18.239 Substrukturelle Logiken Vorlesung Berndt Farwer [email protected] Wintersemester 2002/2003 Themeneinordnung • Inhalt: Substrukturelle Logiken sind nichtklassische Logiken, die insbesondere im Zusammenhang mit Problemen der formalen Grundlagen der Mathematik, der mathematischen Linguistik, der Logik und der theoretischen Informatik entwickelt wurden. . viele spannende und für die Informatik bedeutsame Ergebnisse Einblicke in die formalen Strukturen von Informatiksystemen • Prinzip substruktureller Logiken: . Regeln für die logischen Konnektoren bleiben unverändert bestehen . Einschränkungen bei den sog. Strukturregeln betrifft z.B. die Kommutativität der Konjunktion die Ableitbarkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) Logiken Es werden verschiedene Logiken und Kalküle behandelt. • Grundlagen der Beweistheorie . Hilbert-Systeme . Gentzen-Systeme . Paradigmen: Formeln als Typen, Beweise, bzw. Terme • Propositionale und prädikatenlogische Kalküle . intuitionistische Logik . Relevanz-Logik . Lineare Logik • Spieltheorie • Kategorientheorie • konkrete Anwendungen substruktureller Logiken Ziele der Vorlesung • Vermittlung aktuelle Ergebnisse, die in einem direkten Zusammenhang zur Informatik stehen . Typenkonzepte (type theory) . eager vs. lazy evaluation . garbage collection . Ressourcenkonzepte . Petrinetze • Lernziele: . Kennenlernen verschiedener substruktureller Logiken und deren Anwendung auf informatikspezifische Fragestellungen . Formulierung präziser Semantiken für unterschiedliche Konzepte der Programmierung und Modellierung Wie paßt dies ins Hamburger Informatikstudium? • Stellung im Studienplan: Hauptstudium, . Vertiefungsgebiete A1, A2, A3, A4, A5, A6, P1, P2, P3, P4, P5, P6, P7, P8, P9, P10, Th1, Th2, Th3, Th4 . Profile: Intelligente Systeme (insbes. Sprachverarb., Wissensverarb.), Softwaresystemtechnik (alle Schwerpunkte) • Voraussetzungen: Grundstudium, mathematisches Interesse • Vorgehen: Vorlesung mit integrierten Übungen • Periodizität: einmalig Literatur . Greg Restall, An Introduction to Substructural Locics, Routledge, 2000; . Peter Schröder-Heister, Kosta Dosen (Hrsg.), Substructural Logics, Oxford, Clarendon Press, 1993; . weitere aktuelle Literatur in Form einzelner Artikel Inhalt der ersten Wochen • Teil 1: Klassische Logik • Teil 2: Kalküle . Hilbert-Kalkül . natürliche Deduktion . Sequenzenkalkül Eigenschaften Klassische Logik • Inhalt . Grundlagen, Begriffe . Eigenschaften Grundlagen Definition 1. [Alphabet der propositionalen Logik] Ein Alphabet der propositionalen Logik besteht aus atomaren Symbolen aus den folgenden paarweise disjunkten Klassen: 1. Eine abzählbare Menge von Propositionskonstanten; 2. Wahrheitskonstanten: >, ⊥; 3. Konnektoren: ¬, ∨, ∧, →, ↔; 4. Klammern als Trennzeichen. Syntax der Aussagenlogik Definition 2. [wohlgeformte Formel] Die Menge der wohlgeformten Formeln über einem Alphabet Σ ist die kleinste Menge, die folgende Bedingungen erfüllt: 1. >, ⊥ sowie jede propositionale Konstante aus Σ sind wohlgeformte Formeln. 2. Wenn A und B wohlgeformte Formeln sind, dann sind (¬A), (A ∨ B), (A ∧ B), (A → B) und (A ↔ B) ebenfalls wohlgeformte Formeln. Semantik (1) • Propositionale Konstantensymbole werden auch als Aussagenvariablen bezeichnet. . Variablen können mit Werten belegt werden. Definition 3. [Interpretation] Eine Interpretation I = hLΣ , ϕi einer propositionalen Sprache LΣ wird eindeutig bestimmt durch die Belegung ϕ, die jeder propositionalen Konstante aus Σ ein Element aus {0, 1} zuweist. • Zur Definition der Semantik der Aussagenlogik benötigen wir noch eine Vorschrift zur Bewertung zusammengesetzter Formeln. Semantik (2) Definition 4. [Bewertungsfunktion] Sei I Interpretation für L und A ∈ L. Der Wahrheitswert von A in I wird rekursiv bestimmt durch die Bewertungsfunktion vϕ : L −→ {0, 1}: 1. vϕ (>) = 1, vϕ (⊥) = 0; 2. vϕ (p) = ϕ(p), für alle Propositionskonstanten p; 3. vϕ (¬B) = 1 − vϕ (B); 4. vϕ (B ∨ C) = 1 gdw. vϕ (B) = 1 oder vϕ (C) = 1. 5. vϕ (B ∧ C) = 1 gdw. vϕ (B) = 1 und vϕ (C) = 1. 6. vϕ (B → C) = 1 gdw. vϕ (B) = 0 oder vϕ (C) = 1. 7. vϕ (B ↔ C) = 1 gdw. vϕ (B → C) = 1 und vϕ (C → B) = 1. Semantik (3) • Eine Formel A heißt wahr (bzw. falsch) in I (bzw. vϕ (A) = 0). gdw. vϕ (A) = 1 • Eine Formel A heißt erfüllbar gdw. ∃I : vϕ (A) = 1. • Eine Formel A heißt Tautologie gdw. ∀I : vϕ (A) = 1. • Eine Interpretation I ist Modell einer Formel A gdw. vϕ (A) = 1. • Eine Formel B ist in konjunktiver Normalform gdw. 1 0 m(i) n ^ B _ C Bij A , B= @ i=1 j=1 wobei die Bij Literale sind. Semantik (4) • Jede abzählbare Teilmenge einer propositionalen Sprache heißt propositionale Theorie. • Eine Interpretation I ist genau dann ein Modell einer Theorie T , wenn alle Elemente von T in I wahr sind. Eine Theorie, für die ein Modell existiert, heißt erfüllbar, andernfalls unerfüllbar. Kompaktheitstheorem Theorem 1. Eine Theorie T hat ein Modell gdw. jede endliche Teilmenge von T ein Modell hat. • Eine Formel A heißt semantische Konsequenz einer Theorie T , T |= A, gdw. A in jedem Modell von T wahr ist. Ableitbarkeit Definition 5. [Deduktionssystem] Ein Deduktionssystem für propositionale Logik ist ein Paar D = hT, Ri, wobei 1. T eine Theorie ist und 2. R = {R1 , . . . , Rn } ist eine endliche Menge von Inferenzregeln. Jede Regel R i ist eine partielle Funktion von Lk nach L (k ≥ 1). Wenn die Prämissen A1 , . . . , Ak ∈ T im Definitionsbereich von Ri liegen, heißt Ri anwendbar auf A1 , . . . , Ak , und Ri (A1 , . . . , Ak ) heißt Konklusion von A1 , . . . , Ak . . In der Literatur werden Deduktionssysteme auch als Kalküle oder Inferenzsysteme bezeichnet. . Regeln schreiben wir im allgemeinen in der Form: P rämissen Konklusion Beweisbarkeit • Eine k-stellige Inferenzregel Ri heißt korrekt (sound) gdw. für jede Interpretation I gilt: ∀A1 , . . . , Ak ∈ T : vϕ (A1 ∧ · · · ∧ Ak ) = 1 ⇒ vϕ (Ri (A1 , . . . , Ak )) = 1 • Eine Formel A heißt beweisbar in einem Deduktionssystem D (A ist Theorem in D) gdw. es eine Folge A1 , . . . , A m von Formeln aus L gibt, so daß A = Am und für jedes i mit 1 ≤ i ≤ m entweder Ai ∈ T oder Ai eine Konklusion einer Regelanwendung auf einer Teilmenge der vorhergehenden Formeln ist. Eine solche Folge heißt Beweis von A in D . Beweisbarkeit (2) • Eine Formel A heißt beweisbar aus einer Theorie S in einem Deduktionssystem D = hT, Ri, geschrieben S `D A, gdw. es eine Folge A1 , . . . , A m von Formeln aus L gibt, so daß A = Am und für jedes i mit 1 ≤ i ≤ m entweder Ai ∈ S ∪ T oder Ai eine Konklusion einer Regelanwendung auf einer Teilmenge der vorhergehenden Formeln ist. Eine solche Folge heißt Beweis von A aus S in D . (A heißt auch syntaktische Konsequenz von S in D ). • Da man eine Theorie auch als Konjunktion der in ihr enthaltenen Formeln (also als Formel) auffassen kann, läßt sich die Ableitbarkeitsrelation `D intuitiv erweitern, so daß auch Formeln (statt Formelmengen) auf der linken Seite der Relation stehen können: A `D B ⇔ {A} `D B Hilbert-Kalkül Definition 6. [Hilbertsche Axiomatisierung der Aussagenlogik] Sei L eine propositionale Sprache. Das Hilbertsche Deduktionssystem der klassischen Aussagenlogik CPL = hT, Ri besteht aus 1. T enthält folgende Axiomenschemata: (a) > (b) A → (B → A) (c) (A → B) → ((A → (B → C)) → ((A → C))) (d) ¬(¬A) → A 2. Die einzige Regel ist der modus ponens (MP): ff A → B, A R= B Korrektheit/Vollständigkeit • Der Beweisbarkeitsoperator der (klassischen) propositionalen Logik wird mit T h bezeichnet. . Es gilt: T h(T ) = {A | T ` A}. • Der Operator T h hat folgende Eigenschaften: . T ⊆ T h(T ) . Idempotenz: T h(T ) = T h(T h(T )) . Monotonie: T ⊆ T 0 ⇒ T h(T ) ⊆ T h(T 0 ) Theorem 2. [Korrektheit, Vollständigkeit] T `A . Korrektheit: . Vollständigkeit: ⇒ T |= A T |= A ⇒ T `A • Eine Theorie T über einer Sprache L heißt konsistent gdw. es eine Formel A ∈ L gibt, so daß T 6` A. Der Grund dafür liegt darin, daß aus einem Widerspruch alles ableitbar ist (ex falso quodlibet). Eine Theorie T ist konsistent gdw. sie erfüllbar ist. Deduktionstheorem Theorem 3. [Deduktionstheorem] Seien T eine Theorie und A1 , . . . , An , A und B Formeln aus L. Dann gilt: 1. T ∪ {A} ` B ⇔ 2. {A1 , . . . , An } ` B T ` A → B; ⇔ ` A1 ∧ · · · ∧ An → B . Eigenschaften der Aussagenlogik • Beweisbarkeit • Entscheidbarkeit • Korrektheit • Vollständigkeit • Monotonie • Wahrheitsfunktionalität • Kompaktheit • effektive Umformbarkeit in konjunktive und disjunktive Normalform • Gültigkeit des Gesetzes vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) • Involutivität der Negation Aufgabe • Kann X ∨ ¬X im Hilbertschen Kalkül bewiesen werden? . Falls ja, wie? . Falls nein, warum nicht?