Tosca

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Operapoint
Zeitschrift für Oper und Konzert - unabhängig - publikumsnah
Jahrgang 8, Heft 2, 2008
Einzelpreis Euro 4,80
Festivaldaten in Deutschland und Europa 2008
Premierenkritiken zahlreicher Opernhäuser von Februar bis April 2008
Inhalt
Tosca von Giacomo Puccini im Teatro dell’ Opera in Rom
Olaf Zenner.................................................................................................................................................. S. 4
Universität der Stadt New York: Music, Body and Stage-Konferenz
Martin Knust .................................................................................................................................................S. 6
Thema
Warum machen Menschen Musik?
Olaf Zenner...................................................................................................................................................S. 8
Interview mit dem portugiesischen Kulturstaatssekretär ........................ S. 11
Informationen aus aller Welt ..................................................................................................S. 13
Zwei Meldungen von Johann Sebastian Bach
Olaf Zenner.................................................................................................................................................S. 15
Opernaufführungen im Ausland
London, Lüttich, New York und Zürich++.........................................................................................S. 16
Opernaufführungen in Deutschland
Aachen, Bayreuth, Berlin, Bonn, Bremen, Chemnitz, Dessau, Dortmund,
Dresden, Duisburg, Erfurt, Essen, Gelsenkirchen, Greifswald, Koblenz, Köln,
Krefeld, Stuttgart, München .....................................................................................................................S. 23
Neue CDs
..........................................................................................................................................S. 48
Impressum ...................................................................................................................................................S. 52
Titelbild: Floria Tosca (Mirtò Papatanasiu) vor dem getöteten Scarpia (Silvio Zanon)
2
E
Editorial
ndlich einmal eine überzeugende Inszenierung einer veristischen
Oper! Zum einhundertfünfzigsten Gegburtstag von Giacomo Puccini
hat Franco Zeffirelli in der römischen Oper Tosca inszeniert, was wir
zum Anlaß nehmen, das vorliegende zweite Heft des Jahrgangs 2008
von Operapoint mit einer Rezension dieser denkwürdigen Aufführung zu
eröffnen. Ein eindrucksvolles Szenenbild aus dem zweiten Akt der Oper
ziert unser Heft.
Eine ganz neue Perspektive in der Opernforschung bringt der Bericht über
die Ikonographie der Oper. Dabei wird das aus der 400jährigen Geschichte
der Oper überlieferte Bildmaterial musikwissenschaftlich gesichtet. Hier ist
eine Verbindung zwischen Kunst- und Musikwissenschaft in die Tat umgesetzt. Häufig wird über die Verbindung zwischen verschiedenen Kunstrichtungen referiert, doch selten kommt es zu einem tatsächlichen Austausch
wie hier geschehen. Ohnehin ist die Oper eine Verbindung verschiedenster
Künste. Wenn man das Singen in den Opern als Allerwichtigstes herausstellt, ist das eigentlich eine – mit Verlaub – schmalspurige Auslegung des
Kunstwerks Oper oder Musiktheater.
Damit Operapoint sich besser lesen läßt, haben wir ab jetzt eine neue
Schrift gewählt und hoffen, daß auch Sie als unsere Leser es gut finden.
Im Thema des Hefts: Warum machen Menschen Musik? werden Überlegungen angestellt, über die man sich normalerweise kaum Gedanken macht.
Aber die allenthalben monierte Umweltverschmutzung hat noch eine
Begleiterin: die die Menschen belastende Musikberieselung in Kaufhäusern, Hotelhallen, Aufzügen, Restaurants etc. Dabei kann der Mensch
ja weder weghören noch seine Ohren verschließen, wie er das mit den
Augen tut, die man nach Belieben schließen und wegdrehen kann. Aber
noch etwas anderes ist anzumerken: die auf Tonträgern überall und zu
jeder Zeit verfügbare Musik mit hervorragenden Interpreten läßt das eigene Musizieren mit Instrument oder Stimme stark in den Hintergrund
treten. Daher ist es nach meinem Dafürhalten gut, über die Möglichkeit einer Harmonisierung der zwei Naturen im Menschen, der Gefühle
(Triebe) und des Verstandes, mit Hilfe der Musik nachzudenken.
Weiterhin finden Sie im Heft wieder zahlreiche Rezensionen aus dem
Ausland und Deutschland. Wir werden diese kurzgefaßten Rezensionen
noch vermehren, um Ihnen damit eine Möglichkeit an die Hand zu geben, sich vor Ihrem Opernbesuch in knapper Form zu orientieren.
Einige CD-Besprechungen beschließen das Heft.
Im kommenden Heft 3 werden Sie sehr viele weitere CD- und DVDInformationen finden. Gerade Opern-DVDs kommen ja in letzter Zeit
in sehr großer Zahl auf den Markt.
In der Hoffnung, daß Sie bei der Lektüre des Hefts Vergnügen haben
und einiges Neues entdecken,
verbleibe ich mit herzlichen Grüßen
3
Tosca von Giacomo Puccini
im Teatro dell’ Opera in Rom
Dem vor einhundertfünfzig Jahren (1858) geborenen Giacomo Puccini erwies die römische Oper ihre Reverenz
und spielte Tosca im Januar und April 2008 in jeweils zwei Serien von acht und fünf Aufführungen. Die Oper
erlebte ihre Uraufführung am 14. Januar 1900 im Teatro Costanzi, heute Teatro dell’Opera. Den jetzt 85jährige Franco Zeffirelli kann man wohl zu den bekanntesten Opernregisseuren rechnen. Operapoint besuchte
die letzte Aufführung am 27. April 2008, Zeffirelli war anwesend. La Tosca ist sicher die bekannteste aller
Puccini-Opern, was wahrscheinlich auch auf den gleichnamigen Film von Brian Large 1992 mit Catharine
Malfitano, Plácido Domingo und Ruggiero Raimondi zurückgeführt werden kann.
Als Vorlage seiner Oper nahm Puccini ein seinerzeit
berühmtes Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou
(1831-1908). Dieser französische Theaterdichter war
bekannt für seine mit Überraschungscoups gewürzten
Schauspiele. Puccini unterwarf seine Oper dem Stil des
Verismo (vero-wahr), einem gegen Ende des 19. Jh.s
in Mode stehenden Theaterstil. Beispiele dafür waren
Cavalleria rusticana (Mascagni) und I Pagliacci-Der Bajazzo (Leoncavallo). Die Handlung sollte ungeschminkt
dargestellt werden: den triebhaften Mensch in all seiner
Grausamkeit, seinen Schwächen und Fehlern, kurz in
seiner Unkontrolliertheit stellte man auf die Bühne.
Es war der 14. Juni 1800, als die Österreicher unter General Melas dem französischen Heer unter Napoleon
Buonaparte bei Marengo (bei Alessandria, Norditalien)
gegenüberstanden. Am Vormittag siegten zunächst die
Österreicher, doch konnte Napoleon am Nachmittag
das Kriegsglück zu seinen Gunsten wenden.
Nach seinen Welterfolgen mit Manon Lescaut und La
Bohème brauchte Puccini fast zehn Jahre zur Komposition dieser Oper. Das war eine lange Zeit, doch das
Resultat war grandios, allerdings nicht am Uraufführungstag in der römischen Oper.
Die ebenso schöne wie berühmte Sängerin Floria Tosca
liebt den Maler Mario Cavaradossi, doch Baron Scarpia,
Polizeichef von Rom, will Tosca besitzen. Der Zufall
und Toscas grundlose Eifersucht gegenüber ihrem Mario kommen Scarpia zu Hilfe. Da Cavaradossi Cesare
Angelotti Unterschlupf gewährt (dieser war Anhänger
Napoleons und aus der Engelsburg entflohen), wird
er verhaftet und gefoltert, um Angelottis Fluchtort zu
verraten. Diese Folterung muß Tosca miterleben. Unter dem Druck verrät sie Angelottis Versteck. Der Preis
ihres Verrats: sie kann mit Cavaradossi Rom verlassen,
muß sich aber dafür Scarpia hingeben. Doch sie ersticht
Scarpia und eilt zur Engelsburg, wo man Cavaradossi gefangenhält. Dieser mußte sich, um den äußeren
Schein zu wahren, einer Scheinerschießung unterwerfen. Aber Cavaradossi stirbt im Kugelhagel. In Scarpias
Palazzo Farnese entdeckt man den toten Scarpia. Die
Gefolgsleute Scarpias eilen zur Engelsburg, aber Tosca
springt von deren Plattform hinab in den Tod.
Vor dem einschneidenden historischen Ereignis dieser Schlacht (Italien wurde danach vierzehn Jahre von
Frankreich beherrscht) spielt sich das für alle drei Personen tödliche Drama ab.
Kurzinhalt
Wie immer lagen dem Mißerfolg verschiedene Ursachen zugrunde: Die wirtschaftliche Lage war in Italien nicht rosig, und man hatte mehrmals Attentate auf
König Umberto I. verübt. Am 14. Januar 1900 hörte
man in Rom von einer Bombendrohung in der Oper.
Da konnte keine rechte Stimmung aufkommen, das Publikum nicht sonderlich begeistert werden! Tags darauf
fanden sich in der Presse unterschiedliche Ansichten.
Aber es dauerte nicht lange und die Oper wurde ein
überwältigender Erfolg. Die sechzehn nachfolgenden
Aufführungen in Rom waren sämtlich ausverkauft.
Was macht diese Oper so anziehend? Die Ingredienzien
für Sardous Tosca waren Sex, Sadismus, Religion und Kunst; sie
wurden von der Hand eines Meisterkochs gemischt und mit dem
ganzen Gericht auf dem Tablett eines wichtigen historischen Ereignisses serviert, so Mosco Carner in seiner lesenswerten
Biographie Puccini.
Die Aufführung
Wie gelang Zeffirelli die Umsetzung dieser schon zigmal auf die Bühne gebrachten Oper?
Hören wir seine Ansicht, die er in einem längeren Interview gegenüber Michele Mirabella geäußert hat. Es steht
im Opernprogrammheft, das in vorbildlicher Weise den
gesamten Operntext mit eingestreuten ansprechenden
Kommentaren zur Musik aufweist. Hier - nicht ganz
Die Spannung des Stücks ergibt sich daraus, daß Puccini die alte Regel (nach Aristoteles) angewendet und das
Schicksal dreier Personen an einem einzigen Tag und
am gleichen Ort Rom (die Kirche San Andrea della Valle, der Palazzo Farnese und die Engelsburg) schildert.
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nis ist zunächst unterhalb der Plattform der Engelsburg.
Nach dem ungemein gut vorgetragenen Klagegesang
Cavaradossis: E lucevan le stelle – und die Sterne glänzten, der nach frenetischem Applaus wiederholt wird (eine
Encore-Wiederholung habe ich seit über zehn Jahren
nicht mehr erlebt!) und nach Cavaradossis und Toscas
Hymne trionfal di nova speme – in Triumph und neuer Hoffnung fährt die Hebebühne die beiden hoch auf
die Plattform: sie werden sich im Himmel wiedersehen,
kann man sich vorstellen.
Bleibt noch zu erwähnen, daß Franco Zeffirelli bei geöffnetem Vorhang, also vor dem Bühnenbild und vor allen
Sängern, gemeinsam mit Gianluigi Gelmetti (der großartig das Riesenorchester leitet) erscheint, um sich bei Sängern, dem Chor, seinen Mitstreitern und dem Publikum
wortgetreu – einige Äußerungen Zeffirellis:
Wir sind im Verismo, alles wird also beschrieben: die Seelenzustände der Personen, ihre Akzente beim Singen, ihre Gebärden.
All das findet sich im Operntext und in der Musik. ….
Ich sage es in aller Offenheit: es gibt eine Menge Narren, die sich
die Willkür erlauben, zu ändern oder zu vereinfachen, was Puccini
vorgegeben hat. Die Regisseure sollten gut die Geschichte erzählen,
und zwar weniger das, was sie in der Tradition finden, als was
Puccini geschrieben hat. Die Oper unserer Zeit anzupassen kann
funktionieren, es ergibt aber ein mageres Resultat.
Genau danach hat Zeffirelli gehandelt. Beim Öffnen
des Vorhangs blickt man auf den Altar der Kirche San
Andrea della Valle, Angelotti kann hinter dem Gitter der
Attavanti-Kapelle links verschwinden, das Malergerüst
mit dem fast vollendeten Madonnenbild steht gegenüber.
Schlußbild (Tableau) des 1. Akts mit Volk, Ministranten, Würdenträgern (in Altarnähe) und dem Kardinal mit Monstranz
für das jedesmal ausverkaufte Opernhaus zu bedanken,
eine ungemein sympathische Geste, wie mir scheint.
Das Tableau (Bild, s. Abb.) zum Schluß des ersten Akts
zeigt den hohen Kirchenraum übervoll mit Volk, vielen
Geistlichen und Ministranten in Anwesenheit des Kardinals. Beim Aufrauschen von Orgel und Chor beim Gesang des Te Deum befindet man sich wirklich in einer Kirche. Man riecht den reichlich gespendeten Weihrauch.
Ein recht verstandener Verismo, meine ich! In gleicher
Weise auch die beiden folgenden Akte: Scarpias Residenz
als bibliothekähnlicher Arbeitsraum in dunklem Holz getäfelt, zuletzt die Plattform der Engelsburg.
Hervorragend alle Sänger, auch die Nebenrollen: Myrtò
Papatanasiu als Tosca, Giuseppe Gipali (Cavaradossi),
Silvio Zanon (Scarpia) und Francesco Facini (Angelotti) singen ausgezeichnet. Die Darstellung, bei Zeffirelli
genau nach der Musik ausgerichtet, bringen alle Protagonisten zwingend nachvollziehbar – besonders in der
Begegnung Tosca/Scarpia – zum Ausdruck. Besonders
gelingt Zeffirelli die letzte Szene: Cavaradossis Gefäng-
Ich bin überzeugt: eine veristische Oper sollte man auch
veristisch auf die Bühne bringen. Sollte jemand meinen,
ich hätte einem musealen Kostümfest beigewohnt, so sei
daran erinnert, daß Fernsehübertragungen vom Balkon
des Petersdoms (mit allen Kardinälen im Ornat) mehr
als eine Milliarde Zuschauer verfolgen, die die ehrwürdige Zeremonie kaum als museal empfinden.
O. Zenner
Bild: Corrado Maria Falsini
Giacomo Puccini: Tosca, Libretto: L. Illica und G. Giocosa. nach dem Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou
Regie/Bühnenbild: Franco Zeffirelli, Kostüme: Anna Biagiotti,
Licht: Alessandro Santini Dirigent: Gianluigi Gelmetti, Orchester und Chor des Teatro dell’Opera; Solisten: Myrtò Papatanasiu (Floria Tosca), Giuseppe Gipali (Mario Cavaradossi), Silvio
Zanon (Baron Scarpia), Francesco Facini (Cesare Angelotti),
Matteo Ferrara (Mesner), Claudio Barbieri (Spoletta), Antonio Taschini (Sciarrone), Massimo Mondelli (Gefängniswärter)
Besuchte Vorstellung: 27. April 2008 (Premiere: 14. 01.2008)
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Universität der Stadt New York
Music, Body and Stage - Musik, Körper und Bühne
Die Ikonographie von Musiktheater und Oper vom 11.-14. März 2008
10. Konferenz des Research Center for Music Iconography (RCMI) und
12. Konferenz des Répertoire International d’Iconographie Musicale (RIdIM)
ten, von denen im folgenden nur eine kleine Auswahl
vorgestellt werden kann.
Die Ikonographie ist ursprünglich eine kunstwissenschaftliche Disziplin gewesen. Sie beschäftigt sich üblicherweise mit dem Sichten und Interpretieren von Bildquellen, die – nicht selten aufgrund ihres hohen Alters
– viele Informationen enthalten, die sich nur durch die genaue Kenntnis der historischen Hintergründe und durch
Vergleiche unter den Quellen erkennen lassen. Hervorragende Beispiele sind etwa die religiösen Gemälde des
Mittelalters, bei denen die Farben und verwendeten Symbole mitunter einen ganz anderen, verborgenen Sinn haben als uns auf
den ersten Blick
deutlich ist.
Pierluigi Petrobelli (Rom) gab anhand der verschiedenen
Traditionen von Inszenierungen der Opern Giuseppe
Verdis einen Überblick über die Vielzahl von Fragen, die
auftauchen, wenn man schlicht versucht, die Dekorationen der Verdi-Zeit zu rekonstruieren, und wie schwierig
es ist, Bezüge zwischen Musik und Bühnenbild im allgemeinen herzustellen. Richard Leppert (Minneapolis)
legte in seiner Interpretation von Werner Herzogs Film
Fitzcarraldo unter
anderem
dar, wie hierbei
spielerisch mit
alten Inszenier ungsfor men
der Oper umgegangen wird,
wie die Musik
als eine unkörperliche Kunst
gewissermaßen
eine Hauptrolle
in einem Film
spielen kann.
Im
Bereich
der
Musikforschung hat
diese Art der
Bildinterpretation in den
letzten Jahren
stark an Bedeutung gewonnen. Wichtige
Gründe dafür
sind zum einen, daß es
Das die Tagung
eine Fülle von
beschließenMusiker- und
de Referat von
Die Universität in New York mit Triumphbogen (Washington Arch)
MusikdarstelTilman Seebass
lungen aus den vergangenen Jahrhunderten gibt, zum (Innsbruck) präsentierte eine Vielzahl von Bilddokuanderen, daß diese Darstellungen – man denke nur an menten zum Musiktheater um 1900, etwa Alfred Rollers
die ägyptische oder römische Antike – mitunter das ein- Dekorationen zu Richard Strauss’ Opern oder Arnold
zige sind, was von dem Musikleben alter Kulturen noch Schönbergs Bilder und Entwürfe zu seinen Musikstüerhalten ist.
cken, in denen den Farben und ihrem Zusammenhang
Auf dem New Yorker Kongreß ging es nun nicht ganz mit der Musik eine enorm wichtige Rolle zukommt.
so weit in die Vergangenheit zurück, denn die Oper ist
ja eine „erst“ 400 Jahre alte Gattung. Aber selbst, wenn
man nur ein Jahrhundert in der Geschichte zurückblickt, lassen sich noch echte Entdeckungen machen,
die unsere Sicht auf diese Epoche verändern. Zu dieser viertägigen Konferenz waren Vortragende aus allen
Erdteilen angereist, u.a. aus Brasilien, der Türkei, China
und Neuseeland. Insgesamt 68 Vorträge wurden gehal-
Die Vorträge von Thomas Betzwieser, Anno Mungen
(beide Bayreuth) und Martin Knust (Greifswald) setzten
sich mit der Gestik auf der Opernbühne des späten 18.,
19. und frühen 20. Jahrhunderts auseinander. Christine Fischer (Zürich) und Nicole Lallement (Paris) stellten Bildquellen des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre
Auslegung vor, wovon aus dieser Zeit Kupferstiche und
Zeichnungen von Architektur, Bühnenbild und Kostüm
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des damaligen Musiktheaters Zeugnis ablegen.
gat zu lesen sind (Emile G.J. Wennekes, Utrecht).
Doch nicht nur die Methodik der Auslegung, auch die
Art der Quellen ist ungeheuer vielfältig. So wurden in
mehreren Vorträgen Karikaturen von Opernsängern,
Inszenierungen und Komponisten als wichtige Quellen der zeitgenössischen Publikumsreaktionen wie auch
der Aufführungen an sich herausgestellt, etwa von Clair
Rowden (Cardiff), Anita S. Breckbill (Lincoln/Nebraska) oder Anna Maria Ioannoni Fiore (Pescara, Italien).
Neben zweidimensionalen Darstellungen wie Portraits,
Medaillons, Postkarten usw. gibt es seit dem 18. Jh. kleine Porzellanfigürchen von berühmten Sängerinnen, FanArtikel des beginnenden Primadonnenkults, die Berta
Joncus (Oxford) in ihrem Vortrag vorstellte. Außergewöhnlich ist auch eine spezifisch portugiesische Tradition der Darstellung von Musikern, nämlich in Form von
Zeichnungen auf Kacheln – das Verfahren stammt, wie
man an den blauen Zeichnungen auf weißem Grund sofort erkennt, aus den Niederlanden – mit denen die Gärten und Räume von Palästen ausgestattet wurden, was
wiederum auf maghrebinische oder arabische Einflüsse
zurückgehen dürfte. Hierzu gab es zwei Vorträge von
Daniel Tércio sowie Luís Sousa und Luzia Rocha (alle
aus Lissabon).
Welch großen Einfluß auf
die akustischen und optischen
Möglichkeiten eines Theaters
die Architektur von Bühne und Zuschauerraum hat,
zeigte Dorothea Baumann
(Zürich) in ihrem äußerst materialreichen Vortrag.
Unmöglich dürfte es sein, die zahlreichen disparaten
Themen und Ergebnisse knapp zusammenzufassen. Allerdings wurden mehrere grundlegende Dinge bei dieser
Konferenz deutlich:
Schließlich ist noch zu erwähnen, daß es nicht nur
um das Musiktheater im
traditionellen Sinne ging,
sondern auch um – teilweise alterwürdige – Traditionen wie Begräbnisriten und
religiöse Prozessionen etwa
in Brasilien und der Slowakei, und um das Musical
und die Inszenierung von
Rockbands auf der Bühne.
Schließlich wurde auch die
bildliche Selbstinszenierung
von Dirigenten, die Mitte
des 19. Jahrhunderts einsetzte, unter die Lupe genommen, etwa, wie das zeitgenössische englische Publikum
Hans Richter wahrnahm (Holly Matthieson, Neuseeland)
oder wie filmische Dokumente
von Willem Mengelbergs Diri-
1. Nicht nur im Bereich der Alten Musik ist eine eingehende Auswertung der ikonographischen Quellen sinnvoll und
fruchtbar. Das 19. und frühe 20 Jh. ist uns in dieser Hinsicht
oft fremdartiger und ferner als wir gemeinhin annehmen.
2. Längst sind noch nicht alle Quellen, ja noch nicht
einmal alle Quellentypen erfaßt. Gleichwohl lassen die
durch das RIdIM und RCMI bereits erfaßten und katalogisierten Bestände in einer vor wenigen Jahrzehnten
noch nicht geahnten Weise Deutungen und ein neues
Verständnis des Musiktheaters zu und erlauben dem
heutigen Forscher sichere Urteile auf diesem Gebiet.
3. Die interdisziplinäre Arbeit ist bei all den präsentierten
Forschungsvorhaben Programm. So fließen in der MusikIkonographie Kunst- und Musikwissenschaft zusammen.
Doch es gilt nun, den Blick auch mit Hilfe anderer Disziplinen zu schärfen, z.B. Architekturgeschichte, Akustik,
Literatur-, Film- und Theaterwissenschaft, Theologie,
Soziologie u.v.a. Nicht, daß
es darum gehen würde, den
Gegenstand völlig ausufern
zu lassen, ganz im Gegenteil.
Wie bei der guten Analyse
eines Musikstückes gilt auch
hier: Jedes Stück verlangt
nach einer besonderen, angemessenen Weise des Zugriffs.
Eine Methode, die bei dem
einen Stück, z.B. einer Bachfuge, zu interessanten Resultaten führt, muß das nicht bei
einer Verdi-Arie tun.
Die Karikatur zeigt Jules Massenet (1864-1912) und dessen
Geliebte, die Sopranistin Sybill Sanderson (1865-1903).
Der Komponist hatte die Titelrolle der Thaïs extra für die
Sanderson geschrieben, wodurch die Oper 1894 einen enormen Erfolg hatte. Der Karikaturist macht sich lustig über die
Vorhersehbarkeit des Erfolges der Oper, da Massenet durchweg
auf der Welle der Kritik der damaligen Zeit schwamm.
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Den Veranstaltern, von denen stellvertretend hier nur
Antonio Balsassare (Wien),
der Vorsitzende der Commission mixte des RIdIM,
und Zdravko Blazekovic
(New York) vom RCMI
genannt seien, ist mit Nachdruck für ihre immensen
Anstrengungen zu danken,
eine derart reichhaltige und
beflügelnde Konferenz zu
organisieren, die einen tiefen und globalen Einblick in die
Entwicklung und den Forschungsstand einer jungen wissenschaftlichen Disziplin erlaubte.
M. Knust
Warum machen Menschen Musik?
In Ingolstadt (Bayern) fand vom 26.-29. März 2008 das jährliche Treffen von nicht hauptberuflich
tätigen Organisten statt. In diesem Jahr feierte man das 30jährige Bestehen des Treffens. Im Hauptberuf sind diese Menschen Juristen,Verwaltungsangestellte, Ärzte, Lehrer, Architekten etc. In ihrer
Freizeit üben sie sich im Orgelspielen. In Seminaren werden dann unter Aufsicht eines Dozenten
(hier Professor Edgar Krapp von der Münchner Musikhochschule) Kompositionen von Bach, Reger
usw. erarbeitet. Bei der Festansprache versuchte ich, den Sinn unseres Musizierens herauszustellen
und auf die einfach erscheinende Frage, warum wir Orgel spielen, eine Antwort zu finden. Aber
letztendlich ging es mir um eine umfassende Überlegung hinsichtlich des Verhältnisses des Menschen zur Kunst und insbesondere zur Kunstausübung.
re – Begreife als Symbol, daß es eines starken Verstandes bedarf, die
gesunde Wahrheit zu ertragen. (Das Symbol ist der Elefant mit Obelisk).
Sie fragen sich wohl, was das mit unserer Frage nach der
Beschäftigung mit Musik zu tun
hat? Nun, es sollte die aufwendige Suche nach dem wahren
Beweggrund unterstreichen, der
einige Menschen wie die hier
anwesenden Teilnehmer des
Orgelkurses dazu veranlaßt, viel
Zeit und Anstrengung auf das
Aneignen der technischen und
künstlerischen Seite des Orgelspielens zu verwenden, und das
Ganze ohne Aussicht auf Ehre
oder große materielle Güter.
Wenn ich mir hier erlaube, einige Gedanken zu äußern
zur Frage, warum Menschen überhaupt Musik machen,
so möchte ich unsere Beschäftigung mit dem ehrwürdigen Instrument Orgel als unsere Teilnahme an der Musik und
überhaupt an der Kunst im Leben des Menschen herausstellen.
Die hierzu geäußerten Überlegungen sind die Frucht der
Auseinandersetzung von dreißig
Jahren. Ich äußere mich hier als
Amateurorganist und als Arzt.
Als Arzt muß ich aber auch Realist sein. Denn ohne eine realistische, wirklichkeitsbezogene
Haltung kann ich ja als Arzt nicht
überleben. Im Blickwinkel habe
Hier also meine Frage: Warum
ich die gewandelte kulturelle
üben wir uns sozusagen absichtsAuffassung, als Folge der geänlos und ohne konkretes Ziel im
derten technischen Bedingungen
Orgelspielen – oder allgemein –
– denken Sie nur an den Comwarum spielen Nichtberufsmuputer oder das Internet – sowie
siker mit einer so großen Ernstdie mir grundsätzlich geändert
haftigkeit ein Instrument?
erscheinende Lebensauffassung
Es würde hier zu weit führen,
in unserem Land.
individuelle Antworten auf dieVielleicht waren Sie schon einse Fragen aufzuzählen und sie
mal in Rom und standen vor
im einzelnen zu analysieren.
der schmucklosen Fassade von
In den zurückliegenden dreißig
Santa Maria sopra Minerva, die
Jahren suchte ich in den Kultursich ganz in der Nähe des römiwissenschaften, in der Musikschen Pantheons befindet. Auf
Der Elefant von Bernini vor der Kirche Santa Maria
wissenschaft, in der allgemeinen
dem kleinen Platz vor der Kirche
sopra Minerva mit der zitierten Inschrift
Geschichte, in soziologischen
steht ein seltsames Denkmal: es
Abhandlungen und nicht zuletzt
zeigt einen Elefanten mit überlangem Rüssel, auf des- in Gesprächen mit den Kursteilnehmern, eine Antwort
sen Rücken sich ein Obelisk aus dem 6. Jh. vor Christus auf die oben gestellte Frage zu bekommen. Denn es
befindet. Das Denkmal geht auf den großen römischen müßte doch irgendeinen wichtigen Grund geben, warBaumeister Bernini zurück. Folgende Inschrift steht auf um Menschen die Mühe auf sich nehmen, langandaudem Sockel dieses kleinen Elefanten:
ernd auf harten Bänken und in kalten Kirchen Orgel zu
üben. Man macht nicht jahrelang etwas, was doch kei-
Documentum intellige robustae mentis esse solidam sapientiam sustine-
8
den sich damals ereignenden Greueltaten der Massen.
Der gemeinsame Gedanke, der das Gerüst dieser Briefe letztlich darstellt, ist der Versuch, in einem gegenüber
dem Absolutismus verbesserten Staatsgebilde einen vernunftgeleiteten, aber auch gemütvollen Menschen zu
entwickeln und ihn in ein ebenso geordnetes Staatsgebilde einzubeziehen.
Ich habe aus der Fülle des Materials die Gedanken von
Schiller herausgearbeitet, in der die Beteiligung des Menschen an der Kunst eine besondere Stellung einnehmen.
Kein Philosoph oder anderer Schriftsteller nach Schiller hat
nach meinem Dafürhalten je wieder so dezidiert und überlegt den Menschen hinsichtlich der Kultur sowie der Kunst
und seiner Teilhabe daran dargestellt.
neswegs oberflächlich im Sinne eines Hobbys vonstatten
geht, ohne daß wichtige menschliche Lebensimpulse dahinterstecken.
Das eben ist die Suche nach der Wahrheit, die ich oben
mit dem Beispiel des Bernini-Elefanten versuchte, Ihnen deutlich zu machen.
Wie gesagt, ich suchte und fand in den üblichen fachspezifischen Kategorien nichts, gar nichts!
Nach der aussichtslosen Suche wurde mir klar, daß die
Beantwortung dieser einfach anmutenden Frage in der
Philosophie liegen müßte. Wir erinnern uns, Philosophie heißt: Liebe zur Weisheit, d.h. die hingebungsvolle
Beschäftigung mit der Weisheit. Demzufolge müßten
wir Amateurorganisten uns eigentlich
Phil-Organisten nennen, da wir uns ja
mit dem Orgelspielen hingebungsvoll
beschäftigen.
Langsam wurde mir klar, daß ich meine
Suche auf eine Person konzentrieren
müßte, die sowohl auf dem Terrain der
Philosophie als auch auf künstlerischem
Gebiet sich umgetan hat. So entdeckte
ich den Dichter Friedrich von Schiller als
Philosophen und kam auf dessen philosophisches Hauptwerk mit dem Titel:
Über die ästhetische Erziehung des Menschen
in einer Reihe von Briefen.
Schillers Ansicht wurde von tiefer
Kenntnis der Kant’schen Schrift Kritik der Urteilskraft und seiner eigenen
Künstlerlaufbahn gespeist. Bei allen
Utopien, die in den Briefen anklingen,
ist Schiller aber immer dem realen Leben verhaftet geblieben, woran sicher
sein Beruf als Arzt eine entscheidende
Rolle spielte.
Seine Gedanken einer ästhetischen
Erziehung des Menschen haben eine
bestürzende Modernität, wie die hier
angeführten Zitate bestätigen werden.
Da für die Aufklärung des Verstandes
Schiller schrieb von 1793-1795 diese
schon vieles geleistet wurde, ist es nun ein
siebenundzwanzig Briefe zunächst an
F. Schiller (1759-1805)
seinen Gönner, den Prinzen Friedrich Gemälde von Ludovike Simanowiz (1794) dringendes Bedürfnis unserer Zeit, auch
zur Veredelung der Gefühle beizutragen.
Christian von Schleswig-Holstein-Son(1. Brief vom 13.7.1793)
derberg-Augustenburg und erweiterte sie später noch
etwas. Vergegenwärtigen Sie sich bitte, daß diese Briefe Wenn man nun seine Worte bezüglich der damaligen
1793, also vor genau 214 Jahren geschrieben wurden. Sa- Kultur liest, meint man, ein gesellschaftlich mutiger Jourgen Sie aber nicht, was haben uns diese alten Schriften nalist von heute würde zu uns sprechen. Und weiter:
denn heute noch zu sagen? Denn Sie sollten sich in Erin- Der versachlichte Arbeitsprozeß hat den Genuß von der Arbeit,
nerung rufen, daß der weitaus größte Teil der Musik, die das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung gewir heute spielen und studieren, aus dieser Zeit stammt.
schieden. Der Mensch wird nur noch Bruchstück seiner selbst, wird
Ich werde diese inhaltsschweren Briefe natürlich nur im bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft.
Inhalt streifen können und daraus einige Ausschnitte zi- Der Geschäftsmann bleibt in dem einförmigen Kreis seines Berufs
tieren. Um es vorweg zu sagen, sie handeln im Kern um befangen und zeichnet sich durch pedantische Beschränktheit aus;
die Harmonisierung der zwei Kräfte, die in jedem Men- und die Wissenschaft läßt die geistige Arbeit immer abstrakter
schen vorhanden sind: den Trieben oder den Gefühlen werden, bis sie in der leeren Substanz der Gelehrten verkümmert.
bzw. dem Geist oder dem Verstand.
Was schließlich den Staat betrifft, so achtet er eifersüchtig auf
Wiederum sollten wir uns vergegenwärtigen, daß wir den Alleinbesitz seiner Diener. Er tritt dem unmündigen Bürger
heute, 2008, in einer Zeit des völligen Werteverfalls le- durch Repräsentation aus zweiter Hand entgegen, also durch Geben, daß bedrohliche Angriffe auf unsere Nation vor der setze und Steuern, Bürokratie und Polizei. Er funktionalisiert
Tür stehen, daß unser christliches Weltbild, unsere Reli- die Bürger. Wohin er auch schaue, er nehme nur Opfer staatlicher
gion also, und damit natürlich auch unser Orgelspiel, vor Bürokratie, dystopischer Arbeitsteilung [an ungewöhnlichen
Stellen vorkommend, z.B. bei menschlichen Organen]
einer säkularen Auseinandersetzung stehen.
Schillers Briefe wurden vier Jahre nach der Französischen und rationaler Produktivität wahr, die verkrüppelten Gewächsen
Revolution von 1789 verfaßt, im gleichen Jahr, in dem gleichen. In diesem zerrütteten Gemeinwesen kann weder das Inman grundlos König Ludwig XVI. guillotiniert hatte. dividuum all seine Talente entfalten, noch Staat und Gesellschaft
Schiller war tief enttäuscht von dieser Entwicklung und zu einem harmonischen Ganzen gelangen.
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Im oben Gesagten (6. Brief) äußert sich Schillers Kulturpessimismus. Er spricht von der Entfremdung des
Menschen von der Natur, von der Arbeitsteilung im Alltag, von der Spezialisierung des einzelnen. All das hat aus
der Menschheit – so schreibt Schiller – eine Armee nützlicher
Sklaven gemacht. Schiller vergleicht diese menschliche Arbeitsform
mit der Mechanik eines kunstreichen Uhrwerks.
von beidem etwas, vom Verstand und vom Gefühl.
Ehrlicherweise räumt Schiller allerdings ein, daß die
großen technischen Fortschritte nur durch eine solche
sinnentfremdende Arbeitsteilung bewirkt werden konnten.
Schiller wußte sehr wohl, daß er hier den Boden der
Wirklichkeit scheinbar verließ und sich in eine Utopie
begab. Seine Erläuterung dazu ist aber einleuchtend:
Dann stellt Schiller die Frage, wie die Entfremdung des
Menschen von der Natur ausgeglichen werden könnte.
Vom Staat Hilfe zu erwarten würde erfolglos sein, weil
gerade der Staat diese mißlichen Zustände zuwege gebracht habe und man schwerlich erwarten könne, daß
von ihm Hilfe kommen könnte; denn der Staat müßte
sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nicht
die Wahrheit erobern.
Es liegt einzig und allein am einzelnen Menschen, denn
jeder trägt in sich die Anlage und die Bestimmung eines idealistischen Menschen. Nun besteht der Mensch
aus Trieben und Vernunft. Er ist ein Wilder, wenn seine
Triebe – auch Gefühle genannt – über seine Vernunft
herrschen. Das ist die vielbeschriebene Trieb- und Vernunftnatur des Menschen.
Schiller fordert die Versöhnung
der gegensätzlichen Kräfte von
Gefühl und Verstand, Sinnlichkeit und Vernunft, also Natur und
Rationalität. Erst dieser Ausgleich
formt den gebildeten Menschen
und gibt die Entscheidungsfreiheit
wieder in die Hände des Menschen
zurück, um z.B. seinen sittlichen
Vorstellungen zu folgen.
Aus dem Gesagten ergibt sich wohl einigermaßen zwingend, daß mit dem Spielen nicht nur das Spielen eines
Instruments gemeint sein kann. Wäre nur diese Bedeutung gemeint, hätte dies Schiller deutlich angegeben. Da
er die Einschränkung – Spielen auf einem Instrument wegläßt und alle Menschen ausdrücklich anspricht, dabei
aber die Kunst als die Basis angibt, können wir folgern,
Und wörtlich:
Der Weg zu dem Kopf geht nur durch das Herz. Denn, um es
endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er
in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz
Mensch, wo er spielt.
Schiller schwebt also nichts Geringeres vor, als die Krise
der 1793 gegenwärtigen Kultur durch Kunst zu überwinden, genauer gesagt, durch Teilhabe der Menschen
an der Kunst. Nach Schillers Ansicht sind im Spieltrieb
Sinnlichkeit und Vernunft zugleich tätig.
Also folgert Schiller:
Der einzige Weg, auf dem sich der
Mensch von der Vormundschaft des
Staates und der Gesellschaft befreien
könnte, ist, sich mit der Kunst zu beschäftigen.
Albert Schweitzer an der Orgel
daß er den ganzen Kunstbereich meint, also Malerei,
Plastik, Architektur, Poesie und schließlich Musik.
Es war für mich also naheliegend, uns als Orgelspieler
mit dem spielenden Menschen zu identifizieren. Ich meine uns Phil-Organisten oder Amateur-Organisten. Denn
wir spielen ja im wahrsten Sinn des verwendeten Wortes.
Wie können nun die auseinandergeratenen Kräfte des Menschen zusammengeführt werden?
Wie kann der Mensch wieder in Harmonie, in Einklang
mit sich kommen?
Das gelingt nach Schiller nur, wenn die Menschen durch
die Kunst eine ästhetische Erziehung erhalten würden.
Es ist der Versuch, durch Kunst und ästhetische Erziehung die getrennten Kräfte der Seele wieder zu vereinen,
um so den ganzen Menschen in uns wiederherzustellen.
Ich hoffe, ich habe Ihnen einige für unser aller Selbstverständnis nützliche Gedanken darlegen können. Es ist
für mich tröstlich, daß der Künstler-Philosoph Friedrich
von Schiller vor über eineinhalb Jahrhunderten Überlegungen anstellte, die auch für uns heutige Menschen
eine große seelische Hilfe bedeuten können.
Als Schlüssel zum Ganzen präsentiert uns Schiller seine
Überlegungen zum menschlichen Spieltrieb (15. Brief).
Nur durch den Spieltrieb geschieht die Vermittlung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft; denn der Spieltrieb hat
O. Zenner
10
Interview mit dem portugiesischen
Kulturstaatssekretär Mário Vieira de Carvalho
Operapoint war bei der diesjährigen Tagung der EMA (Europäische Musiktheater-Akademie) vom
27.-30. Januar 2008 anwesend. Dabei ergab sich die Möglichkeit, Herrn Professor Dr. Mário Vieira
de Carvalho in seinem Amtssitz im Palácio Nova da Ajuda am 28. Januar 2008 zu interviewen.
? Sehr geehrter Herr Staatssekretär, mich interessiert das
Musikleben in Portugal. In Deutschland hat man kaum
Kenntnisse davon. Zunächst möchte ich Sie fragen, wo
Sie Musik studiert haben?
! Ich habe zunächst Rechtswissenschaft studiert, übrigens mit
Schlußexamina. Ich studierte privat Musik und wurde Musikjournalist. Die Rechtswissenschaft habe ich nie ausgeübt.
in Lissabon, in dem die Oper Xerxes von Händel in einer Inszenierung von Herz mit dem Leipziger Ensemble
gezeigt wurde. Brecht und das Berliner Ensemble waren
auch für mich wichtige Begriffe.
? Wo wird in Lissabon Musik gelehrt?
! An der Staatsuniversität. Dort bin ich Professor für Musiksoziologie. Ich begann 1986 als Assistent und bin seit
Palácio Nova da Ajuda, Lissabon, Amtssitz des Kulturstaatssekretärs
1997 Ordinarius für Musiksoziologie. In den letzten drei
Jahren mußte ich aber meine Forschungs- und Lehrtätigkeit unterbrechen, da ich bei der Regierung arbeite.
? Sie sind Staatssekretär für Kultur?
! Ja. Die Einladung kam von der Kulturministerin. Wir
amtierten im März 2005 als Mitglieder der neuen sozialistischen Regierung.
? Der Staatssekretär ist derjenige, der die Arbeit leistet?
! Wir arbeiten in einem Team, ich bin Stellvertreter der Ministerin, wenn sie nicht anwesend ist. Ich übernahm nämlich die
direkte Verantwortung für Musik-, Theater- und Opernwesen,
Film, die Unterstützung der Künste im allgemeinen.
? Und Sie sind der Chef der Oper?
! Nein, ich bin der Verantwortliche für die Kulturpolitik,
Später war ich sehr interessiert am deutschen Musiktheater. Ich knüpfte Kontakte mit Joachim Herz, dem Assistenten von Walter Felsenstein und späteren Intendanten
in Dresden. [Felsenstein (1901-1975) war von 1947-75
Intendant der Komischen Oper in Berlin.]
Dann (1984) schrieb ich eine Dissertation an der Humboldt-Universität in Berlin bei Christian Kaden
(Denken ist Sterben, Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon, Bärenreiter 1999).
? Und warum haben Sie Deutschland gewählt?
! Gerade weil mich die Entwicklung des Musiktheaters
in Deutschland besonders interessierte, vor allem wegen
Felsenstein und Herz. Denn ich kannte Felsensteins Ansatz auf dem Gebiet des Musiktheaters. 1975 gab es ein
Gastspiel der Leipziger Oper im Opernhaus São Carlos
11
die damit zusammenhängt und im Regierungsprogramm langfristige Verträge machen. Wir finden es sehr positiv,
entworfen wurde. Die Staatstheater wurden von meiner daß ein Sänger sich ans Opernhaus bindet und damit auch
Regierung in öffentliche Unternehmen umgewandelt. Der beim Publikum bekannt wird. Auch wenn ausländische
Grund war, ihnen mehr finanzielle Autonomie zu geben, Sänger eine Beziehung mit dem Land und seiner Kultur
weil die Regeln der Staatsverwaltung bei uns sehr strikt sind beginnen, ist das positiv.
und eigentlich keine langfristige Planung erlauben. Jetzt ist ? Nun noch etwas anderes: wie sind die kulturellen Beziees so, daß die Staatstheater als öffentliche Unternehmen ei- hung von Ihnen, also vom Staat Portugal, mit dem Staat
nen dreijährigen Vertrag mit dem Staat schließen, worin das Brasilien?
gesamte Budget und die Ziele festgesetzt werden.
! Unsere beiden Staaten haben enge Beziehungen auf
? Sagen Sie als Kulturstaatssekretär, was und wie die The- allen politischen, sozialen und kulturellen Ebenen. Und
ater planen sollen?
meine Regierung hat viel geleistet, um diese Entwick! Die Theater machen ihre Verträge selbständig und disku- lung noch weiterzuführen. Nicht nur zweiseitig, sondern
tieren ihre strategische Entwicklung und Finanzierung mit auch im Rahmen der Gemeinschaft der portugiesischdem Kultur- und Finanzministerium. In erster Linie gilt sprechenden Länder (CPLP) bzw. der Organisation der
als Ziele: Förderung der portugiesischen Künstler und des ibero-amerikanischen Staaten (OEA) sind unsere beiden
portugiesischen Kulturerbes, dann weiter, die Entwicklung Staaten in der Zusammenarbeit engagiert.
der Beziehungen im internationalen Netz. Das São Carlos Ich mag Brasilien sehr, auch im Sinne der Möglichkeiten
muß sich einem breiteren Publikum öffnen.
der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und durch regelmäßigen Austausch mit Kollegen von Sao Paulo und
? Sie richten jetzt ein Opernstudio ein?
! Ja, dies steht als Aufgabe im neuen Statut, hinzu kommt ein Rio de Janeiro. Wissen Sie, ich beschäftige mich mit der
Erziehungsprogramm für junge Leute. Auch Kinderoper-Pro- Musiksoziologie Theodor W. Adornos sehr detailliert.
jekte wollen wir fördern. Übrigens ist das São Carlos das einzige 2003 hae ich in Belo Horizonte an einem Kongreß über
Operntheater in Portugal.
? In Porto gibt es nur Sprechtheater?
! Ja, doch wir verlangen vom São
Carlos, daß es nicht nur in Lissabon, sondern auch durch Gastspiele wirkt – nämlich in mehreren, gut
ausgestatteten städtischen Bühnen,
darunter einigen historischen Gebäuden, die im Laufe der letzten
Jahre renoviert bzw. neu gebaut
wurden. Im September 2007 hat
das São Carlos in der Stadt Azores
mit einer Oper gastiert. Mit Unterstützung einer Firma ist es auch
vorgesehen, daß eine Operninszenierung in verschiedenen Theatern
direkt (über Satellit) übertragen
wird, wie es jetzt bei der Uraufführung von Das Märchen von EmmaKulturstaatssekretär Mário Vieira de Carvalho
nuel Nuñes geschehen ist. Dreitausend Zuschauer haben dem ersten
Adorno teilgenommen. Anwesend waren 80 Forscher aus
Teil der Oper beigewohnt (2 Stunden). Für den 2. Teil aller Welt, Deutschland natürlich einbezogen, die meisten
(weitere 2 Stunden) blieben nur etwa eintausend. Manche aber aus Brasilien. Ich selbst habe über Adornos Theorie
hatten noch nie eine Oper gesehen.
der musikalischen Reproduktion gesprochen. Übrigens
habe ich auch 2003 ein kleines internationales Adorno? Wie groß ist der Etat für das Teatro São Carlos?
! Ungefähr 14 Millionen im Jahr. Hinzu kommen noch Sponso- Kolloquium in meiner Universität organisiert.
rengelder, so daß sich der Etat auf etwa 16,5 Millionen erhöht.
? Wieviel Angestellte gibt es am São Carlos, ich meine, Olaf Zenner: Ich danke herzlich für das Interview.
Prof. Vieira de Carvalho: Es hat mich sehr gefreut, daß
den technischen Stab und die Künstler?
! Das Opernhaus hat ein Sinfonieorchester, einen Berufs- Sie nach Lissabon gekommen sind und daß Sie das
chor, technische Angestellte, aber kein festes Ensemble. Opernhaus São Carlos besucht haben – eine gut erhalteDoch in Zukunft wird das Opernhaus auch mit Sängern ne historische Opernbühne aus dem Jahr 1793.
12
Informationen aus aller Welt
Ein großer Bassist wird siebzig
Der in Buir bei Köln geborene Bassist Kurt Moll wurde an der Kölner Musikhochschule zum Sänger ausgebildet und bekam seine erste
Anstellung bei den Wuppertaler
Bühnen. Sein tiefgrundiger Baß
führte ihn rasch nach Bayreuth
(1967) als zweiter Gralsritter in
Wagners Parsifal. 1970 kam er
nach Salzburg, wo er mit der Rolle des Sarastro in Mozarts Zauberflöte debütierte. Diese Rolle – sie
wurde seine Paraderolle – sang er auch 1972 an der
Wiener Staatsoper. Es folgten Schallplattenaufnahmen
1984 unter Sir Colin Davis und 1990 unter Sir Georg
Solti mit der Mozartpartie.
In den vielen Jahren seiner großen Karriere glänzte
Kurt Moll wohl im gesamten vorhandenen Baß-Repertoire von Seneca in Claudio Monteverdis Poppea bis hin
zu den Rollen bei Verdi (Philipp II.), Wagner (Daland,
Hunding, Gurnemanz) und Moussorgski (Boris). Fast
unübertroffen gestaltete er seinen Graf von Lerchenau
in Richard Strauss’ Rosenkavalier. Nicht weniger überzeugte er als Liedersänger in Schuberts Winterreise und
den Loewe-Balladen.
Vielleicht ist er bei uns vor allem als Mozartsänger unübertroffen. Seiner Darstellung als Haremswächter Osmin in Mozarts Entführung aus dem Serail hat kaum ein
anderer Sänger soviel Komik und Charakter gegeben
wie Kurt Moll. Am 11. April wurde er siebzig Jahre alt.
Giuseppe di Stefano mit 86 Jahren gestorben
Am 2. April dieses Jahres verstarb
einer der ganz großen Tenöre unserer Zeit in seinem Haus bei Mailand an den Folgen eines Überfalls,
den er 2004 in seinem Haus in Kenia erlitten hatte. Von den schweren Verletzungen hat er sich nicht
mehr ganz erholen können.
Der Sizilianer di Stefano war nach
seinem Auftreten in der Rolle Des
Grieux in Jules Massenets Manon
1947 an der Mailänder Scala auf der Stelle berühmt. Jürgen Kesting zitiert in seinem Buch Die großen Sänger des
20. Jh. den langjährigen Leiter der Metropolitan Opera
in New York Rudolf Bing in 5000 Abende in der Oper mit
folgenden Worten: Es war ein wirkliches Erlebnis, als ich das
Diminuendo seines hohen C bei Salut, demeure chaste et pure in
Faust (Gounod) hörte. Solange ich lebe, werde ich die Schönheit
dieses Tons nicht vergessen.
Di Stefano verdiente sein erstes Geld in Kaffeehäusern,
Kirchen und Kinos, erhielt dann eine Ausbildung, mußte aber vor dem Abschluß zum Militär, wo er mit seinem Singen so auffiel, daß man ihn freistellte. Nach dem
Krieg schaffte er es sehr rasch, am Teatro alla Scala zu
singen. Schnell kamen auch Schallplattenaufnahmen und
sein Debüt am 25. Februar 1948 an der Met mit dem
Herzog in Rigoletto. Im folgenden Jahrzehnt sang er oft
mit Maria Callas zusammen und war auch ihr Partner bei
der Aufnahme von Tosca mit Victor de Sabata, einer der
großartigsten Aufnahmen, die wir von dieser Oper haben. Niemand blieb ungerührt bei dem Verzweifelungsschmerz von Cavaradossis Arie E lucevan le stelle – und
es glänzten die Sterne mit dem beziehungsreichen Schluß:
e non ho amato mai tanto la vita – und ich liebte so sehr das
Leben.
Cappella Coloniensis Residenz-Orchester in Essen
Dieses Spezialensemble für Alte Musik wurde 1954 für
den Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) durch
Eduard Gröninger gegründet. Man war nämlich auf
die Idee gekommen, in den
Handschriften der Barockund Klassikzeit nicht nur
Musikwerke der damaligen
Zeit zum heutigen Gebrauch
einzurichten, sondern auch
aus den handschriftlichen
Angaben aufführungspraktischen Anweisungen zu
übernehmen, um so dem
musikalischen Ausdruck der
Werke zum Zeitpunkt ihrer
Entstehung so nahe wie möglich zu kommen. Das auf
authentischen Instrumenten spielende Ensemble wurde
Wegbereiter der Historischen Aufführungspraxis. Zwischen
den Jahren 1960 und 1970 war die Cappella auf ausgedehnten Welttourneen (Carnegie-Hall, New York, Bunka-Kaikan-Hall, Tokio, Teatro Colón, Buenos Aires).
Man spielte Rossini-Opern, z.B. Tancredi, La Cenerentola,
L’italiana in Algeri. Viele namhafte Dirigenten leiteten die
Cappella, wie u.a. William Christie, John Elliot Gardiner,
Gabriele Ferro, Reinhard Goebel, René Jacobs, Sigiswald
Kuijken oder Hans-Martin Linde. Es gibt mehr als fünfzig Einspielungen auf CD und mehreren hundert Rundfunkaufnahmen.
Der Westdeutsche Rundfunk (WDR), der als Nachfol-
13
ger des NWDR die Cappella fünfzig Jahre betreut hatte,
kündigte den Vertrag mit dem Ensemble 2004. Nun hat
die Cappella Coloniensis eine neue Heimstatt in der Philharmonie Essen gefunden, wo sie für fünf Spielzeiten
sechs Konzerte pro Saison geben wird.
Colón, Horacio Sanguinetti, hat in diesem Jahr nur Instrumental- und Chorkonzerte sowie Ballette angekündigt. Die Wiedereröffnung soll jedenfalls am 25. Mai 2010 stattfinden. Es wäre
das 102. Jahr der Eröffnung des weltbekannten Opernhauses
und der 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Argentiniens.
Der vom WDR so schnöde aufgegebene Klangkörper
sollte sich vielleicht auch einen neuen Namen geben:
Cappella Asnidensis?
Dubai, El-Ain-Musik Festival
In der Ankündigung: Das wichtigste Konzert des
Jahres. Nicht von
der Qualität her
– die war bei diesem Konzert,das die Qualität
einer PlattenaufZaki Nussaibah li und der Präsident des
nahme
erreichte.
Richard-Wagner-Verbandes von Abu Dhabi
Auch nicht vom
Programm her – ein Potpourri aus Vorspielen zahlreiche
Wagner Opern hätte jedes Publikum zu Beifallsstürmen
hingerissen. Nein, es geht um die Kombination der Werke und des Ortes: Das erste Konzert ausschließlich mit
Werken Richard Wagners auf der arabischen Halbinsel,
den Vereinigten Arabischen Emiraten!
Oper in Norwegens Hauptstadt Oslo
Die Osloer Opernliebhaber können sich freuen: endlich ist ihr lange geplantes Opernhaus, fast im Wasser
des Oslofjords gelegen, am 12. April mit einer Gala aus
Konzert, Oper und Ballett eröffnet worden. Auch unsere Kanzlerin Angela Merkel hat sich über fünf Stunden
zusammen mit Königinnen und Kronprinzessinnen sowie einem Kronprinzen an Opernausschnitten und Balletten erfreut. Es gibt Stadtbewohner, die freudestrahlend verkünden, daß dieses 500 Millionen Euro teure
Gebäude die größte kulturelle Leistung Norwegens sei,
seit der Errichtung des Doms zu Trondheim. Dieserart
äußerte sich Wolfgang Sandner am 14. April 2008 in der
FAZ. Nach seinem Urteil soll auch die Akustik des eintausendeinhundert Plätze aufweisenden Operntempels
gut sein.
Stattgefunden hat es im teuersten Konzertsaal des Landes:
dem Konzertsaal im Emirates Palace Hotel (Baukosten:
vier Milliarden Dollar). Der Sächsischen Staatskapelle unter
Chefdirigent Fabio Luisi kann man hier eine BotschafterMission der europäischen Musikkultur und einen erfolgreichen Werbeauftritt des Landes Sachsen attestieren.
Das El Ain Musik-Festival, gegründet von musikbegeisterten Bewohnern Abu Dhabis, nahm dabei den
Richard-Wagner-Verband von Abu Dhabi mit ins Boot.
Beim Konzert zeigten sich in der ersten Reihe Mitglieder der Regierung, das deutsche diplomatische Corps
und Wirtschaftsvertreter.
Das vom Architekturbüro Snøhetta geplante Bauwerk
soll für alle Menschen gleichermaßen eine Bereicherung
sein, so die offizielle Ankündigung. Wollen wir hoffen,
daß die Programmgestaltung und die künstlerische Arbeit mit der jetzigen Freude Schritt hält.
O. Hohlbach
Faszinierende Sängerin
Die Sopranistin Danielle De Niese, bei New York lebend
und 27 Jahre jung, gelang zu internationalem Ruhm, als sie
2005 in Glyndebourne ihr viel umjubeltes Debüt in David
McVicars Inszenierung von Händels Giulio Cesare (Dirigent: William Christie) gab. Diese DVD sollte jeder Opernliebhaber unbedingt besitzen. Wir
hörten sie in Ariodante (Händel) als
Ginevra im Théâtre des ChampsÉlysées. Sie war genauso umwerfend wie im Giulio Cesare. Durch
ihre komische und gleichzeitig
emotional tiefgreifende Ausstrahlung als Schauspielerin, gepaart mit
einer außergewöhnlichen Stimme
und Musikalität wird ihr eine spektakuläre Zukunft vorhergesagt; ihr Exklusiv-Vertrag mit
dem Label Decca Music Group trägt dazu bei.
Das Teatro Colón erst 2010 wiedereröffnet
Die
argentinischen
Opernliebhaber müssen noch zwei Jahre
auf die schon in diesem Jahr angekündigte Wiedereröffnung
warten. Das erste
Opernhaus von 1857
ist verschwunden. Das jetzige Haus mit einer als überdurchschnittlich gerühmten Akustik wäre 2008 einhundert Jahre alt geworden. Dazu sollte es mit der auch
schon zu seiner Eröffnung 1908 gespielten Oper Aida
von G. Verdi brillieren. Doch Geldknappheit – ausgelöst durch die zur Zeit herrschende enorme Inflation
– zwang zum Aufschub. Der neue Direktor der Teatro
14
Zwei Meldungen von
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Sensationsmeldung der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
dargeboten. Aufgrund dieses Fundes kann man annehmen, daß uns doch noch nicht alle Werke Johann Seb.
Bachs bekannt sind und wir auf weitere Sensationsfunde hoffen können.
Freude in der Organistenwelt: zwei Musikwissenschaftler, Dr. Michael Pacholke und Stephan Blaut, haben die
Abschrift einer Choralfantasie für Orgel aufgefunden.
Ihr Titel ist: Wo Gott der Herr nicht bei uns hält.
Das Eisenacher Bachhaus: Neues Bachportrait
Heutzutage unterwirft man alles einer genauen wissenschaftlichen Analyse. So
gibt es seit dem 21. März
2008 im Eisenacher Bachhauses eine Sonderausstellung mit dem Titel:
Bach im Spiegel der Medizin.
Die schottische Gerichtsmedizinerin Dr. Caroline
Wilkinson hat nach Original-Schädelmaßen das
Gesicht Johann Sebastian
Das rekonstruieter Portrait von J.S. Bach Bachs rekonstruiert.
Die Universitäts- und Landesbibliothek in Halle hatte
kürzlich einen Teilnachlaß des Leipziger Thomaskantors
Wilhelm Rust (1822-1892)
ersteigert. Als man die Abschriften von Rust in Augenschein nahm, fiel ein
Stück von Bach auf, von
dem bisher nur fünf Takte
bekannt waren. Wilhelm
Rust war seit 1855 Herausgeber der ersten BachGesamtausgabe.
Otto Jahn, der die erste wissenschaftliche Mozart bioErste Seite der Choralfantasie
graphie schrieb (diese wurde
später von Hermann Abert neu herausgegeben), hatte Rust
für die Gesamtausgabe als Mitarbeiter gewonnen.
Doch niemand kann sicher sein, daß es sich um Bachs authentisches Portrait handelt. In der spannenden Geschichte
von Bachs Tod im Jahr 1750 und der Suche nach seinen Gebeinen bleiben einige Unsicherheiten. Kein Zweifel besteht
daran, daß Frau Dr. Wilkinson mit großer Genauigkeit den
Bachschen Schädel mit Laser und Computer abgemessen
und danach das Computerbild erstellt hat.
Rusts Arbeiten an der Bachausgabe wurde für ein halbes Jahrhundert das Muster kritischer musikalischer
Editionen. Er hatte die philologische Methode aus
Jahns klassischer Altertumswissenschaft übernommen.
Otto Jahn war kein Musik-, sondern Altertumswissenschaftler und hatte zuletzt in Bonn den Lehrstuhl für
Archäologie inne. Rust fertigte die Abschrift der Choralfantasie 1877 an. Die beiden Musikwissenschaftler prüften genauestens die Herkunft der Quelle, die Rust als
Vorlage gedient hatte. Danach legte man die Abschrift
noch weiteren Musikwissenschaftlern vor: Professor Dr.
Hans-Joachim Schulze und Dr. Peter Wollny vom BachArchiv Leipzig konnten die Komposition zweifelsfrei als
Werk Johann Sebastian Bachs bestimmen.
Man wußte, daß Johann Sebastian am 28. Juli 1750 in
einem Eichensarg beerdigt worden war. Doch die Grabstelle wurde vergessen. Wegen einer Erweiterung der
Johanniskirche wurde 1894, 54 Jahre nach Bachs Tod,
auf deren Gräberfeld gegraben. Dabei fand der damalige Pastor Transchel zusammen mit dem Leipziger
Anatomieprofessor Hiss drei Eichensärge. In einem der
Eichensärge lag eine Frauenleiche, im zweiten Sarg eine
männliche Leiche mit zerquetschtem Schädel, im dritten fand man einen Schädel, dessen Untergebiß mit den
bekannten Bachgemälden übereinstimmte. Daher nahm
man an, Johann Sebastians Schädel aufgefunden zu haben. Unter Berücksichtigung der Gesichtsweichteile
fertigte der Leipziger Bildhauer Carl Seffner daraus das
bekannte Bachdenkmal vor der Leipziger Thomaskirche. Die Quellenlage ist also nicht ganz so eindeutig, so
daß man ruhig skeptisch bleiben kann, das echte Abbild
Johann Sebastians würde uns in der neuen Darstellung
ansehen. Das neue Bachportrait überzeugt vielleicht
auch nicht jeden. Man vermutet dahinter eher einen
Ringer als das Gesicht eines der größten musikalischen
Genies.
O. Zenner
Die Choralfantasie ist für zwei Manuale und Pedal geschrieben und wohl – was man aufgrund besonderer
Schreibweisen erkannte - zwischen 1705-1710 von Bach
komponiert worden. Bis zur Auffindung der Abschrift
kannte man von Bach nur die Choralfantasie Christ lag
in Todesbanden (BWV 718). Die Form einer Choralfantasie hatte Bach bei Dieterich Buxtehude gelernt. Die
aufgefundene Choralfantasie wird erstmals bei den
Händelfestspielen am 10. Juni 2008 um 18 Uhr in der
Marktkirche zu Halle öffentlich von Martin Haselböck
15
Opernaufführungen im Ausland
Rezensionen in alphabetischer Ordnung nach Städten
London, Covent Garden
Salome
zurück. Schließlich wird ihr das Haupt Jochanaans auf
einer Silberschüssel präsentiert. Ganz außer sich küßt sie
ekstatisch den Mund des abgeschlagenen Kopfes. Darauf läßt Herodes sie umbringen.
von Richard Strauss, Drama in einem Akt, Libretto: Hedwig Lachmanns
Übersetzung des Dramas Salomé (1891) von Oscar Wilde, redigiert von
Richard Strauss. UA: 9. Dezember 1905, Hofoper Dresden
Regie: David McVicar, Bühnenbild: Es Devlin, Licht: Wolfgang
Göbbel, Video: Leo Warner und Mark Grimmer
Dirigent: Philippe Jordan, Orchestra Royal Opera House
Solisten: Thomas Moser (Herodes), Michaela Schuster (Herodias),
Nadja Michael (Salome), Michael Volle (Jochanaan), Joseph Kaiser
(Narraboth), Daniela Sindram (Page), Adrian Thompson, Martyn
Hill, Hubert Francis, Ji-Min Park, Jeremy White (Juden), Iain Paterson, Julian Tovey (Nazarener), Vuyani Mlinde (ein Kappadozier)
Besuchte Aufführung: 8. März 2008 (Premiere: 21. Februar 2008)
Aufführung
In drei ineinander übergehenden Räumen, die an eine
Schlächterei (s. Abb.) erinnern, sieht man ein an den Beinen aufgehängtes Schwein mit abgeschlagenem Kopf.
Einige Soldaten mit Gewehren bewachen einen in den
Boden gelassenen Rost, aus dem Jochanaans Verwünschungen schallen. Zwei Frauen, die eine in Unterwäsche, die andere völlig nackt, dienten offenbar den
Soldaten zur Lustbefriedigung. Sie ziehen sich langsam
an. Wie Strauss es vorschreibt, schreitet über eine geschwungene Treppe rechts Prinzessin Salome in einem
engen Abendkleid herab.
Kurzinhalt
Die Oper beginnt mit einem Geburtstagsfest im Königspalast. Herodias Tochter Salome hat die Festgesellschaft ihres
Stiefvaters Herodes aus Langeweile verlassen und kommt in
den Palastkeller zu den Soldaten. Diese bewachen Jochanaan,
der in einer Zisterne gefangen gehalten wird. Die Stimme von
Jochanaan hört man aus
Bei Salomes Tanz
einem Gitter, das die
wird dem ZuschauZisterne verschließt. Er
er die Illusion ververwünscht das ehebremittelt (wohl Videocherische Verhalten von
kunststück), daß sie
Herodias und Herodes,
durch sieben Pfordenn Herodes hatte
ten hindurchtanzt.
die Frau seines Bruders
Die Räume hinter
Philipp geheiratet. Von
den Pforten sind
Jochanaans Stimme erallesamt leer, nur
regt, zwingt Salome die
einmal steht darin
Soldaten, ihr diesen trotz
ein ovaler Spiegel.
des strikten königlichen
Dann findet SaloVerbots vorzuführen.
me
auf einem KleiSeine ungeschlachte Art,
derständer
ein weisein wildes Aussehen,
ßes
Abendkleid
(ist
seine verfilzten Haare
Michael Volle (Jochanaan) li, Joseph Kaiser (Narraboth) mitte,
es ein Hochzeitsreizen Salome noch mehr:
Nadja Michael (Salome) re
kleid?).
Sie streift es
sie gerät geradezu in eine
sich
über,
dreht
ekstatische
Pirouetten
und
tanzt
schließObsession. Sie berührt ihn, streift mit den Händen durch seine
Haare und will ihn schließlich küssen. Doch Jochanaan weist sie bru- lich Walzer mit Herodes. Am Ende sehen wir wieder
den gefliesten Keller, worin sich dann das schreckliche
tal zurück und wird in sein Erdloch zurückgeworfen.
Finale mit Jochanaans und ihrem eigenen Tod ereignet.
Von der Terrasse herunter kommen ihr Stiefvater, ihre
Mutter Herodias und die Festgäste in das Kellergeschoß. Sänger
Herodes ist so sehr vernarrt in seine Stieftochter, daß er Nadja Michael (Salome) ist bestürzend wirklichkeitsnah,
sie bittet, für ihn zu tanzen. Als sie sich weigert, schwört dabei mitreißend und abstoßend zugleich – wie es ihre
er, ihr alle seine Schätze und sogar die Hälfte seines Kö- Rolle erfordert. Ihr Sopran ist lyrisch, schrill und – beim
nigsreichs zu geben. Endlich tanzt sie. Danach fordert sie Fordern des Hauptes von Jochanaan – dunkel belegt,
den Kopf des Jochanaan. Ihre Mutter ist darüber entzückt. so daß das sechsmal geäußerte Fordern von JochanaBrüsk weist Salome alle Kleinodien, die Herodes ihr bietet, ans Tod in den verschiedenen Tonarten wohl bei jedem
16
Zuschauer ein Frösteln hervorruft. David McVicar versteht es ungemein eindrucksvoll, diese verwöhnte und
schließlich übergeschnappte junge Frau ihrer Rolle gemäß zu führen. Mit wachsender Spannung verfolgt man
ihre perverse Erotik, die schließlich in den nekrophilen
Küssen des abgeschlagenen Kopfes kulminiert. Eine
kolossale schauspielerische und sängerische Leistung!
Außerordentlich gekonnt gestalten die fünf Juden ihr
Gezänk, ob Jochanaan Gott gesehen habe oder nicht.
Dieses kompositorische Meisterstück, an Kakophonie
mit den übereinander getürmten verschiedenen Tonarten (Bitonalität) für die damalige Zeit (1905) ungeheuer neu, wird auch hier auf der Bühne meisterhaft dargestellt. Alle anderen Sänger, voran natürlich Thomas
Moser (Herodes) und Michaela Schuster (Herodias),
sind auf gleichem sängerischen Niveau wie die beiden
Hauptdarsteller.
Michael Volle (Jochanaan) stellt den vitalen Propheten mit
den verfilzten langen Haupthaaren, dessen Gesicht und
Kutte nur so vor Schmutz starren, vollendet dar. Die ruhigen Prophetien über den Erretter der Welt, die als einzige
Musik in geordneten Harmonien unser Ohr treffen, bringt
er mit seinem grundigen Bariton ungemein überzeugend
heraus. Salomes unmißverständliche Annäherungen und
seine brutale Zurückweisung gestaltet er so plastisch, daß
man keines seiner Worte zu verstehen braucht, um dennoch alle Aktionen sofort richtig zu deuten. Doch Volle
prononciert dennoch so deutlich – im Gegensatz zu Nadja
Michael – daß der spannungsgeladene Handlungsablauf
eine fast unerträgliche Intensität erreicht.
Das Riesenorchester begleitet allermeist gut, ohne sich – wie es
leider oft geschieht – allzuviel vordergründig aufzuspielen.
Fazit
Eine umwerfende, nervenaufreizende, gleichzeitig anziehende und abstoßende Aufführung, so wie Strauss sich
auch einmal schriftlich dazu geäußert hat. Salomes Tanz
mit dem Durchschreiten der sieben Pforten ist eine in
der heutigen Regie- und Bühnengestaltung ganz ungeöhnliche geistige Leistung.
O. Zenner
Bild: Clive Barda
London, Covent Garden
Carmen
singt ihre Philosophie der Liebe als Ode an die Freiheit:
L‘amour est un oiseau rebelle. Gleichwohl findet sie Interesse
an Don José, einem Unteroffizier der Wachsoldaten, der
gedankenverloren und desinteressiert ihr Spiel beobachtet. Es gelingt ihr jedoch, seine Gefühle zu erwecken und
Don José behält die von ihr zugeworfene Rose.
von Georges Bizet, Opéra comique in vier Akten, Text: Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach einer Novelle von Prosper Mérimée;
Uraufführung: 3. März 1875, Paris; Regie: Francesca Zambello,
Designs: Tanya McCallin, Choreographie: Arthur Pita, Licht: Paule
Constable, Dirigent: Daniel Oren, Orchester und Chor des Royal
Opera House, Chorleitung: Renato Belsadonna
Solisten: Nancy Fabiola Herrera (Carmen), Marcelo Álvarez
(Don José), Kyle Ketelsen (Escamillo), Susan Gritton (Micaëla), Alan Ewing (Zuniga), Jacques Imbrailo (Moralès), Elena
Xanthoudakis (Frasquita) Monika-Evelin Liiv (Mercédès) u.a.
Besuchte Aufführung: 28.3.2008
(Premiere: 8.12.2006,
Wiederaufnahme 25.3.2008)
Ein Tumult entsteht in der Fabrik und Wachsoldaten
unter Don José versuchen, Ordnung zu schaffen. Car-
Kurzinhalt
Ein Platz im Sevilla des 19.
Jahrhunderts: Gelangweilt
amüsieren sich Wachsoldaten über die lokale
Bevölkerung. Nach der
feierlichen Wachablösung
ist der Pausenflirt mit den
Mädchen der gegenüberliegenden
Tabakfabrik
die Hauptattraktion der
Soldaten. Carmen, eine
Zigeunerin, die auch dort
arbeitet, ist die Begehrteste unter ihnen.
Doch sie gibt sich kühl
und unnahbar: sie beNancy Fabiola Herrera, als Carmen in der Mitte der Tanzenden
17
men wird für schuldig befunden, einen Messerkampf
entfacht zu haben. Stolz und widerspenstig lehnt sie ab,
den Vorfall zu kommentieren. Sie bleibt unter der Obhut
Don Josés, um ins Gefängnis abgeführt zu werden. Allein mit ihm gesteht sie ihm ihre Liebe. Don José erlaubt
ihr die Flucht und wird nun selbst gefangen gesetzt.
reichlich vielen Banderilleros und Picadores sowie einer
waschechten Madonna entschädigte jedoch letzten Endes für vieles.
Eine illustre Schar von Solisten bot hohen musikalischen
Genuß auf breiter Basis. Allen voran der Argentinier
Marcelo Álvarez, der sich selbst und der Rolle des Don
José mit seinem vollen klaren Tenor wahrhaft gerecht
wurde, und Susan Gritton, die als Micaëla mit ihrem
wunderschönen klaren Sopran überraschte. Insbesondere im Duett mit Álvarez (José) Parle-moi de ma mère!
klangen die beiden fast unwirklich. Auch Kyle Ketelsen
(Escamillo) überzeugte stimmlich und mit durchaus spanischer Matadorarroganz. Nancy Fabiola Herrera sang
eine durchaus akzeptable, jedoch schauspielerisch und
gesanglich wenig überraschende Carmen.
Nach seiner Freilassung wartet Carmen auf Don José
in der Kneipe von Lillas Pastia, einem Treffpunkt der
Schmuggler, zu denen auch Carmen gehört. Während
sie wartet, erscheint der erfolgreiche Stierkämpfer Escamillo und läßt sich feiern. Er flirtet auch mit Carmen,
doch sie widersteht ihm, nicht zuletzt aus Dankbarkeit
gegenüber Don José. Als dieser endlich in der Schenke
erscheint, ist es schon spät. Das Wiedersehen der Liebenden wird vom Zapfenstreich überrascht, und ein
Streit entsteht, als Don José zur Kaserne zurückkehren
will. Als nun auch noch der Carmen nachstellende Leutnant Zuniga, Don Josés Vorgesetzter, erscheint, wird
Don José handgreiflich. Es gibt nun keinen Weg zurück,
er schließt sich den Schmugglern an.
Daniel Oren dirigierte das gewohnt präzise Orchester
des Royal Opera House so schnell, daß man sich fragte,
ob er nach der Aufführung vielleicht noch ein Flugzeug
erreichen mußte. Die Chöre brillierten in ihrer hohen
Qualität. Insgesamt ein schöner Abend, insbesondere
musikalisch.
Im Schmugglerlager wird Carmen Don Josés zunehmend überdrüssig, spürt jedoch das herbeinahende
Unglück und auch das Befragen der Karten prophezeit
ihren baldigen Tod. Escamillo, der Carmen ins Lager
gefolgt ist, wird vom wachhabenden Don José entdeckt
und eifersüchtig in einen Messerkampf verwickelt. Carmen und die Schmuggler trennen die beiden und Carmen folgt einer Einladung Escamillos zum Stierkampf
nach Sevilla. Trotz Escamillos Triumph in Sevilla bleibt
Carmen allein vor der Stierkampfarena. Don José war
ihr heimlich nach Sevilla gefolgt und erreicht sie noch
vor der Arena. Stolz und standhaft widersteht Carmen
seinen Annäherungen. Darüber gerät José so in Wut,
daß er sie ersticht.
D. Zenner
Bild: Catherine Ashmore
Lüttich (Liège), Opéra Royal de Wallonie
Maria Stuarda
von Gaëtano Donizetti, lyrische Tragödie in zwei Akten
Libretto: Giuseppe Bardari, Vorlage: Maria Stuart von Friedrich von
Schiller, UA: 30. Dezember 1835, Mailand, Teatro alla Scala
Regie/Kostüme: Francesco Esposito, Bühnenbild: Italo Grassi,
Licht: Daniele Naldi; Dirigent: Luciano Acocella, Orchester und
Chor der Opéra de Wallonie
Solisten: Patrizia Ciofì (Maria Stuarda, Königin von Schottland), Marianna Pizzolato (Elisabeth, Königin von England), Diana Axentil (Anna
Kennedy), Danilo Formaggia (Roberto, Graf von Leicester), Frederico
Sacchi (Graf Giorgio Talbot ), Mario Cassi (Lord Guglielmo Cecil)
Besuchte Aufführung: 30. April 2008 (Premiere)
Aufführung
Francesca Zambellos Inszenierung ist ein Traum in
Orange; manchmal funktioniert er und manchmal
nicht. Eine Bühne aus runden, orangenen Einzelteilen,
die konkav zur Zigarrettenfabrik und konvex zur Stierkampfarena ausgerichtet sind. Ein wunderschöner erster
Akt mit Zitronenbaum, freilaufenden Hühnern und viel
sonstigem Detail wurde kontrastiert von einer enttäuschenden Lillas Pastia Kneipe: die Schenkenatmosphäre
der Schmuggler zeigte einen zu nüchternen Kontrast der
schlichten Holztische vor orangefarbenem Hintergrund.
Da half auch keine noch so ansprechende Beleuchtung.
Lüttich liegt etwa 100 km von Köln entfernt und ist eine
Stadt in der wirtschaftlich aufstrebenden belgischen Provinz Wallonie. Es hat ein mäßig subventioniertes Opernhaus. Seit Jahren gibt es ausgezeichnete Opern wie z.B.
Le Roi d’Ys von E. Lalo oder Die heimliche Ehe von D.
Cimarosa in der laufenden Saison und in der nächsten
Spielzeit – unter neun Premieren – Paride ed Elena von
Ch. W. Gluck (7.10.08) oder Fra Diavolo (24.4.09) von
D.F.E. Auber. Was aber noch mehr ins Gewicht fällt ist
die Sängerauswahl bei übrigens ausgezeichneten Inszenierungen. Unter der Sängerschar hat die Intendanz der
Oper für die Belcanto-Oper Maria Stuarda wohl die besten ausgewählt: Patricia Ciofì und Marianna Pizzolato.
Die Wechselhaftigkeit der Inszenierung spiegelte sich
auch in der Choreographie (Artur Pita) wieder. Der perfekt abgestimmte parallele Wachwechsel von Soldaten
und Kindern im ersten Akt war ästhetisch und passend.
Hingegen wirkt die Eröffnungsszene des zweiten Aktes hilflos und das Zigeunerchanson Les tringles des sistres tintaient gestampft und plump. Der vierte Akt mit
dem festlichen Einzug Escamillos und Blütenregen, mit
Kurzinhalt
Die berühmte Fehde zwischen der katholischen Königin
von Schottland und der protestantischen englischen Königin hat Schiller in seinem Drama nacherzählt, das dem
Librettist in der Übersetzung von Andrea Maffei vorlag.
18
Durch einen Aufstand in Schottland mußte Maria Stuart
flüchten. Sie begab sich in die Obhut von Königin Elisabeth, die sie aber auf Schloß Fotheringhay gefangen
setzte.
Maß, das Honoré de Balzac in seiner Novelle Massimilla
Doni in unnachahmlicher Weise folgendermaßen andeutet: Die Koloratur [im Belcanto] ist die höchste Ausdrucksform
der Kunst, sie ist die Arabeske, die das schönste Gemach in der
ganzen Wohnung ziert: ein wenig darunter, und wir haben nichts,
ein wenig mehr und alles ist verwirrt.
Dies ist der Hintergrund der Oper, die im Todesjahr der
schottischen Königin 1587 spielt. Beide Königinnen sind
in Graf Roberto Leicester verliebt, der Maria bevorzugt.
Ziemlich bald steht für Elisabeth fest, daß sie ihre Kusine aus dem Weg räumen muß, da Maria auch Anspruch
auf den englischen Thron hat. Die Zuneigung Robertos
zu Maria beschleunigt ihren Entschluß zum Tod ihrer
Widersacherin durch das Beil.
Patrizia Ciofì als Maria Stuarda muß ja mit ihren Arien
fast den gesamten dritten Akt gestalten. Das erfordert
ungemein viel Ausdauer, kluge Atemtechnik, abgewogenen Stimmeinsatz. Und sie muß die abenteuerlichsten
Koloraturen gestalten, mal mit einem Fortissimo, mal mit
einem Pianissimo oder der Messa di voce, dem SchwellDiese handlungsarme Oper, deren Reichtum auf der ton, in der Tiefe wie in der Höhe. Mühelos schaffte sie die
Spiegelung der Charaktere und seelischen Verfassun- hohen, über dem Chor liegenden Töne. Sie traf die Töne
gen der beiden Protagonistinnen beruht, hat Donizetti auch weit auseinander liegender Intervalle messerscharf.
mit überreichem Belcanto ausgestattet. Die Musik spielt Nie war ihre Stimme – etwa in der Höhenlage – schneihier womöglich noch eine größere Rolle als in seinen dend, stets war sie lyrisch und ungemein angenehm zu
sonstigen Opern. Donizetti hat es gewagt, zwei Sopran- hören. Nie verlor ihre Stimme die Spannung. Alles war
musikalisch ungemein ausgewogen. Bei Marianna Pizstimmen die
zolato (EliHauptlast
sabeth), die
der Oper aneigentlich
zuvertrauen.
eine hohe
Doch die
Mezzosopgroßangeranistin ist,
legten Arien
konnte man
und Duette
Ähnliches
geben erst
beobachdie wirkliche
ten. Sie war
psycholobesonders
gische Bein den Dufindlichkeit
etten überder beiden
zeugend.
Königinnen
Danilo Forwieder. Der
maggia (RoErfolg hängt
berto Leinur von der
cester) sang
StimmquaElisabeth (Marianna Pizzolato) li, bedroht Maria Stuarda (Patrizia Cofì) re
seine Partie
lität der Sängerinnen in
deutlich
prononciert
und
hatte
einen
bewundernswerden Rollen von Maria und Elisabeth ab.
ten Registerwechsel, d.h. unmerklich wechselte er von
Aufführung
der Brust- in die Kopfstimme.
Dies gelang dem Lütticher Team über alle Maßen! Beson- Die Nebenrollen waren genauso gut besetzt. Hier gefiel
ders sind die Personenführung und die prächtigen Kos- mir besonders Diana Axentil als Anna Kennedy mit ihtüme der damaligen Zeit durch den Regisseur Francesco rem lyrischen Mezzo und ihrer deutlichen Aussprache.
Esposito (für Regie und Kostüme verantwortlich) hervorzuheben: Die Sängerinnen und Sänger bewegten sich Die Aufführung ist eine Übernahme aus Bergamo und
so lebendig, daß man die Handlung, auch ohne die Wor- Rom aus dem Jahre 2006. In Rom sah ich die Auffühte im einzelnen zu verstehen, mitverfolgen kann. Neu- rung mit der großartigen Sängerin Daniella Devia, die
erdings werden die Übertitel auch in Deutsch angezeigt, damals am 25. März 2006 frenetisch gefeiert wurde
(s. Operapoint 2006, Heft 2). Hier in Lüttich sind die
was wir sicher als Erleichterung wahrnehmen.
Opernbesucher zurückhaltender. Aber das disziplinierte
Ein solches Stimmenpaar mit Patrizia Ciofì (Maria Stu- Publikum gab allen Sängern, natürlich besonders Ciofì und
arda) und Marianna Pizzolato (Elisabeth), ergänzt durch Pizzolato, zum Schluß lang anhaltende Klatschsalven.
Danilo Formaggia (Roberto Leicester), der durchaus
ebenbürtig sang, findet man wahrlich nicht alle Tage!
O. Zenner
Bild: Jack Croisier
Die beiden exquisiten Sängerinnen fanden das rechte
19
New York, Metropolitan Opera
lich Auftritte aus dem Bühnenboden heraus, was spätestens im zweiten Akt regelrecht ermüdete.
Tristan und Isolde
Die gesamte große Liebesszene im zweiten Akt fand vor
einem stark weiß-grünlich beleuchteten Hintergrund
statt, der von dem Liebespaar lediglich die Umrisse erkennen ließ, ohne jegliche Bewegung auf der Bühne,
und dürfte damit zu den einfallslosesten Inszenierungen
dieser entscheidenden und immerhin mehr als vierzig
Minuten dauernden Szene zählen. Einzelne Effekte
wirkten unfreiwillig komisch und wurden vom Publikum
dementsprechend auch mit lautem Gelächter quittiert,
etwa, wenn nach dem Genuß des Liebestrankes die bis
dahin in ein kaltes, weißes Licht gehüllte Bühne plötzlich
tiefrot erstrahlte, wenn Isolde während ihrer Erzählung
im ersten Akt plötzlich mit einer
kleinen Tristan-Puppe in einem
Miniaturboot hantierte, um das
Erzählte zu illustrieren, und im
dritten Akt Tristans Schloß Kareol – ebenfalls im Spielzeugformat und mit kleinen Pferden
und Rittern dekoriert – aus dem
Bühnenboden emporsteigt.
von Richard Wagner, Oper in drei Akten, Text vom Komponisten;
UA: 1865 München; Regie: Dieter Dorn, Bühnenbild/Kostüm: Jürgen Rose, Licht: Max Keller; Dirigent: James Levine; Solisten: John
Mac Master (Tristan), Deborah Voigt (Isolde), Michelle DeYoung
(Brangäne), Eike Wim Schulte (Kurwenal), Matti Salminen (Marke),
Stephen Gaertner (Melot), Matthew Plenk (Stimme eines jungen
Seemanns), Mark Schowalter (Hirt), James Courtney (Steuermann).
Besuchte Vorstellung: 10. März 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Tristan, der tapferste Held Cornwalls, und Isolde, Prinzessin von Irland, sind füreinander in Liebe entflammt.
Da sie Repräsentanten verfeindeter Länder sind, sind sie
allerdings außerstande, sich ihre Liebe einzugestehen.
Als Brangäne, die Zofe Isoldes, ihnen einen Liebestrank
verabreicht, können sie es jedoch nicht länger voreinander
verheimlichen.
Ihre Liebe – Isolde ist Tristans
Lehnsherrn Marke zur Ehe
versprochen – läßt sich jedoch
nicht verwirklichen, und so
beschließen beide, den Tod zu
wählen, um ihrer unmöglichen
Situation zu entfliehen. Tristan stürzt sich in das Schwert
Melots, als beide im Morgengrauen von Marke und seinem
Hofstaat ertappt werden, und
wird schwer verletzt. An seiner
Wunde siechend erwartet er
verzweifelt die Ankunft Isoldes, um den ersehnten Tod
finden zu können. Als sie bei
ihm eintrifft, stirbt er. Isolde
schickt sich in ihrem Schlußgesang an der Leiche Tristans
an, ihm zu folgen. Der Vorhang fällt.
Mit Ausnahme von Matti Salminen (Marke), dessen gewaltige Bühnenpräsenz auch an
diesem Abend das Publikum
förmlich hinriß, und der Bayreuth-erprobten Michelle De
Young (Brangäne) scheiterten
alle Darsteller an der vom Regisseur vorgegebenen ausgesprochen pathetischen und schwerfälligen Personenführung.
Darüber hinaus zeigten sich bei
Deborah Voigt, die an diesem
Abend ihr Debüt als Isolde gab,
und John Mac Master (Tristan)
Deborah Voigt (Isolde), li und
Michelle DeYoung (Brangäne), re in ihren langen Monologen im ersten und
Aufführung
dritten Akt teilweise gravierende Mängel in
der
Beherrschung
des deutschen Textes.
James Levines Vorliebe für breite Tempi ist allgemein
bekannt, doch hält sich mit Ausnahme des dritten Aktes Insbesondere Tristans berüchtigter Fiebermonolog im
seine Interpretation in den Grenzen des allgemein Übli- dritten Akt mißlang gründlich, wofür Mac Master vom
chen. Die Sänger – John Mac Master sprang an diesem Publikum unbarmherzig ausgebuht wurde. Das war inAbend für den erkrankten Ben Heppner ein – bieten sofern bedauerlich, als er sich an diesem Abend deutlich
ohne Ausnahme musikalisch ein sehr hohes Niveau, unter Wert verkaufte. Seine Gesangstechnik und Nuanselbst die Nebenrollen waren mit Kräften besetzt, über cierungsfähigkeit, die – für einen Heldentenor völlig undie sich jedes deutsche Theater freuen würde – vor allem gewöhnlich – sich durchaus mit der eines dramatischen
der Kurwenal Eike Wim Schultes ist hier zu nennen –, und Baritons messen kann, kam hier aufgrund seiner textlidennoch sprang der Funke an diesem Abend nicht über.
chen Unsicherheit kaum mehr zur Geltung. Außerdem
Das lag zum einen sicherlich an der ausgesprochen bie- erlaubt ihm seine enorme Korpulenz leider nur wenige
deren, teilweise sogar naiven Regie. Das Bühnenbild, Bewegungen auf der Bühne. Eine Mischung aus Heitervon zwei perspektivisch zulaufenden Wänden begrenzt keit und Furcht machte sich breit, als er am Beginn des
und stets monochrom beleuchtet, gestattet ausschließ- dritten Aktes auf seinem Krankenbett liegend, das offensichtlich nicht für ihn konstruiert war, aufgrund des
20
leichten Gefälles der Bühne immer weiter unaufhaltsam
in Richtung Orchestergraben rutschte.
Fazit
Bis auf wenige Momente herrscht in dieser Inszenierung gepflegte Langeweile vor, auch wenn sich die Regie
insgesamt recht eng an die Wagnerschen Regievorgaben
hält und die musikalische Leistung von Orchester und
Sängern wirklich über jeden Zweifel erhaben ist. Zwar
ist man bei dieser Produktion vor unliebsamen Überraschungen von seiten der Regie sicher, zugleich fehlt es
aber der altertümlich anmutenden Personenführung sowie der Ausstattung und Beleuchtung der Szene an Konsequenz, so daß kein überzeugendes Ganzes entsteht.
Daher ist diese Produktion nur begrenzt zu empfehlen.
Die derzeit in Bremen laufende Tristan-Inszenierung ist,
obwohl sie in jeder Hinsicht mit ungleich begrenzteren
Mitteln auskommen muß und mit einer ähnlich minimalistischen Personenführung arbeitet, der New Yorker in
nahezu allen Punkten vorzuziehen.
M. Knust
Bild: Ken Howard
New York, Metropolitan Opera
Peter Grimes
von Benjamin Britten (1913-1976), Oper in einem Prolog und drei
Akten, Text von Montagu Slater nach einem Gedicht von George
Crabbe; UA: 1945 London; Regie: John Doyle, Bühnenbild: Scott
Pask, Kostüme: Ann Hould Ward, Licht: Peter Mumford
Dirigent: Donald Runnicles, Chor der Metropolitan Opera, Einstudierung: Donald Palumbo; Solisten: Anthony Dean Griffey (Peter Grimes), Patricia Racette (Ellen Orford), Dean Peterson (Hobson), John
Del Carlo (Swallow), Felicity Palmer (Mrs. Sedley), Jill Grove (Auntie), Greg Fedderly (Bob Boles), Anthony Michaels-Moore (Captain
Balstrode), Bernard Fitch (Rev. Horace Adams), Leah Partridge u.a.
Besuchte Vorstellung: 15. März 2008 (Premiere 28. Februar 2008)
Patricia Racette (Ellen Orford) und Erikson
Aufführung
Diese rezensierte Aufführung wurde weltweit in Kinos
in über fünfzehn Ländern live übertragen, was sich, um
es vorwegzunehmen, als wahrhafter Glücksgriff erwies.
Musikalisch und szenisch bekam das Publikum an diesem Nachmittag Leistungen auf allerhöchstem Niveau
geboten, wofür es sich mit stehenden Ovationen bei
dem Sänger der Titelpartie und lauten Bravorufen für
Dirigent und Orchester vor dem zweiten und dritten Akt
bedankte, und das völlig zurecht. Donald Runnicles vermochte es, wirklich jeden Klang der Britten’schen Partitur an diesem Abend zum Ereignis werden zu lassen.
Es dürfte wohl kaum möglich sein, diese Musik noch
präziser – die gestochen scharfe Phrasierung in Holzund Blechbläsern, wie sie für amerikanische Orchester
bezeichnend ist, kam hier voll zur Geltung –, klanglich
ausgewogener – auch in den extrem lauten und leisen
Passagen – und dabei so packend und atmosphärisch
dicht aufzuführen. Dem Zuhörer wurde die Wucht von
See und Sturm praktisch physisch erfahrbar, man glaubte förmlich, das Salz in der Luft zu schmecken.
Kurzinhalt
Das kleine Fischerdorf Borough zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Fischer Peter Grimes ist angeklagt, den
Tod seines Lehrlings verschuldet zu haben, was ihm jedoch nicht nachzuweisen ist. Die Stimmung im Dorf
wird ihm gegenüber feindseliger, lediglich die Schulmeisterin Ellen Orford und Captain Balstrode halten noch
zu ihm. Doch Grimes hat andere Pläne: Seine genaue
Kenntnis des Meeres, die ihm stets erfolgreiche Fischzüge erlaubt, will er ausnutzen, um genug Geld für eine
sichere Existenz auf dem Lande zu verdienen und Ellen
zu heiraten. Als er einen neuen Lehrling bekommt, führt
er ihn gleich mit größter Strenge in sein Handwerk ein.
Zwar versucht ihn Ellen daran zu hindern, zuviel von
dem Jungen zu verlangen, doch Grimes verliert darüber
die Fassung und schlägt sie ins Gesicht. Seinen Lehrling
scheucht er so unbedacht hinaus, daß dieser die Klippen hinunterstürzt. Doch nur wenige Tage gelingt ihm
seine Geheimhaltung vom Tod des Lehrjungen, dann
kommt der rasende Mob wiederum zu seiner Hütte.
Grimes flüchtet aufs Meer, setzt die Segel und versenkt
sein Boot in einem aufkommenden Sturm.
Die Sänger boten allesamt hervorragende Leistungen
und klangschöne Stimmen – lediglich Patricia Racette
(Ellen Orford) bildete aufgrund ihres unangenehm starken Tremolos eine Ausnahme – und erwiesen sich darüber hinaus als äußerst versierte Darsteller. Natürlich
gebührt neben Felicity Palmer (Mrs. Sedley) dem Sänger
der Titelpartie, Anthony Dean Griffey, hier das höchste
Lob, denn seine enorme Bandbreite in der Tongebung,
vom beinahe schon sprechenden Ton bis hin zum lyri-
21
in eine Bar einlädt. Empört reagiert die Ehefrau, sie
schickt ihm ein Telegramm nach Wien und droht ihm
die sofortige Scheidung an. Das Telegramm erreicht
ihn in einer fröhlichen Skatrunde. Ein Mitspieler, der
Kapellmeister Stroh, klärt die Verwechslung auf, ihm
gilt der Brief, und nicht dem Hofkapellmeister Storch.
Storch schickt den Kapellmeister Stroh sofort zu seiner
Frau Christine. Da klärt sich alles auf. Letztendlich folgt
die Versöhnung der Eheleute. „Das nennt man doch
wahrhaftig eine glückliche Ehe.“
schen, an Peter Pears – für den diese Partie komponiert
wurde – erinnernden, leicht verschleierten Schmelz,
paart sich mit einer großen darstellerischen Begabung,
die dem Publikum diese düstere Figur in ihrer ganzen
Widersprüchlichkeit nahebringt.
Bühnenbild, Regie und Kostüme sind halb naturalistisch
und greifen sehr geschickt die von der Oper geschilderte, bedrückende dörfliche Enge auf: Die Handlung spielt
auf engstem Raum, am vorderen Rand der Bühne, der
durch eine gewaltige Schuppenwand, die sich über die
volle Höhe und Breite der Bühne erstreckt und keinen
Himmel darüber erkennen läßt, abgegrenzt wird. Die Personenführung und Choreographie ist sehr intelligent und
ökonomisch, nichts, was die musikalische Dramaturgie in
irgendeiner Form stören würde. Das Publikum blieb, was
für New Yorker Verhältnisse völlig ungewöhnlich ist, bis
zum letzten Ton und sogar noch darüber hinaus auf seinen Plätzen und feierte die Ausführenden.
Im ersten Aufzug hilft Christine ihrem Mann beim Packen
und geht ihm mit ihren ständigen Stimmungswechseln auf
die Nerven. Als er endlich abgereist ist, rodelt sie und fährt
einen Skifahrer über den Haufen, der sich als Baron Lummer vorstellt. Christine bittet den jungen Mann, sie zu besuchen. Es entsteht ein freundschaftliches Verhältnis. Als
er sie um tausend Mark anfleht, ist sofort die Freundschaft
beendet. Dann kommt der bewusste Brief.
Fazit
Aufführung
Man kann der Met nur zu dieser Produktion gratulieren.
Die schon beinahe hypnotische Wirkung von Runnicles’
Dirigat wird durch die unaufdringliche, kultivierte Regie
Doyles verstärkt und ergänzt. Ein Muß für jeden NewYork-Besucher!
M. Knust
Strauss bedient sich eines wortgetreuen Parlando-Stiles.
Erst am Schluß gibt es im Duett Christine/Robert ein
arioses Aufblühen. Bis dahin beschränkte sich das melodische Element auf die breit angelegten sinfonischen
Zwischenspiele. Altmeister Peter Schneider leitete das
Opernorchester umsichtig und sehr transparent. Das
Sängerensemble präsentierte sich auf gutem bis sehr
gutem Niveau. Rod Gilfry als Hofkapellmeister Storch
stach hervor mit seiner sonoren Baritonstimme. Auch
Roberto Saccà (Baron Lummer), den wir von der Kölner Oper kennen, überzeugte mit seiner hellen, wandlungsfähigen Tenorstimme. Christiane Kohl (Christine)
sang mit ein wenig scharfer Stimme.
Bild: Ken Howard
Zürich, Opernhaus
Intermezzo
von Richard Strauss (1864-1949), Bürgerliche Komödie in zwei
Aufzügen, Text von Richard Strauss, UA: 4. November 1924 im
Schauspielhaus Dresden; Regie: Jens-Daniel Herzog, Bühnenbild/
Kostüme: Mathis Neidhardt, Licht: Jürgen Hoffmann, Dramaturgie:
Stefan Rissi; Dirigent: Peter Schneider, Orchester der Oper Zürich;
Solisten: Christiane Kohl (Christine), Florian Voigt (Franzl, ihr Sohn,
stumme Rolle), Rod Gilfry (Hofkapellmeister Robert Storch), Martina Welschenbach (Anna, ihr Hausmädchen), Roberto Saccà (Baron Lummer), Ruben
Drole (Notar), Liuba
Chuchrova
(Notarsgattin), Volker Vogel
(Kapellmeister Stroh),
Krešimir
Strašanac
(Kommerzienrat), Morgan Moody (Justizrat),
Pavel Daniluk (Kammersänger),
Felicitas
Heyerick (Marie), Besuchte Aufführung: 13.
März 2008 (Premiere 9.
März 2008)
Die Übertitelung erfolgte in deutscher Sprache. Das war
sehr angenehm, weil man die Handlung besser verfolgen
konnte
und
den trockenen
Witz des Textes
verstand. Die
Inszenier ung
von Jens-Daniel
Herzog
war
wohltuend am
Werk orientiert.
Die Drehbühne blieb leer bis
auf wenige ReKurzinhalt
quisiten, so war
viel Platz für
Eine
Verwechsdie vergnüglich
lung wird fein ausChristine (Christiane Kohl) und Baron Lummer (Roberto Saccà) beim Rodelunfall
schauspielerngesponnen.
Die
den
Sänger
und SängeEhefrau Christine des
rinnen
sowie
für
die
muntere
Statisterie.
Das
Publikum
Hofkapellmeisters findet in der Post ihres Mannes einen
Brief, in dem eine gewisse Mieze Mayer ihren „lieben dankte mit lang anhaltendem Beifall.
P. Sinkwitz
Bild: Suzanne Schwiertz
Schatz“ um zwei Opernkarten bittet und ihn nachher
22
Opernaufführungen in Deutschland
Rezensionen in alphabetischer Ordnung nach Städten
Aachen, Stadttheater
Maddalena erliegt dem Charme des Herzogs und überredet ihren Bruder, diesen zu verschonen und statt dessen
den nächsten Besucher der Gaststätte zu ermorden und
als Opfer auszugeben. Gilda hat die Unterhaltung angehört und spielt den nächsten Besucher der Gaststätte. Rigoletto muß mit Erschrecken feststellen, daß der Sack,
der ihm von Sparafucile übergeben wurde, nicht den
toten Herzog, sondern seine sterbende Tochter enthält.
Damit hat sich der Fluch Monterones erfüllt.
Rigoletto
von Giuseppe Verdi, Oper in drei Akten, Libretto: Francesco Maria
Piave; UA: 11. März 1851, Venedig
Regie: Ewa Teilmans, Bühnenbild: Elisabeth Pedross
Dirigent: Daniel Jakobi, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor
Jean François Borras (Herzog von Mantua), Igor Morosow (Rigoletto), Michaela Maria Mayer (Gilda), Woong-jo Choi (Graf von Monterone), Johannes Piorek (Graf von Ceprano), Martin Berner (Marullo), Andreas Joost (Matteo Borsa), Pawel Lawreszuk (Sparafucile),
Iva Danova (Maddalena), Anne Lafeber (Giovanna).
Besuchte Aufführung: 16.02.2008
Aufführung
Kurzinhalt
Die ständig wechselnden Schauplätze wurden durch
Rigoletto, Hofnarr des Herzogs von Mantua, verhöhnt eine bemalte Leinwandkonstruktion aufgegriffen, die
auf einem Fest den Grafen Monterone, weil dieser sei- sich drehen ließ. Zu Beginn zeigte diese das Innere einer
ne Tochter Gilda geschändet hatte. Monterone verflucht Palasthalle in Olivtönen, später die Palastmauern in gelb
ihn. Rigoletto kehrt zu seiner Tochter Gilda nach Hause und violett. Auch Kostüme und Lichteffekte blieben in
zurück. Sie ist sein ganzer Lebensinhalt. Daher versteckt dem Farbenspektrum. Die Hofdamen trugen violette
er sie vor dem Hof. .Er weiß jedoch nicht, daß Gilda Ballkleider, die Herren hatten schwarze Fracks an und
schon längst das Objekt der Begierde des Herzogs ist. In hielten Gehstöcke.
seiner Abwesenheit sucht der Herzog Gilda, um sie zu
Zwei Welten wurverführen, wird aber
den hier kunstvoll
kurz vor dem Ziel von
in Szene gesetzt:
Rigolettos Rückkehr
die an Spaß orienunterbrochen. Kurz
tierte Hofgeselldarauf rächt sich die
schaft auf der einen
Hofgesellschaft an Riund die bürgerliche
goletto, indem sie GilBeschränktheit auf
da entführt.
der anderen SeiDer Herzog erfährt
te. Die Höflinge
von den Entführern,
wurden schauspiedaß Gilda sich durch
lerisch vor allem
einen glücklichen Zudurch
Andreas
fall im Palast befinJoost (Matteo Bordet und verführt sie.
sa) und
Martin
Währenddessen forBerner
(Marullo)
Der Graf von Monterone (Woong-jo Choi, rechts) stört die heitere Festgesellschaft des Herdert Rigoletto von den
vertreten.
Beide
zogs (Yikun Chung, links) und wird von Rigoletto (Igor Morosow, Mitte) verhöhnt.
Höflingen die Herausstellten ihre Rolle
gabe seiner Tochter, doch die Höflinge weiden sich an durch ihre sexistischen Anspielungen sehr überzeugend
Rigolettos Schmerz. Gilda erscheint. Voller Scham er- dar. Hier ist auch Jean François Borras (Herzog von
zählt sie ihrem Vater die Wahrheit über ihre heimliche Mantua) zu erwähnen, der mit seinem strahlenden Tenor
Liebe. Obwohl sie der Herzog betrogen hat, will sie ihm der Rolle sehr viel Aristokratisches verlieh, von seinem
verzeihen. Doch Rigoletto will nur noch Rache nehmen äußeren Erscheinungsbild einmal abgesehen, das wenian dem Mann, der seine Tochter entehrt hat. Er heuert ger zu einem jugendlichen Frauenhelden paßte.
den Berufsmörder Sparafucile an, den Herzog zu ermor- Die bürgerliche Welt, vertreten von Igor Morosow (Riden. Vorher will er Gilda aber beweisen, daß ihr Geliebter goletto) und Michaela Maria Mayer (Gilda), spielte den
in Wahrheit ein treuloser Herzensbrecher ist. Er zwingt Gegenpart. Morosows kräftige Baritonstimme verlieh
sie anzusehen, wie der Herzog in einem Gasthof mit dem vom Haß und Schmerz zerfressenen Narren viel
Maddalena, der Schwester Sparafuciles flirtet. Aber auch Nachdruck, doch als liebevoller Vater war die Stimme
23
weich und sanft. Mayer (Rollendebüt als Gilda) war
dafür wie geschaffen; denn ihr lyrischer Sopran paßte
gut zu der mädchenhaften Unschuld Gildas. Mit ihrem
Aussehen (gelockte, blonde, lange Haare, schlanke Figur) entsprach sie dem Bild einer Frau mit den Zügen
eines Engels voll und ganz. Woon-Jo Choi (Monterone) brachte durch seinen kurzen, aber eindrucksvollen
Auftritt den Saal mit seinem schmetternden Baßbariton
zum Erbeben.
trifft wenig später auf Euridice. Er ergreift ihre Hand
und fordert sie auf, ihm schweigend zu folgen. Dabei
schaut er sie nicht an. Euridice ist verwirrt und deutet
sein distanziertes Verhalten als Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Als sie ihn immer intensiver anfleht, sieht er sie
an. Gleich darauf stirbt Euridice. Aus Verzweiflung will
Orfeo ebenfalls sterben. Aber auch hier hat Amor Mitleid mit ihm und verhindert dies. Er erweckt Euridice
wieder zum Leben und schickt das Paar zurück auf die
Erde. In freudiger Stimmung wird der Triumph des Liebesgottes gefeiert.
Nicht zuletzt sollte hier die Leistung des Orchesters erwähnt werden, das von Daniel Jakobi dirigiert wurde.
Die Stimmungswechsel in Verdis Musik – von Erheiterung am Anfang bis Erschütterung ganz zum Schluß
– wurden gut umgesetzt.
Vorbemerkung
Bei dieser Oper handelt es sich um ein besonderes
Werk im Schaffen Glucks. Sie stellt den Versuch einer
Synthese von Opera seria und der französischen Tragédie
lyrique dar. Daher hat Gluck die Oper sowohl in italienischer, als auch in französischer Sprache geschrieben.
Damit bricht Gluck mit der Operntradition des frühen
18. Jahrhunderts, indem er deren Künstlichkeit bzgl. der
ausgedehnten Koloraturarien ablehnt. Statt dessen besticht diese Opernform durch Einfachheit und geradlinige Handlung. Leider lieferte das Programmheft des
Opernhauses wenig Informationen über diese Besonderheiten der Gluckschen Oper.
Das ausverkaufte Haus war tief beeindruckt. Am Ende erhob sich das Publikum sogar von den Sitzen, wobei Michaela Maria Meyer hier den stürmischsten Applaus einheimste.
Fazit
Die Aachener Inszenierung ist eine sehr originalgetreue
Umsetzung der Oper Verdis. Man fühlte sich miteinbezogen in das Geschehen, das dank der brillanten Besetzung und der großartigen musikalischen Leistung allen
Ansprüchen gerecht wurde.
M. Joannidis
Bild: Ludwig Koerfer
Aufführung
Die Inszenierung rückte die Musik ganz in den Vordergrund. Dies geschah vor allem durch eine sehr schlichte
Optik von Bühnenbild und Kostümen.
Aachen, Theater
Orfeo ed Euridice – Opheus und Euridice
Im ersten Akt blieb die Bühne, abgesehen von einer
Treppe und einem Messer als Requisite, leer. Auf eine
schwarze Wand (als Ersatz für einen roten Vorhang)
wurde ein Film projiziert. Er zeigte die beiden Hauptdarsteller glücklich als Paar vereint. Im zweiten Akt hob
sich die schwarze Wand und enthüllte eine erhöhte Konstruktion, die die Höllenatmosphäre sehr beeindruckend
vermittelte. Kleine Figuren, die auf eine Walze gesteckt
waren und sich um ihre eigene Achse drehten, stellten
die Furien dar. Die Szene im Elysium wurde aufgegriffen durch eine Waldatmosphäre in Grüntönen. Dies blieben die
einzigen bunten Effekte in dem Stück, bei
dem sonst die Farbe
Schwarz vorherrschte. Auch die Kostüme waren unauffällig
schwarz, allein Euridice
trug ein weißes Kleid.
von Christoph Willibald Gluck, Oper in drei Akten, in italienischer
Sprache, Libretto: Ranieri de Calzabigi, UA: 5. Oktober 1762, Wien
Regie: Martin Philipp, Bühnenbild: Detlev Beaujean
Dirigent: Volker Hiemeyer, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor,
Solisten: Annika van Dyk (Orfeo), Zoe Nicolaidou (Euridice), SooJin Park (Amor); Besuchte Aufführung: 13.4.2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Während Orfeo den Tod seiner Gattin Euridice betrauert, erscheint Gott Amor. Er bietet ihm an, in die Unterwelt zu reisen, um Euridice zurück ins Leben zu holen.
Einzige Bedingung sei, daß Orfeo Euridice auf keinen
Fall ansehen dürfe,
anderenfalls würde er
sie erneut für immer
verlieren. Orfeo hat
Zweifel: Wie wird Euridice wohl auf sein
Verhalten reagieren?
Vor den Toren der
Unterwelt versperren
Furien ihm die Pforten. Doch durch seinen Gesang sind die
Furien so ergriffen,
daß sie ihn passieren
lassen. Orfeo durchDas Bild zeigt Annika van Dyk (Orfeo), Zoe Nicolaidou (Euridice, liegend)
quert die Tore und
24
Stimmlich überzeugte
Annika van Dyk (Orfeo) durch ihren warmen Mezzosopran,
der gut zu ihrer Rolle
fangener der Skythen, soll zusammen mit seinem Freund
Pylades als Menschenopfer getötet werden. Durch Eingreifen der Diana wird dies verhindert und alle drei können zusammen in ihre Heimat fahren.
paßte. Auch schauspielerisch konnte sie Orfeos Verzweiflung durch eine sehr überzeugende Mimik Ausdruck verleihen. Sehr auffallend war auch Soo-Jin Park
(Amor), deren klarer und schmetternder Sopran eine
Bereicherung für das Stück war.
Die Rolle des Amors spielte sie ebenfalls sehr überzeugend, wobei sie die intriganten Züge des Gottes in den
Vordergrund rückte. Sie trug ständig zwei Puppen mit
sich, die Orfeo und Euridice verkörpern sollten. Durch
diese manipulierte sie die beiden, wo sie nur konnte, wie
bei einem Voodo-Zauber. Damit zeigte sich deutlich, wer
in dem Stück die Fäden in der Hand hielt. Auch ihr Aussehen (schwarzes Lederkleid und kurze schwarze Zöpfe)
unterstrich den verspielten Charakter ihrer Rolle.
Aufführung
Claus J. Frankl, erfahrener Operetten- und Musicaldarsteller und Regisseur, sah sich in seiner Interpretation
des Gluckschen Stoffes mit einer großen Schwierigkeit
konfrontiert: Geldmangel. Sein Bühnenbild, zusammengestückelte Kostüme aus allen Erdteilen und Epochen,
minderten den Eindruck, den das Werk Glucks verdient.
Dazu kamen noch ein paar überflüssige Regiegags, wie
die Nachwuchsregelung der Diana-Priesterinnen.
Die Priesterinnen trugen auch keine griechischen Gewänder, sondern glichen Samurai-Nonnen aus einem
schlechten Film. Ebenso Thoas, der mal an Krücken
gehen mußte, dann aber auch ohne Gehhilfen ganz bequem laufen konnte, trug Asiatisches, so daß zusammen
mit dem Kostüm Iphigenies, ein weißes Fin-de-siecleKleid mit einem Zwanziger-Jahre-Mantel, der Eindruck
entstehen konnte, man sei in einer schlechten Land-desLächelns-Show gelandet. Die Statisterie brachte schon
mal durch ihre Gesichtsbemalung einen ersten Eindruck auf
die kommende Fußball-Europameisterschaft in Österreich.
Nun denn, für eine gute Inszenierung wird halt etwas
Geld benötigt. Die einzelnen Figuren waren zwar durch
Frankl glaubwürdig in Szene gesetzt, überzeugten aber
am Ende doch nur durch ihre sängerische Leistung.
Überragend Johanna Winkel als Iphigenie. Ihre angenehm timbrierte Stimme überzeugte in allen Lagen. Bohyeon Mun als Pylades, sehr deutlich zu verstehen, erstrahlte in der hervorragenden Akustik des Markgräflichen
Opernhauses. Christoph Schröter (Orest) wurde nach der
Pause deutlich besser.
Der eigentliche Star an diesem Abend aber war die Junge Internationale Orchesterakademie unter Ulrich Meier.
Das Orchester beglückte mit einem Glanz, den man in
größeren Häusern so oft vermißt. Meier gelingt es immer, das Orchester den stimmlichen Bedürfnissen auf
der Bühne anzupassen. Auch ist die Musikalität des Cho-
Zoe Nicolaidou (Euridice) war ein weiterer Höhepunkt
des Abends. Durch ihren kräftigen, metallischen Sopran konnte sie vor allem den Schmerz und die Ängste
Euridikes sehr gut umsetzen. Besonders hervorzuheben
ist auch die Leistung des Chores, der sehr gut mit dem
Orchester unter Volker Hiemeyer zusammen agierte.
Das Ende des Stückes war etwas irritierend, da es dem
glücklichen Ende der Vorlage nur teilweise entsprach.
Auch hier war Soo-Jin Park als Amor wieder sehr dominant. Sie versetzte dem Liebespaar einen Stoß, das sich
daraufhin wie ein Uhrwerk in Bewegung setzte und im
Kreis drehte. Somit wurde die Abhängigkeit von Amors
Wohlwollen doch ein wenig auf die Spitze getrieben.
Fazit
Eine sehr schlichte Umsetzung des Stückes, die sich auf
das Musikalische konzentriert. Optisch nicht unbedingt
spektakulär, dafür aber fürs Hören um so mehr.
M. Joannidis
Bild: Carl Brunn
Bayreuth, Markgräfliches Opernhaus
Iphigenie auf Tauris
von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) Tragédie lyrique in vierAkten, Libretto: Nicolas-François Guillard; UA: 18. Mai 1779, Palais
Royal, Paris; Deutsche Fassung: Ch. W. Gluck
und Johann Baptist von Alxinger (1723-81);
UA (deutsch): 1781, Burgtheater Wien
Regie: Claus J. Frankl, Kostümbild: Ruth
Krottentaler
Dirigent: Christoph Ulrich Meier, Opernorchester der Jungen Internationalen Orchesterakademie, Sonderchor der Bayreuther Festspiele
Solisten: Johanna Winkel (Iphigenie), Christoph
Schröter (Orest), Bohyeon Mun (Pylades), Jae
Won Yang (Thomas), Nicala Becht (Diana).
Besuchte Vorstellung: 30.03.2008
(Premiere 29. März 2008)
Kurzinhalt
Iphigenie findet nach Jahren des
Dienstes im Tempel der Diana ihren
Bruder Orest wieder. Dieser, ein Ge-
Iphigenie und Orest im Vordergrund, dahinter der Damenchor
25
res, jeweils sechs Damen- und Herrenstimmen, besonders
hervorzuheben. Stets bemüht, der Szene Ausdruck zu verleihen, sind sie dennoch immer in der Musik präsent.
Der Eindruck, den die diesjährige Opernproduktion des
Bayreuther Opernfestivals hinterließ, ließe sich durch eine
bessere Ausstattung steigern. Hier wären Sponsoren gefordert, aber auch eine bessere Vermarktung der Opernaufführung könnte dazu beitragen, daß Bayreuth neben
seinem Sommerevent auch im Frühling aus seinem kulturellen Dornröschenschlaf erweckt würde. Dem Intendanten Ulrich Schubert und seinem Team ist jedenfalls
zu dieser Produktion zu gratulieren und der Iphigenie
auf Tauris wäre eine längere Laufzeit zu wünschen.
Ensemble wird man eine kühne, unkonventionelle, vielleicht sogar rebellische Lesart des Textes erwarten. Und
die bekam man geboten.
Um es gleich vorwegzunehmen: Wer mit den Operninszenierungen etwa eines Christoph Schlingensief, ihrer oft
sehr lockeren, assoziativen und multimedialen Bildgebung prinzipiell nicht zu Recht kommt, für den war
der Abend schon gelaufen, bevor der erste Ton gespielt
war. In dem Stück sieht kein Schauplatz auch nur annähernd so aus, wie man ihn sich nach den Vorgaben
des Librettos vorstellen würde. Die Darsteller bewegen
sich viel und oft aufgeregt, praktisch immer sind mehr
Personen auf der Bühne, als gerade singen, um stumme
Aktionen auszuführen, der Umgang mit der Musik ist
stellenweise sehr frei, es kommt zu Unterbrechungen
mit kurzen gesprochenen Monologen (z.B. wird Heiner
Müllers Gedicht Verkommenes Ufer im 4. Akt rezitiert),
Laiendarsteller wirken mit (eine arabische Familie), die
Darsteller werden mit Kübeln begossen, dekorieren sich
gegenseitig mit Schlagsahne usw.
A.M. Hauer
Bild: Opernhaus Bayreuth
Berlin, Komische Oper
Teseo - Theseus
von Georg Friedrich Händel, Oper in fünf Akten, Text von Niccolò
Francesco Haym nach dem Libretto von Philippe Quinault zur Tragédie
en musique Thésée von Jean-Baptiste Lully; UA: 1713 London
Deutsche Textfassung: Bettina Bartz/Werner Hintze; Inszenierung: Benedikt von Peter. Bühnenbild: Natascha von Steiger, Kostüme: Katrin
Wittig, Licht: Frank Evin; Dirigent: Alessandro de Marchi, Orchester der
Komischen Oper; Solisten: Elisabeth Starzinger (Theseus), Marina Rebeka (Agilea), Stella Doufexis (Medea), Hagen Matzeit (Ägeus), Karolina
Andersson (Clizia), David DQ Lee (Arkane)
Besuchte Vorstellung: 10. Februar 2008 (Premiere)
Der komplette erste und der Beginn des vierten Aktes
spielen vor dem eisernen Vorhang, der Rest der Handlung auf der vollkommen mit Schlamm bedeckten
Opernbühne. Allein aus diesen wenigen Beispielen wird
ersichtlich, was für eine Strategie mit dieser Inszenierung verfolgt wird. Wer allerdings mit dieser zum Teil
anarchisch anmutenden Ästhetik keine Schwierigkeiten
hat, auf den wartete ein überaus amüsanter und darüberhinaus musikalisch bravourös gemeisterter Abend.
Kurzinhalt
Medea, die Zauberin aus Kolchis, liebt den athenischen
Kriegshelden Theseus, der wiederum Agilea liebt. Nach
mehreren erfolglosen Versuchen, die beiden zu trennen,
beschließt Medea, Agilea zu töten und macht sich König Ägeus zum Komplizen. Als der sich jedoch daran
macht, Theseus zu vergiften, erkennt er ihn an seinem
Schwert als seinen vermißten Sohn. Medea, die nun die
ganze Welt vernichten will, wird durch das Eingreifen
einer göttlichen Macht daran gehindert.
Da es viel zuviel zu sehen und – wenn man erst einmal
das Programmheft zur Hand nimmt – zu deuten gibt,
um alles zu erwähnen, läßt sich der Gesamteindruck der
Inszenierung in etwa so zusammenfassen:
Man wird Benedikt von Peters Arbeit wegen der Freiheit seiner Deutung sicherlich einiges vorwerfen kön-
Aufführung
Es
handelt
sich bei dieser
Inszenierung
um das Berliner Debüt des
1977 geborenen Regisseurs
Benedikt von
Peter. Wie auch
die
anderen
Kräfte seines
Teams stehen
die
meisten
seiner Sänger
am Beginn ihrer Karrieren.
Von
einem
solch jungen
Stella Doufexis (Medea), vorne knieend
26
nen, aber nicht, sie sei langweilig, humorlos, ignoriere
das musikalische Geschehen und sei nicht sachkundig.
Das Timing der Aktionen ist – dank der hervorragenden Darsteller – brillant, so daß während der dreieinhalbstündigen Oper keinerlei Leerlauf aufkommt. Das
Libretto mit seinen mitunter wenig überzeugenden Entwicklungen wird sowohl in seiner Absurdität als auch
seinen ethischen Momenten ernst genommen.
Bonn, Oper
L´Italiana in Algeri
von Gioachino Rossini, Dramma giocoso per musica, zwei Akte; Libretto: Angelo Anelli; UA: 25. Mai 1813, Teatro San Benedetto, Venedig.
Regie: Andrea Schwalbach, Bühne: Anne Neuser, Kostüme: Stephan
von Wedel; Dirigent: Wolfgang Lischke, Herrenchor, Einstudierung:
Sibylle Wagner, Choreographie: Ulrike Schumann
Solisten: Martin Tzonev (Mustafa), Anna Virovlansky (Elvira), Anjara I. Bartz (Zulma), Algis Lunskis (Haly), Jónas Gudmunđsson (Lindoro), Susanne Blattert (Isabella), Haris Andrianos (Taddeo)
Besuchte Aufführung: 2. März 2008 (Premiere)
Händels Stoff bietet eine Fülle verwickelter Liebesbeziehungen und besitzt zugleich eine politische Dimension,
da die Oper, wie es für das 17. und frühe 18. Jahrhundert
typisch ist, im Milieu der Helden, Könige und Halbgötter spielt, . Dies kommt in der Inszenierung ebenso zum
Ausdruck wie der Umstand, daß die Handlung vor dem
Hintergrund eines Krieges zu sehen ist, eines Krieges,
der die Protagonisten zeichnet.
Kurzinhalt
Algier um 1810 Mustafa, der Bey von Algier, ist seiner
Frau Elvira überdrüssig. Sein Vertrauter Haly soll ihm eine
temperamentvolle Italienerin zuführen und Elvira mit seinem italienischen Sklaven Lindoro verheiraten. Isabella
macht sich mit ihrem Gefährten Taddeo auf die Suche nach
ihrem Geliebten Lindoro und strandet mit dem Schiff vor
der Küste Algeriens. Haly nützt die Gelegenheit und führt
Isabella seinem Herrn, der sofort von ihr hingerissen ist. Um
Isabella für sich einzunehmen, ernennt Mustafa ihren „Onkel“ Taddeo zum „Kaimakan“. Mustafa, Taddeo und Lindoro beobachten Isabella heimlich bei der Toilette. Sie will
sich für ihren Liebsten schön machenl. Jeder der drei bildet
sich ein, er sei gemeint. Isabella verspricht Mustafa, ihn zu
lieben, wenn er sich zum „Pappataci“, einem Mampfenden
und Schweigenden, machen lasse. Die Zeremonie nutzen
Musik und Sänger
Das Orchester der Komischen Oper brachte, in historischer Aufstellung und mit historischen Instrumenten angereichert, unter der Leitung von Alessandro de
Marchi einen kräftig-dunklen, dabei ungemein genau
artikulierten und akzentuierten Klang hervor. Das Zusammenwirken mit den Sängern in ihren Koloraturarien, die, wie in den einschlägigen Ensembles seit ein paar
Jahren üblich, in einem sehr schnellen Tempo genommen wurden, war in seiner Präzision
wirklich atemberaubend. Alle Solisten wurden völlig zu Recht mit Bravorufen für ihre Leistungen bedacht.
Sämtliche Sängerinnen und die beiden Counter-Tenöre verfügen über
eine hochspezialisierte Technik, die
ihnen gestattet, exakt phrasierte,
schnelle Läufe und Figurationen
ebenso souverän zu singen wie auch
einen forcierten, raumfüllenden Ton
zu erzeugen.
Die Nuancierungsmöglichkeiten aller Sänger, etwa von Stelle Doufexis
als Medea, stehen auf höchstem Niveau. Von der Regie wurde bisweilen
Susanne Blattert (Isabella); Haris Andrianos (Taddeo)
in ihre Partien eingegriffen, indem
einige kurze Rezitativphrasen gesprochen oder nur halb gesungen und in den Arien einzelne Isabella, Lindoro und die übrigen Sklaven zur Flucht. Zu spät
Töne verlängert oder Glissandi eingefügt wurden; doch erkennt Mustafa den Schwindel und fügt sich in sein Schicksal.
betrifft dies nur einen sehr kleinen Teil der Partitur. Alle Aufführung
Chöre und Bühnenmusiken kamen, zum Teil elektro- Die Regisseurin hat den im osmanischen Algier angesienisch verfremdet, vom Band.
delten Stoff in die Gegenwart verlegt. Während der Ouvertüre klebt Isabella im grauen Kostüm, strenger Frisur
Fazit
und Brille, zurecht gemacht wie eine Oberlehrerin, SuchMusikalisch ist diese Inszenierung ein Traum. Sie ist jedoch
plakate mit dem Konterfei Lindoros an eine Mauer. Ihr
wirklich nur etwas für Leute, die offen für Überraschungen
Geliebter gleicht einem Buchhalter, als er mit Mustafa
sind, oder für Freunde des modernen, experimentierfreuin einer Art Kaffeehaus, eher eine Teestube mit Fischgen Theaters. In jedem Falle sehr kurzweilig.
theke und Pepsi-Kühlschrank, lose angebunden sitzt. Den
M. Knust
Bild: Monika Rittershaus
27
Bonn, Opernhaus
Mokka nimmt man aus Teegläsern zu sich. Mustafa als Macho zu erkennen, ist nicht eben originell gestaltet: Zum weißen Nadelstreifenanzug trägt er ein lila Hemd, sowie dicke
Goldketten. Die Begegnung der Kulturen findet also nur
im Klischee statt: Auch dann, wenn ein fliegender Teppich
vorbeisaust, ein Kamel um die Ecke blickt und die von
einem dickbäuchigen Eunuchen unterstützte Bauchtanzgruppe orientalischen Reiz bringen. Aus der delikat erdachten Komödie werden gut getimte Klamauknummern, die
man mögen muß – oder auch nicht.
Mit ihrem Sportboot krachen Taddeo und Isabella durch
die Requisite. Zu Lachen gibt es also reichlich. Die schauspielerische und choreographische Darbietung der Statisterie und des Herrenchors sind glänzend.
Die Haremsdamen tragen zunächst Burka, später von der
Italienerin quasi „infiziert“, ebenfalls graue Kostüme, die
Herren westliche Anzüge. Lindoro, der gerne seine Rechenmaschine umklammert, wirkt kalkulierbar. Alle Sklaven
und Herren, das macht die schauspielerisch und sängerisch
herausragende Susanne Blattert (Isabella) klar, verfallen ihr,
der durch das „Schicksal gestärkten“ Primadonna. Wenn
sie sich zur gemeinsamen Kaffeestunde bis auf den Unterrock auskleidet, sind nicht nur die drei Herren, sondern
auch der ganze Harem wie paralysiert und auch der Kühlschrank dampft. Elvira hält den Emanzipationsschriften
ihrer Zofe das kitschige Hochzeitsbild entgegen, denn für
sie und Mustafa bleibt nach wie vor alles beim Alten. Das
Orchester kann bis auf Details gut mithalten. Die
Sänger, allen voran Susanne Blattert, können mit
warmen leichtem Belcanto einnehmen, wie der
im leichten Parlandostil singende Martin Tzonev
(Mustafa) und der überzeugende Haris Andrianos
(Taddeo), dessen Komik brillant ist. Eine gewisse
Enttäuschung war Jonas Gudmundsson (Lindoro),
der trotz seines schönen Tenors besonders in seiner
ersten Arie die Höhen forcierte, was der Leichtigkeit von Rossinis Musik gar nicht gut stand. Anna
Virovlansky verkörperte mit hellem Sopran die
Partie der Elvira, Algis Lunskis (Zulma) und Anjara
I. Bartz (Haly) und machten aus ihren Nebenrollen
stimmlich und agierend das Beste.
Margarethe – Faust
von Charles Gounod (1818-1893), Oper in 5 Akten, überarbeitete
Fassung 1869: Libretto: Jules Barbier und Michel Carré nach Johann
Wolfgang von Goethe. UA: 19. März 1859, Paris, Théâtre Lyrique
Regie: Vera Nemirova, Bühnenbild/Kostüme: Ulrike Kunze
Dirigent: Wolfgang Lischke, Beethoven Orchester Bonn, Chor: Einstudierung: Sibylle Wagner; Solisten: Julia Kamenik (Margarethe),
Arturo Martin (Faust), Martin Tzonev (Mephisto), Aris Argiris (Valentin), Kamen Todorov (Wagner), Susanne Blattert (Siebel). Anjara
I. Bartz (Marthe Schwertlein),
Besuchte Aufführung: 13. April 2008 (Premiere).
Kurzinhalt
Faust, im vorgerückten Alter, ist im Ringen nach Erkenntnis müde geworden. Er greift nach dem Giftbecher.
In Unmut über die von draußen in seine Studierstube
dringenden religiösen Gesänge ruft er den Satan herbei,
der als Edelmann erscheint. Der Pakt um Jugend, Kraft
und Hoffnung gegen die Seele des Wissenschaftlers
wird beschlossen. Durch einen Trank verjüngt, begehrt
er das Mädchen auf dem ihm gezeigten Bild: Margarethe. Ihr Bruder Valentin verläßt als Soldat die Stadt. Die
Studenten Siebel und Wagner versprechen, auf Grete
zu achten. Mephisto mischt die heitere Gesellschaft mit
düsteren Prophezeiungen auf, es kommt zum Gerangel.
Faust lernt Margarethe kennen. Mephisto verschafft
Schmuck. Die geschwätzige Nachbarin redet Grete zu,
ihn zu behalten. Mephisto organisiert ein erstes Treffen.
Julia Kamenik (Margarethe), Arturo Martin (Faust), Martin
Tzonev (Mephisto), Anjara I. Bartz (Marthe), von li nach re
Fazit
Das Orchester spielte, wenn auch gelegentlich etwas dominant (z.B. Finale 1. Akt), musikalisch, sieht man von der
nicht gerade repräsentativen Soloflöte in der Ouvertüre
einmal ab. Der Wechsel zwischen Rezitativen und Arien gelang bruchlos. Schauspielerisch war die Aufführung
rundum gelungen. Die Sänger sind bis auf den Lindorodarsteller, dessen Stimme die weiche Leichtigkeit fürs Belcantofach vermissen ließ, hörenswert. Eine insgesamt auf
Komik setzende Version mit umgangssprachlich übersetzten Obertiteln (etwa: Jetzt heißt es cool bleiben), die nicht auf
Raffinesse, sondern auf kraftvolle Bilder à la Slapstick setzt.
Margarethe wird von Faust verlassen; sie erwartet ein
Kind von ihm. Der zurückgekehrte Valentin stellt den
Verführer im Kampf und wird von ihm tödlich verwundet. Mephisto führt Faust auf einen Berg, den Brocken
im Harz, wo während der Walpurgisnacht sinnliche Genüsse aller Art auf ihn warten. Faust hat die Vision der
leidenden Margarethe und flieht mit Mephisto zu der als
Kindesmörderin verurteilten Grete ins Gefängnis. Dem
Drängen Mephistos zu folgen, kann sie, die tugendhaft
Reine, nicht nachgeben. Mephistos Ausruf: „gerichtet“
schallt das himmlische „gerettet“ entgegen und Grete
schwebt gen Himmel.
F. Zink
Bild: Thilo Beu
28
Aufführung
der eigentlich als zweite Besetzung vorgesehene Arturo
Martin (Faust). Noch scheint er der großen Partie nicht
gewachsen zu sein. Martin Tzonev gab als Darsteller
einen satanischen Mephisto, stimmlich hätte man sich
einen profunderen Charakterbaß vorstellen können.
Aris Argiris überzeugte als Valentin gänzlich, Susanne
Blattert füllte die Rolle Siebels voll aus, wie Kamen Todorov und Anjara I. Bartz die von Wagner und Marthe
Schwertlein. Der Chor hatte große, gelungene Szenen.
Das Beethovenorchester bietet nach einer etwas erdig
tönenden Ouvertüre hörbares Bemühen um einen leichten, romantischen Tonfall, aus dem sich in erster Linie
fein artikulierte Holzbläserstellen herauskristallisierten.
In Bonn hat man sich für die französische Version mit
deutschen Übertiteln entschieden, was die musikalische
Einheit verdichtet. Die Regiearbeit der Bulgarin Vera
Nemirova, einer Schülerin Peter Konwitzschnys, läßt ein
einigermaßen deprimiertes Publikum zurück. Bedauernswert, wenn einer Regisseurin zu der delikaten Musik
von Charles Gounod mitunter platte, um nicht zu sagen,
hausbackene Bilder einfallen.
Das erste Bild läßt noch hoffen: Faust im hohen Raum
eines Turms mit Wandtafeln, die mit mathematischen
Formeln übersät sind. Er ist ein junger Mann, der sich
nicht verjüngt, sondern zum Spiegelbild Mephistos verwandelt wird. Die Rolle von Mephisto wird dominant,
er ist nicht nur treibende, sondern auch aktiv handelnde
Kraft in der Verführungsszene. Margarethe heißt in Bonn
letztlich Faust, was diese Betonung erklärt. Dennoch
bleibt bei Gounod, im Gegensatz zu Goethe, Margarethe die Hauptperson.
F. Zink
Bild: Tilo Beu
Bremen, Theater am Goetheplatz
La Cenerentola – Das Aschenputtel
von Gioachino Rossini (1792-1868), Dramma giocoso in 2 Akten,
Libretto: Jacopo Ferretti nach dem Märchen Cendrillon ou La petite
pantoufle de verre (1697) von Charles Perrault
Dirigent: Markus Poschner, die Bremer Philharmoniker, Chor des
Theater Bremen, Einstudierung Tarmo Vaask
Regie: Michael Hampe, Bühnenbild: Christian Köpper/Andreas Hornburg, Ausstattung: Monika Gora, Kostüme: Paul Zimmermann;
Solisten: Tamara Klivadenko (Angelina), Benjamin Bruns (Don Ramiro), Jan
Friedrich Eggers (Dandini), Seth Keeton (Alidoro), Damon Nestor Ploumis
(Don Magnifico), Nadine Lehner (Clorinda), Barbara Buffy (Tisbe)
Besuchte Aufführung: 12. April 2008 (Premiere)
Der Auftritt Mephistos, in hochfahrendem, rotem Ledersessel sitzend, zeigt Wirkung. Über den neuerdings
in Regiearbeiten unvermeidlichen Laptop sieht Faust
Margarethes Bild.
Die andere Seite des „Studierzimmers“ ist das weiße Foyer einer Pflegestation für Senioren, in dem Margarethe
als Pflegerin arbeitet und die Banalisierung des als romantische Oper gedachten Stoffes beginnt. Das Vestibül
bleibt Kulisse bis zum vorletzten Bild, wird Schauplatz
des Bacchusfestes, eine Art Weinfest mit Menschen in
Lederhosen und Schürzenkleidchen plattesten Kolorits.
Kurzinhalt
Angelina (Aschenputtel) gibt dem als Bettler verkleideten Philosophen Alidoro zu essen und zu trinken. Sie
ist selbstlos, ganz im Unterschied zu ihren Halbschwestern Clorinda und Tisbe. Alidoro hilft ihr, aufs Fest im
Schloß des Prinzen Ramiro zu kommen, was ihr Vater
Don Magnifico verboten hatte.
Faust intoniert seine Arie Sei gegrüßet reines Heim ins Foyer hinein, was einen merkwürdigen Beigeschmack bekommt. Margarethe mit Putzeimer und Lappen im dritten Akt hängt mit Gounods zauberhafter Musik ihrem
Geliebten nach. Wer möchte das so sehen?
Dort wollte sie Don Ramiro wiedersehen. Denn Prinz
Ramiro, verkleidet als sein Diener Dandini, hatte sich
zuvor auf Brautschau zur Wohnung von Don Magnifico
begeben, wo er sich in die unscheinbare Angelina verliebt hatte. Don Magnifico will aber seine Töchter reich
verheiraten, weil er finanziell am Ende ist.
Das eindringlichste Bild ist die Gebetsszene, in der Margarethe um Gottes Gnade fleht und die Gläubigen sich
gegen Mephisto, der seine eigene, satanische Messe zu
zelebrieren scheint, stellen. Valentins Rückkehr aus dem
Krieg wird zu einer Miniaturparade realsozialistischer
Prägung. Kinder mit Spielzeuggewehren, selbst der Nelkenstrauß fehlt nicht.
Alidoro führt Angelina mit verschleiertem Gesicht aufs
Fest ins Schloß. Angelina gibt zu erkennen, daß sie den
Kammerdiener liebt, woraufhin der Prinz seine Verkleidung fallenläßt.
Das Bacchanal der Walpurgisnacht in wilder Gebirgslandschaft ist als aus Eimern saufende Feierrunde mit
blinkenden Teufelshörnchen und Papphütchen zu sehen. Margarethe wirft im Hintergrund der Party das tote
Kind in eine für kühle Getränke bereit gestellte Gefriertruhe. Fausts Frage Wo sind wir? stellt man sich als Zuschauer selbst.
Die Sänger
Einige Zeit später arrangiert Alidoro vor Don Magnificos Haus einen Kutschunfall. Beim Betreten des Hauses
erkennt Prinz Ramiro Angelina am Armreif, den sie zuvor als Geschenk von Ramiro beim Schloßfest erhalten
hatte. Magnifico und seine beiden Töchter müssen mit
ansehen, wie Don Ramiro Angelina zur Frau nimmt.
Julia Kamenik (Margarethe) war allen voran eine wünschenswerte Besetzung, die auch schauspielerisch einiges zu bieten hatte. Über eine schöne Stimme verfügt
Der Triumph der Güte wird deutlich am Ende der Oper
erkennbar: Angelina vergibt großzügig ihren Schwestern
und ihrem Vater Don Magnifico.
29
Vor dem Thron Benjamin Bruns (Prinz Ramiro), in der Mitte Tamara Klivadenko (Angelina) und die Festgesellschaft
einfache Melodien singt, zur bravourösen Königin, die
Koloraturen perlen lassen kann, eindrucksvoll deutlich.
Seth Keeton (Alidoro), der die Fäden der Geschichte in
der Hand hält, blieb gemäß seiner Rolle etwas im Hintergrund, symbolisch trug er einen „Wendemantel“: außen
grau und innen voller Sterne.
Jan Friedrich Eggers (Dandini) vertrat genußvoll seinen
Herrn und stand ihm in nichts nach. Sein Baß klang sogar manchmal wohltönender als der an lauten Stellen etwas gepreßte Tenor des Benjamin Bruns (Don Ramiro).
Damon Nestor Ploumis (Don Magnifico) war sowohl
schauspielerisch als auch stimmlich ein Meister der Komik, ob es um seine träumerischen Schwärmereien für
eine finanziell unabhängige Zukunft ging, um seine
kratzfüßige Unterordnung gegenüber dem Prinzen oder
um seine verschwörerische Absprache mit den Töchtern.
Nadine Lehner (Clorinda) und Barbara Buffy (Tisbe)
spielten die zänkischen, schnatternden, neidischen und
von Selbstdarstellungszwang zerfressenen Marionettenwesen einfach umwerfend gut. Es ist wirklich schwierig,
häßlich zu singen!
Nach dreistündiger Aufführungszeit dann das Lieto fine
(das glückliche Ende) mit einer der virtuosesten Ensembleszenen Rossinis – der angestrebte Triumph des Guten:
den Bösen wurde vergeben, die Guten sonnen sich. Offensichtlich war das Publikum zufrieden: stehende Ovationen sprachen dafür. Ausnahmsweise wurde auch die
Regie in den Applaus einbezogen. Man hatte eine Oper
gesehen, in der sich schauspielerische und sängerische
Leistung der Darsteller aufs Beste ergänzten.
Aufführung
Diese Produktion eröffnete in Bremen den Zyklus von
Rossini-Inszenierungen.
Michael Hampe brachte in seiner Inszenierung mit althergebrachten Techniken die Illusion des barocken Theaters auf die Szene zurück: drehbare Bühne, sich hebende und senkende Prospekte, künstliche Pferde und
eine Kutsche, dabei vorbeiziehender Hintergrund, um
das Fahren zu imitieren, sich auf der Bühne umkleidende Sänger: Durchschaubarkeit und Magie in einem. Die
Kostüme, detailgenau rekonstruiert, gaben in ihrer bunten Ausführung das I-Tüpfelchen.
Die Bremer Philharmoniker spielten wohltuend präzise
und musizierten in hervorragendem Einklang mit den
Sängern. Die Rezitative am Hammerklavier verwirklichte Karen Schulze-Koops präzise. Der Herrenchor war
musikalisch exzellent vorbereitet und bot einen schauspielerisch gekonnten Spiegel für die Handlung.
Die Solisten standen mit ihrer sängerischen Leistung
alle auf ähnlich hohem Niveau. Ihre Koloraturen kamen
gekonnt und artikulatorisch sehr verständlich in atemberaubender Geschwindigkeit daher. Nur über höchste
Konzentration konnte es möglich sein, das Zusammensingen in den Ensembles mit dieser Präzision zu erreichen, eines der entscheidenden Elemente, welches die
Virtuosität dieser Oper ausmachte.
Tamara Klivadenko gestaltete die zwar zurückgewiesene, aber nicht widerstandslose Stieftochter Angelina
nachvollziehbar. Durch ihren weiten Stimmumfang
wurde die Verwandlung von schlichter Dienstmagd, die
C. Jakubowski
30
Bild: Jörg Landsberg
Chemnitz, Theater
Aufführung
Ralf Nürnberger gestaltet die „moderne“ Uraufführung
Il Templario – Der Templer
sehr werkgetreu. Seine Regie und Personenführung lievon Otto Nicolai (1810-1849), Melodramma in drei Akten
ßen nichts zu wünschen übrig. Ein gut durchdachtes,
Libretto: Girolamo Maria Marini nach Ivanhoe von Walter Scott,
wenngleich auch unspektakuläres Bühnenbild und die
UA: 19. September 1840, Triest
einfachen, aber schön anzusehenden Kostüme trugen
Regie/Bühnenbild: Ralf Nürnberger, Kostüme: Claudia Rühle
Dirigent: Frank Beermann, Robert-Schumann-Philharmonie,
dazu bei, den Handlungsverlauf zu verstehen, auch wenn
Opernchor, Einstudierung: Mary Adelyn Kauffman
man nicht am Übertitel klebt.
Solisten: Kouta Räsänen (Cedrico der Sachse), Stanley Jackson (Vil
Nürnberger standen ein ausgezeichnetes Sängerensembfredo d’Ivanhoe), Judith Kuhn (Rovena), Andreas Kindschuh (Luca
le, ein hervorragender Chor und die aufs Beste gestimmdi Beaumoir), Hans Christoph Begemann (Briano di Bois-Guilbert),
Andre Rimer (Isacco di York), Tiina Penttinen (Rebecca)
te Robert-Schumann-Philharmonie zur Verfügung. AlBesuchte Aufführung: 7. März 2008 (Premiere)
lein, die Tatsache der Wiederentdeckung des fast schon
Kurzinhalt
vergessen Werkes sollte Ehre genug sein.
Vilfredo schließt sich gegen den Willen seines Vaters Wirklich außergewöhnlich an diesem Abend war die muCedrico dem Normannenkönig Richard Löwenherz an sikalische Leitung Frank Beermanns! Allen voran Stanley
und nimmt mit ihm am Dritten Kreuzzug teil. Im Heiligen Jackson (Vilfredo) als Gast, der in dieser mörderischen
Land wird er verletzt und von der Jüdin Rebecca gesund Partie zu seiner alten tenoralen Strahlkraft zurückgefungepflegt. Sie verliebt sich in ihn und folgt ihm heimlich den hat, unterstützt von Tiina Penttinen (Rebecca), die
nach England.
hier in dieser Rolle, zwischen Mezzo und Sopran gelegen,
Vilfredo tritt beim Turnier in Ashby inkognito auf und ihre ganze Kunst darstellen konnte. Judith Kuhn als Robesiegt den als unbesiegbar geltenden Normannen Briano. vena: ach hätte Nicolai diese Rolle doch etwas ausführliDanach läßt er sich durch Rovena, die er schon seit langem cher gestaltet, der Abend wäre noch schöner geworden.
Andre Riemers Isacco (für eine Oper ungewöhnlich: ein
liebt, den Siegeskranz
Tenor in einer Vaüberreichen. Rebecca
terrolle) überzeugte
und Isacco finden bei
auf der ganzen Linie,
Cedrico und Rovena
und Hans Christoph
Schutz vor ihren VerBegemanns
Briafolgern. Der unerwarno,
ein
in
sich
Zertet aufgetauchte Briano
rissener,
zwischen
läßt Rebecca, in die er
unglücklicher
Liebe
seit seiner Zeit in Palästiund
Pfl
ichterfüllung
na verliebt ist, entführen
Schwankender, sang
und verschleppt sie in die
sich trotz unklarer
Komturei der Templer.
Position im Stück
Briano reißt sie aus ihren Träumen an Vilf- Tiina Penttinen (Rebecca) und Hans Christoph Begemann (Briano) in der Templerkomturei in die Herzen der
Opernbesucher.
redo und bietet ihr ein
Leben fernab der Tempelritter an. Er warnt vor der An- Gratulation auch an Michael Wittmann, der diese Oper
kunft des Großmeisters, denn das würde beider Tod be- dem Vergessen entrissen hat, und an die Leitung der
deuten. Rebecca bleibt standhaft und weist Briano auf eine Chemnitzer Oper, die das Wagnis einging, ein völlig unzweifache Sünde hin: das Zusammenleben mit einer Jüdin bekanntes Stück auf den Spielplan zu stellen. Möge Il
Templario eine lange Laufzeit beschieden, und möge er
und seinen Treuebruch gegenüber dem Templerorden.
Eine Zeremonie der Templer stört Isacco und fordert die auf vielen weiteren Bühnen zu sehen sein, denn Otto
Herausgabe seiner entführten Tochter. Doch der Groß- Nicolais Musik entspricht genau dem Standard der Zeit
meister bezichtigt Rebecca der Hexerei und verurteilt sie um 1840. Es ist eine typisch italienische Oper.
zum Scheiterhaufen. Briano verweigert jede Aussage, rät Ein Besuch dieser Aufführung lohnt sich trotz – oder
Rebecca aber zu einem Gottesurteil, da er so für sie eintre- vielleicht – auch wegen der etwas auf Sparflamme geten könne. Die Templer bestimmen ihn aber zum Kämpfer kochten Ausstattung. Aber leider genießt ein Opernhaus
wie Chemnitz nicht die Zuwendungen von Sponsoren
für die Sache der Templer.
Als Vilfredos Vater erfährt, daß Rovena ihn liebt, gibt er wie größere Häuser, die einen besseren (wenngleich nicht
nach und verzeiht seinem Sohn. Vilfredo tritt als Kämpfer immer gerechtfertigten Ruf) haben. Für mich war die
für Rebecca auf und erschlägt Briano. Rebecca ist frei und Premiere auf alle Fälle eines der außergewöhnlichsten
erklärt, daß sie Vilfredo liebe, und lieber sterben würde, als Musikereignisse dieses Jahres.
A. M. Hauer
auf ihn zu verzichten. Entseelt sinkt sie zu Boden.
Bild: Dieter Wuschanski
31
Dessau, Anhaltisches Staatstheater
Felsensteins Regieansatz ist eher traditionell, aber keineswegs altbacken. Er erzählt die Geschichte des reinen
Tores so, wie der Bayreuther Meister sie auch geschrieben hat. Eine in ihren eigenen Gesetzen verhaftete Männergesellschaft schafft es nicht, neue Wege zu gehen.
Erst der Einfluß von draußen ermöglicht eine Erneuerung und Fortbestand. Dies alles gelingt ihm ohne modische Symbolik, ohne „trendige“ Umdeutungen, ohne
Kostümmorgie und Komparserieschlachten. Er führt
keine Regietricks vor, sondern zeigt solides Handwerk,
das man heute doch so oft schmerzlich vermißt.
Parsifal
Musik und Libretto von Richard Wagner, Bühnenweihfestspiel
Uraufführung: 26.07.1882, Bayreuth, Festspielhaus
Regie: Johannes Felsenstein, Bühnenbild/Kostüme: Stefan Rieckhoff;
Dirigent: Golo Berg, Anhaltische Philharmonie Dessau, Opernchor,
Choreinstudierung: Helmut Sonne, Kinderchor (Leitung: Dorislava Kuntscheva); Solisten: Ulf Paulsen (Amfortas), Rainer Büsching
(Titurel), Manfred Hemm (Gurnemanz), Richard Decker (Parsifal),
Nico Wouterse (Klingsor), Iordanka Derilova (Kundry), Mark Bowman-Hester (Erster Gralsritter), Christian Most (Zweiter Gralsritter), Cornelia Marschall, Sabine Noack, Noerbert Leppin, Alexander
Dubnov (Knappen), Cornelia Marschall, Anette Fritsch, Sabine Noack, Jule Rosalie Vortisch, Kristina Baran, Anne Weinkauf (Zaubermädchen), Sabine Noack (Stimme aus der Höhe)
Besuchte Aufführung: 26. April 2008 (Premiere)
Solisten und Orchester
Golo Berg läßt seine Anhaltische Philharmonie leichtläufig und transparent durch Wagners Partitur fließen.
Die sonst so sperrige Musik des Parsifal erreicht bei ihm
eine Dynamik, die die über fünf Stunden dauernde Aufführung im Fluge vergehen läßt.
Doch achtet Berg immer darauf,
daß seine Sänger niemals unter
dem Orchester leiden müssen.
Durch kluge Tempi und Dynamikwahl wird niemand zum
Forcieren gezwungen. Das Ensemble ist insgesamt deutlich besser, als man es von einem Haus
dieser Größe erwarten würde, ja
über eine Einspielung dieses Parsifals würde man sich sicherlich
freuen.
Kurzinhalt
Amfortas leidet unter einer nicht heilenden Verletzung,
die durch einen magischen
Speer hervorgerufen worden
war. Diese Wunde kann nur
durch den Speer geschlossen
werden, der sie auch schlug.
Alle Versuche seiner Ritter
Klingsor diesen Speer zu entreißen, schlugen fehl. Erst dem
unschuldigen Jüngling Parsifal
gelingt es, die Zaubermacht
Klingsors zu brechen. Zum
Lohne ernennt man ihn zum
neuen König.
Die Sänger, die ohne direkten
Augenkontakt zum Dirigenten
Zum wiederholten Male gelang
agieren müssen, sind alle auf
es Johannes Felsenstein und
überdurchschnittlichem Niveau.
seinem Bühnen- und KostümAngefangen von dem grandibildner Stefan Rieckhoff mit
osen Chor, über die Knappen,
einfachen Mitteln, große Oper
die Blumenmädchen, die sowohl
zu machen. Felsenstein setzt
stimmlich als auch optisch durchdas Orchester auf die Bühne.
aus anrührend sind, bis hin zu den
Rieckhoff baut eine Hebegroßen Partien.
Gurnemanz, Kundry, und Parsifal, von li nach re
und Drehbühne auf dem OrRichard Decker (Parsifal) gibt den
chestergraben auf. Einziges
tumben Helden stets tonsicher,
Versatzstück scheint ein Stück Treibholz zu sein, das es
wenn
auch
mit
einigen
leicht
unschönen Registerwechseln.
aber in sich hat. Durch absolut lautlose Technik wird
Rainer
Büsching
singt
seinen
Titurel aus dem Bühnenhinaus diesem Stück Holz ein primitiv geschnitztes, der einfachen Volkskunst verpflichtetes Kruzifix. Rieckhoffs tergrund ganz ohne Verstärkung deutlich und ohne Tadel.
Kostüme sind stilisierte Zeitzeugnisse. So trägt Kundry Manfred Hemm (Gurnemanz) ist ein verzweifelter Ritter,
zu Beginn ein römisches Kleid, die Ritter mit Metalltei- der scheinbar mühelos durch diese Riesenpartie geht. Nico
len verstärkte Mäntel, der Gralszeremonienmeister ein Wouterse (Klingsor) singt seine tiefe Partie ohne jeden
an die evangelische Kirche erinnerndes Gewand, wäh- Schönglanz, genau wie sie seiner Rolle entspricht. Ulf Paulrend Klingsors Anzug eindeutig katholische Elemente sen (Amfortas) verbietet ebenfalls seiner Stimme jegliche
trägt. Parsifal selbst ist in Krachledernes gewandet, Am- Lieblichkeit. Seine sonst doch immer so wohltuende Stimfortas, an Seele und Leib leidend, ist am ganzen Körper me läßt er diesmal trocken, gebrochen und leidend ertönen.
bandagiert. Die Kostüme wandeln sich im dritten Akt zu Einzige Dame in dieser Männerriege ist Iordanka Derilova.
zeitgenössischer Kleidung um. Die Ritter in Anzügen, Sie ist die Königin des Abends. Ihre Kundry, stets aufs Genaueste textverständlich, sicher in der Intonation, perfekt
Kundry im Lederkostüm, Parsifal in Jeans und Hemd.
im Klang, wandelt sich von einer Furie zur mitfühlenden
Aufführung
32
Frau. Ihre Stimme changiert in allen Registern und allen Facetten, so wie es diese schwierige Rolle erfordert. Von der
körperlich Erschöpften, über die Verführerin im zweiten
Akt, bis hin zur leidenden, zur sprachlichen Äußerung unfähig, gewandelten Frau zeigt sie wieder mal, welch großartige Sängerin und Darstellerin sie ist.
menspiel mit dem Orchester. Auf der Bühne zeigt sich eine
Konstruktion aus achtzehn großen fensterartigen Aussparungen, die jeweils in drei Etagen mit je drei Aussparungen
einen in der Mitte gelegenen, großen, runden Bühnentunnel einfassen. Darin schwelgen Tom Rakewell (Jeff Martin)
und Ann Trulove (Lydia Skourides) in ihrem Liebesglück.
Fazit
Die Inszenierung durch Roland Schwab macht aus
Strawinskys letztem Werk seiner neoklassizistischen
Phase ein Theaterstück, das den Publikumsraum mit
einschließt. So agieren die Akteure teilweise von verschiedenen Publikumslogen aus und der Chor kommt
seitens der Publikumseingänge auf die Bühne. Obwohl
die Bühnenkonstruktion erst sehr spät wechselt, verschafft sie durch stetig neue Licht- und Farbenspiele,
die harmonisch dem Konzept und dem Klang angepaßt
sind, neue Eindrücke. Die sinnbildliche Zerrissenheit
von Ann Trulove, ob sie ihrem Tom nach London nachreisen soll oder nicht, stellt Roland Schwab durch fünf
identisch aussehende Anns dar, die auf der Bühne an
Ann Trulove hin- und herzerren.
Ein Meisterwerk des Theaters Dessau, das man sich nicht
entgehen lassen sollte. Eine Regie, die ohne Firlefanz daherkommt, dafür aber die handwerklichen Grundlagen
des Theaters berücksichtigt, eine musikalische Leistung,
die man sich besser nicht wünschen könnte.
A. M. Hauer
Bild: Claudia Heysel
Dortmund Theater
The Rake‘s Progress
von Igor Strawinsky, Oper in drei Akten Dichtung: Wystan Hugh
Auden und Chester Kallman, UA: Venedig, 11. September 1951.
Regie: Roland Schwab, Bühnenbild: Piero Vinciguerra, Kostüme: Renée
Listerdal, Dramaturgie: Verena Harzer
Dirigent: Jac van Steen, Dortmunder Philharmoniker, Opernchor Theater Dortmund, Choreinstudierung: Granville Walker
Solisten: Jeff Martin (Tom Rakewell), Simon Neal (Nick Shadow), Lydia
Skourides (Ann Trulove), Vidar Gunnarsson (Trulove), Ji Young Michel
(Mutter Goose), Hannes Brock (Türkenbab), Tansel Akzeybek (Sellem,
der Auktionator), Georg Kirketerp (Wärter des Irrenhauses)
Besuchte Vorstellung: 30. März 2008 (Premiere)
Sänger
Zu der gut gemachten Inszenierung gesellen sich sehr
gute Gesangsstimmen. Ohne Zweifel ist die Tenorstimme von Jeff Martin (Tom Rakewell) zuerst zu nennen.
Er sang den größten Teil in dieser Oper und meisterte
dies wirklich vortrefflich. Seine Stimme ist klar, kräftig
und von gleichbleibender Brillanz. Ebenso beeindruckend ist auch sein schauspielerisches Agieren – ein
Kurzinhalt
wahrer Genuß für Auge und Ohr. Der Bariton Simon
Strawinsky verarbeitete hier die Geschichte, die bereits
Neal (Nick Shadow) stellt mit seiner Gesangsleistung
1735 in einer Kupferstichserie des englischen Malers
einen würdigen Gegenpart zu Jeff Martin dar. Er überWilliam Hogarth in England erschien.
zeugt durch eine kräfDer Lebemann Tom
tige, voluminöse StimRakewell sieht nicht
me. Hannes Brock
ein, warum er sich in
(Türkenbab) hat sich
das Leben einpassen
trotz einer schweren
soll, das sein zukünfIndisposition
bereit
tiger Schwiegervater
erklärt, die Tenorparfür ihn entworfen hat.
tie des Türkenbab zu
Angespornt wird er
singen, um die Premivon Nick Shadow, der
ere nicht zu gefährden
ihn durch eine angebund macht dies mit
liche Erbschaft nach
Bravour. Die SopraSimon Neal (Nick Shadow), re unten und Jeff Martin (Tom RakeLondon lockt. Dort
nistin Lydia Skourides
well), re unten stehend, sowie Chormitglieder als Schattenbilder
bringt er ihn als dämoni(Ann Trulove) überzeugt
scher Gefährte auf Abwege. Alles endet schließlich in als Sängerin ebenso wie als Akteurin. Ihre gemeinsamen
Elend und Verderben und Rakewell verläßt seine Ver- Arien mit Jeff Martin sind ein harmonisches Klangerlobte Ann Trulove. Als zu guter Letzt nur noch ein teuf- lebnis. Gidar Gunnarsson (Trulove), Ji Young Michel
lisches Kartenspiel seine Seele retten kann, bewahrt die (Mutter Goose), Tansel Akzeybek (Auktionator) und
selbstlose Liebe von Ann Trulove Tom Rakewell davor, Georg Kirketerp (Wärter des Irrenhauses) glänzten als
seine Seele zu verlieren. Doch Nick Shadow bringt Ra- Sänger wie als Akteure.
kewell zum Wahnsinn.
Der Opernchor beeindruckte mit den Vokaleinlagen
Aufführung
und sorgte gemeinsam mit der Statisterie für ein ausgeDer Vorhang öffnet sich in einem perfekten Zusam- wogenes, buntes Gesamtbild. Das Orchester unter der
Leitung von Jac van Steen spielte rhythmisch wie melo-
33
disch perfekt und beeindruckte mit fein abgestimmtem
Zusammenspiel zwischen Bühnenakteuren und Orchestereinsätzen. Der Einsatz eines Cembalos ist für dieses
Werk Strawinskys natürlich ein Muß und wird hier von
Alexandra Goloubitskaia sehr gut bewerkstelligt.
durchschaut, bestellt schleunigst einen Notar, um seine
Hochzeitspläne unter Dach und Fach zu bringen. Als
Meister der Situation rettet Figaro die beiden Liebenden, und der Notar vermählt Rosina mit Almaviva. Bartolo geht leer aus.
Fazit
Insgesamt eine sehr gelungene Inszenierung mit ausgezeichneten Solisten und einem auf allen Ebenen hervorragenden Orchester. Eine Opernvorstellung, die sehr zu
empfehlen ist und Genuß für Augen und Ohren bietet.
Aufführung
Die Übernahme aus dem Züricher Opernhaus war auch
in Dresden ein voller Erfolg. Luigi Peregos Bühnenbild,
seine wunderschönen Kostüme und die bezaubernden
Requisiten unterstützten aufs genialste Grischa Asagaroffs Regie. Dieser transponierte Beaumarchais rebellisches Rokokostück in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts, ohne sich dabei auf eine Ära festzulegen. Seine
Inszenierung spielt irgendwo zwischen den zwanziger
und fünfziger Jahren. Die Ausstattung ist geprägt durch
stilisierte Spanienversatzstücke. Perego baute vier Bühnenbilder auf die Drehbühne des Hauses. Vier verschiedene Fächer, durch ein paar Möbel und Versatzstücke
umgewandelt zu einer Straße in Sevilla, einem Musikzimmer, einem Mädchenzimmer und einem Labor. Seine Kostüme sind einfach, aber ergänzen den Charakter
der Rollen, einzig die beiden Kostüme Rosinas sprengen
den Rahmen: andalusische Folklore aufgepeppt zu eleganten Designerstücken.
B. Wandschneider
Bild: Opernhaus Dortmund
Dresden, Semperoper
Il Barbiere di Siviglia
von Gioacchino Rossini, Libretto: Cesare Sterbini nach der Komödie von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais; UA: 20. Februar
1816, Teatro Argentina, Rom; Regie: Grischa Asagaroff, Bühnenbild/Kostüme: Luigi Perego; Dirigent: Riccardo Frizza, Sächsische
Staatskapelle Dresden, Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden,
Einstudierung: Christof Bauer
Solisten Kenneth Tarver (Graf Almaviva), Michael Eder (Dr. Bartolo), Vesselina Kasarova (Rosina), Fabio Maria Capitanucci (Figaro),
Roberto Scanduiuzzi (Basilio), Christoph Pohl (Ein Offizier), Peter
Küchler (Ambrosio), Andrea Ihle (Berta)
Besuchte Aufführung: 12. April 2008 (Premiere)
Sänger, Chor und Orchester
Wo soll man mit dem Lob anfangen? Am einfachsten
mit dem Orchester. Nach einer sensationell dirigierten
Graf Almaviva liebt die schöne Bürgerliche Rosina, aber
Ouvertüre ergoß
er möchte nicht
sich der Klang
wegen
seines
der wunderbar
Adeltitels geliebt
geleiteten und
werden, sondern
aufs beste genur wegen seilaunten Staatsner Person. So
kapelle in das
bringt er ihr eiHalbrund der
nes Nachts unter
Semperoper. Imihrem
Fenster
mer in der richein
Ständchen
tigen Lautstärke,
als Student Linstets im richtigen
doro. Der FunTempo gaben
ke springt über
Maestro Frizza
und Rosina liebt
und seine Manden armen Linnen einmal wiedoro.
Rosinas
der den Beweis
Vormund
Dr.
für den guten
Figaro (Fabio Maria Capitanucci) hält Rosina (Vesselina Kasarova) den Schminkspiegel
Bartolo hat aber
Ruf dieses Orandere Pläne mit
chesters. Der Chor
ihr: Er möchte sie selbst heiraten. So bewacht er sie wie der Sächsischen Staatsoper brilliert in der Gestaltung
ein Zerberus. Aber mit List und Tücke gelingt es Al- einer Gesangstruppe im ersten Akt ebenso wie als gut
maviva in den verschiedensten Verkleidungen Zutritt gedrillte Militärtruppe.
zum Hause Bartolo zu erlangen, mal als angetrunkener
Auf der Bühne brillierte ein Ensemble höchster Güte.
Offizier, mal als klerikaler Gesangslehrer. Immer dabei
Angefangen von den kleineren Partien, Christoph Pohl
ist sein Freund Figaro, der ihm auch einen Schlüssel zur
(Offizier) und Andrea Ihles (Berta) bis hin zu Fabio
Balkontür verschafft, damit die beiden Rosina entfühMaria Capitanucci (Figaro) waren alle Sänger aufs Beste
ren können. Bartolo, der Figaros und Almavivas Pläne
Kurzinhalt
34
vor. Doch Adina versucht ihn aus der Reserve zu locken, indem sie vorgibt, Belcore noch am selben Tag
zu heiraten. Um das Geld für eine weitere Flasche des
Liebestranks zu bekommen, verdingt sich Nemorino als
Soldat bei Belcore. Bevor es Nemorino eigentlich selbst
erfährt, wissen bereits die Dorfbewohner, daß er Erbe
eines großen Vermögens geworden war. Also machen
sich alle schönen Mädchen des Dorfs an ihn heran. Aber
der naive Nemorino glaubt, dies sei allein dem Liebestrank zuzuschreiben. Er gebärdet sich als umschwärmter Mann souverän gegenüber Adina, was diese, die ihn
noch liebt, völlig verunsichert. Als sie dann noch erfährt,
daß er sich, um den Liebestrank zu bekommen, als Soldat verpflichtet hat, kauft sie ihn frei, gesteht ihm ihre
Liebe und beide werden unter Anteilnahme des ganzen
Dorfes ein glückliches Paar.
gestimmt. Michael Eders Bartolo war ebenso angenehm
wie Roberto Scanduzzis Basilio. Kenneth Tarvers sanfter, lyrischer Tenor gewann nach kurzer Zeit an Klang
und Ausdruck, im gleichen Maß wie sein Lampenfieber
schwand. Fabio Maria Capitanuccis kraftvoller Bariton
gab der Rolle des Figaro Wärme und Tiefe. Seine halsbrecherische Auftrittsarie meisterte er ebenso elegant
wie den Rest des Abends. Und Vesselina Kasarova?
Ihre Rosina war einfach stupend. Mit dem ersten Ton
gewann sie die Ohren und Herzen des fast vollbesetzten Hauses. Ihre geläufige Gurgel scheint speziell für
diesen wunderbaren Rossiniklang geformt zu sein. Für
ihre Koloraturen müßte man neue Wörter ersinnen, so
unbeschreiblich schön war der Klang.
Die Premiere schloß mit einem nicht enden wollenden
Applaus in einem Haus, das sich in letzter Zeit doch
mehr durch gewöhnungsbedürftige Inszenierungen auszeichnete. Durch diese Koproduktion mit dem Züricher
Opernhaus dürften sich die Gemüter wieder etwas beruhigen lassen.
A. M. Hauer
Aufführung
Die Duisburger Inszenierung versetzte das Geschehen
nach der Opernvorlage in ein Bergdorf.
Dementsprechend wurde das Bühnenbild gestaltet: eine
Miniaturlandschaft mit Bergkulisse im hinteren Teil der
Bühne, eine Almhütte im vorderen Teil. Die riesengroße Nachbildung eines nackten Frauenoberkörpers mit
gigantischen blanken Brüsten ragte aus den Bergen heraus. Das sollte wohl die Liebesgöttin sein, die Vorstellung allerdings war grotesk.
Bild: Matthias Creutziger
Duisburg, Stadttheater
L’elisir d’amore
von Gaetano Donizetti, Melodrama in zwei Akten, Libretto von Felice Romani; UA: 12. Mai 1832, Mailand
Regie: Andràs Fricsay/Kali Son; Bühnenbild: Tina Kitzing
Dirigent: Pierre-Dominique Ponnelle, Duisburger Philharmoniker,
Chor: Christoph Kurig; Solisten: Andrej Dunaev (Nemorino), Netta
Or (Adina), Dimitri Vargin (Belcore), Bruno Balmelli (Dulcamara),
Iryna Vakula (Gianetta)
Besuchte Aufführung: 9. Februar 2008 (Premiere)
Die Kostüme wurden passend zum Bühnenbild sehr
farbenfroh gewählt: die Damen trugen bonbonfarbene
Dirndl mit bunten lockigen Perücken, die Herren erdfarbene Almtracht.
Hervorzuheben ist besonders die gesamte musikalische
Leistung des Abends unter der Leitung Pierre-Dominique Ponnelles. Donizettis Musik mit ihrem lebendigen
und leichten Charakter wurde überzeugend dargestellt.
Ebenso beeindruckend war Andrej Dunaev (Nemorino). Die unbeholfene Schüchternheit Nemorinos spielte er mit sehr entsprechender Gestik und Mimik. Sein
klarer und leicht metallischer Tenor paßte gut zur Rolle
und war der Höhepunkt des Abends. Spätestens nach
Una furtiva lagrima - eine
flüchtige Träne, für die
er stürmischen Applaus
und Bravorufe kassierte,
stand Dunaev als Publikumsliebling fest.
Kurzinhalt
Im Zentrum der Handlung steht der schüchterne Landmann Nemorino, der in die schöne Pächterin Adina verliebt ist. Diese treibt mit seiner Liebe aber nur ein Spiel
und zieht ihm zunächst den Sergeant Belcore vor, der
mit seinen Soldaten in ihr Dorf einmarschiert ist. Gleich
macht Belcore Adina einen Heiratsantrag. Um Adina
nicht zu verlieren, greift Nemorino auf die Hilfe des
geschwätzigen Doktor
Dulcamara zurück. Dieser war ins Dorf gekommen und verkauft unter
anderem einen Liebestrank (eigentlich nur eine
Flasche Bordeaux). Dulcamara gaukelt ihm vor,
daß der Trank erst nach
einem Tag zu wirken beginnen würde. Nemorino
greift zu und trinkt sofort
den Liebestrank. Durch
den Alkohol übermütig
gemacht, spielt er AdiNetta Or (Adina) und Dimitri Vargin (Belcore)
na den Gleichgültigen
35
Der Chor, der ja im
Stück sehr präsent ist,
harmonierte zwar nicht
optisch, dafür aber gesanglich durch sein
klangliches Volumen.
Netta Or (Adina) konnte nach dem ersten Akt
wegen Krankheit nicht
mehr weiter singen. Im zweiten Akt spielte sie die Rolle.
Elena Brilova sang für sie aus der Kulisse. Ihr lyrischer
Sopran war aber im Vergleich zu Ors schon im ersten
Akt angeschlagener Stimme eine musikalische Bereicherung für das Stück. Bruno Balmelli (Dulcamara) setzte seine Baritonstimme sehr lautmalerisch mit Grölen,
Jauchzen etc. ein. Dimitri Vargin (Belcore) wurde seiner
Rolle des arroganten Belcore gerecht, obwohl er den aufmaschierenden Sergeant ein wenig überzeichnet spielte
und sang. Überhaupt unterstrichen die beiden Regisseure
die komischen Aspekte der Oper. Dabei waren eindeutige Gesten nicht selten: ein kleiner Po-Klatscher hier,
ein unverschämtes Grabschen dort; immer mit einem
leichten Augenzwinkern, so wie man es von der Opera
buffa gewohnt ist. Das Publikum lachte und applaudierte
mit großer Anteilnahme.
zu sein. Max läßt Lilian zu sich bringen, die überrascht ist,
einem Prinzen gegenüber zu stehen und glaubt, getäuscht
worden zu sein. Vergeblich versucht Max, sie von seiner
Liebe zu überzeugen. Während das Volk Freiheit für die
Gefangene fordert, dankt Max, um sich aus der Affäre zu
ziehen, ab; Lilian schlägt dagegen vor, die Revolution zu
unterstützen. Als der Aufstand losbricht, will die Regentin
Widerstand leisten, aber im Angesicht der entschlossenen
Gegnerschaft von Max gibt sie auf und geht ins Exil. Das
Volk ruft Max zum König aus und erwartet von ihm eine
Verfassung. Wütend über Lilians vermeintliche Abreise
verweigert er die Unterschrift und zerbricht die Feder. Da
erscheint Lilian und reicht ihm eine Rose, damit er mit deren Stiel anstelle der zerbrochenen Feder das Dokument
unterschreibe. Max tut es und bittet sogleich das Volk darum, das Mädchen Lilian aus dem Volk heiraten zu dürfen.
Fazit
Zur Operette
Alles in allem eine sehr bunte, schrille und komische
Umsetzung der Oper Donizettis, die musikalisch kaum
einen Wunsch offen läßt und szenisch einen kurzweiligen Abend garantiert. Allein wegen Andrej Dunaev
lohnt es, die Aufführung zu besuchen.
Die bedeutendsten italienischen Opernkomponisten der
Wende zum 20. Jh. schreiben unter dem Eindruck der Erfolge der Wiener Operetten auch Werke dieses Genres. Die
Rosenkönigin ist die interessanteste und erfolgreichste der
sieben Operetten Leoncavallos, die außerhalb Italiens noch
auf ihre Entdeckung warten.
M. Joannidis
Bild: Eduard Straub
Aufführung
Man muß der Stadt Erfurt gratulieren: zu ihrem Opernhaus, dessen hervorragendem Orchester, seinen guten
Solisten und zu seiner Leitung. Darunter gebührt einen
besonderen Dank dem Intendanten Guy Montavon und
dem Dramaturgen Arne Langer für die Ausgrabung der
Leoncavallo-Operette.
Erfurt, Oper
Die Rosenkönigin - La Reginetta delle Rose
von Ruggero Leoncavallo, Operette in drei Akten; Libretto von Giovacchino Forzano; UA: Rom u. Neapel 1912; Deutsche Übersetzung:
Peter Brenner (Deutsche Erstaufführung);
Regie: Peter Brenner; Bühnenbild/Kostüme: Hank Irwin Kittel; Dirigent: Joji Hattori, Philharmonisches Orchester und Chor,
Choreinstudierung: Andreas Ketelhut,
Choreographie: Rudolf Hanisch; Solisten:
Besetzung: Marisca Mulder (Lilian), Susanne Roth (Anita), Carola Gruber (Mikalis),
Erik Fenton (Max), Mate Solyom-Nagy
(Don Pedro), Dieter Hönig (Gin) u.v.a.
Besuchte Aufführung: 1. März 2008 (Premiere)
In der gelungenen Dekoration
von Hank Irwin Kittel brachte
Peter Brenner ein sehr skurriles
England und ein verschrobenes
Königreich irgendwo in Europa
auf die Bühne. Leoncavallo erfüllt
alle Operettenklischees.
Kurzinhalt
Bei einem Fest in einem Londoner
Park trifft das Blumenmädchen Lilian ihren Geliebten Max ohne zu
wissen, daß er ein Prinz aus dem
fernen Portowa ist und sich auf Bildungsreise in London aufhält. Sie
verabreden, sich in Portowa wieder
zu sehen. Im königlichen Palast
von Portowa fordert die Regentin die Hochzeit des Prinzen Max
mit Prinzessin Anita. Da trifft die
Nachricht ein, daß die gerade angekommene Lilian unter dem Verdacht inhaftiert wurde, Nihilistin
Marisca Mulder (Lilian)
und Erik Fenton (Max) als Traumpaar
36
Carola Gruber (Mikalis) war und
ist stimmlich immer ein Garant in
Erfurt. Das ernste Paar – Marisca
Mulder (Lilian) und Erik Fenton
(Max) – waren beide in glänzender Verfassung. Das heitere Paar
– Susanne Rath (Anita) und Mate
Solyom-Nagy (Don Pedro) – erfreuen durch ihr bezauberndes
Duett und durch angenehme Beweglichkeit. Überhaupt Beweglichkeit: Selten zuvor habe ich einen so agilen Chor erlebt wie den
in Erfurt. Natürlich wäre es schön,
wenn das Haus ein eigenes Ballett hätte; denn ganz kann es auch
der bewegungsfreundlichste Chor
bedingt. Herausgekommen ist denn auch über weite Strecken nicht mehr als eine Verballhornung des Werkes. Der
Effekt, der sich z.B. durch die Jagd auf leicht bekleidete
Damen mit Hirschgeweihen und Häschenohren (erster
Akt) erzielen läßt, verpufft rasch. Tiefere Einblicke in das
Werk lassen sich so kaum erreichen.
Neuenfels scheint zudem selbst unschlüssig zu sein, von
welcher Seite er sich dem Tannhäuser eigentlich nähern
will. Zu der erwähnten Ironisierung kommt eine Gleichsetzung des Titelhelden mit dem Komponisten. Dieses
Konzept hätte aufgehen können, denn im Tannhäuser
geht es letztendlich um einen Menschen, der im Leben
und in der Kunst zu Extremen neigt und bis zu seinem
Tod nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen. Unbestritten ist auch, daß Wagners Figuren oft autobiographische
Züge haben. Der „Wagner-Tannhäuser“ wirkt jedoch
inmitten des boulevardesken Geschehens deplaziert,
ebenso wie die Anspielungen auf die Entstehungszeit
der Oper. Und wenn sich während des Sängerwettstreits
gar Wagners Mäzen Ludwig II. persönlich mit einem
älteren Wagner im Schlepptau herbemüht, ist das nicht
mehr als purer Slapstick. Allenfalls aufdringlich wirkt der
Versuch, bei Ouvertüre und Orchester-Zwischenspielen
durch vor den Vorhang projizierte Texte den direkten
Kontakt zum Publikum zu suchen, etwa beim Vorspiel
zum dritten Akt: Es versöhnt, dass wir es bis jetzt miteinander
ausgehalten haben.
Einen Teil des dritten Aktes siedeln Neuenfels und von der
Thannen in einer Irrenanstalt an: offensichtlich um zu zeigen,
daß „Wagner-Tannhäuser“ nur bei denen, die den Schritt aus
der Gesellschaft mit letzter Konsequenz getan haben, Liebe
und Anerkennung findet. Hier gelingen dem Regisseur sogar einige stille, berührende Momente. Leider fügen sie sich
kaum in das Ganze ein und lösen sich außerdem angesichts
neuer überflüssiger Gags – Auftritt eines Roboters mit dem
Stab des Papstes – rasch in Wohlgefallen auf.
nicht ersetzen. Dennoch: die Tanznummern des Chors,
und da sei besonders die “Altherrenriege“ im zweiten
Akt erwähnt, sind schön choreographiert und exakt getanzt. Ein großes Lob an den Chor und seinen Leiter
Andreas Ketelhut.
Erwähnenswert ist auch das Sprachtraining, welches das
internationale Ensemble absolviert hat. Die gesprochenen
Passagen kamen deutlich herüber und die Verständlichkeit
des Gesangs verlangte nicht nach einer Übertitelung.
Fazit
Alles in allem muß diese Produktion unter Peter Brenners Regie, gekoppelt mit einer geschickten Übersetzung und einer liebevollen Verlegung in die 80er Jahre des alten Jahrhunderts und unter der musikalischen
Leitung von Joji Hattori hoch gelobt werden. Sie macht
neugierig auf weitere unbekannte Operetten, und man
sollte sich wünschen, daß mehr Theater den Mut aufbrächten, jenseits von Lustigen Witwen, Czardasfürstinnen, Zarewitschen und Fledermäusen Ausschau nach
Entdeckenswertem zu suchen. Der Schlußapplaus sollte
Anreiz genug sein.
A. M. Hauer
Bild: Lutz Edelhoff
Essen, Aalto-Theater
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Musik und Text von Richard Wagner, Romantische Oper in drei Akten; UA: 19. Oktober 1845, Dresden, Hoftheater
Regie: Hans Neuenfels, Bühne und Kostüme: Reinhard von der Thannen,
Licht: Jürgen Nase; Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Opernund Extrachor des Aalto-Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle
Solisten: Scott MacAllister (Tannhäuser), Danielle Halbwachs (Elisabeth), Heiko Trinsinger (Wolfram von Eschenbach), Elena Zhidkova
(Venus), Marcel Rosca (Landgraf Hermann), Thomas Piffka (Walther von der Vogelweide), Almas Svilpa (Biterolf), Rainer Maria Röhr
(Heinrich der Schreiber), Michael Haag (Reinmar von Zweter), Christina Clark (Hirt), Mitglieder des Aalto Kinderchors (Edelknaben)
Besuchte Vorstellung:
29. März 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Siehe Tannhäuser bei Oper Köln
Inszenierung
Der Essener Tannhäuser
ist Hans Neuenfels’ zweite
Wagner-Regiearbeit nach den
Meistersingern 1994 in Stuttgart. Sein schon im Vorfeld
angekündigtes Vorhaben, die
Wagner-Rezeption von Klischees und Pompösem befreien zu wollen, ist durchaus
lobenswert. Der Ansatz, nach
komischen oder ironisierenden Elementen bei Wagner
zu suchen, funktioniert im
Tannhäuser jedoch nur sehr
Scott Mac Allister (Tannhäuser) und Statisten
37
Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier
Sänger und Orchester
Scott MacAllister (Tannhäuser) verfügt über eine hell
timbrierte, erfreulich schlanke Stimme, die mit ausreichend Metall und Durchschlagskraft ausgestattet ist, um
alle Facetten der gefürchteten Partie souverän bewältigen zu können. Lobenswert auch die Sorgfalt, mit der
er sich der Artikulation des Textes widmete – trotz eines
unüberhörbar amerikanischen Akzentes.
Danielle Halbwachs (Elisabeth) runder, in allen Lagen
sauberer und ausgeglichener Sopran war ein Vergnügen.
Da konnte Elena Zhidkova als Venus nicht ganz mithalten. Zwar gebietet sie über einwandfreie Spitzentöne, in
mittlerer und tiefer Lage erwies sich ihre Stimme jedoch
als steif und unflexibel. Auch die Textverständlichkeit
ließ bei ihr erheblich zu wünschen übrig.
Heiko Trinsinger konnte für den Wolfram von Eschenbach mit einem edlen, kräftigen und geschmeidigen
Bariton aufwarten. Insgesamt fiel sein Vortrag etwas
eindimensional aus, was auf eine gerade überstandene
Indisposition zurückzuführen sein mag. Unter den übrigen Sängern hinterließen naturgemäß Marcel Rosca
(Landgraf Herrmann) und Thomas Piffka (Walther von
der Vogelweide) den stärksten Eindruck.
Schauspielerisch blieben alle Solisten blaß, wenn man von
einigen Ausbrüchen an Spielfreude unter den Minnesängern (Rainer Maria Röhr als Heinrich der Schreiber und
Michael Haag als Reinmar) absieht. Das liegt in erster Linie
an Neuenfels’ Personenregie. Er steckt viel Energie in die
Choreographie seines „Bewegungschores“. Die Solisten
überläßt er dabei weitgehend sich selbst.
Star des Abends waren nach Scott MacAllister ganz ohne
Zweifel die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz.
Schon die Ouvertüre gestaltete Soltesz einfallsreich und dynamisch fein abgestuft. Seine Tempi sind zügig und flüssig,
ohne zu hetzen. Es wäre reine Beckmesserei anzumerken,
daß man sich im Forte mitunter noch etwas mehr Schlankheit und Transparenz gewünscht hätte. Als bestens disponiert erwies sich auch der Chor,
sogar unter „erschwerten“ Bedingungen (Aufstellung im Zuschauerraum beim Einzug der Gäste).
L´incoronazione di Poppea – Die Krönung der Poppea
von Claudio Monteverdi, Dramma in musica, Prolog und drei Akte
Dichtung: Giovanni Francesco Busenello, UA: Venedig 1642.
Regie: Bettina Lell (nach einer Inszenierung von Andreas Baesler),
Bühnenbild: Eckhard-Felix Wegenast, Kostüme: Susanne Hubrich,
Dramaturgie: Johann Casimir Eule; Dirigent: Samuel Bächli, Neue
Philharmonie Westfalen; Solisten: Wolf-Rüdiger Klimm (Amor),
Claudia Braun (Poppea), Anke Sieloff (Nero), Noriko Ogawa-Yatake
(Ottavia), Matthias Lucht (Ottone), Christian Helmer (Seneca), Leah
Gordon (Drusilla), William Saetre (Arnalta) u.a.
Eine Koproduktion mit dem Staatstheater Braunschweig
Besuchte Vorstellung: 9. 3.2008 (Premiere
Kurzinhalt
Die Götter Fortuna (Schicksal), Amor (Liebe) und Virtu
(Tugend) streiten sich, wer von ihnen die Geschicke der
Menschen lenkt. Amor will beweisen: allein die Liebe.
Kaiser Nero liebt Poppea, die Gattin des Praetors Ottone. Er will Poppea zur neuen Kaiserin ernennen und
sich daher von Kaiserin Ottavia trennen. Als Seneca die
Machenschaften Neros kritisiert, wird er zum Selbstmord gezwungen. Ottone und dessen Freundin Drusilla versuchen auf Ottavias Rat, Poppea zu ermorden.
Durch Eingreifen Amors mißlingt der Mordanschlag
und die Täter werden gefaßt. Ottone bezichtigt die Kaiserin Ottavia der Mittäterschaft. Beide werden daraufhin
aus Rom verbannt und Nero erhebt seine Geliebte Poppea zur rechtmäßigen Kaiserin.
Aufführung
Ein besonderes Augenmerk dieser Inszenierung ist auf
die Darstellung der Klassengegensätze im Stück gelegt:
die Adligen, die nur mit ihren Gefühlen beschäftigt sind,
singen italienisch, das niedere Volk der Soldaten, Ammen und Angestellten kann nur Deutsch, wohingegen
der abgehobene Philosoph Seneca öfters auch in lateinischer Sprache doziert.
Anke Sieloff meistert gesanglich und in den Bewegun-
Fazit
Musikalisch kann sich der Essener
Tannhäuser mehr als hören lassen.
Und ein „Skandal“ ist Neuenfels’
Inszenierung ganz sicher nicht. Es
bleiben aber berechtigte Zweifel, ob
er die moderne Wagner-Rezeption
mit seiner Deutung einen Schritt
nach vorn gebracht hat – und ob
das Publikum von dieser Inszenierung mehr in Erinnerung behält als
ein paar Albernheiten.
E. M. Ernst
Bild: Matthias Jung
William Saetre (Arnalta), Claudia Braun (Poppea), Wolf-Rüdiger Klimm (Amor)
38
Greifswald, Theater Vorpommern
gen ihre Rolle als Nero sehr gut. Ein echtes Mitfühlen
während der Liebeszenen zwischen Nero und Poppea
konnte aber nicht aufkommen, obwohl Claudia Braun
(Poppea) gesanglich wie auch durch ihr attraktives, verführerisches Äußeres, grandios ist. Das Schlußduett der
beiden, in welchem das auf Erden wie im Himmel widerhallende Glück von Poppea und Nero besungen wird, ist
ein musikalischer Höhepunkt. Das geht einem wirklich
unter die Haut! Noriko Ogawa-Yatake (Ottavia) bringt
gesanglich eine durchgängig gute Leistung und ist ihrer
Rolle angemessen stimmlich unauffällig. William Saetre
(Arnalta) überzeugt durch eine kecke Stimme und das
teilweise witzig vorgetragene Parlando. Leah Gordon
(Drusilla), Daniel Wagner (1. Soldat/Schüler), Jan Ciesielski (2. Soldat/Schüler) und Artur Grywatzik (Schüler)
machen aus ihren Nebenrollen stimmlich und agierend das
Beste. Christian Helmer (Seneca) entspricht mit seiner voluminösen Baßstimme den zur Zeit Monteverdis typischen
Stimmencharakter eines würdigen, weisen Philosophen.
Der Counter-Tenor Matthias Lucht (Ottone) entspricht
mit weicher, chromatisch schmiegsamer Melodik in seinen Gesangspassagen der Rolle eines zaudernden Ottone
grandios. Wolf-Rüdiger Klimm (Amor) erinnert in seinem
auffällig kitschigen Silberpaillettenanzug mit Ballonrock,
Flügeln und Plateaustiefeln eher an das Bühnenoutfit der
1970er Jahre und überschattet damit seine gesangliche Leistung. Insgesamt sind flippige Kostüme, Kleidung aus den
1950er Jahren bis zurück zu barock anmutender Kostümierung, bunt nebeneinander gruppiert.
Das Orchester unter der Leitung von Samuel Bächli verdient das größte Lob. Von Monteverdis L´incoronanzione
di Poppea ist nämlich nur Singstimme und Baßlinie überliefert. Erst durch die Instrumentation von Samuel Bächli
und Kai Tietje ist sie für die Aufführung außerordentlich
eindrucksvoll hergerichtet worden.
Die Gratwanderung zwischen der Aufführungspraxis
Alter Musik und heutiger Musizierpraxis ist grandios
gelungen. Kai Tietje und Samuel Bächli zaubern mit ihrer Kammermusikgruppe von 22 Musikern ein perfektes Zusammenspiel zwischen historischen Klangquellen
wie Blockflöten, Laute, Truhenorgel und authentischen
Streichinstrumenten einerseits und Klarinetten, Klavier, Akkordeon und Vibraphon von heute andererseits.
Hinzu kommen noch Oboen, Fagotte und Posaune.
Ein gewagtes Unternehmen, das manchmal sehr ein
anti-monteverdisches, aber durchaus wohlklingendes Ergebnis hervorruft. Allemal kooperieren die Musiker gut
miteinander. Sie verstehen es, Rhythmik, Harmonik und
Melodik meisterhaft darzubieten.
Fidelio
von Ludwig van Beethoven, Oper in 2 Aufzügen, Text: Joseph Sonnleithner,
Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke nach der Oper Léonore ou l’amour conjugal von Pierre Gaveaux und Jean Nicolas Bouilly
UA: (3. Fassung): 1814 Wien
Regie: Anton Nekovar, Bühnenbild/Kostüme: Sabine Lindner; Dirigent: Mathias Husmann, Philharmonisches Orchester Vorpommern,
Singakademie Stralsund und Opernchor des Theaters Vorpommern,
Einstudierung: Thomas Riefle, Günther Wolf
Solisten: Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan), Benno
Remling (Don Pizarro), Bernhard Leube (Rocco), Eva Resch (Marzelline),
Noriyuki Sawabu (Jaquino), Bryan Rothfuss (Don Fernando), Bernd Roth
(Erster Gefangener), Volker-Johannes Richter (Zweiter Gefangener)
Besuchte Vorstellung: 5. April 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Marzelline, Tochter des Gefängniswärters Rocco, liebt
den Gehilfen Fidelio, der sich durch Fleiß und Geschick
auszeichnet. Tatsächlich handelt es sich bei ihm jedoch
um eine verkleidete Frau, Leonore, die sich in das Gefängnis eingeschlichen hat, um Kontakt zu ihrem Gatten
Florestan, einem politischen Gefangenen, der seit Jahren
im tiefsten Verließ sitzt, zu bekommen. Als eine königliche Inspektion des Gefängnisses angekündigt wird, entschließt sich der Gouverneur Don Pizarro, der Florestan
widerrechtlich festhalten läßt, Florestan zu töten, um
seinen gefährlichsten Widersacher aus dem Weg zu räumen. Dank des Vertrauens des Gefängniswärters Rocco darf Leonore zu ihrem Gatten herabsteigen, gerade
im rechten Moment, um ihm das Leben zu retten. Don
Fernando, der Abgesandte des Königs, trifft in diesem
Moment ein, nimmt Pizarro gefangen, verspricht eine
Aufarbeitung von dessen tyrannischer Herrschaft und
entläßt Florestan in die Freiheit.
Aufführung
Die für Greifswalder Verhältnisse aufwendig ausgestattete Inszenierung des Intendanten Anton Nekovar ist, das
muß man vorab sagen, als sehr gelungen zu bezeichnen.
Sie macht den Genrewechsel, der im Text des ersten Akts
angelegt ist, durch einen originellen Einfall deutlich: Wenn
der Vorhand sich öffnet, bietet sich ein Bild wie in einer
Inszenierung des 19. Jahrhunderts: Bemalte Leinwände
zeigen das Gefängnisgebäude im Hintergrund, davor singen die Solisten im historischen Kostüm. Das berühmte
kanonische Quartett Mir ist so wunderbar wurde durch die
Lichtregie und eine musikalisch fein abgestimmte Vortragsweise aller Beteiligten sehr deutlich und durchhörbar.
Dann, während des Terzetts Gut, Söhnchen, gut ändert sich
das Bild vollständig. Von der Decke werden eine Vielzahl
von Uniformen herabgelassen, aus denen sich die drei
Solisten schwarze Jacken mit der Aufschrift „Security“
heraussuchen. Die Leinwände werden hochgezogen,
und wir befinden uns für den Rest des Abends im 21.
Jahrhundert, genauer: in einem Gefängnis des 21. Jahrhunderts: Steril und klinisch geht es hier zu, kahle Wände, kaltes Neonlicht.
Fazit
Die Aufführung wirkt insgesamt sehr solide. Ein großer
Applaus am Schluß der Premierevorstellung blieb aus. Die
Umsetzung des Stücks in der gebotenen Form ist sicherlich
eine Geschmacksfrage.
B. Wandschneider
Bild: Majer-Finkes und Rudolf Finkes
39
Ein Gefangenenchor in
orangefarbenen Uniformen singt von einer Einheit mit Maschinengewehren. Diese Einheit besteht
aus jungen Männern im
Outfit privater Wachdienste, woran wir uns in den
letzten Jahrzehnten gewöhnt haben. Der Bezug
auf das Foltergefängnis
von Guantánamo ist sofort
deutlich – und die zeitlose
Aktualität von Beethovens
Oper wird ein weiteres Mal
eindrucksvoll belegt. Politische Gefangene, für die
kein Recht gilt, gehören
– wie vor 200 Jahren – zu
unserer Realität.
Hier regiert ein eleganter und eiskalter Don Pizarro,
überzeugend dargestellt von Benno Remling, einem der
besten Akteure des Opernensembles. Florestan wird in
einem unterirdischen Hochsicherheitstrakt verwahrt, seine Verzweiflung wirkt bedrückend realistisch. Die lange
Schlußszene mit großem Chor, die wegen ihres utopischen Gehalts schwer umzusetzen ist, gelang szenisch
und vor allem musikalisch.
Das Philharmonische Orchester Vorpommern brachte
Beethovens Musik souverän und mit Verve zum Erklingen, und das in der sehr trockenen, keinen Fehler kaschierenden Akustik des Greifswalder Theaters. Das vor
gut einem Jahrzehnt durch Fusion entstandene Orchester hat seit dem Engagement Mathias Husmanns eine
erfreuliche Entwicklung genommen.
Was die musikalische Leistung der Solisten angeht, darf
man natürlich nicht das Niveau eines Großstadttheaters
erwarten. Zwar verfügen Anna Ryan (Fidelio) und Michael Renier (Florestan) über sehr kräftige, klangvolle
Stimmen, doch wirkte vor allem Reniers Einsatz seiner
Mittel unausgeglichen, beinahe so, als würde er zu sehr
an die Verhältnisse eines großen Hauses gewöhnt sein.
Mitunter war das Orchester bei seinen Fortissimo-Einsätzen nicht mehr zu hören, und seine Aussprache des
Deutschen ist leider noch nicht sehr deutlich.
Dafür aber meisterte er die gefürchtete Schlußstretta seines
Monologs Zur Freiheit, zur Freiheit vollauf. Anna Ryan verfügt wie er über eine sehr solide Technik, die sie mit Sicherheit auch im hochdramatischen Fach mit Erfolg einsetzen
kann. Am schwächsten war die sängerische Leistung von
Bryan Rothfuss (Don Fernando). Darstellerisch gingen die
Solisten und Choristen ganz in der ihnen von der Regie
gestellten Aufgabe auf. Szenen- und ein langer Schlußbeifall ließen keinen Zweifel daran, daß diese Produktion vom
Publikum mehr als dankbar angenommen wird.
Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan)
Fazit
Musikalisch wird eine – für ein kleines Theater – ordentliche Leistung geboten, vom Orchester sogar eine sehr
gute, dazu eine Inszenierung mit Tiefgang und weit über
dem Durchschnitt vergleichbarer Häuser. Kleine Bühne,
großer Wurf!
M. Knust
Bild: Theater Vorpommern
Koblenz, Theater der Stadt
Lucia di Lammermoor
von Gaetano Donizetti, Dramma tragico in 3 Akten; Libretto: Salvatore Cammarano, nach dem Roman The Bride of Lammermoor
(1819) von Sir Walter Scott; UA: 26. 9. 1835, Teatro San Carlo, Neapel
Regie und Bühnenbild: Hans Hoffer, Kostüme: Gera Graf
Dirigent: Anton Marik, Staatsorchester Rheinische Philharmonie
Solisten: Estelle Kruger (Lucia), Guillermo Dominguez (Edgardo),
Alexander Polakovs (Enrico), Michael Burt (Raimondo), Monica
Mascus (Alisa), Max An (Arturo), Ji-Soo Kim (Normanno)
Besuchte Aufführung: 29. Februar 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Die schottischen Familien Ravenswood und Lammermoor sind verfeindet. Doch Lucia di Lammermoor hat
sich in Edgardo, den letzten Erben von Ravenswood,
verliebt. Sie trifft sich heimlich mit dem Geliebten am
Brunnen, wo sie sich gegenseitige Treue schwören.
Lucias Bruder Lord Enrico aber will sie mit dem reichen Lord Arturo Bucklaw verheiraten, um die Familie aus ihrer verschuldeten Lage zu retten. Inzwischen
schreibt Edgardo, der sich als Botschafter in Frankreich
befindet, Briefe. Einen davon fälscht ihr Bruder. Darin
gesteht Edgardo Lucia, daß er eine andere lieben würde.
So unterschreibt Lucia schließlich den Ehevertrag mit
Arturo. Während der Hochzeitsfeier taucht Edgardo
plötzlich auf und fragt sie, ob es stimme, daß sie einen
anderen lieben würde. Als Lucia das bejaht, gibt er ihr
40
durch ein eierförmiges, leicht schräg liegendes Loch in
einer schwarzen Wand zu sehen – auch eine Möglichkeit,
den Brunnen darzustellen, vor dem sie stehen. Alisa zieht
ihr zuvor ihre Jacke an – allerdings mit der Öffnung nach
hinten. Dies erinnert unweigerlich an eine Zwangsjacke.
Und so ziehen sich die Assoziationen an Lucias Wahnsinn durch das gesamte Stück. Vor allem gegen Ende erweckt der Bühnenbildner die Vision einer Irrenanstalt:
Raimondo wird als Greis im Rollstuhl umher geschoben,
das Ensemble trägt weiße Kittel, Lucia zieht ihre Perücke
aus, unter der ein kurzgeschorener Haarschopf erscheint,
Edgardo schlitzt sich am Ende die Pulsadern auf.
Für Lucias Wahnsinn läßt sich Hoffer ein eindringliches
Bild einfallen: Als sie während der Feier den Saal betritt,
trägt sie ein leuchtend rotes Kleid und eine rote Perücke
und schleift den
toten Körper Arturos hinter sich
her. Sie zieht das
Kleid aus, unter dem sie ein
weißes, blutverschmiertes Nachtgewand
trägt.
Dann stimmt sie,
auf dem Leichnam sitzend, die
Wahnsinnsarie
an.
den Ring zurück. Noch in der Nacht fordert Enrico
Edgardo zum Duell. Die feiernde Hochzeitsgesellschaft
wird geschockt durch die Mitteilung, Lucia habe ihren
frisch Vermählten getötet. Diese erscheint mit blutverschmiertem Kleid im Saal. Sie ist dem Wahnsinn verfallen. Zu spät erkennt Enrico, was er seiner Schwester
angetan hat.
Heimkehrende Hochzeitsgäste berichten Edgardo, der
im Morgengrauen auf Lord Enrico zum Duell wartet,
Lucia sei wahnsinnig geworden. Kurz darauf verkünden
die Glocken ihren Tod. Edgardo beschwört seine Liebe
zu Lucia und nimmt sich das Leben.
Aufführung
Die Liebe zwischen Lucia und Edgardo ist von Anfang
an zum Verderben verurteilt. Es
ist die tragische
Geschichte einer
u n t e r d r ü ck t e n
Frau, die von
allen zu deren
Vorteil
ausgenutzt wird. Nach
Auffassung des
Regisseurs Hans
Hoffer will Enrico Lucia des Ruhmes und Geldes
wegen verheiraEstelle Kruger
ten und Edgardo
(Lucia)
liefert
sie als Trophäe
eine
meisterliche
Estelle Kruger (Lucia) sitzt auf dem Leichnam ihres Gatten, im Hintergrund die zerfallene Maske.
besitzen. Sie verHauptfigur ab.
leugnet ihre große
Die
gebürtige
Liebe und damit ihr eigenes Ich. Und schließlich flüchtet
Südafrikanerin besticht durch eine gute Dynamik. Vor
sie sich in den Wahnsinn. Es ist das erste Mal, daß Lucia
allem ihre Koloraturen in der Wahnsinnsarie sind ein Gesein kann, was sie will: frei.
nuß und begeistern das Publikum. Ihr Zusammenklang
Die Wahnsinnsarie im dritten Akt ist der Höhepunkt der mit der Flöte ist perfekt. Auch Guillermo Dominguez
Oper, und daraufhin hat Hans Hoffer (auch Bühnen- (Edgardo) erfreut mit einer sehr angenehmen Stimme.
bildner) seine Inszenierung auch ausgelegt: Die Bühne Sein Spiel, vor allem in der letzten Szene, ist überaus
ist spartanisch eingerichtet. Im Mittelpunkt steht eine überzeugend. Man kauft ihm zweifellos den feurigen
überdimensionale weiße Maske, die das Gesicht und den Liebhaber ab. Alexander Polakovs (Enrico) singt einen
Verstand der Lucia darstellt. Zu Beginn der Oper flüch- zornigen, rachsüchtigen Enrico. Vor allem zu Beginn ist
tet sie sich immer wieder darauf wie auf eine schützen- seine Stimme etwas zu schrill. Michael Burt (Raimondo)
de Insel. Bei der Hochzeitsfeier schließlich ist die Maske singt als satter, ansonsten recht unauffälliger Baß. Auch
in einzelne Teile zerfallen – genau wie Lucias Verstand das restliche Ensemble fügt sich gut ein. Dirigent Anton Marik
dem Wahnsinn verfallen ist.
gelingt es gut, die verschiedenen Stimmungen der Musik aus
Schon während der Ouvertüre deutet Hoffer das Schick- dem Orchester herauszulocken. Die Streicher überzeugen, die
sal der Lucia an: Ein Fadenkreuz wird auf die Bühne Bläser sind an manchen Stellen ein wenig unsauber.
projiziert, und dahinter erkennt man eine Figur, die wie Fazit
durch eine Wärmebildkamera betrachtet, langsam hin
Eine durchaus gelungene, aussagekräftige Inszenierung
und her durch den Raum schwebt. Dazu erklingen die
mit einer überzeugenden Lucia und einem ansonsten zuunheilvollen Töne des Orchesters.
frieden stellenden Ensemble und Orchester.
Und noch einen dramaturgischen Kniff wendet Hoffer
J. Korst
an: Als Edgardo und Lucia sich nachts treffen, sind sie
Bild: PIELmedia
41
Köln, Oper
Die Kostüme sind schlüssig aus dem jeweils dargestellten Zeitabschnitt deutscher Geschichte gewählt,
Charlestontänzer sind dadurch genauso legitimiert wie
NS-Uniformen und FDJler.
Rotter
von Torsten Rasch, Oper in zwei Akten, Text: Katharina Thalbach
und Christoph Schwandt nach Thomas Brasch; Regie: Katharina
Thalbach, Bühnenbild: Momme Röhrbein; Dirigent: Hermann Bäumer, Gürzenich-Orchester Köln, Opernchor Köln
Solisten: Hans-Georg Priese (Rotter), Albert Bonnema (Lackner), Regina Richter (Elisabeth), Ulrich Hielscher (Fleischer), Shannon Chad Foley
(Hauptmann), Johannes Beck (Vorsitzender), Alexander Fedin (Kunde/
Polizist/Maschke), Stefan Kohnke (Rotmaler), Hauke Möller (Grabow/1.
Arbeiter), David Pichlmaier (Tetzner/2. Arbeiter), Jong Min Lim (Kutz/3.
Arbeiter), Julia Giebel (Fräulein Berthold), Machiko Obata (Radio)
Besuchte Aufführung: 23. Februar 2008 (Uraufführung)
Katharina Thalbachs Regie orientiert sich nah an den
Konventionen des Schauspiels, was für eine Oper, die
sich politischen Themen widmet, mehr als angebracht
ist, um den Handlungsstrang klar, direkt und ohne unnötige Ausschmückungen darzustellen. Daneben frischen innovative Elemente, die durchaus durch den
Text begründet sind, wie Samba tanzende Schweine, das
Gezeigte auf.
Kurzinhalt
Komposition
Du bist der Gleiche geblieben, der du immer warst. Diese Erkenntnis am Ende des Stücks liest sich wie ein Fazit aus
den letzten zwei Stunden Operngeschehen, aber auch aus
einem gesamten Menschenleben. Karl Rotter, ein Kind
der Weimarer Republik, durchläuft verschiedene Stationen des Zeitgeschehens des 20. Jahrhunderts in Deutschland: Erst ist er Metzgerlehrling, dann im SS-Hemd und
schließlich Baustellenleiter in der noch jungen DDR.
Daneben bestimmen ihn eine gescheiterte Ehe mit Elisabeth, eine Haßliebe zu seinem Gegenspieler Lackner
und die über Jahre hinweg quälende Frage, ob das Kind,
das
Elisabeth
nicht bekommen
hat, von ihm
oder doch von
Lackner war.
Torsten Rasch beweist mit seiner ersten Oper einen originellen Geist. Er weiß mit der menschlichen Stimme
umzugehen und traditionelle Opernelemente sinnvoll
einzusetzen. Während im größten Teil der Oper der
syllabische Stil überwiegt, dienen z.B. Melismen der
Textausdeutung, ein Wort besonders zu betonen, so geschehen beim Erwähnen des Führers, bei dem durch eine
aberwitzige Koloratur die Verbundenheit und Bewunderung Rotters für diese Person ausgedrückt wird.
Das Instrumentarium ist besonders in den tiefen Lagen
Rotter will immer
weiter machen,
auch, wenn um
ihn herum alles
schon mit neuen
Dingen beschäftigt ist. Er läßt
sich benutzen,
ohne es zu merken, wird er lästig, schickt man
ihn in den Ruhestand. Selbst im
Angesicht des
Albert Bonnema (Lackner) und Arbeiter (Opernchor)
Todes will er wieder von neuem anfangen. Er ist der Gleiche geblieben, und im Schlagwerk erweitert. Die dadurch entstehenden klanglichen Möglichkeiten stimulieren sehr genau
auch wenn sich um ihn alles verändert hat.
das Gefühl (die Affekte): So dient ein Glissando in den
Inszenierung
Streichern dazu, Rotters Zurückstreichen der Haare, um
Ein ständiges Kommen und Gehen beherrscht das Ge- dem Führer zu ähneln, zu untermalen, Hammerschläge
schehen. Da liegt es nahe, die Haupthandlungsstätte auf der Baustelle werden lautmalerisch im Schlagwerk
eines Bahnhofs als Bühnenbild dominieren zu lassen. dargestellt. Nahezu symbolhaft ist der Einsatz der CelesGeschickt lassen sich die Stahlkonstruktionen, die an ta [Tasteninstrument, bei dem Metallstäbe angeschlagen
Stützen einer Bahnhofsüberdachung erinnern, im zwei- werden], die immer dann erklingt, wenn die Alten Kinder
ten Akt zu einer Baustelle neu herrichten, zumal auch im Chor auftreten, vergleichbar mit dem kommentierenhier das Motiv der Eisenbahn in Gestalt einer Werksbahn den Chor des antiken griechischen Dramas. Aber auch
erneut auftritt.
42
wenn Kinder agieren oder ein Kinderlied angestimmt
wird, erklingt das Schlagwerk der Celesta wie eine Spieluhr aus der Ferne.
Köln, Oper
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Musik und Text von Richard Wagner, Romantische Oper in drei Aufzügen.
UA: 19. Oktober 1845, Hoftheater Dresden
Regie: Jasmin Solfaghari, Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann,
Kostüme: Mechthild Seipel; Dirigent: Markus Stenz, Gürzenich-Orchester und Chor der Oper, Einstudierung: Andrew Olivant
Solisten: Andreas Hörl (Hermann, Landgraf), Torsten Kerl (Tannhäuser), Miljenko Turk (Wolfram von Eschenbach), Martin Homrich
(Walter von der Vogelweide), Andrés F. Orozco Martinez (Heinrich
der Schreiber), Daniel Henriks (Biterolf), Wilfried Staber (Reinmar
von Zweter), Camilla Nylund (Elisabeth), Dalia Schaechter (Venus),
Susanne Nieblung (ein junger Hirt) u.a.
Besuchte Aufführung: 15. März 2008 (Premiere)
Insgesamt ist die Komposition freitonal, es treten jedoch
auch kurze lyrische Passagen auf, die ein tonales Zentrum aufweisen. Diese Stellen sind gezielt gesetzt und
dienen der Textverdeutlichung, z.B. während der Deportation von Juden. Durch diese kurzen tonalen Momente
erscheint der Aufbruch ins Freitonale noch krasser und
der Zuschauer verliert sich nicht im bloßen Zuhören,
sondern wird immer wieder zum genauen Hinhören
aufgefordert. Besonders imponierend ist das Orchesterzwischenspiel vor der fünften Szene des ersten Aktes.
Hier wird das Kriegstreiben lautmalerisch ausgedeutet.
Dazu findet auf der Bühne eine groteske Engführung
von Schlacht, Tänzerinnen, spielenden Kindern und
Schneegestöber statt, was den beklemmenden Charakter
der Musik unterstützt.
Kurzinhalt
Beim Erwachen aus tiefem Schlaf weiß Tannhäuser
nicht, wie lange er schon bei Venus weilt. Doch er sehnt
sich zurück nach der Menschenwelt. Schließlich findet
er sich in einem schönen Tal wieder. Der Landgraf und
die Ritter, von der Jagd zurückkommend, finden ihn
und begrüßen ihn freudig. Als Wolfram ihm von der auf
ihn wartenden Elisabeth berichtet, geht Tannhäuser mit
ihnen auf die nahe gelegene Wartburg. Hier trifft Tannhäuser auf Elisabeth.
Sänger
Die Besetzungswahl ist weitestgehend überzeugend.
Leider gelingt es nicht allen Sängern, insbesondere in
den Nebenrollen, über das in Extremlagen spielende
Orchester hinweg in den Zuschauerraum vorzudringen.
Die Vorschrift beim Sängerwettstreit ist, das Wesen der
Liebe durch die Lieder zu beschreiben. Die Minnesänger
Wolfram, Walther und Biterolf tragen ihren abstrakten,
moralisierenden Liebesbegriff vor. Tannhäuser antwortet, jedes Mal immer hitziger, auf die einzelnen Sänger
und setzt dagegen seine Ansicht von irdischer, sinnlicher
Liebe, die er beglückt erlebt hat. Sein Preislied auf Venus ist der Höhepunkt.
Beeindruckend ist die Leistung von Hans-Georg Priese in der Rolle des Karl Rotter. Nahezu in jeder Szene
muß er stimmlich und schauspielerisch präsent sein. Da
er vor drei Jahren vom Baritonfach ins schwere Tenorfach wechselte, beherrscht er auch die verhältnismäßig
tiefen Passagen einwandfrei. Regina Richter (Elisabeth)
brilliert mit ihrem klaren Mezzosopran und weiß ihn
sowohl verführerisch, als auch energisch und verbittert
einzusetzen. Einzig die Wahl, die Figur Lackners, dessen
Partie überwiegend im Parlandostil geschrieben ist, mit
dem aus den Niederlanden stammenden Albert Bonnema zu besetzen, bleibt bisweilen fragwürdig. Gerade in
einem Stück, in dem beinahe jedes Wort von politischer
Relevanz ist, sollte besonderer Wert darauf gelegt werden, daß, trotz der mitlaufenden Übertitel, das Gesungene durchweg verständlich ist.
Darüber sind die Minnesänger so aufgebracht, daß sie
ihn mit dem Tod bedrohen. Doch Elisabeth, obwohl
bis ins Herz durch Tannhäusers Aufenthalt bei Venus
getroffen, stellt sich zwischen die Kontrahenten. Tannhäuser wird ausgestoßen und zur Bußfahrt nach Rom
gezwungen. In der Zwischenzeit betet Elisabeth für
Tannhäusers Seelenheil. Im Herbst kehrt er ohne die
Pilger allein zurück. Er ist zutiefst enttäuscht, denn der
Papst konnte ihn von seinen Sünden nicht lossprechen.
So will er in den Venusberg zurückkehren, doch Wolfram erinnert ihn an die sterbende Elisabeth. Tannhäuser
besinnt sich und stirbt in den Armen Wolframs als Erlöster.
Das Gürzenich-Orchester Köln erweist sich unter der
Leitung von Hermann Bäumer als überaus fähig, den
Ansprüchen einer durchdachten Komposition gerecht
zu werden. Der Chor der Oper Köln kann insbesondere
in den sphärisch anmutenden Passagen durch einen äußerst homogenen Klang überzeugen.
Aufführung
Die Vorstellung der Teheranerin Jasmin Solfaghari zur
Darstellung einer Romantischen Oper nachzuvollziehen, verlangt Ungewöhnliches: Wir sehen eine Einheitsbühne, die am ehesten einer Sparkassenhalle gleicht,
beleuchtet mit Neonröhren, möbliert mit einer schwarzledernen, rechteckigen Sitzcouch und vielen Stühlen,
begrenzt von Glaswänden. Zuvor diente – mit riesigen
blutroten Bettlaken auf der Sitzcouch – diese Halle dem
Liebesnest Venus/Tannhäuser. Nach seiner Flucht findet
Fazit
Man muß schon eine gewisse Neigung zu Neuer Musik
haben, um von Rotter begeistert zu werden. Doch auch
dann wird einem die Aufführung nicht gefallen, wenn
man nur in die Oper geht, um (frei nach Brecht) romantisch zu glotzen. Was einen erwartet, ist durchaus schwere
Kost, die zu probieren es sich allerdings sehr lohnt.
Ch. Lauter
Bild: Klaus Lefebvre
43
sich Tannhäuser,
nach der Spielanweisung Wagners … plötzlich
in einem schönen
Tal, mit blauem
Himmel und heiterer Sonnenbeleuchtung.
Diese von Wagner
gewollte
Pastorale, betont
durch den auftretenden Hirten, ist bei Frau
Solfaghari ein
Sparkassenvestibül. Durch den
hinteren Teil des
Vestibüls zieht
Pilger mit T-Shirt und rotem Kreuz bei ihrer Rückkehr aus Rom
eine Pilgergrupwas muß Jasmin Solfaghari im Kopf gehabt haben, das
pe, unschwer an roten Kreuzen auf den weißen T-Shirts
sie uns damit kundtun wollte. Vielleicht hat sie tatsächerkennbar. Elisabeth tritt auf im Männerhemd mit nacklich an eine Hirtenlandschaft (Pastorale) gedacht?
ten Beinen. Daß sie sich in diesem Aufzug auf den zurückkehrenden Tannhäuser freut, kann man verstehen, Camilla Nylund (Elisabeth) war eine Augen- und Ohdenn sie ist wohl am frühen Morgen noch nicht ange- renweide: ihre Intonationssicherheit ist bewundernszogen. Daß sie aber in gleicher Montur Tannhäuser und wert, nur ihre Aussprache ist grauenvoll: ich verstand
fast nichts! Sollte man nicht doch auch bei deutschen
den Landgraf begrüßt, ist weniger zu begreifen.
Opern einen Übertitel mitlaufen lassen? Die schnelle
Bei der Rückkehr von seinem Rom-Büßergang findet
Einstudierung der Gesangsrollen erlaubt zeitlich meist
Tannhäuser die Halle zertrümmert vor: sämtliche Fensnicht, durch die Vokalisierung noch die Konsonanten
terscheiben sind zerbrochen, die Neonröhren liegen
verständlich zu singen. Dalia Schaechter (Venus) sang
auf der Erde, selbst die „Lustcouch“ ist umgestürzt.
und bewegte sich venusgerecht.
Bei Wagner ist es lediglich Herbst, ohne daß die Halle
verwüstet ist. Mit rotem Vorhang erscheint Frau Venus Der Chor war gut trainiert, aber oft sehr laut. Lauter
wieder, doch Tannhäuser beachtet sie nicht und stirbt in allerdings war das Orchester unter Stenz’ Stabführung.
Auch eine massive Wagnerpartitur kann man zurückGedanken an seine keusche Elisabeth.
nehmen. Die Sänger haben es allemal schwer.
Sänger
Fazit
Andreas Hörls (Landgraf Hermann) tiefer Baß hallte
wohltönend durch die Sparkassenlobby. Er war für den Warum meinen eigentlich viele Regisseure, durch roerkrankten Reinhard Dorn eingesprungen und gestalte- bustes Modernisieren eine Oper verständlicher oder
te seinen Part glänzend. Von Torsten Kerl (Tannhäuser) sogar attraktiver zu machen? Bei dieser Inszenierung
kann man das leider nicht behaupten: von Anfang an geschieht es ohne irgendwelchen Gewinn an Klarheit
preßte er seinen Tenor durch Höhen und Tiefen, daß oder Spannungserhöhung. Im Gegenteil, es sind so vieman manchmal Angst hatte, wann die Stimme kippen le unverständliche Einzelheiten, daß man sich langweilt
würde. Eine wahre Freude war Miljenko Turk als Wolf- oder sich ärgert oder alles beim Gesang vergißt und die
ram. Er sang einigermaßen verständlich und seine Bari- Augen schließt. Ist das der Sinn einer Modernisierung,
tonstimme durchmaß alle Fährnisse souverän. Auch an gegen die ja grundsätzlich nichts einzuwenden ist?
allen anderen Minnesängern – Martin Homrich (Walter), Einstimmiges Buhen begrüßte dann auch das Regieteam.
Orozco Martinez (Heinrich), Daniel Henriks (Biterolf) Später kam auch Applaus auf, wohl für die Sänger, die sich
sowie Wilfried Staber (Reinmar) – war sängerisch nichts dem Team hinzugesellten. Das wiederum quittierte Frau
auszusetzen. Beeindruckend setzte Susanne Niebling (ein Solfaghari mit deutlichem Lachen. Vom Sängerischen ist
junger Hirt) ihren hohen Sopran ein. Allein ihr Kostüm, die Aufführung zwiespältig aufzufassen: neben hervorramit weißen Kniestrümpfen und klobigen schwarzen Schu- genden Stimmen die Stimme des Titelhelden, der einem
hen, widersprach der Sparkassenhallenumgebung. Irgend
eigentlich den Abend verleidet.
O. Zenner
Bild: Klaus Lefebvre
44
Krefeld, Stadttheater
nis um Hans’ Herkunft: Er ist der erstgeborene Sohn
des Großgrundbesitzers Tobias Micha. Dieser war vor
Jahren in die Fremde gezogen. Im „Brautkaufvertrag“
stand nur, daß sie den Sohn des Tobias Micha heiraten
dürfe, welchen, war nicht festgelegt. So konnte Marie
sich ihren Bräutigam frei wählen. Als Versöhnungsgeste
mit seinem Sohn willigt Tobias Micha in die Verbindung
ein und Hans und Marie können mit dem ganzen Dorf die
letztendlich glückliche Verlobung der verkauften Braut feiern.
Die verkaufte Braut
von Bedřich Smetana, Komische Oper in drei Akten, Libretto: Karel
Sabina, Deutsch von Kurt Honolka;
UA: 30. Mai 1866, Interimstheater in Prag
Regie: François de Carpentries, Bühne: Siegfried E. Mayer, Kostüme: Karine van Hercke; Dirigent: Kenneth Duryea, Niederrheinische Sinfoniker, Chor der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach; Solisten: Christoph Erpenbeck (Kruschina), Uta Christina
Georg (Ludmilla), Janet Bartolova (Marie), Matthias Wippich (Tobias
Micha), Margriet Schlössels (Hata), Markus Heinrich (Wenzel), HansJürgen Schöpflin (Hans), Hayk Dèinyan (Kezal), Manfred Feldmann
(Zirkusdirektor Springer), Jeannette Wernecke (Esmeralda, Tänzerin), Jeong-Han Lee (Muss).
Besuchte Aufführung: 15. März 2008 (Premiere)
Inszenierung
Die Handlung ist ins bäuerliche Milieu der 1960er Jahre
verlegt, was sich insbesondere in der Wahl der Kostüme
widerspiegelt. Viele kleine liebevoll eingesetzte Details
peppen das Geschehen vor der Kulisse von Kirchweihfest und Wirtshaus auf: Die Zirkustruppe bietet die neuartige Tupperware feil, das Anwesen Tobias Michas sieht
dem Schloß Neuschwanstein zum Verwechseln ähnlich.
Das Bühnenbild ist auf das Wesentliche reduziert, was
durchaus von Vorteil ist, da der Zuschauer nicht durch
üppige Ausstattung vom Handlungsstrang abgelenkt
wird. Hervorgehoben seien zudem die über das im Libretto vorgesehene Maß hinausgehenden erheiternden
artistischen Darbietungen zu Beginn des dritten Aktes.
Kurzinhalt
Marie, die Tochter eines verarmten Bauernpaares, liebt
den Knecht Hans, der aus der Fremde zugewandert ist.
Sie geloben einander ewige Treue. Maries Eltern hingegen erwarten von Marie, daß sie sich auf dem Kirchweihfest mit Wenzel, Sohn des Großgrundbesitzers Tobias
Micha, verlobt. Gemeinsam mit dem Heiratsvermittler
Kezal setzen sie einen Ehevertrag auf. Jedoch Marie ist
nicht bereit, sich dem Willen ihrer Eltern zu beugen.
Sie liebe einen
anderen und
habe sich mit
ihm bereits
verlobt.
Sänger
Die Liebe zum
Detail findet
sich auch in
der SpielfreuIm Wirtshaus
de von Enbegegnet Masemble und
rie ihrem verChor wieder.
meintlichen
Die verkaufte
Bräutigam
Braut ist keiWenzel. Sie
ne Oper, in
erzählt dem
der die Sänleichtgläubiger virtuoses
gen Tölpel,
Können unter
ohne sich ihm
Beweis stelzu erkennen
len müssen,
zu geben, daß
vielmehr ist
seine Braut
Janet Bartolova (Marie), Hay Dèinyan (Kezal), Uta Christiausdr ucksMarie ihn verna Georg (Ludmilla) und Christoph Erpenbeck (Kruschina)
volles Spielen gefordert.
giften wolle. Sie nimmt ihm das
Allen Sängern voran
Versprechen ab, ihretwegen auf Marie zu verzichten.
ist Hans-Jürgen Schöpflin zu nennen, der sowohl mit
Gleichzeitig will Kezal Hans seine Braut abkaufen. Zum
agiler Stimme als auch mit leidenschaftlichem Spiel den
Entsetzen des Dorfes verkauft er seine Braut für dreiverliebten und gleichzeitig verschmitzten Hans darstellt
hundert Gulden.
und damit zeigt, daß er die ihm in der letzten Spielzeit
Bei einem Besuch im Zirkus verliebt sich Wenzel in die verliehene Auszeichnung der Kritikerumfrage NRW als
Tänzerin Esmeralda. Da der Darsteller des Bären be- bester Sänger nicht nur für ernste Rollen verdient hat,
trunken ist, übernimmt der naive Wenzel dessen Rolle.
sondern auch in Buffopartien glänzen kann. An seiner
Den Verkauf der Braut glaubt Marie erst, als sie den Seite scheint Janet Bartolova mit der Spontaneität ihres
Kaufvertrag sieht. Nun willigt sie doch in die Heirat Partners manchmal etwas überfordert, doch mit Humor
mit Wenzel ein. Unerwartet treffen Tobias Micha und fängt sie sich schnell und kann gerade Maries Verzweifseine Frau im Dorf ein. Sie lüften endlich das Geheim- lung glaubwürdig darstellen. Daneben agiert Hayk Dèinyan (Kezal) überzeugend, allerdings hat er damit zu
45
entscheidet sich für
den gemeinsamen
Tod mit ihrem vermeintlichen Vater.
Im Augenblick ihres Todes enthüllt
Éléazar
Rachels
wahre
Identität:
Sie ist de Brognis
verloren geglaubte
Tochter. Während
Éléazar triumphierend in den Tod
geht, bricht Brogni
zusammen.
kämpfen, gegen das Orchester anzusingen.
Unter den Nebenrollen sind Christoph Erpenbeck
(Kruschina) und Markus Heinrich (Wenzel) besonders
hervorzuheben, die mit offensichtlicher Begeisterung
die Eigenarten ihrer Charaktere betonen. Das Ensemblebild wird durch souveräne Leistungen von Uta Christina Georg (Ludmilla), Matthias Wippich (Tobias Micha)
und Margriet Schlössels (Hata) in Spiel und Gesang abgerundet.
Wie schon so oft erweist sich der Chor der Vereinigten
Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach,
der für seine Qualität auch über die Stadtgrenzen hinaus
bekannt ist, als absolut treffsicher in Ausdruck und Gestaltung und scheut sich auch nicht, die Tanzeinlagen im
böhmisch-mährischen Stil burlesk darzubieten, statt sie
einem Ballettensemble zu überlassen.
Aufführung
Tatiana Pechnikova (Rachel)
Die
Uraufführung
und Chor der Staatsoper Stuttgart
am 23. Februar 1835
gilt neben Meyerbeers Robert der Teufel und Hugenotten als
Geburtsstunde der Grand Opéra. In dieser Inszenierung
steht das Beziehungsgeflecht zwischen den Juden Éléazar und Rachel sowie Kardinal de Brogni auf der einen
Seite und zwischen Rachel, Eudoxie und Leopold (klassische Dreiecksbeziehung) auf der anderen Seite.
Dem Team Wieler/Morabito gelingt über weite Strecken
eine glaubwürdige Darstellung durch die klare Zeichnung
der Charaktere und ihrer inneren Gefühle. Gut gelungen
ist die Darstellung des inneren Kampfes Éléazars: Er
rächt sich am Ende an de Brogni, indem er Rachel und
sich erschießt. Also keine Verbrennung, wie Halévy es
vorgesehen hat.
Der Wutanfall Rachels, als sie das doppelte Spiel Léopolds durchschaut, zeichnet das Regieteam außerordentlich gekonnt. Es ist ein Musterbeispiel von Personenregie, ebenso wie die Darstellung Léopolds als feiger
Lüstling ohne Charakter und ohne Fähigkeit, konsequent
zu bleiben (ihm unterläuft sogar der Fehler, während des
jüdischen Passahfestes das Kreuz zu schlagen!). Als Rachel
ihn vor Eudoxie zur Rede stellen will, bricht er zusammen.
Etwas an den Haaren herbeigezogen ist die Darstellung
eines Historienspiels: der mehrmalige Übergriff einer
ganzen Stadt auf andersartige Mitbürger, nur weil sie
sonntags arbeiten, ist kaum glaubhaft und führt die Ziele
dieser Oper ins Abseits.
Nicht ganz so viel Glanz verbreitet die Sängerriege. Ferdinand von Bothmer belegt eindrucksvoll, was passiert,
wenn man die mörderische Partie des Léopold unterschätzt: Er verfügt zwar über eine sehr schöne Mittellage, jedoch die Höhen erreicht er nur mit Gewalt. Dagegen kann Chris Meritt in der „leichteren“ Partie des
Éléazar glänzen: Ein Charaktertenor mit viel Volumen
und Überzeugungskraft auch im dramatischen Bereich.
Ebenso stürmisch gefeiert wurden zu Recht Tatiana
Pechnikova als Rachel und Catriona Smith als Prinzessin
Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von
Kenneth Duryea waren stets bemüht, Smetanas Vorstellung von folkloristischem Klang gerecht zu werden.
Dies gelang am ehesten bei der Begleitung der Sänger.
Fazit
Sieht man über das streckenweise farblose Orchesterspiel hinweg, so erwartet einen ein amüsanter Opernabend, der vor allem durch Spiel-, Tanz- und Detailfreude von Ensemble und Chor besticht.
Ch. Lauter
Bild: Mattias Stutte
Stuttgart, Staatsoper
La Juive - Die Jüdin
von Jacques Fromental Halévy (1799-1862), Grand Opera in 5 Akten,
Text: Eugène Scribe; UA: 23. Februar 1835, Paris
Regie: Jossi Wieler/Sergio Morabito, Bühnenbild: Bert Neumann, Kostüme: Nina von Mechow, Dirigent: Sébastien Rouland, Staatsorchester
Stuttgart, Solisten: Catriona Smith (La Princesse Eudoxie), Tatiana Pechnikova (Rachel), Chris Meritt (Éléazar), Liang Li (Le Cardinal de Brogni), Ferdinand von Bothmer (Léopold), Karl-Friedrich Dürr (Ruggiero),
Christoph Soler (Albert), Sebastian Bollacher (Ausrufer)
Besuchte Vorstellung: 16. März 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Vorgeschichte in Rom: Der jüdische Goldschmied
Éléazar hat die Tochter des Magistrats Brogni aus den
Flammen gerettet. Zuvor hatte er durch de Brogni seine
Söhne im Feuer verloren. Er zieht das Mädchen ohne de
Brognis Wissen als seine eigene Tochter Rachel im jüdischen Glauben auf. Brogni, zum Kardinal aufgestiegen,
eröffnet 1414 das Konzil in Konstanz.
Rachel hat sich in einen Mann verliebt, der vorgibt, Jude zu
sein, aber eigentlich Reichsfürst Léopold ist. Da Léopold
mit Eudoxie verheiratet ist, verurteilt Kardinal de Brogni
das Liebespaar zum Tode, ebenso Éléazar, da dieser die
Ruhe der Konzilseröffnung störte. Rachel läßt sich durch
die flehentliche Bitte von Eudoxie zur Zurücknahme ihrer Anschuldigung gegen Léopold überreden und erwirkt
damit seine Begnadigung. Sie selbst könnte sich durch
Konvertierung zum christlichen Glauben retten, aber sie
46
München, Staatstheater am Gärtnerplatz
Aufführung
Für die Münchner Erstaufführung der selten gespielten
Oper holte Intendant Peters erstmals mehrere Gastsolisten ans Gärtnerplatztheater, was sich ebenso als Glücksgriff herausstellt wie die Aufführung in italienischer Originalsprache. Das Regieteam um den Verdi-erfahrenen
Thomas Wünsch siedelt die Handlung in den kaputten
Stahlträgern eines Wolkenkratzers im Jahr 2056 an. Dieser Wolkenkratzer stellt, zusammen mit einigen Fragmenten der Freiheitsstatue, das Einheitsbühnenbild dar.
Die Ruine auf der Bühne ist gleichzeitig Sinnbild für den
zerrütteten Zustand der Gesellschaft in Verdis Oper –
eine Idee, die sich nicht unbedingt aufdrängt, den Kern
der Oper jedoch stimmig darzustellen vermag.
von Giuseppe Verdi, Oper in 4 Akten, Libretto: Andrea Maffei
nach Die Räuber von Friedrich Schiller
UA: 22. Juli 1847, Her Majesty’s Theatre, Haymarket, London
Regie: Thomas Wünsch, Bühnenbild/Kostüme: Heiko Mönnich,
Licht: Wieland Müller-Haslinger; Dirigent: Henrik Nánási, Orchester, Chor, Extrachor des Staatstheaters, Choreinstudierung: HansJoachim Willrich; Solisten: Guido Jentjens (Massimiliano), Zurab
Zurabaishvili (Carlo), Mikael Babajanyan (Francesco), Elaine Ortiz
Arandes (Amalia), Adrian Xhema (Arminio) u.a.
Besuchte Aufführung: 15.3.2008 (Premiere)
Wünsch gelingen so mit einfachen Mitteln viele starke
Bilder. Gekonnt auch die Personenführung: selbst in den
großen Massenszenen kommt es durch die geschickte, aber
dennoch nie übertriebene Choreographie nicht zu einem
oratorienhaften Stehtheater, wie es bei Verdi-Aufführungen
allzu oft zu beobachten ist. Henrik Nánási und das Gärtnerplatzorchester lieferten dazu dramatischen, energiegeladenen, wenngleich bisweilen sehr lauten Verdi-Sound aus
dem Graben.
Eudoxie. Liang Li führt die Rolle des Kardinals auf eine
Nebenrolle zurück.
Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist das Orchester des
Hauses unter der Leitung von Sébastien Rouland, dem es gelingt, mit viel französischem Esprit die Klangvielfalt der Musik Halévys den heutigen Hörgewohnheiten anzupassen.
Fazit
Ein großartiger Abend mit gemischten Leistungen. Aber
es sind solche Abende, denen es gelingt, die Grand Opéra auf die Bühnen unserer Tage zurückzubringen.
Oliver Hohlbach
Bild: Martin Sigmund
I masnadieri - Die Räuber
Kurzinhalt
Von den Sängern erbrachte Mikael Babajanyan das stimmigste Rollenportrait. Mit kernigem
Bariton und großartigen darstellerischen Fähigkeiten war er ein idealer
Francesco. Überzeugend auch der
noble Baß des Bayreuth-erfahrenen
Guido Jentjens und der Carlo von
Zurab Zurabaishvili, dessen Timbre
ungemein an Neil Shicoff erinnert.
Einziger Wermutstropfen bei Zurabaishvili waren einige Intonationsprobleme, vor allem im großen
Duett mit Amalia. Ensemblemitglied Elaine Ortiz Arandes hat einen schweren Stand gegen die hervorragenden Gäste und stößt in der
Partie der Amalia mit flackernder
Stimme an ihre Grenzen. Ihr Gestaltungswille und die scheinbar unendliche Klangfarbenpalette ließen
den Abend trotzdem auch für sie zu
einem Erfolg werden. Die Nebenrollen waren sehr gut aus dem Ensemble besetzt. Großer Beifall für
Elaine Ortiz Arandes (Amalia)
alle Beteiligten!
Carlo, Sohn des Grafen Massimiliano Moor, ist des Lebens in der Räuberbande, der er sich angeschlossen
hat, überdrüssig. Er will an den Hof
des Vaters und zu seiner Geliebten
Amalia zurück. Als er einen Brief erhält, in dem ihn sein Vater verstößt,
verwirft er diesen Gedanken und
läßt sich zum Anführer der Räuber
ernennen. In Wahrheit stammt der
Brief jedoch von seinem machtgierigen Bruder Francesco, der sich an
seinem bevorzugten Bruder rächen
will. Seinem Vater und Amalia erzählt Francesco, daß Carlo gefallen
sei, woraufhin der alte Graf Massimiliano tot zusammenbricht. Als
Amalia an dessen Grab betet, gesteht ihr Francescos Diener Arminio, daß sowohl der Graf, als auch
ihr Geliebter Carlo am Leben seien.
Sie weist den werbenden Francesco
zurück und flieht. Im Wald trifft sie
zufällig auf Carlo. Als dieser erfährt, was
geschehen ist, will er sich an seinem Bruder rächen,
verschweigt das aber Amalia. Seine Räuberbande soll
nach Francesco suchen. Doch dieser kann ihnen entkommen. Statt Francesco schleppen sie Amalia herbei.
Um ihr ein Leben in Schande zu ersparen, ersticht Carlo seine
Geliebte. Danach verläßt er die Räuber, um sich zu stellen.
Fazit
Es muß nicht immer die große Staatsoper in München
sein! Wie der Abend am Gärtnerplatztheater zeigt, gibt
es auch an kleineren Häusern große Oper!
Ch. Lang
Bild: Staatsoper am Gärtnerplatz, München
47
Neue CDs
Herbert von Karajan – the legend
The Art of Christa Ludwig
The beautiful voice
of Christa Ludwig,
mit Werken von
Brahms, Mahler,
Schumann, Schubert,
Strauss, Wagner
Aufnahmen
Label:
Label:
EMI Classics
EMI Classics
mit den
Berliner
Philharmonikern
Der Sängerin Christa Ludwig ist ein Sampler mit fünf
CDs gewidmet, vier davon spiegeln das breite Repertoire der großen Liedsängerin. Schubert, Schumann und
Brahms bilden den Schwerpunkt, daneben sind Hugo
Wolf, Gustav Mahler, Richard Strauss, Richard Wagner,
Maurice Ravel und andere Komponisten vertreten. Unterstützt wird Christa Ludwig von den beiden hervorragenden Liedbegleitern Gerald Moore und Geoffrey Parsons.
Runde Geburtstage sind ein beliebter Anlaß, den Verkauf von CDs anzukurbeln. Zwar handelt es sich dabei
naturgemäß meist nur um eine Neuauflage vorhandener Aufnahmen, aber genau darin liegt auch ein eigener
Reiz, nämlich die damalige und die heutige Musizierweise zu vergleichen.
Herbert von Karajan wäre 2008 einhundert Jahre alt geworden, Christa Ludwig wird achtzig, was liegt näher,
als von diesen großen Musikern einen Querschnitt ihres
Schaffens zu veröffentlichen?
In den Schubert- und Schumann-Liedern kommt mir
ihre Musizierweise ein wenig behäbig und betulich vor,
diese Lieder habe ich schon wesentlich lebhafter, aufregender gehört, auch von Sängern ihrer Zeit wie beispielsweise ihrem großen Vorbild Irmgard Seefried oder
von Dietrich Fischer-Dieskau.
Die zweite Hälfte der vierten CD und die ganze fünfte CD
portraitieren die Oratorien- und Opernsängerin – hier ist je
eine Arie aus den Bach-Passionen vertreten, ein kurzer Teil
aus dem Verdi-Requiem und Szenen aus Norma (Bellini),
Carmen (Bizet), Tristan und Isolde (Wagner), Rosenkavalier (R. Strauss) und aus der legendären Don GiovanniEinspielung mit Otto Klemperer. Gesungen wird teils in
deutscher, teils in italienischer Sprache. Heute hört man vor
allem die Opern einfach anders – man denke an die Don
Giovanni-Aufnahme mit René Jacobs – trotzdem ist diese
umfangreiche Zusammenstellung eine gelungene Hommage an die Sängerin und ein echter Genuß. Ein kleiner
Wermutstropfen ist der Klang, der trotz Digitalisierung teilweise ein wenig flach wirkt.
Ebenfalls eine gelungene Hommage ist der Artikel von
Gottfried Klaus im Booklet, dessen Titel für sich spricht:
Im Universum des Gesangs.
D. Riesenkönig
Das Album Herbert von Karajan – the legend besteht aus 2
CDs mit Stücken, die Karajan in der Zeit von 1971 bis
1981 eingespielt hat und beinhaltet Werke von Mozart
(gest. 1791) bis Sibelius (gest. 1957) – Programmmusik,
Opern- und Operettenpartien sowie einzelne Sätze von
Sinfonien.
Vergeblich habe ich nach einem Leitgedanken oder roten
Faden in der Anordnung der Stücke gesucht, schließlich
ist eine Legende eine gewachsene Geschichte, die sich
entwickelt hat, aber vielleicht soll dieser Anspruch auch
gar nicht bedient werden.
Wer kauft sich eine solche CD? Möglicherweise Musikfreunde, die sich ihr Lieblingsstück mal anhören wollen,
aber eben keine ganze Sinfonie, sondern nur beispielsweise den letzten Satz aus Dvoraks Sinfonie aus der Neuen
Welt oder Smetanas Moldau, oder die beim Autofahren
nette Musik hören wollen, und genau dafür ist diese Zusammenstellung ideal.
Ein dreisprachiges Booklet bringt eine Kurzbiographie
des Dirigenten, einige Fotos und ein paar informative
Zeilen über jedes eingespielte Stück.
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D. Riesenkönig
Verkaufe Autogrammfotos
von Opernsängern bzw. Sängerinnen.
Bitte fordern Sie Liste an.
Hubert Sieben, Tel. + Fax: 0221-8800956
48
Sergej Prokofiew (1891-1953)
terin des Moskauer Zentralen Kindertheaters und wollte
Kinder mit den Instrumenten des Orchesters vertraut
machen. Auf ihre Initiative schrieb Prokofiew Text und
Musik und brachte das Stück am 2. Mai 1936 zur Uraufführung.
Die Aufnahme Karajan/Romy Schneider ist in den Jahren
1956/57 entstanden, Romy Schneider war damals 19 Jahre
alt und kurz vor den Dreharbeiten zum dritten Sissi-Film.
Mit mädchenhafter Stimme erzählt sie frisch, unbekümmert und doch spannend die Geschichte von Peter, der
den großen grauen Wolf fängt. Was mag Herbert von
Karajan bewogen haben, diese Schauspielerin als Sprecherin zu wählen? – Das Booklet, das Romy Schneiders
Leben aufrollt, läßt uns darüber im unklaren.
Wohl eher als Füllsel ist der Anhang von Tschaikowskis
Ballettsuite Der Nußknacker zu verstehen, eine ordentliche, aber nicht spektakuläre Aufnahme.
Ausgesprochen liebenswert ist das Booklet gestaltet: In
die Bilder der beiden Künstler sind durch Computeranimation die Bilder der handelnden Tiere eingebaut worden, selbst die CD schmückt ein silberner Wolf!
Peter und der Wolf
Romy Schneider,
Herbert
von Karajan
Label:
EMI Classics
Ein wahres Kleinod ist die Einspielung von Peter und der
Wolf mit der noch sehr jungen Romy Schneider als Sprecherin. Meist wird dieses Märchen von einer eher tieferen
Männerstimme erzählt, so z.B. in der ebenfalls legendären Aufnahme mit Mathias Wiemann und den Berliner
Philharmonikern unter Fritz Lehmann, die auch eine
meiner ersten Schallplatten in den fünfziger Jahren war.
Um so erstaunter war ich, als ich las, daß die Uraufführung mit Natalia Saz stattfand – sie war künstlerische Lei-
D. Riesenkönig
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)
Jugendwerke
Die Auswahl der frühen Werke zeigt sowohl die musikalische Phantasie als auch das erstaunliche handwerkliche Können des jungen Komponisten. Beeindruckend
ist vor allem das fast halbstündige Magnificat des Dreizehnjährigen. Ein lebhafter Eingangschor mit großem
Orchester gestaltet den freudigen Text bildhaft genau,
die weiteren Abschnitte werden teils solistisch, teils als
Chorfuge, nur von Streichern begleitet durchgeführt,
um wieder in großen Orchester- und Chorsätzen zu
münden.
Gewandhaus Chor
MendelssohnOrchester Leipzig
Leitung:
Gregor Meyer
Label:
GENUIN
Musikproduktion
Leipzig
Chor, Orchester und Solisten werden den Anforderungen der Werke in höchstem Maße gerecht. Chor- und
Orchesterklang sind ausgeglichen und gut aufeinander
abgestimmt, der a-cappella-Gesang im Kyrie c-moll und in
der Choralbearbeitung Mitten wir im Leben sind ist absolut
sauber intoniert. Mendelssohn selber bezeichnete diesen
Choral in einem Brief an seine Familie als eins der besten
Kirchenstücke, die ich gemacht habe.
Ein junges Orchester – gegründet 1999 mit Absolventen der Hochschule für Musik und Theater Leipzig –
der traditionsreiche Gewandhauschor sowie vier junge
Solisten, die alle ihr Handwerk bei namhaften Sängerpersönlichkeiten gelernt haben, widmen sich den frühen
Werken des Komponisten, der ab 1835 wesentlich dazu
beitrug, die Stadt zu einem bedeutenden Musikzentrum
in Europa zu machen.
Meiner Einschätzung nach verdienen es die unbekannten frühen Chorwerke unbedingt, in Kirchenkonzerten
zur Aufführung zu kommen. Vielleicht trägt diese CD
dazu bei, daß Chorsänger und vor allem Chorleiter sie
entdecken und sich dafür begeistern.
Die eingespielten Werke entstanden jedoch lange vor
Mendelssohns Leipziger Zeit von 1821 bis 1830, also
im Alter von 12 – 21 Jahren! Mendelssohn war seit 1821
Mitglied der Berliner Singakademie, sein Kompositionslehrer war Friedrich Zelter.
D. Riesenkönig
49
Johannes Brahms (1833-1897)
von Brahms erster Sinfonie (1876) immerhin ein halbes
Jahrhundert liegt.
Diese Sinfonie ist geprägt durch einen Sommeraufenthalt auf Rügen 1876 – wohl deshalb taucht sie auch so
oft als Hintergrundmusik in Filmen auf, die mit Rügen
zu tun haben.
Sinfonie Nr. 1
Sinfonie Nr. 3
Dresdener
Philharmonie,
Rafael Frühbeck
de Burg
Auch die dritte Sinfonie, der von Anfang an großer
Erfolg beschieden war, konnte die Selbstzweifel von
Brahms, noch immer im Schatten Beethovens zu stehen,
zunächst nicht mildern.
Label:
Genuin Musikproduktion,
Leipzig
Beide Sinfonien werden sehr ansprechend wiedergegeben. Die Instrumentengruppen sind dynamisch geführt und gut durchhörbar. Besonders im letzten Satz
der Ersten führt der Dirigent seine Musiker in einem
großartigen Spannungsbogen zum strahlenden C-Dur
– Finale. Das kann tatsächlich Bilder von Kreidefelsen,
Meer und wogenden Rapsfeldern hervorrufen!
Rafael Frühbeck de Burgos ist seit 2004 / 05 Chefdirigent
der Dresdener Philharmonie, einem Konzertorchester,
das 1870 gegründet wurde und seitdem das Dresdener
Kulturleben wesentlich prägt. Die vorliegende Aufnahme der 1. und 3. Sinfonie von Johannes Brahms wurde
2007 in der Lukaskirche Dresden aufgenommen.
Die Gestaltung des Covers gefällt mir besonders gut: ein
grau in grau gehaltenes stilisiertes Eichenblatt, das vielleicht mit der Arndt – Eiche zu assoziieren ist, die dieser
aus Rügen in Bonn pflanzen ließ – sie steht heute noch
als stattlicher Baum auf dem dortigen Alten Friedhof.
An seiner ersten Sinfonie hat Brahms mehr als 15 Jahre
gearbeitet, immer im Bewußtsein, an Beethovens sinfonischen Werken gemessen zu werden. Der Dirigent
Hans von Bülow nannte sie kurzerhand Die Zehnte von
Beethoven, obwohl zwischen der Entstehung von Beethovens letzter Sinfonie (1822 – 24) und der Uraufführung
D. Riesenkönig
Édouard Lalo (1823-1892) - Symphonie Espagnole
Johannes Brahms (1833-1897) - Violin-Konzert
Brahms Violinkonzert d-moll gehört zu den großen
„D“ neben Beethoven und Tschaikowski. Wegen seiner
für die damalige Zeit hohen technischen Anforderungen wurde es zunächst nicht sehr schnell bekannt. Heute
gehört es zum festen Repertoire jedes konzertierenden
Geigers. Obwohl d-moll tituliert, beginnt das Konzert
mit einer strahlenden Orchestereinleitung in Dur. Erst
das zweite Thema, das sofort von der Sologeige aufgegriffen wird, bringt die Molltonart ein. Beide Themen
werden im Folgenden von Orchester und Geige verarbeitet. Milstein und das NDR-Sinfonieorchester unter
Paul Klecki musizieren in diesem 1960 entstandenen
Konzertmitschnitt so mitreißend, dass schon nach dem
ersten Satz Beifall aufflackert. Auch die folgenden Sätze
lassen keine Wünsche offen. Selbst die gelegentlich hörbaren Nebengeräusche aus dem Publikum wirken kaum
störend. Sie gehören zu solch einem Konzerterlebnis
dazu und vermitteln die Spannung der Momentaufnahme im Gegensatz zu einer sterilen und perfektionierten
Studioaufnahme.
Nathan Milstein
Orchestre
National de Paris
Leitung:
André Cluytens
NDRSinfonieorchester
Leitung:
Paul Klecki
Label: Claves
Trotz der Bezeichnung Symphonie handelt es sich bei
der Symphonie espagnole um ein Violinkonzert.
Nathan Milstein, der nach eigener Aussage Geige lernte,
damit er die Nachbarskinder nicht verprügelte, interpretiert das durch spanisches Kolorit geprägte Werk mit
großer Spielfreude virtuos und ausdrucksstark. Dabei
sind Orchester und Dirigent adäquate Partner. Besonders beeindruckend ist das Scherzando, das durch seine
tänzerischen Elemente gefällt. Der letzte Satz, ein Rondo, endet mit einem akrobatischen Violinsolo, ehe er in
den Schlußakkord mündet. Hier zeigt sich das besondere Können des Solisten, das durch lautstarken Beifall
belohnt wird.
Erwähnt sei noch ein dreisprachiger Text im Booklet,
der ein interessantes Bild der Persönlichkeit Nathan Milstein zeichnet.
D. Riesenkönig
50
Robert Schumann (1810-1856)
der starke, voluminöse, im Baß – auch bei Terzenläufen –
immer klare Klavierton, der dafür verantwortlich ist. Im
ausgezeichnet informativen Booklet kann man über die
im 19. Jh. berühmte und gefragte Klavierfabrik Krems
aus Düsseldorf nachlesen. Auf einem solchen Instrument spielt der stupend musikalische Tobias Koch die
späten Klavierwerke Schumanns mit einer Energie und
einem Einfühlungsvermögen, womit er viele Pianisten,
die man auf den großen Konzertpodien sonst antrifft, in
den Schatten stellt. Man merkt ihm bei seinem Spiel an,
daß er sich intensiv mit der Klaviertechnik des KremsFlügels auseinandergesetzt hat. Und das ist die eigentliche Faszination dieser CD neben den beeindruckenden
Schumannschen Kompositionen: der ungewohnte Klang
des Krems-Flügels. Was muß das doch für eine abwechslungsreiche Hörerfahrung im 19. Jahrhundert gewesen
sein, diese vielen unterschiedlich gestimmten Flügel mit
ihren z.T. herben, auch rauen und sanften Charakteren.
Jedenfalls war die Klavierwelt bunter als heute, wo jeder
Flügel in jedem Land der Welt ununterscheidbar ähnlich klingt. Aber wir sind es ja nicht anders gewohnt als
Gleichheit überall.
O. Zenner
Späte Klavierwerke
Tobias Koch, Pianoforte von Krems,
Düsseldorf
GENUIN
Musikproduktion
Leipzig 2007
Vielen Kennern der Schumannschen Klavierwerke
sind wohl die hier auf der CD gespielten Werke kaum
bekannt. Aber sie sind hörenswert! Man sagt ja jovial:
Schumann kam als Genie auf die Welt und endete als Talent. Bei diesen Klavierwerken ist diese sarkastische Bemerkung kaum nachzuvollziehen. Es ist eine dynamisch,
energiegeladene Musik, die besonders in den Fantasiestücken Op. 111 deutlich wird. Vielleicht ist es aber auch
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur
um seine eigenen Fähigkeiten als Pianist und Improvisator herauszustellen. Pletnev legt großen Wert auf die
Lebendigkeit der Interpretation, er will nicht ehrfurchtsvoll vor dem Denkmal Beethoven stehen sondern, Beethovens Inspiration mit Spontaneität erfassen. Diese Idee
spürt man durchgängig in der gesamten Einspielung.
Bei einem Konzertmitschnitt gibt es keine Korrekturmöglichkeiten, es zählt die Tagesform. Hier waren alle
Mitwirkenden in Bestform, was durch den stürmisch
aufbrausenden Beifall nach dem Schlußakkord dokumentiert ist.
D. Riesenkönig
Mikhail Pletnev,
Piano
Russian National
Orchestra
Leitung:
Christian Gansch
Label:
Deutsche
Grammophon
Gesellschaft
Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur ist sehr
häufig im Konzertsaal oder im Rundfunk zu hören. Es
ist eingängig und doch spannungsvoll, virtuos und gefühlvoll, man kann es eigentlich immer hören. Um so
mehr wünsche ich mir bei einer CD-Einspielung den
Aufhorch-Effekt so habe ich das noch nie gehört. Genau das
ist Mikhail Pletnev (Jahrgang 1957) gelungen. Mit dem
Russian National Orchestra, das er 1990 als erstes vom
Staat unabhängiges Orchester gründete, spielte er alle
Klavierkonzerte von Beethoven ein, zuletzt das Es-DurKonzert als Mitschnitt vom Bonner Beethovenfest 2006.
Die langsame Hinführung zum mehrmals wiederkehrenden Hauptthema im ersten Satz krönt Pletnev mit einer
minimalen Tempoverzögerung. Dadurch entsteht ein
Atemanhalten, dann das erleichterte Wiedererkennen –
da ist sie wieder, diese wunderbar einfache Melodie. Dies
alles ist wohldosiert, ohne Effekthascherei. Möglicherweise hat Beethoven das 5. Klavierkonzert geschrieben,
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51
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Impressum
Operapoint, unabhängige, publikumsnahe Zeitschrift für Oper und Konzert; ISSN 1864-4023
Zugleich: Organ des Vereins zur Pflege klassischer Musik durch Musikliebhaber e.V., Köln
Anschrift der Redaktion: Schwabenstraße 3, 50996 Köln. Tel: 0221 - 35 39 44, Fax: 0221 - 39 67 14
Herausgeber und Chefredakteur: Dr. Olaf Zenner
Operapoint erscheint vierteljährlich, Einzelpreis 4,80 Euro, im Jahresabonnement 20 Euro, inkl. Versandkosten, Ausland auf Anfrage
Copyright für alle Beiträge beim Herausgeber. Nachdruck, auch auszugsweise, Aufnahme in Online-Dienste und Internet sowie Vervielfältigung auf Datenträger wie
CD-ROM etc. nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. In Fällen höherer Gewalt kein Anspruch auf Lieferung oder Rückzahlung des Bezugspreises.
Internet: http://www.operapoint.de; e-mail: [email protected]
Graphik und Gestaltung: Klaus Goergens und Dr. Olaf Zenner
Druck: cede Druck GmbH, Köln
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