Operapoint Zeitschrift für Oper und Konzert - unabhängig - publikumsnah Jahrgang 8, Heft 2, 2008 Einzelpreis Euro 4,80 Festivaldaten in Deutschland und Europa 2008 Premierenkritiken zahlreicher Opernhäuser von Februar bis April 2008 Inhalt Tosca von Giacomo Puccini im Teatro dell’ Opera in Rom Olaf Zenner.................................................................................................................................................. S. 4 Universität der Stadt New York: Music, Body and Stage-Konferenz Martin Knust .................................................................................................................................................S. 6 Thema Warum machen Menschen Musik? Olaf Zenner...................................................................................................................................................S. 8 Interview mit dem portugiesischen Kulturstaatssekretär ........................ S. 11 Informationen aus aller Welt ..................................................................................................S. 13 Zwei Meldungen von Johann Sebastian Bach Olaf Zenner.................................................................................................................................................S. 15 Opernaufführungen im Ausland London, Lüttich, New York und Zürich++.........................................................................................S. 16 Opernaufführungen in Deutschland Aachen, Bayreuth, Berlin, Bonn, Bremen, Chemnitz, Dessau, Dortmund, Dresden, Duisburg, Erfurt, Essen, Gelsenkirchen, Greifswald, Koblenz, Köln, Krefeld, Stuttgart, München .....................................................................................................................S. 23 Neue CDs ..........................................................................................................................................S. 48 Impressum ...................................................................................................................................................S. 52 Titelbild: Floria Tosca (Mirtò Papatanasiu) vor dem getöteten Scarpia (Silvio Zanon) 2 E Editorial ndlich einmal eine überzeugende Inszenierung einer veristischen Oper! Zum einhundertfünfzigsten Gegburtstag von Giacomo Puccini hat Franco Zeffirelli in der römischen Oper Tosca inszeniert, was wir zum Anlaß nehmen, das vorliegende zweite Heft des Jahrgangs 2008 von Operapoint mit einer Rezension dieser denkwürdigen Aufführung zu eröffnen. Ein eindrucksvolles Szenenbild aus dem zweiten Akt der Oper ziert unser Heft. Eine ganz neue Perspektive in der Opernforschung bringt der Bericht über die Ikonographie der Oper. Dabei wird das aus der 400jährigen Geschichte der Oper überlieferte Bildmaterial musikwissenschaftlich gesichtet. Hier ist eine Verbindung zwischen Kunst- und Musikwissenschaft in die Tat umgesetzt. Häufig wird über die Verbindung zwischen verschiedenen Kunstrichtungen referiert, doch selten kommt es zu einem tatsächlichen Austausch wie hier geschehen. Ohnehin ist die Oper eine Verbindung verschiedenster Künste. Wenn man das Singen in den Opern als Allerwichtigstes herausstellt, ist das eigentlich eine – mit Verlaub – schmalspurige Auslegung des Kunstwerks Oper oder Musiktheater. Damit Operapoint sich besser lesen läßt, haben wir ab jetzt eine neue Schrift gewählt und hoffen, daß auch Sie als unsere Leser es gut finden. Im Thema des Hefts: Warum machen Menschen Musik? werden Überlegungen angestellt, über die man sich normalerweise kaum Gedanken macht. Aber die allenthalben monierte Umweltverschmutzung hat noch eine Begleiterin: die die Menschen belastende Musikberieselung in Kaufhäusern, Hotelhallen, Aufzügen, Restaurants etc. Dabei kann der Mensch ja weder weghören noch seine Ohren verschließen, wie er das mit den Augen tut, die man nach Belieben schließen und wegdrehen kann. Aber noch etwas anderes ist anzumerken: die auf Tonträgern überall und zu jeder Zeit verfügbare Musik mit hervorragenden Interpreten läßt das eigene Musizieren mit Instrument oder Stimme stark in den Hintergrund treten. Daher ist es nach meinem Dafürhalten gut, über die Möglichkeit einer Harmonisierung der zwei Naturen im Menschen, der Gefühle (Triebe) und des Verstandes, mit Hilfe der Musik nachzudenken. Weiterhin finden Sie im Heft wieder zahlreiche Rezensionen aus dem Ausland und Deutschland. Wir werden diese kurzgefaßten Rezensionen noch vermehren, um Ihnen damit eine Möglichkeit an die Hand zu geben, sich vor Ihrem Opernbesuch in knapper Form zu orientieren. Einige CD-Besprechungen beschließen das Heft. Im kommenden Heft 3 werden Sie sehr viele weitere CD- und DVDInformationen finden. Gerade Opern-DVDs kommen ja in letzter Zeit in sehr großer Zahl auf den Markt. In der Hoffnung, daß Sie bei der Lektüre des Hefts Vergnügen haben und einiges Neues entdecken, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen 3 Tosca von Giacomo Puccini im Teatro dell’ Opera in Rom Dem vor einhundertfünfzig Jahren (1858) geborenen Giacomo Puccini erwies die römische Oper ihre Reverenz und spielte Tosca im Januar und April 2008 in jeweils zwei Serien von acht und fünf Aufführungen. Die Oper erlebte ihre Uraufführung am 14. Januar 1900 im Teatro Costanzi, heute Teatro dell’Opera. Den jetzt 85jährige Franco Zeffirelli kann man wohl zu den bekanntesten Opernregisseuren rechnen. Operapoint besuchte die letzte Aufführung am 27. April 2008, Zeffirelli war anwesend. La Tosca ist sicher die bekannteste aller Puccini-Opern, was wahrscheinlich auch auf den gleichnamigen Film von Brian Large 1992 mit Catharine Malfitano, Plácido Domingo und Ruggiero Raimondi zurückgeführt werden kann. Als Vorlage seiner Oper nahm Puccini ein seinerzeit berühmtes Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou (1831-1908). Dieser französische Theaterdichter war bekannt für seine mit Überraschungscoups gewürzten Schauspiele. Puccini unterwarf seine Oper dem Stil des Verismo (vero-wahr), einem gegen Ende des 19. Jh.s in Mode stehenden Theaterstil. Beispiele dafür waren Cavalleria rusticana (Mascagni) und I Pagliacci-Der Bajazzo (Leoncavallo). Die Handlung sollte ungeschminkt dargestellt werden: den triebhaften Mensch in all seiner Grausamkeit, seinen Schwächen und Fehlern, kurz in seiner Unkontrolliertheit stellte man auf die Bühne. Es war der 14. Juni 1800, als die Österreicher unter General Melas dem französischen Heer unter Napoleon Buonaparte bei Marengo (bei Alessandria, Norditalien) gegenüberstanden. Am Vormittag siegten zunächst die Österreicher, doch konnte Napoleon am Nachmittag das Kriegsglück zu seinen Gunsten wenden. Nach seinen Welterfolgen mit Manon Lescaut und La Bohème brauchte Puccini fast zehn Jahre zur Komposition dieser Oper. Das war eine lange Zeit, doch das Resultat war grandios, allerdings nicht am Uraufführungstag in der römischen Oper. Die ebenso schöne wie berühmte Sängerin Floria Tosca liebt den Maler Mario Cavaradossi, doch Baron Scarpia, Polizeichef von Rom, will Tosca besitzen. Der Zufall und Toscas grundlose Eifersucht gegenüber ihrem Mario kommen Scarpia zu Hilfe. Da Cavaradossi Cesare Angelotti Unterschlupf gewährt (dieser war Anhänger Napoleons und aus der Engelsburg entflohen), wird er verhaftet und gefoltert, um Angelottis Fluchtort zu verraten. Diese Folterung muß Tosca miterleben. Unter dem Druck verrät sie Angelottis Versteck. Der Preis ihres Verrats: sie kann mit Cavaradossi Rom verlassen, muß sich aber dafür Scarpia hingeben. Doch sie ersticht Scarpia und eilt zur Engelsburg, wo man Cavaradossi gefangenhält. Dieser mußte sich, um den äußeren Schein zu wahren, einer Scheinerschießung unterwerfen. Aber Cavaradossi stirbt im Kugelhagel. In Scarpias Palazzo Farnese entdeckt man den toten Scarpia. Die Gefolgsleute Scarpias eilen zur Engelsburg, aber Tosca springt von deren Plattform hinab in den Tod. Vor dem einschneidenden historischen Ereignis dieser Schlacht (Italien wurde danach vierzehn Jahre von Frankreich beherrscht) spielt sich das für alle drei Personen tödliche Drama ab. Kurzinhalt Wie immer lagen dem Mißerfolg verschiedene Ursachen zugrunde: Die wirtschaftliche Lage war in Italien nicht rosig, und man hatte mehrmals Attentate auf König Umberto I. verübt. Am 14. Januar 1900 hörte man in Rom von einer Bombendrohung in der Oper. Da konnte keine rechte Stimmung aufkommen, das Publikum nicht sonderlich begeistert werden! Tags darauf fanden sich in der Presse unterschiedliche Ansichten. Aber es dauerte nicht lange und die Oper wurde ein überwältigender Erfolg. Die sechzehn nachfolgenden Aufführungen in Rom waren sämtlich ausverkauft. Was macht diese Oper so anziehend? Die Ingredienzien für Sardous Tosca waren Sex, Sadismus, Religion und Kunst; sie wurden von der Hand eines Meisterkochs gemischt und mit dem ganzen Gericht auf dem Tablett eines wichtigen historischen Ereignisses serviert, so Mosco Carner in seiner lesenswerten Biographie Puccini. Die Aufführung Wie gelang Zeffirelli die Umsetzung dieser schon zigmal auf die Bühne gebrachten Oper? Hören wir seine Ansicht, die er in einem längeren Interview gegenüber Michele Mirabella geäußert hat. Es steht im Opernprogrammheft, das in vorbildlicher Weise den gesamten Operntext mit eingestreuten ansprechenden Kommentaren zur Musik aufweist. Hier - nicht ganz Die Spannung des Stücks ergibt sich daraus, daß Puccini die alte Regel (nach Aristoteles) angewendet und das Schicksal dreier Personen an einem einzigen Tag und am gleichen Ort Rom (die Kirche San Andrea della Valle, der Palazzo Farnese und die Engelsburg) schildert. 4 nis ist zunächst unterhalb der Plattform der Engelsburg. Nach dem ungemein gut vorgetragenen Klagegesang Cavaradossis: E lucevan le stelle – und die Sterne glänzten, der nach frenetischem Applaus wiederholt wird (eine Encore-Wiederholung habe ich seit über zehn Jahren nicht mehr erlebt!) und nach Cavaradossis und Toscas Hymne trionfal di nova speme – in Triumph und neuer Hoffnung fährt die Hebebühne die beiden hoch auf die Plattform: sie werden sich im Himmel wiedersehen, kann man sich vorstellen. Bleibt noch zu erwähnen, daß Franco Zeffirelli bei geöffnetem Vorhang, also vor dem Bühnenbild und vor allen Sängern, gemeinsam mit Gianluigi Gelmetti (der großartig das Riesenorchester leitet) erscheint, um sich bei Sängern, dem Chor, seinen Mitstreitern und dem Publikum wortgetreu – einige Äußerungen Zeffirellis: Wir sind im Verismo, alles wird also beschrieben: die Seelenzustände der Personen, ihre Akzente beim Singen, ihre Gebärden. All das findet sich im Operntext und in der Musik. …. Ich sage es in aller Offenheit: es gibt eine Menge Narren, die sich die Willkür erlauben, zu ändern oder zu vereinfachen, was Puccini vorgegeben hat. Die Regisseure sollten gut die Geschichte erzählen, und zwar weniger das, was sie in der Tradition finden, als was Puccini geschrieben hat. Die Oper unserer Zeit anzupassen kann funktionieren, es ergibt aber ein mageres Resultat. Genau danach hat Zeffirelli gehandelt. Beim Öffnen des Vorhangs blickt man auf den Altar der Kirche San Andrea della Valle, Angelotti kann hinter dem Gitter der Attavanti-Kapelle links verschwinden, das Malergerüst mit dem fast vollendeten Madonnenbild steht gegenüber. Schlußbild (Tableau) des 1. Akts mit Volk, Ministranten, Würdenträgern (in Altarnähe) und dem Kardinal mit Monstranz für das jedesmal ausverkaufte Opernhaus zu bedanken, eine ungemein sympathische Geste, wie mir scheint. Das Tableau (Bild, s. Abb.) zum Schluß des ersten Akts zeigt den hohen Kirchenraum übervoll mit Volk, vielen Geistlichen und Ministranten in Anwesenheit des Kardinals. Beim Aufrauschen von Orgel und Chor beim Gesang des Te Deum befindet man sich wirklich in einer Kirche. Man riecht den reichlich gespendeten Weihrauch. Ein recht verstandener Verismo, meine ich! In gleicher Weise auch die beiden folgenden Akte: Scarpias Residenz als bibliothekähnlicher Arbeitsraum in dunklem Holz getäfelt, zuletzt die Plattform der Engelsburg. Hervorragend alle Sänger, auch die Nebenrollen: Myrtò Papatanasiu als Tosca, Giuseppe Gipali (Cavaradossi), Silvio Zanon (Scarpia) und Francesco Facini (Angelotti) singen ausgezeichnet. Die Darstellung, bei Zeffirelli genau nach der Musik ausgerichtet, bringen alle Protagonisten zwingend nachvollziehbar – besonders in der Begegnung Tosca/Scarpia – zum Ausdruck. Besonders gelingt Zeffirelli die letzte Szene: Cavaradossis Gefäng- Ich bin überzeugt: eine veristische Oper sollte man auch veristisch auf die Bühne bringen. Sollte jemand meinen, ich hätte einem musealen Kostümfest beigewohnt, so sei daran erinnert, daß Fernsehübertragungen vom Balkon des Petersdoms (mit allen Kardinälen im Ornat) mehr als eine Milliarde Zuschauer verfolgen, die die ehrwürdige Zeremonie kaum als museal empfinden. O. Zenner Bild: Corrado Maria Falsini Giacomo Puccini: Tosca, Libretto: L. Illica und G. Giocosa. nach dem Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou Regie/Bühnenbild: Franco Zeffirelli, Kostüme: Anna Biagiotti, Licht: Alessandro Santini Dirigent: Gianluigi Gelmetti, Orchester und Chor des Teatro dell’Opera; Solisten: Myrtò Papatanasiu (Floria Tosca), Giuseppe Gipali (Mario Cavaradossi), Silvio Zanon (Baron Scarpia), Francesco Facini (Cesare Angelotti), Matteo Ferrara (Mesner), Claudio Barbieri (Spoletta), Antonio Taschini (Sciarrone), Massimo Mondelli (Gefängniswärter) Besuchte Vorstellung: 27. April 2008 (Premiere: 14. 01.2008) 5 Universität der Stadt New York Music, Body and Stage - Musik, Körper und Bühne Die Ikonographie von Musiktheater und Oper vom 11.-14. März 2008 10. Konferenz des Research Center for Music Iconography (RCMI) und 12. Konferenz des Répertoire International d’Iconographie Musicale (RIdIM) ten, von denen im folgenden nur eine kleine Auswahl vorgestellt werden kann. Die Ikonographie ist ursprünglich eine kunstwissenschaftliche Disziplin gewesen. Sie beschäftigt sich üblicherweise mit dem Sichten und Interpretieren von Bildquellen, die – nicht selten aufgrund ihres hohen Alters – viele Informationen enthalten, die sich nur durch die genaue Kenntnis der historischen Hintergründe und durch Vergleiche unter den Quellen erkennen lassen. Hervorragende Beispiele sind etwa die religiösen Gemälde des Mittelalters, bei denen die Farben und verwendeten Symbole mitunter einen ganz anderen, verborgenen Sinn haben als uns auf den ersten Blick deutlich ist. Pierluigi Petrobelli (Rom) gab anhand der verschiedenen Traditionen von Inszenierungen der Opern Giuseppe Verdis einen Überblick über die Vielzahl von Fragen, die auftauchen, wenn man schlicht versucht, die Dekorationen der Verdi-Zeit zu rekonstruieren, und wie schwierig es ist, Bezüge zwischen Musik und Bühnenbild im allgemeinen herzustellen. Richard Leppert (Minneapolis) legte in seiner Interpretation von Werner Herzogs Film Fitzcarraldo unter anderem dar, wie hierbei spielerisch mit alten Inszenier ungsfor men der Oper umgegangen wird, wie die Musik als eine unkörperliche Kunst gewissermaßen eine Hauptrolle in einem Film spielen kann. Im Bereich der Musikforschung hat diese Art der Bildinterpretation in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Wichtige Gründe dafür sind zum einen, daß es Das die Tagung eine Fülle von beschließenMusiker- und de Referat von Die Universität in New York mit Triumphbogen (Washington Arch) MusikdarstelTilman Seebass lungen aus den vergangenen Jahrhunderten gibt, zum (Innsbruck) präsentierte eine Vielzahl von Bilddokuanderen, daß diese Darstellungen – man denke nur an menten zum Musiktheater um 1900, etwa Alfred Rollers die ägyptische oder römische Antike – mitunter das ein- Dekorationen zu Richard Strauss’ Opern oder Arnold zige sind, was von dem Musikleben alter Kulturen noch Schönbergs Bilder und Entwürfe zu seinen Musikstüerhalten ist. cken, in denen den Farben und ihrem Zusammenhang Auf dem New Yorker Kongreß ging es nun nicht ganz mit der Musik eine enorm wichtige Rolle zukommt. so weit in die Vergangenheit zurück, denn die Oper ist ja eine „erst“ 400 Jahre alte Gattung. Aber selbst, wenn man nur ein Jahrhundert in der Geschichte zurückblickt, lassen sich noch echte Entdeckungen machen, die unsere Sicht auf diese Epoche verändern. Zu dieser viertägigen Konferenz waren Vortragende aus allen Erdteilen angereist, u.a. aus Brasilien, der Türkei, China und Neuseeland. Insgesamt 68 Vorträge wurden gehal- Die Vorträge von Thomas Betzwieser, Anno Mungen (beide Bayreuth) und Martin Knust (Greifswald) setzten sich mit der Gestik auf der Opernbühne des späten 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts auseinander. Christine Fischer (Zürich) und Nicole Lallement (Paris) stellten Bildquellen des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre Auslegung vor, wovon aus dieser Zeit Kupferstiche und Zeichnungen von Architektur, Bühnenbild und Kostüm 6 des damaligen Musiktheaters Zeugnis ablegen. gat zu lesen sind (Emile G.J. Wennekes, Utrecht). Doch nicht nur die Methodik der Auslegung, auch die Art der Quellen ist ungeheuer vielfältig. So wurden in mehreren Vorträgen Karikaturen von Opernsängern, Inszenierungen und Komponisten als wichtige Quellen der zeitgenössischen Publikumsreaktionen wie auch der Aufführungen an sich herausgestellt, etwa von Clair Rowden (Cardiff), Anita S. Breckbill (Lincoln/Nebraska) oder Anna Maria Ioannoni Fiore (Pescara, Italien). Neben zweidimensionalen Darstellungen wie Portraits, Medaillons, Postkarten usw. gibt es seit dem 18. Jh. kleine Porzellanfigürchen von berühmten Sängerinnen, FanArtikel des beginnenden Primadonnenkults, die Berta Joncus (Oxford) in ihrem Vortrag vorstellte. Außergewöhnlich ist auch eine spezifisch portugiesische Tradition der Darstellung von Musikern, nämlich in Form von Zeichnungen auf Kacheln – das Verfahren stammt, wie man an den blauen Zeichnungen auf weißem Grund sofort erkennt, aus den Niederlanden – mit denen die Gärten und Räume von Palästen ausgestattet wurden, was wiederum auf maghrebinische oder arabische Einflüsse zurückgehen dürfte. Hierzu gab es zwei Vorträge von Daniel Tércio sowie Luís Sousa und Luzia Rocha (alle aus Lissabon). Welch großen Einfluß auf die akustischen und optischen Möglichkeiten eines Theaters die Architektur von Bühne und Zuschauerraum hat, zeigte Dorothea Baumann (Zürich) in ihrem äußerst materialreichen Vortrag. Unmöglich dürfte es sein, die zahlreichen disparaten Themen und Ergebnisse knapp zusammenzufassen. Allerdings wurden mehrere grundlegende Dinge bei dieser Konferenz deutlich: Schließlich ist noch zu erwähnen, daß es nicht nur um das Musiktheater im traditionellen Sinne ging, sondern auch um – teilweise alterwürdige – Traditionen wie Begräbnisriten und religiöse Prozessionen etwa in Brasilien und der Slowakei, und um das Musical und die Inszenierung von Rockbands auf der Bühne. Schließlich wurde auch die bildliche Selbstinszenierung von Dirigenten, die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte, unter die Lupe genommen, etwa, wie das zeitgenössische englische Publikum Hans Richter wahrnahm (Holly Matthieson, Neuseeland) oder wie filmische Dokumente von Willem Mengelbergs Diri- 1. Nicht nur im Bereich der Alten Musik ist eine eingehende Auswertung der ikonographischen Quellen sinnvoll und fruchtbar. Das 19. und frühe 20 Jh. ist uns in dieser Hinsicht oft fremdartiger und ferner als wir gemeinhin annehmen. 2. Längst sind noch nicht alle Quellen, ja noch nicht einmal alle Quellentypen erfaßt. Gleichwohl lassen die durch das RIdIM und RCMI bereits erfaßten und katalogisierten Bestände in einer vor wenigen Jahrzehnten noch nicht geahnten Weise Deutungen und ein neues Verständnis des Musiktheaters zu und erlauben dem heutigen Forscher sichere Urteile auf diesem Gebiet. 3. Die interdisziplinäre Arbeit ist bei all den präsentierten Forschungsvorhaben Programm. So fließen in der MusikIkonographie Kunst- und Musikwissenschaft zusammen. Doch es gilt nun, den Blick auch mit Hilfe anderer Disziplinen zu schärfen, z.B. Architekturgeschichte, Akustik, Literatur-, Film- und Theaterwissenschaft, Theologie, Soziologie u.v.a. Nicht, daß es darum gehen würde, den Gegenstand völlig ausufern zu lassen, ganz im Gegenteil. Wie bei der guten Analyse eines Musikstückes gilt auch hier: Jedes Stück verlangt nach einer besonderen, angemessenen Weise des Zugriffs. Eine Methode, die bei dem einen Stück, z.B. einer Bachfuge, zu interessanten Resultaten führt, muß das nicht bei einer Verdi-Arie tun. Die Karikatur zeigt Jules Massenet (1864-1912) und dessen Geliebte, die Sopranistin Sybill Sanderson (1865-1903). Der Komponist hatte die Titelrolle der Thaïs extra für die Sanderson geschrieben, wodurch die Oper 1894 einen enormen Erfolg hatte. Der Karikaturist macht sich lustig über die Vorhersehbarkeit des Erfolges der Oper, da Massenet durchweg auf der Welle der Kritik der damaligen Zeit schwamm. 7 Den Veranstaltern, von denen stellvertretend hier nur Antonio Balsassare (Wien), der Vorsitzende der Commission mixte des RIdIM, und Zdravko Blazekovic (New York) vom RCMI genannt seien, ist mit Nachdruck für ihre immensen Anstrengungen zu danken, eine derart reichhaltige und beflügelnde Konferenz zu organisieren, die einen tiefen und globalen Einblick in die Entwicklung und den Forschungsstand einer jungen wissenschaftlichen Disziplin erlaubte. M. Knust Warum machen Menschen Musik? In Ingolstadt (Bayern) fand vom 26.-29. März 2008 das jährliche Treffen von nicht hauptberuflich tätigen Organisten statt. In diesem Jahr feierte man das 30jährige Bestehen des Treffens. Im Hauptberuf sind diese Menschen Juristen,Verwaltungsangestellte, Ärzte, Lehrer, Architekten etc. In ihrer Freizeit üben sie sich im Orgelspielen. In Seminaren werden dann unter Aufsicht eines Dozenten (hier Professor Edgar Krapp von der Münchner Musikhochschule) Kompositionen von Bach, Reger usw. erarbeitet. Bei der Festansprache versuchte ich, den Sinn unseres Musizierens herauszustellen und auf die einfach erscheinende Frage, warum wir Orgel spielen, eine Antwort zu finden. Aber letztendlich ging es mir um eine umfassende Überlegung hinsichtlich des Verhältnisses des Menschen zur Kunst und insbesondere zur Kunstausübung. re – Begreife als Symbol, daß es eines starken Verstandes bedarf, die gesunde Wahrheit zu ertragen. (Das Symbol ist der Elefant mit Obelisk). Sie fragen sich wohl, was das mit unserer Frage nach der Beschäftigung mit Musik zu tun hat? Nun, es sollte die aufwendige Suche nach dem wahren Beweggrund unterstreichen, der einige Menschen wie die hier anwesenden Teilnehmer des Orgelkurses dazu veranlaßt, viel Zeit und Anstrengung auf das Aneignen der technischen und künstlerischen Seite des Orgelspielens zu verwenden, und das Ganze ohne Aussicht auf Ehre oder große materielle Güter. Wenn ich mir hier erlaube, einige Gedanken zu äußern zur Frage, warum Menschen überhaupt Musik machen, so möchte ich unsere Beschäftigung mit dem ehrwürdigen Instrument Orgel als unsere Teilnahme an der Musik und überhaupt an der Kunst im Leben des Menschen herausstellen. Die hierzu geäußerten Überlegungen sind die Frucht der Auseinandersetzung von dreißig Jahren. Ich äußere mich hier als Amateurorganist und als Arzt. Als Arzt muß ich aber auch Realist sein. Denn ohne eine realistische, wirklichkeitsbezogene Haltung kann ich ja als Arzt nicht überleben. Im Blickwinkel habe Hier also meine Frage: Warum ich die gewandelte kulturelle üben wir uns sozusagen absichtsAuffassung, als Folge der geänlos und ohne konkretes Ziel im derten technischen Bedingungen Orgelspielen – oder allgemein – – denken Sie nur an den Comwarum spielen Nichtberufsmuputer oder das Internet – sowie siker mit einer so großen Ernstdie mir grundsätzlich geändert haftigkeit ein Instrument? erscheinende Lebensauffassung Es würde hier zu weit führen, in unserem Land. individuelle Antworten auf dieVielleicht waren Sie schon einse Fragen aufzuzählen und sie mal in Rom und standen vor im einzelnen zu analysieren. der schmucklosen Fassade von In den zurückliegenden dreißig Santa Maria sopra Minerva, die Jahren suchte ich in den Kultursich ganz in der Nähe des römiwissenschaften, in der Musikschen Pantheons befindet. Auf Der Elefant von Bernini vor der Kirche Santa Maria wissenschaft, in der allgemeinen dem kleinen Platz vor der Kirche sopra Minerva mit der zitierten Inschrift Geschichte, in soziologischen steht ein seltsames Denkmal: es Abhandlungen und nicht zuletzt zeigt einen Elefanten mit überlangem Rüssel, auf des- in Gesprächen mit den Kursteilnehmern, eine Antwort sen Rücken sich ein Obelisk aus dem 6. Jh. vor Christus auf die oben gestellte Frage zu bekommen. Denn es befindet. Das Denkmal geht auf den großen römischen müßte doch irgendeinen wichtigen Grund geben, warBaumeister Bernini zurück. Folgende Inschrift steht auf um Menschen die Mühe auf sich nehmen, langandaudem Sockel dieses kleinen Elefanten: ernd auf harten Bänken und in kalten Kirchen Orgel zu üben. Man macht nicht jahrelang etwas, was doch kei- Documentum intellige robustae mentis esse solidam sapientiam sustine- 8 den sich damals ereignenden Greueltaten der Massen. Der gemeinsame Gedanke, der das Gerüst dieser Briefe letztlich darstellt, ist der Versuch, in einem gegenüber dem Absolutismus verbesserten Staatsgebilde einen vernunftgeleiteten, aber auch gemütvollen Menschen zu entwickeln und ihn in ein ebenso geordnetes Staatsgebilde einzubeziehen. Ich habe aus der Fülle des Materials die Gedanken von Schiller herausgearbeitet, in der die Beteiligung des Menschen an der Kunst eine besondere Stellung einnehmen. Kein Philosoph oder anderer Schriftsteller nach Schiller hat nach meinem Dafürhalten je wieder so dezidiert und überlegt den Menschen hinsichtlich der Kultur sowie der Kunst und seiner Teilhabe daran dargestellt. neswegs oberflächlich im Sinne eines Hobbys vonstatten geht, ohne daß wichtige menschliche Lebensimpulse dahinterstecken. Das eben ist die Suche nach der Wahrheit, die ich oben mit dem Beispiel des Bernini-Elefanten versuchte, Ihnen deutlich zu machen. Wie gesagt, ich suchte und fand in den üblichen fachspezifischen Kategorien nichts, gar nichts! Nach der aussichtslosen Suche wurde mir klar, daß die Beantwortung dieser einfach anmutenden Frage in der Philosophie liegen müßte. Wir erinnern uns, Philosophie heißt: Liebe zur Weisheit, d.h. die hingebungsvolle Beschäftigung mit der Weisheit. Demzufolge müßten wir Amateurorganisten uns eigentlich Phil-Organisten nennen, da wir uns ja mit dem Orgelspielen hingebungsvoll beschäftigen. Langsam wurde mir klar, daß ich meine Suche auf eine Person konzentrieren müßte, die sowohl auf dem Terrain der Philosophie als auch auf künstlerischem Gebiet sich umgetan hat. So entdeckte ich den Dichter Friedrich von Schiller als Philosophen und kam auf dessen philosophisches Hauptwerk mit dem Titel: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Schillers Ansicht wurde von tiefer Kenntnis der Kant’schen Schrift Kritik der Urteilskraft und seiner eigenen Künstlerlaufbahn gespeist. Bei allen Utopien, die in den Briefen anklingen, ist Schiller aber immer dem realen Leben verhaftet geblieben, woran sicher sein Beruf als Arzt eine entscheidende Rolle spielte. Seine Gedanken einer ästhetischen Erziehung des Menschen haben eine bestürzende Modernität, wie die hier angeführten Zitate bestätigen werden. Da für die Aufklärung des Verstandes Schiller schrieb von 1793-1795 diese schon vieles geleistet wurde, ist es nun ein siebenundzwanzig Briefe zunächst an F. Schiller (1759-1805) seinen Gönner, den Prinzen Friedrich Gemälde von Ludovike Simanowiz (1794) dringendes Bedürfnis unserer Zeit, auch zur Veredelung der Gefühle beizutragen. Christian von Schleswig-Holstein-Son(1. Brief vom 13.7.1793) derberg-Augustenburg und erweiterte sie später noch etwas. Vergegenwärtigen Sie sich bitte, daß diese Briefe Wenn man nun seine Worte bezüglich der damaligen 1793, also vor genau 214 Jahren geschrieben wurden. Sa- Kultur liest, meint man, ein gesellschaftlich mutiger Jourgen Sie aber nicht, was haben uns diese alten Schriften nalist von heute würde zu uns sprechen. Und weiter: denn heute noch zu sagen? Denn Sie sollten sich in Erin- Der versachlichte Arbeitsprozeß hat den Genuß von der Arbeit, nerung rufen, daß der weitaus größte Teil der Musik, die das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung gewir heute spielen und studieren, aus dieser Zeit stammt. schieden. Der Mensch wird nur noch Bruchstück seiner selbst, wird Ich werde diese inhaltsschweren Briefe natürlich nur im bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft. Inhalt streifen können und daraus einige Ausschnitte zi- Der Geschäftsmann bleibt in dem einförmigen Kreis seines Berufs tieren. Um es vorweg zu sagen, sie handeln im Kern um befangen und zeichnet sich durch pedantische Beschränktheit aus; die Harmonisierung der zwei Kräfte, die in jedem Men- und die Wissenschaft läßt die geistige Arbeit immer abstrakter schen vorhanden sind: den Trieben oder den Gefühlen werden, bis sie in der leeren Substanz der Gelehrten verkümmert. bzw. dem Geist oder dem Verstand. Was schließlich den Staat betrifft, so achtet er eifersüchtig auf Wiederum sollten wir uns vergegenwärtigen, daß wir den Alleinbesitz seiner Diener. Er tritt dem unmündigen Bürger heute, 2008, in einer Zeit des völligen Werteverfalls le- durch Repräsentation aus zweiter Hand entgegen, also durch Geben, daß bedrohliche Angriffe auf unsere Nation vor der setze und Steuern, Bürokratie und Polizei. Er funktionalisiert Tür stehen, daß unser christliches Weltbild, unsere Reli- die Bürger. Wohin er auch schaue, er nehme nur Opfer staatlicher gion also, und damit natürlich auch unser Orgelspiel, vor Bürokratie, dystopischer Arbeitsteilung [an ungewöhnlichen Stellen vorkommend, z.B. bei menschlichen Organen] einer säkularen Auseinandersetzung stehen. Schillers Briefe wurden vier Jahre nach der Französischen und rationaler Produktivität wahr, die verkrüppelten Gewächsen Revolution von 1789 verfaßt, im gleichen Jahr, in dem gleichen. In diesem zerrütteten Gemeinwesen kann weder das Inman grundlos König Ludwig XVI. guillotiniert hatte. dividuum all seine Talente entfalten, noch Staat und Gesellschaft Schiller war tief enttäuscht von dieser Entwicklung und zu einem harmonischen Ganzen gelangen. 9 Im oben Gesagten (6. Brief) äußert sich Schillers Kulturpessimismus. Er spricht von der Entfremdung des Menschen von der Natur, von der Arbeitsteilung im Alltag, von der Spezialisierung des einzelnen. All das hat aus der Menschheit – so schreibt Schiller – eine Armee nützlicher Sklaven gemacht. Schiller vergleicht diese menschliche Arbeitsform mit der Mechanik eines kunstreichen Uhrwerks. von beidem etwas, vom Verstand und vom Gefühl. Ehrlicherweise räumt Schiller allerdings ein, daß die großen technischen Fortschritte nur durch eine solche sinnentfremdende Arbeitsteilung bewirkt werden konnten. Schiller wußte sehr wohl, daß er hier den Boden der Wirklichkeit scheinbar verließ und sich in eine Utopie begab. Seine Erläuterung dazu ist aber einleuchtend: Dann stellt Schiller die Frage, wie die Entfremdung des Menschen von der Natur ausgeglichen werden könnte. Vom Staat Hilfe zu erwarten würde erfolglos sein, weil gerade der Staat diese mißlichen Zustände zuwege gebracht habe und man schwerlich erwarten könne, daß von ihm Hilfe kommen könnte; denn der Staat müßte sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nicht die Wahrheit erobern. Es liegt einzig und allein am einzelnen Menschen, denn jeder trägt in sich die Anlage und die Bestimmung eines idealistischen Menschen. Nun besteht der Mensch aus Trieben und Vernunft. Er ist ein Wilder, wenn seine Triebe – auch Gefühle genannt – über seine Vernunft herrschen. Das ist die vielbeschriebene Trieb- und Vernunftnatur des Menschen. Schiller fordert die Versöhnung der gegensätzlichen Kräfte von Gefühl und Verstand, Sinnlichkeit und Vernunft, also Natur und Rationalität. Erst dieser Ausgleich formt den gebildeten Menschen und gibt die Entscheidungsfreiheit wieder in die Hände des Menschen zurück, um z.B. seinen sittlichen Vorstellungen zu folgen. Aus dem Gesagten ergibt sich wohl einigermaßen zwingend, daß mit dem Spielen nicht nur das Spielen eines Instruments gemeint sein kann. Wäre nur diese Bedeutung gemeint, hätte dies Schiller deutlich angegeben. Da er die Einschränkung – Spielen auf einem Instrument wegläßt und alle Menschen ausdrücklich anspricht, dabei aber die Kunst als die Basis angibt, können wir folgern, Und wörtlich: Der Weg zu dem Kopf geht nur durch das Herz. Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Schiller schwebt also nichts Geringeres vor, als die Krise der 1793 gegenwärtigen Kultur durch Kunst zu überwinden, genauer gesagt, durch Teilhabe der Menschen an der Kunst. Nach Schillers Ansicht sind im Spieltrieb Sinnlichkeit und Vernunft zugleich tätig. Also folgert Schiller: Der einzige Weg, auf dem sich der Mensch von der Vormundschaft des Staates und der Gesellschaft befreien könnte, ist, sich mit der Kunst zu beschäftigen. Albert Schweitzer an der Orgel daß er den ganzen Kunstbereich meint, also Malerei, Plastik, Architektur, Poesie und schließlich Musik. Es war für mich also naheliegend, uns als Orgelspieler mit dem spielenden Menschen zu identifizieren. Ich meine uns Phil-Organisten oder Amateur-Organisten. Denn wir spielen ja im wahrsten Sinn des verwendeten Wortes. Wie können nun die auseinandergeratenen Kräfte des Menschen zusammengeführt werden? Wie kann der Mensch wieder in Harmonie, in Einklang mit sich kommen? Das gelingt nach Schiller nur, wenn die Menschen durch die Kunst eine ästhetische Erziehung erhalten würden. Es ist der Versuch, durch Kunst und ästhetische Erziehung die getrennten Kräfte der Seele wieder zu vereinen, um so den ganzen Menschen in uns wiederherzustellen. Ich hoffe, ich habe Ihnen einige für unser aller Selbstverständnis nützliche Gedanken darlegen können. Es ist für mich tröstlich, daß der Künstler-Philosoph Friedrich von Schiller vor über eineinhalb Jahrhunderten Überlegungen anstellte, die auch für uns heutige Menschen eine große seelische Hilfe bedeuten können. Als Schlüssel zum Ganzen präsentiert uns Schiller seine Überlegungen zum menschlichen Spieltrieb (15. Brief). Nur durch den Spieltrieb geschieht die Vermittlung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft; denn der Spieltrieb hat O. Zenner 10 Interview mit dem portugiesischen Kulturstaatssekretär Mário Vieira de Carvalho Operapoint war bei der diesjährigen Tagung der EMA (Europäische Musiktheater-Akademie) vom 27.-30. Januar 2008 anwesend. Dabei ergab sich die Möglichkeit, Herrn Professor Dr. Mário Vieira de Carvalho in seinem Amtssitz im Palácio Nova da Ajuda am 28. Januar 2008 zu interviewen. ? Sehr geehrter Herr Staatssekretär, mich interessiert das Musikleben in Portugal. In Deutschland hat man kaum Kenntnisse davon. Zunächst möchte ich Sie fragen, wo Sie Musik studiert haben? ! Ich habe zunächst Rechtswissenschaft studiert, übrigens mit Schlußexamina. Ich studierte privat Musik und wurde Musikjournalist. Die Rechtswissenschaft habe ich nie ausgeübt. in Lissabon, in dem die Oper Xerxes von Händel in einer Inszenierung von Herz mit dem Leipziger Ensemble gezeigt wurde. Brecht und das Berliner Ensemble waren auch für mich wichtige Begriffe. ? Wo wird in Lissabon Musik gelehrt? ! An der Staatsuniversität. Dort bin ich Professor für Musiksoziologie. Ich begann 1986 als Assistent und bin seit Palácio Nova da Ajuda, Lissabon, Amtssitz des Kulturstaatssekretärs 1997 Ordinarius für Musiksoziologie. In den letzten drei Jahren mußte ich aber meine Forschungs- und Lehrtätigkeit unterbrechen, da ich bei der Regierung arbeite. ? Sie sind Staatssekretär für Kultur? ! Ja. Die Einladung kam von der Kulturministerin. Wir amtierten im März 2005 als Mitglieder der neuen sozialistischen Regierung. ? Der Staatssekretär ist derjenige, der die Arbeit leistet? ! Wir arbeiten in einem Team, ich bin Stellvertreter der Ministerin, wenn sie nicht anwesend ist. Ich übernahm nämlich die direkte Verantwortung für Musik-, Theater- und Opernwesen, Film, die Unterstützung der Künste im allgemeinen. ? Und Sie sind der Chef der Oper? ! Nein, ich bin der Verantwortliche für die Kulturpolitik, Später war ich sehr interessiert am deutschen Musiktheater. Ich knüpfte Kontakte mit Joachim Herz, dem Assistenten von Walter Felsenstein und späteren Intendanten in Dresden. [Felsenstein (1901-1975) war von 1947-75 Intendant der Komischen Oper in Berlin.] Dann (1984) schrieb ich eine Dissertation an der Humboldt-Universität in Berlin bei Christian Kaden (Denken ist Sterben, Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon, Bärenreiter 1999). ? Und warum haben Sie Deutschland gewählt? ! Gerade weil mich die Entwicklung des Musiktheaters in Deutschland besonders interessierte, vor allem wegen Felsenstein und Herz. Denn ich kannte Felsensteins Ansatz auf dem Gebiet des Musiktheaters. 1975 gab es ein Gastspiel der Leipziger Oper im Opernhaus São Carlos 11 die damit zusammenhängt und im Regierungsprogramm langfristige Verträge machen. Wir finden es sehr positiv, entworfen wurde. Die Staatstheater wurden von meiner daß ein Sänger sich ans Opernhaus bindet und damit auch Regierung in öffentliche Unternehmen umgewandelt. Der beim Publikum bekannt wird. Auch wenn ausländische Grund war, ihnen mehr finanzielle Autonomie zu geben, Sänger eine Beziehung mit dem Land und seiner Kultur weil die Regeln der Staatsverwaltung bei uns sehr strikt sind beginnen, ist das positiv. und eigentlich keine langfristige Planung erlauben. Jetzt ist ? Nun noch etwas anderes: wie sind die kulturellen Beziees so, daß die Staatstheater als öffentliche Unternehmen ei- hung von Ihnen, also vom Staat Portugal, mit dem Staat nen dreijährigen Vertrag mit dem Staat schließen, worin das Brasilien? gesamte Budget und die Ziele festgesetzt werden. ! Unsere beiden Staaten haben enge Beziehungen auf ? Sagen Sie als Kulturstaatssekretär, was und wie die The- allen politischen, sozialen und kulturellen Ebenen. Und ater planen sollen? meine Regierung hat viel geleistet, um diese Entwick! Die Theater machen ihre Verträge selbständig und disku- lung noch weiterzuführen. Nicht nur zweiseitig, sondern tieren ihre strategische Entwicklung und Finanzierung mit auch im Rahmen der Gemeinschaft der portugiesischdem Kultur- und Finanzministerium. In erster Linie gilt sprechenden Länder (CPLP) bzw. der Organisation der als Ziele: Förderung der portugiesischen Künstler und des ibero-amerikanischen Staaten (OEA) sind unsere beiden portugiesischen Kulturerbes, dann weiter, die Entwicklung Staaten in der Zusammenarbeit engagiert. der Beziehungen im internationalen Netz. Das São Carlos Ich mag Brasilien sehr, auch im Sinne der Möglichkeiten muß sich einem breiteren Publikum öffnen. der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und durch regelmäßigen Austausch mit Kollegen von Sao Paulo und ? Sie richten jetzt ein Opernstudio ein? ! Ja, dies steht als Aufgabe im neuen Statut, hinzu kommt ein Rio de Janeiro. Wissen Sie, ich beschäftige mich mit der Erziehungsprogramm für junge Leute. Auch Kinderoper-Pro- Musiksoziologie Theodor W. Adornos sehr detailliert. jekte wollen wir fördern. Übrigens ist das São Carlos das einzige 2003 hae ich in Belo Horizonte an einem Kongreß über Operntheater in Portugal. ? In Porto gibt es nur Sprechtheater? ! Ja, doch wir verlangen vom São Carlos, daß es nicht nur in Lissabon, sondern auch durch Gastspiele wirkt – nämlich in mehreren, gut ausgestatteten städtischen Bühnen, darunter einigen historischen Gebäuden, die im Laufe der letzten Jahre renoviert bzw. neu gebaut wurden. Im September 2007 hat das São Carlos in der Stadt Azores mit einer Oper gastiert. Mit Unterstützung einer Firma ist es auch vorgesehen, daß eine Operninszenierung in verschiedenen Theatern direkt (über Satellit) übertragen wird, wie es jetzt bei der Uraufführung von Das Märchen von EmmaKulturstaatssekretär Mário Vieira de Carvalho nuel Nuñes geschehen ist. Dreitausend Zuschauer haben dem ersten Adorno teilgenommen. Anwesend waren 80 Forscher aus Teil der Oper beigewohnt (2 Stunden). Für den 2. Teil aller Welt, Deutschland natürlich einbezogen, die meisten (weitere 2 Stunden) blieben nur etwa eintausend. Manche aber aus Brasilien. Ich selbst habe über Adornos Theorie hatten noch nie eine Oper gesehen. der musikalischen Reproduktion gesprochen. Übrigens habe ich auch 2003 ein kleines internationales Adorno? Wie groß ist der Etat für das Teatro São Carlos? ! Ungefähr 14 Millionen im Jahr. Hinzu kommen noch Sponso- Kolloquium in meiner Universität organisiert. rengelder, so daß sich der Etat auf etwa 16,5 Millionen erhöht. ? Wieviel Angestellte gibt es am São Carlos, ich meine, Olaf Zenner: Ich danke herzlich für das Interview. Prof. Vieira de Carvalho: Es hat mich sehr gefreut, daß den technischen Stab und die Künstler? ! Das Opernhaus hat ein Sinfonieorchester, einen Berufs- Sie nach Lissabon gekommen sind und daß Sie das chor, technische Angestellte, aber kein festes Ensemble. Opernhaus São Carlos besucht haben – eine gut erhalteDoch in Zukunft wird das Opernhaus auch mit Sängern ne historische Opernbühne aus dem Jahr 1793. 12 Informationen aus aller Welt Ein großer Bassist wird siebzig Der in Buir bei Köln geborene Bassist Kurt Moll wurde an der Kölner Musikhochschule zum Sänger ausgebildet und bekam seine erste Anstellung bei den Wuppertaler Bühnen. Sein tiefgrundiger Baß führte ihn rasch nach Bayreuth (1967) als zweiter Gralsritter in Wagners Parsifal. 1970 kam er nach Salzburg, wo er mit der Rolle des Sarastro in Mozarts Zauberflöte debütierte. Diese Rolle – sie wurde seine Paraderolle – sang er auch 1972 an der Wiener Staatsoper. Es folgten Schallplattenaufnahmen 1984 unter Sir Colin Davis und 1990 unter Sir Georg Solti mit der Mozartpartie. In den vielen Jahren seiner großen Karriere glänzte Kurt Moll wohl im gesamten vorhandenen Baß-Repertoire von Seneca in Claudio Monteverdis Poppea bis hin zu den Rollen bei Verdi (Philipp II.), Wagner (Daland, Hunding, Gurnemanz) und Moussorgski (Boris). Fast unübertroffen gestaltete er seinen Graf von Lerchenau in Richard Strauss’ Rosenkavalier. Nicht weniger überzeugte er als Liedersänger in Schuberts Winterreise und den Loewe-Balladen. Vielleicht ist er bei uns vor allem als Mozartsänger unübertroffen. Seiner Darstellung als Haremswächter Osmin in Mozarts Entführung aus dem Serail hat kaum ein anderer Sänger soviel Komik und Charakter gegeben wie Kurt Moll. Am 11. April wurde er siebzig Jahre alt. Giuseppe di Stefano mit 86 Jahren gestorben Am 2. April dieses Jahres verstarb einer der ganz großen Tenöre unserer Zeit in seinem Haus bei Mailand an den Folgen eines Überfalls, den er 2004 in seinem Haus in Kenia erlitten hatte. Von den schweren Verletzungen hat er sich nicht mehr ganz erholen können. Der Sizilianer di Stefano war nach seinem Auftreten in der Rolle Des Grieux in Jules Massenets Manon 1947 an der Mailänder Scala auf der Stelle berühmt. Jürgen Kesting zitiert in seinem Buch Die großen Sänger des 20. Jh. den langjährigen Leiter der Metropolitan Opera in New York Rudolf Bing in 5000 Abende in der Oper mit folgenden Worten: Es war ein wirkliches Erlebnis, als ich das Diminuendo seines hohen C bei Salut, demeure chaste et pure in Faust (Gounod) hörte. Solange ich lebe, werde ich die Schönheit dieses Tons nicht vergessen. Di Stefano verdiente sein erstes Geld in Kaffeehäusern, Kirchen und Kinos, erhielt dann eine Ausbildung, mußte aber vor dem Abschluß zum Militär, wo er mit seinem Singen so auffiel, daß man ihn freistellte. Nach dem Krieg schaffte er es sehr rasch, am Teatro alla Scala zu singen. Schnell kamen auch Schallplattenaufnahmen und sein Debüt am 25. Februar 1948 an der Met mit dem Herzog in Rigoletto. Im folgenden Jahrzehnt sang er oft mit Maria Callas zusammen und war auch ihr Partner bei der Aufnahme von Tosca mit Victor de Sabata, einer der großartigsten Aufnahmen, die wir von dieser Oper haben. Niemand blieb ungerührt bei dem Verzweifelungsschmerz von Cavaradossis Arie E lucevan le stelle – und es glänzten die Sterne mit dem beziehungsreichen Schluß: e non ho amato mai tanto la vita – und ich liebte so sehr das Leben. Cappella Coloniensis Residenz-Orchester in Essen Dieses Spezialensemble für Alte Musik wurde 1954 für den Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) durch Eduard Gröninger gegründet. Man war nämlich auf die Idee gekommen, in den Handschriften der Barockund Klassikzeit nicht nur Musikwerke der damaligen Zeit zum heutigen Gebrauch einzurichten, sondern auch aus den handschriftlichen Angaben aufführungspraktischen Anweisungen zu übernehmen, um so dem musikalischen Ausdruck der Werke zum Zeitpunkt ihrer Entstehung so nahe wie möglich zu kommen. Das auf authentischen Instrumenten spielende Ensemble wurde Wegbereiter der Historischen Aufführungspraxis. Zwischen den Jahren 1960 und 1970 war die Cappella auf ausgedehnten Welttourneen (Carnegie-Hall, New York, Bunka-Kaikan-Hall, Tokio, Teatro Colón, Buenos Aires). Man spielte Rossini-Opern, z.B. Tancredi, La Cenerentola, L’italiana in Algeri. Viele namhafte Dirigenten leiteten die Cappella, wie u.a. William Christie, John Elliot Gardiner, Gabriele Ferro, Reinhard Goebel, René Jacobs, Sigiswald Kuijken oder Hans-Martin Linde. Es gibt mehr als fünfzig Einspielungen auf CD und mehreren hundert Rundfunkaufnahmen. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR), der als Nachfol- 13 ger des NWDR die Cappella fünfzig Jahre betreut hatte, kündigte den Vertrag mit dem Ensemble 2004. Nun hat die Cappella Coloniensis eine neue Heimstatt in der Philharmonie Essen gefunden, wo sie für fünf Spielzeiten sechs Konzerte pro Saison geben wird. Colón, Horacio Sanguinetti, hat in diesem Jahr nur Instrumental- und Chorkonzerte sowie Ballette angekündigt. Die Wiedereröffnung soll jedenfalls am 25. Mai 2010 stattfinden. Es wäre das 102. Jahr der Eröffnung des weltbekannten Opernhauses und der 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Argentiniens. Der vom WDR so schnöde aufgegebene Klangkörper sollte sich vielleicht auch einen neuen Namen geben: Cappella Asnidensis? Dubai, El-Ain-Musik Festival In der Ankündigung: Das wichtigste Konzert des Jahres. Nicht von der Qualität her – die war bei diesem Konzert,das die Qualität einer PlattenaufZaki Nussaibah li und der Präsident des nahme erreichte. Richard-Wagner-Verbandes von Abu Dhabi Auch nicht vom Programm her – ein Potpourri aus Vorspielen zahlreiche Wagner Opern hätte jedes Publikum zu Beifallsstürmen hingerissen. Nein, es geht um die Kombination der Werke und des Ortes: Das erste Konzert ausschließlich mit Werken Richard Wagners auf der arabischen Halbinsel, den Vereinigten Arabischen Emiraten! Oper in Norwegens Hauptstadt Oslo Die Osloer Opernliebhaber können sich freuen: endlich ist ihr lange geplantes Opernhaus, fast im Wasser des Oslofjords gelegen, am 12. April mit einer Gala aus Konzert, Oper und Ballett eröffnet worden. Auch unsere Kanzlerin Angela Merkel hat sich über fünf Stunden zusammen mit Königinnen und Kronprinzessinnen sowie einem Kronprinzen an Opernausschnitten und Balletten erfreut. Es gibt Stadtbewohner, die freudestrahlend verkünden, daß dieses 500 Millionen Euro teure Gebäude die größte kulturelle Leistung Norwegens sei, seit der Errichtung des Doms zu Trondheim. Dieserart äußerte sich Wolfgang Sandner am 14. April 2008 in der FAZ. Nach seinem Urteil soll auch die Akustik des eintausendeinhundert Plätze aufweisenden Operntempels gut sein. Stattgefunden hat es im teuersten Konzertsaal des Landes: dem Konzertsaal im Emirates Palace Hotel (Baukosten: vier Milliarden Dollar). Der Sächsischen Staatskapelle unter Chefdirigent Fabio Luisi kann man hier eine BotschafterMission der europäischen Musikkultur und einen erfolgreichen Werbeauftritt des Landes Sachsen attestieren. Das El Ain Musik-Festival, gegründet von musikbegeisterten Bewohnern Abu Dhabis, nahm dabei den Richard-Wagner-Verband von Abu Dhabi mit ins Boot. Beim Konzert zeigten sich in der ersten Reihe Mitglieder der Regierung, das deutsche diplomatische Corps und Wirtschaftsvertreter. Das vom Architekturbüro Snøhetta geplante Bauwerk soll für alle Menschen gleichermaßen eine Bereicherung sein, so die offizielle Ankündigung. Wollen wir hoffen, daß die Programmgestaltung und die künstlerische Arbeit mit der jetzigen Freude Schritt hält. O. Hohlbach Faszinierende Sängerin Die Sopranistin Danielle De Niese, bei New York lebend und 27 Jahre jung, gelang zu internationalem Ruhm, als sie 2005 in Glyndebourne ihr viel umjubeltes Debüt in David McVicars Inszenierung von Händels Giulio Cesare (Dirigent: William Christie) gab. Diese DVD sollte jeder Opernliebhaber unbedingt besitzen. Wir hörten sie in Ariodante (Händel) als Ginevra im Théâtre des ChampsÉlysées. Sie war genauso umwerfend wie im Giulio Cesare. Durch ihre komische und gleichzeitig emotional tiefgreifende Ausstrahlung als Schauspielerin, gepaart mit einer außergewöhnlichen Stimme und Musikalität wird ihr eine spektakuläre Zukunft vorhergesagt; ihr Exklusiv-Vertrag mit dem Label Decca Music Group trägt dazu bei. Das Teatro Colón erst 2010 wiedereröffnet Die argentinischen Opernliebhaber müssen noch zwei Jahre auf die schon in diesem Jahr angekündigte Wiedereröffnung warten. Das erste Opernhaus von 1857 ist verschwunden. Das jetzige Haus mit einer als überdurchschnittlich gerühmten Akustik wäre 2008 einhundert Jahre alt geworden. Dazu sollte es mit der auch schon zu seiner Eröffnung 1908 gespielten Oper Aida von G. Verdi brillieren. Doch Geldknappheit – ausgelöst durch die zur Zeit herrschende enorme Inflation – zwang zum Aufschub. Der neue Direktor der Teatro 14 Zwei Meldungen von Johann Sebastian Bach (1685-1750) Sensationsmeldung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg dargeboten. Aufgrund dieses Fundes kann man annehmen, daß uns doch noch nicht alle Werke Johann Seb. Bachs bekannt sind und wir auf weitere Sensationsfunde hoffen können. Freude in der Organistenwelt: zwei Musikwissenschaftler, Dr. Michael Pacholke und Stephan Blaut, haben die Abschrift einer Choralfantasie für Orgel aufgefunden. Ihr Titel ist: Wo Gott der Herr nicht bei uns hält. Das Eisenacher Bachhaus: Neues Bachportrait Heutzutage unterwirft man alles einer genauen wissenschaftlichen Analyse. So gibt es seit dem 21. März 2008 im Eisenacher Bachhauses eine Sonderausstellung mit dem Titel: Bach im Spiegel der Medizin. Die schottische Gerichtsmedizinerin Dr. Caroline Wilkinson hat nach Original-Schädelmaßen das Gesicht Johann Sebastian Das rekonstruieter Portrait von J.S. Bach Bachs rekonstruiert. Die Universitäts- und Landesbibliothek in Halle hatte kürzlich einen Teilnachlaß des Leipziger Thomaskantors Wilhelm Rust (1822-1892) ersteigert. Als man die Abschriften von Rust in Augenschein nahm, fiel ein Stück von Bach auf, von dem bisher nur fünf Takte bekannt waren. Wilhelm Rust war seit 1855 Herausgeber der ersten BachGesamtausgabe. Otto Jahn, der die erste wissenschaftliche Mozart bioErste Seite der Choralfantasie graphie schrieb (diese wurde später von Hermann Abert neu herausgegeben), hatte Rust für die Gesamtausgabe als Mitarbeiter gewonnen. Doch niemand kann sicher sein, daß es sich um Bachs authentisches Portrait handelt. In der spannenden Geschichte von Bachs Tod im Jahr 1750 und der Suche nach seinen Gebeinen bleiben einige Unsicherheiten. Kein Zweifel besteht daran, daß Frau Dr. Wilkinson mit großer Genauigkeit den Bachschen Schädel mit Laser und Computer abgemessen und danach das Computerbild erstellt hat. Rusts Arbeiten an der Bachausgabe wurde für ein halbes Jahrhundert das Muster kritischer musikalischer Editionen. Er hatte die philologische Methode aus Jahns klassischer Altertumswissenschaft übernommen. Otto Jahn war kein Musik-, sondern Altertumswissenschaftler und hatte zuletzt in Bonn den Lehrstuhl für Archäologie inne. Rust fertigte die Abschrift der Choralfantasie 1877 an. Die beiden Musikwissenschaftler prüften genauestens die Herkunft der Quelle, die Rust als Vorlage gedient hatte. Danach legte man die Abschrift noch weiteren Musikwissenschaftlern vor: Professor Dr. Hans-Joachim Schulze und Dr. Peter Wollny vom BachArchiv Leipzig konnten die Komposition zweifelsfrei als Werk Johann Sebastian Bachs bestimmen. Man wußte, daß Johann Sebastian am 28. Juli 1750 in einem Eichensarg beerdigt worden war. Doch die Grabstelle wurde vergessen. Wegen einer Erweiterung der Johanniskirche wurde 1894, 54 Jahre nach Bachs Tod, auf deren Gräberfeld gegraben. Dabei fand der damalige Pastor Transchel zusammen mit dem Leipziger Anatomieprofessor Hiss drei Eichensärge. In einem der Eichensärge lag eine Frauenleiche, im zweiten Sarg eine männliche Leiche mit zerquetschtem Schädel, im dritten fand man einen Schädel, dessen Untergebiß mit den bekannten Bachgemälden übereinstimmte. Daher nahm man an, Johann Sebastians Schädel aufgefunden zu haben. Unter Berücksichtigung der Gesichtsweichteile fertigte der Leipziger Bildhauer Carl Seffner daraus das bekannte Bachdenkmal vor der Leipziger Thomaskirche. Die Quellenlage ist also nicht ganz so eindeutig, so daß man ruhig skeptisch bleiben kann, das echte Abbild Johann Sebastians würde uns in der neuen Darstellung ansehen. Das neue Bachportrait überzeugt vielleicht auch nicht jeden. Man vermutet dahinter eher einen Ringer als das Gesicht eines der größten musikalischen Genies. O. Zenner Die Choralfantasie ist für zwei Manuale und Pedal geschrieben und wohl – was man aufgrund besonderer Schreibweisen erkannte - zwischen 1705-1710 von Bach komponiert worden. Bis zur Auffindung der Abschrift kannte man von Bach nur die Choralfantasie Christ lag in Todesbanden (BWV 718). Die Form einer Choralfantasie hatte Bach bei Dieterich Buxtehude gelernt. Die aufgefundene Choralfantasie wird erstmals bei den Händelfestspielen am 10. Juni 2008 um 18 Uhr in der Marktkirche zu Halle öffentlich von Martin Haselböck 15 Opernaufführungen im Ausland Rezensionen in alphabetischer Ordnung nach Städten London, Covent Garden Salome zurück. Schließlich wird ihr das Haupt Jochanaans auf einer Silberschüssel präsentiert. Ganz außer sich küßt sie ekstatisch den Mund des abgeschlagenen Kopfes. Darauf läßt Herodes sie umbringen. von Richard Strauss, Drama in einem Akt, Libretto: Hedwig Lachmanns Übersetzung des Dramas Salomé (1891) von Oscar Wilde, redigiert von Richard Strauss. UA: 9. Dezember 1905, Hofoper Dresden Regie: David McVicar, Bühnenbild: Es Devlin, Licht: Wolfgang Göbbel, Video: Leo Warner und Mark Grimmer Dirigent: Philippe Jordan, Orchestra Royal Opera House Solisten: Thomas Moser (Herodes), Michaela Schuster (Herodias), Nadja Michael (Salome), Michael Volle (Jochanaan), Joseph Kaiser (Narraboth), Daniela Sindram (Page), Adrian Thompson, Martyn Hill, Hubert Francis, Ji-Min Park, Jeremy White (Juden), Iain Paterson, Julian Tovey (Nazarener), Vuyani Mlinde (ein Kappadozier) Besuchte Aufführung: 8. März 2008 (Premiere: 21. Februar 2008) Aufführung In drei ineinander übergehenden Räumen, die an eine Schlächterei (s. Abb.) erinnern, sieht man ein an den Beinen aufgehängtes Schwein mit abgeschlagenem Kopf. Einige Soldaten mit Gewehren bewachen einen in den Boden gelassenen Rost, aus dem Jochanaans Verwünschungen schallen. Zwei Frauen, die eine in Unterwäsche, die andere völlig nackt, dienten offenbar den Soldaten zur Lustbefriedigung. Sie ziehen sich langsam an. Wie Strauss es vorschreibt, schreitet über eine geschwungene Treppe rechts Prinzessin Salome in einem engen Abendkleid herab. Kurzinhalt Die Oper beginnt mit einem Geburtstagsfest im Königspalast. Herodias Tochter Salome hat die Festgesellschaft ihres Stiefvaters Herodes aus Langeweile verlassen und kommt in den Palastkeller zu den Soldaten. Diese bewachen Jochanaan, der in einer Zisterne gefangen gehalten wird. Die Stimme von Jochanaan hört man aus Bei Salomes Tanz einem Gitter, das die wird dem ZuschauZisterne verschließt. Er er die Illusion ververwünscht das ehebremittelt (wohl Videocherische Verhalten von kunststück), daß sie Herodias und Herodes, durch sieben Pfordenn Herodes hatte ten hindurchtanzt. die Frau seines Bruders Die Räume hinter Philipp geheiratet. Von den Pforten sind Jochanaans Stimme erallesamt leer, nur regt, zwingt Salome die einmal steht darin Soldaten, ihr diesen trotz ein ovaler Spiegel. des strikten königlichen Dann findet SaloVerbots vorzuführen. me auf einem KleiSeine ungeschlachte Art, derständer ein weisein wildes Aussehen, ßes Abendkleid (ist seine verfilzten Haare Michael Volle (Jochanaan) li, Joseph Kaiser (Narraboth) mitte, es ein Hochzeitsreizen Salome noch mehr: Nadja Michael (Salome) re kleid?). Sie streift es sie gerät geradezu in eine sich über, dreht ekstatische Pirouetten und tanzt schließObsession. Sie berührt ihn, streift mit den Händen durch seine Haare und will ihn schließlich küssen. Doch Jochanaan weist sie bru- lich Walzer mit Herodes. Am Ende sehen wir wieder den gefliesten Keller, worin sich dann das schreckliche tal zurück und wird in sein Erdloch zurückgeworfen. Finale mit Jochanaans und ihrem eigenen Tod ereignet. Von der Terrasse herunter kommen ihr Stiefvater, ihre Mutter Herodias und die Festgäste in das Kellergeschoß. Sänger Herodes ist so sehr vernarrt in seine Stieftochter, daß er Nadja Michael (Salome) ist bestürzend wirklichkeitsnah, sie bittet, für ihn zu tanzen. Als sie sich weigert, schwört dabei mitreißend und abstoßend zugleich – wie es ihre er, ihr alle seine Schätze und sogar die Hälfte seines Kö- Rolle erfordert. Ihr Sopran ist lyrisch, schrill und – beim nigsreichs zu geben. Endlich tanzt sie. Danach fordert sie Fordern des Hauptes von Jochanaan – dunkel belegt, den Kopf des Jochanaan. Ihre Mutter ist darüber entzückt. so daß das sechsmal geäußerte Fordern von JochanaBrüsk weist Salome alle Kleinodien, die Herodes ihr bietet, ans Tod in den verschiedenen Tonarten wohl bei jedem 16 Zuschauer ein Frösteln hervorruft. David McVicar versteht es ungemein eindrucksvoll, diese verwöhnte und schließlich übergeschnappte junge Frau ihrer Rolle gemäß zu führen. Mit wachsender Spannung verfolgt man ihre perverse Erotik, die schließlich in den nekrophilen Küssen des abgeschlagenen Kopfes kulminiert. Eine kolossale schauspielerische und sängerische Leistung! Außerordentlich gekonnt gestalten die fünf Juden ihr Gezänk, ob Jochanaan Gott gesehen habe oder nicht. Dieses kompositorische Meisterstück, an Kakophonie mit den übereinander getürmten verschiedenen Tonarten (Bitonalität) für die damalige Zeit (1905) ungeheuer neu, wird auch hier auf der Bühne meisterhaft dargestellt. Alle anderen Sänger, voran natürlich Thomas Moser (Herodes) und Michaela Schuster (Herodias), sind auf gleichem sängerischen Niveau wie die beiden Hauptdarsteller. Michael Volle (Jochanaan) stellt den vitalen Propheten mit den verfilzten langen Haupthaaren, dessen Gesicht und Kutte nur so vor Schmutz starren, vollendet dar. Die ruhigen Prophetien über den Erretter der Welt, die als einzige Musik in geordneten Harmonien unser Ohr treffen, bringt er mit seinem grundigen Bariton ungemein überzeugend heraus. Salomes unmißverständliche Annäherungen und seine brutale Zurückweisung gestaltet er so plastisch, daß man keines seiner Worte zu verstehen braucht, um dennoch alle Aktionen sofort richtig zu deuten. Doch Volle prononciert dennoch so deutlich – im Gegensatz zu Nadja Michael – daß der spannungsgeladene Handlungsablauf eine fast unerträgliche Intensität erreicht. Das Riesenorchester begleitet allermeist gut, ohne sich – wie es leider oft geschieht – allzuviel vordergründig aufzuspielen. Fazit Eine umwerfende, nervenaufreizende, gleichzeitig anziehende und abstoßende Aufführung, so wie Strauss sich auch einmal schriftlich dazu geäußert hat. Salomes Tanz mit dem Durchschreiten der sieben Pforten ist eine in der heutigen Regie- und Bühnengestaltung ganz ungeöhnliche geistige Leistung. O. Zenner Bild: Clive Barda London, Covent Garden Carmen singt ihre Philosophie der Liebe als Ode an die Freiheit: L‘amour est un oiseau rebelle. Gleichwohl findet sie Interesse an Don José, einem Unteroffizier der Wachsoldaten, der gedankenverloren und desinteressiert ihr Spiel beobachtet. Es gelingt ihr jedoch, seine Gefühle zu erwecken und Don José behält die von ihr zugeworfene Rose. von Georges Bizet, Opéra comique in vier Akten, Text: Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach einer Novelle von Prosper Mérimée; Uraufführung: 3. März 1875, Paris; Regie: Francesca Zambello, Designs: Tanya McCallin, Choreographie: Arthur Pita, Licht: Paule Constable, Dirigent: Daniel Oren, Orchester und Chor des Royal Opera House, Chorleitung: Renato Belsadonna Solisten: Nancy Fabiola Herrera (Carmen), Marcelo Álvarez (Don José), Kyle Ketelsen (Escamillo), Susan Gritton (Micaëla), Alan Ewing (Zuniga), Jacques Imbrailo (Moralès), Elena Xanthoudakis (Frasquita) Monika-Evelin Liiv (Mercédès) u.a. Besuchte Aufführung: 28.3.2008 (Premiere: 8.12.2006, Wiederaufnahme 25.3.2008) Ein Tumult entsteht in der Fabrik und Wachsoldaten unter Don José versuchen, Ordnung zu schaffen. Car- Kurzinhalt Ein Platz im Sevilla des 19. Jahrhunderts: Gelangweilt amüsieren sich Wachsoldaten über die lokale Bevölkerung. Nach der feierlichen Wachablösung ist der Pausenflirt mit den Mädchen der gegenüberliegenden Tabakfabrik die Hauptattraktion der Soldaten. Carmen, eine Zigeunerin, die auch dort arbeitet, ist die Begehrteste unter ihnen. Doch sie gibt sich kühl und unnahbar: sie beNancy Fabiola Herrera, als Carmen in der Mitte der Tanzenden 17 men wird für schuldig befunden, einen Messerkampf entfacht zu haben. Stolz und widerspenstig lehnt sie ab, den Vorfall zu kommentieren. Sie bleibt unter der Obhut Don Josés, um ins Gefängnis abgeführt zu werden. Allein mit ihm gesteht sie ihm ihre Liebe. Don José erlaubt ihr die Flucht und wird nun selbst gefangen gesetzt. reichlich vielen Banderilleros und Picadores sowie einer waschechten Madonna entschädigte jedoch letzten Endes für vieles. Eine illustre Schar von Solisten bot hohen musikalischen Genuß auf breiter Basis. Allen voran der Argentinier Marcelo Álvarez, der sich selbst und der Rolle des Don José mit seinem vollen klaren Tenor wahrhaft gerecht wurde, und Susan Gritton, die als Micaëla mit ihrem wunderschönen klaren Sopran überraschte. Insbesondere im Duett mit Álvarez (José) Parle-moi de ma mère! klangen die beiden fast unwirklich. Auch Kyle Ketelsen (Escamillo) überzeugte stimmlich und mit durchaus spanischer Matadorarroganz. Nancy Fabiola Herrera sang eine durchaus akzeptable, jedoch schauspielerisch und gesanglich wenig überraschende Carmen. Nach seiner Freilassung wartet Carmen auf Don José in der Kneipe von Lillas Pastia, einem Treffpunkt der Schmuggler, zu denen auch Carmen gehört. Während sie wartet, erscheint der erfolgreiche Stierkämpfer Escamillo und läßt sich feiern. Er flirtet auch mit Carmen, doch sie widersteht ihm, nicht zuletzt aus Dankbarkeit gegenüber Don José. Als dieser endlich in der Schenke erscheint, ist es schon spät. Das Wiedersehen der Liebenden wird vom Zapfenstreich überrascht, und ein Streit entsteht, als Don José zur Kaserne zurückkehren will. Als nun auch noch der Carmen nachstellende Leutnant Zuniga, Don Josés Vorgesetzter, erscheint, wird Don José handgreiflich. Es gibt nun keinen Weg zurück, er schließt sich den Schmugglern an. Daniel Oren dirigierte das gewohnt präzise Orchester des Royal Opera House so schnell, daß man sich fragte, ob er nach der Aufführung vielleicht noch ein Flugzeug erreichen mußte. Die Chöre brillierten in ihrer hohen Qualität. Insgesamt ein schöner Abend, insbesondere musikalisch. Im Schmugglerlager wird Carmen Don Josés zunehmend überdrüssig, spürt jedoch das herbeinahende Unglück und auch das Befragen der Karten prophezeit ihren baldigen Tod. Escamillo, der Carmen ins Lager gefolgt ist, wird vom wachhabenden Don José entdeckt und eifersüchtig in einen Messerkampf verwickelt. Carmen und die Schmuggler trennen die beiden und Carmen folgt einer Einladung Escamillos zum Stierkampf nach Sevilla. Trotz Escamillos Triumph in Sevilla bleibt Carmen allein vor der Stierkampfarena. Don José war ihr heimlich nach Sevilla gefolgt und erreicht sie noch vor der Arena. Stolz und standhaft widersteht Carmen seinen Annäherungen. Darüber gerät José so in Wut, daß er sie ersticht. D. Zenner Bild: Catherine Ashmore Lüttich (Liège), Opéra Royal de Wallonie Maria Stuarda von Gaëtano Donizetti, lyrische Tragödie in zwei Akten Libretto: Giuseppe Bardari, Vorlage: Maria Stuart von Friedrich von Schiller, UA: 30. Dezember 1835, Mailand, Teatro alla Scala Regie/Kostüme: Francesco Esposito, Bühnenbild: Italo Grassi, Licht: Daniele Naldi; Dirigent: Luciano Acocella, Orchester und Chor der Opéra de Wallonie Solisten: Patrizia Ciofì (Maria Stuarda, Königin von Schottland), Marianna Pizzolato (Elisabeth, Königin von England), Diana Axentil (Anna Kennedy), Danilo Formaggia (Roberto, Graf von Leicester), Frederico Sacchi (Graf Giorgio Talbot ), Mario Cassi (Lord Guglielmo Cecil) Besuchte Aufführung: 30. April 2008 (Premiere) Aufführung Francesca Zambellos Inszenierung ist ein Traum in Orange; manchmal funktioniert er und manchmal nicht. Eine Bühne aus runden, orangenen Einzelteilen, die konkav zur Zigarrettenfabrik und konvex zur Stierkampfarena ausgerichtet sind. Ein wunderschöner erster Akt mit Zitronenbaum, freilaufenden Hühnern und viel sonstigem Detail wurde kontrastiert von einer enttäuschenden Lillas Pastia Kneipe: die Schenkenatmosphäre der Schmuggler zeigte einen zu nüchternen Kontrast der schlichten Holztische vor orangefarbenem Hintergrund. Da half auch keine noch so ansprechende Beleuchtung. Lüttich liegt etwa 100 km von Köln entfernt und ist eine Stadt in der wirtschaftlich aufstrebenden belgischen Provinz Wallonie. Es hat ein mäßig subventioniertes Opernhaus. Seit Jahren gibt es ausgezeichnete Opern wie z.B. Le Roi d’Ys von E. Lalo oder Die heimliche Ehe von D. Cimarosa in der laufenden Saison und in der nächsten Spielzeit – unter neun Premieren – Paride ed Elena von Ch. W. Gluck (7.10.08) oder Fra Diavolo (24.4.09) von D.F.E. Auber. Was aber noch mehr ins Gewicht fällt ist die Sängerauswahl bei übrigens ausgezeichneten Inszenierungen. Unter der Sängerschar hat die Intendanz der Oper für die Belcanto-Oper Maria Stuarda wohl die besten ausgewählt: Patricia Ciofì und Marianna Pizzolato. Die Wechselhaftigkeit der Inszenierung spiegelte sich auch in der Choreographie (Artur Pita) wieder. Der perfekt abgestimmte parallele Wachwechsel von Soldaten und Kindern im ersten Akt war ästhetisch und passend. Hingegen wirkt die Eröffnungsszene des zweiten Aktes hilflos und das Zigeunerchanson Les tringles des sistres tintaient gestampft und plump. Der vierte Akt mit dem festlichen Einzug Escamillos und Blütenregen, mit Kurzinhalt Die berühmte Fehde zwischen der katholischen Königin von Schottland und der protestantischen englischen Königin hat Schiller in seinem Drama nacherzählt, das dem Librettist in der Übersetzung von Andrea Maffei vorlag. 18 Durch einen Aufstand in Schottland mußte Maria Stuart flüchten. Sie begab sich in die Obhut von Königin Elisabeth, die sie aber auf Schloß Fotheringhay gefangen setzte. Maß, das Honoré de Balzac in seiner Novelle Massimilla Doni in unnachahmlicher Weise folgendermaßen andeutet: Die Koloratur [im Belcanto] ist die höchste Ausdrucksform der Kunst, sie ist die Arabeske, die das schönste Gemach in der ganzen Wohnung ziert: ein wenig darunter, und wir haben nichts, ein wenig mehr und alles ist verwirrt. Dies ist der Hintergrund der Oper, die im Todesjahr der schottischen Königin 1587 spielt. Beide Königinnen sind in Graf Roberto Leicester verliebt, der Maria bevorzugt. Ziemlich bald steht für Elisabeth fest, daß sie ihre Kusine aus dem Weg räumen muß, da Maria auch Anspruch auf den englischen Thron hat. Die Zuneigung Robertos zu Maria beschleunigt ihren Entschluß zum Tod ihrer Widersacherin durch das Beil. Patrizia Ciofì als Maria Stuarda muß ja mit ihren Arien fast den gesamten dritten Akt gestalten. Das erfordert ungemein viel Ausdauer, kluge Atemtechnik, abgewogenen Stimmeinsatz. Und sie muß die abenteuerlichsten Koloraturen gestalten, mal mit einem Fortissimo, mal mit einem Pianissimo oder der Messa di voce, dem SchwellDiese handlungsarme Oper, deren Reichtum auf der ton, in der Tiefe wie in der Höhe. Mühelos schaffte sie die Spiegelung der Charaktere und seelischen Verfassun- hohen, über dem Chor liegenden Töne. Sie traf die Töne gen der beiden Protagonistinnen beruht, hat Donizetti auch weit auseinander liegender Intervalle messerscharf. mit überreichem Belcanto ausgestattet. Die Musik spielt Nie war ihre Stimme – etwa in der Höhenlage – schneihier womöglich noch eine größere Rolle als in seinen dend, stets war sie lyrisch und ungemein angenehm zu sonstigen Opern. Donizetti hat es gewagt, zwei Sopran- hören. Nie verlor ihre Stimme die Spannung. Alles war musikalisch ungemein ausgewogen. Bei Marianna Pizstimmen die zolato (EliHauptlast sabeth), die der Oper aneigentlich zuvertrauen. eine hohe Doch die Mezzosopgroßangeranistin ist, legten Arien konnte man und Duette Ähnliches geben erst beobachdie wirkliche ten. Sie war psycholobesonders gische Bein den Dufindlichkeit etten überder beiden zeugend. Königinnen Danilo Forwieder. Der maggia (RoErfolg hängt berto Leinur von der cester) sang StimmquaElisabeth (Marianna Pizzolato) li, bedroht Maria Stuarda (Patrizia Cofì) re seine Partie lität der Sängerinnen in deutlich prononciert und hatte einen bewundernswerden Rollen von Maria und Elisabeth ab. ten Registerwechsel, d.h. unmerklich wechselte er von Aufführung der Brust- in die Kopfstimme. Dies gelang dem Lütticher Team über alle Maßen! Beson- Die Nebenrollen waren genauso gut besetzt. Hier gefiel ders sind die Personenführung und die prächtigen Kos- mir besonders Diana Axentil als Anna Kennedy mit ihtüme der damaligen Zeit durch den Regisseur Francesco rem lyrischen Mezzo und ihrer deutlichen Aussprache. Esposito (für Regie und Kostüme verantwortlich) hervorzuheben: Die Sängerinnen und Sänger bewegten sich Die Aufführung ist eine Übernahme aus Bergamo und so lebendig, daß man die Handlung, auch ohne die Wor- Rom aus dem Jahre 2006. In Rom sah ich die Auffühte im einzelnen zu verstehen, mitverfolgen kann. Neu- rung mit der großartigen Sängerin Daniella Devia, die erdings werden die Übertitel auch in Deutsch angezeigt, damals am 25. März 2006 frenetisch gefeiert wurde (s. Operapoint 2006, Heft 2). Hier in Lüttich sind die was wir sicher als Erleichterung wahrnehmen. Opernbesucher zurückhaltender. Aber das disziplinierte Ein solches Stimmenpaar mit Patrizia Ciofì (Maria Stu- Publikum gab allen Sängern, natürlich besonders Ciofì und arda) und Marianna Pizzolato (Elisabeth), ergänzt durch Pizzolato, zum Schluß lang anhaltende Klatschsalven. Danilo Formaggia (Roberto Leicester), der durchaus ebenbürtig sang, findet man wahrlich nicht alle Tage! O. Zenner Bild: Jack Croisier Die beiden exquisiten Sängerinnen fanden das rechte 19 New York, Metropolitan Opera lich Auftritte aus dem Bühnenboden heraus, was spätestens im zweiten Akt regelrecht ermüdete. Tristan und Isolde Die gesamte große Liebesszene im zweiten Akt fand vor einem stark weiß-grünlich beleuchteten Hintergrund statt, der von dem Liebespaar lediglich die Umrisse erkennen ließ, ohne jegliche Bewegung auf der Bühne, und dürfte damit zu den einfallslosesten Inszenierungen dieser entscheidenden und immerhin mehr als vierzig Minuten dauernden Szene zählen. Einzelne Effekte wirkten unfreiwillig komisch und wurden vom Publikum dementsprechend auch mit lautem Gelächter quittiert, etwa, wenn nach dem Genuß des Liebestrankes die bis dahin in ein kaltes, weißes Licht gehüllte Bühne plötzlich tiefrot erstrahlte, wenn Isolde während ihrer Erzählung im ersten Akt plötzlich mit einer kleinen Tristan-Puppe in einem Miniaturboot hantierte, um das Erzählte zu illustrieren, und im dritten Akt Tristans Schloß Kareol – ebenfalls im Spielzeugformat und mit kleinen Pferden und Rittern dekoriert – aus dem Bühnenboden emporsteigt. von Richard Wagner, Oper in drei Akten, Text vom Komponisten; UA: 1865 München; Regie: Dieter Dorn, Bühnenbild/Kostüm: Jürgen Rose, Licht: Max Keller; Dirigent: James Levine; Solisten: John Mac Master (Tristan), Deborah Voigt (Isolde), Michelle DeYoung (Brangäne), Eike Wim Schulte (Kurwenal), Matti Salminen (Marke), Stephen Gaertner (Melot), Matthew Plenk (Stimme eines jungen Seemanns), Mark Schowalter (Hirt), James Courtney (Steuermann). Besuchte Vorstellung: 10. März 2008 (Premiere) Kurzinhalt Tristan, der tapferste Held Cornwalls, und Isolde, Prinzessin von Irland, sind füreinander in Liebe entflammt. Da sie Repräsentanten verfeindeter Länder sind, sind sie allerdings außerstande, sich ihre Liebe einzugestehen. Als Brangäne, die Zofe Isoldes, ihnen einen Liebestrank verabreicht, können sie es jedoch nicht länger voreinander verheimlichen. Ihre Liebe – Isolde ist Tristans Lehnsherrn Marke zur Ehe versprochen – läßt sich jedoch nicht verwirklichen, und so beschließen beide, den Tod zu wählen, um ihrer unmöglichen Situation zu entfliehen. Tristan stürzt sich in das Schwert Melots, als beide im Morgengrauen von Marke und seinem Hofstaat ertappt werden, und wird schwer verletzt. An seiner Wunde siechend erwartet er verzweifelt die Ankunft Isoldes, um den ersehnten Tod finden zu können. Als sie bei ihm eintrifft, stirbt er. Isolde schickt sich in ihrem Schlußgesang an der Leiche Tristans an, ihm zu folgen. Der Vorhang fällt. Mit Ausnahme von Matti Salminen (Marke), dessen gewaltige Bühnenpräsenz auch an diesem Abend das Publikum förmlich hinriß, und der Bayreuth-erprobten Michelle De Young (Brangäne) scheiterten alle Darsteller an der vom Regisseur vorgegebenen ausgesprochen pathetischen und schwerfälligen Personenführung. Darüber hinaus zeigten sich bei Deborah Voigt, die an diesem Abend ihr Debüt als Isolde gab, und John Mac Master (Tristan) Deborah Voigt (Isolde), li und Michelle DeYoung (Brangäne), re in ihren langen Monologen im ersten und Aufführung dritten Akt teilweise gravierende Mängel in der Beherrschung des deutschen Textes. James Levines Vorliebe für breite Tempi ist allgemein bekannt, doch hält sich mit Ausnahme des dritten Aktes Insbesondere Tristans berüchtigter Fiebermonolog im seine Interpretation in den Grenzen des allgemein Übli- dritten Akt mißlang gründlich, wofür Mac Master vom chen. Die Sänger – John Mac Master sprang an diesem Publikum unbarmherzig ausgebuht wurde. Das war inAbend für den erkrankten Ben Heppner ein – bieten sofern bedauerlich, als er sich an diesem Abend deutlich ohne Ausnahme musikalisch ein sehr hohes Niveau, unter Wert verkaufte. Seine Gesangstechnik und Nuanselbst die Nebenrollen waren mit Kräften besetzt, über cierungsfähigkeit, die – für einen Heldentenor völlig undie sich jedes deutsche Theater freuen würde – vor allem gewöhnlich – sich durchaus mit der eines dramatischen der Kurwenal Eike Wim Schultes ist hier zu nennen –, und Baritons messen kann, kam hier aufgrund seiner textlidennoch sprang der Funke an diesem Abend nicht über. chen Unsicherheit kaum mehr zur Geltung. Außerdem Das lag zum einen sicherlich an der ausgesprochen bie- erlaubt ihm seine enorme Korpulenz leider nur wenige deren, teilweise sogar naiven Regie. Das Bühnenbild, Bewegungen auf der Bühne. Eine Mischung aus Heitervon zwei perspektivisch zulaufenden Wänden begrenzt keit und Furcht machte sich breit, als er am Beginn des und stets monochrom beleuchtet, gestattet ausschließ- dritten Aktes auf seinem Krankenbett liegend, das offensichtlich nicht für ihn konstruiert war, aufgrund des 20 leichten Gefälles der Bühne immer weiter unaufhaltsam in Richtung Orchestergraben rutschte. Fazit Bis auf wenige Momente herrscht in dieser Inszenierung gepflegte Langeweile vor, auch wenn sich die Regie insgesamt recht eng an die Wagnerschen Regievorgaben hält und die musikalische Leistung von Orchester und Sängern wirklich über jeden Zweifel erhaben ist. Zwar ist man bei dieser Produktion vor unliebsamen Überraschungen von seiten der Regie sicher, zugleich fehlt es aber der altertümlich anmutenden Personenführung sowie der Ausstattung und Beleuchtung der Szene an Konsequenz, so daß kein überzeugendes Ganzes entsteht. Daher ist diese Produktion nur begrenzt zu empfehlen. Die derzeit in Bremen laufende Tristan-Inszenierung ist, obwohl sie in jeder Hinsicht mit ungleich begrenzteren Mitteln auskommen muß und mit einer ähnlich minimalistischen Personenführung arbeitet, der New Yorker in nahezu allen Punkten vorzuziehen. M. Knust Bild: Ken Howard New York, Metropolitan Opera Peter Grimes von Benjamin Britten (1913-1976), Oper in einem Prolog und drei Akten, Text von Montagu Slater nach einem Gedicht von George Crabbe; UA: 1945 London; Regie: John Doyle, Bühnenbild: Scott Pask, Kostüme: Ann Hould Ward, Licht: Peter Mumford Dirigent: Donald Runnicles, Chor der Metropolitan Opera, Einstudierung: Donald Palumbo; Solisten: Anthony Dean Griffey (Peter Grimes), Patricia Racette (Ellen Orford), Dean Peterson (Hobson), John Del Carlo (Swallow), Felicity Palmer (Mrs. Sedley), Jill Grove (Auntie), Greg Fedderly (Bob Boles), Anthony Michaels-Moore (Captain Balstrode), Bernard Fitch (Rev. Horace Adams), Leah Partridge u.a. Besuchte Vorstellung: 15. März 2008 (Premiere 28. Februar 2008) Patricia Racette (Ellen Orford) und Erikson Aufführung Diese rezensierte Aufführung wurde weltweit in Kinos in über fünfzehn Ländern live übertragen, was sich, um es vorwegzunehmen, als wahrhafter Glücksgriff erwies. Musikalisch und szenisch bekam das Publikum an diesem Nachmittag Leistungen auf allerhöchstem Niveau geboten, wofür es sich mit stehenden Ovationen bei dem Sänger der Titelpartie und lauten Bravorufen für Dirigent und Orchester vor dem zweiten und dritten Akt bedankte, und das völlig zurecht. Donald Runnicles vermochte es, wirklich jeden Klang der Britten’schen Partitur an diesem Abend zum Ereignis werden zu lassen. Es dürfte wohl kaum möglich sein, diese Musik noch präziser – die gestochen scharfe Phrasierung in Holzund Blechbläsern, wie sie für amerikanische Orchester bezeichnend ist, kam hier voll zur Geltung –, klanglich ausgewogener – auch in den extrem lauten und leisen Passagen – und dabei so packend und atmosphärisch dicht aufzuführen. Dem Zuhörer wurde die Wucht von See und Sturm praktisch physisch erfahrbar, man glaubte förmlich, das Salz in der Luft zu schmecken. Kurzinhalt Das kleine Fischerdorf Borough zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Fischer Peter Grimes ist angeklagt, den Tod seines Lehrlings verschuldet zu haben, was ihm jedoch nicht nachzuweisen ist. Die Stimmung im Dorf wird ihm gegenüber feindseliger, lediglich die Schulmeisterin Ellen Orford und Captain Balstrode halten noch zu ihm. Doch Grimes hat andere Pläne: Seine genaue Kenntnis des Meeres, die ihm stets erfolgreiche Fischzüge erlaubt, will er ausnutzen, um genug Geld für eine sichere Existenz auf dem Lande zu verdienen und Ellen zu heiraten. Als er einen neuen Lehrling bekommt, führt er ihn gleich mit größter Strenge in sein Handwerk ein. Zwar versucht ihn Ellen daran zu hindern, zuviel von dem Jungen zu verlangen, doch Grimes verliert darüber die Fassung und schlägt sie ins Gesicht. Seinen Lehrling scheucht er so unbedacht hinaus, daß dieser die Klippen hinunterstürzt. Doch nur wenige Tage gelingt ihm seine Geheimhaltung vom Tod des Lehrjungen, dann kommt der rasende Mob wiederum zu seiner Hütte. Grimes flüchtet aufs Meer, setzt die Segel und versenkt sein Boot in einem aufkommenden Sturm. Die Sänger boten allesamt hervorragende Leistungen und klangschöne Stimmen – lediglich Patricia Racette (Ellen Orford) bildete aufgrund ihres unangenehm starken Tremolos eine Ausnahme – und erwiesen sich darüber hinaus als äußerst versierte Darsteller. Natürlich gebührt neben Felicity Palmer (Mrs. Sedley) dem Sänger der Titelpartie, Anthony Dean Griffey, hier das höchste Lob, denn seine enorme Bandbreite in der Tongebung, vom beinahe schon sprechenden Ton bis hin zum lyri- 21 in eine Bar einlädt. Empört reagiert die Ehefrau, sie schickt ihm ein Telegramm nach Wien und droht ihm die sofortige Scheidung an. Das Telegramm erreicht ihn in einer fröhlichen Skatrunde. Ein Mitspieler, der Kapellmeister Stroh, klärt die Verwechslung auf, ihm gilt der Brief, und nicht dem Hofkapellmeister Storch. Storch schickt den Kapellmeister Stroh sofort zu seiner Frau Christine. Da klärt sich alles auf. Letztendlich folgt die Versöhnung der Eheleute. „Das nennt man doch wahrhaftig eine glückliche Ehe.“ schen, an Peter Pears – für den diese Partie komponiert wurde – erinnernden, leicht verschleierten Schmelz, paart sich mit einer großen darstellerischen Begabung, die dem Publikum diese düstere Figur in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit nahebringt. Bühnenbild, Regie und Kostüme sind halb naturalistisch und greifen sehr geschickt die von der Oper geschilderte, bedrückende dörfliche Enge auf: Die Handlung spielt auf engstem Raum, am vorderen Rand der Bühne, der durch eine gewaltige Schuppenwand, die sich über die volle Höhe und Breite der Bühne erstreckt und keinen Himmel darüber erkennen läßt, abgegrenzt wird. Die Personenführung und Choreographie ist sehr intelligent und ökonomisch, nichts, was die musikalische Dramaturgie in irgendeiner Form stören würde. Das Publikum blieb, was für New Yorker Verhältnisse völlig ungewöhnlich ist, bis zum letzten Ton und sogar noch darüber hinaus auf seinen Plätzen und feierte die Ausführenden. Im ersten Aufzug hilft Christine ihrem Mann beim Packen und geht ihm mit ihren ständigen Stimmungswechseln auf die Nerven. Als er endlich abgereist ist, rodelt sie und fährt einen Skifahrer über den Haufen, der sich als Baron Lummer vorstellt. Christine bittet den jungen Mann, sie zu besuchen. Es entsteht ein freundschaftliches Verhältnis. Als er sie um tausend Mark anfleht, ist sofort die Freundschaft beendet. Dann kommt der bewusste Brief. Fazit Aufführung Man kann der Met nur zu dieser Produktion gratulieren. Die schon beinahe hypnotische Wirkung von Runnicles’ Dirigat wird durch die unaufdringliche, kultivierte Regie Doyles verstärkt und ergänzt. Ein Muß für jeden NewYork-Besucher! M. Knust Strauss bedient sich eines wortgetreuen Parlando-Stiles. Erst am Schluß gibt es im Duett Christine/Robert ein arioses Aufblühen. Bis dahin beschränkte sich das melodische Element auf die breit angelegten sinfonischen Zwischenspiele. Altmeister Peter Schneider leitete das Opernorchester umsichtig und sehr transparent. Das Sängerensemble präsentierte sich auf gutem bis sehr gutem Niveau. Rod Gilfry als Hofkapellmeister Storch stach hervor mit seiner sonoren Baritonstimme. Auch Roberto Saccà (Baron Lummer), den wir von der Kölner Oper kennen, überzeugte mit seiner hellen, wandlungsfähigen Tenorstimme. Christiane Kohl (Christine) sang mit ein wenig scharfer Stimme. Bild: Ken Howard Zürich, Opernhaus Intermezzo von Richard Strauss (1864-1949), Bürgerliche Komödie in zwei Aufzügen, Text von Richard Strauss, UA: 4. November 1924 im Schauspielhaus Dresden; Regie: Jens-Daniel Herzog, Bühnenbild/ Kostüme: Mathis Neidhardt, Licht: Jürgen Hoffmann, Dramaturgie: Stefan Rissi; Dirigent: Peter Schneider, Orchester der Oper Zürich; Solisten: Christiane Kohl (Christine), Florian Voigt (Franzl, ihr Sohn, stumme Rolle), Rod Gilfry (Hofkapellmeister Robert Storch), Martina Welschenbach (Anna, ihr Hausmädchen), Roberto Saccà (Baron Lummer), Ruben Drole (Notar), Liuba Chuchrova (Notarsgattin), Volker Vogel (Kapellmeister Stroh), Krešimir Strašanac (Kommerzienrat), Morgan Moody (Justizrat), Pavel Daniluk (Kammersänger), Felicitas Heyerick (Marie), Besuchte Aufführung: 13. März 2008 (Premiere 9. März 2008) Die Übertitelung erfolgte in deutscher Sprache. Das war sehr angenehm, weil man die Handlung besser verfolgen konnte und den trockenen Witz des Textes verstand. Die Inszenier ung von Jens-Daniel Herzog war wohltuend am Werk orientiert. Die Drehbühne blieb leer bis auf wenige ReKurzinhalt quisiten, so war viel Platz für Eine Verwechsdie vergnüglich lung wird fein ausChristine (Christiane Kohl) und Baron Lummer (Roberto Saccà) beim Rodelunfall schauspielerngesponnen. Die den Sänger und SängeEhefrau Christine des rinnen sowie für die muntere Statisterie. Das Publikum Hofkapellmeisters findet in der Post ihres Mannes einen Brief, in dem eine gewisse Mieze Mayer ihren „lieben dankte mit lang anhaltendem Beifall. P. Sinkwitz Bild: Suzanne Schwiertz Schatz“ um zwei Opernkarten bittet und ihn nachher 22 Opernaufführungen in Deutschland Rezensionen in alphabetischer Ordnung nach Städten Aachen, Stadttheater Maddalena erliegt dem Charme des Herzogs und überredet ihren Bruder, diesen zu verschonen und statt dessen den nächsten Besucher der Gaststätte zu ermorden und als Opfer auszugeben. Gilda hat die Unterhaltung angehört und spielt den nächsten Besucher der Gaststätte. Rigoletto muß mit Erschrecken feststellen, daß der Sack, der ihm von Sparafucile übergeben wurde, nicht den toten Herzog, sondern seine sterbende Tochter enthält. Damit hat sich der Fluch Monterones erfüllt. Rigoletto von Giuseppe Verdi, Oper in drei Akten, Libretto: Francesco Maria Piave; UA: 11. März 1851, Venedig Regie: Ewa Teilmans, Bühnenbild: Elisabeth Pedross Dirigent: Daniel Jakobi, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor Jean François Borras (Herzog von Mantua), Igor Morosow (Rigoletto), Michaela Maria Mayer (Gilda), Woong-jo Choi (Graf von Monterone), Johannes Piorek (Graf von Ceprano), Martin Berner (Marullo), Andreas Joost (Matteo Borsa), Pawel Lawreszuk (Sparafucile), Iva Danova (Maddalena), Anne Lafeber (Giovanna). Besuchte Aufführung: 16.02.2008 Aufführung Kurzinhalt Die ständig wechselnden Schauplätze wurden durch Rigoletto, Hofnarr des Herzogs von Mantua, verhöhnt eine bemalte Leinwandkonstruktion aufgegriffen, die auf einem Fest den Grafen Monterone, weil dieser sei- sich drehen ließ. Zu Beginn zeigte diese das Innere einer ne Tochter Gilda geschändet hatte. Monterone verflucht Palasthalle in Olivtönen, später die Palastmauern in gelb ihn. Rigoletto kehrt zu seiner Tochter Gilda nach Hause und violett. Auch Kostüme und Lichteffekte blieben in zurück. Sie ist sein ganzer Lebensinhalt. Daher versteckt dem Farbenspektrum. Die Hofdamen trugen violette er sie vor dem Hof. .Er weiß jedoch nicht, daß Gilda Ballkleider, die Herren hatten schwarze Fracks an und schon längst das Objekt der Begierde des Herzogs ist. In hielten Gehstöcke. seiner Abwesenheit sucht der Herzog Gilda, um sie zu Zwei Welten wurverführen, wird aber den hier kunstvoll kurz vor dem Ziel von in Szene gesetzt: Rigolettos Rückkehr die an Spaß orienunterbrochen. Kurz tierte Hofgeselldarauf rächt sich die schaft auf der einen Hofgesellschaft an Riund die bürgerliche goletto, indem sie GilBeschränktheit auf da entführt. der anderen SeiDer Herzog erfährt te. Die Höflinge von den Entführern, wurden schauspiedaß Gilda sich durch lerisch vor allem einen glücklichen Zudurch Andreas fall im Palast befinJoost (Matteo Bordet und verführt sie. sa) und Martin Währenddessen forBerner (Marullo) Der Graf von Monterone (Woong-jo Choi, rechts) stört die heitere Festgesellschaft des Herdert Rigoletto von den vertreten. Beide zogs (Yikun Chung, links) und wird von Rigoletto (Igor Morosow, Mitte) verhöhnt. Höflingen die Herausstellten ihre Rolle gabe seiner Tochter, doch die Höflinge weiden sich an durch ihre sexistischen Anspielungen sehr überzeugend Rigolettos Schmerz. Gilda erscheint. Voller Scham er- dar. Hier ist auch Jean François Borras (Herzog von zählt sie ihrem Vater die Wahrheit über ihre heimliche Mantua) zu erwähnen, der mit seinem strahlenden Tenor Liebe. Obwohl sie der Herzog betrogen hat, will sie ihm der Rolle sehr viel Aristokratisches verlieh, von seinem verzeihen. Doch Rigoletto will nur noch Rache nehmen äußeren Erscheinungsbild einmal abgesehen, das wenian dem Mann, der seine Tochter entehrt hat. Er heuert ger zu einem jugendlichen Frauenhelden paßte. den Berufsmörder Sparafucile an, den Herzog zu ermor- Die bürgerliche Welt, vertreten von Igor Morosow (Riden. Vorher will er Gilda aber beweisen, daß ihr Geliebter goletto) und Michaela Maria Mayer (Gilda), spielte den in Wahrheit ein treuloser Herzensbrecher ist. Er zwingt Gegenpart. Morosows kräftige Baritonstimme verlieh sie anzusehen, wie der Herzog in einem Gasthof mit dem vom Haß und Schmerz zerfressenen Narren viel Maddalena, der Schwester Sparafuciles flirtet. Aber auch Nachdruck, doch als liebevoller Vater war die Stimme 23 weich und sanft. Mayer (Rollendebüt als Gilda) war dafür wie geschaffen; denn ihr lyrischer Sopran paßte gut zu der mädchenhaften Unschuld Gildas. Mit ihrem Aussehen (gelockte, blonde, lange Haare, schlanke Figur) entsprach sie dem Bild einer Frau mit den Zügen eines Engels voll und ganz. Woon-Jo Choi (Monterone) brachte durch seinen kurzen, aber eindrucksvollen Auftritt den Saal mit seinem schmetternden Baßbariton zum Erbeben. trifft wenig später auf Euridice. Er ergreift ihre Hand und fordert sie auf, ihm schweigend zu folgen. Dabei schaut er sie nicht an. Euridice ist verwirrt und deutet sein distanziertes Verhalten als Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Als sie ihn immer intensiver anfleht, sieht er sie an. Gleich darauf stirbt Euridice. Aus Verzweiflung will Orfeo ebenfalls sterben. Aber auch hier hat Amor Mitleid mit ihm und verhindert dies. Er erweckt Euridice wieder zum Leben und schickt das Paar zurück auf die Erde. In freudiger Stimmung wird der Triumph des Liebesgottes gefeiert. Nicht zuletzt sollte hier die Leistung des Orchesters erwähnt werden, das von Daniel Jakobi dirigiert wurde. Die Stimmungswechsel in Verdis Musik – von Erheiterung am Anfang bis Erschütterung ganz zum Schluß – wurden gut umgesetzt. Vorbemerkung Bei dieser Oper handelt es sich um ein besonderes Werk im Schaffen Glucks. Sie stellt den Versuch einer Synthese von Opera seria und der französischen Tragédie lyrique dar. Daher hat Gluck die Oper sowohl in italienischer, als auch in französischer Sprache geschrieben. Damit bricht Gluck mit der Operntradition des frühen 18. Jahrhunderts, indem er deren Künstlichkeit bzgl. der ausgedehnten Koloraturarien ablehnt. Statt dessen besticht diese Opernform durch Einfachheit und geradlinige Handlung. Leider lieferte das Programmheft des Opernhauses wenig Informationen über diese Besonderheiten der Gluckschen Oper. Das ausverkaufte Haus war tief beeindruckt. Am Ende erhob sich das Publikum sogar von den Sitzen, wobei Michaela Maria Meyer hier den stürmischsten Applaus einheimste. Fazit Die Aachener Inszenierung ist eine sehr originalgetreue Umsetzung der Oper Verdis. Man fühlte sich miteinbezogen in das Geschehen, das dank der brillanten Besetzung und der großartigen musikalischen Leistung allen Ansprüchen gerecht wurde. M. Joannidis Bild: Ludwig Koerfer Aufführung Die Inszenierung rückte die Musik ganz in den Vordergrund. Dies geschah vor allem durch eine sehr schlichte Optik von Bühnenbild und Kostümen. Aachen, Theater Orfeo ed Euridice – Opheus und Euridice Im ersten Akt blieb die Bühne, abgesehen von einer Treppe und einem Messer als Requisite, leer. Auf eine schwarze Wand (als Ersatz für einen roten Vorhang) wurde ein Film projiziert. Er zeigte die beiden Hauptdarsteller glücklich als Paar vereint. Im zweiten Akt hob sich die schwarze Wand und enthüllte eine erhöhte Konstruktion, die die Höllenatmosphäre sehr beeindruckend vermittelte. Kleine Figuren, die auf eine Walze gesteckt waren und sich um ihre eigene Achse drehten, stellten die Furien dar. Die Szene im Elysium wurde aufgegriffen durch eine Waldatmosphäre in Grüntönen. Dies blieben die einzigen bunten Effekte in dem Stück, bei dem sonst die Farbe Schwarz vorherrschte. Auch die Kostüme waren unauffällig schwarz, allein Euridice trug ein weißes Kleid. von Christoph Willibald Gluck, Oper in drei Akten, in italienischer Sprache, Libretto: Ranieri de Calzabigi, UA: 5. Oktober 1762, Wien Regie: Martin Philipp, Bühnenbild: Detlev Beaujean Dirigent: Volker Hiemeyer, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor, Solisten: Annika van Dyk (Orfeo), Zoe Nicolaidou (Euridice), SooJin Park (Amor); Besuchte Aufführung: 13.4.2008 (Premiere) Kurzinhalt Während Orfeo den Tod seiner Gattin Euridice betrauert, erscheint Gott Amor. Er bietet ihm an, in die Unterwelt zu reisen, um Euridice zurück ins Leben zu holen. Einzige Bedingung sei, daß Orfeo Euridice auf keinen Fall ansehen dürfe, anderenfalls würde er sie erneut für immer verlieren. Orfeo hat Zweifel: Wie wird Euridice wohl auf sein Verhalten reagieren? Vor den Toren der Unterwelt versperren Furien ihm die Pforten. Doch durch seinen Gesang sind die Furien so ergriffen, daß sie ihn passieren lassen. Orfeo durchDas Bild zeigt Annika van Dyk (Orfeo), Zoe Nicolaidou (Euridice, liegend) quert die Tore und 24 Stimmlich überzeugte Annika van Dyk (Orfeo) durch ihren warmen Mezzosopran, der gut zu ihrer Rolle fangener der Skythen, soll zusammen mit seinem Freund Pylades als Menschenopfer getötet werden. Durch Eingreifen der Diana wird dies verhindert und alle drei können zusammen in ihre Heimat fahren. paßte. Auch schauspielerisch konnte sie Orfeos Verzweiflung durch eine sehr überzeugende Mimik Ausdruck verleihen. Sehr auffallend war auch Soo-Jin Park (Amor), deren klarer und schmetternder Sopran eine Bereicherung für das Stück war. Die Rolle des Amors spielte sie ebenfalls sehr überzeugend, wobei sie die intriganten Züge des Gottes in den Vordergrund rückte. Sie trug ständig zwei Puppen mit sich, die Orfeo und Euridice verkörpern sollten. Durch diese manipulierte sie die beiden, wo sie nur konnte, wie bei einem Voodo-Zauber. Damit zeigte sich deutlich, wer in dem Stück die Fäden in der Hand hielt. Auch ihr Aussehen (schwarzes Lederkleid und kurze schwarze Zöpfe) unterstrich den verspielten Charakter ihrer Rolle. Aufführung Claus J. Frankl, erfahrener Operetten- und Musicaldarsteller und Regisseur, sah sich in seiner Interpretation des Gluckschen Stoffes mit einer großen Schwierigkeit konfrontiert: Geldmangel. Sein Bühnenbild, zusammengestückelte Kostüme aus allen Erdteilen und Epochen, minderten den Eindruck, den das Werk Glucks verdient. Dazu kamen noch ein paar überflüssige Regiegags, wie die Nachwuchsregelung der Diana-Priesterinnen. Die Priesterinnen trugen auch keine griechischen Gewänder, sondern glichen Samurai-Nonnen aus einem schlechten Film. Ebenso Thoas, der mal an Krücken gehen mußte, dann aber auch ohne Gehhilfen ganz bequem laufen konnte, trug Asiatisches, so daß zusammen mit dem Kostüm Iphigenies, ein weißes Fin-de-siecleKleid mit einem Zwanziger-Jahre-Mantel, der Eindruck entstehen konnte, man sei in einer schlechten Land-desLächelns-Show gelandet. Die Statisterie brachte schon mal durch ihre Gesichtsbemalung einen ersten Eindruck auf die kommende Fußball-Europameisterschaft in Österreich. Nun denn, für eine gute Inszenierung wird halt etwas Geld benötigt. Die einzelnen Figuren waren zwar durch Frankl glaubwürdig in Szene gesetzt, überzeugten aber am Ende doch nur durch ihre sängerische Leistung. Überragend Johanna Winkel als Iphigenie. Ihre angenehm timbrierte Stimme überzeugte in allen Lagen. Bohyeon Mun als Pylades, sehr deutlich zu verstehen, erstrahlte in der hervorragenden Akustik des Markgräflichen Opernhauses. Christoph Schröter (Orest) wurde nach der Pause deutlich besser. Der eigentliche Star an diesem Abend aber war die Junge Internationale Orchesterakademie unter Ulrich Meier. Das Orchester beglückte mit einem Glanz, den man in größeren Häusern so oft vermißt. Meier gelingt es immer, das Orchester den stimmlichen Bedürfnissen auf der Bühne anzupassen. Auch ist die Musikalität des Cho- Zoe Nicolaidou (Euridice) war ein weiterer Höhepunkt des Abends. Durch ihren kräftigen, metallischen Sopran konnte sie vor allem den Schmerz und die Ängste Euridikes sehr gut umsetzen. Besonders hervorzuheben ist auch die Leistung des Chores, der sehr gut mit dem Orchester unter Volker Hiemeyer zusammen agierte. Das Ende des Stückes war etwas irritierend, da es dem glücklichen Ende der Vorlage nur teilweise entsprach. Auch hier war Soo-Jin Park als Amor wieder sehr dominant. Sie versetzte dem Liebespaar einen Stoß, das sich daraufhin wie ein Uhrwerk in Bewegung setzte und im Kreis drehte. Somit wurde die Abhängigkeit von Amors Wohlwollen doch ein wenig auf die Spitze getrieben. Fazit Eine sehr schlichte Umsetzung des Stückes, die sich auf das Musikalische konzentriert. Optisch nicht unbedingt spektakulär, dafür aber fürs Hören um so mehr. M. Joannidis Bild: Carl Brunn Bayreuth, Markgräfliches Opernhaus Iphigenie auf Tauris von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) Tragédie lyrique in vierAkten, Libretto: Nicolas-François Guillard; UA: 18. Mai 1779, Palais Royal, Paris; Deutsche Fassung: Ch. W. Gluck und Johann Baptist von Alxinger (1723-81); UA (deutsch): 1781, Burgtheater Wien Regie: Claus J. Frankl, Kostümbild: Ruth Krottentaler Dirigent: Christoph Ulrich Meier, Opernorchester der Jungen Internationalen Orchesterakademie, Sonderchor der Bayreuther Festspiele Solisten: Johanna Winkel (Iphigenie), Christoph Schröter (Orest), Bohyeon Mun (Pylades), Jae Won Yang (Thomas), Nicala Becht (Diana). Besuchte Vorstellung: 30.03.2008 (Premiere 29. März 2008) Kurzinhalt Iphigenie findet nach Jahren des Dienstes im Tempel der Diana ihren Bruder Orest wieder. Dieser, ein Ge- Iphigenie und Orest im Vordergrund, dahinter der Damenchor 25 res, jeweils sechs Damen- und Herrenstimmen, besonders hervorzuheben. Stets bemüht, der Szene Ausdruck zu verleihen, sind sie dennoch immer in der Musik präsent. Der Eindruck, den die diesjährige Opernproduktion des Bayreuther Opernfestivals hinterließ, ließe sich durch eine bessere Ausstattung steigern. Hier wären Sponsoren gefordert, aber auch eine bessere Vermarktung der Opernaufführung könnte dazu beitragen, daß Bayreuth neben seinem Sommerevent auch im Frühling aus seinem kulturellen Dornröschenschlaf erweckt würde. Dem Intendanten Ulrich Schubert und seinem Team ist jedenfalls zu dieser Produktion zu gratulieren und der Iphigenie auf Tauris wäre eine längere Laufzeit zu wünschen. Ensemble wird man eine kühne, unkonventionelle, vielleicht sogar rebellische Lesart des Textes erwarten. Und die bekam man geboten. Um es gleich vorwegzunehmen: Wer mit den Operninszenierungen etwa eines Christoph Schlingensief, ihrer oft sehr lockeren, assoziativen und multimedialen Bildgebung prinzipiell nicht zu Recht kommt, für den war der Abend schon gelaufen, bevor der erste Ton gespielt war. In dem Stück sieht kein Schauplatz auch nur annähernd so aus, wie man ihn sich nach den Vorgaben des Librettos vorstellen würde. Die Darsteller bewegen sich viel und oft aufgeregt, praktisch immer sind mehr Personen auf der Bühne, als gerade singen, um stumme Aktionen auszuführen, der Umgang mit der Musik ist stellenweise sehr frei, es kommt zu Unterbrechungen mit kurzen gesprochenen Monologen (z.B. wird Heiner Müllers Gedicht Verkommenes Ufer im 4. Akt rezitiert), Laiendarsteller wirken mit (eine arabische Familie), die Darsteller werden mit Kübeln begossen, dekorieren sich gegenseitig mit Schlagsahne usw. A.M. Hauer Bild: Opernhaus Bayreuth Berlin, Komische Oper Teseo - Theseus von Georg Friedrich Händel, Oper in fünf Akten, Text von Niccolò Francesco Haym nach dem Libretto von Philippe Quinault zur Tragédie en musique Thésée von Jean-Baptiste Lully; UA: 1713 London Deutsche Textfassung: Bettina Bartz/Werner Hintze; Inszenierung: Benedikt von Peter. Bühnenbild: Natascha von Steiger, Kostüme: Katrin Wittig, Licht: Frank Evin; Dirigent: Alessandro de Marchi, Orchester der Komischen Oper; Solisten: Elisabeth Starzinger (Theseus), Marina Rebeka (Agilea), Stella Doufexis (Medea), Hagen Matzeit (Ägeus), Karolina Andersson (Clizia), David DQ Lee (Arkane) Besuchte Vorstellung: 10. Februar 2008 (Premiere) Der komplette erste und der Beginn des vierten Aktes spielen vor dem eisernen Vorhang, der Rest der Handlung auf der vollkommen mit Schlamm bedeckten Opernbühne. Allein aus diesen wenigen Beispielen wird ersichtlich, was für eine Strategie mit dieser Inszenierung verfolgt wird. Wer allerdings mit dieser zum Teil anarchisch anmutenden Ästhetik keine Schwierigkeiten hat, auf den wartete ein überaus amüsanter und darüberhinaus musikalisch bravourös gemeisterter Abend. Kurzinhalt Medea, die Zauberin aus Kolchis, liebt den athenischen Kriegshelden Theseus, der wiederum Agilea liebt. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, die beiden zu trennen, beschließt Medea, Agilea zu töten und macht sich König Ägeus zum Komplizen. Als der sich jedoch daran macht, Theseus zu vergiften, erkennt er ihn an seinem Schwert als seinen vermißten Sohn. Medea, die nun die ganze Welt vernichten will, wird durch das Eingreifen einer göttlichen Macht daran gehindert. Da es viel zuviel zu sehen und – wenn man erst einmal das Programmheft zur Hand nimmt – zu deuten gibt, um alles zu erwähnen, läßt sich der Gesamteindruck der Inszenierung in etwa so zusammenfassen: Man wird Benedikt von Peters Arbeit wegen der Freiheit seiner Deutung sicherlich einiges vorwerfen kön- Aufführung Es handelt sich bei dieser Inszenierung um das Berliner Debüt des 1977 geborenen Regisseurs Benedikt von Peter. Wie auch die anderen Kräfte seines Teams stehen die meisten seiner Sänger am Beginn ihrer Karrieren. Von einem solch jungen Stella Doufexis (Medea), vorne knieend 26 nen, aber nicht, sie sei langweilig, humorlos, ignoriere das musikalische Geschehen und sei nicht sachkundig. Das Timing der Aktionen ist – dank der hervorragenden Darsteller – brillant, so daß während der dreieinhalbstündigen Oper keinerlei Leerlauf aufkommt. Das Libretto mit seinen mitunter wenig überzeugenden Entwicklungen wird sowohl in seiner Absurdität als auch seinen ethischen Momenten ernst genommen. Bonn, Oper L´Italiana in Algeri von Gioachino Rossini, Dramma giocoso per musica, zwei Akte; Libretto: Angelo Anelli; UA: 25. Mai 1813, Teatro San Benedetto, Venedig. Regie: Andrea Schwalbach, Bühne: Anne Neuser, Kostüme: Stephan von Wedel; Dirigent: Wolfgang Lischke, Herrenchor, Einstudierung: Sibylle Wagner, Choreographie: Ulrike Schumann Solisten: Martin Tzonev (Mustafa), Anna Virovlansky (Elvira), Anjara I. Bartz (Zulma), Algis Lunskis (Haly), Jónas Gudmunđsson (Lindoro), Susanne Blattert (Isabella), Haris Andrianos (Taddeo) Besuchte Aufführung: 2. März 2008 (Premiere) Händels Stoff bietet eine Fülle verwickelter Liebesbeziehungen und besitzt zugleich eine politische Dimension, da die Oper, wie es für das 17. und frühe 18. Jahrhundert typisch ist, im Milieu der Helden, Könige und Halbgötter spielt, . Dies kommt in der Inszenierung ebenso zum Ausdruck wie der Umstand, daß die Handlung vor dem Hintergrund eines Krieges zu sehen ist, eines Krieges, der die Protagonisten zeichnet. Kurzinhalt Algier um 1810 Mustafa, der Bey von Algier, ist seiner Frau Elvira überdrüssig. Sein Vertrauter Haly soll ihm eine temperamentvolle Italienerin zuführen und Elvira mit seinem italienischen Sklaven Lindoro verheiraten. Isabella macht sich mit ihrem Gefährten Taddeo auf die Suche nach ihrem Geliebten Lindoro und strandet mit dem Schiff vor der Küste Algeriens. Haly nützt die Gelegenheit und führt Isabella seinem Herrn, der sofort von ihr hingerissen ist. Um Isabella für sich einzunehmen, ernennt Mustafa ihren „Onkel“ Taddeo zum „Kaimakan“. Mustafa, Taddeo und Lindoro beobachten Isabella heimlich bei der Toilette. Sie will sich für ihren Liebsten schön machenl. Jeder der drei bildet sich ein, er sei gemeint. Isabella verspricht Mustafa, ihn zu lieben, wenn er sich zum „Pappataci“, einem Mampfenden und Schweigenden, machen lasse. Die Zeremonie nutzen Musik und Sänger Das Orchester der Komischen Oper brachte, in historischer Aufstellung und mit historischen Instrumenten angereichert, unter der Leitung von Alessandro de Marchi einen kräftig-dunklen, dabei ungemein genau artikulierten und akzentuierten Klang hervor. Das Zusammenwirken mit den Sängern in ihren Koloraturarien, die, wie in den einschlägigen Ensembles seit ein paar Jahren üblich, in einem sehr schnellen Tempo genommen wurden, war in seiner Präzision wirklich atemberaubend. Alle Solisten wurden völlig zu Recht mit Bravorufen für ihre Leistungen bedacht. Sämtliche Sängerinnen und die beiden Counter-Tenöre verfügen über eine hochspezialisierte Technik, die ihnen gestattet, exakt phrasierte, schnelle Läufe und Figurationen ebenso souverän zu singen wie auch einen forcierten, raumfüllenden Ton zu erzeugen. Die Nuancierungsmöglichkeiten aller Sänger, etwa von Stelle Doufexis als Medea, stehen auf höchstem Niveau. Von der Regie wurde bisweilen Susanne Blattert (Isabella); Haris Andrianos (Taddeo) in ihre Partien eingegriffen, indem einige kurze Rezitativphrasen gesprochen oder nur halb gesungen und in den Arien einzelne Isabella, Lindoro und die übrigen Sklaven zur Flucht. Zu spät Töne verlängert oder Glissandi eingefügt wurden; doch erkennt Mustafa den Schwindel und fügt sich in sein Schicksal. betrifft dies nur einen sehr kleinen Teil der Partitur. Alle Aufführung Chöre und Bühnenmusiken kamen, zum Teil elektro- Die Regisseurin hat den im osmanischen Algier angesienisch verfremdet, vom Band. delten Stoff in die Gegenwart verlegt. Während der Ouvertüre klebt Isabella im grauen Kostüm, strenger Frisur Fazit und Brille, zurecht gemacht wie eine Oberlehrerin, SuchMusikalisch ist diese Inszenierung ein Traum. Sie ist jedoch plakate mit dem Konterfei Lindoros an eine Mauer. Ihr wirklich nur etwas für Leute, die offen für Überraschungen Geliebter gleicht einem Buchhalter, als er mit Mustafa sind, oder für Freunde des modernen, experimentierfreuin einer Art Kaffeehaus, eher eine Teestube mit Fischgen Theaters. In jedem Falle sehr kurzweilig. theke und Pepsi-Kühlschrank, lose angebunden sitzt. Den M. Knust Bild: Monika Rittershaus 27 Bonn, Opernhaus Mokka nimmt man aus Teegläsern zu sich. Mustafa als Macho zu erkennen, ist nicht eben originell gestaltet: Zum weißen Nadelstreifenanzug trägt er ein lila Hemd, sowie dicke Goldketten. Die Begegnung der Kulturen findet also nur im Klischee statt: Auch dann, wenn ein fliegender Teppich vorbeisaust, ein Kamel um die Ecke blickt und die von einem dickbäuchigen Eunuchen unterstützte Bauchtanzgruppe orientalischen Reiz bringen. Aus der delikat erdachten Komödie werden gut getimte Klamauknummern, die man mögen muß – oder auch nicht. Mit ihrem Sportboot krachen Taddeo und Isabella durch die Requisite. Zu Lachen gibt es also reichlich. Die schauspielerische und choreographische Darbietung der Statisterie und des Herrenchors sind glänzend. Die Haremsdamen tragen zunächst Burka, später von der Italienerin quasi „infiziert“, ebenfalls graue Kostüme, die Herren westliche Anzüge. Lindoro, der gerne seine Rechenmaschine umklammert, wirkt kalkulierbar. Alle Sklaven und Herren, das macht die schauspielerisch und sängerisch herausragende Susanne Blattert (Isabella) klar, verfallen ihr, der durch das „Schicksal gestärkten“ Primadonna. Wenn sie sich zur gemeinsamen Kaffeestunde bis auf den Unterrock auskleidet, sind nicht nur die drei Herren, sondern auch der ganze Harem wie paralysiert und auch der Kühlschrank dampft. Elvira hält den Emanzipationsschriften ihrer Zofe das kitschige Hochzeitsbild entgegen, denn für sie und Mustafa bleibt nach wie vor alles beim Alten. Das Orchester kann bis auf Details gut mithalten. Die Sänger, allen voran Susanne Blattert, können mit warmen leichtem Belcanto einnehmen, wie der im leichten Parlandostil singende Martin Tzonev (Mustafa) und der überzeugende Haris Andrianos (Taddeo), dessen Komik brillant ist. Eine gewisse Enttäuschung war Jonas Gudmundsson (Lindoro), der trotz seines schönen Tenors besonders in seiner ersten Arie die Höhen forcierte, was der Leichtigkeit von Rossinis Musik gar nicht gut stand. Anna Virovlansky verkörperte mit hellem Sopran die Partie der Elvira, Algis Lunskis (Zulma) und Anjara I. Bartz (Haly) und machten aus ihren Nebenrollen stimmlich und agierend das Beste. Margarethe – Faust von Charles Gounod (1818-1893), Oper in 5 Akten, überarbeitete Fassung 1869: Libretto: Jules Barbier und Michel Carré nach Johann Wolfgang von Goethe. UA: 19. März 1859, Paris, Théâtre Lyrique Regie: Vera Nemirova, Bühnenbild/Kostüme: Ulrike Kunze Dirigent: Wolfgang Lischke, Beethoven Orchester Bonn, Chor: Einstudierung: Sibylle Wagner; Solisten: Julia Kamenik (Margarethe), Arturo Martin (Faust), Martin Tzonev (Mephisto), Aris Argiris (Valentin), Kamen Todorov (Wagner), Susanne Blattert (Siebel). Anjara I. Bartz (Marthe Schwertlein), Besuchte Aufführung: 13. April 2008 (Premiere). Kurzinhalt Faust, im vorgerückten Alter, ist im Ringen nach Erkenntnis müde geworden. Er greift nach dem Giftbecher. In Unmut über die von draußen in seine Studierstube dringenden religiösen Gesänge ruft er den Satan herbei, der als Edelmann erscheint. Der Pakt um Jugend, Kraft und Hoffnung gegen die Seele des Wissenschaftlers wird beschlossen. Durch einen Trank verjüngt, begehrt er das Mädchen auf dem ihm gezeigten Bild: Margarethe. Ihr Bruder Valentin verläßt als Soldat die Stadt. Die Studenten Siebel und Wagner versprechen, auf Grete zu achten. Mephisto mischt die heitere Gesellschaft mit düsteren Prophezeiungen auf, es kommt zum Gerangel. Faust lernt Margarethe kennen. Mephisto verschafft Schmuck. Die geschwätzige Nachbarin redet Grete zu, ihn zu behalten. Mephisto organisiert ein erstes Treffen. Julia Kamenik (Margarethe), Arturo Martin (Faust), Martin Tzonev (Mephisto), Anjara I. Bartz (Marthe), von li nach re Fazit Das Orchester spielte, wenn auch gelegentlich etwas dominant (z.B. Finale 1. Akt), musikalisch, sieht man von der nicht gerade repräsentativen Soloflöte in der Ouvertüre einmal ab. Der Wechsel zwischen Rezitativen und Arien gelang bruchlos. Schauspielerisch war die Aufführung rundum gelungen. Die Sänger sind bis auf den Lindorodarsteller, dessen Stimme die weiche Leichtigkeit fürs Belcantofach vermissen ließ, hörenswert. Eine insgesamt auf Komik setzende Version mit umgangssprachlich übersetzten Obertiteln (etwa: Jetzt heißt es cool bleiben), die nicht auf Raffinesse, sondern auf kraftvolle Bilder à la Slapstick setzt. Margarethe wird von Faust verlassen; sie erwartet ein Kind von ihm. Der zurückgekehrte Valentin stellt den Verführer im Kampf und wird von ihm tödlich verwundet. Mephisto führt Faust auf einen Berg, den Brocken im Harz, wo während der Walpurgisnacht sinnliche Genüsse aller Art auf ihn warten. Faust hat die Vision der leidenden Margarethe und flieht mit Mephisto zu der als Kindesmörderin verurteilten Grete ins Gefängnis. Dem Drängen Mephistos zu folgen, kann sie, die tugendhaft Reine, nicht nachgeben. Mephistos Ausruf: „gerichtet“ schallt das himmlische „gerettet“ entgegen und Grete schwebt gen Himmel. F. Zink Bild: Thilo Beu 28 Aufführung der eigentlich als zweite Besetzung vorgesehene Arturo Martin (Faust). Noch scheint er der großen Partie nicht gewachsen zu sein. Martin Tzonev gab als Darsteller einen satanischen Mephisto, stimmlich hätte man sich einen profunderen Charakterbaß vorstellen können. Aris Argiris überzeugte als Valentin gänzlich, Susanne Blattert füllte die Rolle Siebels voll aus, wie Kamen Todorov und Anjara I. Bartz die von Wagner und Marthe Schwertlein. Der Chor hatte große, gelungene Szenen. Das Beethovenorchester bietet nach einer etwas erdig tönenden Ouvertüre hörbares Bemühen um einen leichten, romantischen Tonfall, aus dem sich in erster Linie fein artikulierte Holzbläserstellen herauskristallisierten. In Bonn hat man sich für die französische Version mit deutschen Übertiteln entschieden, was die musikalische Einheit verdichtet. Die Regiearbeit der Bulgarin Vera Nemirova, einer Schülerin Peter Konwitzschnys, läßt ein einigermaßen deprimiertes Publikum zurück. Bedauernswert, wenn einer Regisseurin zu der delikaten Musik von Charles Gounod mitunter platte, um nicht zu sagen, hausbackene Bilder einfallen. Das erste Bild läßt noch hoffen: Faust im hohen Raum eines Turms mit Wandtafeln, die mit mathematischen Formeln übersät sind. Er ist ein junger Mann, der sich nicht verjüngt, sondern zum Spiegelbild Mephistos verwandelt wird. Die Rolle von Mephisto wird dominant, er ist nicht nur treibende, sondern auch aktiv handelnde Kraft in der Verführungsszene. Margarethe heißt in Bonn letztlich Faust, was diese Betonung erklärt. Dennoch bleibt bei Gounod, im Gegensatz zu Goethe, Margarethe die Hauptperson. F. Zink Bild: Tilo Beu Bremen, Theater am Goetheplatz La Cenerentola – Das Aschenputtel von Gioachino Rossini (1792-1868), Dramma giocoso in 2 Akten, Libretto: Jacopo Ferretti nach dem Märchen Cendrillon ou La petite pantoufle de verre (1697) von Charles Perrault Dirigent: Markus Poschner, die Bremer Philharmoniker, Chor des Theater Bremen, Einstudierung Tarmo Vaask Regie: Michael Hampe, Bühnenbild: Christian Köpper/Andreas Hornburg, Ausstattung: Monika Gora, Kostüme: Paul Zimmermann; Solisten: Tamara Klivadenko (Angelina), Benjamin Bruns (Don Ramiro), Jan Friedrich Eggers (Dandini), Seth Keeton (Alidoro), Damon Nestor Ploumis (Don Magnifico), Nadine Lehner (Clorinda), Barbara Buffy (Tisbe) Besuchte Aufführung: 12. April 2008 (Premiere) Der Auftritt Mephistos, in hochfahrendem, rotem Ledersessel sitzend, zeigt Wirkung. Über den neuerdings in Regiearbeiten unvermeidlichen Laptop sieht Faust Margarethes Bild. Die andere Seite des „Studierzimmers“ ist das weiße Foyer einer Pflegestation für Senioren, in dem Margarethe als Pflegerin arbeitet und die Banalisierung des als romantische Oper gedachten Stoffes beginnt. Das Vestibül bleibt Kulisse bis zum vorletzten Bild, wird Schauplatz des Bacchusfestes, eine Art Weinfest mit Menschen in Lederhosen und Schürzenkleidchen plattesten Kolorits. Kurzinhalt Angelina (Aschenputtel) gibt dem als Bettler verkleideten Philosophen Alidoro zu essen und zu trinken. Sie ist selbstlos, ganz im Unterschied zu ihren Halbschwestern Clorinda und Tisbe. Alidoro hilft ihr, aufs Fest im Schloß des Prinzen Ramiro zu kommen, was ihr Vater Don Magnifico verboten hatte. Faust intoniert seine Arie Sei gegrüßet reines Heim ins Foyer hinein, was einen merkwürdigen Beigeschmack bekommt. Margarethe mit Putzeimer und Lappen im dritten Akt hängt mit Gounods zauberhafter Musik ihrem Geliebten nach. Wer möchte das so sehen? Dort wollte sie Don Ramiro wiedersehen. Denn Prinz Ramiro, verkleidet als sein Diener Dandini, hatte sich zuvor auf Brautschau zur Wohnung von Don Magnifico begeben, wo er sich in die unscheinbare Angelina verliebt hatte. Don Magnifico will aber seine Töchter reich verheiraten, weil er finanziell am Ende ist. Das eindringlichste Bild ist die Gebetsszene, in der Margarethe um Gottes Gnade fleht und die Gläubigen sich gegen Mephisto, der seine eigene, satanische Messe zu zelebrieren scheint, stellen. Valentins Rückkehr aus dem Krieg wird zu einer Miniaturparade realsozialistischer Prägung. Kinder mit Spielzeuggewehren, selbst der Nelkenstrauß fehlt nicht. Alidoro führt Angelina mit verschleiertem Gesicht aufs Fest ins Schloß. Angelina gibt zu erkennen, daß sie den Kammerdiener liebt, woraufhin der Prinz seine Verkleidung fallenläßt. Das Bacchanal der Walpurgisnacht in wilder Gebirgslandschaft ist als aus Eimern saufende Feierrunde mit blinkenden Teufelshörnchen und Papphütchen zu sehen. Margarethe wirft im Hintergrund der Party das tote Kind in eine für kühle Getränke bereit gestellte Gefriertruhe. Fausts Frage Wo sind wir? stellt man sich als Zuschauer selbst. Die Sänger Einige Zeit später arrangiert Alidoro vor Don Magnificos Haus einen Kutschunfall. Beim Betreten des Hauses erkennt Prinz Ramiro Angelina am Armreif, den sie zuvor als Geschenk von Ramiro beim Schloßfest erhalten hatte. Magnifico und seine beiden Töchter müssen mit ansehen, wie Don Ramiro Angelina zur Frau nimmt. Julia Kamenik (Margarethe) war allen voran eine wünschenswerte Besetzung, die auch schauspielerisch einiges zu bieten hatte. Über eine schöne Stimme verfügt Der Triumph der Güte wird deutlich am Ende der Oper erkennbar: Angelina vergibt großzügig ihren Schwestern und ihrem Vater Don Magnifico. 29 Vor dem Thron Benjamin Bruns (Prinz Ramiro), in der Mitte Tamara Klivadenko (Angelina) und die Festgesellschaft einfache Melodien singt, zur bravourösen Königin, die Koloraturen perlen lassen kann, eindrucksvoll deutlich. Seth Keeton (Alidoro), der die Fäden der Geschichte in der Hand hält, blieb gemäß seiner Rolle etwas im Hintergrund, symbolisch trug er einen „Wendemantel“: außen grau und innen voller Sterne. Jan Friedrich Eggers (Dandini) vertrat genußvoll seinen Herrn und stand ihm in nichts nach. Sein Baß klang sogar manchmal wohltönender als der an lauten Stellen etwas gepreßte Tenor des Benjamin Bruns (Don Ramiro). Damon Nestor Ploumis (Don Magnifico) war sowohl schauspielerisch als auch stimmlich ein Meister der Komik, ob es um seine träumerischen Schwärmereien für eine finanziell unabhängige Zukunft ging, um seine kratzfüßige Unterordnung gegenüber dem Prinzen oder um seine verschwörerische Absprache mit den Töchtern. Nadine Lehner (Clorinda) und Barbara Buffy (Tisbe) spielten die zänkischen, schnatternden, neidischen und von Selbstdarstellungszwang zerfressenen Marionettenwesen einfach umwerfend gut. Es ist wirklich schwierig, häßlich zu singen! Nach dreistündiger Aufführungszeit dann das Lieto fine (das glückliche Ende) mit einer der virtuosesten Ensembleszenen Rossinis – der angestrebte Triumph des Guten: den Bösen wurde vergeben, die Guten sonnen sich. Offensichtlich war das Publikum zufrieden: stehende Ovationen sprachen dafür. Ausnahmsweise wurde auch die Regie in den Applaus einbezogen. Man hatte eine Oper gesehen, in der sich schauspielerische und sängerische Leistung der Darsteller aufs Beste ergänzten. Aufführung Diese Produktion eröffnete in Bremen den Zyklus von Rossini-Inszenierungen. Michael Hampe brachte in seiner Inszenierung mit althergebrachten Techniken die Illusion des barocken Theaters auf die Szene zurück: drehbare Bühne, sich hebende und senkende Prospekte, künstliche Pferde und eine Kutsche, dabei vorbeiziehender Hintergrund, um das Fahren zu imitieren, sich auf der Bühne umkleidende Sänger: Durchschaubarkeit und Magie in einem. Die Kostüme, detailgenau rekonstruiert, gaben in ihrer bunten Ausführung das I-Tüpfelchen. Die Bremer Philharmoniker spielten wohltuend präzise und musizierten in hervorragendem Einklang mit den Sängern. Die Rezitative am Hammerklavier verwirklichte Karen Schulze-Koops präzise. Der Herrenchor war musikalisch exzellent vorbereitet und bot einen schauspielerisch gekonnten Spiegel für die Handlung. Die Solisten standen mit ihrer sängerischen Leistung alle auf ähnlich hohem Niveau. Ihre Koloraturen kamen gekonnt und artikulatorisch sehr verständlich in atemberaubender Geschwindigkeit daher. Nur über höchste Konzentration konnte es möglich sein, das Zusammensingen in den Ensembles mit dieser Präzision zu erreichen, eines der entscheidenden Elemente, welches die Virtuosität dieser Oper ausmachte. Tamara Klivadenko gestaltete die zwar zurückgewiesene, aber nicht widerstandslose Stieftochter Angelina nachvollziehbar. Durch ihren weiten Stimmumfang wurde die Verwandlung von schlichter Dienstmagd, die C. Jakubowski 30 Bild: Jörg Landsberg Chemnitz, Theater Aufführung Ralf Nürnberger gestaltet die „moderne“ Uraufführung Il Templario – Der Templer sehr werkgetreu. Seine Regie und Personenführung lievon Otto Nicolai (1810-1849), Melodramma in drei Akten ßen nichts zu wünschen übrig. Ein gut durchdachtes, Libretto: Girolamo Maria Marini nach Ivanhoe von Walter Scott, wenngleich auch unspektakuläres Bühnenbild und die UA: 19. September 1840, Triest einfachen, aber schön anzusehenden Kostüme trugen Regie/Bühnenbild: Ralf Nürnberger, Kostüme: Claudia Rühle Dirigent: Frank Beermann, Robert-Schumann-Philharmonie, dazu bei, den Handlungsverlauf zu verstehen, auch wenn Opernchor, Einstudierung: Mary Adelyn Kauffman man nicht am Übertitel klebt. Solisten: Kouta Räsänen (Cedrico der Sachse), Stanley Jackson (Vil Nürnberger standen ein ausgezeichnetes Sängerensembfredo d’Ivanhoe), Judith Kuhn (Rovena), Andreas Kindschuh (Luca le, ein hervorragender Chor und die aufs Beste gestimmdi Beaumoir), Hans Christoph Begemann (Briano di Bois-Guilbert), Andre Rimer (Isacco di York), Tiina Penttinen (Rebecca) te Robert-Schumann-Philharmonie zur Verfügung. AlBesuchte Aufführung: 7. März 2008 (Premiere) lein, die Tatsache der Wiederentdeckung des fast schon Kurzinhalt vergessen Werkes sollte Ehre genug sein. Vilfredo schließt sich gegen den Willen seines Vaters Wirklich außergewöhnlich an diesem Abend war die muCedrico dem Normannenkönig Richard Löwenherz an sikalische Leitung Frank Beermanns! Allen voran Stanley und nimmt mit ihm am Dritten Kreuzzug teil. Im Heiligen Jackson (Vilfredo) als Gast, der in dieser mörderischen Land wird er verletzt und von der Jüdin Rebecca gesund Partie zu seiner alten tenoralen Strahlkraft zurückgefungepflegt. Sie verliebt sich in ihn und folgt ihm heimlich den hat, unterstützt von Tiina Penttinen (Rebecca), die nach England. hier in dieser Rolle, zwischen Mezzo und Sopran gelegen, Vilfredo tritt beim Turnier in Ashby inkognito auf und ihre ganze Kunst darstellen konnte. Judith Kuhn als Robesiegt den als unbesiegbar geltenden Normannen Briano. vena: ach hätte Nicolai diese Rolle doch etwas ausführliDanach läßt er sich durch Rovena, die er schon seit langem cher gestaltet, der Abend wäre noch schöner geworden. Andre Riemers Isacco (für eine Oper ungewöhnlich: ein liebt, den Siegeskranz Tenor in einer Vaüberreichen. Rebecca terrolle) überzeugte und Isacco finden bei auf der ganzen Linie, Cedrico und Rovena und Hans Christoph Schutz vor ihren VerBegemanns Briafolgern. Der unerwarno, ein in sich Zertet aufgetauchte Briano rissener, zwischen läßt Rebecca, in die er unglücklicher Liebe seit seiner Zeit in Palästiund Pfl ichterfüllung na verliebt ist, entführen Schwankender, sang und verschleppt sie in die sich trotz unklarer Komturei der Templer. Position im Stück Briano reißt sie aus ihren Träumen an Vilf- Tiina Penttinen (Rebecca) und Hans Christoph Begemann (Briano) in der Templerkomturei in die Herzen der Opernbesucher. redo und bietet ihr ein Leben fernab der Tempelritter an. Er warnt vor der An- Gratulation auch an Michael Wittmann, der diese Oper kunft des Großmeisters, denn das würde beider Tod be- dem Vergessen entrissen hat, und an die Leitung der deuten. Rebecca bleibt standhaft und weist Briano auf eine Chemnitzer Oper, die das Wagnis einging, ein völlig unzweifache Sünde hin: das Zusammenleben mit einer Jüdin bekanntes Stück auf den Spielplan zu stellen. Möge Il Templario eine lange Laufzeit beschieden, und möge er und seinen Treuebruch gegenüber dem Templerorden. Eine Zeremonie der Templer stört Isacco und fordert die auf vielen weiteren Bühnen zu sehen sein, denn Otto Herausgabe seiner entführten Tochter. Doch der Groß- Nicolais Musik entspricht genau dem Standard der Zeit meister bezichtigt Rebecca der Hexerei und verurteilt sie um 1840. Es ist eine typisch italienische Oper. zum Scheiterhaufen. Briano verweigert jede Aussage, rät Ein Besuch dieser Aufführung lohnt sich trotz – oder Rebecca aber zu einem Gottesurteil, da er so für sie eintre- vielleicht – auch wegen der etwas auf Sparflamme geten könne. Die Templer bestimmen ihn aber zum Kämpfer kochten Ausstattung. Aber leider genießt ein Opernhaus wie Chemnitz nicht die Zuwendungen von Sponsoren für die Sache der Templer. Als Vilfredos Vater erfährt, daß Rovena ihn liebt, gibt er wie größere Häuser, die einen besseren (wenngleich nicht nach und verzeiht seinem Sohn. Vilfredo tritt als Kämpfer immer gerechtfertigten Ruf) haben. Für mich war die für Rebecca auf und erschlägt Briano. Rebecca ist frei und Premiere auf alle Fälle eines der außergewöhnlichsten erklärt, daß sie Vilfredo liebe, und lieber sterben würde, als Musikereignisse dieses Jahres. A. M. Hauer auf ihn zu verzichten. Entseelt sinkt sie zu Boden. Bild: Dieter Wuschanski 31 Dessau, Anhaltisches Staatstheater Felsensteins Regieansatz ist eher traditionell, aber keineswegs altbacken. Er erzählt die Geschichte des reinen Tores so, wie der Bayreuther Meister sie auch geschrieben hat. Eine in ihren eigenen Gesetzen verhaftete Männergesellschaft schafft es nicht, neue Wege zu gehen. Erst der Einfluß von draußen ermöglicht eine Erneuerung und Fortbestand. Dies alles gelingt ihm ohne modische Symbolik, ohne „trendige“ Umdeutungen, ohne Kostümmorgie und Komparserieschlachten. Er führt keine Regietricks vor, sondern zeigt solides Handwerk, das man heute doch so oft schmerzlich vermißt. Parsifal Musik und Libretto von Richard Wagner, Bühnenweihfestspiel Uraufführung: 26.07.1882, Bayreuth, Festspielhaus Regie: Johannes Felsenstein, Bühnenbild/Kostüme: Stefan Rieckhoff; Dirigent: Golo Berg, Anhaltische Philharmonie Dessau, Opernchor, Choreinstudierung: Helmut Sonne, Kinderchor (Leitung: Dorislava Kuntscheva); Solisten: Ulf Paulsen (Amfortas), Rainer Büsching (Titurel), Manfred Hemm (Gurnemanz), Richard Decker (Parsifal), Nico Wouterse (Klingsor), Iordanka Derilova (Kundry), Mark Bowman-Hester (Erster Gralsritter), Christian Most (Zweiter Gralsritter), Cornelia Marschall, Sabine Noack, Noerbert Leppin, Alexander Dubnov (Knappen), Cornelia Marschall, Anette Fritsch, Sabine Noack, Jule Rosalie Vortisch, Kristina Baran, Anne Weinkauf (Zaubermädchen), Sabine Noack (Stimme aus der Höhe) Besuchte Aufführung: 26. April 2008 (Premiere) Solisten und Orchester Golo Berg läßt seine Anhaltische Philharmonie leichtläufig und transparent durch Wagners Partitur fließen. Die sonst so sperrige Musik des Parsifal erreicht bei ihm eine Dynamik, die die über fünf Stunden dauernde Aufführung im Fluge vergehen läßt. Doch achtet Berg immer darauf, daß seine Sänger niemals unter dem Orchester leiden müssen. Durch kluge Tempi und Dynamikwahl wird niemand zum Forcieren gezwungen. Das Ensemble ist insgesamt deutlich besser, als man es von einem Haus dieser Größe erwarten würde, ja über eine Einspielung dieses Parsifals würde man sich sicherlich freuen. Kurzinhalt Amfortas leidet unter einer nicht heilenden Verletzung, die durch einen magischen Speer hervorgerufen worden war. Diese Wunde kann nur durch den Speer geschlossen werden, der sie auch schlug. Alle Versuche seiner Ritter Klingsor diesen Speer zu entreißen, schlugen fehl. Erst dem unschuldigen Jüngling Parsifal gelingt es, die Zaubermacht Klingsors zu brechen. Zum Lohne ernennt man ihn zum neuen König. Die Sänger, die ohne direkten Augenkontakt zum Dirigenten Zum wiederholten Male gelang agieren müssen, sind alle auf es Johannes Felsenstein und überdurchschnittlichem Niveau. seinem Bühnen- und KostümAngefangen von dem grandibildner Stefan Rieckhoff mit osen Chor, über die Knappen, einfachen Mitteln, große Oper die Blumenmädchen, die sowohl zu machen. Felsenstein setzt stimmlich als auch optisch durchdas Orchester auf die Bühne. aus anrührend sind, bis hin zu den Rieckhoff baut eine Hebegroßen Partien. Gurnemanz, Kundry, und Parsifal, von li nach re und Drehbühne auf dem OrRichard Decker (Parsifal) gibt den chestergraben auf. Einziges tumben Helden stets tonsicher, Versatzstück scheint ein Stück Treibholz zu sein, das es wenn auch mit einigen leicht unschönen Registerwechseln. aber in sich hat. Durch absolut lautlose Technik wird Rainer Büsching singt seinen Titurel aus dem Bühnenhinaus diesem Stück Holz ein primitiv geschnitztes, der einfachen Volkskunst verpflichtetes Kruzifix. Rieckhoffs tergrund ganz ohne Verstärkung deutlich und ohne Tadel. Kostüme sind stilisierte Zeitzeugnisse. So trägt Kundry Manfred Hemm (Gurnemanz) ist ein verzweifelter Ritter, zu Beginn ein römisches Kleid, die Ritter mit Metalltei- der scheinbar mühelos durch diese Riesenpartie geht. Nico len verstärkte Mäntel, der Gralszeremonienmeister ein Wouterse (Klingsor) singt seine tiefe Partie ohne jeden an die evangelische Kirche erinnerndes Gewand, wäh- Schönglanz, genau wie sie seiner Rolle entspricht. Ulf Paulrend Klingsors Anzug eindeutig katholische Elemente sen (Amfortas) verbietet ebenfalls seiner Stimme jegliche trägt. Parsifal selbst ist in Krachledernes gewandet, Am- Lieblichkeit. Seine sonst doch immer so wohltuende Stimfortas, an Seele und Leib leidend, ist am ganzen Körper me läßt er diesmal trocken, gebrochen und leidend ertönen. bandagiert. Die Kostüme wandeln sich im dritten Akt zu Einzige Dame in dieser Männerriege ist Iordanka Derilova. zeitgenössischer Kleidung um. Die Ritter in Anzügen, Sie ist die Königin des Abends. Ihre Kundry, stets aufs Genaueste textverständlich, sicher in der Intonation, perfekt Kundry im Lederkostüm, Parsifal in Jeans und Hemd. im Klang, wandelt sich von einer Furie zur mitfühlenden Aufführung 32 Frau. Ihre Stimme changiert in allen Registern und allen Facetten, so wie es diese schwierige Rolle erfordert. Von der körperlich Erschöpften, über die Verführerin im zweiten Akt, bis hin zur leidenden, zur sprachlichen Äußerung unfähig, gewandelten Frau zeigt sie wieder mal, welch großartige Sängerin und Darstellerin sie ist. menspiel mit dem Orchester. Auf der Bühne zeigt sich eine Konstruktion aus achtzehn großen fensterartigen Aussparungen, die jeweils in drei Etagen mit je drei Aussparungen einen in der Mitte gelegenen, großen, runden Bühnentunnel einfassen. Darin schwelgen Tom Rakewell (Jeff Martin) und Ann Trulove (Lydia Skourides) in ihrem Liebesglück. Fazit Die Inszenierung durch Roland Schwab macht aus Strawinskys letztem Werk seiner neoklassizistischen Phase ein Theaterstück, das den Publikumsraum mit einschließt. So agieren die Akteure teilweise von verschiedenen Publikumslogen aus und der Chor kommt seitens der Publikumseingänge auf die Bühne. Obwohl die Bühnenkonstruktion erst sehr spät wechselt, verschafft sie durch stetig neue Licht- und Farbenspiele, die harmonisch dem Konzept und dem Klang angepaßt sind, neue Eindrücke. Die sinnbildliche Zerrissenheit von Ann Trulove, ob sie ihrem Tom nach London nachreisen soll oder nicht, stellt Roland Schwab durch fünf identisch aussehende Anns dar, die auf der Bühne an Ann Trulove hin- und herzerren. Ein Meisterwerk des Theaters Dessau, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Eine Regie, die ohne Firlefanz daherkommt, dafür aber die handwerklichen Grundlagen des Theaters berücksichtigt, eine musikalische Leistung, die man sich besser nicht wünschen könnte. A. M. Hauer Bild: Claudia Heysel Dortmund Theater The Rake‘s Progress von Igor Strawinsky, Oper in drei Akten Dichtung: Wystan Hugh Auden und Chester Kallman, UA: Venedig, 11. September 1951. Regie: Roland Schwab, Bühnenbild: Piero Vinciguerra, Kostüme: Renée Listerdal, Dramaturgie: Verena Harzer Dirigent: Jac van Steen, Dortmunder Philharmoniker, Opernchor Theater Dortmund, Choreinstudierung: Granville Walker Solisten: Jeff Martin (Tom Rakewell), Simon Neal (Nick Shadow), Lydia Skourides (Ann Trulove), Vidar Gunnarsson (Trulove), Ji Young Michel (Mutter Goose), Hannes Brock (Türkenbab), Tansel Akzeybek (Sellem, der Auktionator), Georg Kirketerp (Wärter des Irrenhauses) Besuchte Vorstellung: 30. März 2008 (Premiere) Sänger Zu der gut gemachten Inszenierung gesellen sich sehr gute Gesangsstimmen. Ohne Zweifel ist die Tenorstimme von Jeff Martin (Tom Rakewell) zuerst zu nennen. Er sang den größten Teil in dieser Oper und meisterte dies wirklich vortrefflich. Seine Stimme ist klar, kräftig und von gleichbleibender Brillanz. Ebenso beeindruckend ist auch sein schauspielerisches Agieren – ein Kurzinhalt wahrer Genuß für Auge und Ohr. Der Bariton Simon Strawinsky verarbeitete hier die Geschichte, die bereits Neal (Nick Shadow) stellt mit seiner Gesangsleistung 1735 in einer Kupferstichserie des englischen Malers einen würdigen Gegenpart zu Jeff Martin dar. Er überWilliam Hogarth in England erschien. zeugt durch eine kräfDer Lebemann Tom tige, voluminöse StimRakewell sieht nicht me. Hannes Brock ein, warum er sich in (Türkenbab) hat sich das Leben einpassen trotz einer schweren soll, das sein zukünfIndisposition bereit tiger Schwiegervater erklärt, die Tenorparfür ihn entworfen hat. tie des Türkenbab zu Angespornt wird er singen, um die Premivon Nick Shadow, der ere nicht zu gefährden ihn durch eine angebund macht dies mit liche Erbschaft nach Bravour. Die SopraSimon Neal (Nick Shadow), re unten und Jeff Martin (Tom RakeLondon lockt. Dort nistin Lydia Skourides well), re unten stehend, sowie Chormitglieder als Schattenbilder bringt er ihn als dämoni(Ann Trulove) überzeugt scher Gefährte auf Abwege. Alles endet schließlich in als Sängerin ebenso wie als Akteurin. Ihre gemeinsamen Elend und Verderben und Rakewell verläßt seine Ver- Arien mit Jeff Martin sind ein harmonisches Klangerlobte Ann Trulove. Als zu guter Letzt nur noch ein teuf- lebnis. Gidar Gunnarsson (Trulove), Ji Young Michel lisches Kartenspiel seine Seele retten kann, bewahrt die (Mutter Goose), Tansel Akzeybek (Auktionator) und selbstlose Liebe von Ann Trulove Tom Rakewell davor, Georg Kirketerp (Wärter des Irrenhauses) glänzten als seine Seele zu verlieren. Doch Nick Shadow bringt Ra- Sänger wie als Akteure. kewell zum Wahnsinn. Der Opernchor beeindruckte mit den Vokaleinlagen Aufführung und sorgte gemeinsam mit der Statisterie für ein ausgeDer Vorhang öffnet sich in einem perfekten Zusam- wogenes, buntes Gesamtbild. Das Orchester unter der Leitung von Jac van Steen spielte rhythmisch wie melo- 33 disch perfekt und beeindruckte mit fein abgestimmtem Zusammenspiel zwischen Bühnenakteuren und Orchestereinsätzen. Der Einsatz eines Cembalos ist für dieses Werk Strawinskys natürlich ein Muß und wird hier von Alexandra Goloubitskaia sehr gut bewerkstelligt. durchschaut, bestellt schleunigst einen Notar, um seine Hochzeitspläne unter Dach und Fach zu bringen. Als Meister der Situation rettet Figaro die beiden Liebenden, und der Notar vermählt Rosina mit Almaviva. Bartolo geht leer aus. Fazit Insgesamt eine sehr gelungene Inszenierung mit ausgezeichneten Solisten und einem auf allen Ebenen hervorragenden Orchester. Eine Opernvorstellung, die sehr zu empfehlen ist und Genuß für Augen und Ohren bietet. Aufführung Die Übernahme aus dem Züricher Opernhaus war auch in Dresden ein voller Erfolg. Luigi Peregos Bühnenbild, seine wunderschönen Kostüme und die bezaubernden Requisiten unterstützten aufs genialste Grischa Asagaroffs Regie. Dieser transponierte Beaumarchais rebellisches Rokokostück in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts, ohne sich dabei auf eine Ära festzulegen. Seine Inszenierung spielt irgendwo zwischen den zwanziger und fünfziger Jahren. Die Ausstattung ist geprägt durch stilisierte Spanienversatzstücke. Perego baute vier Bühnenbilder auf die Drehbühne des Hauses. Vier verschiedene Fächer, durch ein paar Möbel und Versatzstücke umgewandelt zu einer Straße in Sevilla, einem Musikzimmer, einem Mädchenzimmer und einem Labor. Seine Kostüme sind einfach, aber ergänzen den Charakter der Rollen, einzig die beiden Kostüme Rosinas sprengen den Rahmen: andalusische Folklore aufgepeppt zu eleganten Designerstücken. B. Wandschneider Bild: Opernhaus Dortmund Dresden, Semperoper Il Barbiere di Siviglia von Gioacchino Rossini, Libretto: Cesare Sterbini nach der Komödie von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais; UA: 20. Februar 1816, Teatro Argentina, Rom; Regie: Grischa Asagaroff, Bühnenbild/Kostüme: Luigi Perego; Dirigent: Riccardo Frizza, Sächsische Staatskapelle Dresden, Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden, Einstudierung: Christof Bauer Solisten Kenneth Tarver (Graf Almaviva), Michael Eder (Dr. Bartolo), Vesselina Kasarova (Rosina), Fabio Maria Capitanucci (Figaro), Roberto Scanduiuzzi (Basilio), Christoph Pohl (Ein Offizier), Peter Küchler (Ambrosio), Andrea Ihle (Berta) Besuchte Aufführung: 12. April 2008 (Premiere) Sänger, Chor und Orchester Wo soll man mit dem Lob anfangen? Am einfachsten mit dem Orchester. Nach einer sensationell dirigierten Graf Almaviva liebt die schöne Bürgerliche Rosina, aber Ouvertüre ergoß er möchte nicht sich der Klang wegen seines der wunderbar Adeltitels geliebt geleiteten und werden, sondern aufs beste genur wegen seilaunten Staatsner Person. So kapelle in das bringt er ihr eiHalbrund der nes Nachts unter Semperoper. Imihrem Fenster mer in der richein Ständchen tigen Lautstärke, als Student Linstets im richtigen doro. Der FunTempo gaben ke springt über Maestro Frizza und Rosina liebt und seine Manden armen Linnen einmal wiedoro. Rosinas der den Beweis Vormund Dr. für den guten Figaro (Fabio Maria Capitanucci) hält Rosina (Vesselina Kasarova) den Schminkspiegel Bartolo hat aber Ruf dieses Orandere Pläne mit chesters. Der Chor ihr: Er möchte sie selbst heiraten. So bewacht er sie wie der Sächsischen Staatsoper brilliert in der Gestaltung ein Zerberus. Aber mit List und Tücke gelingt es Al- einer Gesangstruppe im ersten Akt ebenso wie als gut maviva in den verschiedensten Verkleidungen Zutritt gedrillte Militärtruppe. zum Hause Bartolo zu erlangen, mal als angetrunkener Auf der Bühne brillierte ein Ensemble höchster Güte. Offizier, mal als klerikaler Gesangslehrer. Immer dabei Angefangen von den kleineren Partien, Christoph Pohl ist sein Freund Figaro, der ihm auch einen Schlüssel zur (Offizier) und Andrea Ihles (Berta) bis hin zu Fabio Balkontür verschafft, damit die beiden Rosina entfühMaria Capitanucci (Figaro) waren alle Sänger aufs Beste ren können. Bartolo, der Figaros und Almavivas Pläne Kurzinhalt 34 vor. Doch Adina versucht ihn aus der Reserve zu locken, indem sie vorgibt, Belcore noch am selben Tag zu heiraten. Um das Geld für eine weitere Flasche des Liebestranks zu bekommen, verdingt sich Nemorino als Soldat bei Belcore. Bevor es Nemorino eigentlich selbst erfährt, wissen bereits die Dorfbewohner, daß er Erbe eines großen Vermögens geworden war. Also machen sich alle schönen Mädchen des Dorfs an ihn heran. Aber der naive Nemorino glaubt, dies sei allein dem Liebestrank zuzuschreiben. Er gebärdet sich als umschwärmter Mann souverän gegenüber Adina, was diese, die ihn noch liebt, völlig verunsichert. Als sie dann noch erfährt, daß er sich, um den Liebestrank zu bekommen, als Soldat verpflichtet hat, kauft sie ihn frei, gesteht ihm ihre Liebe und beide werden unter Anteilnahme des ganzen Dorfes ein glückliches Paar. gestimmt. Michael Eders Bartolo war ebenso angenehm wie Roberto Scanduzzis Basilio. Kenneth Tarvers sanfter, lyrischer Tenor gewann nach kurzer Zeit an Klang und Ausdruck, im gleichen Maß wie sein Lampenfieber schwand. Fabio Maria Capitanuccis kraftvoller Bariton gab der Rolle des Figaro Wärme und Tiefe. Seine halsbrecherische Auftrittsarie meisterte er ebenso elegant wie den Rest des Abends. Und Vesselina Kasarova? Ihre Rosina war einfach stupend. Mit dem ersten Ton gewann sie die Ohren und Herzen des fast vollbesetzten Hauses. Ihre geläufige Gurgel scheint speziell für diesen wunderbaren Rossiniklang geformt zu sein. Für ihre Koloraturen müßte man neue Wörter ersinnen, so unbeschreiblich schön war der Klang. Die Premiere schloß mit einem nicht enden wollenden Applaus in einem Haus, das sich in letzter Zeit doch mehr durch gewöhnungsbedürftige Inszenierungen auszeichnete. Durch diese Koproduktion mit dem Züricher Opernhaus dürften sich die Gemüter wieder etwas beruhigen lassen. A. M. Hauer Aufführung Die Duisburger Inszenierung versetzte das Geschehen nach der Opernvorlage in ein Bergdorf. Dementsprechend wurde das Bühnenbild gestaltet: eine Miniaturlandschaft mit Bergkulisse im hinteren Teil der Bühne, eine Almhütte im vorderen Teil. Die riesengroße Nachbildung eines nackten Frauenoberkörpers mit gigantischen blanken Brüsten ragte aus den Bergen heraus. Das sollte wohl die Liebesgöttin sein, die Vorstellung allerdings war grotesk. Bild: Matthias Creutziger Duisburg, Stadttheater L’elisir d’amore von Gaetano Donizetti, Melodrama in zwei Akten, Libretto von Felice Romani; UA: 12. Mai 1832, Mailand Regie: Andràs Fricsay/Kali Son; Bühnenbild: Tina Kitzing Dirigent: Pierre-Dominique Ponnelle, Duisburger Philharmoniker, Chor: Christoph Kurig; Solisten: Andrej Dunaev (Nemorino), Netta Or (Adina), Dimitri Vargin (Belcore), Bruno Balmelli (Dulcamara), Iryna Vakula (Gianetta) Besuchte Aufführung: 9. Februar 2008 (Premiere) Die Kostüme wurden passend zum Bühnenbild sehr farbenfroh gewählt: die Damen trugen bonbonfarbene Dirndl mit bunten lockigen Perücken, die Herren erdfarbene Almtracht. Hervorzuheben ist besonders die gesamte musikalische Leistung des Abends unter der Leitung Pierre-Dominique Ponnelles. Donizettis Musik mit ihrem lebendigen und leichten Charakter wurde überzeugend dargestellt. Ebenso beeindruckend war Andrej Dunaev (Nemorino). Die unbeholfene Schüchternheit Nemorinos spielte er mit sehr entsprechender Gestik und Mimik. Sein klarer und leicht metallischer Tenor paßte gut zur Rolle und war der Höhepunkt des Abends. Spätestens nach Una furtiva lagrima - eine flüchtige Träne, für die er stürmischen Applaus und Bravorufe kassierte, stand Dunaev als Publikumsliebling fest. Kurzinhalt Im Zentrum der Handlung steht der schüchterne Landmann Nemorino, der in die schöne Pächterin Adina verliebt ist. Diese treibt mit seiner Liebe aber nur ein Spiel und zieht ihm zunächst den Sergeant Belcore vor, der mit seinen Soldaten in ihr Dorf einmarschiert ist. Gleich macht Belcore Adina einen Heiratsantrag. Um Adina nicht zu verlieren, greift Nemorino auf die Hilfe des geschwätzigen Doktor Dulcamara zurück. Dieser war ins Dorf gekommen und verkauft unter anderem einen Liebestrank (eigentlich nur eine Flasche Bordeaux). Dulcamara gaukelt ihm vor, daß der Trank erst nach einem Tag zu wirken beginnen würde. Nemorino greift zu und trinkt sofort den Liebestrank. Durch den Alkohol übermütig gemacht, spielt er AdiNetta Or (Adina) und Dimitri Vargin (Belcore) na den Gleichgültigen 35 Der Chor, der ja im Stück sehr präsent ist, harmonierte zwar nicht optisch, dafür aber gesanglich durch sein klangliches Volumen. Netta Or (Adina) konnte nach dem ersten Akt wegen Krankheit nicht mehr weiter singen. Im zweiten Akt spielte sie die Rolle. Elena Brilova sang für sie aus der Kulisse. Ihr lyrischer Sopran war aber im Vergleich zu Ors schon im ersten Akt angeschlagener Stimme eine musikalische Bereicherung für das Stück. Bruno Balmelli (Dulcamara) setzte seine Baritonstimme sehr lautmalerisch mit Grölen, Jauchzen etc. ein. Dimitri Vargin (Belcore) wurde seiner Rolle des arroganten Belcore gerecht, obwohl er den aufmaschierenden Sergeant ein wenig überzeichnet spielte und sang. Überhaupt unterstrichen die beiden Regisseure die komischen Aspekte der Oper. Dabei waren eindeutige Gesten nicht selten: ein kleiner Po-Klatscher hier, ein unverschämtes Grabschen dort; immer mit einem leichten Augenzwinkern, so wie man es von der Opera buffa gewohnt ist. Das Publikum lachte und applaudierte mit großer Anteilnahme. zu sein. Max läßt Lilian zu sich bringen, die überrascht ist, einem Prinzen gegenüber zu stehen und glaubt, getäuscht worden zu sein. Vergeblich versucht Max, sie von seiner Liebe zu überzeugen. Während das Volk Freiheit für die Gefangene fordert, dankt Max, um sich aus der Affäre zu ziehen, ab; Lilian schlägt dagegen vor, die Revolution zu unterstützen. Als der Aufstand losbricht, will die Regentin Widerstand leisten, aber im Angesicht der entschlossenen Gegnerschaft von Max gibt sie auf und geht ins Exil. Das Volk ruft Max zum König aus und erwartet von ihm eine Verfassung. Wütend über Lilians vermeintliche Abreise verweigert er die Unterschrift und zerbricht die Feder. Da erscheint Lilian und reicht ihm eine Rose, damit er mit deren Stiel anstelle der zerbrochenen Feder das Dokument unterschreibe. Max tut es und bittet sogleich das Volk darum, das Mädchen Lilian aus dem Volk heiraten zu dürfen. Fazit Zur Operette Alles in allem eine sehr bunte, schrille und komische Umsetzung der Oper Donizettis, die musikalisch kaum einen Wunsch offen läßt und szenisch einen kurzweiligen Abend garantiert. Allein wegen Andrej Dunaev lohnt es, die Aufführung zu besuchen. Die bedeutendsten italienischen Opernkomponisten der Wende zum 20. Jh. schreiben unter dem Eindruck der Erfolge der Wiener Operetten auch Werke dieses Genres. Die Rosenkönigin ist die interessanteste und erfolgreichste der sieben Operetten Leoncavallos, die außerhalb Italiens noch auf ihre Entdeckung warten. M. Joannidis Bild: Eduard Straub Aufführung Man muß der Stadt Erfurt gratulieren: zu ihrem Opernhaus, dessen hervorragendem Orchester, seinen guten Solisten und zu seiner Leitung. Darunter gebührt einen besonderen Dank dem Intendanten Guy Montavon und dem Dramaturgen Arne Langer für die Ausgrabung der Leoncavallo-Operette. Erfurt, Oper Die Rosenkönigin - La Reginetta delle Rose von Ruggero Leoncavallo, Operette in drei Akten; Libretto von Giovacchino Forzano; UA: Rom u. Neapel 1912; Deutsche Übersetzung: Peter Brenner (Deutsche Erstaufführung); Regie: Peter Brenner; Bühnenbild/Kostüme: Hank Irwin Kittel; Dirigent: Joji Hattori, Philharmonisches Orchester und Chor, Choreinstudierung: Andreas Ketelhut, Choreographie: Rudolf Hanisch; Solisten: Besetzung: Marisca Mulder (Lilian), Susanne Roth (Anita), Carola Gruber (Mikalis), Erik Fenton (Max), Mate Solyom-Nagy (Don Pedro), Dieter Hönig (Gin) u.v.a. Besuchte Aufführung: 1. März 2008 (Premiere) In der gelungenen Dekoration von Hank Irwin Kittel brachte Peter Brenner ein sehr skurriles England und ein verschrobenes Königreich irgendwo in Europa auf die Bühne. Leoncavallo erfüllt alle Operettenklischees. Kurzinhalt Bei einem Fest in einem Londoner Park trifft das Blumenmädchen Lilian ihren Geliebten Max ohne zu wissen, daß er ein Prinz aus dem fernen Portowa ist und sich auf Bildungsreise in London aufhält. Sie verabreden, sich in Portowa wieder zu sehen. Im königlichen Palast von Portowa fordert die Regentin die Hochzeit des Prinzen Max mit Prinzessin Anita. Da trifft die Nachricht ein, daß die gerade angekommene Lilian unter dem Verdacht inhaftiert wurde, Nihilistin Marisca Mulder (Lilian) und Erik Fenton (Max) als Traumpaar 36 Carola Gruber (Mikalis) war und ist stimmlich immer ein Garant in Erfurt. Das ernste Paar – Marisca Mulder (Lilian) und Erik Fenton (Max) – waren beide in glänzender Verfassung. Das heitere Paar – Susanne Rath (Anita) und Mate Solyom-Nagy (Don Pedro) – erfreuen durch ihr bezauberndes Duett und durch angenehme Beweglichkeit. Überhaupt Beweglichkeit: Selten zuvor habe ich einen so agilen Chor erlebt wie den in Erfurt. Natürlich wäre es schön, wenn das Haus ein eigenes Ballett hätte; denn ganz kann es auch der bewegungsfreundlichste Chor bedingt. Herausgekommen ist denn auch über weite Strecken nicht mehr als eine Verballhornung des Werkes. Der Effekt, der sich z.B. durch die Jagd auf leicht bekleidete Damen mit Hirschgeweihen und Häschenohren (erster Akt) erzielen läßt, verpufft rasch. Tiefere Einblicke in das Werk lassen sich so kaum erreichen. Neuenfels scheint zudem selbst unschlüssig zu sein, von welcher Seite er sich dem Tannhäuser eigentlich nähern will. Zu der erwähnten Ironisierung kommt eine Gleichsetzung des Titelhelden mit dem Komponisten. Dieses Konzept hätte aufgehen können, denn im Tannhäuser geht es letztendlich um einen Menschen, der im Leben und in der Kunst zu Extremen neigt und bis zu seinem Tod nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen. Unbestritten ist auch, daß Wagners Figuren oft autobiographische Züge haben. Der „Wagner-Tannhäuser“ wirkt jedoch inmitten des boulevardesken Geschehens deplaziert, ebenso wie die Anspielungen auf die Entstehungszeit der Oper. Und wenn sich während des Sängerwettstreits gar Wagners Mäzen Ludwig II. persönlich mit einem älteren Wagner im Schlepptau herbemüht, ist das nicht mehr als purer Slapstick. Allenfalls aufdringlich wirkt der Versuch, bei Ouvertüre und Orchester-Zwischenspielen durch vor den Vorhang projizierte Texte den direkten Kontakt zum Publikum zu suchen, etwa beim Vorspiel zum dritten Akt: Es versöhnt, dass wir es bis jetzt miteinander ausgehalten haben. Einen Teil des dritten Aktes siedeln Neuenfels und von der Thannen in einer Irrenanstalt an: offensichtlich um zu zeigen, daß „Wagner-Tannhäuser“ nur bei denen, die den Schritt aus der Gesellschaft mit letzter Konsequenz getan haben, Liebe und Anerkennung findet. Hier gelingen dem Regisseur sogar einige stille, berührende Momente. Leider fügen sie sich kaum in das Ganze ein und lösen sich außerdem angesichts neuer überflüssiger Gags – Auftritt eines Roboters mit dem Stab des Papstes – rasch in Wohlgefallen auf. nicht ersetzen. Dennoch: die Tanznummern des Chors, und da sei besonders die “Altherrenriege“ im zweiten Akt erwähnt, sind schön choreographiert und exakt getanzt. Ein großes Lob an den Chor und seinen Leiter Andreas Ketelhut. Erwähnenswert ist auch das Sprachtraining, welches das internationale Ensemble absolviert hat. Die gesprochenen Passagen kamen deutlich herüber und die Verständlichkeit des Gesangs verlangte nicht nach einer Übertitelung. Fazit Alles in allem muß diese Produktion unter Peter Brenners Regie, gekoppelt mit einer geschickten Übersetzung und einer liebevollen Verlegung in die 80er Jahre des alten Jahrhunderts und unter der musikalischen Leitung von Joji Hattori hoch gelobt werden. Sie macht neugierig auf weitere unbekannte Operetten, und man sollte sich wünschen, daß mehr Theater den Mut aufbrächten, jenseits von Lustigen Witwen, Czardasfürstinnen, Zarewitschen und Fledermäusen Ausschau nach Entdeckenswertem zu suchen. Der Schlußapplaus sollte Anreiz genug sein. A. M. Hauer Bild: Lutz Edelhoff Essen, Aalto-Theater Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg Musik und Text von Richard Wagner, Romantische Oper in drei Akten; UA: 19. Oktober 1845, Dresden, Hoftheater Regie: Hans Neuenfels, Bühne und Kostüme: Reinhard von der Thannen, Licht: Jürgen Nase; Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Opernund Extrachor des Aalto-Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle Solisten: Scott MacAllister (Tannhäuser), Danielle Halbwachs (Elisabeth), Heiko Trinsinger (Wolfram von Eschenbach), Elena Zhidkova (Venus), Marcel Rosca (Landgraf Hermann), Thomas Piffka (Walther von der Vogelweide), Almas Svilpa (Biterolf), Rainer Maria Röhr (Heinrich der Schreiber), Michael Haag (Reinmar von Zweter), Christina Clark (Hirt), Mitglieder des Aalto Kinderchors (Edelknaben) Besuchte Vorstellung: 29. März 2008 (Premiere) Kurzinhalt Siehe Tannhäuser bei Oper Köln Inszenierung Der Essener Tannhäuser ist Hans Neuenfels’ zweite Wagner-Regiearbeit nach den Meistersingern 1994 in Stuttgart. Sein schon im Vorfeld angekündigtes Vorhaben, die Wagner-Rezeption von Klischees und Pompösem befreien zu wollen, ist durchaus lobenswert. Der Ansatz, nach komischen oder ironisierenden Elementen bei Wagner zu suchen, funktioniert im Tannhäuser jedoch nur sehr Scott Mac Allister (Tannhäuser) und Statisten 37 Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier Sänger und Orchester Scott MacAllister (Tannhäuser) verfügt über eine hell timbrierte, erfreulich schlanke Stimme, die mit ausreichend Metall und Durchschlagskraft ausgestattet ist, um alle Facetten der gefürchteten Partie souverän bewältigen zu können. Lobenswert auch die Sorgfalt, mit der er sich der Artikulation des Textes widmete – trotz eines unüberhörbar amerikanischen Akzentes. Danielle Halbwachs (Elisabeth) runder, in allen Lagen sauberer und ausgeglichener Sopran war ein Vergnügen. Da konnte Elena Zhidkova als Venus nicht ganz mithalten. Zwar gebietet sie über einwandfreie Spitzentöne, in mittlerer und tiefer Lage erwies sich ihre Stimme jedoch als steif und unflexibel. Auch die Textverständlichkeit ließ bei ihr erheblich zu wünschen übrig. Heiko Trinsinger konnte für den Wolfram von Eschenbach mit einem edlen, kräftigen und geschmeidigen Bariton aufwarten. Insgesamt fiel sein Vortrag etwas eindimensional aus, was auf eine gerade überstandene Indisposition zurückzuführen sein mag. Unter den übrigen Sängern hinterließen naturgemäß Marcel Rosca (Landgraf Herrmann) und Thomas Piffka (Walther von der Vogelweide) den stärksten Eindruck. Schauspielerisch blieben alle Solisten blaß, wenn man von einigen Ausbrüchen an Spielfreude unter den Minnesängern (Rainer Maria Röhr als Heinrich der Schreiber und Michael Haag als Reinmar) absieht. Das liegt in erster Linie an Neuenfels’ Personenregie. Er steckt viel Energie in die Choreographie seines „Bewegungschores“. Die Solisten überläßt er dabei weitgehend sich selbst. Star des Abends waren nach Scott MacAllister ganz ohne Zweifel die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz. Schon die Ouvertüre gestaltete Soltesz einfallsreich und dynamisch fein abgestuft. Seine Tempi sind zügig und flüssig, ohne zu hetzen. Es wäre reine Beckmesserei anzumerken, daß man sich im Forte mitunter noch etwas mehr Schlankheit und Transparenz gewünscht hätte. Als bestens disponiert erwies sich auch der Chor, sogar unter „erschwerten“ Bedingungen (Aufstellung im Zuschauerraum beim Einzug der Gäste). L´incoronazione di Poppea – Die Krönung der Poppea von Claudio Monteverdi, Dramma in musica, Prolog und drei Akte Dichtung: Giovanni Francesco Busenello, UA: Venedig 1642. Regie: Bettina Lell (nach einer Inszenierung von Andreas Baesler), Bühnenbild: Eckhard-Felix Wegenast, Kostüme: Susanne Hubrich, Dramaturgie: Johann Casimir Eule; Dirigent: Samuel Bächli, Neue Philharmonie Westfalen; Solisten: Wolf-Rüdiger Klimm (Amor), Claudia Braun (Poppea), Anke Sieloff (Nero), Noriko Ogawa-Yatake (Ottavia), Matthias Lucht (Ottone), Christian Helmer (Seneca), Leah Gordon (Drusilla), William Saetre (Arnalta) u.a. Eine Koproduktion mit dem Staatstheater Braunschweig Besuchte Vorstellung: 9. 3.2008 (Premiere Kurzinhalt Die Götter Fortuna (Schicksal), Amor (Liebe) und Virtu (Tugend) streiten sich, wer von ihnen die Geschicke der Menschen lenkt. Amor will beweisen: allein die Liebe. Kaiser Nero liebt Poppea, die Gattin des Praetors Ottone. Er will Poppea zur neuen Kaiserin ernennen und sich daher von Kaiserin Ottavia trennen. Als Seneca die Machenschaften Neros kritisiert, wird er zum Selbstmord gezwungen. Ottone und dessen Freundin Drusilla versuchen auf Ottavias Rat, Poppea zu ermorden. Durch Eingreifen Amors mißlingt der Mordanschlag und die Täter werden gefaßt. Ottone bezichtigt die Kaiserin Ottavia der Mittäterschaft. Beide werden daraufhin aus Rom verbannt und Nero erhebt seine Geliebte Poppea zur rechtmäßigen Kaiserin. Aufführung Ein besonderes Augenmerk dieser Inszenierung ist auf die Darstellung der Klassengegensätze im Stück gelegt: die Adligen, die nur mit ihren Gefühlen beschäftigt sind, singen italienisch, das niedere Volk der Soldaten, Ammen und Angestellten kann nur Deutsch, wohingegen der abgehobene Philosoph Seneca öfters auch in lateinischer Sprache doziert. Anke Sieloff meistert gesanglich und in den Bewegun- Fazit Musikalisch kann sich der Essener Tannhäuser mehr als hören lassen. Und ein „Skandal“ ist Neuenfels’ Inszenierung ganz sicher nicht. Es bleiben aber berechtigte Zweifel, ob er die moderne Wagner-Rezeption mit seiner Deutung einen Schritt nach vorn gebracht hat – und ob das Publikum von dieser Inszenierung mehr in Erinnerung behält als ein paar Albernheiten. E. M. Ernst Bild: Matthias Jung William Saetre (Arnalta), Claudia Braun (Poppea), Wolf-Rüdiger Klimm (Amor) 38 Greifswald, Theater Vorpommern gen ihre Rolle als Nero sehr gut. Ein echtes Mitfühlen während der Liebeszenen zwischen Nero und Poppea konnte aber nicht aufkommen, obwohl Claudia Braun (Poppea) gesanglich wie auch durch ihr attraktives, verführerisches Äußeres, grandios ist. Das Schlußduett der beiden, in welchem das auf Erden wie im Himmel widerhallende Glück von Poppea und Nero besungen wird, ist ein musikalischer Höhepunkt. Das geht einem wirklich unter die Haut! Noriko Ogawa-Yatake (Ottavia) bringt gesanglich eine durchgängig gute Leistung und ist ihrer Rolle angemessen stimmlich unauffällig. William Saetre (Arnalta) überzeugt durch eine kecke Stimme und das teilweise witzig vorgetragene Parlando. Leah Gordon (Drusilla), Daniel Wagner (1. Soldat/Schüler), Jan Ciesielski (2. Soldat/Schüler) und Artur Grywatzik (Schüler) machen aus ihren Nebenrollen stimmlich und agierend das Beste. Christian Helmer (Seneca) entspricht mit seiner voluminösen Baßstimme den zur Zeit Monteverdis typischen Stimmencharakter eines würdigen, weisen Philosophen. Der Counter-Tenor Matthias Lucht (Ottone) entspricht mit weicher, chromatisch schmiegsamer Melodik in seinen Gesangspassagen der Rolle eines zaudernden Ottone grandios. Wolf-Rüdiger Klimm (Amor) erinnert in seinem auffällig kitschigen Silberpaillettenanzug mit Ballonrock, Flügeln und Plateaustiefeln eher an das Bühnenoutfit der 1970er Jahre und überschattet damit seine gesangliche Leistung. Insgesamt sind flippige Kostüme, Kleidung aus den 1950er Jahren bis zurück zu barock anmutender Kostümierung, bunt nebeneinander gruppiert. Das Orchester unter der Leitung von Samuel Bächli verdient das größte Lob. Von Monteverdis L´incoronanzione di Poppea ist nämlich nur Singstimme und Baßlinie überliefert. Erst durch die Instrumentation von Samuel Bächli und Kai Tietje ist sie für die Aufführung außerordentlich eindrucksvoll hergerichtet worden. Die Gratwanderung zwischen der Aufführungspraxis Alter Musik und heutiger Musizierpraxis ist grandios gelungen. Kai Tietje und Samuel Bächli zaubern mit ihrer Kammermusikgruppe von 22 Musikern ein perfektes Zusammenspiel zwischen historischen Klangquellen wie Blockflöten, Laute, Truhenorgel und authentischen Streichinstrumenten einerseits und Klarinetten, Klavier, Akkordeon und Vibraphon von heute andererseits. Hinzu kommen noch Oboen, Fagotte und Posaune. Ein gewagtes Unternehmen, das manchmal sehr ein anti-monteverdisches, aber durchaus wohlklingendes Ergebnis hervorruft. Allemal kooperieren die Musiker gut miteinander. Sie verstehen es, Rhythmik, Harmonik und Melodik meisterhaft darzubieten. Fidelio von Ludwig van Beethoven, Oper in 2 Aufzügen, Text: Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke nach der Oper Léonore ou l’amour conjugal von Pierre Gaveaux und Jean Nicolas Bouilly UA: (3. Fassung): 1814 Wien Regie: Anton Nekovar, Bühnenbild/Kostüme: Sabine Lindner; Dirigent: Mathias Husmann, Philharmonisches Orchester Vorpommern, Singakademie Stralsund und Opernchor des Theaters Vorpommern, Einstudierung: Thomas Riefle, Günther Wolf Solisten: Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan), Benno Remling (Don Pizarro), Bernhard Leube (Rocco), Eva Resch (Marzelline), Noriyuki Sawabu (Jaquino), Bryan Rothfuss (Don Fernando), Bernd Roth (Erster Gefangener), Volker-Johannes Richter (Zweiter Gefangener) Besuchte Vorstellung: 5. April 2008 (Premiere) Kurzinhalt Marzelline, Tochter des Gefängniswärters Rocco, liebt den Gehilfen Fidelio, der sich durch Fleiß und Geschick auszeichnet. Tatsächlich handelt es sich bei ihm jedoch um eine verkleidete Frau, Leonore, die sich in das Gefängnis eingeschlichen hat, um Kontakt zu ihrem Gatten Florestan, einem politischen Gefangenen, der seit Jahren im tiefsten Verließ sitzt, zu bekommen. Als eine königliche Inspektion des Gefängnisses angekündigt wird, entschließt sich der Gouverneur Don Pizarro, der Florestan widerrechtlich festhalten läßt, Florestan zu töten, um seinen gefährlichsten Widersacher aus dem Weg zu räumen. Dank des Vertrauens des Gefängniswärters Rocco darf Leonore zu ihrem Gatten herabsteigen, gerade im rechten Moment, um ihm das Leben zu retten. Don Fernando, der Abgesandte des Königs, trifft in diesem Moment ein, nimmt Pizarro gefangen, verspricht eine Aufarbeitung von dessen tyrannischer Herrschaft und entläßt Florestan in die Freiheit. Aufführung Die für Greifswalder Verhältnisse aufwendig ausgestattete Inszenierung des Intendanten Anton Nekovar ist, das muß man vorab sagen, als sehr gelungen zu bezeichnen. Sie macht den Genrewechsel, der im Text des ersten Akts angelegt ist, durch einen originellen Einfall deutlich: Wenn der Vorhand sich öffnet, bietet sich ein Bild wie in einer Inszenierung des 19. Jahrhunderts: Bemalte Leinwände zeigen das Gefängnisgebäude im Hintergrund, davor singen die Solisten im historischen Kostüm. Das berühmte kanonische Quartett Mir ist so wunderbar wurde durch die Lichtregie und eine musikalisch fein abgestimmte Vortragsweise aller Beteiligten sehr deutlich und durchhörbar. Dann, während des Terzetts Gut, Söhnchen, gut ändert sich das Bild vollständig. Von der Decke werden eine Vielzahl von Uniformen herabgelassen, aus denen sich die drei Solisten schwarze Jacken mit der Aufschrift „Security“ heraussuchen. Die Leinwände werden hochgezogen, und wir befinden uns für den Rest des Abends im 21. Jahrhundert, genauer: in einem Gefängnis des 21. Jahrhunderts: Steril und klinisch geht es hier zu, kahle Wände, kaltes Neonlicht. Fazit Die Aufführung wirkt insgesamt sehr solide. Ein großer Applaus am Schluß der Premierevorstellung blieb aus. Die Umsetzung des Stücks in der gebotenen Form ist sicherlich eine Geschmacksfrage. B. Wandschneider Bild: Majer-Finkes und Rudolf Finkes 39 Ein Gefangenenchor in orangefarbenen Uniformen singt von einer Einheit mit Maschinengewehren. Diese Einheit besteht aus jungen Männern im Outfit privater Wachdienste, woran wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt haben. Der Bezug auf das Foltergefängnis von Guantánamo ist sofort deutlich – und die zeitlose Aktualität von Beethovens Oper wird ein weiteres Mal eindrucksvoll belegt. Politische Gefangene, für die kein Recht gilt, gehören – wie vor 200 Jahren – zu unserer Realität. Hier regiert ein eleganter und eiskalter Don Pizarro, überzeugend dargestellt von Benno Remling, einem der besten Akteure des Opernensembles. Florestan wird in einem unterirdischen Hochsicherheitstrakt verwahrt, seine Verzweiflung wirkt bedrückend realistisch. Die lange Schlußszene mit großem Chor, die wegen ihres utopischen Gehalts schwer umzusetzen ist, gelang szenisch und vor allem musikalisch. Das Philharmonische Orchester Vorpommern brachte Beethovens Musik souverän und mit Verve zum Erklingen, und das in der sehr trockenen, keinen Fehler kaschierenden Akustik des Greifswalder Theaters. Das vor gut einem Jahrzehnt durch Fusion entstandene Orchester hat seit dem Engagement Mathias Husmanns eine erfreuliche Entwicklung genommen. Was die musikalische Leistung der Solisten angeht, darf man natürlich nicht das Niveau eines Großstadttheaters erwarten. Zwar verfügen Anna Ryan (Fidelio) und Michael Renier (Florestan) über sehr kräftige, klangvolle Stimmen, doch wirkte vor allem Reniers Einsatz seiner Mittel unausgeglichen, beinahe so, als würde er zu sehr an die Verhältnisse eines großen Hauses gewöhnt sein. Mitunter war das Orchester bei seinen Fortissimo-Einsätzen nicht mehr zu hören, und seine Aussprache des Deutschen ist leider noch nicht sehr deutlich. Dafür aber meisterte er die gefürchtete Schlußstretta seines Monologs Zur Freiheit, zur Freiheit vollauf. Anna Ryan verfügt wie er über eine sehr solide Technik, die sie mit Sicherheit auch im hochdramatischen Fach mit Erfolg einsetzen kann. Am schwächsten war die sängerische Leistung von Bryan Rothfuss (Don Fernando). Darstellerisch gingen die Solisten und Choristen ganz in der ihnen von der Regie gestellten Aufgabe auf. Szenen- und ein langer Schlußbeifall ließen keinen Zweifel daran, daß diese Produktion vom Publikum mehr als dankbar angenommen wird. Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan) Fazit Musikalisch wird eine – für ein kleines Theater – ordentliche Leistung geboten, vom Orchester sogar eine sehr gute, dazu eine Inszenierung mit Tiefgang und weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Häuser. Kleine Bühne, großer Wurf! M. Knust Bild: Theater Vorpommern Koblenz, Theater der Stadt Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti, Dramma tragico in 3 Akten; Libretto: Salvatore Cammarano, nach dem Roman The Bride of Lammermoor (1819) von Sir Walter Scott; UA: 26. 9. 1835, Teatro San Carlo, Neapel Regie und Bühnenbild: Hans Hoffer, Kostüme: Gera Graf Dirigent: Anton Marik, Staatsorchester Rheinische Philharmonie Solisten: Estelle Kruger (Lucia), Guillermo Dominguez (Edgardo), Alexander Polakovs (Enrico), Michael Burt (Raimondo), Monica Mascus (Alisa), Max An (Arturo), Ji-Soo Kim (Normanno) Besuchte Aufführung: 29. Februar 2008 (Premiere) Kurzinhalt Die schottischen Familien Ravenswood und Lammermoor sind verfeindet. Doch Lucia di Lammermoor hat sich in Edgardo, den letzten Erben von Ravenswood, verliebt. Sie trifft sich heimlich mit dem Geliebten am Brunnen, wo sie sich gegenseitige Treue schwören. Lucias Bruder Lord Enrico aber will sie mit dem reichen Lord Arturo Bucklaw verheiraten, um die Familie aus ihrer verschuldeten Lage zu retten. Inzwischen schreibt Edgardo, der sich als Botschafter in Frankreich befindet, Briefe. Einen davon fälscht ihr Bruder. Darin gesteht Edgardo Lucia, daß er eine andere lieben würde. So unterschreibt Lucia schließlich den Ehevertrag mit Arturo. Während der Hochzeitsfeier taucht Edgardo plötzlich auf und fragt sie, ob es stimme, daß sie einen anderen lieben würde. Als Lucia das bejaht, gibt er ihr 40 durch ein eierförmiges, leicht schräg liegendes Loch in einer schwarzen Wand zu sehen – auch eine Möglichkeit, den Brunnen darzustellen, vor dem sie stehen. Alisa zieht ihr zuvor ihre Jacke an – allerdings mit der Öffnung nach hinten. Dies erinnert unweigerlich an eine Zwangsjacke. Und so ziehen sich die Assoziationen an Lucias Wahnsinn durch das gesamte Stück. Vor allem gegen Ende erweckt der Bühnenbildner die Vision einer Irrenanstalt: Raimondo wird als Greis im Rollstuhl umher geschoben, das Ensemble trägt weiße Kittel, Lucia zieht ihre Perücke aus, unter der ein kurzgeschorener Haarschopf erscheint, Edgardo schlitzt sich am Ende die Pulsadern auf. Für Lucias Wahnsinn läßt sich Hoffer ein eindringliches Bild einfallen: Als sie während der Feier den Saal betritt, trägt sie ein leuchtend rotes Kleid und eine rote Perücke und schleift den toten Körper Arturos hinter sich her. Sie zieht das Kleid aus, unter dem sie ein weißes, blutverschmiertes Nachtgewand trägt. Dann stimmt sie, auf dem Leichnam sitzend, die Wahnsinnsarie an. den Ring zurück. Noch in der Nacht fordert Enrico Edgardo zum Duell. Die feiernde Hochzeitsgesellschaft wird geschockt durch die Mitteilung, Lucia habe ihren frisch Vermählten getötet. Diese erscheint mit blutverschmiertem Kleid im Saal. Sie ist dem Wahnsinn verfallen. Zu spät erkennt Enrico, was er seiner Schwester angetan hat. Heimkehrende Hochzeitsgäste berichten Edgardo, der im Morgengrauen auf Lord Enrico zum Duell wartet, Lucia sei wahnsinnig geworden. Kurz darauf verkünden die Glocken ihren Tod. Edgardo beschwört seine Liebe zu Lucia und nimmt sich das Leben. Aufführung Die Liebe zwischen Lucia und Edgardo ist von Anfang an zum Verderben verurteilt. Es ist die tragische Geschichte einer u n t e r d r ü ck t e n Frau, die von allen zu deren Vorteil ausgenutzt wird. Nach Auffassung des Regisseurs Hans Hoffer will Enrico Lucia des Ruhmes und Geldes wegen verheiraEstelle Kruger ten und Edgardo (Lucia) liefert sie als Trophäe eine meisterliche Estelle Kruger (Lucia) sitzt auf dem Leichnam ihres Gatten, im Hintergrund die zerfallene Maske. besitzen. Sie verHauptfigur ab. leugnet ihre große Die gebürtige Liebe und damit ihr eigenes Ich. Und schließlich flüchtet Südafrikanerin besticht durch eine gute Dynamik. Vor sie sich in den Wahnsinn. Es ist das erste Mal, daß Lucia allem ihre Koloraturen in der Wahnsinnsarie sind ein Gesein kann, was sie will: frei. nuß und begeistern das Publikum. Ihr Zusammenklang Die Wahnsinnsarie im dritten Akt ist der Höhepunkt der mit der Flöte ist perfekt. Auch Guillermo Dominguez Oper, und daraufhin hat Hans Hoffer (auch Bühnen- (Edgardo) erfreut mit einer sehr angenehmen Stimme. bildner) seine Inszenierung auch ausgelegt: Die Bühne Sein Spiel, vor allem in der letzten Szene, ist überaus ist spartanisch eingerichtet. Im Mittelpunkt steht eine überzeugend. Man kauft ihm zweifellos den feurigen überdimensionale weiße Maske, die das Gesicht und den Liebhaber ab. Alexander Polakovs (Enrico) singt einen Verstand der Lucia darstellt. Zu Beginn der Oper flüch- zornigen, rachsüchtigen Enrico. Vor allem zu Beginn ist tet sie sich immer wieder darauf wie auf eine schützen- seine Stimme etwas zu schrill. Michael Burt (Raimondo) de Insel. Bei der Hochzeitsfeier schließlich ist die Maske singt als satter, ansonsten recht unauffälliger Baß. Auch in einzelne Teile zerfallen – genau wie Lucias Verstand das restliche Ensemble fügt sich gut ein. Dirigent Anton Marik dem Wahnsinn verfallen ist. gelingt es gut, die verschiedenen Stimmungen der Musik aus Schon während der Ouvertüre deutet Hoffer das Schick- dem Orchester herauszulocken. Die Streicher überzeugen, die sal der Lucia an: Ein Fadenkreuz wird auf die Bühne Bläser sind an manchen Stellen ein wenig unsauber. projiziert, und dahinter erkennt man eine Figur, die wie Fazit durch eine Wärmebildkamera betrachtet, langsam hin Eine durchaus gelungene, aussagekräftige Inszenierung und her durch den Raum schwebt. Dazu erklingen die mit einer überzeugenden Lucia und einem ansonsten zuunheilvollen Töne des Orchesters. frieden stellenden Ensemble und Orchester. Und noch einen dramaturgischen Kniff wendet Hoffer J. Korst an: Als Edgardo und Lucia sich nachts treffen, sind sie Bild: PIELmedia 41 Köln, Oper Die Kostüme sind schlüssig aus dem jeweils dargestellten Zeitabschnitt deutscher Geschichte gewählt, Charlestontänzer sind dadurch genauso legitimiert wie NS-Uniformen und FDJler. Rotter von Torsten Rasch, Oper in zwei Akten, Text: Katharina Thalbach und Christoph Schwandt nach Thomas Brasch; Regie: Katharina Thalbach, Bühnenbild: Momme Röhrbein; Dirigent: Hermann Bäumer, Gürzenich-Orchester Köln, Opernchor Köln Solisten: Hans-Georg Priese (Rotter), Albert Bonnema (Lackner), Regina Richter (Elisabeth), Ulrich Hielscher (Fleischer), Shannon Chad Foley (Hauptmann), Johannes Beck (Vorsitzender), Alexander Fedin (Kunde/ Polizist/Maschke), Stefan Kohnke (Rotmaler), Hauke Möller (Grabow/1. Arbeiter), David Pichlmaier (Tetzner/2. Arbeiter), Jong Min Lim (Kutz/3. Arbeiter), Julia Giebel (Fräulein Berthold), Machiko Obata (Radio) Besuchte Aufführung: 23. Februar 2008 (Uraufführung) Katharina Thalbachs Regie orientiert sich nah an den Konventionen des Schauspiels, was für eine Oper, die sich politischen Themen widmet, mehr als angebracht ist, um den Handlungsstrang klar, direkt und ohne unnötige Ausschmückungen darzustellen. Daneben frischen innovative Elemente, die durchaus durch den Text begründet sind, wie Samba tanzende Schweine, das Gezeigte auf. Kurzinhalt Komposition Du bist der Gleiche geblieben, der du immer warst. Diese Erkenntnis am Ende des Stücks liest sich wie ein Fazit aus den letzten zwei Stunden Operngeschehen, aber auch aus einem gesamten Menschenleben. Karl Rotter, ein Kind der Weimarer Republik, durchläuft verschiedene Stationen des Zeitgeschehens des 20. Jahrhunderts in Deutschland: Erst ist er Metzgerlehrling, dann im SS-Hemd und schließlich Baustellenleiter in der noch jungen DDR. Daneben bestimmen ihn eine gescheiterte Ehe mit Elisabeth, eine Haßliebe zu seinem Gegenspieler Lackner und die über Jahre hinweg quälende Frage, ob das Kind, das Elisabeth nicht bekommen hat, von ihm oder doch von Lackner war. Torsten Rasch beweist mit seiner ersten Oper einen originellen Geist. Er weiß mit der menschlichen Stimme umzugehen und traditionelle Opernelemente sinnvoll einzusetzen. Während im größten Teil der Oper der syllabische Stil überwiegt, dienen z.B. Melismen der Textausdeutung, ein Wort besonders zu betonen, so geschehen beim Erwähnen des Führers, bei dem durch eine aberwitzige Koloratur die Verbundenheit und Bewunderung Rotters für diese Person ausgedrückt wird. Das Instrumentarium ist besonders in den tiefen Lagen Rotter will immer weiter machen, auch, wenn um ihn herum alles schon mit neuen Dingen beschäftigt ist. Er läßt sich benutzen, ohne es zu merken, wird er lästig, schickt man ihn in den Ruhestand. Selbst im Angesicht des Albert Bonnema (Lackner) und Arbeiter (Opernchor) Todes will er wieder von neuem anfangen. Er ist der Gleiche geblieben, und im Schlagwerk erweitert. Die dadurch entstehenden klanglichen Möglichkeiten stimulieren sehr genau auch wenn sich um ihn alles verändert hat. das Gefühl (die Affekte): So dient ein Glissando in den Inszenierung Streichern dazu, Rotters Zurückstreichen der Haare, um Ein ständiges Kommen und Gehen beherrscht das Ge- dem Führer zu ähneln, zu untermalen, Hammerschläge schehen. Da liegt es nahe, die Haupthandlungsstätte auf der Baustelle werden lautmalerisch im Schlagwerk eines Bahnhofs als Bühnenbild dominieren zu lassen. dargestellt. Nahezu symbolhaft ist der Einsatz der CelesGeschickt lassen sich die Stahlkonstruktionen, die an ta [Tasteninstrument, bei dem Metallstäbe angeschlagen Stützen einer Bahnhofsüberdachung erinnern, im zwei- werden], die immer dann erklingt, wenn die Alten Kinder ten Akt zu einer Baustelle neu herrichten, zumal auch im Chor auftreten, vergleichbar mit dem kommentierenhier das Motiv der Eisenbahn in Gestalt einer Werksbahn den Chor des antiken griechischen Dramas. Aber auch erneut auftritt. 42 wenn Kinder agieren oder ein Kinderlied angestimmt wird, erklingt das Schlagwerk der Celesta wie eine Spieluhr aus der Ferne. Köln, Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg Musik und Text von Richard Wagner, Romantische Oper in drei Aufzügen. UA: 19. Oktober 1845, Hoftheater Dresden Regie: Jasmin Solfaghari, Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann, Kostüme: Mechthild Seipel; Dirigent: Markus Stenz, Gürzenich-Orchester und Chor der Oper, Einstudierung: Andrew Olivant Solisten: Andreas Hörl (Hermann, Landgraf), Torsten Kerl (Tannhäuser), Miljenko Turk (Wolfram von Eschenbach), Martin Homrich (Walter von der Vogelweide), Andrés F. Orozco Martinez (Heinrich der Schreiber), Daniel Henriks (Biterolf), Wilfried Staber (Reinmar von Zweter), Camilla Nylund (Elisabeth), Dalia Schaechter (Venus), Susanne Nieblung (ein junger Hirt) u.a. Besuchte Aufführung: 15. März 2008 (Premiere) Insgesamt ist die Komposition freitonal, es treten jedoch auch kurze lyrische Passagen auf, die ein tonales Zentrum aufweisen. Diese Stellen sind gezielt gesetzt und dienen der Textverdeutlichung, z.B. während der Deportation von Juden. Durch diese kurzen tonalen Momente erscheint der Aufbruch ins Freitonale noch krasser und der Zuschauer verliert sich nicht im bloßen Zuhören, sondern wird immer wieder zum genauen Hinhören aufgefordert. Besonders imponierend ist das Orchesterzwischenspiel vor der fünften Szene des ersten Aktes. Hier wird das Kriegstreiben lautmalerisch ausgedeutet. Dazu findet auf der Bühne eine groteske Engführung von Schlacht, Tänzerinnen, spielenden Kindern und Schneegestöber statt, was den beklemmenden Charakter der Musik unterstützt. Kurzinhalt Beim Erwachen aus tiefem Schlaf weiß Tannhäuser nicht, wie lange er schon bei Venus weilt. Doch er sehnt sich zurück nach der Menschenwelt. Schließlich findet er sich in einem schönen Tal wieder. Der Landgraf und die Ritter, von der Jagd zurückkommend, finden ihn und begrüßen ihn freudig. Als Wolfram ihm von der auf ihn wartenden Elisabeth berichtet, geht Tannhäuser mit ihnen auf die nahe gelegene Wartburg. Hier trifft Tannhäuser auf Elisabeth. Sänger Die Besetzungswahl ist weitestgehend überzeugend. Leider gelingt es nicht allen Sängern, insbesondere in den Nebenrollen, über das in Extremlagen spielende Orchester hinweg in den Zuschauerraum vorzudringen. Die Vorschrift beim Sängerwettstreit ist, das Wesen der Liebe durch die Lieder zu beschreiben. Die Minnesänger Wolfram, Walther und Biterolf tragen ihren abstrakten, moralisierenden Liebesbegriff vor. Tannhäuser antwortet, jedes Mal immer hitziger, auf die einzelnen Sänger und setzt dagegen seine Ansicht von irdischer, sinnlicher Liebe, die er beglückt erlebt hat. Sein Preislied auf Venus ist der Höhepunkt. Beeindruckend ist die Leistung von Hans-Georg Priese in der Rolle des Karl Rotter. Nahezu in jeder Szene muß er stimmlich und schauspielerisch präsent sein. Da er vor drei Jahren vom Baritonfach ins schwere Tenorfach wechselte, beherrscht er auch die verhältnismäßig tiefen Passagen einwandfrei. Regina Richter (Elisabeth) brilliert mit ihrem klaren Mezzosopran und weiß ihn sowohl verführerisch, als auch energisch und verbittert einzusetzen. Einzig die Wahl, die Figur Lackners, dessen Partie überwiegend im Parlandostil geschrieben ist, mit dem aus den Niederlanden stammenden Albert Bonnema zu besetzen, bleibt bisweilen fragwürdig. Gerade in einem Stück, in dem beinahe jedes Wort von politischer Relevanz ist, sollte besonderer Wert darauf gelegt werden, daß, trotz der mitlaufenden Übertitel, das Gesungene durchweg verständlich ist. Darüber sind die Minnesänger so aufgebracht, daß sie ihn mit dem Tod bedrohen. Doch Elisabeth, obwohl bis ins Herz durch Tannhäusers Aufenthalt bei Venus getroffen, stellt sich zwischen die Kontrahenten. Tannhäuser wird ausgestoßen und zur Bußfahrt nach Rom gezwungen. In der Zwischenzeit betet Elisabeth für Tannhäusers Seelenheil. Im Herbst kehrt er ohne die Pilger allein zurück. Er ist zutiefst enttäuscht, denn der Papst konnte ihn von seinen Sünden nicht lossprechen. So will er in den Venusberg zurückkehren, doch Wolfram erinnert ihn an die sterbende Elisabeth. Tannhäuser besinnt sich und stirbt in den Armen Wolframs als Erlöster. Das Gürzenich-Orchester Köln erweist sich unter der Leitung von Hermann Bäumer als überaus fähig, den Ansprüchen einer durchdachten Komposition gerecht zu werden. Der Chor der Oper Köln kann insbesondere in den sphärisch anmutenden Passagen durch einen äußerst homogenen Klang überzeugen. Aufführung Die Vorstellung der Teheranerin Jasmin Solfaghari zur Darstellung einer Romantischen Oper nachzuvollziehen, verlangt Ungewöhnliches: Wir sehen eine Einheitsbühne, die am ehesten einer Sparkassenhalle gleicht, beleuchtet mit Neonröhren, möbliert mit einer schwarzledernen, rechteckigen Sitzcouch und vielen Stühlen, begrenzt von Glaswänden. Zuvor diente – mit riesigen blutroten Bettlaken auf der Sitzcouch – diese Halle dem Liebesnest Venus/Tannhäuser. Nach seiner Flucht findet Fazit Man muß schon eine gewisse Neigung zu Neuer Musik haben, um von Rotter begeistert zu werden. Doch auch dann wird einem die Aufführung nicht gefallen, wenn man nur in die Oper geht, um (frei nach Brecht) romantisch zu glotzen. Was einen erwartet, ist durchaus schwere Kost, die zu probieren es sich allerdings sehr lohnt. Ch. Lauter Bild: Klaus Lefebvre 43 sich Tannhäuser, nach der Spielanweisung Wagners … plötzlich in einem schönen Tal, mit blauem Himmel und heiterer Sonnenbeleuchtung. Diese von Wagner gewollte Pastorale, betont durch den auftretenden Hirten, ist bei Frau Solfaghari ein Sparkassenvestibül. Durch den hinteren Teil des Vestibüls zieht Pilger mit T-Shirt und rotem Kreuz bei ihrer Rückkehr aus Rom eine Pilgergrupwas muß Jasmin Solfaghari im Kopf gehabt haben, das pe, unschwer an roten Kreuzen auf den weißen T-Shirts sie uns damit kundtun wollte. Vielleicht hat sie tatsächerkennbar. Elisabeth tritt auf im Männerhemd mit nacklich an eine Hirtenlandschaft (Pastorale) gedacht? ten Beinen. Daß sie sich in diesem Aufzug auf den zurückkehrenden Tannhäuser freut, kann man verstehen, Camilla Nylund (Elisabeth) war eine Augen- und Ohdenn sie ist wohl am frühen Morgen noch nicht ange- renweide: ihre Intonationssicherheit ist bewundernszogen. Daß sie aber in gleicher Montur Tannhäuser und wert, nur ihre Aussprache ist grauenvoll: ich verstand fast nichts! Sollte man nicht doch auch bei deutschen den Landgraf begrüßt, ist weniger zu begreifen. Opern einen Übertitel mitlaufen lassen? Die schnelle Bei der Rückkehr von seinem Rom-Büßergang findet Einstudierung der Gesangsrollen erlaubt zeitlich meist Tannhäuser die Halle zertrümmert vor: sämtliche Fensnicht, durch die Vokalisierung noch die Konsonanten terscheiben sind zerbrochen, die Neonröhren liegen verständlich zu singen. Dalia Schaechter (Venus) sang auf der Erde, selbst die „Lustcouch“ ist umgestürzt. und bewegte sich venusgerecht. Bei Wagner ist es lediglich Herbst, ohne daß die Halle verwüstet ist. Mit rotem Vorhang erscheint Frau Venus Der Chor war gut trainiert, aber oft sehr laut. Lauter wieder, doch Tannhäuser beachtet sie nicht und stirbt in allerdings war das Orchester unter Stenz’ Stabführung. Auch eine massive Wagnerpartitur kann man zurückGedanken an seine keusche Elisabeth. nehmen. Die Sänger haben es allemal schwer. Sänger Fazit Andreas Hörls (Landgraf Hermann) tiefer Baß hallte wohltönend durch die Sparkassenlobby. Er war für den Warum meinen eigentlich viele Regisseure, durch roerkrankten Reinhard Dorn eingesprungen und gestalte- bustes Modernisieren eine Oper verständlicher oder te seinen Part glänzend. Von Torsten Kerl (Tannhäuser) sogar attraktiver zu machen? Bei dieser Inszenierung kann man das leider nicht behaupten: von Anfang an geschieht es ohne irgendwelchen Gewinn an Klarheit preßte er seinen Tenor durch Höhen und Tiefen, daß oder Spannungserhöhung. Im Gegenteil, es sind so vieman manchmal Angst hatte, wann die Stimme kippen le unverständliche Einzelheiten, daß man sich langweilt würde. Eine wahre Freude war Miljenko Turk als Wolf- oder sich ärgert oder alles beim Gesang vergißt und die ram. Er sang einigermaßen verständlich und seine Bari- Augen schließt. Ist das der Sinn einer Modernisierung, tonstimme durchmaß alle Fährnisse souverän. Auch an gegen die ja grundsätzlich nichts einzuwenden ist? allen anderen Minnesängern – Martin Homrich (Walter), Einstimmiges Buhen begrüßte dann auch das Regieteam. Orozco Martinez (Heinrich), Daniel Henriks (Biterolf) Später kam auch Applaus auf, wohl für die Sänger, die sich sowie Wilfried Staber (Reinmar) – war sängerisch nichts dem Team hinzugesellten. Das wiederum quittierte Frau auszusetzen. Beeindruckend setzte Susanne Niebling (ein Solfaghari mit deutlichem Lachen. Vom Sängerischen ist junger Hirt) ihren hohen Sopran ein. Allein ihr Kostüm, die Aufführung zwiespältig aufzufassen: neben hervorramit weißen Kniestrümpfen und klobigen schwarzen Schu- genden Stimmen die Stimme des Titelhelden, der einem hen, widersprach der Sparkassenhallenumgebung. Irgend eigentlich den Abend verleidet. O. Zenner Bild: Klaus Lefebvre 44 Krefeld, Stadttheater nis um Hans’ Herkunft: Er ist der erstgeborene Sohn des Großgrundbesitzers Tobias Micha. Dieser war vor Jahren in die Fremde gezogen. Im „Brautkaufvertrag“ stand nur, daß sie den Sohn des Tobias Micha heiraten dürfe, welchen, war nicht festgelegt. So konnte Marie sich ihren Bräutigam frei wählen. Als Versöhnungsgeste mit seinem Sohn willigt Tobias Micha in die Verbindung ein und Hans und Marie können mit dem ganzen Dorf die letztendlich glückliche Verlobung der verkauften Braut feiern. Die verkaufte Braut von Bedřich Smetana, Komische Oper in drei Akten, Libretto: Karel Sabina, Deutsch von Kurt Honolka; UA: 30. Mai 1866, Interimstheater in Prag Regie: François de Carpentries, Bühne: Siegfried E. Mayer, Kostüme: Karine van Hercke; Dirigent: Kenneth Duryea, Niederrheinische Sinfoniker, Chor der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach; Solisten: Christoph Erpenbeck (Kruschina), Uta Christina Georg (Ludmilla), Janet Bartolova (Marie), Matthias Wippich (Tobias Micha), Margriet Schlössels (Hata), Markus Heinrich (Wenzel), HansJürgen Schöpflin (Hans), Hayk Dèinyan (Kezal), Manfred Feldmann (Zirkusdirektor Springer), Jeannette Wernecke (Esmeralda, Tänzerin), Jeong-Han Lee (Muss). Besuchte Aufführung: 15. März 2008 (Premiere) Inszenierung Die Handlung ist ins bäuerliche Milieu der 1960er Jahre verlegt, was sich insbesondere in der Wahl der Kostüme widerspiegelt. Viele kleine liebevoll eingesetzte Details peppen das Geschehen vor der Kulisse von Kirchweihfest und Wirtshaus auf: Die Zirkustruppe bietet die neuartige Tupperware feil, das Anwesen Tobias Michas sieht dem Schloß Neuschwanstein zum Verwechseln ähnlich. Das Bühnenbild ist auf das Wesentliche reduziert, was durchaus von Vorteil ist, da der Zuschauer nicht durch üppige Ausstattung vom Handlungsstrang abgelenkt wird. Hervorgehoben seien zudem die über das im Libretto vorgesehene Maß hinausgehenden erheiternden artistischen Darbietungen zu Beginn des dritten Aktes. Kurzinhalt Marie, die Tochter eines verarmten Bauernpaares, liebt den Knecht Hans, der aus der Fremde zugewandert ist. Sie geloben einander ewige Treue. Maries Eltern hingegen erwarten von Marie, daß sie sich auf dem Kirchweihfest mit Wenzel, Sohn des Großgrundbesitzers Tobias Micha, verlobt. Gemeinsam mit dem Heiratsvermittler Kezal setzen sie einen Ehevertrag auf. Jedoch Marie ist nicht bereit, sich dem Willen ihrer Eltern zu beugen. Sie liebe einen anderen und habe sich mit ihm bereits verlobt. Sänger Die Liebe zum Detail findet sich auch in der SpielfreuIm Wirtshaus de von Enbegegnet Masemble und rie ihrem verChor wieder. meintlichen Die verkaufte Bräutigam Braut ist keiWenzel. Sie ne Oper, in erzählt dem der die Sänleichtgläubiger virtuoses gen Tölpel, Können unter ohne sich ihm Beweis stelzu erkennen len müssen, zu geben, daß vielmehr ist seine Braut Janet Bartolova (Marie), Hay Dèinyan (Kezal), Uta Christiausdr ucksMarie ihn verna Georg (Ludmilla) und Christoph Erpenbeck (Kruschina) volles Spielen gefordert. giften wolle. Sie nimmt ihm das Allen Sängern voran Versprechen ab, ihretwegen auf Marie zu verzichten. ist Hans-Jürgen Schöpflin zu nennen, der sowohl mit Gleichzeitig will Kezal Hans seine Braut abkaufen. Zum agiler Stimme als auch mit leidenschaftlichem Spiel den Entsetzen des Dorfes verkauft er seine Braut für dreiverliebten und gleichzeitig verschmitzten Hans darstellt hundert Gulden. und damit zeigt, daß er die ihm in der letzten Spielzeit Bei einem Besuch im Zirkus verliebt sich Wenzel in die verliehene Auszeichnung der Kritikerumfrage NRW als Tänzerin Esmeralda. Da der Darsteller des Bären be- bester Sänger nicht nur für ernste Rollen verdient hat, trunken ist, übernimmt der naive Wenzel dessen Rolle. sondern auch in Buffopartien glänzen kann. An seiner Den Verkauf der Braut glaubt Marie erst, als sie den Seite scheint Janet Bartolova mit der Spontaneität ihres Kaufvertrag sieht. Nun willigt sie doch in die Heirat Partners manchmal etwas überfordert, doch mit Humor mit Wenzel ein. Unerwartet treffen Tobias Micha und fängt sie sich schnell und kann gerade Maries Verzweifseine Frau im Dorf ein. Sie lüften endlich das Geheim- lung glaubwürdig darstellen. Daneben agiert Hayk Dèinyan (Kezal) überzeugend, allerdings hat er damit zu 45 entscheidet sich für den gemeinsamen Tod mit ihrem vermeintlichen Vater. Im Augenblick ihres Todes enthüllt Éléazar Rachels wahre Identität: Sie ist de Brognis verloren geglaubte Tochter. Während Éléazar triumphierend in den Tod geht, bricht Brogni zusammen. kämpfen, gegen das Orchester anzusingen. Unter den Nebenrollen sind Christoph Erpenbeck (Kruschina) und Markus Heinrich (Wenzel) besonders hervorzuheben, die mit offensichtlicher Begeisterung die Eigenarten ihrer Charaktere betonen. Das Ensemblebild wird durch souveräne Leistungen von Uta Christina Georg (Ludmilla), Matthias Wippich (Tobias Micha) und Margriet Schlössels (Hata) in Spiel und Gesang abgerundet. Wie schon so oft erweist sich der Chor der Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach, der für seine Qualität auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist, als absolut treffsicher in Ausdruck und Gestaltung und scheut sich auch nicht, die Tanzeinlagen im böhmisch-mährischen Stil burlesk darzubieten, statt sie einem Ballettensemble zu überlassen. Aufführung Tatiana Pechnikova (Rachel) Die Uraufführung und Chor der Staatsoper Stuttgart am 23. Februar 1835 gilt neben Meyerbeers Robert der Teufel und Hugenotten als Geburtsstunde der Grand Opéra. In dieser Inszenierung steht das Beziehungsgeflecht zwischen den Juden Éléazar und Rachel sowie Kardinal de Brogni auf der einen Seite und zwischen Rachel, Eudoxie und Leopold (klassische Dreiecksbeziehung) auf der anderen Seite. Dem Team Wieler/Morabito gelingt über weite Strecken eine glaubwürdige Darstellung durch die klare Zeichnung der Charaktere und ihrer inneren Gefühle. Gut gelungen ist die Darstellung des inneren Kampfes Éléazars: Er rächt sich am Ende an de Brogni, indem er Rachel und sich erschießt. Also keine Verbrennung, wie Halévy es vorgesehen hat. Der Wutanfall Rachels, als sie das doppelte Spiel Léopolds durchschaut, zeichnet das Regieteam außerordentlich gekonnt. Es ist ein Musterbeispiel von Personenregie, ebenso wie die Darstellung Léopolds als feiger Lüstling ohne Charakter und ohne Fähigkeit, konsequent zu bleiben (ihm unterläuft sogar der Fehler, während des jüdischen Passahfestes das Kreuz zu schlagen!). Als Rachel ihn vor Eudoxie zur Rede stellen will, bricht er zusammen. Etwas an den Haaren herbeigezogen ist die Darstellung eines Historienspiels: der mehrmalige Übergriff einer ganzen Stadt auf andersartige Mitbürger, nur weil sie sonntags arbeiten, ist kaum glaubhaft und führt die Ziele dieser Oper ins Abseits. Nicht ganz so viel Glanz verbreitet die Sängerriege. Ferdinand von Bothmer belegt eindrucksvoll, was passiert, wenn man die mörderische Partie des Léopold unterschätzt: Er verfügt zwar über eine sehr schöne Mittellage, jedoch die Höhen erreicht er nur mit Gewalt. Dagegen kann Chris Meritt in der „leichteren“ Partie des Éléazar glänzen: Ein Charaktertenor mit viel Volumen und Überzeugungskraft auch im dramatischen Bereich. Ebenso stürmisch gefeiert wurden zu Recht Tatiana Pechnikova als Rachel und Catriona Smith als Prinzessin Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von Kenneth Duryea waren stets bemüht, Smetanas Vorstellung von folkloristischem Klang gerecht zu werden. Dies gelang am ehesten bei der Begleitung der Sänger. Fazit Sieht man über das streckenweise farblose Orchesterspiel hinweg, so erwartet einen ein amüsanter Opernabend, der vor allem durch Spiel-, Tanz- und Detailfreude von Ensemble und Chor besticht. Ch. Lauter Bild: Mattias Stutte Stuttgart, Staatsoper La Juive - Die Jüdin von Jacques Fromental Halévy (1799-1862), Grand Opera in 5 Akten, Text: Eugène Scribe; UA: 23. Februar 1835, Paris Regie: Jossi Wieler/Sergio Morabito, Bühnenbild: Bert Neumann, Kostüme: Nina von Mechow, Dirigent: Sébastien Rouland, Staatsorchester Stuttgart, Solisten: Catriona Smith (La Princesse Eudoxie), Tatiana Pechnikova (Rachel), Chris Meritt (Éléazar), Liang Li (Le Cardinal de Brogni), Ferdinand von Bothmer (Léopold), Karl-Friedrich Dürr (Ruggiero), Christoph Soler (Albert), Sebastian Bollacher (Ausrufer) Besuchte Vorstellung: 16. März 2008 (Premiere) Kurzinhalt Vorgeschichte in Rom: Der jüdische Goldschmied Éléazar hat die Tochter des Magistrats Brogni aus den Flammen gerettet. Zuvor hatte er durch de Brogni seine Söhne im Feuer verloren. Er zieht das Mädchen ohne de Brognis Wissen als seine eigene Tochter Rachel im jüdischen Glauben auf. Brogni, zum Kardinal aufgestiegen, eröffnet 1414 das Konzil in Konstanz. Rachel hat sich in einen Mann verliebt, der vorgibt, Jude zu sein, aber eigentlich Reichsfürst Léopold ist. Da Léopold mit Eudoxie verheiratet ist, verurteilt Kardinal de Brogni das Liebespaar zum Tode, ebenso Éléazar, da dieser die Ruhe der Konzilseröffnung störte. Rachel läßt sich durch die flehentliche Bitte von Eudoxie zur Zurücknahme ihrer Anschuldigung gegen Léopold überreden und erwirkt damit seine Begnadigung. Sie selbst könnte sich durch Konvertierung zum christlichen Glauben retten, aber sie 46 München, Staatstheater am Gärtnerplatz Aufführung Für die Münchner Erstaufführung der selten gespielten Oper holte Intendant Peters erstmals mehrere Gastsolisten ans Gärtnerplatztheater, was sich ebenso als Glücksgriff herausstellt wie die Aufführung in italienischer Originalsprache. Das Regieteam um den Verdi-erfahrenen Thomas Wünsch siedelt die Handlung in den kaputten Stahlträgern eines Wolkenkratzers im Jahr 2056 an. Dieser Wolkenkratzer stellt, zusammen mit einigen Fragmenten der Freiheitsstatue, das Einheitsbühnenbild dar. Die Ruine auf der Bühne ist gleichzeitig Sinnbild für den zerrütteten Zustand der Gesellschaft in Verdis Oper – eine Idee, die sich nicht unbedingt aufdrängt, den Kern der Oper jedoch stimmig darzustellen vermag. von Giuseppe Verdi, Oper in 4 Akten, Libretto: Andrea Maffei nach Die Räuber von Friedrich Schiller UA: 22. Juli 1847, Her Majesty’s Theatre, Haymarket, London Regie: Thomas Wünsch, Bühnenbild/Kostüme: Heiko Mönnich, Licht: Wieland Müller-Haslinger; Dirigent: Henrik Nánási, Orchester, Chor, Extrachor des Staatstheaters, Choreinstudierung: HansJoachim Willrich; Solisten: Guido Jentjens (Massimiliano), Zurab Zurabaishvili (Carlo), Mikael Babajanyan (Francesco), Elaine Ortiz Arandes (Amalia), Adrian Xhema (Arminio) u.a. Besuchte Aufführung: 15.3.2008 (Premiere) Wünsch gelingen so mit einfachen Mitteln viele starke Bilder. Gekonnt auch die Personenführung: selbst in den großen Massenszenen kommt es durch die geschickte, aber dennoch nie übertriebene Choreographie nicht zu einem oratorienhaften Stehtheater, wie es bei Verdi-Aufführungen allzu oft zu beobachten ist. Henrik Nánási und das Gärtnerplatzorchester lieferten dazu dramatischen, energiegeladenen, wenngleich bisweilen sehr lauten Verdi-Sound aus dem Graben. Eudoxie. Liang Li führt die Rolle des Kardinals auf eine Nebenrolle zurück. Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist das Orchester des Hauses unter der Leitung von Sébastien Rouland, dem es gelingt, mit viel französischem Esprit die Klangvielfalt der Musik Halévys den heutigen Hörgewohnheiten anzupassen. Fazit Ein großartiger Abend mit gemischten Leistungen. Aber es sind solche Abende, denen es gelingt, die Grand Opéra auf die Bühnen unserer Tage zurückzubringen. Oliver Hohlbach Bild: Martin Sigmund I masnadieri - Die Räuber Kurzinhalt Von den Sängern erbrachte Mikael Babajanyan das stimmigste Rollenportrait. Mit kernigem Bariton und großartigen darstellerischen Fähigkeiten war er ein idealer Francesco. Überzeugend auch der noble Baß des Bayreuth-erfahrenen Guido Jentjens und der Carlo von Zurab Zurabaishvili, dessen Timbre ungemein an Neil Shicoff erinnert. Einziger Wermutstropfen bei Zurabaishvili waren einige Intonationsprobleme, vor allem im großen Duett mit Amalia. Ensemblemitglied Elaine Ortiz Arandes hat einen schweren Stand gegen die hervorragenden Gäste und stößt in der Partie der Amalia mit flackernder Stimme an ihre Grenzen. Ihr Gestaltungswille und die scheinbar unendliche Klangfarbenpalette ließen den Abend trotzdem auch für sie zu einem Erfolg werden. Die Nebenrollen waren sehr gut aus dem Ensemble besetzt. Großer Beifall für Elaine Ortiz Arandes (Amalia) alle Beteiligten! Carlo, Sohn des Grafen Massimiliano Moor, ist des Lebens in der Räuberbande, der er sich angeschlossen hat, überdrüssig. Er will an den Hof des Vaters und zu seiner Geliebten Amalia zurück. Als er einen Brief erhält, in dem ihn sein Vater verstößt, verwirft er diesen Gedanken und läßt sich zum Anführer der Räuber ernennen. In Wahrheit stammt der Brief jedoch von seinem machtgierigen Bruder Francesco, der sich an seinem bevorzugten Bruder rächen will. Seinem Vater und Amalia erzählt Francesco, daß Carlo gefallen sei, woraufhin der alte Graf Massimiliano tot zusammenbricht. Als Amalia an dessen Grab betet, gesteht ihr Francescos Diener Arminio, daß sowohl der Graf, als auch ihr Geliebter Carlo am Leben seien. Sie weist den werbenden Francesco zurück und flieht. Im Wald trifft sie zufällig auf Carlo. Als dieser erfährt, was geschehen ist, will er sich an seinem Bruder rächen, verschweigt das aber Amalia. Seine Räuberbande soll nach Francesco suchen. Doch dieser kann ihnen entkommen. Statt Francesco schleppen sie Amalia herbei. Um ihr ein Leben in Schande zu ersparen, ersticht Carlo seine Geliebte. Danach verläßt er die Räuber, um sich zu stellen. Fazit Es muß nicht immer die große Staatsoper in München sein! Wie der Abend am Gärtnerplatztheater zeigt, gibt es auch an kleineren Häusern große Oper! Ch. Lang Bild: Staatsoper am Gärtnerplatz, München 47 Neue CDs Herbert von Karajan – the legend The Art of Christa Ludwig The beautiful voice of Christa Ludwig, mit Werken von Brahms, Mahler, Schumann, Schubert, Strauss, Wagner Aufnahmen Label: Label: EMI Classics EMI Classics mit den Berliner Philharmonikern Der Sängerin Christa Ludwig ist ein Sampler mit fünf CDs gewidmet, vier davon spiegeln das breite Repertoire der großen Liedsängerin. Schubert, Schumann und Brahms bilden den Schwerpunkt, daneben sind Hugo Wolf, Gustav Mahler, Richard Strauss, Richard Wagner, Maurice Ravel und andere Komponisten vertreten. Unterstützt wird Christa Ludwig von den beiden hervorragenden Liedbegleitern Gerald Moore und Geoffrey Parsons. Runde Geburtstage sind ein beliebter Anlaß, den Verkauf von CDs anzukurbeln. Zwar handelt es sich dabei naturgemäß meist nur um eine Neuauflage vorhandener Aufnahmen, aber genau darin liegt auch ein eigener Reiz, nämlich die damalige und die heutige Musizierweise zu vergleichen. Herbert von Karajan wäre 2008 einhundert Jahre alt geworden, Christa Ludwig wird achtzig, was liegt näher, als von diesen großen Musikern einen Querschnitt ihres Schaffens zu veröffentlichen? In den Schubert- und Schumann-Liedern kommt mir ihre Musizierweise ein wenig behäbig und betulich vor, diese Lieder habe ich schon wesentlich lebhafter, aufregender gehört, auch von Sängern ihrer Zeit wie beispielsweise ihrem großen Vorbild Irmgard Seefried oder von Dietrich Fischer-Dieskau. Die zweite Hälfte der vierten CD und die ganze fünfte CD portraitieren die Oratorien- und Opernsängerin – hier ist je eine Arie aus den Bach-Passionen vertreten, ein kurzer Teil aus dem Verdi-Requiem und Szenen aus Norma (Bellini), Carmen (Bizet), Tristan und Isolde (Wagner), Rosenkavalier (R. Strauss) und aus der legendären Don GiovanniEinspielung mit Otto Klemperer. Gesungen wird teils in deutscher, teils in italienischer Sprache. Heute hört man vor allem die Opern einfach anders – man denke an die Don Giovanni-Aufnahme mit René Jacobs – trotzdem ist diese umfangreiche Zusammenstellung eine gelungene Hommage an die Sängerin und ein echter Genuß. Ein kleiner Wermutstropfen ist der Klang, der trotz Digitalisierung teilweise ein wenig flach wirkt. Ebenfalls eine gelungene Hommage ist der Artikel von Gottfried Klaus im Booklet, dessen Titel für sich spricht: Im Universum des Gesangs. D. Riesenkönig Das Album Herbert von Karajan – the legend besteht aus 2 CDs mit Stücken, die Karajan in der Zeit von 1971 bis 1981 eingespielt hat und beinhaltet Werke von Mozart (gest. 1791) bis Sibelius (gest. 1957) – Programmmusik, Opern- und Operettenpartien sowie einzelne Sätze von Sinfonien. Vergeblich habe ich nach einem Leitgedanken oder roten Faden in der Anordnung der Stücke gesucht, schließlich ist eine Legende eine gewachsene Geschichte, die sich entwickelt hat, aber vielleicht soll dieser Anspruch auch gar nicht bedient werden. Wer kauft sich eine solche CD? Möglicherweise Musikfreunde, die sich ihr Lieblingsstück mal anhören wollen, aber eben keine ganze Sinfonie, sondern nur beispielsweise den letzten Satz aus Dvoraks Sinfonie aus der Neuen Welt oder Smetanas Moldau, oder die beim Autofahren nette Musik hören wollen, und genau dafür ist diese Zusammenstellung ideal. Ein dreisprachiges Booklet bringt eine Kurzbiographie des Dirigenten, einige Fotos und ein paar informative Zeilen über jedes eingespielte Stück. Anzeige D. Riesenkönig Verkaufe Autogrammfotos von Opernsängern bzw. Sängerinnen. Bitte fordern Sie Liste an. Hubert Sieben, Tel. + Fax: 0221-8800956 48 Sergej Prokofiew (1891-1953) terin des Moskauer Zentralen Kindertheaters und wollte Kinder mit den Instrumenten des Orchesters vertraut machen. Auf ihre Initiative schrieb Prokofiew Text und Musik und brachte das Stück am 2. Mai 1936 zur Uraufführung. Die Aufnahme Karajan/Romy Schneider ist in den Jahren 1956/57 entstanden, Romy Schneider war damals 19 Jahre alt und kurz vor den Dreharbeiten zum dritten Sissi-Film. Mit mädchenhafter Stimme erzählt sie frisch, unbekümmert und doch spannend die Geschichte von Peter, der den großen grauen Wolf fängt. Was mag Herbert von Karajan bewogen haben, diese Schauspielerin als Sprecherin zu wählen? – Das Booklet, das Romy Schneiders Leben aufrollt, läßt uns darüber im unklaren. Wohl eher als Füllsel ist der Anhang von Tschaikowskis Ballettsuite Der Nußknacker zu verstehen, eine ordentliche, aber nicht spektakuläre Aufnahme. Ausgesprochen liebenswert ist das Booklet gestaltet: In die Bilder der beiden Künstler sind durch Computeranimation die Bilder der handelnden Tiere eingebaut worden, selbst die CD schmückt ein silberner Wolf! Peter und der Wolf Romy Schneider, Herbert von Karajan Label: EMI Classics Ein wahres Kleinod ist die Einspielung von Peter und der Wolf mit der noch sehr jungen Romy Schneider als Sprecherin. Meist wird dieses Märchen von einer eher tieferen Männerstimme erzählt, so z.B. in der ebenfalls legendären Aufnahme mit Mathias Wiemann und den Berliner Philharmonikern unter Fritz Lehmann, die auch eine meiner ersten Schallplatten in den fünfziger Jahren war. Um so erstaunter war ich, als ich las, daß die Uraufführung mit Natalia Saz stattfand – sie war künstlerische Lei- D. Riesenkönig Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) Jugendwerke Die Auswahl der frühen Werke zeigt sowohl die musikalische Phantasie als auch das erstaunliche handwerkliche Können des jungen Komponisten. Beeindruckend ist vor allem das fast halbstündige Magnificat des Dreizehnjährigen. Ein lebhafter Eingangschor mit großem Orchester gestaltet den freudigen Text bildhaft genau, die weiteren Abschnitte werden teils solistisch, teils als Chorfuge, nur von Streichern begleitet durchgeführt, um wieder in großen Orchester- und Chorsätzen zu münden. Gewandhaus Chor MendelssohnOrchester Leipzig Leitung: Gregor Meyer Label: GENUIN Musikproduktion Leipzig Chor, Orchester und Solisten werden den Anforderungen der Werke in höchstem Maße gerecht. Chor- und Orchesterklang sind ausgeglichen und gut aufeinander abgestimmt, der a-cappella-Gesang im Kyrie c-moll und in der Choralbearbeitung Mitten wir im Leben sind ist absolut sauber intoniert. Mendelssohn selber bezeichnete diesen Choral in einem Brief an seine Familie als eins der besten Kirchenstücke, die ich gemacht habe. Ein junges Orchester – gegründet 1999 mit Absolventen der Hochschule für Musik und Theater Leipzig – der traditionsreiche Gewandhauschor sowie vier junge Solisten, die alle ihr Handwerk bei namhaften Sängerpersönlichkeiten gelernt haben, widmen sich den frühen Werken des Komponisten, der ab 1835 wesentlich dazu beitrug, die Stadt zu einem bedeutenden Musikzentrum in Europa zu machen. Meiner Einschätzung nach verdienen es die unbekannten frühen Chorwerke unbedingt, in Kirchenkonzerten zur Aufführung zu kommen. Vielleicht trägt diese CD dazu bei, daß Chorsänger und vor allem Chorleiter sie entdecken und sich dafür begeistern. Die eingespielten Werke entstanden jedoch lange vor Mendelssohns Leipziger Zeit von 1821 bis 1830, also im Alter von 12 – 21 Jahren! Mendelssohn war seit 1821 Mitglied der Berliner Singakademie, sein Kompositionslehrer war Friedrich Zelter. D. Riesenkönig 49 Johannes Brahms (1833-1897) von Brahms erster Sinfonie (1876) immerhin ein halbes Jahrhundert liegt. Diese Sinfonie ist geprägt durch einen Sommeraufenthalt auf Rügen 1876 – wohl deshalb taucht sie auch so oft als Hintergrundmusik in Filmen auf, die mit Rügen zu tun haben. Sinfonie Nr. 1 Sinfonie Nr. 3 Dresdener Philharmonie, Rafael Frühbeck de Burg Auch die dritte Sinfonie, der von Anfang an großer Erfolg beschieden war, konnte die Selbstzweifel von Brahms, noch immer im Schatten Beethovens zu stehen, zunächst nicht mildern. Label: Genuin Musikproduktion, Leipzig Beide Sinfonien werden sehr ansprechend wiedergegeben. Die Instrumentengruppen sind dynamisch geführt und gut durchhörbar. Besonders im letzten Satz der Ersten führt der Dirigent seine Musiker in einem großartigen Spannungsbogen zum strahlenden C-Dur – Finale. Das kann tatsächlich Bilder von Kreidefelsen, Meer und wogenden Rapsfeldern hervorrufen! Rafael Frühbeck de Burgos ist seit 2004 / 05 Chefdirigent der Dresdener Philharmonie, einem Konzertorchester, das 1870 gegründet wurde und seitdem das Dresdener Kulturleben wesentlich prägt. Die vorliegende Aufnahme der 1. und 3. Sinfonie von Johannes Brahms wurde 2007 in der Lukaskirche Dresden aufgenommen. Die Gestaltung des Covers gefällt mir besonders gut: ein grau in grau gehaltenes stilisiertes Eichenblatt, das vielleicht mit der Arndt – Eiche zu assoziieren ist, die dieser aus Rügen in Bonn pflanzen ließ – sie steht heute noch als stattlicher Baum auf dem dortigen Alten Friedhof. An seiner ersten Sinfonie hat Brahms mehr als 15 Jahre gearbeitet, immer im Bewußtsein, an Beethovens sinfonischen Werken gemessen zu werden. Der Dirigent Hans von Bülow nannte sie kurzerhand Die Zehnte von Beethoven, obwohl zwischen der Entstehung von Beethovens letzter Sinfonie (1822 – 24) und der Uraufführung D. Riesenkönig Édouard Lalo (1823-1892) - Symphonie Espagnole Johannes Brahms (1833-1897) - Violin-Konzert Brahms Violinkonzert d-moll gehört zu den großen „D“ neben Beethoven und Tschaikowski. Wegen seiner für die damalige Zeit hohen technischen Anforderungen wurde es zunächst nicht sehr schnell bekannt. Heute gehört es zum festen Repertoire jedes konzertierenden Geigers. Obwohl d-moll tituliert, beginnt das Konzert mit einer strahlenden Orchestereinleitung in Dur. Erst das zweite Thema, das sofort von der Sologeige aufgegriffen wird, bringt die Molltonart ein. Beide Themen werden im Folgenden von Orchester und Geige verarbeitet. Milstein und das NDR-Sinfonieorchester unter Paul Klecki musizieren in diesem 1960 entstandenen Konzertmitschnitt so mitreißend, dass schon nach dem ersten Satz Beifall aufflackert. Auch die folgenden Sätze lassen keine Wünsche offen. Selbst die gelegentlich hörbaren Nebengeräusche aus dem Publikum wirken kaum störend. Sie gehören zu solch einem Konzerterlebnis dazu und vermitteln die Spannung der Momentaufnahme im Gegensatz zu einer sterilen und perfektionierten Studioaufnahme. Nathan Milstein Orchestre National de Paris Leitung: André Cluytens NDRSinfonieorchester Leitung: Paul Klecki Label: Claves Trotz der Bezeichnung Symphonie handelt es sich bei der Symphonie espagnole um ein Violinkonzert. Nathan Milstein, der nach eigener Aussage Geige lernte, damit er die Nachbarskinder nicht verprügelte, interpretiert das durch spanisches Kolorit geprägte Werk mit großer Spielfreude virtuos und ausdrucksstark. Dabei sind Orchester und Dirigent adäquate Partner. Besonders beeindruckend ist das Scherzando, das durch seine tänzerischen Elemente gefällt. Der letzte Satz, ein Rondo, endet mit einem akrobatischen Violinsolo, ehe er in den Schlußakkord mündet. Hier zeigt sich das besondere Können des Solisten, das durch lautstarken Beifall belohnt wird. Erwähnt sei noch ein dreisprachiger Text im Booklet, der ein interessantes Bild der Persönlichkeit Nathan Milstein zeichnet. D. Riesenkönig 50 Robert Schumann (1810-1856) der starke, voluminöse, im Baß – auch bei Terzenläufen – immer klare Klavierton, der dafür verantwortlich ist. Im ausgezeichnet informativen Booklet kann man über die im 19. Jh. berühmte und gefragte Klavierfabrik Krems aus Düsseldorf nachlesen. Auf einem solchen Instrument spielt der stupend musikalische Tobias Koch die späten Klavierwerke Schumanns mit einer Energie und einem Einfühlungsvermögen, womit er viele Pianisten, die man auf den großen Konzertpodien sonst antrifft, in den Schatten stellt. Man merkt ihm bei seinem Spiel an, daß er sich intensiv mit der Klaviertechnik des KremsFlügels auseinandergesetzt hat. Und das ist die eigentliche Faszination dieser CD neben den beeindruckenden Schumannschen Kompositionen: der ungewohnte Klang des Krems-Flügels. Was muß das doch für eine abwechslungsreiche Hörerfahrung im 19. Jahrhundert gewesen sein, diese vielen unterschiedlich gestimmten Flügel mit ihren z.T. herben, auch rauen und sanften Charakteren. Jedenfalls war die Klavierwelt bunter als heute, wo jeder Flügel in jedem Land der Welt ununterscheidbar ähnlich klingt. Aber wir sind es ja nicht anders gewohnt als Gleichheit überall. O. Zenner Späte Klavierwerke Tobias Koch, Pianoforte von Krems, Düsseldorf GENUIN Musikproduktion Leipzig 2007 Vielen Kennern der Schumannschen Klavierwerke sind wohl die hier auf der CD gespielten Werke kaum bekannt. Aber sie sind hörenswert! Man sagt ja jovial: Schumann kam als Genie auf die Welt und endete als Talent. Bei diesen Klavierwerken ist diese sarkastische Bemerkung kaum nachzuvollziehen. Es ist eine dynamisch, energiegeladene Musik, die besonders in den Fantasiestücken Op. 111 deutlich wird. Vielleicht ist es aber auch Ludwig van Beethoven (1770-1827) Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur um seine eigenen Fähigkeiten als Pianist und Improvisator herauszustellen. Pletnev legt großen Wert auf die Lebendigkeit der Interpretation, er will nicht ehrfurchtsvoll vor dem Denkmal Beethoven stehen sondern, Beethovens Inspiration mit Spontaneität erfassen. Diese Idee spürt man durchgängig in der gesamten Einspielung. Bei einem Konzertmitschnitt gibt es keine Korrekturmöglichkeiten, es zählt die Tagesform. Hier waren alle Mitwirkenden in Bestform, was durch den stürmisch aufbrausenden Beifall nach dem Schlußakkord dokumentiert ist. D. Riesenkönig Mikhail Pletnev, Piano Russian National Orchestra Leitung: Christian Gansch Label: Deutsche Grammophon Gesellschaft Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur ist sehr häufig im Konzertsaal oder im Rundfunk zu hören. Es ist eingängig und doch spannungsvoll, virtuos und gefühlvoll, man kann es eigentlich immer hören. Um so mehr wünsche ich mir bei einer CD-Einspielung den Aufhorch-Effekt so habe ich das noch nie gehört. Genau das ist Mikhail Pletnev (Jahrgang 1957) gelungen. Mit dem Russian National Orchestra, das er 1990 als erstes vom Staat unabhängiges Orchester gründete, spielte er alle Klavierkonzerte von Beethoven ein, zuletzt das Es-DurKonzert als Mitschnitt vom Bonner Beethovenfest 2006. Die langsame Hinführung zum mehrmals wiederkehrenden Hauptthema im ersten Satz krönt Pletnev mit einer minimalen Tempoverzögerung. Dadurch entsteht ein Atemanhalten, dann das erleichterte Wiedererkennen – da ist sie wieder, diese wunderbar einfache Melodie. Dies alles ist wohldosiert, ohne Effekthascherei. Möglicherweise hat Beethoven das 5. Klavierkonzert geschrieben, Anzeige 51 lll#heVg`VhhZ"`dZacWdcc#YZ G <aX`^hi[gb^X]/ Ojl^hhZc!YVhh^X]b^g`Z^cZHdg\Zc jbY^ZOj`jc[ibVX]Zcbjhh# H @VgaLZWZgb^i:c`ZaidX]iZgHVgV]!7dcc Ojb<aX`\^WiÈhY^Z^cY^k^YjZaaZKZgb\ZchWZgVijc\# Hd^cY^k^YjZaal^ZbZ^cZ7ZYg[c^hhZ# adh ^Z`dhiZc BVX]ZcH `/ X Z ] 8 o" c V >]gZc;^c c/ H^ZldaaZ aaZc!lVcc l LdH^Z d ..-%.,' ''& IZaZ[dc% HeVg`VhhZ @ac7dcc H^ZbX]iZcbZ]g:gig~\ZZgo^ZaZc!aVc\[g^hi^\KZgb\ZcVj[WVjZcdYZg^bGV]bZcYZg6W\Zaijc\hiZjZgVW'%%.YVh7ZhiZ[g>]gKZgb\ZcbVX]Zc4<Vco\aZ^X]! l^Z>]gZKdghiZaajc\ZcVjhhZ]Zc!b^iYZbHeVg`VhhZc";^cVco`dcoZeih^cYH^Z^bbZgWZhiZchWZgViZcjcYbVX]Zc>]geZghca^X]Zh<aX`ZgaZWWVg#L^gWZgViZcH^ZÄ ldH^ZldaaZc!lVccH^ZldaaZc#6jX]VWZcYhjcYVbLdX]ZcZcYZ/IZaZ[dc%''&..-%.,'#HeVg`VhhZ#<ji[g@acjcY7dcc# Impressum Operapoint, unabhängige, publikumsnahe Zeitschrift für Oper und Konzert; ISSN 1864-4023 Zugleich: Organ des Vereins zur Pflege klassischer Musik durch Musikliebhaber e.V., Köln Anschrift der Redaktion: Schwabenstraße 3, 50996 Köln. 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