3. Markt und Motivation Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg WS 2007/2008 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München Markt und Motivation 1 Markt und Motivation • Die Grenzen ökonomischer Anreize oder die Verdrängung intrinsischer Motivation • Reflektieren Marktpreise ‚wahre‘ Werte? • Der lange Weg zum Gleichgewicht • Die neue Ökonomik der Ungeduld: Selbstbindung • Anwendungsfall Vertragsrecht Markt und Motivation 2 Literatur • E. Fehr und G. Schwarz, Psychologische Grundlagen der Ökonomie, Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2003. • B.S. Frey, Markt und Motivation, Vahlen, München 1997. • B.S. Frey, Inspiring Economics: Human Motivation in Political Economy, Edward Elgar, Cheltenham 2001. • B.S. Frey und Reto Jegen (2001), Motivation Crowding Theory, Journal of Economic Surveys 15, 589-611. Markt und Motivation 3 Die Grenzen ökonomischer Anreize I • Homo oeconomicus: Individuen reagieren systematisch auf von außen gesetzte Anreize – „Menschen arbeiten um so härter, je mehr man ihnen dafür bezahlt.“ – Arbeitsmoral spielt demnach keine Rolle. • Preiserhöhung vermindert die nachgefragte Menge und steigert die angebotene Menge. – Erhalten Individuen mehr Geld für eine Tätigkeit, so unternehmen sie diese Aktivität vermehrt. Markt und Motivation 4 Die Grenzen ökonomischer Anreize II • Aber: Menschen tun Dinge aus sich selbst heraus. – Tätigkeiten bereiten Vergnügen: „freudiges Flusserlebnis“ • Skilaufen, Musizieren, Lesen eines Romans – Einhaltung von Normen um ihrer selbst Willen • ethische Normen • Fairness-Normen • Gruppenzugehörigkeitsnormen (Teamgeist) – Erreichen eines sich selbst gesetzten Ziels, auch wenn der Weg zum Ziel mühsam ist. • Bergsteigen Markt und Motivation 5 Die Grenzen ökonomischer Anreize III • Preissystem wird von Individuen häufig entschieden abgelehnt. – Frey und Pommerehne (1993): Umfrage bei 1750 Haushalten in Deutschland und der Schweiz. – Frage: „Ein Gemischtwarenladen verkauft Schneeschaufeln zum Preis von DM (SFr) 30,-. Am Morgen nach einem heftigen Schneesturm wird der Preis auf DM (SFr) 40,- angehoben. Wie beurteilen Sie diese Preiserhöhung?“ – 17% erachten den Preismechanismus zur Regulierung der Überschussnachfrage als „fair“, 83% als „unfair“. – 76% bevorzugen Windhundverfahren, 43% Staat. Markt und Motivation 6 Die Grenzen ökonomischer Anreize IV • Preise und Regulierungen stellen aber nicht die einzige Möglichkeit dar. • Intrinsische Motivation – „Tertium Datur“, Frey 1992 – Verdrängung durch Preise oder Regulierungen unter bestimmten Bedingungen. • Bezahlung für Hausarbeit. • Bezahlung für Essen nach Einladung von Freunden. • Manche Professoren erfüllen, andere über-, andere untererfüllen Lehrdeputat, was Erlass auslöst. – Übertragungseffekt. • Motivationsverlust beim Rasenmähen kann sich auch auf andere Bereiche der Hausarbeit auswirken. Markt und Motivation 7 Die Grenzen ökonomischer Anreize V • Titmuss (1970): The Gift Relationship – Für Blutspenden zu bezahlen unterminiert soziale Werte und zerstört die individuelle Bereitschaft zur Blutspende. • Frey et al. (1996): The Old Lady Visits the Backyard – Öffentliche Standortwahl für NIMBY-Projekte. – St.-Florians-Prinzip: Lieber St. Florian, verschon‘ mein Haus, zünd‘ andere an. – Monetäre Anreize zerstören die Bereitschaft, solche Projekte für die Allgemeinheit zu akzeptieren. Markt und Motivation 8 Die Grenzen ökonomischer Anreize VI • Deci (1971): Definition intrinsischer Motivation – Eine Person ist intrinsisch motiviert, eine Aktivität zu unternehmen, wenn sie keine andere sichtbare Belohnung als die Aktivität selbst erhält. – Primär menschlicher Verhaltensanreiz? – Philosophie: grundlegende Verhaltensmotivation – Alle Motivation extrinsisch bedingt: Bergsteigen – Intrinsische und extrinsische Motivation treten zusammen auf: Bergsteigen – Wichtig: Es gibt Beziehungen zwischen beiden. Markt und Motivation 9 Die Grenzen ökonomischer Anreize VII • Intrinsische Motivation wird durch monetäre Anreize verdrängt. – “The Hidden Cost of Reward” (Lepper und Greene, 1978) – “Overjustification Hypothesis” (Lepper, Greene und Nisbett, 1973) – “Corruption Effect” (Deci 1975) – “Cognitive Evaluation Theory” (Deci, Koestner und Ryan, 1999) – McGraw (1978, S. 55-58): Die Evidenz für eine schädliche Wirkung stammt aus einer großen Zahl von Untersuchungen, in denen viele Versuchspersonen und Parameter variiert wurden.” Markt und Motivation 10 Die Grenzen ökonomischer Anreize VIII • Es ergeben sich zwei Hypothesen, die auf den ersten Blick paradox erscheinen: – Wird für etwas, das man aus freien Stücken macht, eine Belohnung gegeben, dann wird die intrinsische Motivation geschwächt. • Logik: Eine Belohnung schwächt das Gefühl der Selbstbestimmung. – Wird für etwas, das man für eine Belohnung macht, die Belohnung entzogen, dann wird die intrinsische Motivation gestärkt. • Logik: Wenn die Belohnung wegfällt, entsteht eine Spannung: Man hat etwas getan, das sich nicht gelohnt hat; um diese Spannung abzubauen, wird das Verhalten als lohnend an sich uminterpretiert. Markt und Motivation 11 Die Grenzen ökonomischer Anreize IX • Experiment zur Wirkung von Belohnung und von Überwachung auf die intrinsische Motivation (Experiment mit drei Phasen): – Schulkinder durften ein Puzzle spielen. Die Hälfte der Kinder wurde beim Puzzlespielen überwacht, die andere Hälfte nicht. – Die Hälfte der Kinder erhielten eine unerwartete Belohnung für das Puzzlespielen, die andere Hälfte erhielt eine erwartete Belohnung (die vor Beginn des Puzzlespielens angekündigt wurde). – Gemessen wurde, wie viele Kinder nachher spontan wieder mit dem Puzzle spielten. Markt und Motivation 12 Die Grenzen ökonomischer Anreize X • Experiment zur Wirkung von Belohnung und von Überwachung auf die intrinsische Motivation (Experiment mit drei Phasen): % Kinder, die spontan Puzzle spielten 100 80 Überwacht Alleine 60 40 Alleine 20 Überwacht 0 Unerwartet Erwartet Quelle: Lepper & Greene,1975, JPSP Markt und Motivation 13 Die Grenzen ökonomischer Anreize XI • Psychologische Prozesse der versteckten Kosten der Belohnung – Eingeschränkte Selbstbestimmung: Eingriff von außen wird als Einschränkung des eigenen Handlungsspielraums begriffen, so dass intrinsische Motivation zugunsten externer Kontrolle abgebaut wird. • Locus of control verschiebt sich von innen nach außen. – Verminderte Selbsteinschätzung: Externe Intervention impliziert, dass intrinsische Motivation nicht gewürdigt wird, so dass sie als Missachtung der Beweggründe interpretiert wird. • Verminderte Selbsteinschätzung führt zu vermindertem Einsatz. Markt und Motivation 14 Die Grenzen ökonomischer Anreize XII • Psychologische Prozesse der versteckten Kosten der Belohnung – Überveranlassung: Gefühl der Übermotivation, wenn intrinsische Motivation beibehalten wird. • Individuen schränken den Motivationsfaktor ein, den sie selbst kontrollieren können. – Reduzierte Ausdrucksmöglichkeit: Externe Intervention verhindert das Ausleben der intrinsischen Motivation. • Verminderte Selbsteinschätzung führt zu vermindertem Einsatz. Markt und Motivation 15 Die Grenzen ökonomischer Anreize XIII • Von außen kommende Eingriffe verdrängen die intrinsische Motivation, wenn sie von Individuen als kontrollierend empfunden werden. – Verminderung von Selbstbestimmung, Selbsteinschätzung und Ausdrucksmöglichkeit. • Externe Eingriffe verstärken die intrinsische Motivation, wenn sie von Betroffenen als unterstützend angesehen werden. – Aufbau der Selbsteinschätzung und Steigerung der Selbstbestimmung. Markt und Motivation 16 Die Grenzen ökonomischer Anreize XIV • Prinzipal-Agenten Beziehung: – Einfluss extrinsischer Interventionen E: Prinzipal verwendet Belohnungen und Befehle, um die Performance P des Agenten zu erhöhen. – Ein (repräsentativer) Agent berücksichtigt den Nutzen B und die Kosten C, die beide seine Leistung erhöhen. ∂B/∂P≡ BP>0 und ∂C/∂P≡ CP>0. B = B(P,E); BP>0, BPP<0. (1) C = C(P,E); CP>0, CPP>0. (2) Markt und Motivation 17 Die Grenzen ökonomischer Anreize XV • Prinzipal-Agenten Beziehung: – Höhere Leistung hat abnehmende Grenzerträge (BPP < 0) und ist mit steigenden Grenzkosten verbunden (CPP > 0). – Nutzen und Kosten werden auch von der externen Intervention beeinflusst. – Ein rationaler Agent wählt das Leistungsniveau P*, welches seinen Nettonutzen (B - C) maximiert: BP = CP. f.o.c. (3) Markt und Motivation 18 Die Grenzen ökonomischer Anreize XVI • Prinzipal-Agenten Beziehung: – Differenzierung der Optimalbedingung nach E zeigt, inwiefern die optimale Leistung des Agenten P* durch eine Veränderung der externen Intervention E beeinflusst wird. BPE+BPPdP* = CPE+CPPdP* . or dE dE dP* =BPE-CPE > 0. dE CPP-BPP < (4) Markt und Motivation 19 Die Grenzen ökonomischer Anreize XVII • Herkömmliche Theorie (a) Externe Intervention erhöht die Leistung (Alchian und Demsetz 1972, Fama und Jensen 1983) durch höhere Grenzkosten des Betrügens, oder, niedrigere Grenzkosten der Anstrengung, CPE < 0. • Relativer Preiseffekt der externen Intervention. • Disziplinierender Effekt. – Dabei Vernachlässigung des Verdrängungseffekts: Externe Intervention hat keinen Einfluss auf den Grenznutzen der Leistung (BPE = 0). – Nach herkömmlicher Theorie erhöht externe Intervention immer die Leistung. • dP*/dE > 0. (4a) Markt und Motivation 20 Die Grenzen ökonomischer Anreize XVIII • Crowding Theorie (b) Wenn externe Intervention die intrinsische Motivation verdrängt und daher den Grenznutzen der Leistung negativ beeinflusst (BPE < 0, crowding-out effect), während der relative Preiseffekt keinen Einfluss hat (CPE = 0), dann wird die Leistung reduziert. • dP*/dE < 0. (4b) (c) Im allgemeinen sind beide, der relative Preiseffekt (CPE < 0) und der Crowding-out Effekt (BPE < 0) wirksam, so dass externe Interventionen gegenläufige Effekte auf die Leistung von Agenten haben. Markt und Motivation 21 Die Grenzen ökonomischer Anreize XIX • Figure 1 – S: traditionelle Angebotskurve, basierend auf dem relativen Preiseffekt. – Erhöhung der Belohnung von O auf R erhöht Arbeitsanstrengung von A auf A’. – Crowding-out Effekt verschiebt die Angebotsfunktion nach links auf S’, so dass eine Erhöhung der Entlohnung von O auf R zu Punkt C (statt B) führt. – Hier dominiert der Crowding-out Effekt den relativen Preiseffekt, und höhere Löhne von O auf R reduzieren Anstrengung von A auf A’’. – Vollständige Verdrängung intrinsischer Motivation: Bewegung entlang S’. Markt und Motivation 22 Die Grenzen ökonomischer Anreize XX reward S’ S R . O C A’’ B A’ A w o rk e ffo rt Figure 2: Net-outcome of the Price- and the Crowding-Effect, Source: Frey and Jegen (2001) Markt und Motivation 23 Die Grenzen ökonomischer Anreize XXI • Empirische Evidenz aus der Psychologie – Metaanalysen: • Rummel und Feinberg (1988) 45 Experimentalstudien für den Zeitraum 1971-85; Wiersma (1992) mit 20 Studien für 1971-90; und Tang und Hall (1995) mit 50 Studien von 1972-92 bestätigen den Befund, dass intrinsische Motivation durch externe Intervention (pekuniäre Anreize) verdrängt wird, wenn diese als Eingriff in individuelle Selbstbestimmungsrechte perzipiert werden. • Cameron und Pierce (1994), Eisenberger und Cameron (1996) und Cameron, Banko und Pierce (2001) Studien zwischen 19711991: Verdrängungseffekt als ‚Mythos‘. • Deci, Koestner und Ryan (1999): Crowding-out Effekt als robustes Phänomenon signifikanter Größenordnung. Markt und Motivation 24 Die Grenzen ökonomischer Anreize XXII • Empirische Evidenz aus der Psychologie – Metaanalysen: • Deci, Koestner und Ryan (1999): Kritik an Cameron und Pierce, weil sie 20 Prozent der relevanten Studien als Ausreißer weglassen, falsche Kontrollgruppen verwenden und verschiedene Studien falsch klassifizieren. • Zudem werden manche langweilige und stupide Tätigkeiten in der Studie berücksichtigt, für die von Anfang an schon keine intrinsische Motivation bestehen kann. • Empirische Evidenz aus der Ökonomie – Experimentelle Studien: • Fehr und Gächter (1997), Fehr, Gächter und Kirchsteiger (1997): Intrinsische Motivation und Tendenz reziproken Verhaltens. Markt und Motivation 25 Die Grenzen ökonomischer Anreize XXIII • Empirische Evidenz aus der Ökonomie – Experimentelle Studien: • Zanella (1998): Anreizverträge verdrängen Reziprozität. • Gneezy und Rustichini (1998): Beziehung zwischen Leistung und Entlohnung wie in Figure 2 dargestellt. • Bohnet, Frey und Huck (1999): Crowding-Effekt bei Vertragsdurchsetzung im Hinblick auf die Vertrauenswürdigkeit des Partners. • Bei mittleren Sanktionsniveaus wird Vertrauen verdrängt, da kein Verlass mehr auf Reziprozität oder das Rechtssystem. – Ökonometrische Studien: • Barkema (1995): Firmen, in denen die Intensität der persönlichen Beziehungen zwischen Prinzipal und Agent von der Form der Überwachung abhängt. Markt und Motivation 26 Die Grenzen ökonomischer Anreize XXIV • Empirische Evidenz aus der Ökonomie – Ökonometrische Studien: • Barkema (1995): 116 Manager in mittelständischen holländischen Firmen in 1985. • Kontrolle der Manager durch die Muttergesellschaft. Positiver Effekt der Kontrolle, da geringe persönliche Beziehungen mit intrinsischer Motivation. • Kontrolle der Manager durch den CEO: Verdrängungseffekt, da persönliche Beziehung besteht. • Kontrolle der Manager durch den Aufsichtsrat: Höheres Crowding-Out als im ersten Fall, niedrigeres als im zweiten Fall (statistisch nicht signifikant). • Frey und Goette (1999): Bezahlung verdrängt die Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit. Markt und Motivation 27 Die Grenzen ökonomischer Anreize XXV • Empirische Evidenz aus der Ökonomie – Ökonometrische Studien: • Gneezy and Rustichini (1999): Kindertagesstätten in Israel • Strafen für zu spätes Abholen erhöhen Anzahl an Verspätungen • Austin und Gittell (1999): Crowding-Effekt bei Verspätungen im Flugverkehr. • NIMBY • Steuerhinterziehung. • Empirische Evidenz aus Psychologie und Ökonomie spricht eher für die Existenz eines Verdrängungseffekts. Markt und Motivation 28 Die Grenzen ökonomischer Anreize XXVI • Grenzen des Erklärungsgehalts – Umweltpolitik: • Gawel (2001, S. 162): “Die empirische Bedeutung negativer Intrinsik-Effekte ist ... im Umweltbereich denkbar gering.” • Verdrängungseffekt ist um so wahrscheinlicher, (Frey, Markt und Motivation 1997, S. 32ff.) – je persönlicher die Beziehung zwischen Prinzipal und Agent. – je höher die Begeisterung für eine Tätigkeit. – je weitgehender die Mitbestimmungsmöglichkeiten eines Agenten. Markt und Motivation 29 Die Grenzen ökonomischer Anreize XXVII • Verdrängungseffekt ist um so wahrscheinlicher, (Frey, Markt und Motivation 1997, S. 32ff.) – je einheitlicher die externe Intervention. – Belohnungen verdrängen stärker als Regulierungen. • Übertragungseffekt ist um so wahrscheinlicher, (Frey, Markt und Motivation 1997, S. 41ff.) – je ähnlicher die in Frage stehenden Gebiete hinsichtlich ihrer materiellen Eigenschaften gesehen werden. – je ähnlicher sich die Personen in Bereichen mit und ohne externe Intervention und die Prozesse sind. – je höher die Interaktion und je stärker Normen und Bräuche. Markt und Motivation 30 Reflektieren Marktpreise wahre Werte? I • Man muss eine Sache schwer erreichbar machen. – Beispiel: Tom Sawyer • Neoklassik: – Individuen kennen ihre Präferenzen. • Experiment – Studenten mit hoher Sozialversicherungsnummer zahlen mehr für eine Flasche Wein. • Kohärente relative Bewertung – Der bessere Wein ist mehr wert. Markt und Motivation 31 Reflektieren Marktpreise wahre Werte? II • Unterschiedliche Wahrnehmung der Veränderung von Preisen – Bewley (1999): Befragung amerikanischer Manager. – Warum kürzen Firmen die Löhne und Gehälter in der Rezession nicht? – Lohnkürzungen würden als unfair empfunden. – Arbeitnehmer werden eher entlassen. – Höhere Arbeitslosigkeit. – Erklärung von Lohnstarrheiten? – Geldillusion? Markt und Motivation 32 Der lange Weg zum Gleichgewicht I • Homo oeconomicus lernt nicht. – Bsp.: Transformationsprozess nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. – Menschen brauchen Zeit, sich auf etwas Neues einzustellen. • Neue Gleichgewichte ergeben sich erst nach einer Übergangszeit • Lernexperiment – Zwei Verkäufer, die bei null Produktionskosten Preise für ein Gut ausrufen. – Konsumenten versuchen, niedrigere Preise zu erzielen. Markt und Motivation 33 Der lange Weg zum Gleichgewicht II • Lernexperiment – Bonus für billigeren Anbieter und Malus für teurere Anbieter. • Vorhersage und Ergebnisse – Hypothese (homo oeconomicus): Anbieter sollten immer versuchen, den niedrigeren Preis anzukündigen. – Herunterkonkurrieren auf Null. – Bei hohem Malus allmähliche Annäherung an Null. – Bei niedrigem Malus zunächst Preise von 100 und danach Heraufkonkurrieren gen Maximum von 120. – Widerspruch zum homo oeconomicus. Markt und Motivation 34 Der lange Weg zum Gleichgewicht III • Lerntheorien – Bekräftigungslernen (Reinforcement Learning) • Tiere drücken mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Hebel, wenn sie in der Vergangenheit dafür Futter als Belohnung erhielten. • Menschen reagieren ebenfalls auf Bekräftigung. – Vermutungslernen (Belief Learning) • Menschen schließen von Beobachtungen vergangener Handlungen auf zukünftige. • Preise konkurrieren sich auf Null. – Kombination von beiden • Bewährte Strategien der Vergangenheit werden wiederholt. – Bsp.: Konsumentenverhalten • Präferenz für Produkt und Kauf ähnlicher Produkte. Markt und Motivation 35 Die neue Ökonomik der Ungeduld I • Zeitinkonsistenz – Wenn man langfristig plant, nimmt man sich vor, das ‚Richtige‘ zu tun. – Gute Absichten werden durch den Wunsch nach kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung untergraben. – Zeitinkonsistentes bzw. myopisches Verhalten. – Beispiele: • • • • • • Rauchen, Joggen, Diät. Zahnpflege. Diplomarbeit, Doktorarbeit, Forschungsarbeit. Individuelles Sparverhalten. Inflation Staatsverschuldung und Staatsdefizit. Markt und Motivation 36 Die neue Ökonomik der Ungeduld II • Präferenzumkehr – Konsumgutschein in 100 oder zwei in 101 Tagen. – Konsumgutschein heute oder zwei morgen. – Viele Konsumenten ziehen den sofort einlösbaren Gutschein den zweien morgen vor, während sie zuvor umgekehrt entscheiden. – Homo oeconomicus: Zeitpräferenz, die sich aber nicht danach richtet, ob Alternativen zeitlich nah oder weit entfernt sind. • Selbstbindung – Odysseus und die Sirenen Markt und Motivation 37 Die neue Ökonomik der Ungeduld III • Selbstbindung – Beispiele: • • • • • Man treibt Sport mit Partnern oder in Gruppen. Man stellt den Wecker auf den Schrank. Man kauft keine Süßigkeiten. Daueraufträge auf ein Sparkonto (Zielsparen). Haushaltsersparnisse in illiquider Form (Immobilie, Lebensversicherung, Bausparvertrag). • Staatlicher Zwang zur Altersvorsorge und zur Krankenversicherung. • Unabhängigkeit der Zentralbank. • Formale fiskalische Beschränkungen. Markt und Motivation 38 Die neue Ökonomik der Ungeduld IV • Regelbindung vs. Meritorik – Meritorik: • Schulpflicht • Drogenverbot • Subventionen für Kunst. – Regelbindung: • Ex ante Festlegung in akzeptierten Entscheidungsverfahren. • Akzeptanz der individuellen Präferenzen. • Regeln auf Verfassungsebene. Markt und Motivation 39 Zusammenfassung • Intrinsische Motivation und Reziprozität – Auswirkungen auf Arbeitsverträge. • Relative vs. Absolute Bewertung – Peer-Group Effekte und intertemporale Preisrigiditäten. • Lernprozesse – Übergänge zu neuen Gleichgewichten. • Selbstbindung – Regelbindung vs. Meritorik Markt und Motivation 40