto, Allegro non presto,...,Vivace, Allegretto, Presto, Prestissimo, u. d. gl. verstanden“72.
Quantz erklärt, dass es sich um alle lebhaften und geschwinden Stücke handelt, deren charakteristischen Merkmale Munterkeit und Lebhaftigkeit sind. Die
Passagen im Allegro (Quantz meint, wie schon vorher erwähnt, alle Arten von
Allegro) müssen seiner Meinung nach, „rund, proper, lebhaft, artikuliret, und
deutlich gespielet werden.“ Man sollte nicht eilen (vor allem nicht bei den langsamen Noten), aber auch nicht zögern und auf die Geltung aller Noten sorgfältig achten. Eine sehr wichtige Bemerkung befindet sich in § 8 dieses Hauptstückes: „Man muss das Allegro nicht geschwinder spielen wollen, als man die
Passagien, in einerley Geschwindigkeit, zu machen im Stande ist: damit man
nicht … einige Passagien“, die schwieriger als die anderen sind, „langsamer zu
spielen“ muss. Quantz empfiehlt, das Tempo nach den schwierigen Stellen im
Stück auszumachen.
Diese sehr ausführliche Erklärung, wie man die Allegro-Stücke aufführen sollte,
betrachtet auch weiter die Stimmung (als Laune) des Stückes. Im Paragraph 24
schreibt Quantz, dass „das Lustige“ durch kurze Noten, meistens Achtel oder
72
Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin
1752, Faksimile-Nachdruck, Wiesbaden 1988, XII. Hauptstück, § 1, S. 111.
49
Sechszehntel, gezeichnet wird. „Das Prächtige“ zeigt sich normalerweise in
langen, aber auch punktierten Noten (sie sollten überpunktiert werden) und
„das Freche“ in Noten, wo nach der zweiten oder dritten ein Punkt steht. Es gibt
noch „das Schmeichelnde“, das von Quantz, als stufenweise auf-, oder absteigende, schleifende und synkopierte Noten beschrieben sind.
Über das Adagio, schreibt der Autor folgendes:
„Das Adagio machet gemeiniglich den bloßen Liebhaber der Musik das wenigste Vergnügen, und sind sowohl die meisten Liebhaber, als auch oft gar die Ausführer der Musik selbst, wofern es ihnen an der gehörigen Empfindung und Einsicht fehlet, froh, wenn das Adagio in einem Stücke zu Ende ist. Ein wahrer Musikus aber kann sich im Adagio sehr hervor Thun, und Kennern seine Wissenschaft zeigen“73.
Diese kurzen Sätze weisen auf die Wichtigkeit des Adagios und auf die Schwierigkeiten, die eine richtige Aufführung mit sich bringt, auf. Quantz unterscheidet
das traurige Adagio (zu dem die folgenden Arten der Stücken gehören:
Cantabile, Arioso, Affetuoso, Andante, Andantino, Largo, Larghetto, etc.) vom
pathetischen. In den nächsten Paragraphen seines Versuchs gibt der Autor eine sehr ausführliche Beschreibung jeder Art des Adagios. Für diese Analyse
werden nur einige von überlieferten Schilderungen gebraucht, und zwar:
„Ist das Adagio sehr traurig gesetzet, wobey gemeiniglich die Worte: Adagio di
molto oder Lento assai stehen, so muß solches im Spielen, mehr mit schleifenden Noten, als mit weitläuftigen Sprüngen oder Trillern ausgezieret werden.“74
Er schreibt aber, dass man nicht alle Triller vermeiden sollte, nur nicht zu viel,
dass der Charakter sich dadurch nicht zu viel ändert (es sollte nicht zu fröhlich
sein).
73
74
Ebenda, XIV. Hauptstück, § 1, S. 136.
Ebenda, § 8, S. 139.
50
„Ein Grave, da der Gesang aus punktirten Noten75 besteht, muss etwas erhaben und lebhaft gespielet, auch bisweilen, mit, durch die Harmonie gebrochenen, Passagien, ausgezieret werden“76.
Wegen Cantabile, oder Arioso, notiert der Autor des Versuches, dass es so
ausgeführt sein sollte, dass die Oberstimme die Freiheit, Manieren zu machen,
durch die taktweise bleibende Bassstimme, bekommen sollte. Ähnlich schaut es
bei dem Andante und Larghetto im dreier Takt. Wenn die Bassstimme taktweise
und in kleineren Notenwerten, als obere Stimme aufführt, kann die MelodieStimme viel ernsthafter und mit mehreren Manieren, als in Arioso betrachtet
werden77.
Zu gleicher Zeit, als der Versuch von Quantz entstand, gab es ein sehr interessantes Lehrwerk von Friedrich Wilhelm Marpurg, Anleitung zum Clavierspielen
der schönern Ausübung der heutigen Zeitgemäß verworfen (1755). Und auch
wie bei Quantz, findet man in diesem Traktat sehr gründliche Erwähnungen
über verschiedene Arten von Adagio und Allegro. Von Marpurg erfahren wir,
dass Adagio, Largo und Lento langsam sind, dass Adagio assai, und Adagio di
molto ein sehr langsames Tempo besitzen. Larghetto, Andantino, Andante sollten nicht zu langsam, sondern mäßig langsam aufgeführt werden.
„Unter diese Bewegungen gehört alles Traurige, Klagende, Betrübte, ingleichen
Sittsame, Bescheidene …“
Presto/Prestissimo und Allegro di molto, sollten sehr geschwind, oder sehr bewegt sein. Dafür Allegro und Vivace, langsamer als die vorherigen, also nur geschwind oder bewegt. Wenn es sich um Allegretto und Moderato handelt, sie
sollten nicht zu geschwind und weniger bewegt sein, am besten mäßig geschwind78.
75
Quantz empfiehlt die punktierten Noten ein wenig stärker zu spielen.
Ebenda, § 17, S. 142.
77
In den Fantasien von Wilhelm Friedemann und Carl Philipp kommt nur einmal ein Larghetto
(sostenuto) vor und dieses ist im 2/4-Takt gehalten.
78
Siehe: Friedrich Wilhelm Marpurg, Anleitung zum Clavierspielen der schönern Ausübung der
heutigen Zeitgemäß entworfen, Berlin 1755, I. Hauptstück, V. Abschnitt, von dem Tact, S. 16, §
2.
76
51
„Unter diese Bewegungen gehört alles Lustige, Freudige, Fröhliche, Vergnügte,
ingleichen Freche, Trotzige, Verwegne, u.s.w.“
„Mit diesen die Bewegungen eigentlich anzeigenden Wörtern pfleget man öfters
noch eine, den Charakter, oder den Affekt des Stückes u. bezeichnende Partikel zu verbinden …“79 Cantabile soll wie arioso80 sein und Grave besitzt einen
ernsthaften Charakter. Es folgen noch viele interessante Informationen, wegen
der musikalischen Grundlagen, die Marpurg sehr detailliert betrachtet, aber
nicht alle werden für die Analyse der Fantasien gebraucht81.
„Man ist immer am besten daran, wenn man aus der Quelle schöpfen kann“82.
Dieses Zitat von William S. Newman befindet sich im Vorwort zur Neuausgabe
der Autobiographie Carl Philipp Emanuel Bachs. Dem Gedanke folgend, sollte
man genau zur Quelle gehen, die Informationen und Anweisungen aus der ersten Hand zu bekommen. Wenn es sich um Fantasien von Carl Philipp (und
auch von seinem Bruder) handelt, gibt es nichts Besseres als seinen Versuch
über die wahre Art das Clavier zu spielen aus dem Jahre 1753/1762. Im dritten
Hauptstück des ersten Bandes, befindet sich ein Artikel Vom Vortrage. Dort gibt
es, in den Paragraphen 5 und 10, Beschreibungen über die Art des Allegro und
Adagio:
„Die Lebhaftigkeit des Allegro wird gemeiniglich in gestossenen Noten und das
Zärtliche des Adagio in getragenen und geschleiften Noten vorgestellet. Man
hat also beym Vortrage darauf zu sehen, dass diese Art und Eigenschaft des
Allegro und Adagio in Obacht genommen werde, wenn auch dieses bey den
Stücken nicht angedeutet ist…“.
„Der Grad der Bewegung läßt sich so wohl nach dem Inhalte des Stückes überhaupt, den man durch gewisse bekannte italiänische Kunstwörter anzuzeigen
79
Ebenda, S. 17, § 3.
Arioso bedeutet sangbar.
81
Die Autorin empfiehlt aber den Lesern die weitere Lektüre dieses Buches.
82
Siehe: Autobiographie und Verzeichniß des musikalischen Nachlasses von Carl Philipp Emanuel Bach, Faksimiles of Early Biographies, Vol.4, Buren 1991.
80
52
pflegt, als besonders aus den geschwindesten Noten und Figuren darinnen beurtheilen. Bey dieser Untersuchung wird man sich in den Stand setzen, weder
in Allegro übereilend, noch im Adagio zu schläfrig zu werden“.
Es ist zwar eine nicht so detaillierte und ausführliche Erklärung der Arten von
Adagio und Allegro (und deren verschiedenen Schilderungen), wie es bei den
anderen Komponisten und Theoretikern war, genügt aber als allgemeine Vorstellung des jeder Art nötigen Charakters. Wahrscheinlich dachte er, dass es
schon genug Traktaten und Quellen gab, die sehr genau diese Aspekte der
Musik behandelten. Dazu gehört die nächste Quelle, aus der es nützliche Informationen zum Ausbringen gibt. Es handelt sich um die Clavierschule oder
Anweisung zum Clavierspielen für Lehrer und Lernende (1789) von Daniel Gottlob Türk. Wie Quantz gibt auch Türk sehr ausführliche Informationen zu der
Bewegung83 in den Musikstücken. Es handelt sich um den Ausdruck „der verschiedenen Leidenschaften und Empfindungen, nach allen ihren Modifikationen, unter andern vorzüglich die geschwindere oder langsamere Bewegung viel
beyträgt, so hat man auch mehrere Grade derselben angenommen, und zu deren Bestimmung verschiedene größtentheils italiänische Worte gewählt“84. Türk
beschreibt sehr genau alle, zu seiner Zeit, vorhandenen Bezeichnungen85.
„Presto, geschwind; Allegro, hurtig, d. h. nicht ganz so geschwind als Presto;…Vivace, lebhaft;…Moderato, mäßig;…Andante, eigentlich gehend, schrittmäßig…Grave, ernsthaft, folglich mehr oder weniger langsam; Adagio, langsam; Lento, desgleichen, doch nicht immer ganz so langsam, als Adagio; Largo, eigentlich weit, geräumig, gedehnt, folglich langsam;“ ……“ Prestissimo,
sehr, äußerst geschwind, am allergeschwindesten;“….“ Allegretto, weniger hur-
83
Zu der Bewegung in der Musik gehören, laut Türk, das Zeitmaß, das Tempo, Mouvement und
die Mensur.
84
Daniel Gottlob Türk, Clavierschule oder Anweisung zum Clavierspielen für Lehrer und Lernende, Leipzig und Halle1789, Faksimile-Nachdruck, Kassel 1997, S. 108, § 69.
85
In dieser Arbeit, wie es schon früher erwähnt wurde, werden nur die Benennungen zitiert, die
in Clavier-Fantasien von Friedemann und Emanuel auftreten.
53
tig;…Andantino, ein wenig, folglich nicht stark gehend, d. h. etwas langsamer,
als Andante;“….“Cantabile, singend;“….“Furioso, wüthend;“86.
Im fünften Abschnitt des ersten Kapitels beschreibt Türk noch viele andere musikalische Ausdrücke, zwischen denen auch Tenuto (gehalten, ausgehalten)
vorkommt. Dieser Ausdruck wird in der letzten Fantasie (fis-Moll Wq 67) von
Carl Philipp Emanuel Bach erwähnt.
Charakteristik der Tonarten
Die folgenden Fantasien von Wilhelm Friedemann (a-Moll F. 23, d-Moll F. 19, eMoll F. 21, c-Moll F. 15, c-Moll F. 16) und von Carl Philipp (Es-Dur und A-Dur
Wq 58/6/7, F-Dur und C-Dur Wq 59/5/6, B-Dur und C-Dur Wq 61/3/6 und fisMoll Wq 67) wurden zu der Analyse gewählt. Es ergeben sich zehn verschiedene Tonarten, die auch unterschiedlichen Charakter, laut verschiedenen Quellen, besitzen sollten.
Wenn man viele Informationen über die Charakteristik der Tonarten finden will,
ist es am besten zu dem Werk „Das neu eröffnete Orchestre“ (1713) von Johann Mattheson zu greifen. Der Autor stellt in sehr detaillierten Beschreibungen
die allgemeinen Unterschiede zwischen Moll- und Dur-Tonarten vor, aber auch
innerhalb dieser. Zu C-Dur schreibt er: „hat eine ziemliche rude und freche Eigenschafft, wird aber zu Rejouissancen, und wo man sonst der Freude ihren
Lauff läst, nicht ungeschickt sein“… Man kann es zu „gar was charmantes …
und füglich auch in tendren Fällen anbringen“87. Die nächste Tonart ist c-Moll,
auch sie wurde von Mattheson exakt beschrieben: „ist ein überauslieblicher,
dabei auch trister Thon“88, und könnte laut Mattheson auch zu den munteren
Stücken benutzt werden. Die dritte Tonart, die in ausgewählten Fantasien vorkommt, ist d-Moll, die „etwas devotes, ruhiges, dabei auch etwas grosses, angenehmes und zufriedenes enthalte“89. Wenn es um die Tonart Es-Dur geht, hat
86
87
Türk, S. 108, § 70, § 78.
Johann Mattheson, Das Neu=Eröffnete Orchestre“, Hamburg 1713, Faksimile-Nachdruck,
Hildesheim, Zürich, New York, 1993, S. 240, § 12.
88
Ebenda, S. 244, § 16.
89
Ebenda, S. 236, § 7.
54
sie „viel pathetisches a sich; will mit nichts als ernsthafften und dabey plaintiven
Sachen gerne zu thun haben“90. Der Autor beschreibt sie auch als einen Feind
aller Üppigkeit. Die Tonart e-Moll ist als etwas tiefdenkendes, trauriges und betrübtes, was auch hurtig sein kann, aber nicht im Sinne von lustig91. Als Nächste
kommt die Tonart F-Dur, von der Mattheson folgendes schreibt: „ist capable die
schönsten Sentiments von der Welt zu exprimiren; es sei nun Großmuth,
Standthaftigkeit, Liebe…“92.
Die nächste Tonart ist fis-Moll. Sie wurde, als etwas, das zu einer großen Betrübnis leitend, etwas Misanthropisches und Verliebtes bezeichnet.93
„A-Dur greifft sehr an, ob er gleich brilliret, und ist mehr zu klagenden und traurigen Passionen … geneigt“94. Es bleiben nur noch zwei Tonarten, a-Moll und BDur, zu beschreiben. Die erste ist laut Mattheson zu der Instrumental-, und Klaviermusik sehr geeignet. Ihre Natur sollte was Klagendes und gelassenes haben, wobei es sei nichts Unangenehmes95.
Die letzte, B-Dur Tonart sollte prächtig, unterhaltend, aber dabei modest sein96.
Es gab natürlich auch andere Komponisten, Theoretiker und Künstler, die über
Musik geschrieben haben. Einer der wichtigsten war Johann Joachim Quantz,
von dem es auch eine Beschreibung der Tonarten gibt. Leider nicht so ausführlich wie bei Mattheson. Es sind nur zwei Abschnitte aus dem Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, in XIV. und in XVII. Hauptstück. Die
erste Beschreibung bezieht sich auf die Arten der langsamen Stücke. „Einige
sind sehr langsam und traurig: andere aber etwas lebhafter, und deswegen
mehr gefällig und angenehm. Zu beyden Arten trägt die Tonart … sehr viel bey.
A-Moll, C-Moll, Dis-Dur und F-Moll, drücken den traurigen Affect viel mehr aus,
als andere Moll-töne … Hingegen werden die übrigen Moll- und Durtöne, zu
den gefälligen, singenden, und ariosen Stücken gebrauchet“97.
90
Ebenda, S.249, § 19.
Ebenda, S. 239, § 11.
92
Ebenda, S. 241, § 13.
93
Ebenda, S. 251, § 23.
94
Ebenda, S. 250, § 20.
95
Ebenda, S. 238, § 10.
96
Ebenda, S. 249, § 18.
97
Quantz, Versuch, XIV. Hauptstück, § 6, S. 138.
91
55
Die zweite Beschreibung bezieht sich auf die Streichinstrumente und das Spiel
mit „Dämpfer und Sordinen“:
„Bey einigen Stücken pfleget man Dämpfer oder Sordinen auf die Violine, Bratsche, und, den Violoncell zu setzen: um so wohl den Affect der Liebe, Zärtlichkeit, Schmeicheley, Traurigkeit, auch wohl, wenn der Componist ein Stück darnach einzurichten weis, eine wüthende Gemüthsbewegung, als die Verwegenheit, Raserey und Verzweifelung, desto lebhafter auszudrücken: wozu gewisse
Tonarten, als: E-Moll, C-Moll, F-Moll, Es-Dur, H-Moll, A-Dur, und E-Dur, ein vieles beytragen können“98.
Bei der Analyse des Musikstückes werden nicht nur das Feststellen des Charakters und Übersetzen von fachlichen Ausdrücken nötig. Es braucht natürlich
viel mehr von musikalischer und wissenschaftlicher Kenntnis, das Stück, und
vor allem solche Stücke wie die Klavierfantasien von den Bach-Brüdern, mit der
richtigen Interpretation zum Spielen vorzubereiten. So wie Sorge in seinem
Vorgemacht der musicalischen Composition schreibt:
„Wohlan dann! mein geliebter Clavier-Schüler! der du Lust hast, den GeneralBaß zu studiren, und durch denselben so gleich einen guten Grund in der musicalischen Setz-Kunst zu legen, oder in den Stand zu kommen, so gleich ex
tempore, wann man es von dir fordert, etwas tüchtiges aus dem Kopffe zu spielen, ich muss dir vor allen Dinge sagen, daß das Studium Bassi generalis eben
nicht vor pure Anfänger der weitläuffigen Music gehöre.“99
Es braucht große Kenntnisse in verschiedenen Abschnitten der Musik. Eine der
wichtigsten Sachen bei der Analyse ist die Kunst des Verzierens. Es werden die
zahlreichen Verzierungen, die in den Fantasien von Carl Philipp Emanuel und
Wilhelm Friedemann vorkommen, in einigen Analyse-Stücken ausgesucht und
beschrieben. Die Informationen und Ideen wegen der Möglichkeiten und Lö98
Ebenda, XVII. Hauptstück, § 29, S. 203.
Georg Andreas Sorge, Vorgemach der musicalischen Composition, Lobenstein 1745, Kap. II,
S. 5, § 1.
99
56
sungen der Manieren, werden auf dem Versuch über die wahre Art das Clavier
zu spielen, von Carl Philipp Emanuel Bach basieren. Es gibt keine bessere
Quelle, die uns so viel über die Kunst des Verzierens in Clavier-Stücken, von
oben genannten Komponisten, vermittelt könnte. Die Vielfalt der Beschreibungen und zahlreiche Beispiele aus den Tabellen (aus Versuch…) bereiten die
fertigen Antworte auf viele aufführungspraktische Fragen.
Von den Vorschlägen
Im Paragraph 1 des „bachischen" Versuchs, erläutert der Komponist die nötigsten aller Manieren, die Vorschläge. So schreibt Carl Philipp Emanuel Bach: „Sie
verbessern so wohl die Melodie als auch die Harmonie“100. Es gibt zwei Arten
von Vorschlägen: „Die Vorschläge werden theils andern Noten gleich geschrieben und in den Tackt mit eingetheilt, theils werden sie durch kleine Nötgen besonders angedeutet“101. Wenn es sich um unsere Analyse-Stücke handelt, so
befinden sich in denen meistens die Vorschläge der zweiten Art (also mit kleinen Noten geschrieben), die entweder unterschiedliche Länge haben oder immer kurz ausgeführt werden. Es sollte immer die Vorschlagsnote stärker als die
nach ihr kommende Note sein. Wegen der Geltung des Vorschlages schreibt
Bach folgendes: „Nach der gewöhnlichen Regel … finden wir, daß sie die Hälffte von einer folgenden Note, welche gleiche Theile hat, und bey ungleichen Teilen zwei Drittheile bekommen“102 (Notenbeispiel 19/4, Tab. III, Fig. V a/b).
100
Bach, Versuch, S. 62.
Ebenda, S. 63, § 2.
102
Ebenda, S. 65, § 11.
101
57
Notenbeispiel 19/4
Nachdem alle wichtigsten Punkte über den Vorschlag aufgeschrieben wurden,
sollte man die Beispiele für die wichtigsten Manieren überhaupt (laut Carl Philipp Emanuel Bach) in den Klavierfantasien aussuchen. Zum Exempel in der
Fantasie a-Moll F. 23103. Auf der ersten Note des Adagio (nach der Einleitung),
kommt der Vorschlag (Notenbeispiel 20/4). Weil eine gleichteilige Note nach der
Verzierung kommt, übernimmt sie die Hälfte des folgenden Tones.
Notenbeispiel 20/4
Das nächste sehr interessante Beispiel (Notenbeispiel 21/4) befindet sich in der
Fantasie e-Moll F. 21, im vierten Takt des zweiten Abschnitts (Recitativ, Takt
Nr.10).
Notenbeispiel 21/4
103
Die Bezeichnung F. für Stücke von Wilhelm Friedemann und Wq für Stücke von Carl Philipp
Emanuel Bach vorweisen deutlich genug auf die Autorenschaft der Fantasien. Es wird deswegen nicht jedes Mal wiederholt, von wem die analysierten Stücke stammen.
58
Laut Grundregel sollte die Vorschlagsnote die Hälfte der Länge der folgenden
Note übernehmen. In dem Fall muss man auch auf den Charakter des Abschnittes achten. Im Rezitativ herrschen andere Regeln, es ist nicht regelmäßig
im Tempo und von gleichem Ausdruck. Es ist gleich, wie im Gesang, in Rezitativen wird geachtet, dass der Text und seine Deutung auf dem ersten Platz betrachtet werden. Rezitierender Abschnitt hat einen freien Charakter, deswegen
werden die Vorschläge mehr als Hälfte von nächster Note übernehmen. Im Paragraph 16 der zweiten Abteilung des Versuches (Von den Vorschlägen) ,
schreibt Bach: „… kommen zuweilen Fälle vor, wo der Vorschlag wegen des
Affects länger, als gewöhnlich gehalten wird, und folglich mehr als die Hälffte
von der folgenden Note bekommt … dann und wann muß man aus der Harmonie die Geltung der Vorschläge bestimmen“. Dies bestätigt das Beispiel (22/4)
aus Tabelle IV (aus dem Versuch Bachs).
Notenbeispiel 22/4
Aus demselben Stück kommt noch ein Exempel (23/4), das man sich merken
sollte. Im ersten Takt des ersten Andantino befindet sich eine Vorschlagsnote,
die vor einer Sechszehntel-Triole steht.
Notenbeispiel 23/4.
Wegen der Realisation des Beispiels (24/4) sollte man wieder zu den Tabellen
Bachs schauen. In der Tabelle III, Fig. IX d, finden wir die perfekte Lösung.
59
Notenbeispiel 24/4
Warum sollte man es genauso lösen? Die Antwort ist einfach: Andantino soll
nicht zu schnell gespielt werden, dafür hat man Möglichkeit mehr Affekt einzubringen. Außerdem sollte die Triole ihren Charakter auch nicht verlieren. In Paragraf 22 des Abschnittes über Vorschläge schreibt Bach: „Die Noten nach den
Vorschlägen, ohngeachtet sie von ihrem Wehrte etwas einbüssen, verlieren
doch nicht ihre Manier, wenn eine drüber steht“.
Als Nächstes kommt der Triller, als die zweite Verzierung. In der dritten Abteilung über das Trillern, lesen wir, dass „die Triller beleben den Gesang, und sind
also unentbehrlich. Vor diesem brauchte man sie nicht leichte eher, als nach
einem Vorschlage, oder bey Wiederholung der vorigen Note; im ersten Falle
heißt man sie angeschlossene Triller“104. Bach erwähnt auch, dass die Triller
sowohl bei gehenden, wie bei springenden Noten vorkommen, dass sie oft hintereinander und bei Kadenzen oder langen Haltungen zu sehen sind. Auch über
Fermaten.
Es gibt verschiedene Arten von Trillern: er kann ordentlich sein (Notenbeispiel
25/4), kann auch von unten, von oben kommen. Es gibt auch den Halb-, oder
Prall-Triller.
104
Bach, Versuch, S. 71, § 1.
60
Notenbeispiel 25/4
„Zuweilen werden zwei Nötgen noch zuletzt von unten auf angehängt, welche
der Nachschlag heissen, und den Triller noch lebhafter machen“105. Der Nachschlag wird auch manchmal aufgeschrieben oder durch andere Zeichen angezeigt (unten befinden sich Exempel für alle oben beschriebenen Nachschläge;
Notenbeispiel 26/4).
Notenbeispiel 26/4
In der Fantasie c-Moll F. 15 schon am Anfang findet man den Triller mit Nachschlag, zum Beispiel im zweiten Takt Grave (Notenbeispiel 27/4).
Notenbeispiel 27/4
Der Halb-, oder Prall-Triller ist kürzer und schärfer, als ein normaler Triller und
„… kann nicht anders, als vor einer fallenden Secunde vorkommen“ (Notenbei-
105
Bach, Versuch, S. 72, § 6.
61
spiel 28/4) „man findet ihn über kurzen Noten, oder solchen welche durch einen
Vorschlag kurz werden“ (Notenbeispiel 29/4)106.
Notenbeispiel 28/4
Notenbeispiel 29/4
In der Fantasie C-Dur Wq 59/6 befindet sich ein perfektes Beispiel (30/4) für
einen Prall-Triller, im Takt 36 des Allegretto.
Notenbeispiel 30/4
Von dem Doppelschlage. Vierte Abtheilung.
„Der Doppelschlag ist eine leichte Manier, welche den Gesang zugleich angenehm und glänzend macht.“107(Notenbeispiel 31/4). Diese Manier finden wir in
langsamen und in schnellen Stücken. Er kann allein über einer Note auftreten,
es ist aber auch möglich, dass er neben dem Prall-Triller vorkommt.
106
107
Ebenda, S. 83, § 34.
Ebenda, S. 85, § 1.
62
Notenbeispiel 31/4
Das Zeichen des Doppelschlags ist, laut Carl Philipp Emanuel Bach, außerhalb
der Klaviermusik nicht sehr bekannt. Es sind oft andere Zeichen im Einsatz (Notenbeispiel 32/4).
Notenbeispiel 32/4
„Der Doppelschlag allein kommt auch nach einer Note oder Vorschlag vor, und
zwar restlich, wenn solche etwas lang sind, zweytens, bey einer Bindung, und
drittens, wenn Punckte nachfolgen“108 (Notenbeispiel 33/4)
Notenbeispiel 33/4
108
Ebenda, S. 90, § 21.
63
Es gibt auch einen Doppelschlag von unten, das heißt, dass vor der Note und
dem Zeichen, zwei kleine „Nötgen“ stehen. Eine ausgeschriebene Ausführung
befindet sich in Tabelle V, bei Figur LXXI (Notenbeispiel 34/4).
Notenbeispiel 34/4
Die Beispiele von Doppelschlägen in den Fantasien von den Gebrüdern Bach
sind sehr zahlreich. Unter anderen in der Fantasie F-Dur Wq 59/5 (Notenbeispiel 35/4), in der Fantasie fis-Moll Wq 67 (Notenbeispiel 36/4) und in der Fantasie e-Moll F. 21 (Notenbeispiel 37/4).
Notenbeispiel 35/4
64
Notenbeispiel 36/4
In diesem Stück (fis-Moll) gibt es sehr viele Beispiele für einfache Doppelschläge, für den Doppelschlag mit dem Triller (oder auch mit Prall-Triller), Doppelschlag vor dem großen Sprung und viele andere.
Notenbeispiel 37/4
Im Beispiel 37/4 gibt es ein anderes Zeichen für den Doppelschlag als bei den
zwei Fantasien Carl Philipp Emanuel Bachs. Es ist nirgendwo in Bachs Tabellen zu finden, aber es sollte nicht viel anders ausgeführt werden. Es könnte
sein, dass es sich hier um einen Doppelschlag von unten oder um einen in Verbindung mit einem Mordent handelt. Die Autorin der Arbeit empfiehlt den Doppelschlag von unten zu spielen. Das kooperiert sehr gut mit dem Charakter des
Abschnittes, welches ein Furioso ist. Es ist sehr hilfreich, um den Charakter des
65
Stückes besser zu unterstützen, wenn man die vorherige Note bei dem Doppelschlag von unten (es werden zweimal h1) wiederholt.
Die nächste Abteilung des Versuches von Bach behandelt den Mordent. Carl
Philipp Emanuel Bach beschreibt ihn, sowie alle andere Manieren, sehr ausführlich. Der Leser bekommt eine vollständige Kenntnis im Bereich Verzierungen. Es bezieht sich nicht nur auf die Klaviermusik (im Sinne, Musik für Tasteninstrumente), ganz im Gegenteil. Bach betrachtet die Manieren erweitert und
schenkt dem Leser die nötigen Grundlagen zur weiteren Selbstentwicklung.
„Der Mordent ist eine nöthige Manier, welche die Noten zusammen hängt, ausfüllet und ihnen einen Glanz giebt. Er ist bald lang, bald kurz.“109 (Notenbeispiel
38/4).
Notenbeispiel 38/4
Es gibt noch eine andere Art von Mordenten. Diese sollten sehr kurz aufgeführt
werden (Notenbeispiel 39/4). Die beiden Noten sind gleichzeitig zu spielen, es
wird aber nur die obere Note angehalten. Der kürzere Notenwert muss sofort
nach dem er gespielt wurde aufgehoben werden.
Notenbeispiel 39/4
„Der Mordent nach einem Vorschlage wird nach der Regel des Vortrags der
Vorschläge leise gemacht“110. Er kommt sehr oft in der Bassstimme vor, vor al109
110
Ebenda, S. 80, § 1.
Ebenda, S. 81, § 6.
66
lem über Noten, die aufsteigen, springen, aber auch bei den Kadenzen. (Notenbeispiel 40/4). Bach empfiehlt für das untere Beispiel eine bestimmte Fingersetzung. Er schreibt sie sogar auf. Laut Bach sind Mordent und Prall-Triller
„zwey entgegengesetzte Manieren … .Der letzte kan nur auf eine Art, nehmlich
bey einer fallenden Secunde angebracht werden, wo gar niemahls ein Mordent
statt hat. Das einzige haben sie miteinander gemein, dass sie beyderseits in die
Secunde hineinschleiffen, der Mordent im hinaufsteigen, und der Prall=Triller im
heruntengehen“111
Notenbeispiel 40/4
In den Clavier-Fantasien von Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel
Bach, die für diese Arbeit sorgfältig ausgewählt wurden, findet man nur ein
Stück, in dem das Mordent-Zeichen vorkommt, und zwar in der Fantasie a-Moll
F. 23 (Notenbeispiel 41/4). Schon am Anfang des Stückes im ersten „Takt“ (eigentlich ist der erste Teil ohne Taktstriche komponiert) finden wir den Mordent.
In dem Fall ist er mit der Fermate verbunden (über Fermaten und deren Verzieren wird in Kürze gesprochen).
Notenbeispiel 41/4
Natürlich bedeutet es nicht, dass man auf diese Manier verzichten sollte. Es
bedeutet nur, dass der Spieler selbst (nachdem er schon so viele Kenntnisse in
diesem Bereich besitzt) rausfinden sollte, an welchen Stellen so eine Manier,
111
Ebenda, S. 84, § 14.
67
wie Mordent passen könnte. Die Autorin hat ihre eigene Wahl getroffen. In Fantasie c-Moll F. 15, gibt es einige Fragmente, in denen man sehr erfolgreich
Mordente einführen kann (Notenbeispiele 42/4 und 43/4).
Notenbeispiel 42/4 (Takte 266-269))
Den Mordent kann man, wie im oberen Beispiel, auf der ersten Note im Bass im
Takt 267 (g1) und gleich im Takt 269 (c) platzieren.
Notenbeispiel 43/4 (Takte 301/302)
Auch in diesem Exempel sollte man den Mordent in der Bassstimme aufführen,
und zwar, auf der ersten Note im Takt 302. Die Lösung ist strikt auf die Regeln
Bachs abgestimmt.
Von dem Anschlage
„Wenn man statt einen Ton simpel anzugeben, die vorige Note noch einmahl
wiederhohlet, und alsdann mit einer Secunde von oben in die folgende herunter
geht; oder wenn man statt diese vorhergehende Note zu wiederholen, die Un-
68
tersecunde von der folgenden zuerst anschläget, und darauf mit der Secunde
von oben in dieselbe geht: so nennet man dieses den Anschlag“.112
Diese ein wenig komplizierte und nicht auf den ersten Blick klar erkennbare Beschreibung lässt sich am besten mit einem Notenbeispiel erklären (Notenbeispiel 44/4).
Notenbeispiel 44/4
Die kleinen Noten sollten immer schwächer, leiser und leichter als die Hauptnote sein. Bach gibt auch dafür einen Notenbeispiel (Notenbeispiel 45/4), die ganzen manchmal sehr komplizierten Beschreibungen ein wenig verständlicher für
den Leser zu machen.
Notenbeispiel 45/4
„Ausser diesem Falle kan der Anschlag mit dem Tertien=Sprunge bey allen …
befindlichen Exempeln ebenfalls statt haben. Man findet ihn auch bey einzelnen
Noten zwischen Pausen … und bey der Wiederholung eines Tones vor einer
fallenden Secunde“113 (Notenbeispiele 46/4 und 47/4).
112
113
Ebenda, S. 85, § 1.
Ebenda, S. 86, § 6.
69
Carl Philipp Emanuel Bach erwähnt, dass es oft der Fall ist, dass der Anschlag
(Verzierung) viel natürlicher ist als wenn ein Doppelschlag verwendet wird. Man
benutzt ihn auch in langsamen Tempi, da er viel deutlicher, als Doppelschlag,
die Dissonanzen vermindert.
Notenbeispiel 46/4
Notenbeispiel 47/4
„Bey der Andeutung dieser Manier habe ich mit Fleiß die Art, um sie kennen zu
lernen, beibehalten, vermöge welcher man diese Manier durch einen bloßen
Vorschlag nicht deutlich genug andeutet. Je mehr Affeckt der Gedancke enthält
und je langsamer das Tempo ist, desto länger hält man den Punckt, wie wir unter dieser Figur bey NB. (Notenbeispiel) sehen.“ (Notenbeispiel 48/4).
Notenbeispiel 48/4
In der Fantasie c-Moll F. 15 befinden sich zwei Beispiele für den Anschlag. Erster versteckte sich in Cantabile im Takt 191 (Notenbeispiel 49/4). Weil es ein
langsamer Abschnitt ist, wird auch die Aufführung der Manier dem entsprechend langsamer. Ein zweites Mal kommt der Anschlag im Grave vor. Diesmal
ist es kein einfacher sondern ein doppelter Anschlag (Notenbeispiel 50/4). Aus
70
geführt wird er durch gleichzeitiges Spielen von erster Anschlagsnote und untere Note des Doppelgriffes.
Notenbeispiel 49/4
Notenbeispiel 50/4
Die weiteren Manieren, die Carl Philipp Emanuel Bach in seinem Versuch beschreibt sind Schleiffer und Schneller. Die ersten „kommen ohne und mit einem
Punckte. Ihr Vortrag liegt im Worte angedeutet. Sie machen die Gedancken
fliessend“…“ Die Schleifer ohne Punckte bestehen theils aus zweyen, theils aus
dreyen Nötgen, welche man vor der Haupt-Note anschläget“. (Notenbeispiel
51/4). Schleiffer mit Punkten stellt der Autor dem Leser folgendermaßen vor:
Notenbeispiel 51/4
Wie es im Notenbeispiel zu sehen ist, kommen die Schleiffer immer auf dem
Schlag. Bach erwähnt noch verschiedene Arten von Schleiffern. Je nachdem in
welchem Charakter das Stück gehalten ist ändern sie ihre Geschwindigkeit (Notenbeispiel 52/4).
71
Notenbeispiel 52/4
Bemerkenswert ist, dass manche Schleiffer durch kleine Noten bezeichnet sind
und manche besitzen ein ähnliches oder das gleiche Zeichen wie für einen
Doppelschlag.
Notenbeispiel 53/4
Das obere Beispiel (Notenbeispiel 53/4) stellt die zweite Art von Schleiffern dar.
Es sind die Schleiffer mit den Punkten. Über die Ausführung dieser Manier
schrieb Bach: „Seine Einteilung ist so verschieden als bey keiner andern Manier. Sie wird ebenfalls durch den Affeckt bestimmt. Ich habe deswegen in den
Probe-Stücken bey dieser Maniere eben so wohl, als bey dem Anschlage … die
Andeutung, auch zuweilen die Ausführung so deutlich als es nur möglich gewesen ist, ausgedrückt“.114 (Notenbeispiel 54/4).
Notenbeispiel 54/4
114
Ebenda, S. 110, § 12.
72
Die letzte Manier, die noch zu erwähnen ist, ist der Schneller (Notenbeispiel
55/4). Er ist, laut Beschreibung im Versuch, ein Mordent in der Gegenbewegung, dessen höchsten Ton man schnellt, und die übrigen beyden mit dem
steiffen Finger vorträget““. Der Schneller wird, so wie es dem Namen zu entnehmen ist, immer schnell und durch gestoßene und geschwinde Noten ausgeführt. „Er thut in der Geschwindigkeit die Würkung eines Trillers ohne Nachschlag, und gleichwie der letztere mit dem Nachschlage eine steigende Folge
liebt, so mag der Schneller gerne herunter gehende Noten nach sich haben…“115
Notenbeispiel 55/4
„Er muss sehr geschickt ausgeübt werden, weil er sich sonst nicht gut ausnimmt“.
Bei den ausgewählten Fantasien trifft man leider kein Beispiel für den Schleiffer. In der C-Dur Fantasie Wq 61/6 aus der Sechsten Sammlung für Kenner und
Liebhaber befinden sich zwei Stellen, wo man den Schneller merken kann. Es
sind dies der 4. und der 157.Takt (Notenbeispiel 56/4). Die beiden Stellen sind
gleich, es wird einfach der erste Abschnitt (Presto di molto) am Ende des Stückes wiederholt. Hier ergeben sich keine aufführungspraktischen Probleme.
115
Ebenda, S. 111f, § 3/4.
73
Notenbeispiel 56/4
Es gibt noch immer einige Aspekte, die in dieser Analyse ihren Platz finden sollten. Es handelt sich unter anderen um die Ausführung von Fermaten. Im Allgemeinen ist es sehr wichtig die richtige Art der Fermate zu erkennen. Es ist nicht
immer nur als Pause, als Anhalten des Tons oder der Melodie erkennbar. Ganz
oft kommt es vor, dass die Fermate ein Zeichen für eine Kadenz, für das Verzieren des Tons, über dem sie steht aber auch als Überleitung zu einem anderen Teil oder einem neuen Gedanken steht. Es gibt natürlich bestimmte Regeln,
die dem Spieler helfen können die richtige Antwort zu finden. Man kann in verschiedenen Quellen, in Lehrwerken (wie z. B. Klavierschulen), in allumfassenden Theorie-Traktaten des 18. Jahrhunderts suchen. Die zwei Zitate, die sich
unten befinden, wurden nur ausgesucht um einen allgemeinen Überblick zu
erhalten.
„Wenn über oder unter eine Pause das Zeichen eines halben Bogens, mit einem darunter befindlichen Puncte gesetzet wird: so zeiget solche an, dass man
daselbst nach Gefallen etwas anhalten kann“116
„Fermata ist eine Haltung, oder Ruhezeichen … Ist der Fall in einer Concertstimme, so hat der Concertist die Freiheit, eine beliebige und willkürliche Aus116
Marpurg, Anleitung, S. 26.
74
führung, darüber zu machen, als einen Triller; einige dahin passende Noten,
oder Gänge“117
Bei so einem eng beschränkten Thema, wo es sich hauptsächlich um bestimmte, sorgfältig zusammengeführte Musikstücke von konkreten Komponisten handelt, ist es empfehlenswert, wo es möglich ist, auf die Hauptquelle zurück zu
greifen. Wenn man Glück hat und der eine oder andere ausgewählte Komponist
nicht nur sein Musikschaffen den zukünftigen Darstellern überlassen hat, sondern auch die Musikschriften oder die großen Lehrwerke (wie es bei Carl Philipp Emanuel Bach der Fall ist), dann kann man sich sehr gründlich und mit
konkreten Anweisungen des Komponisten, mit den jeweiligen Werken beschäftigen.
Leider wurden keine Schriften und keine Traktate von Wilhelm Friedemann
Bach überliefert. Wer mehr über die aufführungspraktische Seite seiner Musik
erfahren will, sollte entweder nur mit dem Notentext arbeiten oder aus den anderen historischen Quellen schöpfen. Zu den adäquatesten Quellen gehört mit
Sicherheit der Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen von Carl Philipp Emanuel Bach. Er ist im Jahre 1753 (2. Teil 1762) entstanden und beschreibt sehr exakt alle Aspekte der Aufführungspraxis in der zweiten Hälfte 18.
Jahrhunderts. Zum konkreten Thema, welches über die Fermaten handelt, befinden sich sehr genaue und detaillierte Beschreibungen in diesem Werk.
Carl Philipp schreibt sehr interessant über die Fermaten und die Art, sie zu verzieren.
„Sie erwecken eine besondere Aufmerksamkeit. Man deutet sie durch das gewöhnliche Zeichen eines Bogens mit einem Punckte darunter an und hält so
lange dabey stille, als es ohngefehr der Inhalt des Stückes erfordert“118.
Es existieren drei verschiedene Arten von Fermaten. Bei der ersten sollte man
an der vorletzten oder an der letzten Note des Basses halten oder nach diesen
117
Johann George Tromlitz, Ausführlicher und Gründlicher Unterricht die Flöte zu spielen,
Leipzig 1791, IV. Capitel, S. 98, § 10.
118
Bach, Versuch, S. 112f, §1-3.
75
Noten auf der Pause. Er erwähnt, dass die Fermaten über die Pausen mehrmals in Allegro vorkommen und sollten ganz einfach vorgetragen werden. Was
die zwei anderen Arten von Fermate betrifft, sind diese meistens in langsamen
und sehr „affecktuösen“ Stücken zu finden. Man sollte die beiden Arten verzieren, sonst „fällt man in den Fehler der Einfalt“. Carl Philipp Emanuel Bach platziert in seinen Tabellen nicht nur Manieren und ihre Lösungen, sondern auch
Beispiele, wie man die Fermaten zweiter und dritter Art verzieren sollte (Notenbeispiel 57/4).
Notenbeispiel 57/4
76
„Diese Exempeln erfordern eine langsame oder wenigstens gemäßigte Zeitmaaß. Da diese Verzierungen allezeit ein Verhältnis mit dem Affeckte des Stückes haben müssen, so kann man sie mit Nutzen brauchen, wenn man auf diesen Affeckt genaue Achtung giebt. Aus der Bezifferung des Basses lassen sich
die übrigen ähnlichen Fälle dieser Fermaten leicht entdecken“119.
Man kann natürlich von den Beispielen Bachs sehr viel lernen und viel profitieren. Es wäre aber viel besser, wenn jeder ganz alleine die Fermaten verzieren
könnte. Es ist für die Musiker, die sich viel, oder ausschließlich mit der Alten
Musik beschäftigen, die einzige Lösung, solche Stellen selber zu verzieren. Es
war damals ganz üblich, dass jeder Künstler das Verzieren der Fermaten oder
das Ausdenken von Kadenzen, als etwas Normales betrachtet hat. Es gab natürlich auch diejenige, die eine solche Kunst nicht ausüben wollten, oder konnten. Es waren aber ganz seltene Fälle.
Wenn es um Fermaten in Fantasien geht, gibt es mehrere Beispiele von solchen, die man verzieren sollte. Das erste betrachtete Stück ist die Fantasie aMoll F. 23. In den ersten Klängen ergibt sich der sehr improvisatorische Charakter des Stückes. Obwohl die Fermate über der Note steht, sollte sie nicht verziert werden. Sie besitzet schon einen Mordent, es ist aber nicht der einzige
Grund sie nicht zu „verschönern“ wollen. Kurz danach kommen improvisierende
Läufe in der rechten Hand. Wenn man noch dazu die Fermate verziert, könnte
es vom schlechten Geschmack sprechen (Notenbeispiel 58/4).
Notenbeispiel 58/4
119
Ebenda, S. 113f, § 5.
77
Die andere Fantasie von Wilhelm Friedemann e-Moll F. 21 besitzt fünf Stellen
mit einer Fermate, die viermal über der Note steht und einmal über der Pause.
Die ersten zwei Fermaten sind die üblichen, die nicht zum Verzieren geeignet
sind (Notenbeispiele 59/4 und 60/4). Die dritte Stelle (Notenbeispiel 61/4) befindet sich vor dem letzten Grave. Es steht die Fermate über der Pause, die, laut
Bericht Bachs, verziert sein müsste. In dem Fall sollte die Verzierung (eigentlich
Kadenz), als Überleitung zum Grave dienen. Es könnte Elemente von Prestissimo nützen, aber schon im Charakter des nächsten Abschnitts. Die vierte
kommt schon in der ersten Takten des Grave. Es ist auch die Fermate über der
Note und wird auch nicht verziert (Notenbeispiel 62/4). Natürlich ist es möglich,
einen Doppelschlag, vielleicht noch mit Triller dazu zu spielen, aber nicht mehr.
Erstens ist es Mitte des Grave, und es hätte musikalisch nicht viel Sinn, und
zweitens, es gab kurz davor eine verzierte Fermate und es nicht mehr vom guten Geschmäcke wäre. Ganz am Ende des Stückes vor (Notenbeispiel 63/4).
Es ist harmonisch und musikalisch ganz klar, dass es die Stelle für eine freie
Kadenz ist. In der Notenausgabe von Schott gibt es zwei Kadenzvorschläge
des Herausgebers. Es ist natürlich die Frage, ob der Spieler kreativ sein will,
und wird selbst sich etwas einfallen lassen, oder benutzt die fertigen Lösungen.
Mit der ganzen Kenntnisse und Vielfalt der Quellen, könnte man denken, dass
es jeder auf die Idee kommt, ein wenig kreativ zu sein. Zu Beurteilung, jedem
Künstler gelassen.
Notenbeispiel 59/4
Notenbeispiel 60/4
78
Notenbeispiel 61/4
Notenbeispiel 62/4
Notenbeispiel 63/4
Im nächsten Stück (Fantasie d-Moll F. 19) kommt die Fermate-Stelle nur einmal
vor, im vorletzten Takt. Es ist der gleiche Kasus, wie im vorherigen Exempel.
Die Realisierung der Fermate kann auch in die andere Richtung gehen. Es
handelt sich um die letzte zwei Takte, nach sehr schnellem und figurativem Allegro di molto. Wie es in Notenbeispielen zu sehen ist, es könnte nur mit Triller
79
und Doppelschlag beendet werden (Notenbeispiel 64/4), sonst zerstört das
ganze Stück und seinen Charakter.
Notenbeispiel 64/4
Die Fantasie A-Dur Wq 58/7 ist sehr dem Stück im Beispiel 61 ähnlich. Es hat
auch zwei Fermaten, wobei die erste über der Note mit dem Doppelschlag und
Triller, und zweite über der Pause steht (Notenbeispiele 65/4 und 66/4). Das
Erste ist unproblematisch. Charakter des vorherigen und folgenden Abschnitts
weist auf die Art der unverzierten oder, in dem Fall, leicht verzierten Fermate.
Bei der zweiten Sache, wahrscheinlich wird die Lösung gleichartig, wie im Notenbeispiel 61.
Notenbeispiel 65/4
Notenbeispiel 66/4
Die nächsten zwei Stücke, die Fantasie C-Dur Wq 59/6 und die Fantasie fisMoll Wq 67, wurden mit Absicht für diese Analyse zusammengestellt. Es kommt
80
die gleiche Problematik vor, die die Aufführung der Fermate in folgenden Werken betrifft. In beiden Stücken gibt es Stellen, die, obwohl sie nicht gleich notiert
sind, die ähnlichen oder genau die gleichen Lösungen benötigen. Aus jedem
Stück wurden zwei, oder drei Fragmente ausgewählt und zusammengefasst.
Das Ziel war, die Ähnlichkeiten bei der Aufführungspraxis zeigen zu können.
Aus der ersten Fantasie C-Dur (Notenbeispiel 67a-d/4) wurden vier Stellen
ausgewählt. Es kommen Fermaten, die neben den Noten stehen und solche,
die über den Noten notiert sind (jeweils zweimal). Aus Fantasie fis-Moll wurden
zwei Stellen ausgesucht (Notenbeispiel 68a,b/4).
Notenbeispiel 67/4
a)
b)
81
c)
d)
Notenbeispiel 68/4
a)
b)
82
In den Notenbeispielen 67 a), b) ,c) und 68 a), b) wurden dazu noch ein paar
Takte hinzugefügt, um zu zeigen, was an diesen Stellen nach der Fermate
kommt. Es ist sehr wichtig für die praktischen Lösungen, die hier gefunden wurden.
Das erste Notenbeispiel 67 a) ist eindeutig und weist konkret auf die richtige
Pause, oder ein richtiges Anhalten hin. Nach dem improvisatorischen Anfang
(erste 6 Takte des Stückes) kommt das Fermate-Zeichen, das über den Notenlinien steht. Man könnte denken, dass es doch eine gute Stelle für die verzierte
Fermate ist. Es steht nicht über der Note. Vielleicht fehlt die Pause, weil sie ein
Kopist des Stückes vergessen hat? Was entscheidet, dass sie als Pause abgehandelt sein sollte? In einem solchen Fall muss man genau analysieren, was
hier musikalisch am besten passen würde. Der Meinung der Autorin nach, steht
die Fermate zwischen zwei sehr ähnlichen Fragmenten mit den unterschiedlichen Tonarten (Quint-Verwandtschaft). Der Affekt des ersten Abschnitts ist
ziemlich abwechselnd. Die ersten zerlegten Akkorde sind mutig (forte), aber als
Antwort kommen die schüchternen Doppelgriffe in piano. Das ganze moduliert
durch schnelle Läufe zu G-Dur, bis zum zweiten Teil des erstes Abschnitts, der
genau in dieser Tonart vorkommt. Bevor aber der G-Dur Teil kommt, gibt es
eine Fermate. Wenn man schon weiß, wie es musikalisch und logisch ausschaut, kommt die Idee, dass diese konkrete Fermate nur als Pause, als überraschender Halt der Gedanken gelten sollte.
Die nächsten Punkte (b, c) aus dem Notenbeispiel 67 und das ganze Beispiel
68 betrachten die gleiche Art der Fermate. Entweder steht das Bogen-Zeichen
zwischen zwei ähnlichen Fragmenten (wo es keinen konkreten musikalischen
Grund gibt, es zu verzieren), oder es befindet sich zwischen zwei ganz unterschiedlichen (nicht nur in Tonarten, sondern auch wegen Charakter), Teilen
(Abschnitten). In jedem Fall ist es nicht erforderlich die großen Kadenzen oder
Überleitungen zu komponieren. Eine kleine Ausnahme kann man im Punkt d)
des 67. Beispiels machen. Die Fermate kommt auf der zweiten von zwei gleichen Noten. Um die einfache Wiederholung des zweiten ges2 zu vermeiden
(was auch musikalisch sehr sinnvoll ist), sollte man die Fermate mit einem kleinen und kurzen Triller, beziehungsweise mit dem Mordent verzieren.
83
Es gibt noch zwei sehr interessante Beispiele von verzierten Fermaten, in denen es sich um kurze Kadenzen handelt. Sie befinden sich in den beiden, oben
beschrieben Fantasien (C-Dur Wq 59/6 und fis-Moll Wq 67).
Im Takt 132 in Fantasie C-Dur (Notenbeispiel 69/4) befinden sich zwei FermateZeichen. Es ist ein sehr spannendes Beispiel, wo es unterschiedliche Aufführungen der Fermaten, die nacheinander kommen, gibt. Auf der ersten Fermate
sollte man eine kurze Kadenz, die zu den nächsten Ton führt, komponieren. Die
Aufführung der nächsten Fermate sollte mit dem Triller, oder Triller mit Doppelschlag stattfinden. Es gibt auch die interessante Lösung, die bei dem ähnlichen
Fall von Carl Philipp Emanuel Bach vorgestellt wurde (Notenbeispiel 70/4). Er
bietet an, die beiden Fermaten zu verzieren.
Notenbeispiel
69/4
84
Notenbeispiel 70/4
Ein letztes Beispiel für die Fermaten und ihre Aufführung findet man in der Fantasie fis-Moll Wq 67 (Notenbeispiel 71/4). Es handelt sich wieder um eine verzierte Fermate. Die Verzierung, in dem Fall eine kurze Kadenz, kommt auf die
Note, die unter dem Fermate-Zeichen steht. Es befindet sich in Largo und ist in
der Mitte des Abschnitts platziert. Es sollte wie eine Suspension sein, wie ein
kurzes Atemholen, bevor es weiter geht. Die Note nach der Fermate ist schon
vom Komponist reichlich mit dem Doppelschlag und Triller, verziert.
Notenbeispiel 71/4
Bemerkenswert sind die Fragmente, die als arpeggio in manchen ClavierFantasien der Bach-Brüder vorkommen. In Fantasien von Carl Philipp Emanuel
Bach trifft man die Stellen mit Bezeichnung arpeggio in drei von seinen ClavierFantasien (Notenbespiel 72/4 a, b, c), in A-Dur Wq 58/7, F-Dur Wq 59/5 (jeweils
am Ende des Stückes) und in Fantasie Es-dur Wq 58/6 (kommt zweimal im
Stück vor).
Notenbeispiel 72/4
a)
85
b)
c)
Wilhelm Friedemann Bach notiert diese Stellen als Akkorde, die in halben Noten ausgeschrieben sind (Notenbeispiele 73/4 und 74/4). In seinen beiden cMoll Fantasien (F. 15, F. 16) befinden sich arpeggii, die gleich notiert wurden.
Notenbeispiel 73/4
Notenbeispiel 74/4
Wer Informationen zur Ausführung der Arpeggio-Akkorde sammeln will, sollte
wieder zu der Hauptquelle gehen. Der Versuch von Carl Philipp Emanuel Bach
ist wie eine Enzyklopädie mit fast allen Lösungen aufführungspraktischer Probleme. Im zweiten Teil des Werkes, im allerletzten Kapitel, Von der freyen Fan86
tasie, wurde, ab § 13 bis zum Ende des Kapitels, sehr detailliert beschrieben,
wie man ein Harpeggio ausführt.
„Alle Akkorde können auf vielerley Art gebrochen und in geschwinden und
langsamen Figuren ausgedrucket werden“ …. “Bey allen gebrochenen
Dreyklängen und Aufgaben, welche sich auf einen Dreyklang zurück führen
lassen, kann man aus Zierlichkeit vor jedem Intervalle die grosse oder kleine
Untersecunde mit berühren, ohne sie nachher liegen zu lassen. Dieses nennet
man: mit Acciaccaturen brechen.“
Man kann keine besseren Erklärungen finden um die Kunst des ArpeggioSpiels zu verstehen. Weiter beschreibt Emanuel Bach, dass man die Intervalle
des Akkordes bei den Läufen ausfüllen darf. Es ist auch erlaubt, rauf und runter
auf der Tastatur zu spielen, dazu noch fremde Töne, die nicht dem Akkorde
gehören, bei der Wiederholungen reinzubringen. Es baut sich dadurch die Möglichkeit auf, „angenehme Veränderungen“ machen zu können. Es können auch
verschiedene Nachahmungen „in der geraden“ und „Gegenbewegungen“ (Notenbeispiel 75/4) sein. Es ist ein großes Glück, dass es so genaue und gründliche Beschreibungen vom Autor des Versuches gibt.
Notenbeispiel 75/4
87
Carl Philipp Emanuel Bach schreibt im 41. Kapitel des zweiten Teils seines
Traktats (§ 14):
„Damit meine Leser in verbundenen Exempeln von allerhand Art einen deutlichen und nutzbaren Begriff von der Einrichtung einer freyen Fantasie bekommen: so verweise ich sie auf das im vorigen Paragraph angeführte Probestück,
und auf das in der beygefügten Kupfertafel befindliche Allegro“.
Beide Stücke enthalten eine „freye Fantasie“120 (Notenbeispiele 76/4 und 77/4).
Er schreibt weiter, dass jeder Akkord im „harpeggio“ zweimal gespielt werden
sollte. Bei der Wiederholung sollten aber andere Lagen des Akkordes vorkommen. Die unten angeführten Beispiele sind: Bassstimme mit Bezifferung und
das fertig komponierte Stück, das auf Basis des 75. Beispiels gefertigt wurde.
Alle oberen Bemerkungen wurden dann in dieses Stück (schon realisiertes Beispiel) reingebracht. Es ist jetzt viel leichter, die Lösungen für das Arpeggio-Spiel
für die Clavier-Fantasien zu finden. Man kann sich natürlich auch nur inspirieren
lassen und selbst, in Form der Improvisation, die Stellen mit arpeggio spielen.
Notenbeispiel 76/4
Notenbeispiel 77/4
120
Bach, Versuch, S. 340.
88
Es ergibt sich nur noch eine Frage: ob es, nach der Art der Notation von Arpeggien in Fantasien von Wilhelm Friedemann, bindend ist, die Arpeggio-Stellen
genau nach dem Notentext zu spielen. Und ob es sich nicht um eine ganz gewöhnliche Art des Arpeggierens handelt?
Der nächste wichtige Aspekt der Aufführung ist, Fingersetzung. Auch in diesem
Fall haben die Spieler sehr viel Glück. Carl Philipp Emanuel Bach hat sehr genaue Anweisungen und „Hilfsmittel“ den zukünftigen Musiker, die seine Musik
heutzutage sehr schätzen, gelassen. Diejenigen, die ernst die Stücke Emanuel
Bachs behandeln und annehmen wollen, sollten sich sofort sein Traktat besorgen.
Wie wichtig die richtige Fingersetzung ist, merkt man bei dem Lesen des ersten
Hauptstücks Von der Finger-Setzung, aus dem Versuch über die wahre Art das
89
Clavier zu spielen121. Nur der Umfang des Kapitels alleine (Seiten 15-50) zeigt,
dass es Emanuel Bach sehr klar war, dass dieses Thema wahrscheinlich detailliert „besprochen“ sein sollte.
Er schreibt:
„Die Setzung der Finger ist bey den allermeisten Instrumenten durch die natürliche Beschaffenheit derselben gewissermassen festgesetz ist: bei dem Klaviere
aber scheint sie am willkürlichsten zu sein, indem die Lage der Tasten so beschaffen ist, daß sie von jedem Finger niedergedruckt werden können“122.
Weiter erwähnt er, dass es viele Menschen gab, die sich „auf diesem schlupfrichen und verführerischen Wege“, wegen Mangel an genügenden Informationen
irren mussten. Wenn man daran denkt, wie es heutzutage bei den Tasteninstrumenten-Spielern aussieht, ist es ebenso zu glauben, dass die meisten nicht
so viel Gewicht auf die richtige Kunst der Fingersetzung legen.
„Da man hieraus erkennen kann, daß der rechte Gebrauch der Finger einen
unzertrennlichen Zusammenhang mit der ganzen Spielart hat, so verlieret man
bey einer unrichtigen Finger-Setzung mehr als man durch alle mögliche Kunst
und guten Geschmack ersetzen kann“ 123 . Der Meinung CarlPhilipp Emanuel
Bachs nach, ergab sich zu seiner Zeit eine neue Art der Applicatur, die sich von
den „vorigen Zeiten gar besonders unterscheidet“. Was das neue Denken in
Gebrauch der Fingersetzung damals beeinflusst hatte, war, laut Bachs Überlegungen, die andere Art die Tasteninstrumente zu temperieren. Man brauchte
vorher nicht in allen Tonarten zu spielen. Das heißt, dass es nicht notwendig
war, für alle möglichen Passagien den Fingersatz auszudenken. Schon Johann
Sebastian Bach hat den Daumen mehr zum Einsatz bei dem Clavierspielen124
gebracht. Carl Philipp erzählte, dass sein Vater sich eine neue Art der Fingersetzung ausdenken musste, vor allem für die schweren Tonarten. Die weitere
Entwicklung in der Art der Finger-Setzung wurde von der Entwicklung der ande121
Bach, Versuch, S. 15.
Ebenda, S. 15, § 1.
123
Ebenda, S. 16, § 4.
124
Die Begriffe Clavierspielen und Clavier wurden im 18. Jahrhundert in Verbindung mit allen
Arten der Tasteninstrumente gebraucht.
122
90
ren Stimmungen der Tasteninstrumente, aber auch von der Musik für oben erwähnte Instrumente, gezwungen. Je mehr Tonarten, in denen man spielen durfte, desto reichere und mehr komplizierte Applicaturen wurden gebraucht.
Bevor Carl Philipp die neue Art der Fingersetzung detaillierter beschreibt, erinnert er dem Leser an die Grundlagen des Clavierspiels. Beschrieben wurde, wie
man bei dem Instrument sitzen sollte, wie hoch die Hände platziert werden
müssen, aber auch, dass man „mit gebogenen Fingern und schlaffen Nerven“
spielen sollte. Dieser Kapitel ist sehr empfehlenswert für alle „Clavieristen“, die
die hohe Kunst des Spiels erreichen wollen. Es sind nur Basis-Informationen,
aber jeder weiß, dass es sehr oft überhaupt nicht gedacht wird, wie wichtig die
offensichtlichen Sachen sind. Jeder Spieler sollte, der Meinung der Autorin
nach, ab und zu eine gründliche Wiederholung der fundamentalen Kenntnisse
machen. Es ist der gute Ausgangspunkt, immer wieder die eigenen musikalischen Fähigkeiten zu prüfen und mit „frischer“ Sicht das eigene Spiel zu betrachten.
Im weiteren schreibt er: „Wir sehen hieraus restlich, daß, ohngeachtet der unendlichen Verschiedenheit der Applicaturen, dennoch wenige gute HauptRegeln hinlänglich sind, alle vorkommende Aufgaben aufzulösen; zweitens,
daß durch eine fleißige Uebung der Gebrauch der Finger endlich so mechanisch wird und werden muß, daß man, ohne sich weiter darum zu bekümmern,
in den Stand gesetzet wird, mit aller Freyheit an den Ausdruck wichtigerer Sachen zu dencken“125. Es ist natürlich nicht alles, nur die Fähigkeiten der Finger
einzuüben. Der Spieler muss genug Kenntnisse haben, seine Fingerfertigkeit
der schönen Aufführung der Musik zu Nutze bringen.
Aus den allgemeinen Gedanken, die in dem Kapitel geäußert wurden, entstehen die Regeln der Fingersetzung. Die erste Hauptregel betrifft den kleinen und
den ersten Finger. Sie sollten nicht anders, als nur im Notfall die oberen Tasten
des Instruments berühren. Da es nur fünf Finger in jeder Hand gibt und viel
mehr Tasten auf dem Clavier zu beherrschen gilt, wurden zwei Mittel vom Autor
vorgeschlagen, und zwar, das Untersetzen und Überschlagen. Durch diese
zwei Vermittlungen kann der Spieler „so viel Finger gleichsam kriegen“, als er
125
Bach, Versuch, S. 20, § 15.
91
braucht. Folgend schreibt der Autor: „Da die Natur keinen von allen Fingern so
geschickt gemacht hat, sich unter die übrigen andere so zu biegen, als den
Daumen, so beschäftiget sich dessen Biegsamkeit samt seiner vortheilhaften
Kürze ganz allein mit dem Untersetzen an den Oertern und zu der Zeit, wenn
die Finger nicht hinreichen wollen“126.
Das, was nicht empfohlen wurde, ist „das Untersetzen des Daumens nach dem
kleinen Finger, das Ueberschlagen des zweyten Fingers über den dritten, des
dritten über den zweyten, des vierten über den kleinen, ingleichen des kleinen
Fingers über den Daumen ist verwerflich“127. Dies sind die Regeln, die jeder
Spieler heutzutage kennt, oder besser gesagt, kennen sollte. Die bisherigen
genauen Beschreibungen von Bach werden im Lauf des ersten Kapitel noch
genauer und detaillierter. Die ausführlichen Betrachtungen in Thema Fingersetzung wurden in der ersten und zweiten Tabelle („Kupfer-Tafeln“) aus praktischer Sicht notiert. Es sind die genauen Lösungen für Fingersatz, in verschiedenen Tonarten (Bach notiert bis zu drei differenzierten Fingersetzungen für
jede Skala), bei den Doppelgriffen, bei den wiederholten Noten, bei unterschiedlichen Passagien, Läufen und Sprüngen, so wie bei den Akkorden. Diese
unglaublich genauen Erklärungen setzt Bach in den 18 Probestücken, die er
zusammen mit dem Versuch…herausgegeben hat. In diesen sechs Sonaten,
jeweils 3 Sätze, wurden alle Regeln der Fingersetzung (Notenbeispiel 78/4), der
Manieren, des guten Vortrages in Praxis zusammengesetzt. Glücklicherweise,
ist der letzte Satz der sechsten Sonate, eine Fantasie. Hier kann man die detaillierten Hinweise zu Applicatur des Stückes finden (Notenbeispiel 79/4).
Notenbeispiel 78/4
126
127
Ebenda, S. 23, § 26.
Ebenda, S. 23, § 28.
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Notenbeispiel 79/4
Es folgen ausgewählte Beispiele aus den Fantasien von beiden Komponisten,
in denen gezeigt wird, wie und an welchen Stellen die Kenntnisse über die Art
der Fingersetzung, die man aus dem Versuch lernte, adäquat umzusetzen sind.
Zuerst werden die verschiedenen Arten von Läufen betrachtet. In der a-MollFantasie (F. 23) gibt es sehr interessante Beispiele (Notenbeispiel 80/4) mit
Sprüngen, Läufen und mit gebrochenen Terzen. Im ersten Fall hat man einen
großen Sprung und danach drei Noten, die abwärts steigen. Nach den Tabellen
sollten sie mit dem zweiten Finger anfangen und auf den fünften springen, danach in üblicher Reihenfolge absteigen. Obwohl, im ersten Blick kommt es vor,
als die rechte Hand alleine alle Noten spielen sollte, schnell wird es klar, dass
man die untere Note zu der linken Hand nehmen sollte. In dem Fall wird es der
3. oder 2. Finger links und der 4., 3., 2. Finger rechts. Eine solche Lösung hat
sich aus praktischen Gründen ergeben. Der Anfang des Stückes ist improvisatorisch im Charakter und es bietet sich an, ihn in schnellem und noch dazu aufsteigendem Tempo zu spielen.
Wie es in dem nächsten Beispiel (Notenbeispiel 81/4) zu merken ist, kann man
die vier runtersteigenden Noten mit dem einfachen Fingersatz aus dem Notenbeispiel 82/4 aufführen und die, danach kommenden Terzen gleich, wie im Beispiel 83/4 lösen.
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Notenbeispiel 80/4
Notenbeispiel 81/4
Notenbeispiel 82/4
94
Notenbeispiel 83/4
In der Fantasie e-Moll (F. 21) findet man einen sehr schnellen Lauf in e-Moll
(Notenbeispiel 84/4). Bei den Tabellen aus dem Versuch gibt es einfache Lösungen, die Tonleiter zu spielen (Notenbeispiel 85/4). Es sollte aber sehr furioso und sehr schnell gespielt werden, dafür empfehlt die Autorin dieser Arbeit
den folgenden Fingersatz zu nehmen - 1 2 3 4 1 2 3 4. Den ersten Ton nächstes Taktes deutlicher zu machen, deswegen scheint es wohl sehr passend, die
Lösung für den Fingersatz in e-Moll von Carl Philipp Emanuel Bach zu nehmen.
Notenbeispiel 84/4
Notenbeispiel 85/4
Ein bemerkenswertes Beispiel aus der Fantasie fis-Moll Wq 67 von Carl Philipp
Emanuel Bach zeigt die Verbindung von Passagien und Läufen (Notenbeispiel
86/4). Die passende Lösung (Notenbeispiel 87/4) findet man in der fünften Sonata aus den 18 Probestücken desselben Komponisten.
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Notenbeispiel 86/4
Notenbeispiel 87/4
Wenn es sich um Passagien handelt, gibt es ein gutes Exempel in der Fantasie
Es-Dur Wq 58/6 (Notenbeispiel 88/4). Die Passagien sind auf die beiden Hände
verteilt. Nach dem es kein ähnliches oder mindestens zum Teil vergleichbares
Beispiel gab, wurde ein allgemeines Exempel mit Applikatur in Passagien in
gleicher Tonart ausgewählt. Man sieht im Beispiel 89/4, dass der Komponist
die, in Sekundenschritten gehende Noten und die, nach denen kommende, um
Terz, oder größere Intervalle springende Noten, in zweier Gruppen aufteilt. Es
könnte in dem Beispiel 88/4 auch eine gute Lösung gewesen sein, da es hier
sehr ähnliche Figuren gibt. Die Autorin würde sogar alle Noten in zweier Bindungen einzuteilen empfehlen.
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Notenbeispiel 88/4
Notenbeispiel 89/4
In der folgenden Fantasie fis-Moll (Wq 67) befinden sich, auf zwei Hände aufgeteilte, figurative Stellen (Notenbeispiel 90/4). Der Lösung am nahenden liegend
ist der Beispiel (Notenbeispiel 91/4) aus der zweiten Tabelle (Fig. XLIV a) von
Carl Philipp Emanuel Bach. Weil der Beispiel 90 in fis-Moll Tonart steht, sollte
man folgenden Fingersatz empfehlen:
a) für die unteren Töne, die der linken Hand gehören, 3., 4., 2. und wieder den
3. Finger;
b) für die oberen Noten, die mit der rechten Hand aufgeführt werden sollten, die
Gruppen 2/4/2, 2/5/2, 2/3/2 und wieder 2/4/2.
Notenbeispiel 90/4
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Notenbeispiel 91/4
Wenn es um die wiederholten Noten geht, gibt es zwei Lösungen. Wenn sie in
dem langsamen Tempo aufgeführt werden (Notenbeispiel 92/4, aus Fantasie
fis-Moll Wq 67), ist es erlaubt mit dem gleichen Fingersatz sie aufzuführen (Notenbeispiel 93/4, aus dem ersten Satz, Sonata Nr. 5, 18 Probestücke).
Notenbeispiel 92/4
Notenbeispiel 93/4
Im zweiten Fall, in dem die wiederholten Noten im schnellen Tempo dargestellt
werden, sollte man den Finger, oder die Finger wechseln. Das beste Beispiel
(Notenbeispiel 94/4) kommt wieder aus der fis-Moll Fantasie Wq 67.
Notenbeispiel 94/4
98
Den richtigen Hinweis wegen dem Fingersatz in dem oberen Beispiel, findet
man in der ersten Tabelle, bei der Figur XLI (Notenbeispiel 95/4). Es sind zwei
unterschiedliche Lösungen vom Komponist gegeben. Welchen man auswählen
sollte, ist jedem Spieler selbst überlassen zu entscheiden. In dem Fall würde
die Autorin dieses Aufsatzes den unteren Fingersatz (die Lösung mit dem 3.
und dem 2. Finger) empfehlen. Es ist für die Tonart des Stückes und die bestimmte Reihenfolge der Noten sehr adäquat.
Notenbeispiel 95/4
Es sollte noch etwas über das Instrumentarium und über die Dynamik geschrieben werden. Warum es in solcher Zusammenstellung erwähnt wurde, wird sich
in Kürze klären lassen.
Wenn über Instrumente gesprochen wird, ist im ersten Moment nicht ganz klar,
für welches Tasteninstrument die Clavier-Fantasien komponiert wurden. Es
können entweder das Klavichord, das Cembalo oder das Hammerklavier sein.
Bei den Stücken von Carl Philipp Emanuel Bach steht der beste Hinweis auf
dem Titelblatt der Notenausgabe. Clavier-Sonaten und freye Fantasien nebst
einigen Rondos fürs Fortepiano für Kenner und Liebhaber. Für das Fortepiano
bedeutet hier für das Hammerklavier. Es ist wichtig zu erkennen, dass alle Fantasien aus der Sammlung für Kenner und Liebhaber in den letzten Jahren
Emanuel Bachs Leben komponiert wurden128. Es war schon die Zeit des Hammerklaviers. Aber unabhängig vom Titelblatt der Fantasien, könnte man es von
der Struktur, vom Charakter, vom Umfang, aber auch von der Dynamik der Stücke, herausfinden. In den Noten der Clavier-Fantasien. Emanuel Bachs, kommen sehr viele Dynamik-Bezeichnungen vor, die ganz schnell von piano zu forte wechseln (Notenbeispiel 96/4, aus der C-Dur Fantasie Wq 59/6). Natürlich
sind solche dynamischen Wendungen auch auf dem Cembalo möglich. Es gibt
128
Die Ausgaben der letzten drei Sammlungen stammen aus den Jahren 1783, 1785 und 1787.
Die allerletzte Fantasie Wq 67 wurde 1788, im Todesjahr Carl Philipp Emanuel Bachs, komponiert.
99
aber ziemliche Beschränkungen. Es handelt sich beim Cembalo um einen Manualwechsel bei den piano und forte Stellen. Noch ein Grund, warum die Fantasien von Carl Philipp mit Sicherheit (mit Ausnahme des Titels) für das Fortepiano (Hammerklavier) komponiert worden ist, da es, außer piano und forte,
noch andere Bezeichnungen gibt. Es sind nebeneinander stehende Zeichen,
wie pianissimo, mezzoforte, fortissimo (Notenbeispiel 97/4 aus fis-Moll Fantasie
Wq 67). Als weiterer Hinweis gilt das Wort crescendo, das ebenfalls in der Fantasie fis-Moll vorkommt (Notenbeispiel 98/4).
Notenbeispiel 96/4
Notenbeispiel 97/4
Notenbeispiel 98/4
Es sind nicht nur die dynamischen Bezeichnungen, sondern auch die ganze
Struktur der Werke, die auf das Hammerklavier als bevorzugtes Instrument
hinweisen. Es gibt sehr viele Beispiele von bestimmten Stellen in den Stücken
von Carl Philipp Emanuel Bach, die man aufzeichnen könnte, um zu zeigen,
100
dass bestimmte Passagen nicht mehr gut, oder besser gesagt, nicht mehr richtig auf dem Cembalo klingen würden. Die werden aber nicht weiter besprochen,
da es sich in dieser Arbeit, grundsächlich nicht um die Instrumente handelt.
Wenn es sich um die Werke des anderen Bruders handelt, kann man mit Sicherheit sagen, dass sie sowohl für das Klavichord, wie für das Cembalo geeignet sind. Fantasien von Wilhelm Friedemann stammen aus der früheren Zeit.
Sie wurden zwischen 1733 und 1770129(vielleicht auch später) komponiert. Außer gelegentlich zutreffenden forte und piano, befinden sich fast keine dynamischen Bezeichnungen in Friedemann Bachs Clavier-Fantasien. Man kann behaupten, dass seine Werke, schwerpunktmäßig, für das Cembalo komponiert
worden sind. Auch anhand der Struktur kommt man zu ähnlichen Ergebnissen.
Es kann auch sein (und wahrscheinlich kommt das auch vor), dass manche
Künstler, die Fantasien von Wilhelm Friedemann auf dem Hammerklavier aufführen wollen. Es gibt nichts, was dagegen sprechen sollte, außer der Frage:
werden die gleichen Werke, die für das Cembalo erschaffen wurden, auch
gleich wirken? Oder verlieren sie viel von ihren Charme und vor dem Ausdruck,
der so wichtig für den Affekten-Stil war?
Es muss jeder Künstler selbst überlegen, welche Antwort hier passend ist.
5.
Zusammenfassung.
Die Form der Fantasie für Tasteninstrumente in der Geschichte der Musik hat
sehr lange „reisen“ müssen, bis sie zu dem Ergebnis, das den Höhepunkt im
18. Jahrhundert hatte, angekommen ist. Es gibt wenige Gattungen in der Musik,
die sich so reichlich und vielfältig entwickelt haben. Von den Anfängen, die in
der vokalen Musik 14. Jahrhunderts sich widerspiegelten, durch die Betrachtung als allgemeiner Terminus (Vorstellungskraft und geistiges Bild) im 15.
Jahrhundert, über das 16. und 17. Jahrhundert, wo der Begriff Fantasie in der
instrumentalen Musik herrschte, bis zum Apogäum der Clavier-Fantasie und
ihrer Form im 18. Jahrhundert. Das faszinierende und sehr spannende Studium
129
Wegen des Mangels an Autographen der Fantasien kann man nicht genau sagen, wann die
letzten Werke komponiert wurden.
101
dieses Themas öffnete der Autorin viele, bisher ihr unbekannte Aspekte der
Fantasie-Form.
Die Analyse der musikalischen Exempel hat die meiste Zeit und den größten
Aufwand gekostet. Die langen Überlegungen zuerst, welche Stücke sollten in
dem Kapitel Analyse ausführlich beschrieben werden und welche nur am Anfang kurz erwähnt, danach die Behauptungen, ob die getroffene Wahl richtig
war, bis zu den weiteren Reduzierungen der Notenbeispiele, die auf Grund des
Umfangs der Arbeit, gemacht werden mussten. Es wurden im Endeffekt nur
einige Exempeln zum Zweck der Analyse ausgesucht. Die Idee der Autorin war,
solche Fragmente auszuwählen, die am besten den Aspekten, die in dieser Arbeit zusammengestellt und beschrieben wurden, entsprechen. Der Vielfalt der
„fantastischen“ Werke, die von zwei talentierten und vielseitigen Komponisten
des Barock stammten, wurde in ziemlich engem Umfang in diesem Aufsatz erfasst. Es hat sich ergeben, dass das Thema viel zu groß für den Umfang der
Masterarbeit ist.
Es gab viele Schwierigkeiten mit nicht genügenden Materialien und Informationen. Im Thema Wilhelm Friedemann Bach wurden noch viel zu wenige Nachforschungen gemacht, sowohl zu seinen Werken (z. B. Datierung seiner Fantasien), als auch zu einigen Aspekten seines Lebens.
Die wiederentdeckte Faszination von Thema Fantasie und ihre Form, von Musik
des späten 18. Jahrhunderts, von beiden Komponisten und ihren Werken, fuhr
die Autorin zu neuen Ideen und Überlegungen, die sich wahrscheinlich in Kürze
in neuen Projekten und Unternehmungen widerspiegeln werden. Es braucht
vielleicht neue Herausforderungen, wie ein Doktoratstudium oder die Zusammenarbeit mit jemandem, der auch so fasziniert von dem Thema ist?
Die Autorin wird auf jeden Fall weitere Recherchen zum Thema ClavierFantasie führen, um neue Ergebnisse zu bekommen und ihre Kenntnisse auf
diesem Gebiet zu erweitern.
102
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