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BZB September 13
Wissenschaft und Fortbildung
Kieferorthopädie beim Erwachsenen
und bei älteren Patienten
Integraler Bestandteil eines umfassenden zahnärztlichen Versorgungskonzepts
E i n B e i t r a g v o n P r o f . D r. D r. P e t e r P r o f f u n d D r. P h i l i p p H e s s , R e g e n s b u r g
Die in den vergangenen Jahren zu beobachtende
Akzentuierung der dentalen Ästhetik in der Laienund Fachöffentlichkeit mag den Eindruck begünstigen, eine kieferorthopädische Behandlung diene
vorrangig kosmetischen Zwecken. Dabei wird leicht
übersehen, dass die primären Aufgaben der Kieferorthopädie und zugleich ihre Kernkompetenz als
medizinische Disziplin nach wie vor in der präventiven und korrektiven Behandlung von Fehlfunktionen, Zahnfehlstellungen und Kieferfehlbildungen
mit Krankheitswert liegen.
Aufgaben der Kieferorthopädie bei Erwachsenen
Die Kieferorthopädie hat bei Erwachsenen wichtige Aufgaben bei der Vorbereitung und Mitbehandlung parodontologischer, prothetischer und chirurgischer Problemstellungen. Sie ist damit unverzichtbarer, integraler Bestandteil eines synoptischen und umfassenden, interdisziplinären Versorgungskonzepts. Der kieferorthopädische Befund ist
hier häufig durch eine Vielzahl von Faktoren gekennzeichnet, die ein komplexes Management an
der Schnittstelle mit der Parodontologie und der
Prothetik, aber auch mit der konservierenden Zahnheilkunde und der Chirurgie erforderlich macht.
Entsprechend der individuellen Kasuistik müssen
in einer medizinisch sinnvollen Reihenfolge bestimmte Behandlungsaufgaben interdisziplinär gelöst werden. Exemplarisch seien hier folgende Problemstellungen genannt:
· parodontaler Knochenabbau und Rezessionen der
marginalen Gingiva,
· Zahnverlust, reduzierte Zahnzahl,
· bestehende prothetische und konservierende Versorgungen,
· Zahnwanderung,
· kraniomandibuläre Dysfunktionen und
· eingeschränkte Ästhetik.
Kieferorthopädie im
parodontal geschädigten Gebiss
In der folgenden Darstellung stehen kieferorthopädische Maßnahmen im parodontal geschädigten
Gebiss im Mittelpunkt.
Parodontalerkrankungen stellen heute das
zahnärztliche Arbeitsgebiet mit der am
stärksten wachsenden
Abb. 1: Typisches Bild einer aufepidemiologischen Begefächerten Front als Symptom
deutung dar. So weisen
parodontaler Destruktion
nach den Ergebnissen
der deutschen Mundgesundheitsstudie von 2005 [1]
bereits über 70 Prozent aller Erwachsenen mittelschwere und schwere Parodontalerkrankungen auf.
Zeichen der parodontalen Destruktion
Auffälligstes Symptom einer parodontalen Destruktion ist die Labialkippung der Frontzähne mit
Entstehung von Lücken im Oberkiefer (Abb. 1). Zudem können die betroffenen Zähne extrudieren,
was zu einem verstärkten Überbiss führt. Folge der
parodontalen Destruktion ist neben pathologischen Zahnwanderungen und einer daraus resultierenden traumatischen Okklusion nicht selten
die Entstehung einer sekundären Fehlfunktion wie
zum Beispiel der Einlagerung der Unterlippe zwischen die beiden Frontzahnreihen durch die sich
vergrößernde sagittale Frontzahnstufe, was wiederum eine Fehlbelastung der betroffenen Zähne mit
sich bringt.
Grenzen der Parodontaltherapie
Eine alleinige Parodontalbehandlung garantiert
in solchen Fällen nicht den Stillstand von Zahnwanderungen, die sich bei bereits etablierter Fehlfunktion von Zunge beziehungsweise Lippen fortsetzen können. Diese klinischen Erfahrungen werden durch Studienergebnisse gestützt, denen zufolge Personen mit schwereren parodontalen Erkrankungen auch durch ausgeprägtere Dysgnathien
auffallen, ohne dass eine direkte Kausalbeziehung
nachzuweisen wäre [2]. Signifikante Zusammenhänge bestehen vor allem mit Engständen, verstärktem Überbiss, offenem Biss und mit Verschiebung der Kontaktpunkte [3].
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Abb. 3a und b: Linguale, festsitzende kieferorthopädische Apparatur (a: Oberkieferaufsicht, b: Frontalansicht)
Abb. 2a bis d: Parodontal geschädigtes Gebiss vor (a und b) und nach (c und d)
kieferorthopädischer Reorientierung der Zähne
Bedeutung kieferorthopädischer Maßnahmen
im parodontal geschädigten Gebiss
Entsprechend gewinnt die Frage kieferorthopädischer Maßnahmen im parodontal geschädigten
Gebiss immer mehr an Bedeutung. Sie versprechen
einen Lösungsansatz zur Wiederherstellung einer
stabilen und funktionellen Okklusion. Bei bestimmten Befunden wie traumatischem Einbiss, pathologischen Zahnwanderungen, infraalveolären Taschen oder ektopischer Zahnposition kann eine
kieferorthopädische Mitbehandlung die Knochenmorphologie verbessern sowie die parodontale
Situation günstig beeinflussen (Abb. 2a bis d).
Parodontal günstige orthodontische Effekte umfassen:
· das Abflachen interdentaler Krater,
· die Normalisierung des Verlaufs und der Mineralisierung des Limbus alveolaris,
· die Reduktion infraalveolärer Defekte,
· die Verbesserung von interradikulären Septen bei
Wurzelengstand und
· in Verbindung mit GTR-Verfahren einen Attachmentgewinn.
Früher galten orthodontische Maßnahmen als unvereinbar mit einer parodontalen Vorschädigung,
da die durch die dentale Plaque begünstigten entzündlichen Reaktionen zu Knochenresorptionen
und einer Destruktion des Desmodonts führen können, während diese bei guter Mundhygiene und
Entzündungsfreiheit stagnieren [4]. Daher sollte
einer kieferorthopädischen Therapie stets eine antiinfektiöse parodontale Behandlung vorausgehen.
Voraussetzungen für die kieferorthopädische Therapie
Orthodontische Zahnbewegungen kommen nach
geeigneter Kraftapplikation durch Knochenresorp-
tion auf der Druckseite und Knochenapposition auf
der Zugseite zustande. Ein funktionsfähiges Parodont ist Voraussetzung für die kieferorthopädische
Mechanotransduktion und den Gewebeumbau.
Während konventionelles Scalen zur Ausbildung
eines verlängerten Saumepithels führt und Zahnbewegungen in solche Bereiche hinein den Knochenabbau verstärken können, hat die regenerative Parodontaltherapie, zum Beispiel mithilfe von
GTR-Membranen oder Schmelz-Matrix-Proteinen,
die Prognose für die orthodontische Umorientierung gewanderter Zähne entscheidend verbessert.
Auf der Zugseite werden neue suprakrestale und
desmodontale Fasern gewonnen, um den orthodontischen Kraftstimulus auf den Alveolarknochen zu übertragen. Dies ist vorteilhaft für die Extrusion und Intrusion von Zähnen mit infraalveolären Taschen oder mit Furkationsbefall und für
die Aufrichtung gekippter Molaren mit mesialen
Knochentaschen. Wenn es gelingt, präorthodontisch eine Epithelproliferation nach apikal zu verhindern, versprechen körperliche Zahnbewegungen
in Richtung auf oder durch einen ossären Defekt
sowie Intrusionen Erfolg.
Kieferorthopädie nach parodontal bedingter
Bisssenkung
Bei fortgeschrittenen Parodontopathien kommt es
häufig durch einen Verlust der ersten Molaren zur
Mesialkippung der zweiten Molaren und damit zur
Bisssenkung. Neben dem horizontalen Knochenabbau treten eine protrudierte, aufgefächerte Front
mit Lückenbildung, Elongationen, ein unvollständiger Lippenschluss sowie okklusale Traumata auf.
Allein durch die kieferorthopädische Retrusion einer aufgefächerten Front können die Ästhetik und
die parodontale Situation bereits entscheidend verbessert werden. Als Behandlungsgeräte kommen
häufig ästhetisch unauffällige festsitzende Apparaturen mit Keramik- oder Lingualbrackets zum
Einsatz (Abb. 3a und b). Da aufgefächerte Frontzähne meist extrudiert sind, wird der orthodonti-
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sche Effekt hauptsächlich durch eine kombinierte
Intrusion und Retraktion der Zähne durch Ansatz
intrusiver Kräfte distal des Widerstandszentrums
erreicht [5]. Die entscheidende Rezidivprophylaxe
nach Lückenschluss lässt sich langfristig nur durch
eine posteriore Bisshebung mit Schaffung stabiler
okklusaler Verhältnisse und einen entsprechenden
Retainer gewährleisten.
Kieferorthopädie bei parodontalen Defekten
Grundsätzlich können orthodontische Zahnbewegungen an Zähnen mit knöchernen, entzündlich
veränderten Defekten zur verstärkten Destruktion
des bindegewebigen Attachments führen. Sofern die
marginale Entzündung präorthodontisch beseitigt
wird, können Zahnbewegungen in parodontale
Defektareale hinein zu einer Reduktion der parodontalen Defekte führen [6]. Sie haben aber keinen
Einfluss auf das Niveau des bindegewebigen Attachments [7]. Allerdings legt eine Reihe von Studien
nahe, dass im Anschluss an eine regenerative Behandlung von fortgeschrittenen parodontalen Läsionen die orthodontische Krafteinwirkung in frisch
regenerierte Bereiche einen echten Neugewinn von
Attachment nach sich ziehen kann [8].
Hingegen bedürfen orthodontische Zahnbewegungen entgegen einem Defektareal nicht zwingend einer vorausgehenden regenerativen Therapie [9]. Bei gleichzeitiger kontrollierter Extrusion ist
es möglich, einen Alveolardefekt zu reduzieren
oder ganz zu eliminieren. Dies ist in der Regel die
Methode der Wahl zur Verbesserung der parodontalen Verhältnisse [10]. Dennoch dürfen auch solche Zahnbewegungen nur unter Verwendung von
Kräften durchgeführt werden, die der Situation angepasst sind [11]. Außerdem ist nach der Parodontaltherapie und vor Beginn der orthodontischen
Behandlung eine Wartezeit von drei bis sechs Monaten einzuhalten [12].
Extrusive und intrusive Bewegung von Zähnen
im parodontal vorgeschädigten Gebiss
Die Anwendung extrusiver Bewegungen bei Zähnen mit parodontalen Defekten ist klinisch gut
vorhersehbar und resultiert oft in einem Knochengewinn [13]. Sie wurde zur Behandlung ein- und
zweiwandiger Knochentaschen empfohlen [14]. Unterschieden wird zwischen der langsamen Extrusion
mit geringer Krafteinwirkung und der forcierten Extrusion mit höherer Krafteinwirkung und fakultativer Fibrotomie [15]. Geeignete vertikale Zugkräfte
führen zur Koronalverlagerung des intakten binde-
gewebigen Attachments und zur Verbesserung der
limbalen Knochenstruktur [5]. Der Alveolarknochen
wächst mit dem Zahn nach koronal, wodurch sich
Knochendefekte nivellieren können.
Schwieriger einzuschätzen ist die Wirkung intrusiver
Bewegungen auf elongierte Zähne im parodontal
vorgeschädigten Gebiss. Es bedarf differenzierter biomechanischer Überlegungen, um eine Vertiefung
bestehender Defekte zu vermeiden [16]. Das Widerstandszentrum liegt aufgrund der reduzierten Knochenhöhe weiter apikal als beim gesunden Parodont,
was zu einem vergrößerten Drehmoment führt. Außerdem ist die Richtung der Zahnachsen zu berücksichtigen [17]. Auch wenn einzelne Studien belegen, dass die Intrusion von Zähnen nicht zwangsläufig zur Entwicklung vertiefter Taschen oder sogar
zu einem Attachmentgewinn führt [18], ist bei der
Intrusion von Zähnen im parodontal vorgeschädigten Gebiss besondere Vorsicht angezeigt.
Generell ist zu empfehlen, dass vor der Behandlung eines geschädigten Parodonts ein kieferorthopädisches Konsil erfolgt. Sofern Entzündungsfreiheit gewährleistet ist, stellen orthodontische Zahnbewegungen kein größeres Risiko dar, sondern können vielmehr die Erfolgsaussichten im Rahmen einer Parodontalbehandlung verbessern. Allerdings
erfordern sie differenzierte biomechanische Kenntnisse und Überlegungen und gehören daher in die
Hand des Fachzahnarztes für Kieferorthopädie.
Außerdem ist wegen der hohen Rezidivneigung
nach Abschluss der orthodontischen Therapie – neben dem parodontologischen Recall – in der Regel
eine kieferorthopädische Langzeitretention der behandelten Zähne ratsam.
Präprothetische Kieferorthopädie
Verbesserung der Ausgangssituation
Auch präprothetisch vermag die Kieferorthopädie
die Ausgangssituation für die Versorgung mit Kronen, Brücken oder Implantaten zu optimieren. Durch
diese Maßnahmen werden die Funktion und die
Stabilität und somit die Lebensdauer des Zahnersatzes deutlich erhöht. Hauptziele der präprothetischen Kieferorthopädie sind die Verbesserung von
Funktion, Ästhetik, Hygienefähigkeit und Pfeilerqualität. Zu den primär funktionsverbessernden
Aufgaben zählen die Bisshebung beziehungsweise
das Schließen eines offenen Bisses, die Beseitigung
eines Kreuzbisses oder einer Zwangsbissführung sowie die Wiederherstellung der Front-Eckzahn-Führung. Ästhetische Aufgaben sind etwa die Harmonisierung der Zahnbögen und des Profilverlaufs so-
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Abb. 4a und b: Zustand nach kieferorthopädischer Pfeilerverteilung bei multiplen
Nichtanlagen und Implantatversorgung; Abb. 4c: Zustand nach Eingliederung der
prothetischen Restauration
wie die Korrektur von Zahnwanderungen und Rotationen. Das Platzmanagement umfasst die Auflösung frontaler Engstände zur Verbesserung von
Ästhetik und Hygienefähigkeit. Dazu gehört auch
die Öffnung von Lücken, um ausreichenden Platz
vor der Versorgung mit einer Brücke oder vor einer
Implantation zu gewinnen, oder um eine günstigere Verteilung der Lücken vor einem konservierenden Aufbau oder vor der Eingliederung von Veneers
oder Kronen zu erreichen.
Eine besondere Rolle spielt die Verbesserung der Pfeilersituation im Hinblick auf die nachfolgende Versorgung (Abb. 4a bis c). Das Behandlungsspektrum
umfasst mehrere Möglichkeiten. Durch die Distalisierung von Prämolaren lässt sich die Verteilung von
Pfeilerzähnen verbessern, indem Brückenspannen
optimiert und neue Brückenpfeiler gewonnen werden. Bei einer verkürzten Zahnreihe kann sie dem
präprothetischen beziehungsweise präimplantologischen Knochenaufbau dienen. Weitere Optionen
bestehen in der Aufrichtung nach mesial gewanderter oder gekippter Molaren sowie in der Extrusion
oder Intrusion einzelner Zähne oder Zahngruppen.
Präprothetische Aufrichtung gekippter Molaren
Gekippte Molaren bedingen eine dysfunktionelle,
extraaxiale Belastung des Zahnes sowie okklusale Interferenzen durch Primärkontakte, die eine
Zwangsbissführung induzieren können. Außerdem
wird durch divergierende Pfeiler und die Einengung
des vorhandenen Platzangebots die Herstellung
funktionsgerechten Zahnersatzes behindert. Zugleich verursacht die Zahnkippung eine Stauchung
der Gingiva und führt zu Attachmentverlust [19].
Die Aufrichtung von Molaren kann verschiedenen
Abb. 5a bis d: Zustand vor (a und b) und nach (c und d) kieferorthopädischer
Aufrichtung eines Molaren
Zielen dienen, wie der Gewährleistung einer axialen Zahnbelastung, einer Parallelisierung von Pfeilerzähnen, der Schaffung adäquaten Platzes für
prothetische Zwischenglieder, der Beseitigung okklusaler Interferenzen sowie einer Nivellierung der
mesialen angulären Knochenkontur (Abb. 5a bis d).
Nicht zuletzt führt sie zu einer Verbesserung der
Hygienefähigkeit und damit der parodontalen Situation. Plaqueakkumulation, Sondierungstiefe und
Sulkusfluidrate gehen ebenso zurück wie die Zahnbeweglichkeit, außerdem kommt es zum Anbau
neuen Knochens. Durch die Aufrichtung eines stark
gekippten Brückenpfeilers erübrigt sich häufig eine
Wurzelbehandlung des Zahnes. Die Aufrichtung
von Molaren lässt sich einfach und äußerlich unsichtbar beispielsweise mittels einer kortikalen Verankerung in Kombination mit einer Aufrichtefeder
realisieren, die auch für intrusive oder extrusive
Bewegungen nutzbar ist.
Präprothetische Extrusion von Zähnen
Die kieferorthopädische Extrusion einzelner Zähne
ist dann indiziert, wenn vor einer Extraktion nicht
erhaltungswürdiger Zähne der verloren gegangene
Alveolarfortsatz wieder aufgebaut werden soll, um
später als Implantatlager zu dienen [20]. Bei senkrechter Ausrichtung der Zahnkronen zur Okklusionsebene folgt der Alveolarknochen dem Zug der
gedehnten parodontalen Fasern. Ebenso zur Anwendung kommt die Extrusion bei strategisch wich-
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Abb. 6a: Zustand nach Extrusion bei komplexer Kronen-/Wurzelfraktur; Abb. 6b: Zustand nach Extrusion und Freilegung vor chirurgischer Kronenverlängerung
tigen Zähnen, die einer kieferorthopädischen und/
oder chirurgischen Kronenverlängerung bedürfen
(Abb. 6a und b).
Besondere Bedeutung kommt hier auch dem Frontzahntrauma zu, der häufigsten traumatischen Läsion des Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereichs, die
insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit einem vergrößerten sagittalen Überbiss und inadäquater Lippenbedeckung der Frontzähne auftritt
[21]. Abgesehen von einer rechtzeitigen prophylaktischen Stellungskorrektur gefährdeter Zähne können auch nach erfolgtem Frontzahntrauma kieferorthopädische Maßnahmen indiziert sein, wie etwa
Lückenerhalt oder Lückenschluss nach irreversiblem
Zahnverlust. Ebenso eine Extrusionsbehandlung zur
Verbesserung der präprothetischen Situation nach
Kronen-/Wurzelfraktur und des apikalen Fragments
bei Wurzelfrakturen sowie nach traumatischer Intrusion. Dabei kann die Extrusion frakturierter
Frontzähne forciert mittels kortikaler Verankerung
erfolgen [22]. Wird hingegen die Zahnwurzel langsam extrudiert, damit der Zahn korrekt präpariert
werden kann und ausreichend Retentionsfläche für
die prothetische Versorgung bietet [23], ist anschließend eine apikale Verschiebeplastik erforderlich.
Weitere Aufgaben der Kieferorthopädie
Beseitigung von Funktionsstörungen und
Verringerung des Kariesrisikos
Nur der Vollständigkeit halber sei abschließend der
Beitrag erwähnt, den die Kieferorthopädie im Hinblick auf die Zahnerhaltung und die Beseitigung
von Funktionsstörungen leisten kann. Epidemiologischen Studien zufolge scheinen Zahn- beziehungsweise Kieferfehlstellungen zwar keinen gene-
rellen Einfluss auf das Kariesrisiko zu besitzen [24],
allerdings konnten im Wechselgebiss entsprechende Zusammenhänge durchaus festgestellt werden
[25]. Eine statistisch signifikante Parallelität zeigte
sich bei der Prävalenz von Karies sowie von Kreuzbiss im Seitenzahnbereich und mandibulärem Overjet. Auch die klinische Erfahrung legt nahe, dass bestimmte Zahnfehlstellungen im individuellen Fall
durchaus das Kariesrisiko erhöhen können. So gelten Engstände wegen vermehrter Plaqueretentionsnischen als begünstigender Faktor für die Entstehung
von Karies. Einen ähnlichen Effekt können Zahnwanderungen in einem Lückengebiss haben.
Es wird häufig behauptet, eine kieferorthopädische
Behandlung erhöhe das Risiko von Kiefergelenksstörungen und Parafunktionen. Das Gegenteil wurde kürzlich in einer Studie von Hirsch (2009) [26] an
über 1 000 zufällig ausgewählten Kindern und Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung im Alter
von zehn bis 18 Jahren belegt. Nach Kontrolle der
Effekte von Alter, Geschlecht und Schulform ergab
sich weder für anamnestische noch klinische CMDSymptome beziehungsweise -Diagnosen ein erhöhtes Risiko während der kieferorthopädischen Behandlung. Vielmehr wurden sowohl Schlifffacetten
an den Frontzähnen als auch subjektiv angegebene
Bruxismusaktivitäten durch die kieferorthopädische
Behandlung signifikant verringert.
Schlussbemerkung
Die Möglichkeiten und die Notwendigkeit der kieferorthopädischen Behandlung erwachsener Patienten werden sich in der Zukunft weiter ausweiten.
Gerade in einer Zahnheilkunde, die sich zunehmend als präventionsorientiert versteht, ist die kieferorthopädische Therapie als integraler Bestandteil einer interdisziplinären Therapie zwischen Parodontologie und Prothetik unter ästhetischen und
funktionellen Gesichtspunkten unverzichtbar.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Dr. Peter Proff
Dr. Philipp Hess
Poliklinik für Kieferorthopädie der Universität Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93053 Regensburg
Literatur bei den Verfassern
Hinweis
Prof. Dr. Dr. Peter Proff referiert beim 54. Bayerischen
Zahnärztetag. Das ausführliche Programm finden Sie
auf Seite 24f.
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