- 1 von 5 - Parlamentswahl in Indonesien: Wie demokratisch ist das Wahlsystem? von Warsito Ellwein, Südostasien-Informationsstelle im Asienhaus Das neue Wahlgesetz ist ein Produkt von Taktik und Machtkampf zwischen den großen Fraktionen im Parlament. Es erweist sich allerdings nicht als das demokratische Gesetz, das die WählerInnen erwarteten. Die neuen, kleinen Parteien haben nun kaum mehr eine Chance, an der Wahl teilzunehmen, denn jede zur Wahl antretende Partei muss in mindestens 21 der 31 Provinzen vertreten sein und in jeder Provinz mindestens in zwei Dritteln der Distrikte vertreten sein. Aufgrund dieses Paragraphen wurden nur 50 von knapp 200 Parteien durch das Justizministerium anerkannt. Von diesen wiederum dürfen laut Nationalem Wahlausschuss (KPU) nur 24 Parteien an der Parlamentswahl 2004 teilnehmen. Sechs dieser 24 Parteien sind alte Parteien, nämlich Ø Golkar, eine konservative Partei mit dem jetzigen Parlamentspräsidenten Akbar Tanjung als Vorsitzenden; Ø die PDI-P, Nationalisten mit der jetzigen Präsidentin Megawati als Vorsitzende; die PKB–Nadhatul Ulama (größte muslimische Organisation in Indonesien) mit dem ehemaligen Präsidenten Abdurachman Wahid als Vorsitzenden; Ø die PBB, eine islamisch-konservative Partei mit Justizminister Jusril Mahendra als Vorsitzenden; Ø die PPP, Islamnationalisten mit Vizepräsidenten Hamza Haz als Vorsitzenden und Ø PAN–Muhamadiah (zweitgrößte muslimische Organisation in Indonesien) mit dem Volksratspräsidenten Amien Rais als Vorsitzenden. Die 13 anderen Parteien, die bei der Wahl 1999 im Parlament zwischen einem und sechs Sitzen bekommen haben, mussten ihre Parteinamen ändern oder fusionierten mit anderen Parteien. Die islamisch-intellektuelle Partai Keadilan zum Beispiel wurde als Partai Keadilan Sejahtera in die Wahlliste aufgenommen, die Partai Keadilan dan Persatuan wurde zu Partei Keadilan dan Persatuan Indonesia und Partai Nadhatul Ummah wurde in Partai Nadhatul Ummah Indonesia umgetauft. Noch zwei Monate - und bisher keine Wahlprogramme Bis zur Parlamentswahl sind es nur noch zweieinhalb Monate, doch bisher wurde der Öffentlichkeit noch kein einziges Parteiprogramm vorgestellt. Der Großteil der zur Wahl aufgestellten Parteien scheint kein individuelles Parteiprogramm ausgearbeitet zu haben. Der Kampf gegen die Korruption, der Einsatz für Reformen und der Wirtschaftsaufschwung werden als dankbarer Ersatz für die fehlenden Programme von allen Seiten propagiert. Doch die WählerInnen haben noch nicht vergessen, dass die sechs großen Parteien bereits fünf Jahre im Parlament mitgewirkt haben, die Korruption in Indonesien jedoch nur schlimmer geworden ist, soziale Unruhe sich ausgebreitet hat, die Wirtschaftskrise noch dramatischer wurde und Indonesien in die Falle politischer Orientierungslosigkeit geriet. - 2 von 5 - Das Problem der WählerInnen ist jedoch die gegenwärtig fehlende Alternative. Auch die kleinen Parteien sind keine wirkliche Alternative zu den Etablierten, da sie meist Ableger derselben sind. Die Nationalisten zum Beispiel wurden in mindestens vier verschiedene kleine Parteien aufgespalten: in die PDI-P mit Megawati als Vorsitzende, die Partai Nasional Marhaenisme mit Sukmawati als Vorsitzende, die Partai Pelopor mit Rahmawati als Vorsitzende (alle drei Vorsitzenden sind Töchter von Soekarno) und die Partai Nasional Banteng Kemerdekaan mit Eros Jarot als Vorsitzenden (er war ein Vertrauter von Megawati). Die ehemalige Partei Suhartos wurde ebenfalls in mehrere Parteien aufgeteilt: in die Partai Golkar mit Akbar Tanjung als Vorsitzenden, die Partai Karya Peduli Bangsa mit dem ehemaligen Informationsminister Hartono als Vorsitzenden und Tutut, der Tochter Suhartos, als Spitzenkandidatin, die Partai Keadilan dan Persatuan Indonesia mit dem ehemaligen Verteidigungsminister des Suharto-Kabinetts Edy Sudrajat als Vorsitzenden und die Partai Patriot Pancasila. Auch die islamischen Parteien spalteten sich auf. Die Hürden der Kandidatenaufstellung Vom Tag der Bekanntgabe der 24 Parteien, die zur Parlamentswahl 2004 antreten sollen, an, hatten diese 10 Tage Zeit, ihre Kandidatenlisten der KPU vorzulegen. Problematisch wurde hier die Auflage, dass die Parteien keine beliebigen Kandidatenlisten wie bei der Wahl 1999 aufstellen durften, sondern die Interessen der Basis und der KPU sowie das Wahlgesetz beachten mussten. Die Priorität der Basis bestand vor allem in der Aufforderung, dass die Kandidatenlisten nicht nur von Funktionären aufgestellt werden sollten, sondern dass sie von der Basis aufgebaut werden müssten. Voraussetzung für eine Kandidatur ist die indonesische Staatsbürgerschaft des Kandidaten, außerdem muss er mindestens 21 Jahre alt sein, sowohl geistig als auch körperlich gesund sein, darf nicht kriminell aufgefallen sein und muss Mitglied einer Partei sein. Er darf allerdings weder selbst Kommunist sein, noch kommunistische Verwandte haben. Für eine Kandidatur für das Nationalparlament muss der Vorgeschlagene mindestens einen Oberschulabschluss haben, für das Provinzparlament reicht der Abschluss der Mittelschule. Die KPU fordert, dass die Kandidaten ein polizeiliches Führungszeugnis, eine Gesundheitsbescheinigung eines staatlichen Krankenhauses, einen gültigen Mitgliedsausweis ihrer Partei mit den Unterschriften von Vorsitzendem und Geschäftsführer und das Schulabschlusszeugnis mit dem gültigen Beweisstempel der Schule vorweisen können. Im Falle des Fehlens oder der Ungültigkeit eines dieser Dokumente kann die Anwärterschaft des Kandidaten durch die KPU ohne Rücksicht auf seine Kompetenzen aufgehoben werden. In fast allen Parteien artete die Aufstellung der Kandidatenliste zu einem internen Konflikt aus, weil weder solide, demokratische Entscheidungsmechanismen noch eine angemessene Infrastruktur, Suprastruktur oder ein professionelles Parteimanagement institutionalisiert worden sind. Hinzu kam das Problem, dass innerhalb von kurzer Zeit Hunderte von KandidatInnen für die Parlamentswahlen auf nationaler, Provinz- und Distriktsebene aufgestellt werden mussten, wobei je eine Frauenquote von 30% eingehalten werden sollte. Zudem ist die Öffentlichkeit gegenüber den Parteien kritischer geworden: Jeder undemokratische oder unpopuläre Entscheidungsprozess in einer Partei wird von der Öffentlichkeit - 3 von 5 - angeprangert. Die Parteien stehen unter einem sehr hohen öffentlichen Druck von allen Seiten, was auch ihr defensives, reaktives und ängstliches Verhalten erklärt. Frauenquote - erstmals und mehr Schein als Sein Für die Parlamentswahl 2004 sind mehr als 145 Millionen Menschen wahlberechtigt, 51% davon sind Frauen. Bei der Parlamentswahl 1999 wurden nur 8 % Frauen in das Nationalparlament, 6 % in das Provinzparlament und 2,5 % in das Distriktparlament gewählt. Die dominierenden männlichen Abgeordneten im Parlament haben aufgrund der Forderung der Frauen nach mehr Mitbestimmungsrecht eine Frauenquote von 30% im Wahlgesetz festgelegt. Dies lässt zunächst ein emanzipatorisches Wahlgesetz vermuten, dessen Umsetzung jedoch zu wünschen übrig lässt. Die Einhaltung der Frauenquote ist nämlich keineswegs Pflicht bei der Aufstellung der Kandidatenliste, sondern kann eher als Appell an die Parteien verstanden werden, mehr weibliche Kandidaten aufzustellen. Trotzdem hatten viele Parteien in der Öffentlichkeit angekündigt, mehr als 30 % Frauen in ihre Kandidatenliste aufzunehmen. Im Endeffekt setzten jedoch fast alle Parteien weniger als 20 % weibliche Kandidaten auf ihre Liste, die meist noch einen schlechten Platz auf derselben bekamen oder im gleichen Wahlbezirk gegeneinander antreten mussten. Aus diesen Gründen gab die KPU vielen Parteien die Anmeldungsunterlagen mit der Auflage zurück, mehr weibliche Kandidaten aufzustellen. Das Wahlsystem - für Wähler schwer durchschaubar Das Parlamentswahlsystem 2004 ist ein offenes Proportionalsystem (Proposional terbuka). Dieses System unterstützt vor allem KandidatInnen, die an der Basis viele Anhänger haben. Auch der/die KandidatIn auf dem letzten Platz der Kandidatenliste hat die gleiche Chance wie die anderen KandidatInnen, solange die Möglichkeit besteht, dass er/sie in seinem Wahlbezirk ausreichend Stimmen für einen Sitz im Parlament bekommen kann, denn dann wird er/sie automatisch Parlamentsmitglied. Die obersten Plätze auf der Kandidatenliste werden um so interessanter, je mehr Stimmen eine Partei bekommt, da die Sitze, die nicht so verteilt werden, über die Liste bestimmt werden. Dazu ein Beispiel: In einem Wahlbezirk hat die Partei X zwei Millionen Stimmen bekommen. Jeder Sitz im Nationalparlament entspricht 400.000 Stimmen. Das heißt, Partei X bekommt fünf Sitze im Parlament. Wenn nun aber nur zwei ihrer Kandidaten, sagen wir, Kandidat Nummer 12 und Kandidat Nummer 25 direkt gewählt wurden, werden die drei anderen Sitze an die Kandidaten 1, 2 und 3 vergeben, unabhängig von der Zahl der Stimmen, die diese in ihrem Wahlbezirk bekommen haben. Daher versuchen die Parteifunktionäre, sich und ihre Leute mit allen erdenklichen Mitteln auf einem der obersten Plätze der Kandidatenliste unterzubringen. Das neue Wahlsystem ist für die WählerInnen schwer durchschaubar und wird deswegen wohl zunächst mehr Nachteile als Vorteile bringen. Ein Vorteil des Systems an sich ist, dass die WählerInnen ihren Kandidaten direkt wählen können, unabhängig davon, welchen Platz dieser auf der Kandidatenliste einnimmt. Die Wählerinnen werden mit dem komplizierte Wahlzettel konfrontiert werden. Bei der Parlamentswahl 1999 hatten sie nur 3 verschiedene Wahlzettel mit 48 Parteilogos und brauchten nur 3 mal ankreuzen. Die Parlamentswahl 2004 wird die - 4 von 5 - Wählerinnen mit einem Wahlzettel mit 24 mal 3 Parteilogos, tausenden Passfotos und Namen der KandidatInnen für das Nationalparlament-DPR, das Provinzparlament - DPRD I, Distriktparlament - DPRD II und für die Provinzvertreter im Nationalrat - DPD in der Wahlkabine konfrontieren. Die Wählerinnen müssen ihren Kandidaten und dessen Partei auf dem Wahlzettel ankreuzen. Falls sie nur ihren Kandidaten auf dem Wahlzettel ankreuzen, dann wird ihre Stimme für ungültig von der KPU erklärt. Sollten Sie auf dem Wahlzettel nur eine Partei ankreuzen, dann wird die Stimmen für jedoch für gültig erklärt. Das Parlament wollte den WählerInnen ein demokratisches Wahlsystem geben. Tatsächlich eröffnet das neue Wahlsystem den WählerInnen die Möglichkeit, ihre Wunschkandidaten direkt zu wählen, es darf aber nicht übersehen werden, dass das neue Wahlsystem mehr Geld, Energie und Zeit kostet. Es besteht die Gefahr, dass das neue System mit seiner Komplexität die Parlamentswahl 2004 in die Hoffnungslosigkeit und die Frustration bringt. Was ist jedoch die Alternative? Die Parlamentswahl 2004 abzublasen, könnte das Land ins Chaos führen, denn es ist kaum vorstellbar, dass Megawati mit ihrer Partei und ihrem Kabinett ohne die Durchführung einer Neuwahl weiter regieren kann. Die Bevölkerung und sogar die Anhänger der PDI-P sind sehr enttäuscht von Megawati, weil seit ihrem Präsidentschaftsantritt das letzte bisschen Hoffnung auf Demokratisierung und die Verbesserung der wirtschaftlichen- , sozialen-, und politischen Lage auch noch zerstört wurde und die Gesamtlage Indonesiens sich sogar noch verschlechterte. Wahlen zum Nationalrat Der Nationalrat - Dewan Pertimbangan Daerah (DPD) - ist eine staatliche Institution mit der Funktion, Interessen der Provinzen auf Nationalebene zu vertreten. Die Mitglieder des Nationalrats und die nationalen Parlamentsmitglieder sind automatisch Mitglieder der Volksratsversammlung (MPR), des obersten Legislativorgans in Indonesien. Außerhalb der Volksratsversammlung ist der DPD kein Gesetzgeber, sondern nur Ratgeber sowohl für die Regierung als auch für das Nationalparlament (DPR) in Bezug auf provinzielle Angelegenheiten. Das DPD kann nur Gesetzesvorschläge machen, Gesetzgeber jedoch ist das Nationalparlament. Das Modell der DPD-Mitgliedschaft ist gegenüber dem früheren Modell des Provinzvertreters in der Volksratsversammlung insofern von Vorteil, dass der Provinzvertreter früher nur von der Provinzregierung ernannt wurde, mit dem jetzigen Modell aber jede Provinz 4 Personen durch die Direktwahl an den DPD schicken kann. Im Moment hat Indonesien 31 Provinzen, was bedeutet, dass der DPD 124 Mitglieder hat. Die Wahl des DPD wird am gleichen Tag d urchgeführt werden wie die Parlamentswahl, und zwar am 5. April 2004. Der DPD-Kandidat ist unabhängig von der Partei und muss mindestens 5.000 bis 12.000 Unterstützer - abhängig von der Größe der Bevölkerung in einer Provinz - mit der Unterschrift und der Kopie des Personalausweises an die Provinz-KPU abgeben. Letztendlich ist der DPD als Vertreterorgan der Provinzen jedoch genau so machtlos gegenüber dem Nationalparlament wie die Vertreter des früheren Modells. Unter den KandidatInnen für den DPD überwiegen UnterstützerInnen des SuhartoRegimes, daneben kandidieren WissenschaftlerInnen, UnternehmerInnen, KünstlerInnen und NGO-AktivistInnen. Jede Provinz hat Vorschläge für 15 bis 45 KandidatInnen - davon unter Beachtung der Frauenquote je 30% Frauen - an die KPU geschickt. - 5 von 5 - Stimmen aus der Zivilgesellschaft Es gibt in Indonesien genügend politischen Kräfte wie z.B. Studenten, Wissenschaftler oder NGO-AktivistInnen, die die Parlamentswahl 2004 mit kritischem Blick verfolgen und sich auch davon distanzieren. Sie möchten mehr darstellen als Supportsystem, Beobachter, Kommentator und Kontrolleur. “Wir müssen die Parlamentswahl 2004 boykottieren“, so ein Standpunkt. Dies ist kaum möglich, denn laut Wahlgesetz steht auf Aufruf zum Wahlboykott in der Öffentlichkeit 2 Jahre Haft. „Wir müssen unsere pro-demokratischen FreundInnen bei ihren Wahlkämpfen unterstützen“, ist der Leitsatz einer anderen Position. „Wenn mehr pro demokratische AktivistInnen im Parlament sitzen, haben wir mehr Chancen und mehr Hoffnung für die Umsetzung der Demokratie in Indonesien. So oder so brauchen wir die Parlamentswahl 2004, deswegen müssen wir die Korrupten und Kriminellen auf der Kandidatenliste öffentlich entlarven. So haben wir wenigstens die Chance auf bessere Parlamentsmitglieder für die Legislaturperiode 2004 –2009 als während der Periode 1999 – 2004“, lautet ein dritter Standpunkt. Die Kampagne gegen korrupte und kriminelle PolitikerInnen ist für viele prodemokratische AktivistInnen an allen Fronten als gut empfunden worden, aber solche Kampagnen können ein neues Problem verursachen. Es wurde bereits eine Liste der vermutlich korrupten und/oder kriminellen Politiker zusammengestellt, jedoch gab es zu wenig Beweismittel für die angeblichen Vergehen. Trotz der Schwierigkeiten hat diese Kampagne als moralischer Appell an die PolitikerInnen eine große Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden. Die Parteien wurden vorsichtiger bei der Erstellung der Kandidatenlisten und die WählerInnen wurden kritischer und mutiger gegenüber den KandidatInnen für die Parlamentswahl 2004. Große politische Veränderungen wird die Parlamentswahl in Indonesien wohl nicht herbeiführen. Aber unabhängig davon, wer als Sieger aus der Wahl hervortritt, können die Parlaments- und Nationalratswahlen frischen politischen Wind in das krisengeschüttelte Indonesien bringen. Essen, den 20.1.2004