Parodontitis und Bakteriologie Einleitung von Dr. med. R. Raßhofer

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Parodontitis und Bakteriologie
Einleitung
von Dr. med. R. Raßhofer
Im Sulcus gingivalis können bis zu 500 verschiedene Bakterienspezies nachgewiesen werden.
Fälschlicherweise ging man lange man davon aus, dass alle diese Spezies unter bestimmten Umständen eine
Gingivitis oder Parodontitis verursachen können, d. h. dass das Auftreten dieser Erkrankung lediglich von
dem Ausmaß der Gesamtkeimbelastung im Sulcus abhängt.
Dies ist nicht der Fall. Nur von einigen wenigen Sulcusbewohnern konnte bewiesen werden, dass sie
parodontal-pathogen sind, das heißt, eine spezifische destruktive Wirkung auf den bindegewebigen und
knöchernen Zahnhalteapparat haben. Statistische Daten zeigen, dass insbesondere 5 bestimmte Keime mit
dem Schweregrad von parodontitischen Läsionen korrelieren: Actinobacillus actinomycetemcomitans,
Porphyromonas gingivalis, Prevotella intermedia, Bacteroides forsythus, Treponema denticola. Sie besitzen
Eigenschaften, die sie zum Überleben im Sulcus prädestinieren und ihnen einen Selektionsvorteil sogar
gegenüber der normalen, gutartigen PA-Flora verschaffen:
• Besondere Anhaftungsfähigkeit (überwindet die Spül- und Reinigungsfunktion des Sulcusfluids).
• Gewebszerstörende Pathogenitätsfaktoren (Proteasen)
• Abwehrfunktionen gegen das Wirtsimmunsystem (Leukotoxine, Chemotaxisinhibitoren).
Zwei dieser Organismen, Actinobacillus actinomycetemcomitans, Porphyromonas gingivalis, gelten als
Verursacher einer "echten Infektion", d.h. sie dürfen überhaupt nicht im Sulcus vorkommen. Auch die
geringste Belastung mit diesen Erregern wird zu einer Gewebedestruktion führen. Actinobacillus
actinomycetemcomitans ist von diesen Keimen am stärksten gewebsinvasiv und nicht durch mechanische
Therapie zu beseitigen. Bei einer Infektion mit diesem Keim gilt in der Regel eine adjuvante Chemotherapie
als unumgänglich, um parodontale Stabilität zu erreichen.
Die Übertragung der Keime geschieht vertikal, also zwischen Eltern und Kind, sowie horizontal, also
zwischen Geschwistern oder Lebenspartnern. Man sollte also bei AP-Patienten die Diagnostik und evtl. auch
Therapie bei Familienangehörigen oder Lebenspartnern mit einplanen.
Mikrobiologie im Behandlungsverlauf
Bei etwa 80% der Patienten reicht die PA-Initialtherapie (supragingivale Plaque- und Zahnsteinentfernung,
ggf. Wurzelglättung sowie die weitere Betreuung mittels professioneller Zahnhygiene) aus, um parodontal
stabile Verhältnisse zu schaffen, sofern der Patient zu ausreichender Mitarbeit in Form guter persönlicher
Zahnhygiene bereit ist. Die mikrobiologische Diagnostik zur Steuerung einer evtl. notwendigen
Antibiotika-Behandlung ist nach heutigen Erkenntnissen bei folgenden aggressiven marginalen
Parodontitiden indiziert:
• Früh beginnende Parodontitis
• Schwere generalisierte adulte PA (über 50% Alveolarknochenverlust an mehr als 14 Zähnen)
• Refraktäre Parodontitis
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• Schwere marginale PA bei systemischen Erkrankungen (insbesondere Dysfunktionen neutrophiler
Granulocyten, Diabetes mellitus, HIV-Infektion mit CD4<200/ml).
Für die unterstützende Gabe von Antibiotika gelten naturgemäß die gleichen Indikationen wie oben,
zusätzlich wird die Antibiotikatherapie von den Fachgesellschaften empfohlen bei nekrotisierender ulzeröser
Gingivitis oder Parodontitis mit Fieber und/oder ausgeprägter Lymphadenitis und Parodontalabszess mit
Tendenz zur Ausbreitung in die benachbarten Logen, Fieber und/oder Lymphadenitis.
Parodontitis und Bakteriologische Labortests
Die Proben werden nach Trockenlegung des Entnahmeortes und Entfernung der supragingivalen Beläge
mittels Endodontiespitzen aus der tiefsten Tasche jedes Quadranten entnommen, in ein Transportröhrchen
eingebracht und an das Labor geschickt.
Molekularbiologischer Bakteriennachweis (Gentest)
Hier wird das genetische Material der Erreger extrahiert und spezifisch sowie hoch empfindlich mittels
Polymerasekettenreaktion (PCR) analysiert.
Charakteristika der Methode sind:
• Versandbedingungen und -Dauer spielen keine Rolle, da der Test keinen lebenden Keim benötigt.
Die Endodontiespitzen können "trocken" ans Labor geschickt werden.
• Methode ist weniger zeitaufwendig als die Kultur. Der Test kann 24 Stunden nach Eingang des
Materials fertig gestellt werden.
• Der Gentest ist die sensitivste Nachweismethode für PA-Keime.
• Eine quantitative Bewertung ist möglich.
• Der Nachweis von Keimen ist möglich, die mittels Bakterienkultur nicht nachweisbar sind.
• Das Spektrum nachzuweisender Erreger muss vorher festgelegt werden. Eine Resistenztestung ist
nicht möglich.
Bakterienanzucht (Kultureller Nachweis)
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Die klassische Methode des Bakteriennachweises hat einen festen Platz in der mikrobiologischen Diagnostik
der PA, wird aber durch die praktikablere und empfindlichere PCR (s.o.) etwas verdrängt.
Charakteristika sind hier:
• Sämtliche züchtbaren Erreger im Sulcus werden erfasst.
• Die Resistenztestung gegenüber Antibiotika ist möglich.
• Ein quantitatives Ergebnis ist möglich
• Die Sensitivität ist relativ niedrig
• Methode kritisch bezüglich Versandbedingungen: Keime müssen absolut anaerob transportiert
werden, Transportdauer nicht länger als 24 Stunden.
• Die Methode ist sehr zeitaufwendig (ca. 14 Tage)
Parodontitis und Immunsystem
Die lokale Gewebszerstörung und der Alveloarknochenabbau werden einerseits durch die Bakterien direkt
hervorgerufen, aber auch durch die Immunreaktion auf die Infektion. Insbesondere der Knochenabbau ist
eine Folge der Immunreaktion.
Wie kommt dies zustande?
Aufgrund der bakteriellen Belastung im Sulcus gingivalis werden Leukocyten, Monocyten und andere
Immunzellen stimuliert und schütten dabei immunologische Botenstoffe, sog. Mediatorsubstanzen, aus,
insbesondere Interleukin 1, Prostaglandin E2 und Tumornekrosefaktor.
Diese Mediatoren sind hochwirksame Stoffe, die in lokalen Makrophagen und Fibroblasten die Bildung von
bindegewebs-abbauenden Enzymen (Metalloproteinasen) induzieren, die zur Zerstörung des bindegewebigen
Halteapparats beitragen.
Außerdem aktivieren die Prostaglandine und Tumornekrosefaktor Alpha (TNFα) die Osteoklasten,
knochenabbauende Zellen im Knochen, die für den häufig sehr raschen Verlust der Alveolarknochenmasse
hauptsächlich verantwortlich sind. Die Sekretionskapazität dieser Substanzen aus den Monocyten kann in
Blutproben des Patienten gemessen werden und gibt einen aktuellen Anhalt für die Intensität der
parodontalen Immunreaktion. Die Aktivierung von Immunzellen hat also erheblichen Anteil an der lokalen
Gewebszerstörung.
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Es gibt genetische Unterschiede in der Produktion von Interleukin 1b. Etwa 30 % der Bevölkerung bilden bei
gleichem Entzündungsreiz erheblich (bis zu 4 mal) mehr Interleukin 1 als die "Normalpopulation". Bei diesen
Personen (Interleukin-High-Responder) korreliert diese Veranlagung mit einem erhöhten Risiko für
progrediente PA und Zahnverlust.
Aus klinischer Sicht wäre es interessant, wenn der Nachweis solcher genetischer Veranlagungen prognostisch
nutzbar gemacht werden könnte, d.h., zur Steuerung von Therapie und Vorsorge dienen könnte. Ein erster
Schritt in diese Richtung ist die seit kurzem bestehende Möglichkeit, diese genetische Veranlagung zu starker
Interleukin-Produktion labortechnisch zu diagnostizieren.
Die dauernde Aktivierung von Immunzellen und daraus resultierende verstärkte Sekretion von
inflammatorischen Schlüsselsubstanzen wirkt sich im gesamten Organismus aus.
Zahlreiche neue Studien zeigen, dass die chronische Parodontitis erhebliche Auswirkungen auf den
Gesamtorganismus hat. Mittlerweilerecht gut gesichert sind folgende Risiken bei chronischer Parodontitis:
• Erhöhtes Risiko für Thromboembolien.
• Erhöhtes Risiko für Frühgeburten.
Die wichtigsten Effekte der chronischen Entzündung sind die Schädigung der Blutgefäße durch Erhöhung
von Fibrinogen und atherogenen Blutfetten (Triglyceride), die zu einer Schädigung der Endothelzellen
führen. Die Folge sind Verdickungen der Gefäßwand und Auflagerungen die dann zu Gefäßverschlüssen
führen können. Das erhöhte Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall konnte in großen Kohortenstudien
untermauert werden.
Außerdem findet man bei Schwangeren mit Parodontitis eine signifikant erhöhte Frühgeburtlichkeit,
mitverursacht durch die erhöhten Prostaglandin E2-Spiegel im Serum von Parodontitikern.
Prostaglandin E2 ist ein potenter wehenauslösender Mediator, der im Tiermodell bei artifiziellen
Parodontitiden erhöht im Fruchtwasser gefunden wird. Wahrscheinlich ist dies auch beim Menschen der Fall.
Weitere Wirkungen der Parodontitis schließen u.a. eine Schädigung von Gelenken und Muskulatur durch die
mediator-induzierte Tendenz zum Proteinkatabolismus ein.
Inwieweit eine anti-inflammatorische Therapie diese systemischen Wirkungen beeinflussen kann, wird
derzeit noch studiert. Bis dahin ist die Information des Patienten über diese Zusammenhänge und seine
Motivierung zu regelmäßigem Erscheinen bei der professionellen Zahnhygiene sowie guter persönlicher
Mitarbeit essentiell.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. R. Raßhofer
Medizinisch Immunologische Laboratorien
Bayerstraße 53
80335 München
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