Abschlussarbeit zur Ausbildung als Lerntherapeutin IFLW

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Lernbedingungen und Lernstrategien
Abschlussarbeit zur Ausbildung als Lerntherapeutin IFLW
vorgelegt von
Sandra Möller
Ausbildungskurs Frankfurt 131
Sandra Möller ▪ Kohlenstraße 40a ▪ 34121 Kassel ▪ [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
4
2. Lernbiologische Grundlagen
5
2.1. Das menschliche Gedächtnis
2.1.1 Das Drei-Speicher-Modell der Informationsspeicherung
2.1.2 Prozedurales und deklaratives Gedächtnis
2.1.3 Vergessen
6
7
11
12
2.2 Was beim Lernen im Gehirn unbemerkt geschieht
13
- Die Funktion der Nervenzellen und Synapsen -
13
2.3 Lernbeeinflussende Faktoren
2.3.1 Aufmerksamkeit
2.3.2 Grundmuster der Wahrnehmung und Lerntypen
2.3.3 Emotionen
2.3.4 Stress
2.3.5 Schlaf
2.3.6 Motivation
16
16
17
18
20
21
21
2.4 Lernmotivation und Lernverhalten
2.4.1 Intrinsische und Extrinsische Motivation
2.4.2 Das Attributions- und Selbstbewertungsmodell nach Heckhausen
2.4.3 Förderung der Lernmotivation
22
23
23
25
2.5 Zusammenfassung
26
3. Lernstrategien und Lerntechniken
28
3.1 Definition: Lernstrategien
28
3.2.Primärstrategien
3.2.1Wiederholungsstrategien
3.2.2 Elaborationsstrategien
3.2.3 Reduktiv - organisierende Strategien
29
29
30
31
3.3 Stützstrategien
3.3.1 Emotional - motivationale Stützstrategien
3.3.2 Organisierend - kontrollierende Stützstrategien
31
32
32
3.4 Metakognition und Metagedächtnis
3.4.1 Spezifisches Strategiewissen
3.4.2 Relationales Strategiewissen
3.4.3 Generelles Strategiewissen
3.4.4 Metakognitive Acquisitionsprozeduren
32
34
35
35
35
3.5 Wann verbessern Metakognitionen die Lernleistung und wann nicht?
3.5.1 Das Modell des „Good Strategy Users“
3.5.2 Lernstrategien und Lerneffizienz
36
37
39
3.6 Zusammenfassung
40
4. Die Vermittlung von Lernstrategien in der Lerntherapie
4.1 Defizite von lernschwachen Kindern
4.1.1 Basisfertigkeiten
4.1.2 Mangelnde Konzentrationsfähigkeit
4.1.3 Mangelndes Wissen
4.1.4 Mangelnde metakognitive Fähigkeiten
42
42
44
44
44
45
2
4.2 Diagnostik und Überprüfung strategischer und metamemorialer Kompetenzen
4.2.1 Hinweise auf Defizite in der Verwendung kognitiver Strategien
4.2.2. Hinweise auf Defizite in der Verwendung metakognitiver Strategien
4.2.3. Hinweise auf Defizite in der Verwendung motivierender Strategien
45
46
47
47
4.3 Systematische Vermittlung von Lernstrategien
4.3.1. Verstehen der Aufgabe
4.3.2 Erarbeiten eines Plans
4.3.3 Auswahl und Durchführung von Handlungsschritten (Handlungsorganisation)
4.3.4. Kontrolle der Lernaktivitäten und Regulierung der Handlungsschritte (exekutive Kontrolle)
47
48
49
49
50
4.4 Transfer der erworbenen Lernstrategien
4.4.1 Die Auswahl und Nutzung der Lernmaterialien
4.4.2 Kooperatives Lernen und die Einbeziehung der Eltern
4.4.3 Motivation
51
51
52
53
4.5 Rahmenbedingungen für Strategietrainingsprogramme
53
5. Fazit
54
Literaturverzeichnis
56
3
1. Einleitung
Die Ursachen von Lernschwierigkeiten sind häufig in Defiziten im Lern- und
Arbeitsverhalten der Lernenden zu finden. In meiner pädagogischen Arbeit, im Bereich der
Lernförderung, konnte ich feststellen, dass viele Kinder und Jugendliche, trotz
vorhandener Wissensbasis, große Schwierigkeiten bei der Organisation des Lernens, der
Strukturierung und dem Behalten ihres Lernstoffes, sowie bei der strategischen
Herangehensweise an spezifische Aufgaben haben. Das stundenlange Brüten über
Lernaufgaben oder die Plage mit dem Einprägen von Informationen liegt häufig daran,
dass die Schüler unzweckmäßig und ineffektiv lernen. Dies steht aus meiner Sicht häufig
im Zusammenhang mit den steigenden Anforderungen an die Selbstständigkeit beim
Lernen mit Beginn der Sekundarstufe. Viele Schüler scheinen mit höheren Anforderungen
an die Eigenverantwortung für das Lernen überfordert. In vielen Fällen führt diese
Überforderung zu passivem Schulverhalten und Demotivierung, bis hin zur gänzlichen
Verweigerung schulischer Anforderungen.
In der pädagogischen und lerntherapeutischen Arbeit sehe ich einen wichtigen Bereich
darin, Kinder und Jugendliche zum selbstständigen Lernen zu motivieren und ihnen
Strategien zu vermitteln, die sie dazu befähigen.
In meiner vorliegenden Arbeit gehe ich den Fragen nach, wie sich die biologischen
Grundlagen des Lernens auf den Lernprozess auswirken, wie Lernstrategien die
Lernleistung beeinflussen, und wie deren Anwendung insbesondere lernschwächeren
Schülern eine hilfreiche Unterstützung beim selbstständigen und erfolgreichen Lernen
bieten können.
Wenn in der Arbeit von Lernen1 die Rede ist, sind vornehmlich die kognitiven Lerninhalte
gemeint. Andere Inhaltsbereiche und Lernziele, wie das emotionale und soziale Lernen
oder die Übernahme von Werten, Einstellungen und Überzeugungen, werden nur am
Rande behandelt. Meine theoretische Ausführung stütze ich weitgehend auf die
Erkenntnisse der kognitiven-konstruktivistischen Sichtweise des Lernens, in der Lernen als
ein aktiver Informationsverarbeitungsprozess verstanden wird, und die Bedeutung der
selbstverantwortlichen Überwachung und Kontrolle des eigenen Lernens einen hohen
Stellenwert einnimmt.
1
„Definition Lernen: Lernen ist ein Prozess, bei dem es zu überdauernden Änderungen im
Verhaltenspotential als Folge von Erfahrung kommt.“ Hasselhorn, Gold, 2006, S.35
4
Drei wesentliche Komponenten des Lernens sind Wissen, Können und Wollen, die auch
als die drei Säulen des Lernens bezeichnet werden. Ein Lerner sollte sein eigenes Lernen
kennen und eindeutige Vorstellungen von günstig verlaufenden Lernprozessen haben, d.h.
er
sollte
über
metakognitives
Wissen
verfügen.
Des
Weiteren
besagt
die
Könnenskomponente, dass der Lerner Lernverfahren praktisch anwenden können sollte,
d.h. selbst steuern, instruieren und überprüfen können sollte. Drittens sollte ein Lerner vom
Nutzen der Lernverfahren überzeugt sein und sie anwenden wollen.2 Welche
Lernbedingungen zu einer günstigen Entwicklung der Komponenten „Wissen“, „Können“
und „Wollen“ des Lernenden führen und welche internen Faktoren die Lernleistung
beeinflussen, möchte ich im ersten Teil der Arbeit beschreiben.
Es geht darin um Lernbedingungen aus lernbiologischer und lernpsychologischer Sicht, der
Funktion des menschlichen Informationsverarbeitungssystems (Gedächtnis) und der
Wechselwirkung von Gedächtnisfunktionen, Emotionen und Motivation.
Anschließend beschreibe ich im Rahmen einer theoretischen Ausführung die Bedeutung
von Lernstrategien, Lerntechniken und metakognitiven Strategien für den Lernprozess.
Den Fragen, wie Lernstrategien den Lernprozess beeinflussen und in welcher Weise sie
sich positiv auf den Lernerfolg auswirken, gehe ich anschließend nach.
Mit der Vermittlung von Lernstrategien und den Fördermöglichkeiten im Rahmen
lerntherapeutischer Intervention beschäftigt sich das darauf folgende Kapitel.
Abschließend gehe ich auf wesentliche Aspekte bei der Förderung von lernschwachen
Kindern und Jugendlichen mit Defiziten in der Anwendung von Strategien und
Lerntechniken ein.
2. Lernbiologische Grundlagen
Gute Informationsverarbeitung/ Erfolgreiches Lernen setzt voraus, dass individuelle
Voraussetzungen gegeben sind, die ein zielführendes Aufnehmen, Verarbeiten und
Behalten neuer Informationen ermöglichen. Lernen beruht darauf, dass Informationen
aufgenommen, gespeichert und zum Zweck der Verhaltenssteuerung abgerufen und
eingesetzt werden. Abstrakt ausgedrückt bedeutet dies, dass Lernen darin besteht,
bestehende Kodierungen unter dem Eindruck neuer Kodierungen zu verändern.
2
Beddies, 2006, S. 31
5
Dieser Vorgang beinhaltet biochemische Veränderungen in den Nervenzellen des Gehirns,
auf die ich in diesem Kapitel noch näher eingehen, und damit der Frage nachgehe, wie
Lernen auf organischer Ebene funktioniert. Den nicht direkt beobachtbaren Veränderungen
im Kopf werde ich in diesem Kapitel besondere Aufmerksamkeit schenken, da sie für die
Gestaltung des institutionellen Lernens von entscheidender Bedeutung sind. Aus
neurodidaktischer Betrachtung beruhen Verhaltensänderungen, bzw. Lernprozesse, nicht
alleinig auf Änderungen in den ausführenden neuronalen Netzen, sondern sie vollziehen
sich in Abhängigkeit des engen zirkulär geregelten Zusammenhangs von Wahrnehmung,
neuronalem Speicher (Gedächtnis) und erfolgten Handlungen. Die Wahrnehmung,
verstanden als Aufnahme und Interpretation von Informationen der aktuellen
Gegebenheiten, spricht dabei eine Grundfunktion unseres Gehirns an. Die Feststellung,
dass das Wahrgenommene nicht ausschließlich von Reizen, sondern wesentlich davon
abhängt, wozu das Wahrgenommene in einem Handlungs- und Verhaltenskontext genutzt
werden soll, gilt auch im Bezugsrahmen der Didaktik.3
2.1. Das menschliche Gedächtnis
„Aus Erlebnissen der Seele werden Spuren im Gehirn.“4
Ungeachtet der in der Literatur kontrovers diskutierten Auffassungen was genau den
Lernprozess ausmacht, ist das Lernen ohne die besondere Instanz, - das Gedächtnis-, in der
die Ergebnisse der Lernprozesse konserviert werden nicht denkbar.
Das menschliche Gedächtnis ist nicht darauf angelegt, alles zu behalten, was um uns
herum vorgeht. Nur einen Teil unserer Umgebung nehmen wir wahr, nur einen Teil dessen,
was wir wahrnehmen, nehmen wir bewusst auf, und von den Inhalten, mit denen wir uns
befassen speichern wir wiederum nur einen Teil.5 „Kodieren, Speicher und Abrufen sind
die zentralen Leistungen des Gedächtnissystems. Sinneswahrnehmungen müssen erst
kodiert werden, ehe unser Arbeitsgedächtnis sie verwerten kann. Der Kodierungsprozess
entscheidet oft darüber, ob wir etwas verstehen oder behalten und was wir behalten. Wie
der Speichervorgang, ist der Kodierungsprozess beeinflussbar und somit auch ein
wichtiges Thema in der Instruktionspsychologie. Den Abrufprozess bemerkt man häufig
nur im Ergebnis, etwa wenn etwas eine Erinnerung weckt. Allerdings wird das Abrufen
auch oft bewusst erlebt, so wenn man versucht, sich an etwas zu erinnern und die
3
vgl. Friedrich, 2005, S.252
Spitzer, 2007, S. 3
5
vgl. Schräder-Naef, 1996, S. 64
4
6
Erinnerung sich nicht sofort einstellt.“6 In der Gedächtnistheorie konkurrieren
unterschiedliche Modellvorstellungen der Informationsspeicherung. Verbreitete MultiSpeicher-Modelle unterscheiden drei Arten der Speicherung von Informationen.7 Den
zahlreichen Informationsverarbeitungsmodellen des menschlichen Gedächtnisses sind
einige Grundannahmen gemein, die besagen, dass Lernen auf einem Informationsfluss
zwischen drei Hauptkomponenten des Gedächtnissystems, den sensorischen Registern,
einem Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis und einem Langzeitgedächtnis beruht.
2.1.1 Das Drei-Speicher-Modell der Informationsspeicherung
Das Drei- Speicher-Modell geht davon aus, dass Informationen über die Sinne
(Auge, Ohr, Geschmacks- oder Geruchssinn) in den sensorischen Speicher, auch
Ultrakurzzeitgedächtnis genannt, gelangen. Auch nach dem physikalischen Verschwinden
des Sinnesreizes ist die vollständige Information über ihn daher noch für kurze Zeit im
sensorischen Speicher. Wird die Information nicht wiederholt, geht ein visueller Reiz nach
ca. 0,5 Sek. und ein akustischer Reiz nach ca. 1-2 Sek. verloren.8 Vermutlich werden
bereits in diesem Repräsentationsstadium bestimmte Informationen extrahiert und mit
Hilfe der verfügbaren Wissensinhalte aus dem Langzeitgedächtnis identifiziert und
klassifiziert. Wird die so identifizierte Information beachtet und wird ihr damit bewusste
Aufmerksamkeit geschenkt, so gelangt sie in das Kurzzeitgedächtnis, das wegen seiner
vielfältigen Funktionen bei komplexen schulnahen Lernprozessen auch Arbeitsgedächtnis
genannt wird. Vom sensorischen Speicher gelangen die Informationen dann, wenn die
Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist, in den Kurzzeitspeicher, in dem sie einige Minuten
präsent bleiben. (andere Theorien gehen davon aus, dass das Kurzzeitgedächtnis eine
komplexe Ansammlung interagierender Subsysteme ist, die insgesamt auch als
Arbeitsgedächtnis bezeichnet werden.
Das Kurzzeitgedächtnis ist ein Speicher, der eine kleine Menge von Informationen in
einem aktiven jederzeit verfügbaren Stadium bereithält. In der Literatur gehen einige
Theorien davon aus, dass es über eine begrenzte Kapazität von 7 plus/minus 2
Informationseinheiten, die auch als Gedächtnisspanne oder „Chunks“ bezeichnet werden,
6
Klauer, 2007, S. 119
Klauer,2007, S.119
8
vgl. Konrad, Bernhart, 2007, S. 24
7
7
verfügt. Erst im Kurzzeitspeicher können Informationen durch Wiederholen erhalten
bleiben.9 Im Kurzzeit- bzw. Arbeitsgedächtnis werden Informationen „festgehalten“ und
über vielfältige Verarbeitungs- und Kontrollprozesse im Abgleich mit den im
Langzeitgedächtnis bereits vorhandenen Informationen bewertet, gruppiert und
transformiert. Einzelinformationen werden gebündelt und zu bedeutungstragenden
Einheiten umkodiert. Es erfolgt eine weitere Selektion und Interpretation der Information.
Wegen der engen Verzahnung von Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis beim Erwerb neuen
Wissens wird das Arbeitsgedächtnis auch bisweilen als aktivierter Teil des
Langzeitgedächtnisses beschrieben. Im Langzeitgedächtnis (es handelt sich nach Spitzer
nicht um ein einheitliches Gebilde, sondern um mehrere Speicherleistungen für
verschiedene Arten von Information) ist das überdauernde Wissen gespeichert. Über eine
begrenzte Aufnahmekapazität von Informationen in das Langzeitgedächtnis ist nichts
bekannt. Um vom Kurzzeitspeicher in den Langzeitspeicher zu gelangen, und dauerhaft
über mehrere Jahre gespeichert und somit gelernt zu werden, muss die Information weitere
Verarbeitungsschritte erfahren.10 Für die „Überführung“ von neuen Gedächtnisinhalten in
das Langzeitgedächtnis und das Bewahren von Informationen, ist Üben, Wiederholen und
das bewusste Abrufen und Zirkulieren von Informationen im Arbeitsgedächtnis
unerlässlich. Die Verankerung im Gedächtnis nimmt einerseits mit der Relevanz und der
Anzahl der Assoziationen, andererseits auch mit der emotionalen Bedeutung zu. Den
Zugang für Informationen in das Langzeitgedächtnis zu schaffen, ist ein Vorgang, in dem
im Gehirn „neuronale Umbauprozesse“ stattfinden, die 1-2 Tage andauern können. Dabei
hängt es sehr stark von der Bewertung der Informationen ab, welche den „engen
Flaschenhals“ passieren. Alles was einen emotional und motivational bewegt, erhöht die
Wahrscheinlichkeit der Speicherung im Langzeitgedächtnis.11
Als Alternativvorstellung zum „Drei –Speicher –Modell“ wird in der Literatur häufig der
„Level of Prozessing-Ansatz“ verfolgt. Die klassische Vorstellung eines Speichers mit bis
zu neun Speicherplätzen ist den Anhängern dieses modernen Ansatzes zu statisch, um ein
multifunktionales System wie das Arbeitsgedächtnis zu beschreiben.12
9
vgl. Hofmann, Löhle, 2004, S.18
10
vgl. Hofmann, Löhle, 2004, S.18
vgl. Scheich, 2008
12
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S. 72
11
8
Bei diesem Speichermodell hängt es wesentlich von der Verarbeitungstiefe ab, ob etwas
behalten und abrufbar ist. Der Kurzzeitspeicher wird dabei als Arbeitsgedächtnis definiert.
Spitzer äußert sich zu dem instruktionspsychologisch interessanten Ansatz wie folgt: „Je
intensiver die Verarbeitungstiefe der Inhalte, desto eher hinterlassen sie Spuren im
Gedächtnis“.13 Die Aufgabe dieses Arbeitsgedächtnisses besteht zum einen darin,
Informationen
kurzfristig
Rechenoperationen
oder
für
für
das
anstehende
Verstehen
Verarbeitungsprozesse
eines
Arbeitsauftrages
(z.B.
oder
für
eines
Textzusammenhangs) verfügbar zu halten. Zum anderen hat das Arbeitsgedächtnis die
Aufgabe, Informationen in geeigneter Weise aufzubereiten und präsent zu halten, um sie
im Langzeitgedächtnis so anzulegen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder
aufgegriffen werden können.14 Ein Nachdenken über etwas bewirkt, dass der Inhalt besser
im Gedächtnis bleibt. Ein einfaches Beispiel dafür sind Eselsbrücken. „Die besten
Eselsbrücken sind diejenigen, die man sich selber macht: In diesem Fall hat man durch das
Bauen der Brücken im Geist den Inhalt hin und her gewendet, über ihn nachgedacht und
ihn genau dadurch im Gedächtnis verankert.“15 Am Beispiel der Eselsbrücken verdeutlicht
Spitzer, dass Lernen kein passiver Vorgang ist, sondern ein aktiver Vorgang, in dessen
Verlauf sich Veränderungen im Gehirn des Lernenden abspielen.16
Die
Qualität
der
Übertragung
vom
Kurzzeit-
in
das
Langzeitgedächtnis
ist
ausschlaggebend für individuelle Abrufleistungen. Dieser Prozess hängt vor allem von der
Kapazität des Kurzzeit- und Arbeitsspeichers und den strategischen Aktivitäten des
Lernenden ab. Diese sind wiederum wesentlich durch das metakognitive Wissen (siehe
Punkt 3) über das eigene Gedächtnis und über die Anwendung von Strategien bestimmt.
In der modernen Gedächtnisforschung konnten visuell-räumliche Teilsysteme und
phonologische Teilsysteme für die jeweilige Verarbeitung von Informationen ausgemacht
werden. Im Rahmen dieser Arbeit beschränke ich mich auf die Ausführung der genannten
Ansätze
und
wende
mich
den
Schlussfolgerungen
für
das
Bearbeiten
von
Lernanforderungen zu. Die Frage, wie wissen erworben wird, lässt sich im Rahmen des
Informationsverarbeitungsansatzes zusammenfassend mit vier allgemeinen Prinzipien
darstellen.
13
Spitzer, 2007, S. 6
vgl. Friedrich, 2005, S.230
15
vgl. Spitzer, 2007, S. 9
16
Vgl. Spitzer, 2007, S. 4
14
9
Erstens
muss
der
Lernende
neuen
Informationen
genügend
Beachtung
und
Aufmerksamkeit zuwenden, zweiten bedarf es der Wiederholung und Übung, und drittens
muss die neue Information mit dem bisher verfügbaren Wissen abgeglichen und kongruent
gemacht werden. Viertens muss es zu einer Form der Konsolidierung des neuen Wissens
kommen.17
Folgende unmittelbare Konsequenzen für das Lernen ergeben sich aus den beschriebenen
Gedächtnisleistungen:
- im Hinblick auf die Gedächtnisspanne des Kurzzeitspeichers (max. 7 plus minus 2
Gedächtnisinhalte) sollten nicht mehr als sieben Inhalte pro Block sollten gelernt werden.
Es ist günstiger, eine größere Menge von Lernstoff in kleinere Bestandteile aufzuteilen
und zu verschiedenen Zeitpunkten zu wiederholen als den gesamten Lernstoff auf einmal
zu lernen. Danach ist es günstig etwas anderes zu tun und erst dann den nächsten Block
mit max. sieben Inhalten zu lernen. Der zeitliche Abstand zwischen zwei
Wiederholungsdurchgängen sollte zunehmend größer werden (Expanding Rehearsal),
weil die Behaltensleistung steigt, wenn die Wiederholungsdurchgänge nicht zu dicht
aufeinander folgen (Spacing-Effekt)18
- Aktive Formen der Wiederholung von Informationen stärken deren Gedächtnisspur. Die
aktive Wiederholung zeichnet sich dadurch aus, dass, z.B. durch Fragen stellen, versucht
wird, die zu wiederholende Information abzurufen19
- Begriffe, die innerhalb eines Übungsblocks noch eher schlecht behalten werden, sollten
an den Anfang oder an das Ende eines Lernblocks verschoben werden (serieller
Positionseffekt).
- Nach jedem Lernabschnitt sollten gezielt Pausen gemacht werden.
Das Kurzzeitgedächtnis sollte in dieser Zeit vor Interferenzen geschützt werden. 20 21
17
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S. 51
Lauth, Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 214
19
Lauth, Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 214
20
vgl. Hofmann, Löhle, 2004, S. 28
18
21
Mit „Interferenzen“ werden Überlagerungen und Durchmischungen von Informationen, die z.B. durch
große Informationsmengen, lernen ähnlicher Lerninhalte nacheinander, Gleichzeitigkeit von Informationen
(z.B. Fernsehen und Lernen), entstehen. Um Interferenzen zu vermeiden sind Entspannungsübungen vor
Beginn des Lernens und auch nach dem Lernen sehr hilfreich sein, da sie helfen das Gedächtnis „leer zu
räumen“, vgl.Hofmann, Löhle, 2004, S.26
10
2.1.2 Prozedurales und deklaratives Gedächtnis
Eine Unterscheidung bei der Beschreibung von Repräsentationsformen des menschlichen
Wissens wird zwischen deklarativem (deklaratives Gedächtnis) und nicht-deklarativem
(prozedurales Gedächtnis) Gedächtnis vorgenommen. In der kognitiven Psychologie und
der kognitiven Neurobiologie unterscheidet man zwischen prozeduralem Lernen und
deklarativem Lernen. Deklaratives Lernen bedeutet das Lernen verbalisierbarer Inhalte wie
Gedichte, Vokabeln, Fakten und Daten (wissen was..). Das prozedurale Lernen bezieht
sich auf das Erlernen von Handlungsabläufen wie Jonglieren, Fußballspielen, Fahrrad
fahren (wissen wie..). Entsprechend dieser Unterscheidung klassifiziert man die Orte der
Speicherung der Resultate der verschiedenen Lernprozesse als prozedurales (implizite)
Gedächtnis und deklaratives (explizites) Gedächtnis. Wiederum entsprechend der
Differenzierung in deklaratives und prozedurales Gedächtnis unterscheidet man explizites
bzw. implizites Lernen.22 Das explizite Gedächtnis bezieht sich auf Lernvorgänge
bezüglich verbalisierbarer Kenntnisse über Menschen, Orte und Dinge. Es sind ganz
konkrete Ereignisse, zu deren Erlangen ein waches Bewusstsein erforderlich ist. Die
Erinnerung an bestimmte Ereignisse gelingt durch die Form des expliziten Lernens.
Charakteristisch für diese Art des (expliziten) Erinnerns ist das subjektive Gefühl des
Erinnerns oder der Bekanntheit, mit dem der Abruf der Inhalte verbunden ist.
Das implizite Gedächtnis, dem eine Form des impliziten Lernens vorausgeht, speichert
Formen wahrnehmenden und motorischen Lernens, die kein waches Bewusstsein
erfordern. Das heißt, dass darunter auch unterbewusst wirkende Erfahrungen zu verstehen
sind.23 Prozedurales Lernen verwirklicht sich in einer unbewussten Weise: diese Lernform
führt zu bestimmten Verhaltensdispositionen oder Fähigkeiten, z.B. im motorischen
Bereich (Klavierspielen, Fahrrad fahren usw.). Ebenso gehören zum prozeduralen Lernen
das
nichtassoziative
Lernen
(Habituation
und
Sensitisierung),
das
klassische
Konditionieren, Priming (Erwartungseffekte, z.B. das Erkennen eines Wortes aufgrund der
Angabe der ersten Buchstaben) sowie das Erlernen von Gewohnheiten und Fertigkeiten
(Skill- oder Habit-Lernen). Prozedurales Lernen verläuft in der Regel langsam und bedarf
zur Konsolidierung im Gedächtnis der vielfachen Wiederholung und Übung.
22
vgl. Friedrich, 2005, S.229
23
vgl. Tschira, 2005, S. 92
11
Für das prozedurale Lernen ist ein Zugriff auf bereits vorhandene deklarative
Gedächtnisinhalte, also die Aktualisierung bestimmter Fakten oder Ereignisse nicht
erforderlich.24 Das deklarative Lernen betrifft die höhere Form des Lernens und vollzieht
sich im Gegensatz zum prozeduralen Lernen immer unter Beteiligung des Bewusstseins.
Beide „Lernformen“ beruhen vermutlich auf unterschiedlichen zellulären Mechanismen.
Die Gedächtnisinhalte werden in überwiegend getrennten neuronalen Schaltkreisen
implementiert.25
2.1.3 Vergessen
Im Unterschied zum Vorgang des Wissenserwerbs durch Aufnehmen, Behalten, Verstehen,
Anwenden und Transferieren, besitzen die Neuronen im Gehirn auch die Fähigkeit zum
Vergessen. Obwohl bis heute weder physikalische noch biochemische Mechanismen
bekannt sind, die einen derartigen Spurenzerfall von Repräsentationen im Gedächtnis
auslosen können, ist es denkbar, dass es aufgrund neuronaler Prozesse zu einem
zeitabhängigen Verblassen mentaler Repräsentationen kommen kann. Einflüsse die zum
Vergessen führen sind beispielsweise Interferenzen (S. Punkt 2.1.1) oder sich gegenseitig
hemmende Prozesse beim Wissenserwerb. Indem wir ständig neue Informationen
verarbeiten, sind auch derartige Überlagerungs- oder Hemmungsprozesse am Werk. Es
müssen jedoch nicht unbedingt Folgen von Spurenzerfall oder Überlagerung sein, wenn
wir etwas vergessen. Möglicherweise fehlt uns nur der nötige Schlüssel- bzw.
Abrufhinweis um die relevanten Repräsentationen hinreichend stark zu aktivieren, damit
sie im Gedächtnis bewusst werden. Diese Annahme basiert auf der Theorie des fehlenden
Abrufhinweises, die auf dem Prinzip der Enkodierungsspezifität basiert.26 Daraus folgt,
dass der Zugriff auf erworbenes Wissen umso besser gelingt, je mehr Hinweise aus der
Lernsituation, in der das Wissen erworben wurde, auch in der Abrufsituation verfügbar
sind. Ein Beispiel für das Prinzip der Enkodierungsspezifität ist die von Lehrkräften
beschriebene Beobachtung, dass Schüler in Prüfungen dann bessere Leistungen zeigen,
wenn die Prüfung auch in dem Raum stattfindet, indem der Prüfungsstoff erarbeitet wurde.
24
vgl. Friedrich, 2005, S. 225
25
vgl. Friedrich, 2005, S. 224
26
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S. 58
12
Allein der räumliche Kontext bietet solche Hinweisreize, die beim späteren Wissensabruf
hilfreich sind.27
2.2 Was beim Lernen im Gehirn unbemerkt geschieht
- Die Funktion der Nervenzellen und Synapsen Das Gehirn des Menschen wiegt etwa 1,4 Kilogramm. Es besteht im Wesentlichen aus
Nervenzellen (einige Milliarden Nervenzellen, sowie aus Faserverbindungen zwischen den
Neuronen).28 Die zum Gehirn ziehenden Nervenfasern übertragen Impulse, die im Hinblick
auf die Informationsverarbeitung den Input zum Gehirn darstellen. Die Übertragung der
Nervenimpulse von einem Neuron zum anderen geschieht an den Synapsen. Sie kann
stärker und schwächer sein. Es hängt von der Stärke der synaptischen Verbindung ab, ob
ein Impuls einen großen oder einen kleinen Effekt auf die Erregung des nachfolgenden
Neurons hat.29 Dabei vollzieht sich vereinfacht dargestellt folgender Vorgang: Ein Prinzip
neuronaler
Informationsverarbeitung
besteht
darin,
dass
Nervenzellen
durch
unterschiedliche Aspekte der Umgebung aktiviert werden.30 Eine über das Axon
(Nervenfaser) ankommende Erregung lässt die synaptischen Bläschen zur Membran
wandern und bringt sie zum Platzen. Der in den Spalt zwischen Synapse und Nachbarzelle
ausgeschüttete Transmitterstoff macht die Membran der Nachbarzelle für bestimme Ionen
(z.B. Kalium, Natrium und Chlor) durchlässiger. Dadurch werden Ionenverschiebungen
und somit auch elektrische Impulse in der Nachbarzelle ausgelöst.31
Die Nervenzellen sind auf die Speicherung und Verarbeitung von Informationen
spezialisiert.32 „Von jedem Auge zieht ein dickes Faserbündel mit jeweils etwa einer
Million Nervenfasern zum Gehirn. Von jedem Ohr kommen nur einige tausend Fasern, und
zählt man auch noch die Fasern von Haut, Mund und Nase dazu, so ergibt sich als
Gesamtinput des Gehirns eine Zahl von etwa 2,5 Millionen Fasern.“33
27
28
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S. 58
vgl. Spitzer, 2007, S. 15
29
vgl. Spitzer, 2007, S. 43
30
vgl. Spitzer, 2007, S. 96
31
vgl. Vester, 2004, S. 35
32
vgl. Spitzer, 2007, S. 53
33
Spitzer, 2007, S. 53
13
Die große Menge an Information wird vom Gehirn in einen Strom von Impulsen
umgesetzt, der das Gehirn über Fasern verlässt (Output) und das Verhalten steuert. Die
Verbindungen der Nervenzellen zueinander bezeichnet man als Neuronale Netzwerke.34
In und mit diesen Verbindungen findet im Gehirn Informationsverarbeitung in Form von
Wahrnehmung, Lernen und Denken statt. Da Neuronen symbolisch arbeiten, merken wir
davon nichts.
„Für Neuronen gibt es nur Aktivierung und Hemmung durch Impulse. Was wir erleben,
wenn wir die Augen schließen, ist nicht diese neuronale Informationsverarbeitung, sondern
ihre „Benutzeroberfläche“.35 Das Gehirn beherrscht die richtige Zuordnung aufgrund der
richtigen Stärke der Verbindungen zwischen Neuronen, was der Vernetzung der Neuronen
und insbesondere in den Stärken der synaptischen Verbindungen zugrunde liegt.
Ein neuer Lerninhalt muss in so genannten reverbatorischen Kreisen ein Erregungsmuster
durchlaufen. Die sich dadurch verschaltenden Nervenzellen zu Zellverbänden speichern
den gelernten Sachverhalt und erzeugen eine Verhaltensbereitschaft dahingehend, dass
diese Zellen bei erneuter Aktivierung rasch und stark reagieren und so das künftige
Verhalten beeinflussen.36
Nach Vester sind auch in den Neuronen Erkennungsmoleküle abgelagert, die darüber
entscheiden, ob die Synapse auf „An“ schaltet oder nicht.37
Somit ist die Information in Form von Verbindungsstärken zwischen Neuronen
gespeichert, die wiederum bewirken, dass das Gehirn bei einem bestimmten Input einen
bestimmten Output produziert. Diese bestimmten Synapsenstärken der eingehenden
Verbindungen nennt man allgemein auch Repräsentationen, innere „Abbilder“ bestimmter
äußerer, durch Reize vermittelter, Charakteristika und Strukturen der Umwelt.
34
vgl. Spitzer, 2007, S. 49
35
Spitzer, 2007, S. 54
36
vgl. Lauth, Grünke, Brunstein, Hrsg., 2004, S. 16
vgl.Vester, 2004, S. 36
37
14
Diese Repräsentationen entstehen durch Neuronen, die nur bei ganz bestimmtem Input
„feuern“ und damit auf diesen spezialisiert sind.38 „Gehirne und deren Bauteile, die
Nervenzellen (Neuronen), sind darauf spezialisiert, Repräsentationen in Abhängigkeit von
der Umgebung auszubilden und zu verändern. Nervenzellen stehen für bestimmte Aspekte
der Umgebung, für Ecken und Kanten, Gerüche und Klänge, für die Mutter und den Vater,
für Gesichter und vertraute Plätze, für Wörter und Bedeutungen, für Pläne, Wünsche und
Werte.“ 39
Lernen aus neurobiologischer Sicht besteht demzufolge in der Veränderung der Stärke
synaptischer Verbindungen zwischen Nervenzellen. Solche Modifikation findet nur an
Synapsen statt, die aktiv sind. Je aktiver neuronales Gewebe in einem bestimmten Bereich
der Gehirnrinde ist, desto eher findet in ihm Veränderung von Synapsenstärken
(Verstärkung oder Abschwächung) und damit Lernen statt.40 Warum dies so ist, liegt nach
Spitzer darin begründet, dass die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Ausschnitt dessen,
was gerade unsere Sinne erregt, die Aktivierung genau derjenigen neuronalen Strukturen
bewirkt, die für die Verarbeitung eben dieses Ausschnitts zuständig sind.
Entscheidend für absichtsvolles Lernen ist daher, dass ein Inhalt mehrmals gleiche
regelhafte Erregungsmuster hervorruft, damit die notwendigen Synapsenverbindungen
entstehen können. Im Schulalltag bedeutet das beispielsweise, die Wiederholung des
Lernstoffes durch entsprechende Unterrichtsmethodik, um eine Konsolidierung des Stoffes
zu ermöglichen oder durch selbstgesteuertes Lernen, indem ein Schüler von sich aus den
Stoff wiederholt. „Lernen setzt demzufolge eine regelhafte Informationszufuhr voraus, die
wiederum Abspeicherung und dadurch einen sichtbaren Lerngewinn entstehen lässt.“41
38
39
vgl. Spitzer, 2007, S. 28)
Spitzer, 2007, S. 12
40
vgl. Spitzer, 2007, S. 146
41
Lauth, Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 16
15
2.3 Lernbeeinflussende Faktoren
Wie bereits (in Punkt 2.1.2) beschrieben, sind der Speichervorgang von Informationen und
der
Kodierungsprozess
beeinflussbar.
Wie
insbesondere
mentale
Prozesse
die
Informationsaufnahme und das Behalten beeinflussen verdeutlicht das folgenden Kapitel.
Neben der Fähigkeit, Informationen zu speichern, gelten in der Literatur weitere
Einflussfaktoren wie Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Emotion, Schlaf, Motivation und
Anstrengungsbereitschaft für das Lernen. In den folgenden Punkten möchte ich kurz auf
die wesentlichen Aspekte der, sich gegenseitig beeinflussenden, Faktoren eingehen.
2.3.1 Aufmerksamkeit
Das Ausmaß des Behaltens von dargebotenem Material ist abhängig davon, wie stark die
Aufmerksamkeit dazu ist. Aus neurobiologischer Sicht ist die Begründung dafür zum
einen, die allgemeine Wachheit oder Vigilanz, die die Aktivierung des Gehirns überhaupt
betrifft und zum anderen, die selektive Aufmerksamkeit, die eine Zunahme der
Aktivierung der für die Information bedeutenden Gehirnareale bewirkt.42 Die bewusste
Aufnahme der Information ins Ultrakurzzeitgedächtnis hängt nach Vester von der
Aufmerksamkeit ab. Ob man aber für eine bestimmte Information Aufmerksamkeit
empfindet, ist wiederum von den bereits vorhandenen Assoziationen abhängig, das heißt
von den mit dieser Information bereits möglichen Gedankenverbindungen. Je mehr
bekannte Assoziationen durch eine neue Information angerührt werden, desto größer ist die
Chance, dass die Aufmerksamkeit geweckt wird.
Wenn keine Repräsentationen da sind, woran wir die neuen Informationen anknüpfen
können, wenn sie kein Erkennungssignal für das Gehirn haben, werden solche
Informationen bereits am „Eingang“ abgewimmelt. Dieser Eingang ist das Ultra – Kurzzeit
–Gedächtnis. In diesem halten sich die eingehenden Informationen einige Sekunden lang in
Form von messbaren Strömen auf und klingen dann, wenn sie nichts gefunden haben,
woran sie sich festhalten können, wieder ab.
Solche Informationen gehen an uns vorbei wie Straßenlärm oder die Laute einer fremden
Sprache. Die Aufmerksamkeit wird nicht geweckt, Assoziationen sind nicht vorhanden.
Nichts wird demzufolge gespeichert.
42
vgl. Spitzer, 2007, S. 156
16
Hat jedoch die Information den Eingang passiert, werden bestimmte Assoziationen
angesprochen, so ist der nächste Schritt des Lernens die Aufnahme in das KurzzeitGedächtnis, um dann schließlich ins Langzeit-Gedächtnis vorzudringen. Um ins
Kurzzeitgedächtnis zu gelangen, muss die Information in wenigen Sekunden aus dem
Ultrakurzzeit-Gedächtnis abgerufen werden, das heißt, dass sie sich an weiteren, bereits
fest gespeicherten Informationen (Assoziationen) verankern kann.
Über je mehr Wahrnehmungskanäle eine Information eintrifft, umso eher wird sie solche
Assoziationsmöglichkeiten vorfinden. Je mehr Assoziationen desto größer auch die
Motivation, der Beweggrund, der Antrieb und damit auch die Aufmerksamkeit zum
Lernen.
„Die beim Lernen gespeicherte Information besteht nicht nur aus Stoff, der gelernt wird
sondern auch aus allen dabei mitgespeicherten Wahrnehmungen.“43
2.3.2 Grundmuster der Wahrnehmung und Lerntypen
Die ersten Verdrahtungen unserer Neuronenverbindungen bewirken die Grundmuster der
Wahrnehmung eines Menschen. Die entscheidende Prägung unserer Grundmuster der
Wahrnehmung erfolgt in den ersten Monaten nach der Geburt. Die Grundmuster betreffen
auch die Eingangskanäle, wie Sehen, Hören, Fühlen, unserer sinnlichen Wahrnehmung, die
von Mensch zu Mensch verschieden ausgeprägt sein können. Die verschiedenen
Eingangskanäle ergeben eine Vielfalt in den Aufnahmemöglichkeiten eines Lernstoffes. Je
nach Grundmuster sind die Eingangskanäle zum Gedächtnis gänzlich anders verknüpft.
Aus diesem Zusammenhang lässt sich die in der Pädagogik weit verbreitete Theorie der
Existenz vieler verschiedener Lerntypen herleiten.44
Eine Fragebogenaktion bei Studenten und Schülern zeigte, dass es in einer Vorlesung mit
hundert Studenten beinahe ebenso viele Lerntypen gibt. Nach Vester waren die
Eingangskanäle tatsächlich unterschiedlich ausgebildet und zum Lernen unterschiedlich
geeignet. Der Autor weißt auf die vielen Faktoren hin, die mit den verschiedenen
Eingangskanälen in Wechselwirkung stehen. Dabei geht er von der Wechselwirkung des
Lernenden mit dem Lernstoff, der Umgebung, den individuellen Assoziationen, Gefühlen
und Gewohnheiten und der unterschiedlichen Reaktion des vegetativen Nervensystems mit
den damit gekoppelten hormonellen und Stoffwechselfunktionen aus.
43
Vester, 2004, S.61
44
vgl. Vester, 2004, S. 124
17
„Die Verknüpfung unterschiedlicher Lernvorlieben macht den individuellen Lerntyp
aus.“45 Auf jeden Lerntyp einzugehen wäre daher für Schulbuchautoren und Lehrer eine
unlösbare Aufgabe. Dennoch sollten Lehrende auf die grundlegenden Lerntypen (visueller
Lerntyp,
auditiver
Lerntyp,
medienorientierter
Lerntyp,
motorischer
Lerntyp,
kommunikativer Lerntyp) ihre Lehr- und Lernmethoden einrichten. „Wer seinen Lerntyp
kennt und ihn beim Lernen berücksichtigt, kann Informationen nachhaltiger aufnehmen.“46
Dadurch verkürzt sich die für das Lernen aufgewendete Zeit und die Chancen, dass man
sich an das Gelernte erinnert steigen. 47 Das Lernen wird damit für den Schüler interessant
und zu seiner eigenen Sache. Die Schüler nehmen ihre individuellen Kompetenzen wahr
und erfahren, dass sie diese selbstständig einsetzen können.
„Je mehr er darüber herausfindet, wie er am besten lernt, desto mehr wird er von sich selbst
verstehen.“ 48
2.3.3 Emotionen
Gefühle ermöglichen, dass wir schnell auf wichtige oder gefährliche Ereignisse reagieren
können. Auch wirken Emotionen förderlich bei kognitiven Funktionen, indem sie auf den
Prozess der Informationsverarbeitung, was wir wahrnehmen, Einfluss nehmen. Erlebnisse
werden mit den entsprechenden Emotionen verbunden und als Episode im Gedächtnis
gespeichert, was bedeutet, dass es zu einer stimmungskongruenten Verarbeitungs- und
Erinnerungsleitung kommt. Der besondere Einfluss von Emotionen auf das Lernen und
Behalten von Informationen basiert auch darauf, dass in emotional gefärbten Situationen
zusätzliche neuronale Strukturen repräsentiert sind.
49
In Untersuchungen der Wirkung
emotionaler Beteiligung für die Gedächtnisleistung konnte nachgewiesen werden, dass
bessere Ergebnisse im Behalten, z.B. von Informationen und Geschichten, erzielt werden,
wenn diese bei den Beteiligten emotionale Reaktionen ausgelöst haben. Akute emotionale
Erregung kann dazu führen dass, wir uns bestimmte Dinge besser behalten.50
Pektrun und Schiefele unterscheiden drei Arten von Emotionen, die jeweils
unterschiedliche Wirkungen auf den Lernvorgang erzeugen.
45
Falk-Frühbrodt, 2006, Kap.2
46
Falk-Frühbrodt, 2006, Kap.2
47
vgl. Falk-Frühbrodt, 2006, Kap.2
Vester, 2004, S. 131
48
49
50
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S. 115
vgl. Spitzer, 2007, S. 159
18
Die Positiven, aktivierend negativen und deaktivierenden negativen Emotionen. Positive
Emotionen wie Lernfreude, leistungsbezogene Hoffnung, Stolz wirken sich günstig auf die
intrinsische (s. Punkt 2.4.1.) Handlungsmotivation aus. Zu den aktivierenden negativen
Emotionen gehören Angst und Ärger, die zwar die psychische und physische
Handlungsbereitschaft stimulieren, insgesamt jedoch eher schädlich wirken, da sie u.a.
große Aufmerksamkeit abziehen und damit die Lernprozesse beeinträchtigen, die eine
optimale Kapazitätsausnutzung des Arbeitsspeichers benötigen. Hoffnungslosigkeit oder
Langeweile fallen in die Gruppe der deaktivierenden negativen Emotionen, weil sie einer
tieferen Verarbeitung von Emotionen entgegenstehen und die Motivation reduzieren.51
Eine positive Grundstimmung ist wichtig für das Lernen. Ohne Angst zu lernen bedeutet,
dass sich die Gedanken freier und offener entfalten können. Mit dem Ausdruck „Brain
needs Safety“ wurden bereits in den 90er Jahren Erkenntnisse der Hirnforschung
berücksichtigt und fanden Eingang in pädagogische Konzepte.52
Untersuchungsergebnisse zeigten deutlich, dass Emotion und Kognition oder Gefühl und
Denken miteinander verbunden sind. Bei diesem Versuch wollte man herausfinden, ob sich
die spätere Erinnerungsleistung für neutrale Wörter unterscheidet, je nachdem, ob diese
Wörter in einem positiven oder neutralen Gefühlszusammenhang eingespeichert werden,
und ob hierfür unterschiedliche Hirnregionen zuständig sind. Dafür wurden den
Versuchspersonen zunächst Bilder präsentiert, die entsprechend positive, negative oder
neutrale Emotionen hervorrufen, bevor ihnen jeweils ein neutrales Wort, welches sie
einspeichern sollten, gezeigt wurde. Mit dem Versuch konnte nachgewiesen werden, dass
der emotionale Kontext, indem die Einspeicherung der Wörter geschieht, einen
modulierenden Einfluss auf die spätere Erinnerungsleistung hat. Diejenigen Wörter wurden
am besten erinnert, die einen positiven emotionalen Kontext aufwiesen.53
51
52
53
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S.116
vgl. Spitzer, 2007, S. 164
vgl. Spitzer, 2007, S. 165
19
2.3.4 Stress
Das Wort Stress kommt aus dem Englischen und bedeutet Druck, Belastung, Spannung.
Mit dem Ausdruck kann sowohl eine Situation (Stressor) als auch ein Zustand (Stress)
eines Organismus gemeint sein.
Stresshormone wirken sich ungünstig auf Neuronen aus, insbesondere auf Neuronen des
Hippokampus54. Sie vermindern erstens die Glukoseaufnahme in das Gehirn und
reduzieren somit das zur Verfügung stehende Energieangebot. Zweitens führen
Glukokortikoide zwar nicht direkt zum Zelluntergang, erhöhen jedoch die Toxizität des
Neurotransmitters
Glutamat.
Stresshormone
führen
damit
zu
einer
erhöhten
Beanspruchung und zugleich zu einer verminderten Energiezufuhr von Neuronen. Da der
Hippokampus zu den aktivsten Strukturen des Zentralen Nervensystems gehört, ist er
besonders betroffen. Stress ist damit ungünstig für das Lernen und das Behalten.55 Vester
beschreibt die körperliche Reaktion von Stress an einem Beispiel aus dem Unterricht:
„Der Lehrer fragt eine Schülerin eine Frage auf die sie keine Antwort weiß, woraufhin der
Stressmechanismus einsetzt: das Wechselspiel der äußeren Wahrnehmung mit Gehirn und
Hormonreaktion hat begonnen. Der Symphatikusnerv erhielt kräftige Impulse über den
Hypothalamus im Zwischenhirn, Adrenalin und Noradrenalin werden aus der Nebenniere
ausgeschüttet. Die Blutgefäße verengen sich, das Herz schlägt schneller und stärker und
der Blutdruck steigt. Keine Erinnerungsbahn läuft mehr ihren gewohnten Weg. Längst sind
in ihrem Gehirn die richtigen Gedankenassoziationen verbaut: Synapsenstörung als Folge
der Transmitterhemmung - Denkblockade. Doch worauf ihr Organismus hier eigentlich
vorbereitet wurde, nämlich weglaufen oder schreien passiert nicht.“ 56Vester beschreibt ein
Grundphänomen, das sich ähnlich auch bei anderen Stressoren wie Lärm, optischer
Überreizung, Misserfolg, Aggression und Enttäuschung äußern kann.
Natürlich kann es nicht darum gehen, allen Stress zu vermeiden, so sollte man auch die
bewusste Bewältigung einer Stresssituation erlernen. Ein Lernvorgang selbst sollte jedoch
grundsätzlich stressfrei sein. Eine wesentliche Erkenntnis nach Vester ist, dass kein
54
Der griechische Name Hippokampus heißt übersetzt Seepferdchen. Der H. liegt tief im Inneren des
Gehirns, rechts und links an der Innenseite des Schläfenlappens der Großhirnrinde. Der H. ist notwendig
für das Lernen von Ereignissen, Fakten und neuen Sachverhalten
55
vgl. Spitzer, 2007, S. 171
56
Vester, 2004, S.120
20
Gefühl, kein Gedanke für sich allein existiert, sondern immer von biologischen Vorgängen
in unseren Körperzellen begleitet ist.57
2.3.5 Schlaf
Zwischen dem Hippokampus und der Gehirnrinde bestehen enge und vielfältige
Verbindungen. Wenn die gerade gelernten Inhalte im Hippokampus während des
nachfolgenden Tiefschlafs erneut aktiviert werden, bewirkt dies für den Kortex praktisch
eine erneute Darbietung dieser Inhalte. Im Tiefschlaf findet offline- Nachverarbeitung,
(postprocessing) statt.
„Der Hippokampus fungiert im Schlaf als Lehrer des Kortex (Großhirnrinde). Immer dann
wenn der Hippokampus etwas vorläufig gelernt hat, wird nachfolgend offline das Gelernte
zum Kortex übertragen. Dies geschieht im Tiefschlaf. Auf diese Weise lernt der prinzipiell
sehr langsam lernende Kortex im Laufe der Zeit alles Wichtige, was zuvor eben im
Hippokampus gespeichert worden war.“ 58Wird der Lernstoff noch kurz vor dem Schlafen
gehen wiederholt und nicht mehr von nachfolgenden Informationen (Fernsehen,
Diskussionen..) gestört (störende Interferenzen), kann der zu lernende Inhalt in das
Langzeitgedächtnis wandern, um dort abgespeichert zu werden. Wer Fakten zu lernen hat,
sollte auf seinen Schlaf achten und es vermeiden, die Nacht zum Tag zu machen, im
Glauben auf diese Weise noch mehr lernen zu können.59
2.3.6 Motivation
Auf die Frage hin, wie man es schafft Motivation zu erzeugen antwortet Spitzer:
„Menschen sind von Natur aus motiviert, sie können gar nicht anders, denn sie haben ein
äußerst effektives System hierfür im Gehirn.“60 Es stelle sich vielmehr die Frage, weshalb
so viele Menschen demotiviert sind.
57
vgl. Vester, 2004, S. 121
58
Spitzer, 2007, S. 124
59
vgl. Konrad, Bernhart, 2007, S.100
60
Spitzer, 2007. S. 192
21
2.4 Lernmotivation und Lernverhalten
Im Zusammenhang von Lernmotivation und Auswirkungen auf das Lernverhalten, gehe
ich in diesem Punkt auf wichtige Aspekte der Motivationsforschung ein.
Zu den wichtigsten motivationalen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens gehört die
Qualität des eigenen Lern- und Leistungsmotivsystems, das sich durch Erfolgsorientierung
bzw. Misserfolgsängstlichkeit, den damit eng verknüpften Attributionsstil sowie durch das
leistungsbezogene Selbstvertrauen bzw. durch die lern- und leistungsrelevanten
Selbstkonzepte gut charakterisieren lässt.61 Die Bedeutung und Zusammenhänge der
genannten Begriffe beschreibe ich im folgenden Punkt.
„Wer beim Lernen aufmerksam, motiviert und emotional dabei ist, der wird mehr
behalten.“
62
Lernmotivation wird im allgemeinen Sinn verstanden als der Wunsch, bzw.
die Absicht, bestimmte Inhalte oder Fertigkeiten zu lernen.63 Schiefele definiert Motivation
als ein zentrales Konstrukt der Verhaltenserklärung, die als psychische Kraft (bzw.
Verhaltensbereitschaft
oder
Verhaltenspotential),
den
wesentlichen
Aspekten
menschlichen Verhaltens zugrunde liegt. Diese Aspekte umfassen die Zielrichtung
(Auswahl bzw. Festlegung von Handlungszielen), die Persistenz (Aufrechterhaltung), und
die Intensität des Verhaltens (Ausmaß an Kraftanstrengung, Kraftaufwand und
Konzentration).64 Allgemein geht man davon aus, dass eine hohe Lernmotivation, den
Lernprozess begünstigt und sich positiv auf das Lernergebnis auswirkt.65
Schiefele fasst relevante Forschungsergebnisse für den Zusammenhang von Motivation
und Lernen unter vier Aspekten zusammen.
1. Motivation
kann
den
Enkodierungsprozess
und
die
Anstrengung
und
Aufmerksamkeit bei der Bearbeitung von Aufgaben beeinflussen
2. Motivation beeinflusst die Erinnerung an bestimmte Dinge und hat Einfluss auf die
Ausführung von gelerntem Verhalten
3. Lernen am Erfolg kann nur stattfinden wenn der Organismus motiviert ist. Das
Lernen von Ausführungsgewohnheiten (habits) ist ohne das Wirken motivationaler
Kräfte nicht zu denken.
61
62
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S. 102
Spitzer, 2007, S. 140
63
vgl. Schiefele, 1996, S. 50
64
vgl. Schiefele, 1996, S. 5
65
vgl. Beddies, 2006, S. 37
22
4. Bestimmte
motivationale
Zustände
(Überschreitungen
des
optimalen
Aktionsniveaus) führen zu Explorationsverhalten und Wissenserwerb66
Eine in der Literatur vorgenommene Unterscheidung wird mit der Zuordnung intrinsischer
und extrinsischer Lernmotivation vorgenommen. Auf die Begriffsklärung möchte ich im
nächsten Punkt eingehen.
2.4.1 Intrinsische und Extrinsische Motivation
Die intrinsische Motivation wird üblicherweise definiert als der Wunsch oder die Absicht,
eine bestimmte Lernhandlung durchzuführen, weil die Handlung selbst als interessant,
spannend oder zufrieden stellend erscheint. Bei intrinsischer Lernmotivation liegen die
Gründe für die Durchführung einer Handlung im Bereich der Handlung selbst, d.h. die
Handlung wird um ihrer selbst willen ausgeführt und nicht, weil ihr bestimmte
wünschenswerte Konsequenzen folgen (z.B. soziale Anerkennung).
Die extrinsische Motivation, definiert als Wunsch bzw. Absicht eine Lernhandlung
durchzuführen, weil damit positive Folgen herbeigeführt oder negative vermieden werden.
Wichtig ist dabei, dass diese Folgen außerhalb der eigentlichen Lernhandlung liegen und
mit dieser in keiner natürlichen bzw. unmittelbaren Beziehung stehen. Handlungen, die
eher instrumentellen Charakter haben sind folglich extrinsisch motiviert, auch wenn die
Folge dessen eine intrinsische Motivation beinhaltet. 67
2.4.2 Das Attributions- und Selbstbewertungsmodell nach Heckhausen
Die Frage, aus welchem Grund viele Schüler demotiviert sind, lässt sich mit den
Auswirkungen von Erfolg und Misserfolg beim Lernen auf das individuelle Lernverhalten
beschreiben.
In der Motivationsforschung, vor allem in der Leistungsmotivationsforschung, wurden die
Auswirkung von Erfolgen und Misserfolgen auf das Verhalten untersucht. Die
Ursachenzuschreibung (Attribution) der Person für das eigene Ergebnis wirkt sich
66
vgl. Schiefele,1996, S. 50
67
vgl. Schiefele, 1996, S. 59
23
maßgeblich auf das emotionale Empfinden der Person aus. „Die emotionale Reaktion nach
einem Erfolg oder Misserfolg hängt von der Verankerung der Ursache ab. Wird die
Umwelt verantwortlich gemacht, dann haben die Leistungsresultate weniger Auswirkung
auf die Selbstbewertung und sind somit auch weniger selbstwertgefährdend. Die
emotionale Reaktion fällt geringer aus. Wird die Ursache in der eigenen Person gesehen,
so sind die Auswirkungen auf die Selbstbewertung wesentlich gravierender, die emotionale
Reaktion erfolgt stärker.“68 Wenn man seinen Erfolg einer leichten Aufgabenstellung oder
dem Zufall zuschreibt, statt dem eigenen Können, ist das in der Folge wenig förderlich für
die Anstrengungsbereitschaft. Genauso negativ wirkt es sich aus, wenn man seinen
Misserfolg auf mangelnde Begabung statt auf ungenügendes Lernen zurückgeführt. In
diesem Zusammenhang wird auch von der Selbstwirksamkeitserwartung gesprochen, was
bedeutet, dass die eigene Überzeugung besteht, ein Ergebnis selbst herbeigeführt zu haben.
Erfolgszuversichtliche haben demzufolge ein günstiges Attributionsmuster, was dazu führt
dass die Selbstbewertungsbilanz bei diesen Personen insgesamt positiv ist. Dies führt dazu
dass Leistungssituationen als angenehm empfunden werden.
Misserfolgsmotivierte Personen meiden realistische Anforderungen. Erfolge sind für sie
eine Frage der Leichtigkeit der Aufgaben oder sie betrachten Erfolge als Glückssache.
Erfolge sind weniger bedeutsam für misserfolgsorientierte Personen. Misserfolge hingegen
wirken sehr belastend. Leistungssituationen erscheinen bedrohlich und werden daher
vermieden. Diese Verkettung führt zu einer „vermeidenden Motivation“.69
„Die Entstehung aktueller Motivation ist demnach in der Regel unmittelbar abhängig von
aktuellen motivationsbezogenen Kognitionen (z.B. Erfolgserwartungen, Valenz des
Handlungsergebnisses),
die
ihrerseits
von
überdauernden
Kognitionen
bzw.
Überzeugungen. Die Überzeugungen können z.B. durch im Langzeitgedächtnis
gespeicherte Erfolgserwartungen für einen bestimmten Aufgabentyp beeinflusst sein.“ 70
68
vgl. Bachmann, Beierlein, 2007, S.9
69
vgl. Bachmann, Beierlein, 2007, S.11
70
Schiefele, 1996, S. 6
24
2.4.3 Förderung der Lernmotivation
Muth/ Seidel antworten auf die Frage: Wie kann ich jemanden erfolgreich motivieren?
„indem ich sein Interesse wecke, seine persönlichen Ziele erreichen zu wollen.“71
Für die Förderung und Aufrechterhaltung intrinsischer Motivation sind Bedingungen
erforderlich, die mit der Lerntätigkeit die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse, wie
eigenes Kompetenzerleben, Selbstbestimmung und soziale Eingebundenheit, erlauben.
Motivationsförderansätze auf der Grundlage der Theorie von Deci und Ryan zielen darauf
ab, ein positives Erleben während des Lernprozesses zu ermöglichen und die persönliche
Bedeutung des Lernstoffs für den Lernenden zu erhöhen. Nach Schiefele bewirken
folgende Ansätze eine Motivationsförderung von Schülern:
1) Förderung der Wahrnehmung eigener Kompetenzen
2) Förderung der Selbstbestimmung während des Lernprozesses
3) Förderung der sozialen Einbindung
4) Förderung der persönlichen Bedeutsamkeit des Lerngegenstands z.B. durch
lebenspraktischen Bezug. 72
Die ersten drei Punkte fördern besonders das positive Erleben in der Lernsituation und
tragen damit indirekt zur Interessenssteigerung bei. Die Erhöhung der persönlichen
Bedeutung des Lerngegenstandes wirkt sich dagegen direkt positiv auf das Interesse aus.73
Basierend
auf
Heckhausens
Selbstbewertungsmodell,
entwickelte
Fries
ein
Trainingsprogramm zur gleichzeitigen Förderung kognitiver Kompetenzen des Lern- und
Leistungsmotivs. Für die Motivförderung formulierte er drei Ziele, die zugleich
erfolgreiche Ansätze markieren.
1. Lernende sollen dahin geführt werden, sich selbst ein realistisches Anspruchsniveau zu
setzen. Misserfolgsängstliche neigen dazu, sich zu niedrige oder zu hohe Ziele zu setzen.
Im ersten Fall vermeiden sie den Misserfolg, strengen sich aber auch nicht sehr an. Im
zweiten Fall rechnen sie vorn vorne herein mit dem Misserfolg, weil der Anspruch zu
hoch gegriffen war, als Erklärung dient das Argument nicht gut genug zu sein.
71
Muth/ Seidel, 2005, S. 19
72
Bachmann, Beierlein, 2007, S.38
73
vgl. Bachmann, Beierlein, 2007, S.38
25
2. Als zweites Ziel einer systematischen Motivförderung kommt es darauf an, dass die
Lernenden ein erfolgszuversichtliches Attributionsmuster zeigen. Ein Erfolg sollte nicht
mit dem Zufall begründet werden, sondern mit ihrem eigenen Fleiß und Begabung. Einen
Misserfolg sollten sie dagegen keinesfalls auf Unvermögen zurückführen, sondern auf
fehlenden Fleiß.
3. Das dritte Ziel bezieht sich schließlich auf die Selbstbewertungsbilanz in
Leistungssituationen. Hier geht es darum, die Lernenden zu ermuntern, sich mehr über
Erfolge zu freuen, als über Misserfolge zu ärgern oder gar zu verzweifeln.
Diese drei Komponenten helfen dabei, die Lernmotivation zu stabilisieren. Für den
Lehrenden bedeutet dieses Wissen um die Faktoren, die Komponenten realistisches
Anspruchsniveau,
erfolgszuversichtliche
Selbstbewertungsbilanzen systematisch zu fördern.
Attributionen
und
positive
74
2.5 Zusammenfassung
Motivationale Orientierung erfährt in der aktuellen Forschung große Beachtung. Darin
spiegelt sich die Einsicht wider, dass es sich beim Lernen und Denken keineswegs um rein
rational gesteuerte und logisch strukturierte Prozesse handelt. Eine zentrale Voraussetzung
für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Interessen besteht darin, dass eine
Lerntätigkeit
mit
der
Erfüllung
grundlegender
Bedürfnisse
nach
Kompetenz,
Selbstbestimmung und sozialer Eingebunden verbunden wird.
Die Wechselwirkung der benannten Faktoren ist bedeutend für die Verankerung und
Verarbeitung des Stoffes. Emotional-motivationale Aspekte beeinflussen das Denken und
umgekehrt determinieren Wahrnehmung, Interpretation, Zielvorstellung unser emotionales
Befinden. Man kann von einem Zusammenspiel zwischen Wollen, Wissen und Können
sprechen.75 Die allgemeinen Prinzipien der Informationsverarbeitung (Aufmerksamkeit,
Wiederholung, Übung, Kongruenz mit vorhandenem Wissen) sind Ansätze der
Lernforschung auf der Suche nach erleichternden Bedingungen des Lernens.
Das alte Sprichwort „Übung macht den Meister“ ist der Ausdruck einer alten
Binsenweisheit und bedeutet, dass häufiges Wiederholen zu einer besseren Verfügbarkeit
von Kenntnissen und von Fertigkeiten führt. Bereits im letzten Jahrhundert kamen
74
vgl. Klauer, Leutner, 2007, S. 78
75
vgl. Konrad, Bernhart, 2007, S.17
26
Forscher zu der Erkenntnis, dass die Menge des verfügbaren Wissens linear von der für das
Lernen aufgewendeten Zeit abhängt. Besonders effektiv ist die Förderung von Interessen
dann, wenn sie mit der Vermittlung von Lernstrategien kombiniert wird. Die Förderung
von Interesse erhöht die Bereitschaft, dass erworbene Strategien tatsächlich auf eine
Lernaufgabe angewendet werden, während die Anwendung von Strategien sicherstellt,
dass Interessen auch mit wachsenden Kenntnissen verbunden werden.76
Viele Techniken, die der Wiederholung, dem Enkodieren und dem Behalten dienen
wurden schon in der Antike benutzt (z.B. die Loci Methode77). Im nächsten Punkt gehe ich
nach einer differenzierten Betrachtung von Lernstrategien der Frage nach, wie sich die
Anwendung von Lernstrategien auf den Lernprozess auswirkt und wie sich die
Lerneffizienz durch die Anwendung geeigneter Strategien und Lerntechniken optimieren
lässt.
76
vgl. Lauth, Grünke, Brunstein, Hrsg., 2003, S. 144
77
Die Loci Methode (Methode der Orte) war für lange Zeit vergessen und wurde von psychologischen
Forschern wieder entdeckt und eingesetzt. Sie eignet sich, um Objekte abrufbar einzuprägen, die nicht
erkennbar miteinander verknüpft sind. Man nimmt dazu eine Reihe nicht zusammen hängender Wörter, die
zu lernen und später zu reproduzieren sind. Soll man etwa die Liste Butter, Zwiebel, Reißnagel, Brötchen,
Apfelsaft merken, so liegt es nahe, die Liste so zu ordnen wie man durch einen bekannten Supermarkt geht,
und sich die Stationen merken muss, an denen man halten muss. Erfolgreich wurde die Methode mit Senioren
erprobt. Der aktuelle Nutzen ist nach Klauer fraglich, besonders im Hinblick auf die Notwendigkeit, lange
Listen auswendig zu lernen. vgl. Klauer, 2007, S. 137
27
3. Lernstrategien und Lerntechniken
Das Geschehen im Lernprozess nimmt den zentralen Platz meiner Überlegungen ein. Nicht
nur die funktional verfügbare selektive Aufmerksamkeit und das bereits vorhandene
Vorwissen sind bedeutsam für die Qualität mit der Informationen im Lernprozess
verarbeitet werden. Von entscheidender Bedeutung für erfolgreiches Lernen sind auch
Techniken und Strategien des Lernens und der Informationsverarbeitung. Auf der
Grundlage bisheriger Forschung und theoretischer Ansätze (s. Punkt 2) werden neben den
zentralen Verstehensprozessen vor allem der Einsatz von Lernstrategien und die
Zuwendung von Aufmerksamkeit als relevante Lernprozessvariablen betrachtet. Im
Folgenden werden die theoretischen Grundlagen von Lernstrategien und deren Anwendung
beim Lernen behandelt.
3.1 Definition: Lernstrategien
„Unter Lernstrategien versteht man Prozesse bzw. Aktivitäten, die auf ein Lern- oder
Behaltensziel ausgerichtet sind und die über obligatorische Vorgänge bei der Bearbeitung
einer Lernanforderung hinausgehen. Lernstrategien weisen wenigstens eine zusätzliche
akzessorische Eigenschaft auf, indem sie entweder intentional, bewusst, spontan, selektiv,
kontrolliert und/oder kapazitätsbelastend sind bzw. eingesetzt werden.“78
Lernstrategien sollen Lernprozesse regeln, ihren Ablauf gewähren und unterstützen. Dabei
haben sie selbst keinen eigenen Inhalt und können deshalb auf verschiedene Lerninhalte
angewendet werden.79 In der Literatur unterscheiden einige Autoren zwischen Techniken
und Strategien. Dabei umfassen die Strategien, Techniken und Methoden, die deren
Umsetzung dienen. Während konkrete verhaltensbezogene und kognitive Lernaktivitäten
(Schreiben einer Zusammenfassung, bildliche Vorstellungen) als Lerntechniken bezeichnet
werden, versteht man unter einer Lernstrategie eine Sequenz einzelner Lerntechniken, mit
der ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Andere Autoren fassen unter Lernstrategien
alle kognitiven Prozesse zusammen, die sich mit den Begriffen Flexibilität,
Zielorientiertheit und Effizienz charakterisieren lassen.
Hasselhorn
unterscheidet
besondere
Anwendungsmerkmale
von
Lernstrategien:
Lernstrategien werden absichtlich, bewusst und spontan eingesetzt, von den Lernenden
78
79
Hasselhorn, Gold, 2006, S. 90
vgl. Beddies, 2006, S. 6
28
ausgewählt und kontrolliert. Dabei verbraucht der Strategieeinsatz Anteile der begrenzten
Kapazität des Arbeitsgedächtnisses. Die Verfügbarkeit und die Qualität von Lernstrategien
zählen zu den entscheidenden Bedingungen erfolgreichen Lernens.
In der aktuellen Literatur zur Lernstrategieforschung wird häufig eine Taxonomierung
verwendet,
bei
der
je
nach
Direktheitsgrad
des
Einwirkens
auf
den
Informationsverarbeitungsprozess kognitive, metakognitive und ressourcenbezogene
Strategien klassifiziert werden. Diese Taxonomierung ist eine Mischform aus der
Einteilung in Primär- und Stützstrategien.
3.2.Primärstrategien
Unter Primärstrategien versteht man allgemein solche Strategien, die direkt auf den
Prozess der Informationsverarbeitung einwirken. Sie bewirken ein besseres Verstehen,
Behalten, Abrufen und Transferieren der Informationen. Dabei kommt es zu
Veränderungen kognitiver Strukturen und Prozesse. 80
3.2.1Wiederholungsstrategien
Durch Wiederholung gelangen Informationen vom sensorischen Speicher in das für das
Behalten der Information relevante Langzeitgedächtnis. (z.B. durch mehrmaliges Lesen
einer bestimmten Textstelle, Auswendiglernen von Formeln, „erhaltendes Wiederholen“
(Rehearsal), bedeutet z.B. einen Arbeitsauftrag mehrmals zu wiederholen, um ihn zu
behalten, Mnemotechniken)81 Die neuen Informationen werden so zum Bestandteil des
(Vor-)Wissens. Besonders effektive Behaltensstrategien nutzen eine Kombination der
Funktionsmechanismen der unterschiedlichen Hilfssysteme des Arbeitsgedächtnisses,
indem sie klanglich-sprachliche und bildliche Kodierungsformen miteinander verknüpfen.
Hier ein Beispiel für das Behalten mit der Schlüsselwortmethode, einer effektiven Methode
für das Erlernen und Behalten von besonders schwierigen Vokabeln. Bei der
Schlüsselwortmethode geht es darum, das Erlernen der Verknüpfung zwischen einer
Fremdsprachenvokabel und ihrer muttersprachlichen Bedeutung zu erleichtern. Sie besteht
aus zwei „Brücken“, einer akustischen und einer bildlichen, die mit der Vokabel verbunden
werden. Die Behaltenserleichterung ergibt sich daraus, dass eine bildhafte Repräsentation
80
vgl. Beddies, 2006, S. 9
81
Lauth, Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 213
29
der verbalen hinzukommt. Soll z.B. die Vokabel „bean“ (Bohne) gelernt werden, wird im
ersten Schritt ein klanglich ähnliches deutsches Wort ausgewählt (Biene). Im zweiten
Schritt wird eine bildliche Brücke zwischen dem Schlüsselwort und der Wortbedeutung
des Fremdwortes hergestellt (die Biene sitzt auf einer Bohne). In Prüfsituationen „Was
heißt „bean“ wird die Klangassoziation zur Biene das Vorstellungsbild einer Biene und
damit die bildliche Brücke aktualisiert. Das was merkwürdig erscheint in dem Bild (Biene
auf einer Bohne), ist die gesuchte Übersetzung.82
3.2.2 Elaborationsstrategien
Elaborationsstrategien unterstützen die Integration der neuen Informationen in die bereits
bestehenden kognitiven Strukturen.
Elaborative Prozesse stellen sachlich-thematische Bezüge sowohl innerhalb des neu zu
erwerbenden Stoffes als auch zwischen diesem und bereits gespeichertem Wissen her.
Beim Lernen muss das neue Wissen in eine bestehende Struktur eingebaut und mit dem
bereits Gelernten verknüpft werden.83 Strategien, bei denen der Lernende aktiv Beziehung
zwischen Ideen und Informationen herstellen muss, werden auch als generative Strategien
bezeichnet. Unterrichtsstoff, ebenso wie Lerntexte beruhen immer auf Vorwissen; die
Lernenden müssen die Hintergründe kennen, um die Lücken zu füllen. Umso besser wird
neues Wissen behalten, je stärker es mit Elaborationen verknüpft wird. Eine generative
Strategie wäre z.B. die Analogiebildung. Analogien können hilfreich sein, um bestimmte
Merkmale des neu zu erlernenden besser zu verdeutlichen. Eine wirksame Strategie zur
Förderung elaborativer Prozesse ist die Selbstbefragung (z.B. durch sog. „W-Fragen“).
Generiert der Lernende Fragen an den Text und versucht diese unter Rückgriff auf den
Text zu beantworten, so führt dies zu besseren Verstehens und Behaltensleistungen.
Widersprüche, Informationslücken und Inkonsequenzen kann man durch die Strategie des
Vergleichens erarbeiten.84 Andere elaborative Strategien dienen dem Einprägen und
Behalten von isolierten Einzelfakten und unstrukturierten Informationen wie Vokabeln,
Namen oder Bezeichnungen durch Bildhafte Vorstellungen, Eselsbrücken, Verknüpfungen,
82
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S. 92
Piaget beschreibt diesen Vorgang des Verknüpfens von neuem Lernstoff mit vorhandenem Wissen als
Organisation. Organisation bedeutet die Koordination von Strukturen und Aktivitäten zu komplexen
Funktionen, vgl. Beddies, 2006, S. 19
84
vgl. Klauer, 2007, S.109
83
30
die als Gedächtnisstützen dienen.85Es kommt zu einer Interaktion zwischen altem und
neuem Wissen, die zu einem veränderten Interaktionsprodukt, einer neuen kognitiven
Struktur führt.86
3.2.3 Reduktiv - organisierende Strategien
Während die Speicherkapazität im Gehirn riesig ist, ist seine Aufnahmekapazität
beschränkt (vgl. Punkt 2). Zur Aufnahme von komplexen Detailinformationen in den
begrenzten Arbeitsspeicher des Gehirns müssen sie reduziert und organisiert werden. Beim
Lernen muss deshalb die Informationsfülle reduziert, wichtige und unwichtige Inhalte
unterschieden und die Hauptideen oder Schlüsselbegriffe identifiziert werden.
Selbsterstellte Zusammenfassungen, übersichtliche, kurze Notizen, Graphiken oder MindMaps dienen als Strukturierungshilfen und sind geeignet, den Lernstoff zu reduzieren.87
Besonders effektiv sind diese Strategien im Zusammenhang mit Lernen aus Texten. Die
reduktiv-organisierenden, z.B. Textverabeitungsstrategien (beispielsweise die „5-Gang
Lesetechnik“) zählen zu den spezifischen Strategien im Unterschied zu allgemeinen
Strategien (Stützstrategien). Ihr Einsatzbereich ist begrenzt, so können z.B. Techniken wie
Fragen stellen, Zusammenfassen, Schlüsselwörter unterstreichen usw., bei Texten
unterschiedlichen Inhaltes eingesetzt werden, nicht aber in anderen Inhaltsbereichen.88
3.3 Stützstrategien
Die Funktion von Stützstrategien besteht darin, günstige Rahmenbedingungen für das
Lernen zu schaffen. Sie setzen den Informationsverarbeitungsprozess in Gang und
bewirken die Steuerung und Aufrechterhaltung. Sie werden auch als SelbstmanagementAktivitäten bezeichnet und umfassen Techniken und Methoden, die der Motivation zum
selbstständigen Lernen dienen, die Zeitplanung und Organisation des Arbeitsplatzes
beinhalten, sowie der Konzentration und Entspannung dienen, und somit in jeder
Lernsituation eine günstige Wirkung erzielen.89 Eine Unterscheidung der Stützstrategien
85
vgl. Schräder-Naef, 1996, S. 65
vgl. Konrad, Bernhart, 2007, S.21
87
vgl. Schräder-Naef, 1996, S. 65
88
vgl. Kerstin Beddies, 2006, S.11
89
Beddies, 2006, S. 10
86
31
wird in der Literatur in den emotional-motivationalen Stützstrategien und den
organisierend-kontrollierenden Stützstrategien vorgenommen.
3.3.1 Emotional - motivationale Stützstrategien
Dies
sind
Selbstmotivierungstechniken,
z.B.
durch
Belohnung
für
bestimmte
Lernleistungen oder positive Suggestion für den Lernprozess. Die Abschirmungsstrategien
(z.B. lernen in ausgeglichenem Gemütszustand und nicht emotional bewegenden
Ereignissen) sollten vor konkurrierenden Zielen oder Wünschen schützen.
3.3.2 Organisierend - kontrollierende Stützstrategien
Die „Selbstmanagementtechnik“ beinhaltet die Zeitplanung, und den Einsatz von
Strategien zur Zielfindung sowie die Strategien der metakognitiven Kontrolle („exekutive
Strategien“)90
3.4 Metakognition und Metagedächtnis
In der Pädagogischen Psychologie ist häufig die Rede vom Metagedächtnis. Dabei handelt
es sich nicht um ein spezielles Gedächtnis, sondern um ein spezielles Wissen von seinen
eigenen Gedächtnisleistungen. Der Begriff Metakognition geht auf die konstruktivistischen
Ansätze des Lernens zurück.91 Unterstützende Prozesse des aktiven Lernens, die
Bedeutung von selbstverantwortlicher Überwachung und Kontrolle werden seit den
1970er- Jahren unter dem Begriff der Metakognition erforscht.92
Es wird auch hier (vgl. Punkt 2) zwischen deklarativem und prozeduralem Metagedächtnis
unterschieden. Das deklarative Metagedächtnis beschäftigt sich mit Faktenwissen über
Bedingungsfaktoren von Gedächtnisleistungen, die beispielsweise mit personalen
Aspekten
wie
Alter
oder
aufgabenspezifischen
Aspekten
wie
Materialart
zusammenhängen. Das prozedurale Metagedächtnis umfasst Handlungswissen über die
90
vgl. Konrad, Bernhart, 2007, S. 23
Gemäß kognitiv- konstruktivistischen Vorstellungen von Lernprozessen ist der Wissensaufbau ein aktiver
Prozess, in dessen Verlauf Informationen interpretiert und akzentuiert werden. Subjektive Vorerfahrungen
und Intentionen von Lernenden sind deshalb wesentliche Rahmenbedingungen des Wissensaufbaus. Durch
seine Eigenaktivität konstruiert der Lernende eine mentale und subjektive Repräsentation der neuen
Information, subjektiv insofern als es sich dabei stets um eine Interpretation und Bedeutungszuschreibung
auf der Basis bereits bestehender Wissenselemente und Lernintentionen handelt. vgl. Hasselhorn, Gold,
2006, S. 64
92
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S.64
91
32
Regulierung und Kontrolle gedächtnisbezogener Aktivitäten. Fortschritte in diesem
Bereich zeigen sich beispielsweise in einer größeren Genauigkeit bei der Einschätzung der
eigenen Leistung oder bei der Investition von Lernzeit.93
Konkret geht es mit der Bezeichnung Metagedächtnis um deklaratives Wissen, (etwa zu
wissen, welche Aufgaben einem leicht und welche einem schwer fallen, was das Lernen
unterstützt und was es beeinträchtigt), und um prozedurales Wissen, (etwa mit welchen
Einprägungsstrategien man guten Erfolg hat, wie man seinen Übungsprozess überwachen
und erfolgreich planen und steuern kann).
Mit einer Unterscheidung in den deklarativen und exekutiven Kontrollaspekt der
Metakognition bezieht sich die Literatur auf all das, was eine Person über ihre eigenen
kognitiven Prozesse weiß (deklarativ) und auf die aktiven Überwachungsvorgänge und
Kontrollmaßnahmen, die im Hinblick auf diese kognitiven Prozesse ergriffen werden.94
Das Wissen über Kognition lässt sich spezifisch als Wissen über den Einfluss von Person-,
Aufgaben- und Strategiefaktoren auf die Lernleistung charakterisieren. Wissen um
Personenmerkmale bezieht sich auf die Kenntnis und angemessene Einschätzung der
eigenen Lern- und Erinnerungsmöglichkeiten. Zum Aufgabenwissen gehört die Kenntnis
von Faktoren, die eine Lernanforderung erleichtern oder erschweren. Mit Wissen um
Strategiemerkmale ist das Wissen über allgemeine und speziellen Lern- und
Behaltensstrategien gemeint.
„Im Lernalltag von Schülern kommt den Wechselbeziehungen zwischen allen drei
metakognitiven Wissensaspekten eine besondere Bedeutung zu, da es oft wichtig ist zu
wissen, in welchen Situationen, zu welchen Zeitpunkten und in welcher Weise welche
Lernstrategien besonders effektiv sind.“ 95
Es
bestehen
empirisch
belegte
Zusammenhänge
zwischen
Metagedächtnis,
Gedächtnisbezogenem Verhalten (Strategieanwenden) und Gedächtnisleistung. Der
Gebrauch angemessener Strategien wird durch das Wissen über Gedächtnisprozesse und
deren Bedingungen (Metagedächtnis) begünstigt. 96Die Metastrategien werden nach Klauer
den kognitiven Lernstrategien übergeordnet, da dem Aspekt der eigenen Steuerung und
93
vgl. Beddies, 2006, S. 26
94
vgl. Nold, 1992, S.37
95
vgl. Nold, 1992, S.37
vgl. Beddies, 2006, S. 12
96
33
Reflektion des eigenen Lernprozesses eine große Bedeutung beigemessen wird, wenn es
sich um selbstgesteuertes und wirkungsvolles Lernen handeln soll.97
Dass Metakognitionen einen entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg haben, konnte in
verschiedenen
Studien
gezeigt
werden.
Der
Einfluss
kann
verschiedene
Wirkungsmechanismen einsetzen. Komponenten der verschiedenen Subkategorien von
Metakognitionen können dafür verantwortlich sein, dass beim Bearbeiten einer
Lernanforderung eine Reflexion über den eigenen Lernprozess, über den erreichten
Wissensstand und über die strategischen Lernmöglichkeiten in Gang gesetzt wird
(beispielsweise bemerkt man bei dem Versuch, die Inhalte eines gelesenen Textes
zusammenzufassen, dass man einen Textabschnitt noch nicht verstanden hat und beginnt
deshalb von Neuem mit der Planung und Ausführung von Aktivitäten, um das
Verständnisproblem
zu
überwinden.)
Eine
zentrale
Rolle
bei
metakognitiven
Lernprozessen spielt die Reflexion über den eigenen Lernprozess und dadurch ausgelöste
Strategien. Ein weiteres Klassifikationsschema verweißt auf die Sensitivität des Lerners,
die für die Anwendung von Strategien von Bedeutung ist. Unter Sensitivität versteht man
das Gespür für die derzeit verfügbaren Möglichkeiten eigener kognitiver Aktivitäten. Erst
wenn der Lernende erkennt, dass für die Lernsituation eine Strategie erforderlich ist, kann
er verfügbares Wissen einsetzen und die Strategie anwenden.98
3.4.1 Spezifisches Strategiewissen
Das Wissen über spezifische Techniken und Strategien beinhaltet ein Verständnis der Ziele
einer Strategie und über die Aufgaben, für die eine Strategie besonders geeignet ist.
Darüber hinaus beinhaltet es das Wissen über Anwendungsmöglichkeiten und Nutzen
sowie die Kenntnis darüber, wie viel Anstrengung der Einsatz einer Strategie erfordert.
Erst die Anwendung und der kontinuierliche Nutzen einer Strategie und das Erfahren
positiver Lernresultate führen zu einer Verbesserung spezifischem Strategiewissens.
97
vgl. Klauer, 2007, S. 242
98
vgl. Nold, 1992, S. 37
34
3.4.2 Relationales Strategiewissen
Darunter ist eine Klassifikation spezifischer Strategien zu verstehen, aus der Stärken und
Schwächen
der
einzelnen
Strategien
in
Abhängigkeit
etwa
verschiedener
Aufgabenanforderungen erkannt werden.
3.4.3 Generelles Strategiewissen
Dies bedeutet, dass die Akkumulation von spezifischem und relationalem Strategiewissen
zu einem allgemeinen Wissen darüber, dass der Einsatz bewusste lohnende Anstrengung
erfordert, da strategisches Lernen oft zu besseren Resultaten als nicht-strategisches Lernen
führt. Mit diesem Erfahrungswissen, von anderen Autoren als Sensitivität bezeichnet, wird
die enge Vernetzung von Metakognition und Motivation im Lernverhalten deutlich.
„Zunehmendes generelles Wissen über die Nützlichkeit strategischen Lernverhaltens führt
etwa zu steigenden Selbstwirksamkeits-Erwartungen und als Folge zu einer erhöhten
Lernmotivation.“99
3.4.4 Metakognitive Acquisitionsprozeduren
Dies sind die übergeordneten Prozesse, die die Initiierung, Kontrolle und Regulation von
Lernstrategien steuern. Es sind Prozesse der kognitiven Selbstregulation das sog.
„dynamischen Vehikel“ über das Metakognitionen Lernverhalten beeinflussen.100 Diese
motivierenden
Eigenschaften
generellen
Strategiewissens
kommen
jedoch
nicht
zwangsläufig zustande, sondern hängen wiederum von den Motivsystemen der einzelnen
Schüler ab.101
99
Nold, 1992, S. 44-45
100
vgl. Nold, 1992, S. 46
101
vgl. Nold, 1992, S. 45
35
3.5 Wann verbessern Metakognitionen die Lernleistung und wann nicht?
Strategisches erfolgreiches Lernen erfordert nicht nur Metakognitionen, sondern eine
Vereinigung von kognitiven, metakognitiven und motivationalen Komponenten. Selbst
wenn ein Schüler über ausreichendes Strategiewissen und geeignete exekutive Prozeduren
verfügt, ist damit die aktuelle Nutzung dieser Komponenten beim Lernen noch nicht
garantiert.
„Wissen und Lern- Strategien beeinflussen sich gegenseitig und entwickeln sich daher
simultan. Bereichsspezifisches Wissen ist eine obligatorische Voraussetzung für den
Strategieerwerb.“102 Sowohl das bereichsspezifische Wissen als auch die Sensitivität für
strategische Lernmöglichkeiten sind wesentliche Voraussetzungen für die Anwendung von
Lernstrategien, die wiederum in entscheidender Weise vom individuellen Motivsystem und
aktuell wirksamen motivationalen Anreizen abhängt. 103
Nold verweist weiterhin auf die subjektive Lernleistung und den individuellen Lernstand
einer Person, von der die erfolgreiche Anwendung von Strategien abhängig ist.
Für die Aufgabenanforderungen und die Bewältigung durch Metakognitive Leistung ist die
Kenntnis des individuellen kognitiven Entwicklungsstands eines Schülers von großer
Bedeutung. Wie Strategien erworben werden ist besonders für die Nutzung von
Behaltensstrategien gut erforscht. Bei sehr jungen Kindern, bei denen es an notwendigen
kognitiven
Voraussetzungen
und
den
zur
Strategieanwendung
notwendigen
Voraussetzungen mangelt, kann es dazu führen, dass sie nicht in der Lage sind
strategisches Verhalten selbst zu produzieren. In der Entwicklungspsychologie spricht man
daher von Mediationsdefiziten. Im so genannten zweiten Stadium des Strategieerwerbs
können Kinder nach entsprechend hilfreichen Hinweisen eine Strategie einsetzen und
nutzen, sie jedoch noch nicht selbstständig anwenden. Man spricht hier von einem
Produktionsdefizit. Das Produktionsdefizit liegt vermutlich darin begründet, dass das
Wissen über die Nützlichkeit einer Strategie (als Teil des deklarativen systematischen
Metagedächtnisses) noch nicht hinreichend ausgebildet ist. Beim Übergang von dem
genannten Produktionsdefizit zum effektiven Strategiegebrauch ist häufig ein weiteres
Stadium
zu
beobachten,
welches
mit
den
Begriffen
Nutzungsdefizit
oder
Nutzungsineffiziens umschrieben wird.
102
Beddies, 2006, S. 29
103
vgl. Nold, 1992, S. 47
36
In diesem Stadium bringen die Kinder zwar die betreffende Strategie spontan hervor,
jedoch wirkt sich die Strategienutzung noch nicht günstig auf die Lernleistung aus. Diese
(vorübergehende)
Ineffizienz
der
Strategienutzung
ist
hauptsächlich
auf
zwei
Mechanismen zurückzuführen: auf die unzureichende Automatisierung der Strategie und/
oder auf die mangelnde Sensitivität dafür, wann und wie die Strategie wirkungsvoll
einsetzbar
ist.
Eine
Belastungskapazität
unzureichende
des
Strategienutzung
Arbeitsspeichers
bei
der
bewirkt
Ausführung
auch
der
eine
hohe
spezifischen
strategischen Prozeduren.104 Die mangelnde Sensitivität für den wirkungsvollen Einsatz
der Strategie zeigt einmal mehr die Bedeutung metakognitiver Kompetenzen für
erfolgreiches Lernen.105
In Anbetracht der Entwicklungsstadien für die optimale Nutzung von Strategien muss bei
der Vermittlung damit gerechnet werden, das beim Erlernen einer neuen Strategie
erhebliche motivationale Probleme auftreten können, da die ersten Anwendungen und
Nutzungen von Strategien auch bei älteren Kindern oft nicht gleich zu den erhofften
Leistungssteigerungen führen. Um Strategien erfolgreich einzusetzen, gilt es oftmals,
zunächst ein „Motivationstal“ zu überwinden, bis eine durch die Strategienutzung sichtbare
Leistungssteigerung erfolgt.106
3.5.1 Das Modell des „Good Strategy Users“
In der Literatur existiert ein Modell des „Good Strategy Users“ oder „Modell des guten
Informationsverarbeiters“. Bei diesem Modell handelt es sich um eine Art Merkmals- oder
Checkliste erfolgreich Lernender. Mit dieser Liste wird ein integrativer Rahmen
bereitgestellt, der die unterschiedlichen Befunde aus der kognitiven und der motivationalen
Forschungstradition bündelt, in Form einer Beschreibung kompetenten Lernverhaltens.107
Das Modell kann als Orientierungshilfe dienen, um Ziele für Interventionen zu definieren
oder zumindest die angestrebte Richtung von Veränderungen zu bestimmen. Dem Modell
zufolge
ist
eine
gelingende
Koordination
von
bereichsspezifischem
Wissen,
Strategiewissen, metakognitiver Kontrolle und motivationaler Überzeugungen die
Grundlage einer effektiven Nutzung von Lernstrategien.
104
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S.98
Hasselhorn, Gold, 2006, S. 98
106
vgl. Hasselhorn, Gold, S.98
107
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S.67
105
37
Guten
Strategieanwendern
(Good
Strategy
User)
werden
folgende
Merkmale
zugeschrieben:
sie verfügen über ein
•
sie sind reflexiv
•
sie planen ihr Lernvorhaben
Kurzzeitgedächtnis mit hoher
•
sie nutzen effiziente
Kapazität
Lernstrategien
•
•
sie verfügen über ein reichhaltiges
Weltwissen
•
sie vertrauen ihren
Lernfähigkeiten
sie sind motiviert diese Strategien
einzusetzen
•
•
sie wissen wann wie und warum
solche Strategien einzusetzen sind
•
•
•
sie sind davon überzeugt, dass sie
sie nutzen Lernstrategien
sich stets verbessern können und
zunehmend automatisch
halten dies für wünschenswert
sie überwachen ihre Lern- und
Leistungsfortschritte
•
sie stellen sich immer wieder neuen Anforderungen108
Motivationale Merkmale des guten Strategieanwenders unterteilen sich wiederum in vier
Variablenkomplexe:
A: Er sieht die persönliche Anstrengung bei der Ausführung von Strategien eng mit dem
Handlungsergebnis gekoppelt (Anstrengungsattribution, vgl. Punkt 2.3), d.h. er ist
überzeugt von der Kontrollierbarkeit des Lernvorgangs und glaubt an die Verfügbarkeit
der erforderlichen Ressourcen
B: Er hat eine hohe Wertschätzung für systematisches Vorgehen und ist überzeugt von der
Nützlichkeit der Strategien
C: Die motivationale Dynamik, die entweder über Zielpräferenzen oder Interessen erfasst
wird, ist inhaltlich gerichtet
D: Gleichzeitig weiß er, dass strategische Operationen am effektivsten sind, wenn man sie
gegenüber konkurrierenden Verhaltensweisen wie beispielsweise Ablenkungen oder
ungünstigen Emotionen abschirmen kann (volitionale Kontrolle).109
108
109
vgl. Hasselhorn, Gold, 2006, S.87
vgl. Beddies, S. 30
38
3.5.2 Lernstrategien und Lerneffizienz
In der Praxis scheinen Interventionsprogramme am effektivsten, wenn sie sowohl der
Förderung von Primär- als auch von Stützstrategien dienen. Bei Formen des
Selbstgesteuerten Lernens tritt dies besonders deutlich hervor, da hier der Lernende für die
begleitenden Bedingungen, wie die Zeitplanung, Aufrechterhaltung der Konzentration,
Bewertung und Kontrolle der Ergebnisse usw. selbst verantwortlich ist.
Um
die
positive
Wechselwirkung
näher
zu
betrachten,
wurden
verschiedene
Untersuchungen durchgeführt, die Klauer in seinem Buch darstellt. Besonders der Effekt
von Hybridtraining, d.h. das Arbeiten mit übergeordneten und untergeordneten Strategien,
wurde untersucht. Eine Versuchsgruppe bearbeitete die Übungen zur Strategieanwendung
nach dem Huckepack-Theorem, d. h. die Versuchsgruppe arbeitete mit übergeordneten und
untergeordneten Strategien ein sog. Hybridtraining, wohingegen eine Kontrollgruppe nur
ein Mapping-Programm durcharbeitete.
Das Training dauerte in beiden Gruppen gleich lang. Am Schluss erhielten beide Gruppen
mehrere Tests, in denen es primär darum ging, zu prüfen, welches wissen die Teilnehmer
über die jeweilige Strategie erworben hatten.
Die Versuchsgruppe hatte in allen Tests bessere Ergebnisse als die Kontrollgruppe.
In
weiteren
Untersuchungen
wurde
ein
Selbstregulationstraining
mit
motivationsfördernden Strategien kombiniert. Im Vergleich zu den Gruppen, die nur ein
motivationsförderndes
Training
oder
kein
Training
erhielten,
lag
die
Hybridtrainingsgruppe in den im Anschluss durchgeführten Tests deutlich vorne.
Eine ähnliche Untersuchung wurde mit Fünftklässlern (eingeteilt in drei Gruppen,
Hybridtraining, Lesetraining und kein Training) durchgeführt. Ein Training zur Förderung
des Leseverständnisses wurde mit einem Motivationstraining kombiniert, das insbesondere
ungünstige Kausalattributionen nach Erfolg und Misserfolg abbauen sollte.
Das kombinierte Training erwies sich in der Förderung des Lesens nicht dem reinen
Lesetraining überlegen. Allerdings reduzierte es eine Form ungünstiger Kausalattribution.
Es lässt sich daraus schließen, dass Lesetraining und Motivationstraining unabhängig
voneinander
wirksam
waren,
und
dass
das
Lesetraining
wirksamer
als
das
Motivationstraining war. Nicht jedes Hybridtraining bringt demzufolge einen zusätzlichen
Lernerfolg.110 In der Untersuchung von Beddies, in der ein Strategietraining mit
110
vgl. Klauer, 2007, S. 258
39
Drittklässlern im Unterricht, und nicht als externes Training, durchgeführt wurde, wurden
neben Verbesserungen der Lernleistung weitere Parameter gemessen. Darunter die
kognitiven
Lernstrategien,
Erfolgsmotivation,
externe
Ressourcen
Misserfolgsmotivation,
(Anstrengungsbereitschaft,
(Arbeitsplatzgestaltung),
Neugier,
Konzentrationsfähigkeit).
In
interne
allen
Volition,
Ressource
Bereichen
konnten
Verbesserungen bei der Trainingsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe erhoben
werden. Besonders im Vergleich der kognitiven Lernstrategien und externen Ressourcen
konnten deutlich positivere Ergebnisse bewertet werden.
Signifikante
Unterschiede
in
den
Ergebnissen
ergaben
sich
im
Bereich
der
Misserfolgsmotivation. Bei der Trainingsgruppe verringerte sich die Furcht vor Misserfolg
um 60 % mehr als bei der Kontrollgruppe. Mit dem Erlernen der Lernstrategien wurde den
Schülern also ein erhöhtes Maß an Sicherheit bei der Bewältigung neuer Aufgaben
vermittelt. 111
3.6 Zusammenfassung
Gelingt es durch die Anwendung von Lernstrategien und Lerntechniken Informationen
möglichst multipel und elaborativ zu kodieren und nach unterschiedlichen Gesichtspunkten
mehrfach mit dem bereits vorhandenen Wissensnetz zu verknüpfen, dann wächst nach dem
Prinzip der Enkodierungsspezifität auch die Wahrscheinlichkeit dieses Wissen langfristig
und in unterschiedlichen Kontexten verfügbar zu haben. Mit der Qualität des Lernens
steigt die Wahrscheinlichkeit des Behaltens.
Lernstrategien werden im Grundschulalter bis ins Jugendalter, und auch noch darüber
hinaus, erworben. Der Entwicklungsprozess nimmt mehrere Jahre in Anspruch. Er beginnt
mit dem Erkennen der Notwendigkeit strategischen Verhaltens und dem zunehmend
effektiveren Einsatz zur Lösung eines Problems. Durch Lernstrategietrainings kann der
Erwerb und die Anwendung von Strategien gefördert und beschleunigt werden.112 Mit der
Einteilung in kognitive, metakognitive und ressourcenbezogenen Strategien wird in der
Literatur eine Einteilung vorgenommen, die eine Klassifizierung des Einwirkens auf den
Informationsverarbeitungsprozess der Strategien verfolgt (in der Praxis sind manchmal
zwei Funktionen enthalten, d.h. die Strategie unterstützt beispielsweise sowohl die
111
vgl. Beddies, S. 33
112
Lauth/ Grünke, Brunstein, (Hrsg.) 2004, S. 148
40
Elaboration als auch die Wiederholung des Lernstoffes).
113
Zu den kognitiven Strategien
zählen Wiederholungs- Organisations- und Elaborationsstrategien.
Die metakognitiven Strategien entsprechen Kontrollstrategien. Die Ressourcenbezogenen
Strategien, die man auch als Stützstrategien bezeichnen könnte, lassen sich in interne und
externe Ressourcen aufteilen. Die internen Ressourcen unterstützen die Prozesse, die
während des Lernvorgangs in der Person des Lernenden stattfinden. Dazu zählen
beispielsweise die Konzentration, die Anstrengung und das Zeitmanagement.
Zu
den
externen
(außerpersonale)
Ressourcen
gehören
beispielsweise
die
Arbeitsplatzgestaltung und die Nutzung verfügbarer Informationsquellen.114
Sowohl die Effektivität als auch die Transfermöglichkeit von Lernstrategien stehen in
Zusammenhang mit dem Allgemeinheitsgrad einer Strategie. Allgemeine Strategien leisten
zur Lösung eines Problems oft nur einen kleinen Beitrag. Helfende Strategien sind
meistens spezifische Strategien. Bei der Vermittlung von Lernstrategien sollte nach
Auffassung der Autoren darauf besonders geachtet werden, dass weder spezifische noch
generelle Strategien isoliert vermittelt werden, denn erst das Zusammenspiel schafft
optimale Lernbedingungen. Wie bereits herausgearbeitet wurde, umfasst der Begriff
Metagedächtnis die Beeinflussung verschiendener metakognitiver Faktoren, die für eine
erfolgreiche Strategieanwendung relevant sind. Insgesamt kann festgestellt werden, dass
sich die meisten der untersuchten Lerntechniken und Lernstrategien als signifikante
Einflussfaktoren erwiesen haben. Die metakognitive Anwendung von Lernstrategien wirkt
sich besonders unterstützend auf die Selbststeuerung des Lernprozesses aus. Die
Untersuchungen von Beddies ergaben, dass mit dem Erlernen von Strategien, den Schülern
ein erhöhtes Maß an Sicherheit bei der Bewältigung neuer Aufgaben vermittelt werden
konnte. Die Misserfolgsangst konnte reduziert werden. Nach der Einschätzung aufgrund
der Untersuchungsergebnisse von Beddies, wird die Wirksamkeit der Vermittlung von
Lernstrategien durch die Umsetzung mit dem Lernstoff im regulären Unterricht erhöht.115
113
vgl. Beddies, 2006, S. 14
114
vgl. Beddies, 2006, S. 14
115
vgl. Beddies, 2006, S. 99
41
4. Die Vermittlung von Lernstrategien in der Lerntherapie
„Fallbeispiel Nina 11 Jahre, 5. Klasse Realschule: …Ninas Arbeitsverhalten ist durch eine
deutliche Misserfolgsorientierung („Ich kann das sowieso nicht“) sowie durch ein wenig
geplantes
und
zielgerichtetes
Vorgehen
gekennzeichnet.
Selten
werden
die
Handlungsschritte auf ihre Effektivität hin bewertet und ggfs. verändert. Nina kann
während der Aufgabenbearbeitung weder Strategien formulieren noch sie spontan
anwenden. Werden diese gemeinsam erarbeitet, kann sie sie erfolgreich umsetzen, nutzt sie
aber selten für andere Aufgaben.“116 Nach Lauth ergaben sich für das lerntherapeutische
Vorgehen im Fall Nina zwei Bereiche. Zum einen wurden mit Nina allgemeine Lern- und
Problemlösestrategien erarbeitet, die zunächst an schulfernen Materialien eingeübt wurden
und schrittweise auf schulische Inhalte bezogen wurden um den Transfer zu erleichtern.
Zum anderen sollten Ninas Misserfolgsorientierung reduziert und ihre Motivation
gefördert werden. Die Eltern und Lehrer wurden über die Inhalte und die Anwendung von
Lernstrategien informiert und erhielten Anregungen wie sie den Lernprozess unterstützen
können. Fortschritte konnten schon nach wenigen Monaten erzielt werden. Nina beteiligte
sich aktiv am Unterricht, ging bei der Aufgabenbearbeitung geplant und zielgerichtet vor
und setzte die erarbeiteten Lernstrategien ein. Sie konnte nach Ende des sechsmonatigen
Trainings kurze und sinnvoll strukturierte Texte verfassen sowie altersentsprechende
Textaufgaben lösen.117 Im folgenden Punkt gehe ich auf die Vermittlung von
Lernstrategien im Rahmen lerntherapeutischer Arbeit ein. Dabei liegt der Schwerpunkt auf
der Darstellung wesentlicher Aspekte für die Diagnostik und die Vermittlung in der
Zusammenarbeit mit lernschwachen Kindern und Jugendlichen in Einzeltrainings oder mit
kleinen Lerngruppen.
4.1 Defizite von lernschwachen Kindern
Die individuelle Vermittlung von Lernstrategien ist besonders angezeigt bei lernschwachen
Kindern, da sie aufgrund ihrer Ausgangssituation häufig Defizite im Strategischen
Vorgehen aufweisen. Sie sind in ihrem Lernverhalten weit entfernt von dem „Modell des
guten Informationsverarbeiters“ und verfügen daher kaum über effektive Strategien. Um
die Qualität von Lernaktivitäten zu verbessern bedarf es der systematischen Vermittlung
116
117
Lauth/ Grünke, Brunstein, (Hrsg.) 2004, S.146
Lauth/ Grünke, Brunstein, (Hrsg.) 2004, S.146
42
von Lernstrategien. Dabei geht es darum, dass ein Schüler Schritt für Schritt Fertigkeiten
erwirbt, die es ihm ermöglichen Aufgaben durch den Einsatz spezifischer Denk- und
Lernstrategien besser zu bewältigen. Je nach Aufgabenbereich sollten lernschwache
Schüler lernen, wie sie ihr Gedächtnis besser nutzen und Aufgaben effektiver lösen
können. Dieser Prozess kann durch Lerngruppen, Tutoren, Eltern und Therapeuten
unterstützt werden. Um die Nachhaltigkeit der Interventionen zu unterstützen empfiehlt
Lauth, kompetenzfördernde Maßnahmen durch ein Training zur Reattribution von Erfolgen
und Misserfolgen zu ergänzen.
Mit Lernstörungen werden sog. Minderleistungen beim absichtsvollen Lernen bezeichnet.
Lernstörungen können in unterschiedlicher Weise klassifiziert werden. Sie können
inhaltlich begrenzt (z.B. Störungen des schriftlichen Ausdrucks), allgemein (z.B.
Schulversagen in allen Fächern), eher vorübergehend (z.B. Leistungsverminderung nach
einem Schulwechsel) oder permanent (z.B. eine anhaltende Lesestörung) sein. Sie äußern
sich dadurch, dass das gewünschte Können, Wissen und Verhalten nicht in ausreichender
Qualität und nicht mit ausreichender Sicherheit, sowie in der dafür vorgesehenen Zeit,
erworben wird. Erklärungen für Lernstörungen gehen von dem aus, was gelernt werden
soll. Dahinter stehen konkrete Fragen, die bei der Feststellung einer Lernstörung gestellt
werden. (Was müsste das Kind tun, um bestimmte Anforderungen meistern zu können,
z.B. die Bedeutung eines gelesenen Textes verstehen? Wie sollte es dabei vorgehen?
Welche Anforderungen stellt die Aufgabe an sein (Vor-)Wissen, Denken und an seine
Anstrengungsbereitschaft? Verfügt das Kind über diese Voraussetzungen? Setzt es seine
Kenntnisse beim Lernen ein?).
Für
das
Auftreten
verantwortlich,
auf
von
Lernschwächen
die
ich
Informationsverarbeitung,
hier
fehlende
nur
sind
kurz
mehrere
interagierende
eingehen
Lernvoraussetzungen
möchte.
und
Faktoren
Mangelnde
einschleichende
Lernstörungen sind Faktoren, die dazu führen dass manche Kinder besser oder schlechter
lernen als andere. Die PISA Studie hat gezeigt, wie eng der schulische Lernerfolg mit der
sozialen Herkunft der Schüler im Zusammenhang steht. Das Anspruchsniveau der Eltern,
der Anregungsgehalt der häuslichen Umgebung, die Vermittlung von Arbeits- und
Werthaltungen in der Familie sind einige Beispiele dafür, durch welche Faktoren die
Erziehung im Elternhaus auf das Lernverhalten und die Lernvoraussetzungen von Kindern
einwirkt. Hier lässt sich ein Interventionsziel ableiten, dass auf eine stärkere Vernetzung
43
und Kooperation der Mikrosysteme Elternhaus und Schule einwirkt.118 Nach Konrad und
Bernhart lassen sich vier Komponenten des Lernens unterscheiden, in denen lernschwache
Kinder markante Defizite aufweisen können.
4.1.1 Basisfertigkeiten
Damit sind grundlegende Fertigkeiten der Informationsverarbeitung gemeint, wie die
Fähigkeit, Informationen herauszulösen, akustische Informationen aufzunehmen und
visuelle Vorlagen zu analysieren. Sind diese Fähigkeiten nicht ausreichend vorhanden,
wird der Erwerb höherwertiger Leistungen behindert (z.B. der Erwerb von Regel- und
Begriffsystemen).
4.1.2 Mangelnde Konzentrationsfähigkeit
Betroffene Kinder sind häufig leicht ablenkbar und wenig konzentriert bei einer Sache,
haben keine Ausdauer und vergessen rasch. Sie lernen nicht aus begangenen Fehlern und
es fällt ihnen schwer, strategisch vorzugehen etc..
4.1.3 Mangelndes Wissen
Vorwissen und begriffliche Schemata sind für die Aneignung neuer Kenntnisse von
zentraler Bedeutung. Kinder mit Lernschwächen weisen weniger und vor allem weniger
vernetzte Schemata auf.
Entsprechende Defizite erschweren ein Abrufen in das Kurzzeitgedächtnis, was wiederum
dazu führt, dass im Arbeitsspeicher nur unzureichend neuronale Verknüpfungen und
Begriffsbildungen erfolgen.
„Hier wo der eigentliche Wissenserwerb stattfindet, fehlen lernbeeinträchtigten Kindern
zentrale Voraussetzungen, eine wissensorientierte Wahrnehmung, eine Einlagerung und
Einbettung in vorhandene Begriffstrukturen im Langzeitgedächtnis sowie eine durch
vielfältige Verknüpfungen bedingte gute Abrufbarkeit ins Kurzzeitgedächtnis.119“
118
119
vgl. Lauth, Grünke, Brunstein, 2004, S.17
Konrad, Bernhart, 2007, S.124
44
Geht man von einer reduzierten Wissensbasis lernschwacher Kinder aus, erklärt sich die
Folge fehlender notwendiger Konzepte und Ankerbegriffe, um die neue Lernerfahrung zu
integrieren.120
4.1.4 Mangelnde metakognitive Fähigkeiten
Der lernschwache Lerner weißt häufig gravierende metakognitive Defizite auf. Dem
Außenstehenden (Eltern, Erzieher, Lehrer) erscheint das Lernverhalten meist planlos,
unsystematisch und ineffektiv. Lernschwache Kinder wissen oft nicht, wie sie an ein
Problem herangehen sollen. Frühere Lernerfahrungen können nicht ausreichend genutzt
werden. Man nennt dies auch das „Problem der Generalisierung konkreter Erfahrungen“.
„Somit sind für Lernstörungen nicht ausschließlich die prinzipiellen Defizite (mangelnde
Speicherkapazität, Wahrnehmungsstörung) verantwortlich. Vielmehr gibt es auch
strategische Momente im Lernverhalten, die die jeweilige Lernstörung begünstigen.“121
Die Autoren Konrad und Bernhart benennen dazu folgende Beispiele:
- Mangelnder Überblick über Anforderungen und Problemfelder
- Schwierigkeiten werden selten analysiert
- Handlungsziele werden nicht persönlich überprüft
- Kontrollaktivitäten werden auf isolierte Momente fokussiert und nicht auf die
Gesamtheit der Anforderungen, deshalb ist es schwierig festzustellen ob das eigene
Handeln mit den Zielsetzungen übereinstimmt
Nach Lauth wenden lernbeeinträchtige Kinder förderliche Strategien seltener an und sie
steuern den eigenen Handlungsverlauf nur unzureichend.122
4.2 Diagnostik und Überprüfung strategischer und metamemorialer Kompetenzen
Um Lernstrategien im Rahmen eines Strategietrainings aufzubauen und den Einsatz in
unterschiedlichen Lernkontexten zu fördern, ist nach Lauth eine differenzierte Analyse des
Lernprozesses voranzustellen. Dabei sollte zunächst geklärt werden, an welcher Stelle der
Aufgabenbearbeitung Probleme auftreten, ob das Kind die relevanten Strategien kennt, sie
120
vgl. Konrad, Bernhart, 2007, S.125
121
Konrad, Bernhart, 2007, S.126
122
vgl. Konrad, Bernhart, 2007, S.126
45
spontan einsetzen kann und dadurch seine Leistung steigern kann. Im zweiten Schritt
werden im Rahmen eines Einzeltrainings oder in Lerngruppen von 2-3 Kindern die
notwendigen Strategien vermittelt und mit dem Ziel der selbstständigen und flexiblen
Nutzung bei verschiedenen Aufgabenarten eingeübt.123 Auftretende Störungen in der
Informationsverarbeitung weisen nach Lauth auf kognitive Strategiedefizite im Bereich der
Anwendung von Basisfertigkeiten (z.B. Beherrschung der Grundrechenarten, Kenntnis des
Alphabets; graphomotorische Fähigkeiten) und der Wissensaneignung hin. Störungen
durch ineffiziente Lernaktivität (unkonzentriertes, planloses Arbeiten) liefern Hinweise auf
Probleme im metakognitiven und motivationalen Bereich. (zur allgemeinen Diagnostik
empfiehlt Lauth zunächst eine Abklärung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, z.B. durch
HAWIK. Darüber hinaus geben altersnormierte Schulleistungstests, sowie ergänzende
Leistungsbeurteilungen durch Lehrer, Hinweise auf Defizite in den Lernvoraussetzungen.)
Für die Überprüfung von Lernstrategien ist die Beobachtung der Lernaktivität (z.B. bei der
Bearbeitung von Hausaufgaben oder Arbeitsproben) entscheidend.
4.2.1 Hinweise auf Defizite in der Verwendung kognitiver Strategien
Zur Identifizierung von Strategiedefiziten können folgende Fragen mögliche Hinweise
geben.
- Werden Notizen gemacht?
- Werden Lerninhalte durch Wiederholung präsent gehalten?
- Werden die wesentlichen Aspekte einer Aufgabe identifiziert?
- Wird auf Vorerfahrungen und Vorwissen zurückgegriffen?
- Werden Bedeutungszusammenhänge zwischen Lerninhalten gebildet?
- Findet eine vertiefte Bearbeitung der Aufgabe statt? (z.B. sich Fragen stellen, Analogien
bilden)
- Wird das Lernmaterial strukturiert?
- Werden übergeordnete Kategorien gebildet?
- Werden Diagramme und Tabellen erstellt, um den Lernstoff zu strukturieren? 124
123
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.),2004, S. 149
124
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 150
46
4.2.2. Hinweise auf Defizite in der Verwendung metakognitiver Strategien
- Wird das Lernziel verstanden? Werden Teilziele beim Lernen formuliert?
- Wird ausreichend Zeit für das Lernen eingeplant?
- Werden Strategien auf ihre Brauchbarkeit hin verglichen?
- Werden Fortschritte überwacht?
- Werden Fehler bemerkt? Werden Korrekturen vorgenommen?
- Werden auch schwierige Aspekte bei der Aufgabenbewältigung berücksichtigt?
- Wird das Lernen reflektiert und optimiert?
- Wird das Handeln an die Erfordernisse der Aufgabe angepasst?
- Sind selbstgerichtete Fragen zu beobachten?
- Wird das Lernen durch Selbstanweisung angeleitet?125
4.2.3. Hinweise auf Defizite in der Verwendung motivierender Strategien
- Besteht Interesse an der Aufgabe?
- Ist die Aufmerksamkeit auf die Aufgabe gerichtet?
- Besteht die Bereitschaft sich anzustrengen?
- Wird bei auftretenden Schwierigkeiten die Anstrengung erhöht?
- Gelingt es dem Lernenden, sich gegen ablenkende Einflüsse abzuschirmen und negative
Einflüsse zu ignorieren?
- Glaubt der Lernende daran, die Aufgabe erfolgreich bewältigen zu können?
- Werden angemessene Erklärungen für Erfolge und Misserfolge gegeben?126
4.3 Systematische Vermittlung von Lernstrategien
Den Vermittlungsprozess der Anwendung von Lernstrategien möchte ich, nach einer
beispielhaften Gliederung von Lauth, in vier Teilschritten darstellen.
Nach Lauth setzt sich das konkrete Vorgehen bei der Vermittlung einer allgemeinen, für
die Bearbeitung von komplexen Lernaufgaben nützlichen Lernstrategie aus vier
Teilschritten zusammen. Die Teilschritte können, wie im Folgenden beschrieben, durch
den Lerntherapeuten unterstützt werden.
125
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 150
126
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 151
47
4.3.1. Verstehen der Aufgabe
- Anregung von Erwartung und Vorwissen
- Unterstützung einer angemessenen Repräsentation der Aufgabe (laut vorlesen, Problem
mit eigenen Worten beschreiben, Ziel der Aufgabe verstehen, Teil-Ziele notieren, wissen
welche Lernvoraussetzungen notwendig sind, etc.)
- Korrektur fehlerhaften Problemverständnisses (wurden alle wichtigen Informationen
berücksichtigt? Etwas vergessen? Überprüfen was verlangt wird)
Um eine komplexe Aufgabe (z.B. mathematische Textaufgaben oder Texte verfassen)
lösen zu können, muss zunächst die Aufgabe verstanden und das Lernziel klar sein. Dies
kann durch Anregen des Lernenden, über die Aufgabe und was ihn erwartet nachzudenken,
geschehen. Die Entwicklung der Strategien sollte möglichst gemeinsam mit dem
Lernenden geschehen. Durch lautes Vorlesen der Aufgabe werden beispielsweise alle
Informationen gesammelt, die der Lernende anschließend mit eigenen Worten zu
beschreiben versucht.
Zur Vertiefung können Visualisierungstechniken eingesetzt werden, sowohl auf der
Vorstellungsebene als auch in der konkreten Anschauung (ein Bild von dem Problem oder
eine Tabellen zeichnen, Graphiken oder Mind-Maps herstellen).
Diese Techniken dienen der Vertiefung und der Überprüfung, ob das Lernziel richtig
verstanden und der Ausgangs- und Zielzustand korrekt repräsentiert sind.
Darüber hinaus gehende Methoden sind selbstgerichtete Fragen des Lernenden („ Habe ich
alle relevanten Informationen, um das Problem bearbeiten zu können?“, Welche
Informationen sind wesentlich, welche unwesentlich? Was brauche ich noch zum
Verständnis?) Fehlerhaftes Problemverständnis sollte durch Feedback korrigiert werden,
indem auf die relevanten Aspekte aufmerksam gemacht und mit dem Lernenden die
richtige Problemdarstellung erarbeitet wird. Wenn das Lernziel zu komplex ist und viele
Handlungsschritte erfordert, ist es hilfreich, Zwischenziele zu formulieren, die schriftlich
festgehalten werden.127
127
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 152
48
4.3.2 Erarbeiten eines Plans
- Unterstützung bei der Formulierung von Hypothesen über Lösungsschritte und
notwendige Operationen (Was kannst Du tun, um das Ziel zu erreichen? Welche
Handlungsschritte sind notwendig?)
- Hilfe beim Vergleich alternativer Lösungswege
- Entscheidungshilfe für die Planung bieten (Welchen Teil der Aufgabe möchtest Du zuerst
bearbeiten? Welches ist ein Erfolg versprechender Weg?)
Zunächst wird der Lernende aufgefordert, Hypothesen über Anzahl und Art der
Lösungswege zu formulieren, wofür sich die Methode des „lauten Denkens“ eignet. Das
Vorgehen sollte zunächst demonstriert und anschließend durch Fragen (z.B. „Was denkst
du jetzt? Was könntest du noch tun?) angeregt werden, bis es der Lernende selbstständig
beherrscht. Alle Ideen sollten notiert werden, damit sich der Lernende anschließend für
einen Lösungsweg entscheiden kann. Je nach Umfang und Komplexität der Aufgabe sind
die Erarbeitung von Teilzielen und (Teil)-Plänen notwendig und hilfreich.
4.3.3 Auswahl und Durchführung von Handlungsschritten (Handlungsorganisation)
- Überprüfung, ob die notwendigen bereichsspezifischen Strategien verfügbar sind (z.B.
weißt Du, wie man vorgehen, berechnen, schreiben muss?)
- Diskussion über Strategieeinsatz anregen (Wann ist der Einsatz günstig und wann nicht?)
Worauf kommt es bei der Anwendung an?)
- Unterstützung bei der Ausführung der geplanten Handlungsschritte (führe Deinen Plan
durch, was musst du zuerst tun, was als nächstes?)
Zur Erreichung der Lernziele sind verschiedene Lösungsschritte auszuwählen.
Dies erfordert ein Repertoire an bereichsspezifischen Handlungsstrategien und die
Fähigkeit, die Konsequenzen unterschiedlicher Handlungsalternativen abzuwägen.
Lernschwachen Schülern stehen in der Regel nur wenige Handlungsstrategien zur
Verfügung, deren Effektivität sie häufig nicht einschätzen können.128 Nach Lauth bewährt
es sich, mit dem Lernenden (oder einer Gruppe von Lernenden) verschiedene Strategien zu
erarbeiten, mit dem Ziel, Informationen zu sammeln, wann, wie und warum der Einsatz
128
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 152
49
von Lernstrategien sinnvoll ist. Auf diese Weise kann metakognitives Wissen über die
Strategieanwendung bei dem Lernenden aufgebaut werden.
4.3.4. Kontrolle der Lernaktivitäten und Regulierung der Handlungsschritte
(exekutive Kontrolle)
- Unterstützung bei der Überwachung des Lernprozesses (Bist Du deinem Ziel näher
gekommen? Wie stellst du es fest?)
- Auf Fehler und Fortschritte aufmerksam machen (So scheint es nicht zu gehen, was
könntest du anders machen? Jetzt ist es richtig und du bist einen Schritt weiter!)
- Erarbeitung von Möglichkeiten, die Effektivität einer Strategie zu testen (Was kannst Du
tun, um herauszufinden, ob das Ergebnis richtig ist? Lösungsweg zurückverfolgen!)
- Ausprobieren von alternativen Lösungswegen (Welcher Lösungsweg war besser, mit
welchem kommt man leichter ans Ziel, warum?)
- Unterstützung der Handlungsregulierung (z.B. Versuch es noch einmal langsamer,
überlege vorher was du tun musst!)
Die Überwachung des Lösungsprozesses ist entscheidend für eine erfolgreiche
Bewältigung von Aufgaben und Problemen. Diese so genannte exekutive Kontrolle
beinhaltet Prozesse der Steuerung, Koordination, Bewertung und Regulation des eigenen
Handelns, verbunden mit dem Ziel, die eigene Lernaktivität möglichst effizient zu
gestalten. Dies bedeutet, dass der Lernende erfolgreiche Handlungsschritte registriert,
Fehler erkennt und korrigiert und Strategien den Erfordernissen der Aufgaben angepasst
werden (s. Punkt 3)
Besonders lernschwache Schüler weisen bei der exekutiven Kontrolle Probleme auf.
Häufig überwachen sie ihre Lernaktivitäten nicht, beginnen mit unzureichenden Techniken
und erkennen resultierende Fehler nicht.
Für die Lernförderung bedeutet dies, dass exekutive Kontrollprozesse ein wesentlicher
Bestandteil zu Verbesserung des Lernens sind und demzufolge besonders berücksichtigt
werden sollten.
Die Schritte der Strategieplanung und Anwendung sollten durch den Therapeuten
modellhaft
demonstriert
und
das
Handeln
dabei
sprachlich
(z.B.
nach
der
Selbstinstruktionsmethode) begleitet werden. Dieses Modellverhalten mündet in die
50
Übernahme des gezeigten Vorgehens des Lernenden, der sein eigenes Lösungsverhalten
anleitet.129
4.4 Transfer der erworbenen Lernstrategien
Verschiedene Aspekte spielen beim Transfer in den Schulalltag eine tragende Rolle. Die
Verwendung der Lernmaterialien bei einem Lernstrategietraining in der Lerntherapie sollte
zunehmend den schulischen Aufgaben angeglichen werden, um einen Transfer zu
ermöglichen.
Außerdem
spielt
eine
gute
Kooperation
(Informationsaustausch,
Vereinbarungen über Begleitformen etc.) mit Lehren und Eltern eine wesentliche Rolle für
den Transfer.
4.4.1 Die Auswahl und Nutzung der Lernmaterialien
Es gibt eine vielfältige und große Auswahl verschiedener Arbeitsmaterialien und
Methoden, die sich für ein Lernstrategietraining anbieten und von denen ich einige
beispielhaft benennen möchte, ohne näher auf die Anwendung im Einzelnen einzugehen.
•
Trainigsprogramme und Arbeitsmaterialen zum Strategieerwerb: Muth/Seidel:
Strategietraining Get On; Realschule Enger: Bausteine des Lernens; Endres, Mehr
Erfolg beim Lernen-7 Tritte in den Hintern der Faulheit; Endres: Mündlich gut Rhetorik Tipps Lernstrategien für Kinder; Schräder-Naef: Schüler Lernen lernen,
Hinnen: Lernen kennen lernen, Keller: Lerntechniken von A-Z, Hoffmann, Löhle:
Erfolgreich Lernen; Krowatschek: IQ Training-Denken mit beiden Hirnhälften, etc.
(siehe Literaturverzeichnis).
•
Methoden der Strategieanwendung: Selbstinstruktionstraining, Methode des
induktiven Denkens, Komplexitätsreduktion, Strategien der Handlungskontrolle,
Förderung sinnverstehenden Lesens durch die Methode des reziproken Lehrens,
Üben mit der Wortkartei, Aufbau elaborierter Rechenfertigkeiten130.
Da schulferne Arbeitsmaterialen in vielen Fällen das Interesse und die Motivation der
Lernenden erhöhen, sollte nach Lauth erst nach dem Erwerb der Strategien damit
begonnen werden, diese auf verschiedene schulische Inhalte zu übertragen und den Einsatz
im schulischen Kontext einzuleiten.
129
130
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 152
in Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004
51
4.4.2 Kooperatives Lernen und die Einbeziehung der Eltern
Für den Umgang mit Lernschwierigkeiten werden zunehmend auch die Möglichkeiten und
Chancen von Austausch und Diskussion in Gruppen (kooperative Lernsettings) erkannt.
Theoretisch basiert diese Form auf Erkenntnissen, wonach Wissen in einem sozialen
Prozess der gemeinsamen Wissenskonstruktion angewendet wird und damit verinnerlicht
werden kann. In der Literatur spricht man von der „Zone der nächsten Entwicklung“, mit
der die Differenz zwischen dem tatsächlichen Entwicklungsniveau, welches durch das
unabhängige Problemlöseverhalten festgelegt wird, und der Stufe der potenziellen
Entwicklung. Letztere wird durch das Problemlöseverhalten unter Anleitung oder in
Zusammenarbeit mit „stärkeren“ Gleichgesinnten (z.B. Tutoren, Eltern) bestimmt.
131
Dieser Ansatz wird auch als Experten-Novizen-Ansatz bezeichnet. Zur Intensivierung des
Austausches zwischen Schülern, oder Schülern und Lehrern, werden Förderansätze
aufgegriffen, die auf Interaktion und Diskussion in der gemeinsamen Wissenskonstruktion
abzielen. Die verschiedenen Methoden haben eine umso größere Aussicht auf Erfolg, je
mehr es gelingt, sie in der Alltagswelt des Kindes oder des Jugendlichen zu verankern.
Zudem ist es wünschenswert, dass Lehrer und Eltern in die Intervention miteinbezogen
werden. Die Einbeziehung der Eltern trägt dazu bei, dass Lernstrategien auch außerhalb
der Lerntherapie Anwendung finden. Dazu ist eine gezielte Information und Anleitung der
Eltern zur Strategieanwendung notwendig (beispielsweise in Form eines Elterntrainings).
Die Zusammenarbeit mit Eltern und Lehrern ist auch für psychologisch-therapeutische
Interventionen von zentraler Bedeutung. „Eine Intervention wirkt vor allem dann, wenn sie
oft, alltagsnah und durch vertraute Personen durchgeführt wird.“132
Langfristig sollte jedoch das Ziel darin bestehen, die Unterstützung schrittweise
auszublenden und das Kind zu eigenständigem, selbstgesteuerten Lernen zu befähigen.
131
vgl. Konrad, Bernhart, 2007, S. 134
132
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 112
52
4.4.3 Motivation
Eine wesentliche Rolle bei der Strategieanwendung spielen emotionale und motivationale
Prozesse. Um besonders lernschwache Schüler zur Anwendung von Lernstrategien zu
motivieren, sind in der Anfangsphase Lob und Anerkennung durch den Therapeuten,
Lehrer und Eltern selbst für kleinste Fortschritte bedeutsame Verstärker.
Für die therapeutische Arbeit bedeutet die Regulierung von Motivation und Emotion:
- die Unterstützung der Regulierung von Aufmerksamkeit und Anstrengung
- Aktivierung der Selbstwirksamkeitserwartungen
- Ermunterung bei Misserfolgen und positives Hervorheben von Erfolgen
- Förderung realistischer Erklärungen für Erfolg und Misserfolg
4.5 Rahmenbedingungen für Strategietrainingsprogramme
Strategietrainingsprogramme können als Einzeltraining oder in Kleingruppen durchgeführt
werden. Die Trainingssitzungen sollten 30-40 min. nicht überschreiten und regelmäßig
durchgeführt werden. Der Strategieerwerb und die Anwendung sollten regelmäßig
begleitet werden, wobei die Verantwortung schrittweise auf den Lernenden übertragen
werden sollte. Lernstrategietrainings lassen sich auch in den schulischen Unterricht
integrieren. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Lerntherapeuten ist dafür
besonders erforderlich, da ansonsten die Gefahr besteht, dass, je nach Kontext,
widersprüchliche Anforderungen an die Schüler gestellt werden. Förderlich sind
Absprachen zwischen Lehrern und Therapeuten, wie sie die Schüler zu strategischem
Lernen anregen können.133
133
vgl. Lauth/ Grünke, Brunstein (Hrsg.), 2004, S. 154
53
5. Fazit
Im ersten Teil der Arbeit wurden die lernbeeinflussenden Faktoren beschrieben, die zu den
Lernbedingungen des Lerners beitragen. Günstige Lernbedingungen sind solche, die
motivationale und emotionale Aspekte einbeziehen und ein Lernen in angstfreier
Atmosphäre ermöglichen. Große Angst kann zwar rasches Lernen bewirken, ist jedoch
kognitiven Prozessen insgesamt nicht förderlich. Sie verhindert das, was beim Lernen
erreicht werden soll, nämlich die Verknüpfung des neu zu Lernenden mit bereits bekannten
Inhalten und die Anwendung des Gelernten auf viele Situationen und Beispiele. In der
Interessens-
und
Motivationsforschung
wird
ein
enger
Zusammenhang
von
Motivationssteigerung und der Anwendung von Lernstrategien gesehen. Es hat sich als
günstig erwiesen, wenn die trainierte Gedächtnisaktivität eine persönliche Bedeutung und
einen funktionalen Wert für den Lernenden beinhaltet. Die Gedächtnisaktivität wird
dadurch
mit
einer
persönlichen
Zielmotivation
des
Kindes
verknüpft.
Die
Gedächtnisleistungen eines Lernenden hängen, wie in Kapitel 2 beschrieben, von der
Qualität der Übertragung der Informationen vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis ab.
Diese Qualität der Informationsübertragung ist wesentlich gekennzeichnet von dem
metakognitiven Wissen über das eigene Gedächtnis und dem Wissen über die Anwendung
von Strategien und der exekutiven Kontrolle der erfolgten Lernleistungen. Die
experimentelle
Trainingsforschung
hat
gezeigt,
dass
durch
entsprechende
Fördermaßnahmen Gedächtnisleistungen substanziell verbessert werden können. Ein
förderndes
Strategietraining
erleichtert
Lernenden
das
Lernen,
verbessert
die
Lernleistungen, die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung für das Lernen.
Bei der Vermittlung sollten metamemoriales Strategiewissen, strategische Kompetenzen
und exekutive Metakognition kombiniert werden, um eine erfolgreiche Anwendung zu
ermöglichen. Ebenso sollte darauf geachtet werden, dass ein verbesserter Lernerfolg von
dem Lerner selbst im Zusammenhang mit der Strategieanwendung betrachtet wird.
Welche Strategien und welche Prozesse der eigenen Lernüberwachung im Einzelfall
trainiert
werden
sollten,
(z.B.
Wiederholungsstrategien,
Elaborationsstrategien,
Organisationsstrategien), erfordert eine differenzierte Diagnostik. Die auf die Diagnostik
aufbauende Interventionsplanung beinhaltet die Berücksichtigung der individuellen
Problemstellung und das Alter des Lernenden. Je jünger das Kind, umso weniger komplex
können Lernstrategien sein, die vermittelt werden. Kinder sind in der Regel bereits im
Grundschulalter in der Lage, Wiederholungsstrategien gewinnbringend anzuwenden,
54
während komplexe Strategieformen, wie das Organisieren oder das Anreichern von
Lernmaterial höhere kognitive Anforderungen stellen und erst im Verlauf des
Grundschulalters oder noch später erworben und kompetent eingesetzt werden. Befunde
aus Trainingsstudien ergaben, dass spezifische Fördermaßnahmen nicht bei allen Kindern
gleich gut wirken. Daraus lässt sich ableiten, dass Trainingsmaßnahmen auf der Grundlage
einer Individualdiagnostik, einzeln oder in kleinen Gruppen durchgeführt werden sollten.
Ergänzend besteht die Möglichkeit, die Eltern einzubeziehen, die das Kind z.B. bei den
Hausaufgaben und beim Erwerb von Fertigkeiten der Selbstüberwachung und
Selbstregulation unterstützen. Generell ist von Bedeutung, dass die Maßnahmen zur
Förderung von Gedächtnisprozessen regelmäßig und über einen längeren Zeitraum zur
Anwendung kommen. Das ausführliche Informieren über den Nutzen und die Grenzen der
eingeübten
Strategien
ist
dazu
erforderlich.
Hier
bekommt
die
Vermittlung
metamemorialen Wissens über den Nutzen strategischer Vorgehensweisen besondere
Bedeutung. Wenn der Nutzen der Strategien nicht erkannt wird, besteht kein Anlass diese
einzusetzen. Die lediglich sporadische Anwendung und unsystematische Übung einzelner
Gedächtnisfertigkeiten ist wenig Erfolg versprechend. Sind die Strategien gefestigt, kann
der Lerner sie als bleibenden Besitz nutzen, wenn viele Wissensinhalte bereits überholt
und vergessen sind.
55
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