Einführung I, „Burn-Out“ und Depression. Wenn der Seele

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„Burnout“ und Depression. Wenn der Seele die Luft ausgeht.
Prof. Dr. Dr. René Hurlemann
Abteilung für Medizinische Psychologie
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Bonn
Zusammenfassung des Vortrags
Wenngleich augenblicklich keine einheitliche Definition des Begriffes Burnout existiert und Burnout
weder in der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) noch im Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen (DSM IV bzw. DSM V) eine eigenständige Diagnose darstellt, so wird Burnout häufig in der klinischen Praxis diagnostiziert. Nach Schätzungen der Betriebskrankenkassen sind ca. 9 Millionen Deutsche von Burnout betroffen. Für den Betroffenen geht das
Syndrom mit erheblichem subjektivem Leiden, gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen und
einer verminderten Arbeitsleistung einher. Ein wesentlicher ätiopathologischer Faktor für die Entstehung des Burnout ist beruflicher Stress. Die Schätzungen der durch beruflichen Stress entstehenden
Kosten aufgrund von Arbeitsunfähigkeitstagen sind immens. Zeitgleich mit der wachsenden diagnostischen Verwendung des Begriffes Burnout lassen sich in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme
der Verschreibung von Psychopharmaka und ein Anstieg der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von
psychischen Erkrankungen verzeichnen. Vor dem Hintergrund dieser Indizien, die auf eine steigende
Prävalenz arbeitsinduzierter psychischer Störungen von Burnout bis Depression hindeuten und den
damit verbundenen individuellen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen wurden in
diesem Vortrag die Diagnostik und die Differentialdiagnostik des Burnout Syndroms erläutert sowie
Maßnahmen bezüglich Prävention und Therapie ausführlich diskutiert.
Inhalte des Vortrags
Aus klinischer Perspektive wird Burnout gegenwärtig als ein arbeitsbezogenes Syndrom verstanden,
das im ICD-10 mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0 (Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der
Lebensbewältigung) erfasst wird. Nach dieser Einstufung ist der Burnout eine Rahmen- oder Zusatzdiagnose und keine Behandlungsdiagnose. Hingegen ist die Feststellung einer arbeitsinduzierten Depression eine Behandlungsdiagnose, die im F-Kapitel des ICD-10 kodiert wird.
Was sind die Kernsymptome des Burnout-Syndroms? Das Burnout-Syndrom bildet sich in den Dimensionen emotionale Erschöpfung, Depersonalisation oder Zynismus sowie verminderte berufliche
Leistungsfähigkeit ab. Es ist jedoch kritisch festzustellen, dass es sich dabei um keine einheitlich gültige Definition handelt. Auch im Hinblick auf den Verlauf des Burnout-Syndroms gibt es noch keine
einheitliche Festlegung. Zurück geht der Begriff Burnout übrigens auf den deutsch-amerikanischen
klinischen Psychologen und Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger, der 1974 den ersten wissen-
schaftlichen Artikel zum Thema Burnout verfasst hat und eine Beschreibung der verschiedenen Verlaufsstadien des Burnout-Syndroms vorgelegt hat. In der gegenwärtigen Literatur werden sieben Phasen des Burnout Prozesses diskutiert, darunter vermehrter Energieeinsatz und vermehrte Erschöpfung in der sog. Anfangsphase, reduziertes Engagement in Phase 2, emotionale Reaktionen und
Schuldzuweisungen in Phase 3, Abbau in Phase 4 und emotionale Verflachung in Phase 5. In Phase
6 kommen körperliche Symptome hinzu, insbesondere Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Beschwerden, Rückenschmerzen sowie ein geschwächtes Immunsystem. Schließlich spitzt sich die
Symptomatik in Phase 7 zu, wobei schwerwiegende depressive Symptome wie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit bis hin zu Suizidgedanken das klinische Bild dominieren.
Bezüglich der Ursachen von Burnout werden verschiedene Faktoren diskutiert. Abb. 1 zeigt die Wege
zur arbeitsinduzierten Depression, darunter zum einen die Arbeitsplatzbedingungen, die vor allem
aufgrund von Dauerstress zu einer chronischen Überlastung führen, zum anderen sind aber auch
Persönlichkeitsvariablen relevant, die mit einer erhöhten Bereitschaft zur Selbstausbeutung verbunden
sind. Beides – also chronische Überlastung einerseits und Selbstausbeutung andererseits - ergänzen
sich in ungünstiger Weise und münden gemeinsam in einen Erschöpfungszustand (Burnout) und
schließlich in die arbeitsinduzierte Depression, die ja nicht nur eine affektive Störung ist, sondern eben
häufig auch mit körperlichen Beschwerden (sog. Somatisierungsymptomen) und kognitiver Beeinträchtigung vergesellschaftet ist. Anders formuliert gehen also gegenwärtige ätiopathogenetische
Konzepte von einem ungünstigen Zusammenwirken innerer und äußerer Faktoren aus, die gemeinsam eine erhöhte Vulnerabilität für Burnout bedingen. Als Beispiel für innere Faktoren wurden die sog.
fünf klassischen Antreiber vorgestellt, darunter die Maximen „sei perfekt“, „streng dich an“, „beeile
dich“, „sei stark“ oder „mache es den anderen recht“. Diese inneren Faktoren sind problematisch, da
sie aufgrund ihrer potenziellen Unerfüllbarkeit zu massivem Stress führen und zu einem ungünstigen
Attributionsstil beitragen, der darin besteht, dass die Betroffenen in sich selbst das Problem sehen und
nicht mehr in den äußeren Umständen, das Problem als allgegenwärtig betrachten und nicht auf bestimmte Situationen begrenzt sowie das Problem als unveränderlich und nicht als vorübergehend
ansehen. Dieser Attributionsstil kennzeichnet Menschen im Zustand der erlernten Hilflosigkeit, ein
Konzept, das auf den amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligmann zurückgeht. Daneben
existieren zahlreiche äußere stressinduzierende Faktoren. Abhängig Beschäftigte berichten, dass vor
allem die gleichzeitige Betreuung verschiedener Arbeiten, starker Termin- und Leistungsdruck oder
auch die Monotonie ständig wiederkehrender Arbeitsvorgänge besonders eklatante stressinduzierende Faktoren im Arbeitsalltag darstellen. Darüber hinaus spielt auch interpersoneller Stress etwa aufgrund von Führungs- und Kooperationsproblemen sowie eine – oft hierarchiebedingt – mangelnde
Entscheidungsfreiheit bei geringen Partizipationsmöglichkeiten eine wichtige Rolle.
Die Folgen von Stress sind Stressreaktionen, die im Organismus auf verschiedenen Ebenen ablaufen, u.a. auf körperlicher Ebene und Verhaltensebene aber auch auf emotionaler und kognitiver Ebene. Während Flucht- oder Kampfbereitschaft aufgrund von Stress archaische Verhaltensreaktionen
darstellen, die noch vor Jahrhunderten das Überleben in einer feindlichen Umwelt gesichert haben,
sind diese in der heutigen Arbeitswelt unangemessen, so dass Stress häufig nicht natürlich abreagiert
werden kann. Hinzu kommen oftmals noch stressverschärfende Denkmuster, darunter das Ausmalen
negativer Konsequenzen, das Hadern mit der Realität, negatives Verallgemeinern sowie eine erhöhte
Kränkbarkeit. Auf Dauerstress reagiert der Organismus mit einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen, die nicht nur in der Peripherie des Organismus wirken, also z.B. im Herzkreislaufsystem,
sondern auch im Gehirn, wo sie zu vermehrter Ängstlichkeit sowie zu einem Verlust von Appetit,
Schlaf und sexuellem Interesse führen. Die Dauereinwirkung von Stresshormonen beeinträchtigt die
Funktion des Gehirns, besonders betroffen sind der Hippokampus, der für die deklarative Gedächtnisbildung wichtig ist, sowie der präfrontale Kortex, der eine wichtige Rolle bei der Affektregulation und
Prozessen der Entscheidungsfindung spielt. Dauerstress kann die Entstehung zahlreicher Symptome
fördern, das Spektrum reicht hierbei vom Hörsturz bis hin zu Schmerzen und Kraftlosigkeit.
Welche Berufsgruppen sind besonders von Burnout betroffen? Die klassischen Burnout-Risikogruppen sind vor allem Lehrer im Schuldienst und des weiteren Ärzte und Pflegekräfte, oder – ganz allgemein gesprochen – alle Personen mit anhaltender Mehrfachbelastung, hohem Verpflichtungsgefühl
und geringer Gratifikation. Gibt es Geschlechtsunterschiede? Vom Burnout-Syndrom betroffen sind
überwiegend Frauen, vermutlich am ehesten aufgrund oft anhaltender Mehrfachbelastungen in den
Bereichen Beruf, Familie (Stichwort: Versorgungspflichten im Mehrgenerationenhaushalt) und Partnerschaft. Auch Männer erkranken zahlreich an stressiduzierten Erkrankungen, allerdings betreffen diese
häufiger das Herzkreislaufsystem, mit z.T. gravierender Lebensverkürzung.
Welche Präventionsmassnahmen lassen sich treffen, um ein Burnout-Syndrom verhindern? Bezüglich der Prävention ist zunächst jeder Einzelne gefordert. Insbesondere ist eine Definition der eigenen
beruflichen Rolle und Zielvorstellungen wichtig. Darüber hinaus kann durch eine Verminderung von
Stress, durch eine entspanntere Alltagsgestaltung sowie durch eine Veränderung negativer und
stressverschärfender Denkmuster sinnvoll vorgebeugt werden. Wichtig ist, dass der/die Betroffene
sich im klaren wird, dass er oder sie Fehler machen darf, es sich leicht machen darf, sich Zeit lassen
darf, zeigen darf, wie ihm oder ihr zumute ist und die eigenen Bedürfnisse äußert („ich bin der wichtigste Mensch in meinem Leben“). Weitere Burnout-präventive Maßnahmen sind Entspannungstechniken, Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training, Meditations- und Atemübungen, Yoga und
Tai Chi. Wichtig ist aber auch der Mut, sich Hilfe zu suchen, insbesondere bei Psychotherapeuten,
Ärzten und Beratungsstellen, wenn die eigenen Massnahmen nicht greifen. Im Rahmen von begleitenden Psychotherapien können individuell auf den Einzelnen abgestimmte, also personalisierte Präventionskonzepte umgesetzt werden. Auch von Arbeitgeberseite lassen sich Präventionsmaßnahmen
installieren. So können beispielsweise Arbeitsabläufe so strukturiert werden, dass sie in angemessener Zeit leistbar sind, es kann eine betriebsärztliche Betreuung sichergestellt werden sowie – und das
erscheint als ganz besonders relevanter Faktor – es kann die soziale Kommunikation und Teamarbeit
gefördert werden. Des Weiteren ist die Einführung von Instrumenten zur Gratifikation und Anerkennung sinnvoll. Bezüglich der Dauererreichbarkeit (Stichwort: Smartphones) gilt es das richtige Maß zu
finden. Außerdem wichtig ist eine Beobachtung möglicher Frühwarnsymptome, darunter sozialer
Rückzug bei früher gut integrierten Mitarbeitern, veränderte emotionale Reaktionsmuster wie erhöhte
Reizbarkeit, häufiger werdende Tränenausbrüche oder scheinbare Teilnahmslosigkeit, des Weiteren
nachlassendes Engagement bis hin zu allgemeinen Negativismus und Sarkasmus sowie sinkender
Effektivität z.B. in Form unnötiger Überstunden. Sollten solche Symptome bei Mitarbeitern festgestellt
werden, ist insbesondere eine ärztliche Abklärung anzuraten.
Letztlich kann nur ein erfahrener Arzt die Diagnose Burnout-Syndrom stellen. Kompliziert wird die
Diagnosestellung durch eine umfangreiche Differentialdiagnostik, da viele Erkrankungen Symptome
des Burnout imitieren können. Des Weiteren ist der Arzt bemüht stressbedingte Folgekrankheiten
festzustellen, darunter z.B. Depression und Angsterkrankungen, Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit, Tinnitus oder Bluthochdruck (Abb. 2). Der Übergang von Burnout in die Depression ist fließend. In der Regel wird beim klassischen Burnout-Syndrom die „Schuld“ externalisiert, d.h. das Problem wird nicht der eigenen Person zugeschrieben, sondern z.B. Vorgesetzten oder der Institution. Im
Verlauf jedoch kippt diese Externalisierung in Selbstbeschuldigung und Selbstvorwürfe, z.B. in der
Form „so jemand wie ich, ist eine Anerkennung gar nicht wert“, was ein typisches negatives Denkmuster im Sinne einer depressiven Selbstentwertung darstellt. Für die Behandlung der arbeitsinduzierten
Depression stehen wirksame Therapien zur Verfügung, insbesondere verschiedene Formen von Psychotherapie sowie vielfältige medikamentöse Optionen, so dass der Mehrzahl der Patienten gut geholfen werden kann.
Zum Abschluss des Vortrages wurden verschiedene Forschungsfragen diskutiert, darunter medizinische, ökonomische und ethische Forschungsfragen.
Abb. 1. Illustriert sind die Wege zur arbeitsinduzierten Depression.
Abb. 2. Illustriert ist der diagnostische Algorithmus bei Verdacht auf Burnout-Syndrom.
Quelle:
Korczak D, Kister C, Huber B. Differentialdiagnostik des Burnout-Syndroms. Köln: DIMDI; 2010.
(Schriftenreihe Health Technology Assessment; Bd. 105). DOI: 10.3205/hta000087L
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