Skript zur Wirtschaftspolitik für die BA Mannheim, SS 2003 5. Allgemeine Wirtschaftspolitik 5.1 Einleitung Die folgenden Kapitel setzten das im Wintersemester begonnene Skript zur Wirtschafts- und Sozialpolitik fort. Die im 4.Kapitel gewonnenen Erkenntnisse über die Funktionsweise einer Marktwirtschaft und die zentralen Mechanismen werden in diesem Teil als bekannt vorausgesetzt und stellen den Bezugspunkt dar. Nach einer allgemeinen Einführung (5.Kapitel) werden Preisniveaustabilität (6.Kapitel), Wachstumspolitik (7.Kapitel), sowie Außenhandelspolitik (8.Kapitel) und auszugsweise Umweltpolitik (9.Kapitel) als Beispiele von Wirtschaftspolitik analysiert. 5.2. Begriff der Wirtschaftspolitik Was ist Wirtschaftspolitik? Wirtschaftspolitik ist die Gesamtheit aller von der Gemeinschaft unternommenen Bestrebungen, Handlungen und Maßnahmen, die darauf abzielen, das Wirtschaftsgeschehen dieser bestimmten Gemeinschaft (i.A. eine Volkswirtschaft) im Sinne der Allgemeinheit zu beeinflussen. Jede einzelne Handlung eines der Gemeinschaftsmitglieder beeinflusst das Wirtschaftsgeschehen und hat Auswirkungen auf die Wohlfahrt der anderen. Bereits dadurch das eine Handlung durchgeführt wird, verschwindet die Möglichkeit für eine alternative Handlung, die andere Handlungen nach sich gezogen hätte. Beispiel: Gehen wir davon aus, dass A lediglich Brot besitzt und B lediglich Butter (komplementäres Gut zu Brot), so ist es nicht nur für A und B von Bedeutung, dass A einen Teil seines Besitzes mit B tauscht, sondern auch, dass nun C der ebenfalls Butter besitzt und Brot ertauschen möchte, dies wohl von A nicht mehr so gerne (und günstig) bekommen wird, da A nun Butter weniger benötigt und mit seiner 1 Ausstattung ganz zufrieden ist. Weiterhin wird sogar D beeinflusst, der Brot besitzt und nun statt vielleicht mit B zu handeln nun mit C handeln wird (der z.B. ein zäher Verhandlungskünstler ist). So ist es also nicht nur für A und B von Bedeutung, wenn A mit B handelt, sondern auch für C, der vielleicht sonst mit A gehandelt hätte. Sogar für D ist es wichtig, denn sein potentieller Tauschpartner heißt nun vielleicht C statt vorher B. Die Handlungen der einzelnen Personen unterscheiden sich von der Handlung einer gemeinschaftlichen Instanz, die sie als agierende Person geschaffen haben. Natürlich handeln streng genommen immer nur einzelne Individuen, aber die Individuen haben sich in einer Gemeinschaft auf bestimmte Grundsätze und Verfahrensregeln (implizit oder explizit) geeinigt und innerhalb dieser Grundsätze kann sich eine eigene Dynamik entwickeln. Während in Plan- bzw. Verwaltungswirtschaften einer zentralen Instanz die Möglichkeit gewährt wird, die Ressourcen und Güter umzuverteilen, ist in der Marktwirtschaft jedem einzelnen selbst in einem bestimmten Rahmen erlaubt seine Ressourcen umzuverteilen. Die Gesetze bestimmen lediglich die Art des erlaubten Handelns. Bei einer so großen Gemeinschaft, wie sie mit der Zeit gewachsen ist und wie sie die heutigen Staaten darstellen (vgl. Analogie zum 1. Kapitel: Schutzgemeinschaft) wurden Strukturen geschaffen, die von den Mitgliedern der Gemeinschaft finanziert werden und keinem Individuum oder einer Gruppe zuzuordnen sind. Diese Staaten, die in ihrer Organisationsform viele Ähnlichkeiten aufweisen, entwickeln sich lediglich aufgrund ihrer Gesetze und der Vorschläge zur Weiterentwicklung von Vertretern aus der Gemeinschaft weiter, so dass es gewisse unterschiedliche „politische“ Strukturen gibt, die sich auf verschiedenen Entwicklungspfaden befinden und nur schwer in andere Bahnen gelenkt werden können. Ebenso wie im 1.Kapitel die verschiedenen Teile der sozialen Sicherungssysteme eher dem Fürsorgesystem, der Staatsbürgerversorgung oder dem Sozialversicherungsprinzip entsprechen, sind auch der Wirtschaftspolitik durch die bestehenden Regelungen (der vorherigen Generation) Schranken gesetzt. Der theoretischen Möglichkeit alles zu ändern stehen praktische Gründe entgegen: Bspw. Gesammelte Erfahrungen aus vorher 2 bestehenden Systemen, hohe Aufwendungen für Anpassungsänderungen, neue Erwartungsunsicherheiten mit hohen Kosten. Diese historischen Entwicklungspfade werden hier nur am Rande behandelt und der Leser auf die Arbeiten von Douglas North u.a. verwiesen. Stark verallgemeinert besteht für die gesamte Gesellschaft ein Trade-Off zwischen den Kosten der Unordnung (Unsicherheit, zerstörerische Besitzaneignung, extrem hohe als negativ empfundende Wohlfahrtsunterschiede, etc.) und den Kosten der Ordnung (Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten, Inflexibilität in der Zukunft). Die Wirtschaftspolitik soll zu bestimmten Zeitpunkten Präferenzen der Mitglieder einer Gemeinschaft 1 aggregieren und eine Beeinflussung der wirtschaftlichen Transaktionen möglichst effizient umsetzen. Diese Maßnahmen beruhen aber keineswegs auf einer Präferenz 2, die alle Individuen teilen. Es ist vielmehr so, dass gerade Kompromisse oder auch nur von einzelnen Gruppen befürwortete Maßnahmen 3 vertreten werden. Zum einen liegt dies an dem diskretionären Spielraum, d.h. die einzelnen Maßnahmen können nicht in vollem Maße von jedem wahrgenommen werden (Zeitaufwand und Informationskosten verhindern dies), zum anderen daran, dass bewusst Koalitionen gebildet werden, die auf einer Mehrheit beruhen und gegen eine Minderheit gerichtet sind. Rein rechtlich sind diese dabei nicht diskriminierend und stellen nur Grundsätze dar, aber da die faktische Verteilung von Gütern und Verfügungsrechten nicht gleichmäßig ist, bedeutet jede Beeinflussung der Preise auch eine Beeinflussung der Verteilung des Wohlstandes unter den Mitgliedern der Gemeinschaft. Was im Sinne der Allgemeinheit ist, ist zumeist von individuellem Interesse geprägt, es ist deshalb selbst bei gesamtwirtschaftlichen Zielen zu fragen, wer davon in welcher Weise profitiert; dies wird näher in Kapitel 5.4 untersucht. Ein großer Teil der Forschung im Bereich der Wirtschaftspolitik beschäftigt sich mit der Frage, wie ein Entscheidungsmechanismus gefunden werden kann, der eine mit 1 Die Problematik der Eingliederung und Auswanderungsalternativen wird zunächst nicht mit betrachtet. Bei öffentlichen Gütern ist zwar die Verteilungsseite einfach zu gestalten, aber dafür ist die Finanzierung dort ebenso problematisch. 3 Der Volonté general ist somit ein rein philosophisches Konzept. 2 3 der Intensität des Interesses gewichteten Stimmensumme für die einzelnen Regelungsbereiche maximiert.4 Einem Terror der Majorität sind unter den demokratischen Regimen (für die anderen Regime würde eine Analyse sich lediglich auf die Wohlfahrt der Herrschenden beziehen) Grenzen gesetzt. Die in der Demokratie herrschenden erfüllen diese Position nur auf Zeit und aufgrund einer funktionalen Arbeitsteilung. Die Funktion ist nicht mit der sie tragenden Person fest verbunden. Die Unzufriedenheit von Mitgliedern der Gemeinschaft (im Folgenden auch Bürger) kann nicht nur durch den einmaligen Akt der Wahl ausgedrückt werden, sondern findet als Prozess dauerhaft statt, z.B. über die Teilnahme an Diskussionen (Beeinflussung anderer), Schreiben von Leserbriefen, Demonstrationen, Boykotte, etc. In einem demokratischen System besitzt die Regierung zwar einen diskretionären Spielraum, da viele Maßnahmen nicht antizipiert werden, ist aber andererseits auch ständig in der Situation von Stimmungen der Bevölkerung beeinflusst zu werden. In Realita ist die Regierung natürlich nicht der alleinige Träger der Wirtschaftspolitik, zahlreiche Institutionen wie z.B. die Zentralbank, bürokratische Verwaltungen oder aber auch Einspruch von Länderregierungen, beschränken das Bild der autark handelnden und gestaltenden Vertreter der Gemeinschaft. Einen Überblick über die Mechanismen der Präferenzdurchsetzung der Bevölkerung liefert folgende Abbildung: 4 Dabei ist dies theoretisch natürlich wesentlich einfacher als praktisch, da Offenbarungsmechanismen für die wahren Präferenzen nur schlecht funktionieren. Außerdem sind die Kosten dieser Entscheidungsfindung mit zu berücksichtigen, so dass es sich z.B. nicht lohnen würde unterschiedliche Regierungen für verschiedene Bereiche zu wählen. 4 Quelle: Clement et. al (2001), S. 23 Allerdings geht es in diesem Skript viel weniger darum einen konkreten Weg zur Entscheidungsimplementierung, als viel mehr die möglichen Wirkungen verschiedener Entscheidungen zu verdeutlichen und die hinter jeder einzelnen Entscheidung liegenden Intentionen zu verstehen. Die Auswirkungen von politischen Maßnahmen können aus alten Daten nur dann hergeleitet werden, wenn die äußeren Bedingungen als konstant angesehen werden. Da aber Individuen bei neuen Regelungen ihre Erwartungen und ihr Verhalten anpassen, kann es oftmals schwierig sein die Wirkung einer Regelung abzuschätzen („Lucas-Kritik“) 5. Doch bevor näher auf die Ziele der Wirtschaftspolitischen Maßnahmen eingegangen wird, soll zunächst einmal deren Ausmaß- näher charakterisiert werden. 5.3 Bedeutung und Umfang der Wirtschaftspolitik Mit zunehmendem gesellschaftlichen Wandel und einer weitergehenden Arbeitsteilung sind auch die Aufgaben des Staates gewachsen. Dabei spielen sowohl die gesellschaftlichen Veränderungen, die eine Auflösung von ehemaligen privaten Sicherungsstrukturen (vgl. Kapitel 1) 5 mit sich brachten, als auch die Vgl. Freytag und Donges (2001), S.34: „Da die Struktur eines ökonometrischen Modells optimale Entscheidungsregeln der Wirtschaftssubjekte umfasst und da optimale Entscheidungsregeln sich systematisch mit den für die Wirtschaftspolitik relevanten Zeitreihen ändern, wird jede Änderung der Wirtschaftspolitik die Struktur des ökonometischen Modells ändern.“ 5 Verselbstständigung des Ausbaus der Verwaltung eine entscheidende Rolle (vgl. Wagnersches Gesetz, 1.Kapitel). Das Ausmaß des staatlichen Interventionsumfanges ist zum einen in den Gesetzen und Regulierungen (schwer zu operationalisieren), als auch in den erweiterten Aufgabenfeldern zu sehen. Da die Regulierungen und Eingriffe zumeist mit einer sie durchführenden Instanz verbunden sind, ist die Höhe der Staatsdienerquote (Staatsdiener/Gesamtzahl der Beschäftigten) ein quantitatives Maß. Allerdings finden Transferumfang und direkte Zuwendungen keine Berücksichtigung in dieser Größe. Deshalb hat sich allgemein das Maß der Staatsquote durchgesetzt, diese ist durch den Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt definiert. Die Entwicklung dieses Maßes veranschaulicht die folgende Tabelle: Entwicklung der Staatsquoten im internationalen Vergleich Die Staatsquote der G7 60 50 Prozent des BIP Canada 40 Japan USA 30 Frankreich Deutschland Italien 20 Großbritannien 10 0 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 Quelle: OECD Economic Outlook (1998) Während in längeren Zeitreihen der Anstieg in allen Ländern erfolgt, zeigt sich in der obigen Abbildung ein differenzierteres Bild: Trotz der ähnlichen wirtschaftlichen Entwicklung der Länder finden bei einigen Ländern starke Expansionen statt (z.B. Japan), bei anderen relative Stagnationen (USA) und vorübergehende Rückgänge (GB). Diese unterschiedliche Entwicklung 6 wird durch verschiedene Staatsauffassungen (in der Bevölkerung), politische Systeme und ähnliches erklärt. Die Entwicklung der Staatsaufgaben stellt also keineswegs eine naturgegebene Entwicklung dar. Die Autorität des Staates und der Gemeinschaft kann allerdings auch indirekt Einfluss auf die Marktergebnisse haben, z.B. Boykottaufrufe („Buy British“). Neben der inneren Aufgabendifferenzierung spielen auch zunehmend überregionale Transferzahlungen (z.B. EU) und internationale Verpflichtungen eine Rolle. Die hohe Regelungsintensität und die Kompliziertheit der Gesetze führen oftmals zu einem Abwandern von Teilen der Wirtschaftsaktivität in die Schattenwirtschaft. Wenn die Akzeptanz der Regeln nicht mehr gewährleistet ist, wird versucht, diese zu umgehen. Die angedrohten Strafmaßnahmen stellen dabei nur bedingt ein Abschreckungspotenzial dar, da die Wahrscheinlichkeit des Aufdeckens solcher Aktivitäten relativ gering ist. Als Schattenwirtschaft werden dabei weder die auf den Eigenbedarf ausgerichtete häusliche Produktion, noch die auf illegalen Märkten (z.B. Drogenmarkt) getätigten Transaktionen bezeichnet. Verursachende Faktoren Überreglementierung und können deren neben der oben beschriebenen mangelnder Akzeptanz auch als ungerecht empfundene hohe Belastungen durch weitere Abgaben sein. Weitere Ursachen sind zwangsweise Arbeitsverbote (z.B. Frühverentung= „5 Mio. Vollzeit Schwarzarbeiter“) oder perfektionierte Institutionen ohne Anschauungspotenzial (abstrakte Regelungen verhindern ein Verständnis der Notwendigkeit von diesen). Die Folgen sind zurückgehende Beiträge. Um die Ausgaben zu decken werden noch höhere Beiträge von den ehrlichen Zahlern verlangt, so dass die Moral weiter erodiert. Außerdem werden höhere Kontrollaufwendungen auf der einen und größere Verschleierungsaufwendungen auf der anderen Seite getätigt. Einen Überblick über den Umfang der Schattenwirtschaft in den OECD Ländern, die relativ zu Entwicklungsländern ein viel niedrigeres Ausmaß annimmt, liefert die folgende Tabelle: 7 Quelle: Schneider (2002), Tabellenanhang 5.4. Überblick über die Arten der Interventionen Nachdem dargestellt wurde, wie weitreichend und umfassend die Interventionen des Staates in die private Marktwirtschaft sind, sollen in diesem Abschnitt die verschiedenen Arten beschrieben werden. Dabei wird in 2 Schritten vorgegangen: Zunächst werden die Aufgaben gegliedert und dann wird anhand eines idealisierten Marktes konkrete Arten von Interventionsmaßnahmen vorgestellt. 8 Da Wirtschaftspolitik als die Summe aller staatlichen Ordnungen und Lenkungen der gesamten Marktprozesse anzusehen ist, kann man zunächst den zentralen theoretischen Gesichtspunkt der Abgrenzung zwischen Volkswirtschaften, nämlich deren Währungen, als Ausgangspunkt nehmen. In der einfachsten Darstellung aggregiert man deshalb die Märkte nur zu zwei Märkten, nämlich dem Geld- und dem Gütermarkt. Dort charakterisieren kontraktive und expansive Geld- und Fiskalpolitik6 als makroökonomische Politiken ohne Verzerrungswirkung den makroökonomischen Handlungsspielraum. Die durch das bekannte IS-LM Modell verdeutlichte einperiodige Entscheidung, stellt im Vergleich zweier Zeitpunkt auch einen Rahmen für intertemporale Untersuchungen von makroökonomischer Stabilisierungspolitik dar. Eine exogene Störung eines Gleichgewichtes führt zu einem neuen Gleichgewicht. Existieren Größen die nicht flexibel sind, so wird eine Markträumung verhindert (vgl. Bsp. Fixe Nominallöhne, Kapitel 2). Durch eine Intervention in den o.g. makroökonomischen Politiken, kann der Staat einen Ausgleich herbeiführen (der Anpassungsprozess ist in dem Grundmodell nicht abgebildet). Die gesamtwirtschaftlich positiven Folgen einer solchen Intervention hin zu einer gleichmäßigeren Entwicklung der Wirtschaft können durch Anpassungskosten modelliert werden. Neben dieser als Stabilisierungspolitik bezeichneten Intervention werden als weitere Arten der Interventionen die Ordnungs- (d.h. Rechtssystem, Wettbewerbsund Geldpolitik), vgl. Kapitel 4), Allokations- (ebenfalls Kapitel 4), und Verteilungspolitik (vgl. Kapitel 1-3) unterschieden. Eine andere Unterscheidung differenziert die Handlungen des Staates in auferlegte (soziale, gesetzliche, ökonomische) Beschränkungen des Handelns politische, sowie Kompetenzzuweisung, wer worüber zu entscheiden hat (ordnungspolitisch) und steuernde Eingriffe in dieses Handeln selbst (prozesspolitisch).7 Sowohl bei der Erhebungs- als auch bei der Verwendungsseite werden jedoch zumeist mehrere Gebiete gleichzeitig angesprochen, so dass eine strikte Trennung 6 Eine expansive Geld- / Fis kalpolitik beschreibt eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben, die kurzfristig erhebungsneutral (z.B. über Kredite oder nicht antizipierte Inflation) positiv auf die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage wirken: Bei der Geldpolitik über eine Senkung der Zinsen und eine Erhöhung der Investitionen, bei der Fiskalpolitik direkt über eine Nachfragesteigerung. Es sei angemerkt, dass dieser Zusammenhang in einer offenen Volkswirtschaft (vgl. Kapitel 8) nicht mehr so unbedingt gilt. 7 Diese Unterscheidung ist eine deutsche Sichtweise. In der angelsächsischen Literatur taucht diese überhaupt nicht auf. 9 eine eher theoretische Konstruktion ist. So hat z.B. eine Kapitalbesteuerung auch Verteilungswirkungen, falls sich die Sparneigungen der Leute unterscheiden, oder eine mit einer expansiven Geldpolitik verbundene höher Inflationsrate (vgl. Kapitel 6) ebenso Verteilungswirkungen. Allerdings sind diese bei der entsprechenden Aggregationsebene bezogen auf die anderen intendierten Wirkungen relativ gering. Die Aufgabe der Wirtschaftstheorie ist es, die Folgen aufzuzeigen, die Bewertung dieser Folgen ist die Aufgabe der Entscheidungsfindung. Da die Wirkungen in Realität sehr komplex sind, werden Effekte, wie z.B. die Höhe des Einkommens, die sicherlich das Entscheidungsverhalten mit beeinflussen (vgl. Kapitel 3), als kurzfristig relativ konstant gesehen. Die Entscheidungen, die sich durch kurzfristige Änderungen auf dem Markt ergeben, variieren relativ im Bezug zur Einkommenshöhe schneller. Natürlich ist bereits die Denkweise von einem Markt ein Denkkonstrukt, das im Bezug auf die realen Verhaltensweisen und die durch Informationsasymmetrien und Transaktionskosten gekennzeichnete reale Handelswelt nicht besonders realitätsnah wirkt. Aber lediglich Einschränkungen der realen Komplexität lassen ein Problem analytisch handhabbar werden. Konsistente Modellierungen erfordern zudem eine gewisse Plausibilität, die sich zwar nicht durch das theoretische Tatônnement Modell rechtfertigen lassen, Marktinterventionen aber empirisch notwendigen zu begründen Analyseinstrumente sind. sollen Die für anhand die eines „funktionierenden“ Marktes mit dem üblichen Verlauf verdeutlicht werden. Die Mittel der zentral planenden und beeinflussenden Instanz seien durch die Drohung mit Sanktionen, sowohl physischer (Gewaltmonopol) als auch psychischer Art (soziale Ächtung, externe Kosten auf anderen Märkten) hinreichend erfüllt. Wir befinden uns also in dem Handlungsrahmen, der eine Durchsetzbarkeit der geplanten Interventionen gewährleistet. Diese theoretische Einschränkung kann durch die analytische Einführung von Durchsetzungskosten relativiert werden. Damit also ein Markt überhaupt als existent im Sinne dieses Systems gesehen werden kann, muss das Handeln und Produzieren überhaupt zulässig sein (z.B. Drogen) und auf die durch diesen Markt beschriebene Art und Weise erlaubt sein (z.B. Schwarzarbeit). Die durch eine oder beide dieser Merkmale nicht beschriebenen Märkte werden als Schwarzmärkte bezeichnet. Die Wirtschaftspolitik hat in diesen Märkten lediglich die Funktion, sie ordnungspolitisch zu unterbinden. 10 Aber zwischen diesem starken Verbot und dem völlig freien Spiel der Marktkräfte (vgl. Kapitel 4) existiert ein ganzes Kontinuum an unterschiedlichen Einschränkungen (ein Beispiel für einen stark reglementierten Markt ist der Markt für Rüstungsgüter). Sind allerdings viele Akteure auf dem Markt, so lässt sich eine konkrete Verhaltensvorschrift nur schwer durchsetzen und deshalb können nur für den gesamten Austausch und nicht für jeden einzelnen Fall separat Maßnahmen beschlossen werden. Diese Maßnahmen lassen sich nach den gesetzten Parameter in Preis- und Mengenfestlegungen unterscheiden. Zudem differenziert man zwischen direkten Maßnahmen, die ein gewünschtes „Marktergebnis“ durch die Intervention auf dem anvisierten Markt erreichen und indirekten Interventionen, die über einen weiteren Markt intervenieren. Zur Vereinfachung der Analyse werden als Angebots- und Nachfragebedingungen jeweils vollkommene Konkurrenz unterstellt. Die Ergebnisse lassen sich auch auf andere Marktformen oligopolistischen Preisbeeinflussungen (durch übertragen. Dabei stellen Mengenbeschränkungen) die weitere Restriktionen dar, die einen Vergleichsmaßstab mit einer möglichen Versorgung des Marktes erschweren. Die Berücksichtigung der Interaktion und denkbarer Veränderung der strategischen Situationen sind auf dem entsprechenden Markt zusätzlich anzunehmen, gehen aber über die Intention des in dieser Veranstaltung gelieferten Überblicks hinaus. Direkte Preisfestsetzungen : Höchstpreise: Höchstpreisregelungen werden erlassen, um Konsumenten vor hohen Preisen zu schützen. In der Wirtschaftsgeschichte Deutschlands wurden mehrmals auch Höchstpreise festgelegt, um inflationäre Tendenzen unsichtbar zu machen. Höchstpreise liegen unter dem Gleichgewichtspreis. Problematisch ist, dass durch sie eine falsche Signalwirkung auf den Märkten ausgeht. Da die Preise künstlich niedrig gehalten werden, ergibt sich ein Nachfrageüberhang. Es kommt zu einer Unterversorgung und damit zur Ausbildung von sog. schwarzen Märkten, auf denen dann die Güter zu höheren Preisen (Pschwarz) gehandelt werden. Ist dies aus technischen Gründen nicht möglich, kommt es früher oder später zu Rationierungen des Angebots (z. B. Strommarkt in Kalifornien). 11 Abb.: Beispiel Höchstpreise € xs Preis pschwarz Markt preis pM Preis p höchst xd x Nachfrageüberhang Mindestpreise: Sie liegen immer über dem Gleichgewichtspreis. Der Staat versucht mit ihrer Hilfe ein zusätzliches Angebot zu schaffen. Dabei kommt es zu einem Angebotsüberhang. Ursächlich dafür ist, daß die Produzenten höhere Preis als Marktzutrittssignal verstehen und eine größere Menge produzieren, als Nachfrage vorhanden ist. Der Staat ist dann gezwungen, überschüssige Ware zu vernichten (z. B. EU-Agrarmarkt) oder den Verkauf auf sog. grauen Märkten zuzulassen, auf denen die Produkte unterhalb des Mindestpreises verkauft werden. 12 Abb.: Beispiel Mindestpreise (entspricht EU-Agrarmarktpreisverordnung) € xs Preis pmindest Markt preis pM Preis p grau xd x Angebotsüberhang Angemerkt sei, dass diese Analyse noch an sich keine Wertung beinhaltet. Die Folgen der Maßnahmen sind lediglich unter der Voraussetzung, dass die einzelnen Handlungen der Akteure freiwillig geschehen, hergeleitet worden8. Damit es bei den unterstellten Nachfrage- und Angebotsfunktionen ohne Regulierung zu einem Gleichgewicht kommt, dürfen keine Transaktionen zu niedrigeren oder höheren Preisen als dem gleichgewichtigen abgeschlossen werden (man sagt dazu auch: Preise reagieren schnell). Bei dem Plan eines bestimmten Preises muss, sofern das Handeln der Akteure nicht (s.o.) gänzlich vorgeschrieben wird, die Mengenreaktion der Anbieter und Nachfrager beachtet werden. Vom Gleichgewichtspreis abweichende Werte führen notwendiger Weise zu einer Differenz zwischen den geplanten angebotenen und nachgefragten Mengen. Die dabei eventuell entstehenden Schwarzmärkte können wie ein eigener Markt mit einem entsprechenden Gut behandelt werden. Die Risikokosten einer Strafe können für die Anbieter und die Nachfrager als zusätzliche Aufwendungen zugeschlagen werden. Der Staat kann durch eine entsprechende Höhe der Sanktionen die Risikokosten so hoch setzen, dass ein Entstehen verhindert wird- allerdings hat er dafür auch eigene hohe Durchsetzungskosten zu tragen. 8 Ob diese Transaktionen gewünscht sind oder nicht, ist eine andere Frage. 13 Die Alternative zu einer Kontrolle der Handlungen besteht in einem Auftreten des Staates als eigener Akteur, also als eigener Anbieter (zu dem niedrigen Preis) bei einem Höchstpreis bzw. als Nachfrager bei einem Mindestpreis. Ersteres geschieht in dem er die Ware teurer einkauft und günstiger verkauft (vgl. Lebensmittel in den ehemaligen Ostblockländern), letzteres in dem er die Waren zum teuren Preis aufkauft und damit nicht wieder die einheimische Anbieter verdrängt (vgl. EUAgrarpolitik). Direkte Mengenfestsetzung : Verursacht das zu betrachtende Gut bei seinem Konsum externe Effekte, so kann statt einer Internalisierung dieser Kosten eine Wohlfahrtssteigerung durch eine Mengenreduktion erreicht werden. Da zumeist die Anzahl der Anbieter geringer ist als die Anzahl der Nachfrager lässt sich eine Beschränkung der konsumierten Menge eher über eine Reduktion des Angebots vornehmen. Die Angebotsfunktion verläuft in diesem Fall ab der Kontingentmenge senkrecht, da zu jedem Preis die Anbieter keine höhere Menge anbieten können. Dies veranschaulicht die folgende Abbildung: Abb. Beispiel Kontingent (geknickte Angebotsfunktion) € xs1 xs0 Preis pk. Markt preis pM xd x Kontingent- Markt menge menge xK xM 14 Zumeist werden Kontingente jedoch errichtet, um eine bestimmte Marktposition von einheimischen Anbietern zu sichern (Importkontingente). Ab einer bestimmten Höhe des Angebots darf die Menge der ausländischen Anbieter nicht erhöht werden. Damit soll die inländische Produktion in gewissen Sektoren aufrecht erhalten werden (z.B. für eine gewisse Absicherung gegen Auslandsabhängigkeit etc.), obwohl sie nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Allerdings ist das Allgemeinwohl hier zumeist ein Scheinargument für die Partikularinteressen der Produzenten des Inlandes (eine genauere Darstellung dieser Thematik erfolgt im 8. Kapitel). Statt über das Angebot kann eine gewünschte gehandelte Menge auch über die Einschränkung der Nachfrage erreicht werden. So kann der Staat bewusst den Konsum eines Gutes einschränken, in dem er selbst auf dem Markt als Nachfrager auftritt und so die private Nachfrage verdrängt. Dies kann z.B. zum Zwecke der staatlichen Vorratshaltung geschehen (vorübergehende Rationierung). Warum der Staat den Bürgern die eigene Entscheidung über Sparen und Konsum abnehmen und diese paternalistisch dirigieren sollte, ist eine normative Frage. Der Staat muss wie in den anderen Fällen darauf achten, dass die gehandelte Menge nicht überschritten wird, in dem „illegale“ Transaktionen zu höheren Preisen getätigt werden. Die Nachfrage, die in dem Bereich zwischen der rationierten Menge und der Marktmenge auftritt, muss durch eine Sanktionierung verhindert werden. Tut der Staat dies über ein Aufkaufen der Menge erhöht sich der Preis auf pT’. Der Staat muss bei diesem Preis die Menge in Höhe von xM ’- xr aufkaufen. Das bedeutet im dynamischen Fall, dass der Staat zur Sicherstellung einer konstanten Handelsmenge flexibel reagieren und je nach spontanen Schwankungen die Höhe seiner Nachfrage ändern muss. Alternativ kann er z.B. Konsummarken (bei einem Endprodukt, bei anderen Gütern sind entsprechende Nachfragemarken ebenso denkbar) austeilen, die alleine zum Kauf berechtigen, den sonstigen Handel ohne Konsummarken müsste er unterbinden. 15 Abb. Beispiel Nachfragerationierung (geknickte Nachfragefunktion) € xs Preis pr’ Markt preis pM Preis pr xd1 rationierte Menge xr xd0 Markt menge xM Menge x xM’ rationierte Man kann die oben beschriebenen Kurven auch umgekehrt interpretieren. Falls die angegeben Kurven nur die gleichgewichtstheoretischen darstellen und die effektive Nachfrage einen geknickten Verlauf hat (dies kann zum Beispiel dadurch zustande kommen, dass zu nicht markträumenden Preisen gehandelt wird), kann eine mögliche Intervention des Staates in der Erhöhung der nachgefragten Menge bis zur gleichgewichtstheoretischen Marktmenge erfolgen. Dieser Fall tritt zum Beispiel bei der keynsianischen Arbeitslosigkeit auf (vgl. Kapitel 2). Während die direkten Preis- und Mengenmaßnahmen relativ gut abgrenzbar waren, da nur ein Markt betroffen war, ist dies bei indirekt wirkenden Maßnahmen nicht der Fall, da prinzipell jede indirekte Beeinflussung des Anbieterverhaltens auf einem anderen Markt eine Rückwirkung auf den Interventionsmarkt haben kann. Während c.p. eine Erhöhung der Nachfrage nach komplementären Gütern auch die Nachfrage auf dem betrachteten Markt erhöht, wird diese durch substitutive Güter gesenkt. Ebenso können Einkommensveränderungen der Nachfrager je nach Art des Gutes, die Nachfragefunktion verändern. 16 Indirekte Preismaßnahmen: Anstatt den Preis direkt zu regulieren, kann der Staat auf einem Markt intervenieren, indem er die Angebots- und Nachfragebedingungen beeinflusst. Eine Reaktion des Marktes ergibt sich allerdings nur bei einer Entscheidungsänderung der Marktteilnehmer. Zahlt er z.B. eine bestimmte Summe an die Anbieter (Subvention), so werden diese ihr Angebot erhöhen. Diese Subvention kann z.B. als konstante Summe pro Stück (Stücksubvention), als konstante Summe pro Produzenten (Fixe Subvention) oder als Subvention von Produktionsfaktoren oder Vorprodukten (Kostensubvention) erfolgen. Liegen konstante Grenzkosten vor, so ändert eine fixe Subvention die Entscheidung der Produzenten nicht und sie wäre damit lediglich eine verteilungspolitische Entscheidung9. Bei anderen Maßnahmen ist eine Erhöhung der produzierten Menge pro Unternehmen oder eine Erhöhung der Anzahl der produzierenden Unternehmen (steigen die Produktionskosten mit der Menge überwiegt diese Wirkung) zu erwarten. Marktaustritte erfolgen bei konstanten Grenzkosten nicht. Insgesamt steigt somit das Angebot und falls die Nachfrage nicht vollkommen elastisch ist, sinkt der Preis des Gutes. Erwünscht kann dies auf dem heimischen oder dem ausländischen Markt (Exportsubvention) sein. Alternativ können auch den fremden Anbietern zusätzliche Kosten aufgebürdet werden (Zölle). Dabei tritt neben der vermehrten Produktion heimischer Produzenten auch eine Handelsumlenkung auf (mit entsprechenden Folgen für dritte Länder). Aber nicht nur auf der Angebotsseite können indirekte Preismaßnahmen erfolgen, auch auf der Seite der Nachfrager kann der Staat intervenieren. Eine Subventionierung der Nachfrager kann auf verschiedene Weisen erfolgen: 1. Ungebundener Transfer: Da jeder Konsument verschiedene Produkte verstärkt nachfragt, ändert sich durch eine Umverteilung der Einkommen auch die Nachfrage auf den Märkten. Will der Staat z.B. einen höheren Preis auf einem Markt erreichen, so kann er die Einkommensverteilung zugunsten der Personen beeinflussen, die dieses Produkt 9 Es sei denn, es liegen bestimmte Finanzierungsrestriktionen (Kreditrationierung etc.) vor, die durch den fixen Subventionsbetrag gelockert werden und damit z.B. eine Reduzierung der Kapitalkosten erreichen. 17 vermehrt kaufen (da Transfers immer finanziert werden müssen, werden dafür andere Nachfrager weniger Einkommen besitzen; bei einer Kreditfinanzierung wären dies Konsumenten zu einem späteren Zeitpunkt). Allerdings kommt es dabei auch zu Substitutionseffekten (vgl. Anhang Skript zur Sozialpolitik), die dazu führen dass diese Konsumenten auch bei anderen Produkten vermehrt kaufen, wodurch die Gesamtwirkung oftmals unbestimmt ist. 2. Gebundene Transfers: Während eine Kaufkrafterhöhung eine ambivalente Wirkung auf den relevanten Marktpreis haben kann, können Zuschüsse auch nur in Bezug auf das entsprechende Gut gewährt werden (z.B. Wohngeld). Gezielte Steuererleichterungen oder direkte Subventionen für das entsprechende Gut können wie bei der Subventionierung der Anbieter mengenunabhängig oder mengenabhängig gezahlt werden. Der Staat finanziert z.B. auf dem Wohnungsmarkt die Differenz zwischen dem subventionierten Preis und dem Marktpreis, ohne dass dadurch das Angebot eingeschränkt wird (im Unterschied zum Höchstpreis). Dies veranschaulicht die folgende Abbildung: Abb.: Beispiel Transferzahlung Wohngeld ohne Angebo tsverringerung € Wohnungsangebot Markt preis pM Wohngeldzahlung Preis Psubv. Wohnungsnachfrage Marktmenge x xM 18 Indirekte Mengenbeeinflussungen Die gehandelten Mengen können indirekt durch eine entsprechende Intervention bei zu diesem Gut komplementären Gütern beschränkt werden. (z.B. Reduziert man mit der Anzahl der Tennisbälle auch die Anzahl an nachgefragten Tennisschlägern, oder bei Schnürschuhen durch die Anzahl an Schnürsenkeln etc.). Des weiteren beschränkungen können oder indirekte die Mengenbeeinflussungen Herbeiführung von durch Kapazitäts- Produktionsengpässen (z.B. Infrastrukturrestriktion bei verderblichen Waren) erreicht werden. Bei reinen Importprodukten kann durch eine Beschränkung der umtauschbaren Devisen (Devisenmarktrationierungen) eine indirekte Obergrenze für die Menge eines Gutes eingeführt werden 10. Existieren sowohl inländische als auch ausländische Anbieter auf einem Markt hat eine Beschränkung der Menge der ausländischen Anbieter eine geringere Wirkung, als wenn es sich auf das gesamte Angebot bezieht, da die inländischen Anbieter bei einem solchen Mengenkontingent an einführbaren Produkten ihre eigene Produktion erhöhen werden. Die oben beschriebenen Interventionen des Staates können dabei sowohl gesamtwirtschaftlich allokative (z.B. beim vorliegen von externen Effekten des Gutes auf andere Güter) als auch auf verteilungspolitische (z.B. Einkommen von bestimmten Produzenten) Ziele verfolgen. Wird versucht, indirekt die Auswirkungen eines Marktes auf die Individuen der Gemeinschaft abzumildern, ohne den Markt selber zu beeinflussen, spricht man von passiver (im Gegensatz zu aktiver) Wirtschaftspolitik. Eine solche war z.B. die im Kapitel 2 erwähnte Maßnahme des Arbeitslosengeldes. Instrumente, die auf das gesamte System der Volkswirtschaft wirken und die relativen Preise der Güter zueinander zumindest nicht direkt beeinflussen11 sind die Geld- und Fiskalpolitik. Ihre primäre Wirkung ist nicht die allokative Beeinflussung 10 Devisenrationierungen gehen oft mit bestimmten Wertkontingenten einher, d.h. es wird eine bestimmte Menge an Devisen für einen Markt vorgegeben, welcher Menge dies entspricht, hängt also vom Preis ab. 11 Eine Veränderung der Geldpolitik hat auch u.U. Rückwirkungen auf die Finanzierungskosten und damit verändert sie z.B. die Kosten des Kapitals im Vergleich zur Arbeit, was die Produktion kapitalintensiver Güter im Vergleich zu arbeitsintensiven verteuert. 19 von Güterströmen, sondern die intertemporale Glättung bestimmter Schwankungen. Mit diesen wird sich das Kapitel 5.6 beschäftigen. Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, weshalb überhaupt Interventionen vorgenommen werden sollen. 5.5 Ziele der Wirtschaftspolitik Wenn man von pareto verbesserenden Maßnahmen absieht (und eine anschließende nicht verzerrende Kompensation möglich ist, vgl. Kapitel 1), ist jegliche Intervention eine normative Entscheidung (vgl. 5.2). Stellen wir uns auf den Standpunkt, dass zunächst Verteilungsprobleme zwischen den Individuen der Gemeinschaft eine geringere Rolle spielen und ein funktionierendes System als ganzes etabliert werden soll, so können hierfür grundsätzliche Zielsetzungen gefunden werden. Die Allokationseffizienz (vgl. Kapitel 4) und die Anreizkompatiblität für die Akteure lässt nur die Marktwirtschaft als grundsätzliche Verteilungsform der gesellschaftlich knappen Ressourcen zu. Das Ergebnis, dass durch ein solches Verteilungssystem erzielt wird, wird normativ nicht als „gerecht“ und daher als korrekturbedürftig angesehen: Man spricht von dem Defekt der Inhumanität des Marktsystems. Darüber hinaus ist dem System aufgrund der Unvollkommenheit der marktlichen Preisbildung (Informationsdefizite, nicht preisliche Abgeltung bestimmter Kosten (externe Effekte)) in Teilbereichen eine Ineffizienz zu eigen, die als interventionsbedürftig erscheint (ob die Korrektur allerdings eine bessere Wirkung hervorbringt, ist eine weitere Frage). Dies wurde als Allokationspolitik bezeichnet. Die Erwartungsbildung und Unsicherheit führt darüber hinaus zu einer Instabilität des Systems. Zum einen kann das Konkurrenzsystem instabil sein (Kartellisierungstendenz =) dann Ineffizienz), zum anderen sind Innovationen stochastisch und erfolgen nach 0 – 1 Kritierien (Innovation oder nicht), so dass sich zyklische Schwankungen ergeben können. Als Verursacher von Schwankungen können weiterhin zeitverzögerte Informationen und die unvollkommene Erwartungsbildung ausgemacht werden, die zu einem im Zeitablauf schwankenden 20 (Konjunktur) Wachstumspfad führen. Mit diesen wird sich der Abschnitt 5.7 beschäftigen. Doch weshalb sind Schwankungen überhaupt unerwünscht? Um dieser Frage nachzugehen werde ich im Folgenden zwei Szenarien mit gleichen Durchschnittswerten aber unterschiedlich stark schwankenden zeitlichen Pfaden vergleichen. Zum einen gibt es Schwelleneffekte: Liegt z.B. in einem armen Land die Nahrung in einem Monat unter dem Minimum kann dies nur in begrenztem Maße durch eine überschüssige Nahrung im folgenden Monat ausgeglichen werden. Sinken bei einem Unternehmen die Gewinne so weit, dass es seinen Schuldendienst nicht mehr bedienen kann, so kann es auch bei in den Folgeperioden höheren Gewinnen seine Pleite oftmals nicht verhindern. Bei den realen Beispielen muss man allerdings noch die Glaubwürdigkeit einer solchen Entwicklung in Rechnung stellen, da das Unternehmen in der Krise natürlich viel behaupten wird, um seine Existenz zu rechtfertigen; und die Ungewissheit eines zukünftigen Ereignisses führt auch bei glaubhaften Erwartungen zu Absicherungskosten. Zum anderen gibt es eine natürliche Aversion gegen Unsicherheiten. Planungsrisiken müssen wegen der oben beschriebenen eventuellen Folgekosten, die nur bei einer Entwicklung unterhalb Erwartungswertes kann auftreten, nicht mehr bei von einer dem Entwicklung Ergebnis oberhalb profitiert des werden, berücksichtigt werden. Da sich die Schwankungen der gesamten Volkswirtschaft auch auf die Einkommen und damit die Wohlfahrt der Einwohner auswirken, wird die Zielsetzung einer stabilen Entwicklung als Leitpfaden für die Wirtschaftspolitik angesehen. Ausdruck fand dies in Gesetzesform im „Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum (StabG)“, dass 1967 beschlossen wurde. 12 12 Im Artikel 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Union findet sich eine ähnliche Formulierung, die eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens in der Gemeinschaft anvisiert, … ein beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum, ein hohes Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistung, hohes Beschäftigungsniveau , ein hohes Maß an sozialen Schutz (dieses steht z.B. nicht in der deutschen Verfassung)… 21 Die Stabilität wurde dort in Bezug auf mehrere Märkte formuliert und zwar den Arbeitsmarkt, den Gütermarkt, Geldmarkt und den Kreditmarkt des Auslandes, man spricht deshalb auch von der keynsianischen Globalsteuerung. Das so genannte „magische Viereck“, das die Wirtschaftspolitik leiten sollte enthielt neben Wachstum die Ziele Preisniveaustabilität (Gütermarkt zu Geldmarkt), Vollbeschäftigung (Arbeitsmarkt) und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Dabei wird durch die Aufgabenzuteilung der Schaffung von Stabilität unterstellt, dass a.) das freie Spiel der Marktkräfte instabil ist und b.) der Staat eine verbessernde Situation erreichen kann. Dieses ist Ausdruck des in den 60er und 70er Jahren vorherrschenden Staatsoptimismus. Demgegenüber sehen neoklassische Theoretiker, die Fähigkeiten des Staates zur Korrektur als eher begrenzt und befürchten einen größeren Schaden als Nutzen bei solchen Interventionen. In den obigen Begriffen der Ineffizienz (Wachstum, Vollbeschäftigung), Instabilität (Preisniveau, Außenhandel, Vollbeschäftigung) fehlt z.B. der Interventionsgrund der Inhumanität der Marktwirtschaft. Dies wurde zum Anlass genommen, dass statt des magischen Vierecks magische Vielecke konstruiert wurden, die z.B. Verteilungsgerechtigkeit als ein weiteres Ziel beinhalteten. Ebenso wie man allerdings in der Verfassung vermied den Begriff soziale Marktwirtschaft zu benutzen (implizit sind zwar durch die Freiheitsrechte und den Pasus Eigentum verpflichtet gewisse Grundtendenzen festzustellen), vermied man allerdings bei dem StabG eine Nennung eines schwer zu operationalisierenden und damit sehr interpretationsfähigen (und damit juristischen Klagen zugänglich) Begriffes. Wie bereits im 2.Kapitel erwähnt wurde, stellt die Unterauslastung von Arbeitskräften eine Ressourcenverschwendung dar. Eine Unterauslastung der Arbeitskräfte und eine geringere Produktion führt auch zu einem geringeren Wachstum in den Folgeperioden. Aus dieser Sichtweise heraus ist also die Zielsetzung für eine Volkswirtschaft klar- wenn sie das eine Ziel erreicht, verbessert sie sich bei beiden.13 Allerdings besteht bei den anderen Zielen oftmals ein Zielkonflikt. Der klassische Trade-Off zwischen Arbeitslosenquote und Inflationsrate, wie er durch die 13 Wird die Beschäftigung allerdings vom Staat künstlich geschaffen, ergibt sich eventuell auch ein Finanzierungsproblem, das zu Wachstumseinbußen zu einem späteren Zeitpunkt führt, wenn Kredite vom Ausland zurückgezahlt werden müssen. 22 Phillipskurve wiedergegeben wird, stellt dafür ein Beispiel dar (vgl. Kapitel 6). Im Laufe dieses Skriptes werden zahlreiche Beispiele für diese Fälle auftauchen. Die Prioritäten in dem Zielkonflikt werden durch die Präferenzen der Bürger, die sich je nach der Funktionsweise des politischen Systems unterschiedlich aggregieren 14, wiedergegeben. Allerdings sind dies nur Aussagen über die Volkswirtschaft als ganze. Diese Aggregierung hat aber auch zur Folge, dass Verteilungswirkungen auf das einzelne Individuum nicht berücksichtigt werden. Letztlich ist mit jeder Maßnahme immer eine gewisse Umverteilung und Begünstigung bestimmter Personen zugunsten anderer impliziert. Durch die Gesetze werden Bedingungen festgeschrieben, die notwendigerweise die relativen Preise mit bestimmen. Dadurch ist es praktisch unmöglich mit einem einzelnen Gesetz alle besser zu stellen. Bei der Entscheidung werden deshalb nicht einzelne explizite Entscheidungen getroffen, sondern Regeln vereinbart, nach denen sich die Ermittlung einer Umverteilung bestimmt. Letztlich ändert diese indirekte Bestimmung nichts daran, dass mit einer Maßnahme Verteilungswirkungen verbunden sind. Jedoch können die Individuen sich aufgrund der Abstraktheit und der Festlegung einer bestimmten Gültigkeitsdauer, obwohl sie ursprünglich in der Position des „Profiteurs“ waren, nicht davor schützen, auch einmal in die Position des “Verlierers“ zu kommen. Für bestimmte Gruppen Langzeitarbeitslose, oder ist ein auf der Wechsel anderen relativ Seite unwahrscheinlich Erben eines (z.B. florierenden Familienunternehmens), aber über die individuelle Position heraus, bildet sich mit der Zeit ein Grundkonsens, was als „gerecht“ empfunden wird (vgl. 1. Kapitel).15 Durch Grundvorstellungen und die Akzeptanz der Gemeinschaft kann bei Abstraktion der damit verbunden Verteilungsprobleme, das Ziel aller darin gesehen werden, für die Gemeinschaft an sich (d.h. nicht in der Summe der Wohlfahrt der Individuen, sondern als eigenem Akteur) die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen. Dies findet Ausdruck in einer Effizienzbedingung für alle makroökonomischen Märkte: 1. Gütermarkt -) Ziel: Wachstum der realen Produktionsverhältnisse steigern. (Kapitel 7) 14 Ein politisches System, das stärker von Interessenverbänden durchdrungen ist, hat u.U. andere Prioritäten, als es in einem reinen Abstimmungsprozess zu erwarten ist. 15 Dies beinhaltet selbstverständlich große Ausprägungsunterschiede bei den Detailaussagen. 23 2. Geldmarkt -) Ziel: Transaktionsmittel, das Adäquate den Versorgung Tausch zu mit einem niedrigen einfachen Transaktionskosten ermöglicht. -) Preisniveaustabilität (Kapitel 6) 3. Arbeitsmarkt -) Ziel : Effizienter Ressourceneinsatz -) Wachstum (Kapitel 2, 7) 4. Außenhandel -) Ziel : Effiziente Versorgung mit nicht vorhandenen oder nur zu höheren Preisen herstellbaren Gütern (Kapitel 8) 5. Systemstabilität -) Produktionsbedingungen, Ziel: Dauerhaftigkeit politische Stabilität der (vgl. errichteten Kapitel 1-3), Umweltbedingungen (Kapitel 9). Bei dieser aggregierten Betrachtung wird die Verteilung auf einzelne Individuen nicht beachtet. Die gesamte Volkswirtschaft wird als ein Individuum behandelt, dessen Ressourceneinsatz und Verwendung man möglichst effizient gestalten muss. Wie bereits im 1. bis 3. Kapitel angesprochen, wird diese strikte Verpflichtung an die Effizienz aufgrund von allgemein anerkannten solidarischen Ausgleichszahlungen zum Teil aufgeweicht. Da aber eine ex post effiziente Verteilung keineswegs durch einen gerechten Prozess zustande gekommen sein muss, ist die Regelungskapazität der Wirtschaftspolitik selbst durch gesetzliche Grundrichtlinien gebunden. In diesem Skript sollen dabei lediglich die makroökonomischen Aspekte der Wirtschaftspolitik beschrieben werden, dies zeigt folgende Abbildung: Quelle: Clement et. al. (2001), S. 16 24 Die weiteren Bereiche werden hier als geregelt unterstellt. Der Rahmen, der für die Instrumente der Fiskalpolitik (deren Wirkung auf den makroökonomischen Effekt einer Belebung der Güternachfrage beschränkt wird), der Geldpolitik (die durch eine para-staatliche Institution (Zentralbank) ausgefüllt wird, die aber dennoch nicht gänzlich unabhängig Technologiepolitik von anderen Regelungen (Sektorenspezifische ist, Förderung, vgl. vgl. Kapitel Kapitel 6), 7), Außenhandelspolitik und Umweltpolitik gilt, sei also gesetzt. Eine paternalistischen Regulierung, d.h. eine bessere Kenntnis der „wahren Präferenzen“ des Einzelnen durch den Staat als durch das Individuum selbst ist nur bei einer bestimmten Güterklasse, den sogenannten meritorischen Gütern gerechtfertigt. Ansonsten sollen die Präferenzen der Individuen des Landes als Ziel angesehen werden. Verzerrungen, die durch den politischen Prozess zustande kommen sind Fragen, die bei der Findung von Abstimmungsmechanismen berücksichtigt werden müssen. In diesem Skript sollen aber die Wirkungen der einzelnen Instrumente im Vordergrund stehen und nicht die tatsächlichen Durchsetzung in der Politik. Allgemein können Ziele sich gegenseitig verstärken, unabhängig von einander sein oder sich negativ beeinflussen. Besteht für ein Instrument die Möglichkeit, es so einzusetzen, dass es die anderen Ziele nur auf eine der ersten beiden Arten beeinflusst, so kann für dieses Instrument eine optimale Politik bezüglich des einen Zieles konfliktfrei beschlossen werden. Leider besteht zumeist ein Zielkonflikt, so dass Nebenwirkungen von Mitteln auf andere Ziele mitberücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus treten indirekt nicht intendierte Nebenfolgen auf. Bsp.: Werden freie Preise aufgrund ihrer Informationseffizienz und dem Ziel des freien Wettbewerbs zur gerechteren Verteilung der produzierten Wertschöpfung benutzt, so Nebenerscheinung eine Stärkung der Motivation der Akteure auf. 25 tritt als (positive) Bei der Gewichtung der Ziele herrschen unterschiedliche Vorstellungen und je nach Regierungspartei wird also eine unterschiedliche Wirtschaftspolitik durchgeführt. Da eine Verstetigung der Wirtschaftspolitik ein wichtiges Anliegen ist, werden durch Verträge Operationalisierungen im Rahmen eines Zielkorridors vorgegeben. Da innerhalb Europas weite Differenzen bestanden, wurden diese durch den Vertrag von Maastricht festgelegt. Die folgende Abbildung stellt für die Bundesrepublik diese Zielprojektionen dar: Quelle: Clement et. al (2001), S. 19 Die subjektive Gewichtung der Ziele kann stark vereinfachend in der Wirtschaftstheorie in 2 konträre Denkrichtungen polarisiert werden, zwischen denen sich die tatsächlichen Maßnahmen zumeist bewegen (sofern sie Makroökonomisch ausgerichtet sind und nicht Partikularinteressen (z.B. Agrarlobby) bezogen sind). Diese stellt die folgende Abbildung dar: 26 Abbildung: Grundsätzliche Positionen in der Wirtschaftspolitik Quelle: Clement et. al. (2001), S. 11 Die Bezeichnungen Angebot und Nachfrage beziehen sich dabei auf den Gütermarkt, d.h. das Angebot auf dem Gütermarkt wird durch die Produktion der Unternehmen, die über die Höhe der Investitionen festgelegt ist, bestimmt. Die Nachfrage auf dem Gütermarkt beeinflusst die aktuelle Produktion und damit auch die Nachfrage nach Arbeitskräften. Kurzfristig schwankt die Kapazitätsauslastung und je nachdem wie hoch die Güternachfrage ist, werden Arbeitskräfte nachgefragt. Da das Investitionsvolumen im Bezug zum gesamten Kapitalstock relativ gering ist, ist der produktive Effekt gegenüber dem starken Schwanken Auslastung durch die Konjunktur kurzfristig vernachlässigbar gering. Für einen längerfristigen Wachstumsprozess müssen die Kapazitäten gesteigert werden, deshalb entscheiden Produktionsentscheidung (vgl. die Kapitel Investitionsbedingungen 7). Die Schaffung über die geeigneter Rahmenbedingungen ist also für die langfristige Entwicklung entscheidend. Da auch kurzfristige Schwankungen Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung haben (z.B. die Beschäftigung auf die Qualifikation), kommt es darauf an, welche Folgen stärker gewichtet werden. Je nachdem, welche politische Staatsauffassung als wichtiger angesehen wird, werden unterschiedliche Maßnahmen getroffen. Die Interventionen erfolgen auf einzelnen Märkten und beeinflussen die Handlungen einzelner Individuen. Allerdings 27 ist die hier beschriebene Wirtschaftspolitik eine auf die gesamte Volkswirtschaft bezogene. Es muss darauf hingewiesen werden, dass anschauliche Schlüsse nur zur Verdeutlichung dienen können. Eine Grundlage für eine Begründung können die Einzelergebnisse bei heterogenem Verhalten nicht bieten; es kann nicht von dem einzelnen auf das Ganze geschlossen werden (Fallacy of composition16). Letztlich müssen zur Bestimmung der Zusammenhänge ökonometrische Schätzungen zur Hilfe genommen werden. Es ist oft missverständlich, wenn von Ungleichgewichten auf bestimmten Märkten gesprochen wird. Sofern der Marktmechanismus nicht durch externe Beschränkungen gestört wird, entstehen Preise, die den Markt räumen (ob dieses Verteilungsergebnis gewünscht ist, ist eine zweite Frage). Die Schwankungen bei der Räumung der Nachfrage sind temporärer Natur. Nicht vorhergesehene Entwicklungen führen zur Rationierung oder Lagerhaltung. Kaas (2001) zeigte, dass selbst bei rationalen Erwartungen, zyklische Bewegungen zwischen verschiedenen Gleichgewichten einer nicht durch vollkommenen Wettbewerb charakterisierten Wirtschaft, erzeugt werden. Die vorübergehende Erwartungsanpassung erzeugt kurzfristige Schwankungen, die für die kapitalistische Wirtschaft typisch sind. Mit dieser soll sich der folgende Abschnitt beschäftigen. 5.6 Konjunkturelle Schwankungen Im StabG (vgl. 5.5) wird von einem angemessenen und ausgeglichenen Wirtschaftswachstum gesprochen. Diese Formulierung lässt einen weiten Interpretationsspielraum.17 Die Entwicklung einer Volkswirtschaft erfolgt nicht in stetigen linearen Fortschritten, sondern verläuft stark schwankend. Das Denken in Gleichgewichten ist deshalb nicht falsch oder fehl angebracht, sondern verzichtet lediglich auf die Modellierung eines Anpassungsprozesses. 16 Wenn einer in einem Hörsaal aufsteht um besser zu sehen, bringt diesen einen Erfolg mit sich, wenn aber alle Aufstehen, sehen sie nicht unbedingt besser. 17 Z.B. kann unterer ersterem verstanden werden: Qualität der Umwelt, Lebensqualität, genügend Steueraufkommen, …unter dem Zweiten: Vermeidung eines Unsicherheitsklima, Verhinderung von Verlusten durch Planungssicherheit 28 Die wiederkehrende wellenförmige Veränderung der wirtschaftlichen Aktivität (gemessen im BIP) einer Volkswirtschaft wird als Konjunktur bezeichnet. Dabei unterscheidet man die zyklische Auf- und Abbewegung von dem langfristigen Trend (Wachstum, vgl. 7.Kapitel). Dabei bezeichnet eine Phase nicht einen absoluten Rückgang oder eine Steigerung des BIP, sondern um die relative Veränderung im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren. D.h. ein Wachstum von 2% kann bei einem Wachstum von 1% und 0,5% in den Jahren zuvor durchaus als ein Boom gesehen werden, während es bei einem Wachstum von 4% und 6% in den vorhergehenden Jahren eher als eine Depression angesehen wird. Da sich aber auch langfristige Änderungen einstellen können, läst es sich erst im Nachhinein korrekt bestimmen, ob man sich gerade in einem konjunkturellen Tief befindet oder nicht. Die Produktionskapazitäten einer Volkswirtschaft werden als kurzfristig fix angesehen. Da mit den Schwankungen innerhalb des Zeitraumes entweder die Nachfrage vollständig gedeckt wird, aber dafür in Hochkonjunkturzeiten eine Überschussnachfrage besteht, oder aber in konjunkturellen Hochzeiten die Kapazitäten unausgelastet sind, sind mit den Schwankungen Effizienzverluste verbunden. Da Unternehmen um Marktanteile konkurrieren und versuchen die Nachfrage auszuschöpfen werden bis auf schockartige Nachfragebooms zumeist höhere Kapazitäten gehalten. Das Produktionspotenzial bezeichnet das bei durchschnittlicher Auslastung mögliche BIP (also nicht das maximal mögliche, wie der Sprachgebrauch suggeriert). Dem Effizienzverlust aus ungenutzten Kapazitäten versucht die Konjunkturpolitik entgegenzutreten. Es gibt allerdings nicht nur eine Art der Schwankung der Produktion. Je nachdem wie lange ein Zyklus (ExpansionHochkonjunktur-Kontraktion-Depression) dauert, unterscheidet man folgende Arten: 1. saisonale Schwankung : Jahreszeitlich wiederkehrende Schwankungen, die durch klimatische Bedingungen verursacht werden. Ausserdem gibt es noch eine Beeinflussung durch die Organisation der Ferien und Feiertage (z.B. Ostern und Weihnachten als konsumsteigernde Elemente). 2. Konjunkturelle Schwankungen: a. Kitchin-Zyklen: Dauer 3-5 Jahre 29 b. Juglar18-Zyklen : Dauer 7-11 Jahre 3. Längerfristige Entwicklungszyklen : a. Kusznets-Zyklen : Dauer 18-25 Jahre b. Kondratieff-Zyklen : Dauer 48-60 Jahre Diese Veranschaulicht die folgende Abbildung: Konjunkturzyklen im Vergleich Y Kusznets zyklus Kitchin Zyklus T Juglar Zyklus 0 5 10 Tatsächlicher „resultierender “ Zyklus 20 40 t Während die langfristigen Kondratieff oder Kusznets Zyklen vor allem von großen Innovationen vorangetrieben werden, die wirtschaftspolitisch eher schwer zu beeinflussen sind, oder in den wachstumspolitischen Bereich fallen, sind vor allem die kürzeren Zyklen interessant. Die saisonalen Schwankungen lassen sich zwar abmildern, aber eine aktive Glättungspolitik wird als schwer angesehen (Warum?). Aufgrund des Umfanges der Folgen der konjunkturellen Schwankungen, ist es schwer zwischen passiven (nur die Folgen bekämpfenden) und aktiven Politiken zu unterscheiden. Die schlichte Höhe der Zahlungen z.B. an Betroffene (z.B. Entlassene) führt zu einer signifikanten Erhöhung der Nachfrage. Eine Politik, die hauptsächlich auf die Vermeidung des Entstehens der Schwankungen zielt, muss zunächst die Ursachen von diesen herausarbeiten. 18 Juglar war ein Arzt im 19. Jahrhundert. Er stellte fest, dass sich Mortalität, Heiraten und Geburten in einem bestimmten zeitlichen Rhythmus veränderten (anhand der Nachfrage nach Kirchenbüchern). Dieser Rhythmus galt allerdings auch für Investitionen etc.. 30 Die Kitchin-Zyklen werden von Schumpeter über die Time-Lags in der Produktionsplanung erklärt. Da die Nachfrage nicht vorhersagbar ist, kann eine Veränderung der Produktionsstruktur erst mit einer gewissen Zeitverzögerung erfolgen (bis die Kapazitäten umgestellt worden sind). Ebenso führt Schumpeter die längerfristigen Zyklen auf schwieriger anzupassende Größen zurück, so sind es die Kapitalgüter bei Juglar-, die Infrastrukturgüter bei Kusnets- und bahnbrechende Innovationen bei Kondratieffzyklen. Den konjunkturellen Tiefs wird allerdings neben der negativen Wirkung auf die Effizienz auch eine langfristig positive Wirkung unterstellt: Sie dienen dazu, den Markt zu bereinigen und nur die effizienteren Unternehmen überleben zu lassen, so dass das zukünftige Wachstum dadurch verstärkt wird. Eine alternative Theorie stellte Wicksell auf. Er sah die Ursache in der Differenz von Geldzins und dem natürlichen Zins (als Ertrag aus den Investitionen). Die Nachfrage nach Kapital steigt im Zuge des Expansionsprozesses stärker als das Kreditangebot. Preise und Löhne steigen, so dass schließlich der Ertrag des Kapitals zurückgeht und über den Geldzins steigt. Die Ursache für die Konjunktur wird von ihm nicht in den nicht vorhersehbaren Ereignissen im Gütermarkt (bei der Produktion) gesehen, sondern in einem Kapitalmangel, der aus dem Geldmarkt erwächst. Erst wenn die Ersparnis wieder steigt, kommt es wieder zur Konjunkturumkehr. Eine moderne Variante einer Verursachung durch den Geldmarkt findet sich in Friedman’s monetaristischen Ansatz, bei dem das Schwanken der Geldmenge Ausgangspunkt der zyklischen Bewegung sind19. Dabei passen sich die Erwartungen aber ähnlich den Modellen der neuen klassischen Makroökonomik längerfristig an, so dass neue Schwankungen wieder von einem neuen exogenen Schock verursacht werden müssen. Die relative Regelmäßigkeit der Wiederkehr von Störungen lässt sich mit diesem Ansatz relativ schlecht erklären. Eine gute Erklärung liefert die Theorie der politischen Zyklen, die davon ausgeht, dass die Bevölkerung die Politiken nicht perfekt beobachten kann und erst ex post eine expansive Geld- und Fiskalpolitik feststellen kann. Deshalb versuchen die an der Macht stehenden Parteien vor den Wahlen dieses Instrument auszunutzen und verschulden sich um die wirtschaftliche Lage kurzfristig aufzubessern und nach der Wahl wieder einen sparsameren Kurs zu fahren. Das Gedächtnis der Wähler bewertet die Jahre direkt vor der Wahl höher, so 19 Man bezeichnet die Auswirkungen eines monetären Impulses auf den Gütermarkt auch als Transmission. 31 dass die Regierung in dem ersten Jahr nach der Wahl wieder einen restriktiveren Kurs fahren kann. Andere Begründungen, die etwa davon ausgehen, dass die Entwicklung von Y in der Periode t positiv von Y in der Periode t-1 abhängt und negativ von Y in der Periode t2, erzeugen zwar unter bestimmten Parameterkonstellationen Schwingungen und stimmen auch empirisch, beschreiben aber lediglich das Phänomen der Konjunktur und liefern kaum einen Erklärungsbeitrag. Dieser erfolgt erst durch eine Begründung dieser Annahme. Als Erklärungsmodelle bleiben neben psychologischen Stimmungen (die allerdings können), die keine Theorie wiederkehrenden der realen Schwankungen Konjunkturzyklen, systematisch die die erklären Zyklen als Anpassungsreaktionen auf Innovationen beschreibt (also in Schumpeterscher Tradition) und die politische Erklärung. Während die Vertreter der durch das politische System verursachten Schwankungen als Lösung eine Regelbindung der staatlichen (Ausgaben-) Politik sehen, da diese zu einer Verstetigung des Wirtschaftsprozesses führen würde, sehen die Anhänger einer exogen verursachten Konjunktur diese entweder als notwendig an (reinigende Kraft) oder aber als erst mit der Wirtschaftspolitik zu bekämpfendes Übel an. Bei einer offenen Volkswirtschaft kann zusätzlich durch die Anbindung an ein festes Wechselkurssystem (und die damit gebundene Geldpolitik) eine Anpassung an einen fremden Konjunkturzyklus erfolgen (vgl. Kapitel 8). Die kurzfristige Änderung innerhalb eines 5 -8 Jahre Rhythmus stellt nur einen Teil der Schwankungen dar, dem die Produktion unterliegt. Inzwischen ist eine Vielzahl verschieden lang dauernder, sich überlagernder Schwankungen entdeckt worden. Für den politischen Wahlzyklus von 4 Jahren wären die Kitchin-Zyklen also geeignet, während die Innovationen den längerfristigen Zyklus verursachen würden20. Zur Vereinfachung wird die Entwicklung nicht anhand der Überlagerung von 2 Zyklen, sondern anhand eines einzigen erklärt. Dessen Entwicklung teilt man in verschiedene Phasen ein: 20 Trotz der Beschleunigung des Wissenszuwachses kann man davon ausgehen, dass, da der Ertrag aus zusätzlichem Wissen immer geringer wird, eine nahezu gleich lange Periode zwischen gravierenden Investitionsumstellungen vergeht. 32 1. Konjunkturaufschwung: Auslastungsgrad nimmt zu; Wachstumsrate des BIP ist höher als Wachstumsrate des Produktionspotentials. 2. Hochkonjunktur (Boom): Auslastungsgrad steigt, erreicht Vollauslastung; in der Regel mit Preisanstieg und Beschäftigungszunahme verbunden. 3. Konjunkturabschwung: Auslastungsgrad geht zurück; Wachstumsrate des BIP niedriger als Wachstumsrate des Produktionspotenztials. 4. Depression: Auslastungsgrad erreicht niedrigste Auslastung in einem bestimmten Zyklus, in der Regel deutlicher Rückgang der Beschäftigung21 und des Preisanstiegs. Das Messproblem, das mögliche Änderungen eines langfristigen Trends erst im Nachhinein bekannt werden, kann durch den Rückgriff auf indirekte Maße umgangen werden. Während das maximale Angebot an Gütern nur längerfristig erhöht werden kann, und die Kapazitäten kurzfristig fix sind, bestimmt die Nachfrage an Gütern, wie viel abgesetzt werden kann. Bei einer hohen Nachfrage sind die Preise relativ hoch und es wird versucht möglichst viel abzusetzen – es werden also Lagerbestände abgebaut und zusätzlich wird versucht die möglichen Kapazitäten auszunutzen. Diese Kapazitätsauslastung lässt sich besser bestimmen als die Abweichung von einem Trend, so dass diese Größe als Indikator für die konjunkturelle Lage gut geeignet ist. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung bildet einen Indikator aus insgesamt 12 Einzelreihen, die die Situation im konjunkturellen Zyklus gut und schnell wiedergeben sollen.22 Dabei spielt besonders der Auftragseingang eine entscheidende Rolle, da er die Produktion in den zukünftigen Monaten gut prognostiziert. Neben den Referenzzyklen gibt es auch Konjunkturbefragungen, die der Tatsache Rechnung tragen, das die Stimmung in einem Konjunkturtief schlechter ist und Erwartungen über die zukünftige Entwicklung die Höhe der Investitionen bestimmen (und damit die Nachfrage nach Investitionsgütern). Steigt eine Größe bei einem Aufschwung der Konjunktur so bezeichnet man sie als prozyklisch, falls sie sinkt als antizyklisch. 21 Aufgrund von Einarbeitungskosten und anderen Aufwendungen wird versucht eine Arbeitskraft zunächst zu entlasten (Reduzierung der Stundenzahl), erst später erfolgen Entlassungen, deshalb ist die Beschäftigtenzahl ein nachlaufender Konjunkturindikator. 22 Etwas anderen Maßen bedient sich die OECD, deren Frühindikatoren z.B. die Frühstadien des Produktionsprozesses, durch Baubeginn, Produktion der Vorleistungen, Überstunden etc. enthalten. 33 Die Entwicklung von verschiedenen Aggregatgrößen lässt sich dabei in folgenden Fakten zusammenfassen (vgl. Assenmacher (1999), S.24): 1. Die Arbeitsproduktivität entwickelt sich prozyklisch mit großer Korrelation zur Zeitreihe der gesamtwirtschaftlichen Produktion ein Zusammenhang, wie er im Okun-Gesetz zum Ausdruck kommt. 2. Bei einer Unterteilung der Volkswirtschaft in Sektoren weisen die Zeitreihen der sektoralen Outputs untereinander eine hohe Korrelation auf, die über die Zyklen nahezu konstant bleibt. 3. Die Amplituden der Zeitreihen „dauerhafte Konsumgüter“ und „Investitionsgüter“ sind signifikant größer als die der nicht dauerhaften Güter, 4. Die Entwicklung des Exports verläuft prozyklisch. 5. Alle monetären Aggregate einschließlich der verschiedenen Umlaufgeschwindigkeiten verändern sich prozyklisch. 6. Die kurzfristigen Zinssätze variieren deutlich prozyklisch; bei den langfristigen Zinssätzen ist dieses Bewegungsmuster nur schwach ausgeprägt. 7. Die Entwicklung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen verläuft prozyklisch mit überdurchschnittlicher Amplitude. 8. Das Preisniveau steigt prozyklisch. 9. Die bereinigte Lohnquote bewegt sich antizyklisch. 10. Die Reallohnsätze entwickeln sich prozyklisch. Diese zusammengefasste Bewegung bedeuten, dass im Aufschwung sowohl der Preis steigt, als auch die Produktion. Durch die höheren Preise steigen auch die Gewinne. Die Löhne steigen zwar auch, aber relativ zu den Gewinnen ist die Steigerung geringer (deshalb sinkt die Lohnquote). Obwohl das Preisniveau kurzfristig steigt und damit die Produkte im Ausland teurer werden, steigen die Exporte. Zur Erklärung muss man auf den internationalen Zusammenhang in der Konjunktur hingewiesen werden. Findet in zwei Ländern gleichzeitig eine Steigerung der Preise statt, kompensiert sich also die Erhöhung der Preisniveaus. Ausserdem sinkt mit verbesserter konjunktureller Lage die Neigung zum Schutz der einheimischen Industrie (vgl. Kapitel 8), die dazu führt, das die protektionistischen Maßnahmen geringer werden und damit der effektiv zu zahlende Preis sogar sinken kann. Aber auch bei schwachem internationalem Konjunkturzusammenhang (d.h. das während 34 das eine Land einen Boom hat, befindet sich das andere in einer Depression) gibt es gute Gründe für ein Ansteigen der Exporte. Die relative Expansion der monetären Aggregate führt zu einer Abwertung der heimischen Währung, so dass sich die Exportprodukte gerechnet in der ausländischen Währung nicht verteuern. Stark vereinfacht beschreiben folgende trendbereinigte Entwicklungen den Konjunkturzyklus: Konjunkturphase Auftragsbestände Aufschwung Steigend Boom Oberer Wendepunkt Abschwung 23 Unterer Wendepunkt = Depression Bei Konsumgüter +, bei Investitionsgütern stagnierend Konsumgüter 0 , Investitionsgüter- Arbeitslosenzahl Lohnentwicklung Zinsen Noch hoch Mäßige Noch Steigerung niedrig Sinkend Kräftige Steigend Lohnerhöhung Gleich bleibend sinkend Steigend Auf niedrigem Niveau verharrend Hoch Starke Lohnerhöhung (Lohnlag) Mäßige Lohnerhöhung, Ausbau übertariflicher Leistungen Mäßige Lohnerhöhung, geringe übertarifliche Leistungen Hoch Langsam sinkend Niedrig Bisher wurde so getan, als ob sich alle Sektoren gleich gerichtet entwickeln und die gesamte Produktion in allen Sektoren in der expansiven Phase steigt und in depressiven Phasen sinkt. Dieses Bild trifft nur auf bestimmte Bereiche zu. Zum einen gibt es Sektoren wie z.B. der Einzelhandel, die bei einem Konjunkturaufschwung sich schon fast im Konjunkturhoch befinden, die also nach einer Depression als erste eine Erholungstendenz zeigen und zum anderen gibt es Branchen, die erst später an einem Aufschwung partizipieren (z.B. Medien), die allerdings auch erst später wieder in eine Krise kommen, also sich phasenverschoben entwickeln. Darüber hinaus gibt es aber auch Branchen, die sich relativ unabhängig von dem Konjunkturzyklus entwickeln, z.B. Tabakproduzenten. Die Trennlinie zwischen antizyklischen und 23 In der Literatur findet sich dafür die Bezeichnung Rezession, zur klaren Unterscheidung möchte ich aber Rezession als eine Wachstumskrise mit negativem Wachstum betrachten, während Depression eine relative Abschwächung des Wachstums darstellt (vgl. Kapitel 7). 35 zyklischen verläuft dabei keineswegs so, dass nur klassische Industrien antizyklisch sind, was folgende Abbildung verdeutlicht: Branche Klassische Industrie Zyklisch Metallproduzenten, Automobilindustrie, Maschinenbau, Papier, Chemie Freizeit, Touristik, IT Hardware Neue Industrie Antizyklisch Pharma, Versicherung, Versorger, Nahrungsmittelhersteller Telekommunikation Unter besonderen Umständen kann es allerdings auch dazu kommen, dass einzelne zyklische Branchen einem besonderen Einfluss ausgesetzt sind und sich gegen den sonstigen Trend entwickeln. Man spricht in diesem Fall von einer gespaltenen Konjunktur. Ein Beispiel dafür war die Bauwirtschaft in Ostdeutschland, die trotz ihrer sonstigen Zyklizität nach der Wende trotz der wirtschaftlichen Krise (zunächst) florierte. Man kann die zyklischen Entwicklungen der Branchen relativ gut durch die Entwicklung der Aktienmärkte beobachten. 5.7 Intertemporale Wirtschaftspolitik Während bisher zwar die Ursachen und Beschreibungen möglicher Wirkungen von Schwankungen erläutert wurden, stellt sich für die Wirtschaftspolitik die Frage, wie man auf längere Sicht eine Stabilisierungspolitik betreiben kann (sofern dies erwünscht ist). Dabei ist darauf hinzuweisen, dass es aus der Krise heraus bereits natürliche stabilisierende Elemente gibt. Während sinkende Löhne, Gewinne und Einkommen die Konsumnachfrage senken und eine Krise verschärfen können (Multiplikatoreffekt), wirkt die Steuerprogression dieser ebenso entgegen wie die Transferzahlungen des Staates (Built-in-Flexibility), die z.B. in Form von Arbeitslosengeld, in Krisenzeiten die Nachfrage wieder erhöhen können (vgl. Abbildung): 36 Anteil der Schwankung der regionale Einkommen, der kompensiert wird Wichtigste Stabilisatoren - Einnahmeseite - Ausgabenseite USA 15-30% BRD(West) 30-40% - Steuer auf Unternehmenseinkommen, persönliche Einkommensteuer - staatliche Rentenzahlungen, Arbeitgeberbeiträge zu Pensionsfonds - Steuer auf Unternehmenseinkommen, Mehrwertsteuer - Arbeitslosenversicherung, Länderfinanzausgleich Vgl. Schelke (1998), S.59 Über diese gesetzlichen oder von der Sozialversicherung ausgehenden Regelungen, besteht eine Konjunkturrücklage, auf die die Regierung m i Krisenfall zurückgreifen kann. Um die politische Ausbeutungsversuche (vgl. politischer Zyklus) der Kreditmöglichkeiten des Staates zu begrenzen, wurde im Art. 115 der Verfassung die Nettoneuverschuldung (= Einnahmen – Ausgaben eines Haushaltsjahres) durch die Höhe der Investitionen begrenzt. Eine Abweichung von dieser Regel ist nur in Ausnahmefällen (Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts) gestattet. Dem Bestreben der Regierung diese häufig zu erklären steht die mögliche Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes durch die Opposition entgegen. Trotzdem zeigt sich das der diskretionäre Spielraum z.B. von einigen Bundesländer (Saarland, Bremen) häufig genutzt wurde und eine Hohe Sockelverschuldung zum Grundproblem wurde. Bis auf wenige Ausnahmen lässt sich auch international ein regelmäßiges Ansteigen der Gesamtverschuldung feststellen. Die gelegentlichen Rückzahlungen in Zeiten eines Konjunkturhochs oder bei Erlösen aus dem Verkauf staatlicher Unternehmen oder Rechte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Schuldenberg für nahezu alle Länder der Welt (Ausnahme: Norwegen, Luxemburg) ein wachsendes Problem darstellt. Der Fortschritt der Produktion der Volkswirtschaften, der in der Höhe des BIP seinen Niederschlag findet wird von diesem Ansteigen überkompensiert, so dass man auch von einem relativen Anstieg der Verschuldung (Schuldenstandsquote = Schuldenstand insgesamt / BIP (nominal)) sprechen kann. Als Ursache dafür kann zum einen die frühere mangelnde politische Bedeutung des Schuldenstandes gesehen werden, so dass sich die Politiker dieses Instrumentes 37 „ohne Kosten“ gerne bedienten, zum anderen der Ausbau der Staatsaufgaben im Allgemeinen (Sozial- und Wohlfahrtsstaatsexpansion, Ausweitung von Personalausgaben auch bei konjunkturellen Abschwüngen, Ausweitung von Subventionszahlungen, Internationale Verpflichtungen (EU), sowie in Deutschland als Sonderfall die Wiedervereinigung). Eine Beschränkung zumindest der Neuverschuldung erfolgte z.B. durch den Vertrag von Maastricht, in dem für das Finanzierungssaldo bzw. die Defizitquote = Nettoneuverschuldung / BIP (nominal) eine Beschränkung von 3,0% festgeschrieben wurde. Die Problematik verschärft sich in Krisenzeiten mehrfach, da zum einen die Einnahmen sinken, zum anderen die Ausgaben steigen. Allerdings wirkt dieser doppelten Krise eine Verringerung der Zinslastquote entgegen, da die Zinssätze in depressiven Phasen meistens gesenkt werden. Die im §9 des StabG festgeschriebene mittelfristige Finanzplanung, die von der Idee ausging, dass der Staat in depressiven /und rezessiven Phasen expansiv die Konjunkturschwäche durch ein Deficit Spending (Rücklagen auflösen, Hohe Staatsausgaben) glätten sollte (Antizyklische Nachfragesteuerung) scheitert an der mangelnden Disziplin der Regierungen. Da die Bürger sich ihre Meinungen aufgrund der derzeitigen Wirtschaftslage bilden, ist die Regierung versucht, immer etwas über den finanziellen Verhältnissen zu leben. Da die finanziellen Ausgaben und die Kreditaufnahme des Staates private Investitionen verdrängen, sowie die Kredite für Investitionen erhöhen (Crowdingout), wäre eine optimale Konjunkturpolitik durch eine expansive Geldpolitik zu begleiten. Eine Regelbindung, die die Regierung dazu verpflichtet, dass sie in Konjunkturellen Aufschwüngen Kredite zurückzahlt, erscheint angesichts des historischen Wachsens der Staatsschulden angebracht. Der Großteil der Haushalte ist allerdings meist schon längerfristig fixiert, so dass der tatsächliche Spielraum für solche antizyklischen Sparprogramme relativ gering ist. Vom Standpunkt der Finanzierung ist eine gewisse Staatsverschuldung durchaus nicht ineffizient. Der Staat gilt als sicherer Kreditnehmer und für die Kreditgeber entfallen Transaktionskosten der Überprüfung, „des Screening“- diese Kostenunterschiede kann man empirisch in dem unterschiedlichen Kreditzins 38 beobachten (wobei allerdings hier noch die Monopol- Komponente24 des Angebots an Staatspapieren zu berücksichtigen ist). Allerdings ist auf der Verwendungsseite oftmals keineswegs von einer Effizienz zu sprechen, so dass dieser Effekt sicherlich durch einen entgegen gerichteten überkompensiert wird. Da viele Wirkungen von den Wählern nur näherungsweise antizipiert werden können, besteht bei dem daraus entstehenden diskretionären Handlungsspielraum der Politiker immer die Missbrauchsgefahr. Intertemporale Politik heißt darüber hinaus die Kosten für die zukünftigen Generationen (z.B. auch im Umweltbereich, vgl. Kapitel 9) mit zu bedenken, sofern man nicht von einem idealistischen politischen Unternehmer, der nur das Wohl aller vertritt ausgeht, kann man aufgrund der Abhängigkeit von der Wiederwahl kaum darauf hoffen, dass diese Bestrebungen aus dem politischen Prozess aus sich heraus erwachsen. 25 Erst organisierte Interessengruppen tragen diese Probleme in die Politik und schaffen ein Problembewusstsein für diese Verantwortung. Die Komplexität der Systeme ist zudem ebenso für Politiker schwer durchschaubar und selbst wenn der Wille besteht, ein Problem anzugehen, werden oftmals gerade kontraproduktive Maßnahmen ergriffen. Diese Skepsis an der Steuerbarkeit wird von Theoretikern vertreten, die in der Tradition von Hayek lediglich ordnungspolitische Eingriffe fordern. Ebenso hilft eine Stimmulierung der Nachfrage wenig, wenn die Schocks von der Seite des Angebots her kommen, wie die Real-Buisness-Cycle Theorie unterstellt. 24 Der Preis ist auch deshalb niedriger, da es nur einen Anbieter dieser sicheren Papiere gibt und der Preis von diesem fixiert wird. 25 Viele Maßnahmen sind auch mit einem Time-Lag verbunden, so dass die Kosten bereits heute verspürt werden und der Nutzen erst in der Zukunft zu sehen sein wird – es ist evident, dass kaum ein Politiker ohne Druck eine solche Maßnahme durchführen wird. 39 Literatur : Assenmacher, W. (1998) : „ Konjunkturtheorie“, Essen Clement, R.; Gogoll, F.; Kiy, M. ; Terlau, W.; Veit, W. (2001): „ Praxis der Wirtschaftspolitik- Theorie und ihre Anwendung spielend lernen“, München Freytag, A.; Donges, J.B. (2001):“ Allgemeine Wirtschaftspolitik“, Stuttgart Kaas, L. : „Indeterminancy of intertemporal equilibria under imperfect competition“, Economic Theory, Vol. 17 (2001), 307-323 Kitchin, J. (1923): Cylces and Trends in Economic Factory; REStat, Vol. 5 Schelke, W. : „Sozialpolitischer Handlungsbedarf in Europa“, In Burda, M. C.; Seitz, H. und Wagner, G. (1998): „Europäischer und nationaler Fiskalföderalismus“, S. 5570 Schneider, F. (1999): „Ist Schwarzarbeit ein Volkssport geworden? Ein internationaler Vergleich des Ausmaßes der Schwarzarbeit von 1970 bis 1997“, Linz Schneider, F. ; Ernste D. (2000): “Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit”, München Schneider, F. (2002):“Zunehmende Schattenwirtschaft in Deutschland: Eine wirtschafts- und staatspolitische Herausforderung“, Beitrag für Vierteljahreshefte des DIW – Sondernummer Niedriglohnsektor in Deutschland, Berlin Schumpeter, J. A. (1939): Business Cycles; New York 40