www.sparkasse.de 1 | 2014 Das Private-Banking-Magazin Ihrer Sparkasse [ Navajo-Sprache ] Geschichte einer Geheimwaffe [ Japans Tempelpfad ] Protokoll einer Pilgerreise [ Nazanin Aghakhani ] Porträt einer Dirigentin Perfekter Rahmen Wo Hotelgäste zwischen Kunstwerken alter und neuer Meister schlafen Einzigartig: Zimmer des Negresco schmücken historische und moderne Originalgemälde „Wähle dein eigenes Tempo“ Nazanin Aghakhani gehört zu den aufgehenden Sternen am Dirigentenhimmel. Die gebürtige Wienerin mit persischen Wurzeln besticht durch ihre klare Schlagtechnik und die Gabe, Orchester mit Empathie und Charme zum Erfolg zu führen. :: Von Thomas Stoll 10 ventura 1|2014 Zur Person Aussprache des Namens: Nosanin Arachani Beruf: Dirigentin, Pianis­ tin, Komponistin Geboren am: 22. 4. 1980 in Wien Ausbildung zur Dirigentin: 2000 bis 2008 in Wien, Stockholm, Helsinki Lehrer: Thomas Christian David, Jorma Panu­ la, Leif Segerstam Familie: verheiratet, ein Sohn (geb. 2010) Erster Auftritt als Dirigentin: 2002 in Wien mit dem von ihr ge­ gründeten Orches­ ter „Symphonized“ Wichtige Stationen: 2010: Teheraner Sinfonieorchester 2010 bis 2012: Akademisches Sinfonieorchester München ventura 1|2014 Ein blauer Samtvorhang, davor ein Orchester­ graben. Das Publikum applaudiert und wartet auf die Ouvertüre der Oper „Zar und Zimmermann“ von Albert Lortzing, die in wenigen Sekunden beginnt. Im Graben am Dirigentenpult steht ei­ ne kleine, etwa 30-jährige Frau mit schwarzen, wallenden Locken und rot geschminkten Lip­ pen. Den üblichen Frack hat sie durch schwarze Spitze ersetzt, darunter trägt sie eine Korsage. Sie hebt beide Hände auf Brusthöhe, über ihr Gesicht huscht ein Lächeln, sie nimmt kurz Augenkon­ takt zum ersten Geiger auf, dann geht der Takt­ stock in ihrer Rechten das erste Mal nach oben. Das Orchester stimmt die Ouvertüre an. Die Dirigentin schlägt ruhig und präzise, gibt Einsät­ ze, das Orchester folgt. Nach eineinhalb Minuten wechselt sie das Tempo, lächelt wieder, diesmal sogar für ein paar Sekunden. Wenig später ist die Anspannung komplett verflogen, Dirigentin und Orchester werden eins, die Musik fließt förmlich aus ihnen heraus. Zum Ende der Ouvertüre, beim Fortissimo, schiebt sie das Kinn nach vorne, der Taktstock geht in gerader Linie zwischen oberem und unterem Extrempunkt hin und her, bis sie nach sechs Minuten den Schlusspunkt hinter ei­ nen fulminanten Auftakt setzt. Die Operninszenierung mit dem Philharmo­ nischen Chor Fürstenfeld und dem Akademi­ schen Sinfonieorchester München im Juli 2012 in Fürstenfeldbruck steht exemplarisch für die Arbeit von Nazanin Aghakhani, heute 33. Die Di­ rigentin hat sich als Frau von kleiner Statur und persischer Herkunft in einem Männerberuf mit Führungsverantwortung etabliert. Schon das ist bemerkenswert. Zudem versteht sie es auf einzig­ artige und unnachahmliche Weise, mit großer Empathie und Humor, aber auch mit klarer Vor­ stellung, wie ein Werk klingen soll, ein Orchester zu führen. Ihr Lehrer und Mentor Leif Segerstam, ein bekannter finnischer Dirigent und Kompo­ nist, traut ihr eine große Karriere zu: „Sie ist eine sehr talentierte und begabte junge Frau.“ Bis Ende 2012 leitete sie das Akademische Sinfonieorchester München, seither ist sie als Dirigentin und Pianistin und neuerdings auch als Referentin europaweit unterwegs. VENTURA traf sie nach einem Vortrag, den sie vor jungen Managern der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers gehalten hatte, und sprach mit ihr über das Dirigieren, über Füh­ rung und über ihr Leben. Wie spannend alles drei sein kann, zeigt folgendes Beispiel: Als ers­ te Frau überhaupt leitete Nazanin Aghakhani 2010 das Teheraner Sinfonieorchester, und das als Hochschwangere und mit einem Augenzwin­ kern, denn auf dem Programm stand unter ande­ rem der „Donauwalzer“ von Johann Strauss, die heimliche Hymne Österreichs – für persische Bühnen nicht gerade Standardrepertoire. Nazanin Aghakhani, aufgewachsen in Wien (siehe „Zur Person“), gehört ohne Zweifel zu den aufgehenden Sternen am Dirigentenhim­ mel. Über einen Auftritt beim Festival „Musica Nova“ in Helsinki, wo sie die Uraufführung von „Fatal Lesson“ von Ville Raasakka dirigierte, schrieb die auflagenstärkste und wichtigste fin­ nische Zeitung „Helsingin Sanomat“ schon 2008: „Nachdem Nazanin Aghakhani zusammen mit ihren Musikern den Saal verlassen hatte, war der Raum immer noch von ihrer enormen mentalen Kraft und musikalischen Elektrizität erfüllt. Ihre präzise Schlagtechnik, kombiniert mit gekonnter Linienführung, lässt keinen Zuhörer unberührt.“ Dabei nimmt sie sich eigentlich bewusst hin­ ter das Werk und den Komponisten zurück: „Ich sehe mich in der Hauptsache als Mittlerin. Das heißt, ich habe zuerst dem Komponisten zu die­ nen. Meine Aufgabe ist es, das zu vermitteln, was der Tonsetzer damals hingeschrieben hat.“ Das sei eher ein Handwerk. Für den Dirigenten lau­ te die Anweisung daher: „So, wie’s geschrieben steht, und nicht anders.“ Diese Einstellung hat Aghakhani von ihrem Mentor Segerstam über­ nommen. Der kenne das Leid sehr genau, wenn der Komponist etwas in die Partitur geschrieben habe und der Dirigent zu improvisieren beginne. Was der Mann oder die Frau am Pult ausma­ chen, könne man sehr schön im Dirigierunter­ richt erleben: Dieselbe Besetzung, dieselben Musiker, dasselbe Stück, nur die musikalische Leitung wechselt – und mit einem Mal ist das Klangerlebnis ein völlig anderes. „Der Dirigent ist der Filter.“ Aber woran er sich auf jeden Fall halten müsse, sei der Fahrplan. „Ich kann nicht aus einem Forte ein Fortissimo machen oder aus einem Crescendo ein Diminuendo.“ Die Vorbereitung auf ein Konzert besteht bei Nazanin Aghakhani aus zwei Teilen. Zum Ersten der musikalische: Um welche Kompositio­ 11 Oben: Neben dem Dirigieren ist das Klavier die zweite große musikalische Leidenschaft von Nazanin Aghakhani. Unten: Als erste Frau dirigierte sie 2010 das Teheraner Sinfonieorchester. nen geht es, welches Notenmaterial liegt vor, wie groß ist die Besetzung? Der Leitsatz dabei: „Nicht der Kopf gehört in die Partitur, die Par­ titur gehört in den Kopf.“ Im zweiten Teil steht das Menschliche im Fokus: In welches Umfeld begibt sich der Dirigent? Mit welcher Mentali­ tät wird er konfrontiert? Ist er in einem Land, in dem Humor an erster Stelle steht oder wo gewünscht wird, dass man trocken und kühl beim Sie bleibt? „Der Großteil der Dirigier­ arbeit besteht ja auch darin, Menschen anzu­ sprechen und zu motivieren, das Beste zu ge­ ben, und zwar in kürzester Zeit.“ Genau dies ist anscheinend eine der großen Stärken Aghakhanis. Peter Fohrwikl, Fagottist und Vorstand des Akademischen Sinfonie­ orchesters München, lobt: „Mit ihr erlebt man Musik viel intensiver als mit anderen Dirigen­ ten. Sie ist leidenschaftlich, verliebt in das, was sie tut, und verfolgt ihre Ideen konsequent.“ Die Frage nach Vorbildern beantwortet Aghakhani mit der klugen Formel, dass sie keine habe, sich aber Inspirationen von ande­ ren Dirigenten geholt habe. An dem Rumänen Sergiu Celibidache (1912–1996) etwa fasziniere sie seine Menschlichkeit, die er in jede Probe hi­ neingebracht habe. Er habe vor dem Orchester nicht nur über Noten und Phrasierung gespro­ chen, sondern auch über das Leben, das Sein, das Nichtsein, und so die Menschen inspiriert und zu einer Art Musik bewegt, die ganz anders klang als noch fünf Minuten zuvor. Vor allem ha­ be er sich von Kritikern nicht unterkriegen las­ sen und sich dadurch einen Namen gemacht, dass er Stücke oft sehr langsam spielen ließ. „Ich verwende aber die Begriffe ,schnell‘ und ,lang­ sam‘ nicht so gerne. Mein Leitspruch ist: ,Choose your own tempo – wähle dein eigenes Tempo.‘“ Celibidache habe die Musik langsam erblühen lassen, und das sei einfach wunderbar. An Carlos Kleiber (1930–2004), den viele für den größten Dirigenten des 20. Jahrhunderts halten, schätzt Aghakhani seine Frische und dass er sich mit einem klaren Klangbild im Kopf, aber stets zweifelnd das Äußerste abverlangt ha­ be – auch wegen des übermächtigen Vaters, der ebenfalls ein berühmter Dirigent war. „Selbstkri­ tik und Selbstreflexion sind wichtig, Selbstzwei­ fel allerdings schaden am Ende nur.“ 12 Auch wenn das Dirigentenpult „der beste Hörplatz der Welt“ ist, pflegt Nazanin Agha­ khani noch eine zweite musikalische Leiden­ schaft „In erster Linie bin ich Dirigentin. Kurz danach bin ich Pianistin.“ Dabei hat sie ihren eigenen Improvisationsstil entwickelt, der in gewisser Weise ihre orientalische Herkunft spiegelt. Für Aghakhani sind Viertel- und Ach­ teltonschritte etwas ganz Natürliches, was ihr in der zeitgenössischen Musik zugutekommt. „Ich brauche das Improvisieren am Klavier als Balance zum Dirigieren, zum strikten No­ tenbild. Ich kann es nie wieder nachspielen.“ Aghakhani hat vier CDs aufgenommen, alle ohne Schnitt, die unter anderem auf Apples Musikdienst iTunes verfügbar sind. Auch wenn Aghakhani als Pianistin begon­ nen hat, so wusste sie als Kind schon, dass sie eigentlich Dirigentin werden wollte. Im Studi­ um entschied sie sich dann: „An diesem Tag ha­ be ich mein Klavier um Verzeihung gebeten.“ Sätze wie dieser zeigen, dass Nazanin Agha­ khani so gar nicht dem Klischee der ernsten, unnahbaren Orchesterchefin genügen will. Sie hat einen ganz eigenen, spontanen Humor. In der Probe zum Beispiel zückt sie schon mal ihr Handy und ruft den Komponisten Segerstam an, wenn unklar ist, ob die Anweisung „Repeat three times“ drei- oder viermaliges Spielen be­ deutet. Später soll sie es zur Freude des Orches­ ters auch bei Brahms angeboten haben. Nach Einschätzung von Florentin Messner, stellvertretender Vorstand des Akademischen Sinfonieorchesters München, erfüllt sie alle mu­ sikalischen Voraussetzungen, ähnliche Erfolge zu feiern wie ihre Kollegin Simone Young, die als Generalmusikdirektorin in Hamburg arbeitet, diesen Posten aber 2015 aufgeben will. Die Dirigentenszene befindet sich ohnehin im Umbruch, es steht ein Generationenwechsel bevor. Der Vertrag von Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern beispielsweise läuft 2018 aus – er will sich aus Altersgründen zurück­ ziehen. Noch hat niemand Nazanin Aghakhani für diese Aufgaben auf der Liste, aber das könnte sich ändern. Im Frühjahr und Sommer nimmt sie eine Auszeit für ihr zweites Kind, aber schon im September steht wieder ein Auftritt in Helsinki an: Ravels Konzert für die linke Hand und Beet­ hovens Tripelkonzert in C-Dur. ventura 1|2014 Fotos: Johann Wimmer, Bernhard Moestl, possible4, Nazanin Aghakhani, Schwartz „Fuchteln“ – so nennt Aghakhani auf Wienerisch das Schwingen des Taktstocks.