56 Hodentumoren 1079 56 Hodentumoren J.T. Hartmann und S. Krege 56.1 Epidemiologie Häufigkeit: Inzidenz: Altersverteilung: Ätiologie: 1–2% aller Malignome bei Männern; häufigster maligner Tumor der 20- bis 40-jährigen Männer. Ca. 4200 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland. 0,5 – 9,9/100 000 Männer – BRD 6,5/100 000; hohe Inzidenz (steigend) in Industrieländern, selten in Asien, Afrika und Südamerika sowie bei den Schwarzen Nordamerikas [1]. 10% < 20 Jahre; 70% 20–40 Jahre; 20% > 40 Jahre. Altersmedian bei Nichtseminomen 27, bei Seminomen 36 Jahre [2]. Gesicherter Risikofaktor: Maldescensus testis, kontralateralerHodentumor,Familienanamnese.Wahrscheinlich: Atrophie, Mumpsorchitis, Zwillingstestis. Möglicher Risikofaktor: hohes Alter der Mutter, Hyperemesis gravidarum. Unklar: Trauma, Akne. Nein: Vasektomie, Rauchen, Alkohol [3]. 56.2 Pathologie und Stadieneinteilung 56.2.1 Pathologie Die für die Therapieplanung – vor allem in den frühen Stadien – wichtigste Unterscheidung ist die zwischen reinem Seminom und Nichtseminom bzw. Mischtumoren, die unabhängig von der relativen Verteilung der histologischen Untergruppen wie Nichtseminome behandelt werden. Patienten, die eine Erhöhung des Tumormarkers AFP oder eine signifikante Erhöhung des HCG-Werts aufweisen, sind unabhängig von evtl. histologischen Befunden grundsätzlich wie Patienten mit nicht seminomatösen Tumoren zu therapieren. Die histologische Klassifikation erfolgt nach WHO [4]. Wichtig ist eine fächerförmige Aufarbeitung, die in jeder Schnittebene eine mögliche Infiltration des Tumors in die Anhangsgebilde erkennen lässt. Obligat ist eine immunhistochemische Zytokeratinfärbung zur sicheren Differenzierung zwischen Seminom und Nichtseminom. 1080 J.T. Hartmann und S. Krege Da die Gefäßinvasion (Blut- und Lymphgefäße) ein für die Prognose, vor allem im klinischen Stadium I, entscheidender Faktor ist, muss in der histologischen Beurteilung auf dieses Kriterium geachtet werden [5, 6]. Bei zweifelhaften Befunden sollte eine Endothelfärbung, z.B. CD31, durchgeführt werden. Histopathologische Klassifikation der Hodentumoren (WHO) [4, 7] WHO Klassifikation der Keimzelltumore des Hodens [4] Histologischer Typ Intratubuläre testikuläre Neoplasie, unklassifiziert andere Tumore eines histologischen Typs (reine Formen) Seminom Seminom mit synzytiotrophoblastischen Zellen Spermatozytäres Seminom Spermatozytäres Seminom mit Sarkom Embryonales Karzinom Yolk sac Tumor Trophoblastische Tumore Chorionkarzinom Andere trophoblastische Neoplasien als Choriokarzinom monophasisches Chorionkarzinom plazentarer trophoblastischer Tumor Teratom Dermoid Zyste Monodermales Teratom Teratom mit Malignität vom somatischen Typ Tumore mit mehr als einem histologischen Typ (gemischte Formen) Embryonalzellkarzinom und Teratom Teratom und Seminom Choriokarzinom und Teratom/embryonales Karzinom andere ICD-O-M 9064/2 9061/3 9063/3 9070/3 9071/3 9100/3 9104/1 9080/3 9084/0 9084/3 9081/3 9085/3 9101/3 WHO, World Health Organisation; Internationale Klassifizierung 56.2.2 Stadieneinteilung Die Krankheitsausbreitung wird gemäß der TNM-Klassifikation sowie einer darauf basierenden Stadieneinteilung beurteilt [8]. 56 Hodentumoren 1081 TNM-Klassifikation und Stadiengruppierung maligner germinaler Hodentumoren (UICC 2002) T – Primärtumor Die Ausdehnung des Primärtumors wird nach radikaler Orchiektomie bestimmt (siehe pT). Falls keine radikale Orchiektomie vorgenommen wurde, wird TX verschlüsselt. N – Regionäre Lymphknoten NX Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden N0 Keine regionären Lymphknotenmetastasen N1 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats oder in (solitärem oder multiplen) Lymphknoten, jeweils nicht mehr als 2 cm in größter Ausdehnung N2 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats oder in multiplen Lymphknoten, mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung N3 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats, mehr als 5 cm in größter Ausdehnung M – Fernmetastasen MX Fernmetastasen können nicht beurteilt werden M0 Keine Fernmetastasen M1 Fernmetastasen M1a Nicht-regionäre Lymphknoten oder Lungenmetastasen M1b Andere Fernmetastasen pTNM – Pathologische Klassifikation (UICC 2002) pT – Primärtumor pTX Primärtumor kann nicht beurteilt werden (wenn keine radikale Orchiektomie durchgeführt wurde, wird der Fall als TX klassifiziert) pT0 Kein Anhalt für Primärtumor (z.B. histologische Narbe im Hoden) pTis Intratubulärer Keimzelltumor (Carcinoma in situ) pT1 Tumor begrenzt auf Hoden und Nebenhoden, ohne Blut/Lymphgefäßinvasion (der Tumor kann die Tunica albuginea infiltrieren, nicht aber die Tunica vaginalis) 1082 pT2 pT3 pT4 J.T. Hartmann und S. Krege Tumor begrenzt auf Hoden- und Nebenhoden, mit Blut-/Lymphgefäßinvasion, oder Tumor mit Ausdehnung durch die Tunica albuginea mit Befall der Tunica vaginalis Tumor infiltriert Samenstrang (mit oder ohne Blut-/Lymphgefäßinvasion) Tumor infiltriert Skrotum (mit oder ohne Blut-/Lymphgefäßinvasion) pN – Regionäre Lymphknoten pNX Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden pN0 Keine regionären Lymphknoten pN1 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats, 2 cm oder weniger in größter Ausdehnung, und 5 oder weniger positive Lymphknoten, keiner mehr als 2 cm in größter Ausdehnung pN2 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats, mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung, oder mehr als 5 positive Lymphknoten, keiner mehr als 5 cm in größter Ausdehnung, oder extranodale Tumorausbreitung pN3 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats, von mehr als 5 cm in größter Ausdehnung pM – Fernmetastasen Die pM-Kategorien entsprechen den M-Kategorien S-Serum-Tumormarker (UICC 2002) Die Klassifikation beruht auf dem niedrigsten Wert nach Orchiektomie SX Werte der Serumtumormarker nicht verfügbar oder entsprechende Untersuchungen nicht vorgenommen S0 Serumtumormarker innerhalb der normalen Grenzen S1 – S3 Wenigstens einer der Serumtumormarker erhöht S1 S2 S3 LDH HCG (mIU/ml) AFP (ng/ml) < 1,5 xN und 1,5–10 xN oder > 10 xN oder < 5000 und 5000–50000 oder > 50000 oder < 1000 1000–10000 10000 (N = obere Grenze des Normalwertes für LDH) 56 Hodentumoren 1083 Stadieneinteilung (UICC 2002) Stadium 0 pTis N0 M0 S0, SX Stadium I Stadium IA Stadium I B pT1–4 pT1 pT2 pT3 pT4 Jedes pT/TX N0 N0 N0 N0 N0 N0 M0 M0 M0 M0 M0 M0 SX S0 S0 S0 S0 S1, S2, S3 Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX N1, N2, N3 N1 N1 N2 N2 N3 N3 M0 M0 M0 M0 M0 M0 M0 SX S0 S1 S0 S1 S0 S1 Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes pT/TX Jedes N Jedes N Jedes N N1, N2, N3 Jedes N N1, N2, N3 Jedes N Jedes N M1, M1a M1, M1a M1, M1a M0 M1, M1a M0 M1, M1a M1 b SX S0 S1 S2 S2 S3 S3 Jedes S Stadium IS Stadium II Stadium IIA Stadium IIB Stadium IIC Stadium III Stadium IIIA Stadium IIIB Stadium IIIC Für die weitere Therapieplanung, v. a. der fortgeschrittenen Stadien des Hodentumors, wird die Klassifikation der IGCCCG angewandt [9]. In dieser werden neben der Histologie die Lokalisation des Primärtumors die Lokalisation der Metastasen und die Höhe der Tumormarker berücksichtigt. 1084 J.T. Hartmann und S. Krege IGCCCG-Klassifikation fortgeschrittener Hodentumoren [9] Nichtseminom Seminom Gute Prognose Testikulärer/retroperitonealer Primärtumor und keine viszeralen Metastasen1 (außer Lunge) und „gute“ Marker; alle: AFP < 1000 ng/ml HCG < 5000 IU/l (1000 ng/ml) LDH < 1,5 oberer Normwert Jeder Primärtumor und keine viszeralen Metastasen1 (außer Lunge) und AFP: normal HCG: jeder Wert LDH: jeder Wert Intermediäre Prognose Testikuläre/retroperitonealer Primärtumor und keine viszeralen Metastasen1 (außer Lunge) und „intermediäre“ Marker: – AFP 1000 – 10 000 ng/ml oder – HCG 5000 – 50 000 IU/l oder – LDH 1,5 – 10 u oberer Normwert Jeder Primärtumor und viszerale Metastasen1 (außer Lunge) und AFP: normal HCG: jeder Wert LDH: jeder Wert Schlechte Prognose Primär mediastinale Tumoren 2 oder viszerale Metastasen 1 (außer Lunge) oder „schlechte“ Marker – AFP > 10 000 ng/ml oder – HCG > 50 000 IU/l (10 000 ng/ml) oder – LDH > 10 u oberer Normwert 1 2 nicht definiert Als viszerale Metastasen gelten: Leber, Knochen, ZNS, Haut, Nebennieren etc. Mediastinale Primärtumoren gelten beim Nichtseminom immer als „schlechte“ Prognose 56 Hodentumoren 1085 56.3 Symptome Schmerzlose oder schmerzhafte Hodenschwellung, Schweregefühl, Konsistenzzunahme, unregelmäßige Oberfläche, umschriebene Verhärtung. Jede Volumenzunahme des Hodens gilt bis zum definitiven Beweis des Gegenteils als maligne! Extratestikuläre Symptome: Gynäkomastie, Rückenschmerzen, gastrointestinale Beschwerden (durch Metastasen verursacht). Extragonadale Keimzelltumoren machen sich erst spät bemerkbar, z. B. V.cava-inferior-superior-Syndrom bei retroperitonealem oder mediastinalem Sitz. 56.4 Diagnostische Maßnahmen Bei Erstdiagnose weisen ca. 50% der Patienten ein klinisches Stadium I auf (Erkrankung auf Hoden begrenzt), 38% der Patienten ein Stadium II und 12% ein Stadium III [10]. Diagnostik beim Hodentumor x Primärtumor: Palpation, ggf. Sonographie x Ausbreitungsdiagnostik: CT oder Kernspintomographie des Thorax und Abdomens, Schädel-CT sowie Skelettszintigraphie nur bei entsprechenden Symptomen oder sehr fortgeschrittenen Tumorstadien x Tumormarker: β-HCG, AFP, LDH (PLAP: bei Seminomen) x Prognostische Faktoren (entsprechend den Kriterien der IGCCCG): – Marker (AFP, β-HCG, LDH) – Lokalisation des Primärtumors – Lokalisation der Metastasen 56.5 Behandlungsstrategie (Abb. 56.1, 56.2) 56.5.1 Operation des Primärtumors Hohe inguinale Ablatio testis, kontralaterale Biopsie (Nachweis von CIS bzw. TIN) zumindest bei Hodenvolumen <12 ml und Alter <40 Jahre (Risiko für TIN >34%) [11, 12]. 1086 J.T. Hartmann und S. Krege Ablatio testis + ggf. Kontralaterale Biopsie CS I Radiotherapie 20 Gy Surveillance Carboplatin 1 × (AUC 7) TIN positiv Bestrahlung 20 Gy oder individuell Beobachtung TIN negativ Beobachtung CS II A/B Radiotherapie CS II A 30 Gy CS II B 36 Gy alternativ 3 × PEB oder 4 × PE bei CS II B CS II C/CS III 3 × PEB CR oder Residuen Kontrolle (PET) Abb. 56.1. Therapiestrategien beim reinen Seminom 56.5.2 Tumor im kontralateralen Hoden oder Einzelhoden Ablatio testis; Enukleationsresektion möglich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Tumor entfernt vom Rete testis; Durchmesser < 2 cm; normales präoperatives Plasmatestosteron; Biopsien aus dem Resektionsbett und tumorfern negativ; postoperative lokale Bestrahlung mit 20 Gy; Kontrollbiopsie und Hormonstatus 6 Monate nach der Enukleationsresektion; Nachsorge zur frühen Entdeckung eines Lokalrezidivs bzw. einer systemischen Progression [13]. 56.5.3 TIN im kontralateralen Hoden Die testikuläre intratubuläre Neoplasie (TIN oder CIS) muss nach heutigem Kenntnisstand als obligate Präkanzerose aufgefasst werden, allerdings kann die Zeit bis zur Manifestation eines invasiven Karzinoms 10 Jahre betragen. Die Standardbehandlung der TIN besteht in der Bestrahlung des befallenen Hodens mit 20 Gy, verabreicht in Einzelfraktionen von 2 Gy über einen Zeitraum von 2 Wochen. Die Bestrahlung führt zu einer vollständigen Zerstörung des Keimepithels; die Hormonproduktion bleibt in der Regel erhalten, sollte aber kontrolliert 56 Hodentumoren 1087 Ablatio testis + TIN positiv Bestrahlung 20 Gy oder individuell Beobachtung TIN negativ Beobachtung Kontralaterale Biopsie CS I Drei Strategien – „Surveillance” (bei negativer VI) – Adjuvante Chemotherapie (bei positiver VI) – Neuroschonende Lymphadenektomie (alternativ) CS II A Marker – CS II A Marker + CS II B Marker ± Zwei Strategien möglich 3 × PEB + ResidualtumorResektion – Kontrolle (Tumormarker + CT) (nach 6 Wochen): PR: Kontrolle SD: Nervschonende Lymphadenektomie oder Kontrolle PD: Nervschonende Lymphadenektomie – Sofortige nervschonende Lymphadenektomie Abb. 56.2. Therapiestrategien beim Nichtseminom werden. Bei ausgeprägtem Kinderwunsch ist eine engmaschige klinische Kontrolle und Therapie nur bei invasiven Karzinom möglich [14, 15]. 56.5.4 Seminom (Abb. 56.1) 56.5.4.1 Klinisches Stadium I Im klinischen Stadium I des Seminoms stehen 3 Optionen zur Verfügung: die adjuvante Bestrahlung oder Chemotherapie und die Surveillance. Bei einer Nachbeobachtung ohne adjuvante Behandlung beträgt das Risiko für ein Rezidiv 20%. Bei der Bestrahlung werden die infradiaphragmalen paraaortalen Lymphknotenstationen mit einer Zielvolumendosis von 20 Gy (Fraktionierung 2,0 Gy; 5× pro Woche) bestrahlt (Feldgrenze: Oberkante BWK 11 bis Unterkante LWK 5; seitlich bis zur Begrenzung der Wirbelkörperquerfortsätze [16]). Die 1088 J.T. Hartmann und S. Krege niedrige Dosis von 20 Gy basiert auf einer vom MRC durchgeführten randomisierten Studie, in der 20 Gy vs. 30 Gy verglichen wurden. Es zeigte sich, dass es nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 4 Jahren keine Unterschiede der Rezidivrate gab [17]. Bei der Surveillance-Strategie erfolgt eine Therapie nur bei Rezidiv. Eine Metaanalyse zu publizierten Wait-and-see-Studien zeigte für Patienten mit einer Primärtumorgröße >4 cm oder einer Invasion des Rete testis ein höheres Rezidivrisiko [18]. Eine weitere Option stellt die adjuvante Chemotherapie mit Carboplatin 1 Kurs (AUC 7) dar [19, 20]. 56.5.4.2 Klinisches Stadium IIA Bestrahlung der infradiaphragmalen paraaortalen und der ipsilateralen iliakalen Lymphknotenstationen mit einer Zielvolumendosis von 30 Gy (Fraktion 2,0 Gy; 5 Tage pro Woche); obere Feldgrenze analog klinischem Stadium I; untere Feldgrenze am Dach der Hüftgelenkspfanne [16]. 56.5.4.3 Klinisches Stadium IIB Bestrahlung der infradiaphragmalen paraaortalen und ipsilateralen iliakalen Lymphknotenstationen mit einer Zielvolumendosis von 36 Gy (Fraktionierung 2 Gy; 5 Tage pro Woche). Obere und untere Feldgrenze analog zum Stadium IIA; die seitlichen Feldgrenzen müssten ggfs. an die Ausdehnung der Lymphknotenmetastasen angepasst werden [16]. 56.5.4.4 Klinische Stadien IIC und III In diesen Stadien ist die alleinige Radiotherapie mit einer hohen Rate an systemischen Rezidiven assoziiert. Therapie der Wahl ist daher die primäre systemische Chemotherapie; Standardregime ist die Kombination aus Cisplatin, Etoposid und Bleomycin. Bei guter Prognose werden 3 Kurse PEB oder bei Kontraindikationen gegen Bleomycin 4 Kurse PE verabreicht, bei intermediärer Prognose 4 Kurse PEB oder PEI [21, 22]. 56.5.5 Nichtsemiom 56.5.5.1 Klinisches Stadium I Beim Nichtseminom im klinischen Stadium I steht die vaskuläre Invasion (VI) im Primärtumor als prospektiv geprüfter Risikofaktor zur Verfügung, um die 56 Hodentumoren a 1089 b Abb. 56.3a, b. Dissektionsgebiet (gerastert) der mod. LA im Stadium I auf der Basis der Lokalisation solitärer Metastasen (n = 112). a rechtsseitiger Tumor, b linksseitiger Tumor Rezidivrate abzuschätzen. Patienten mit VI haben ein Risiko von 48%, im weiteren Verlauf Metastasen zu entwickeln, Patienten ohne VI rezidivieren in 14– 22% [23]. Die Therapie in diesem Stadium sollte daher risikoadaptiert entsprechend dem Vorhandensein oder Fehlen einer VI erfolgen. Patienten mit einem geringen Risiko (keine VI) sollten entsprechend der Surveillance verfolgt werden. Kommen sie hierfür nicht in Frage, z. B. bei fraglicher Compliance, sollte die Therapie alternativ in der Verabreichung einer adjuvanten Chemotherapie mit 2 Kursen PEB bestehen. Patienten mit einem hohen Risiko (vorhandene VI) werden adjuvant chemotherapiert. Lehnt dies der Patient ab oder bestehen anderweitige Kontraindikationen, sollte eine Surveillance durchgeführt werden. Die retroperitoneale modifizierte nervschonende Lymphadenektomie (Abb. 56.3) kann als dritte Option im Stadium I beim Nichtseminom angeboten werden. Ihr Stellenwert ist aber deutlich in den Hintergrund gerückt. Alle Therapieverfahren sind hinsichtlich der Langzeitprognose gleich (98% der Patienten werden geheilt). Die Vor- und Nachteile der drei möglichen Therapieverfahren sind im folgenden Schaukasten dargestellt. 1090 J.T. Hartmann und S. Krege Therapieoptionen beim Nichtseminom im klinischen Stadium I: derzeit akzeptierte Vorgehensweisen Alle Therapieverfahren sind hinsichtlich der Langzeitprognose gleich (98% der Patienten werden geheilt) 1) „Surveillance“ ohne Gefäßinvasion im Primärtumor Vorteile: – Keine therapiebedingte Morbidität für ca. 78–86% der Patienten, die kein Rezidiv entwickeln Nachteile: – Höhere therapeutische Intensität für 14–22% der Patienten, die Metastasen entwickeln (z.B. 3 Kurse vs. 2 Kurse Chemotherapie) – Möglicherweise höhere psychologische Belastung für die Patienten 2) Primäre, adjuvante Chemotherapie bei Gefäßinvasion im Primärtumor [24, 25] Vorteile: – Ausgesprochen niedrige Rezidivrate (ca. 3%) – Vereinfachte Nachsorge – Geringere Anzahl an Chemotherapiezyklen (2 Kurse in der adjuvanten Therapie ausreichend) – Keine operative Morbidität Nachteile: – Fehlende histologische Objektivierung des Stadium – Chemotherapie für alle Patienten (50% unnötig therapiert) – Chemotherapie-assoziierte Akut-Toxizitäten [26] – Vorübergehende Beeinträchtigung der Fertilität [27] – Risiko der Induktion von Zweitmalignomen (Bei 2 × PEB aber bisher kein Fall berichtet) [28] 3) Primäre, neuroschonende Lymphadenektomie Vorteile: – Histologische Objektivierung des Stadiums – Kurative Therapie für Patienten im pathologischen Stadium II A (10 – 15%) – Senkung des retroperitonealen Rezidivrisikos auf 0–2% – Vereinfachte Nachsorge, da fast ausschließlich pulmonale Rezidive auftreten Nachteile: – Operative Morbidität für alle Patienten (bei low risk in 70 – 80%, bei high risk in 50% unnötig operiert) [29] – Ejakulationsverlust (ca. 5–10% bei „nerve-sparing“ Technik) [30, 31] – Weiterhin bestehendes Risiko pulmonaler Metastasen (ca. 8 – 10% der Patienten) 56 Hodentumoren 1091 56.5.5.2 Klinische Stadien IIA/IIB Grundsätzlich gilt, dass Patienten mit abnormal erhöhten Tumormarkern im klinischen Stadium IIA/B wie Patienten nach den IGCCCG-Empfehlungen behandelt werden. Ein besonderes Problem stellen Patienten mit Verdacht auf retroperitonealen Lymphknotenbefall im Stadium IIA ohne Markererhöhung dar. Für diese Patienten bestehen zwei Optionen: Eine Staging-Lymphadenektomie oder eine engmaschige Beobachtung. Die Lymphadenektomie sollte allerdings mit nervenschonender Technik durchgeführt werden. Nachteile bestehen im Verlust der antegraden Ejakulation (5–32%) trotz nervenerhaltender Lymphadenektomie, einer Überbehandlung in 12–13% der Fälle und in einer operationsbedingten Morbidität von 10%. 56.5.5.3 Fortgeschrittene Tumorstadien: Klinische Stadien IIC und III Im metastasierten Stadium > IIB besteht grundsätzlich die Indikation zu einer primären, Cisplatin-haltigen Chemotherapie. Die Anzahl der Therapiezyklen sowie die Prognose wird durch die Krankheitsausbreitung und verschiedene tumorbiologische Faktoren bestimmt. Die Prognose sollte nach den Kriterien der IGCCCG-Klassifikation beurteilt und danach die Therapie festgesetzt werden. Die Zyklen müssen unbedingt zeitgerecht appliziert werden. Generell ist der Ersatz von Cisplatin durch Platinanaloga, z. B. Carboplatin, in der Therapie des metastasierten, nichtseminomatösen Hodentumors im Stadium >IIB kontraindiziert. Der Ersatz von Cisplatin durch Carboplatin hat in mehreren randomisierten Studien durchweg zu schlechteren therapeutischen Resultaten beim Seminom geführt und und wird nur bei klarer Kontraindikation gegen Cisplatin eingesetzt (Tabelle 56.1). Chemotherapieprotokolle „PEB“ „PEI“ a b Cisplatin 20 mg/m2 KOF i.v. 30 min-Infusion d1–5 a Etoposid 100 mg/m2 KOF i.v. 30 min-Infusion d1–5 Bleomycin 30 mg absolut i.v. Bolus d2, 8, 15 Cisplatin 20 mg/m2 KOF i.v. 30 min-Infusion d1–5 a Etoposid 100 mg/m2 KOF i.v. 30 min-Infusion d1–5 Ifosfamid 1200 mg/m2 KOFi.v. 30 min-Infusion d1–5 b Hydratation beachten! Uroprotektion mit Mesna 400 mg/m2 KOF i.v. h 0–4–8 nach Ifosfamid. 1092 J.T. Hartmann und S. Krege Tabelle 56.1. Randomisierte Vergleiche Carboplatin- und Cisplatin-haltiger Chemotherapie bei fortgeschrittenen seminomatösen Keimzelltumoren Autor Regime Patienten (n) Überleben (%) [31a] Horwich et al. 2000 PE vs. C 130 91 vs. 77 (ns) [31b] Clemm et al. 2000 PEI vs. C 280 86 vs. 88 (p<.05) P Cisplatin, E Etoposid, I Ifosfamid, C Carboplatin, CR komplette Remission. Gute Prognose nach IGCCCG (Überlebensrate von 95%) Standardtherapie ist hier die Gabe von 3 Zyklen einer Cisplatin-haltigen Chemotherapie (z.B. PEB). 4× PE bei Patienten mit vorbestehenden Lungenschäden. In Tabelle 56.2 sind randomisierte Studien zur Chemotherapie in der guten Prognose-Gruppe aufgeführt [32–40]. Intermediäre Prognose nach IGCCCG (Überlebensrate ca. 80%) Standardtherapie ist derzeit die Verabreichung von 4 Kursen einer Cisplatinhaltigen Chemotherapie (PEB oder PEI) [32–40]. Schlechte Prognose nach IGCCCG (Überlebensrate ca. 45%) Für Patienten in diesen fortgeschrittenen Tumorstadien besteht die Standardchemotherapie in der Verabreichung von 4 × PEB. Alternierende Applikationen von konventionell dosierten, verschiedenen Chemotherapieregimen haben zu keinen besseren Ergebnissen geführt (Tabelle 56.3) [41–48]. Angesichts der insgesamt schlechten Prognose (langfristige Tumorfreiheit <50%) sollten diese jugendlichen Patienten mit weit fortgeschrittener Erkrankung in Therapiezentren vorgestellt werden. Der Stellenwert einer Hochdosischemotherapie mit autologem Stammzell-Rescue bleibt weiter offen. Da die Hochdosistherapie mit einer potenziell höheren Toxizität einhergeht, muss die Behandlung an einem erfahrenen Zentrum vorgenommen werden. Eine randomisierte US-amerikanische Studie [49] verglich eine konventionell dosierte Chemotherapie (4 Zyklen PEB) mit einer Hochdosistherapie bestehend aus 2× PEB gefolgt von 2× HD-CEC in „Intermediate-“ und „Poorprognosis-Patienten“. In dieser Studie konnte für die Gesamtgruppe kein Vorteil MSKCC MSKCC Indiana Indiana EORTC Indiana IGCCCG MSKCC IGCCCG [32] Bosl et al. 1988 [33] Bajorin et al. 1993 [34] Loehrer et al. 1995 [35] Bokemeyer et al. 1996 [36] de Wit et al. 1997 [37] Saxman et al. 1998 [38] de Wit et al. 2001 [39] Toner 2001 [40] Culine et al. 2003 kein Bleomycin, Erhöhung der Zyklenzahl 92 91 90 91 96 92 99 88 90 89 89 90 n.a. Reduktion der Therapiezyklen/5-Tages- versus 3-Tages-Regime Indiana vs. MRC 88 87 91 83 68 86 86 69 87 76 85 82 gleichwertig Indiana besser gleichwertig gleichwertig Gleichwertig EP × 4 schlechter CEB × 4 schlechter PE × 3 schlechter EC × 4 schlechter gleichwertig kontinuierlich Kommentar CR-Rate (%) 97 98 95 87 96 97 94 88 80 88 96 93 CR-Rate (%) Reduktion der Therapiezyklen kein Bleomycin Carbo- vs. Cisplatin kein Bleomycin Carbo- vs. Cisplatin Neues 2-Zytostatikaregime Ziel der Untersuchung P Cisplatin, E Etoposid, B Bleomycin, C Carboplatin, VAB-6 Cisplatin + Vinblastin + Dactinomycin + Bleomycin + Cyclophosphamid, CR kiomplette Remission, n.a. nicht angegeben. PEB × 3 PEB × 3/PE × 1 PEB (d1–5) PEB (d1–3) PE500B90 × 3 PE360B30 × 4 PEB × 3 PE × 4 PEB × 4 PEB × 3 BEP × 4 EP × 4 CEB × 4 PEB × 3 PEB × 3 PE × 3 EC × 4 EP × 4 VAB-6×3 EP × 4 Klassifikation Regime Autor Tabelle 56.2. Randomisierte Untersuchungen bei metastasierten Hodentumoren der Good-prognosis-Gruppe 56 Hodentumoren 1093 Indiana NCI SWOG Indiana EORTC Indiana MRC / EORTC IGCCCG [41] Williams et al. 1987 [42] Ozols et al. 1988 [43] Wozniak et al. 1991 [44] Nichols et al. 1991 [45] de Wit et al. 1995 [46] Nichols et al. 1998 [47] Kaye et al. 1998 [48] Droz et al. 2001 PEBx4 CISCA/VBx4–6 PEB × 6 BOP/VIP-B × 3 PEB × 4 PEI × 4 PEB × 4 P(200)EB × 4 PEB × 4 PVB/BEP × 2 PVB × 4 P(200)EBV × 4 PVB × 4 PEV × 4 PVB × 4 PEB × 4 Regime Sequentiell alternierendes Regime Sequentielle alternierende Regime Ifosfamid anstelle von Bleomycin alternierende Regime verdoppelte Dosis von Cisplatin Etoposid anstelle von Bleomycin Addition von Etoposid und verdoppelte Dosis von Cisplatin Etoposid anstelle von Vinblastin Ziel der Untersuchung P Cisplatin, V Vinblastin, B Bleomycin, E Etoposid, I Ifosfamid, O Vincristin, CR Komplette Remission. Klassifikation Autor 57 54 57 54 60 63 72 76 73 68 77 73 67 88 38 63 CR-Rate (%) Tabelle 56.3. Randomisierte Untersuchungen bei metastasierten Hodentumoren der Poor-prognosis-Gruppe gleichwertig gleichwertig gleichwertig gleichwertig gleichwertig gleichwertig PVB schlechter PVB schlechter Kommentar 1094 J.T. Hartmann und S. Krege 56 Hodentumoren 1095 zugunsten der HDCT gefunden werden. Die Interpretation wird allerdings durch die folgenden Tatsachen erschwert: x Der Einschluss „intermediate“ bezog eine Patientengruppe mit ein, in der die HDCT bisher nicht untersucht wurde und daher keine Hinweise für einen Nutzen vorliegen. x Zudem waren innerhalb der „Poor-prognosis-Gruppe“ die Patienten mit Hirnmetastasen ausgeschlossen. x Die Fallzahl war auf einen Unterschied von 20% in der CR/PR-Rate berechnet, die wichtigen Größen wie PFS und OS blieben statistisch beim Design unberücksichtigt. x Es wurden nur 218 der geplanten 270 Patienten eingeschlossen. Unklar bleibt auch, warum nicht nach Sammlung von Stammzellen mit einem Standardzyklus rasch eine frühe Dosiseskalation mit HDCT ab Zyklus 2 begonnen wurde. In der retrospektiven Auswertung von Patienten mit zögerlichem Markerabfall fand sich dagegen ein deutlicher Vorteil für die HDCT gegenüber PEB. Patienten sowohl mit den Konstellation „intermediate“ als auch „poor prognosis“ sollten daher weiter in klinischen Studien behandelt werden. 56.5.6 Residualtumorresektion Das Vorgehen unterscheidet sich in Abhängigkeit von der Histologie des Primärtumors. Nach Abschluss der definierten Chemotherapie ist bei Patienten mit nichtseminomatösem Tumor grundsätzlich die Indikation zur Residualtumorresektion bei Tumormanifestationen jeglicher Größe gegeben. Voraussetzung hierfür ist, dass der Patient einen markernegativen Status erreicht hat; in Einzelfällen können diskret erhöhte Werte auch über mehrere Wochen nach Chemotherapie persistieren; solange diese Werte keine eindeutige Progressionstendenz zeigen, ist eine Residualtumorresektion anzustreben. Bei der Operation sollte versucht werden, das gesamte Tumorgewebe zu resezieren [50–54]. Bei Nachweis von vitalem Karzinom ist der Stellenwert einer adjuvanten Cisplatin-haltigen Chemotherapie unklar [55]. In einer retrospektiven Analyse zeigten sich eine komplette Resektion, ein Anteil < 10% vitaler Tumorzellen im Resektat und eine vorherige ,good Prognosis‘-Einstufung nach IGCCCG als prognostisch günstig, sodass hier auch ein Verzicht auf die Chemotherapie gerechtfertigt scheint [55]. Feinnadelbiopsien sind nicht repräsentativ für die Histologie des gesamten Residualtumors. Für Patienten mit Residualtumoren an mehreren Lokalisationen existiert hinsichtlich der Reihenfolge, in der diese Manifestationen reseziert werden, keine einheitliche Empfehlung. Wenn technisch möglich, sollten alle Tumor- 1096 J.T. Hartmann und S. Krege residuen entfernt werden. Ein einzeitiges operatives Vorgehen ist bei Residualtumoren ober- und unterhalb des Zwerchfells der zweizeitigen Operation hinsichtlich der Prognose der Tumorerkrankung nicht überlegen [56]. Die Histologie eines Resektates erlaubt keinen Rückschluss auf die Histologie der anderen Residualtumoren. Diskordante Befunde kommen bei ca. 35– 40% der Patienten vor [57–59]. Beim Seminom ist die Wahrscheinlichkeit, dass in residuellen Tumormanifestationen vitales Karzinom oder reifes Teratom enthalten ist, deutlich geringer. Hier werden Restbefunde engmaschig beobachtet. Lediglich bei Progress in den bildgebenden Verfahren besteht die Indikation zur Intervention [60–62]. Die Positronenemissionstomographie (PET) ist zur Differenzierung von Restbefunden beim Seminom nur partiell valide [63]. Negatives PET hat eine hohe Vorhersagekraft, aber ein positives PET keine hohe Wahrscheinlichkeit auf persistierendes Seminom. 56.5.7 „Salvage-Resektion“ bei Markerpositivität In sehr seltenen Fällen besteht auch bei Markerpositivität die Indikation zur Resektion von Tumormanifestationen. Eine sogenannte Salvage-Chirurgie sollte erwogen werden, wenn der Patient zuvor mindestens 2 standardisierte, cisplatinhaltige Therapieregime erhalten hat, ohne einen markernegativen Status zu erreichen. Die besten Aussichten bei Salvage-Chirurgie haben Patienten, die lediglich eine AFP-Erhöhung aufweisen und nur eine Tumormanifestation haben. Bei deutlich erhöhten und steigenden Werten von β-HCG sowie multilokulärer Metastasierung besteht auch mit Salvage-Chirurgie keine Aussicht auf langfristige Kuration; in diesen Fällen erscheint eine Operation nicht indiziert [64–66]. 56.5.8 Rezidivtherapie Die Mehrzahl der Patienten, die nach einer Firstline-Radiotherapie eines Seminoms rezidivieren, haben eine Heilungsrate von >90% und sollten eine Cisplatin-basierte Chemotherapie erhalten. Kommt es zu einem weiteren Rezidiv nach bereits stattgehabter konventionell dosierter Cisplatin-basierter Chemotherapie, liegt die Langzeitremission bei >50% der Patienten [67]. Auch hier sollten Kombinationschemotherapieschemata, wie Etoposid, Ifosamid und Cisplatin (VIP) oder Paclitaxel, Ifosamid und Cisplatin (TIP) eingesetzt werden [68]. Auch beim Nichtseminom zeigen Patienten im ersten Rezidiv Heilungsraten von >90%. Weitere Rezidive werden, wie beim Seminom, mit Kombina- 56 Hodentumoren 1097 tionsschemata wie VIP oder TIP behandelt. Das Langzeitüberleben beträgt hier 15–60% in Abhängigkeit von individuellen Risikofaktoren [69]. Der Stellenwert einer Hochdosischemotherapie ist weiterhin nicht abschließend geklärt [70]. Rezidivpatienten sollten unbedingt in erfahrenen Therapiezentren behandelt werden. 56.5.9 ZNS-Metastasen Ungefähr 10% der Patienten mit fortgeschrittenen Hodentumoren weisen ZNS-Metastasen auf. Für die Therapieplanung ist zu unterscheiden, ob die ZNS-Filiae bei Erstdiagnose, v.a. bei weit fortgeschrittenen Tumoren mit deutlicher Erhöhung von E-HCG (Langzeitüberleben 30–40%) vorliegen oder ob sich die Metastasierung im Laufe der Erkrankung als Rezidivmanifestation entwickelt (5-Jahres-Überleben 2–5%). Die Behandlung von bei der Erstdiagnose vorliegenden ZNS-Metastasen besteht in einer sofortigen Chemotherapie mit entweder simultan oder sequenziell durchgeführter Bestrahlung mit 46–50 Gy (1,8–2,0 Gy-Fraktionen; 5× pro Woche). Lediglich bei eingeschränkter Chemotherapiefähigkeit kommt eine primäre neurochirurgische Resektion in Betracht. Manifestieren sich ZNS-Filiae als Rezidiv, sollten Einzelherde operiert werden. Operationstechnisch ungünstige Herde oder multiple Filiae sind zu bestrahlen. Auch wenn zum Zeitpunkt der ZNS-Beteiligung kein Hinweis auf systemische Metastasen vorliegt, besteht die Indikation zur systemischen Chemotherapie [71, 72]. 55.5.10 Keimzelltumoren extragonadalen Ursprungs Während Keimzelltumoren überwiegend im Hoden entstehen, machen die sog. extragonadalen Keimzelltumoren einen Anteil von 2–5% aller Keimzelltumoren des Mannes aus. Bezüglich der nichtseminomatösen mediastinalen Keimzelltumoren finden sich überzufällig häufig das Auftreten beim KlinefelterSyndrom und die Entwicklung von assoziierten hämatologischen Erkrankungen [73, 74], aber kein erhöhtes spezifisch biologisches Risiko für die Entwicklung von sekundären Tumoren [28]. Sie weisen insgesamt eine schlechte Prognose auf. Im Gegensatz hierzu liegt die Überlebenswahrscheinhichkeit von mediastinalen Seminomen bei 85% nach 5 Jahren, die derjenigen metastasierter testikulärer oder retroperitonealer Seminome nach adäquater Cispiatin-basierender Chemotherapie entspricht [75]. Uberlebensdaten von verschiedenen Prognosegruppen sind in [76] zusammengefasst.