Software-Assistenten für Radiologen

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Strahlendiagnostik
Software-Assistenten für Radiologen
Wie Mediziner aus Schnittbildern Informationen über Organstrukturen gewinnen
Es könnte eine Szene aus dem Science-Fiction-Film „Phantastische
Reise“ sein: Ein Arzt „fliegt“ durch
den Dickdarm eines Patienten und
betrachtet so das Organ von innen.
Ein Endoskop, mit dem er in den
Patienten eindringen müsste,
braucht er dazu nicht – der Flug
wird am Bildschirm simuliert und
durch die Computermaus gesteuert.
Szenenwechsel. Ein Chirurg
muss einen Tumor aus der Leber
seines Patienten operieren. Er weiß
genau, wo die Geschwulst sitzt und
wie groß sie ist. Weil er schon vor
der Operation vom Computer genau
ins Bild gesetzt wurde, kann er gezielt schneiden und den Tumor präzise herausoperieren. Für den Patienten heißt das: Die Operation dauert gerade so lang wie nötig, die
Schnittwunde bleibt so klein wie
möglich.
Das klingt nach Zukunftsmusik,
und doch können Ärzte heute schon
mit der „virtuellen Endoskopie“
und der Operationsplanung am
Bildschirm arbeiten. Zwei Radiologen der Philipps-Universität waren
entscheidend an der Entwicklung
solcher Computer-Hilfsmittel beteiligt: Professor Klaus Jochen Klose,
Leiter der Klinik für Strahlendiagnostik am Medizinischen Zentrum
für Radiologie, und Dr. Ronald Leppek, Oberarzt in derselben Abteilung.
entstehen Aufnahmen mit der neueren Magnetresonanz-Tomographie
(MR), die allerdings nicht mit Röntgenstrahlen, sondern mit einem
starken Magnetfeld arbeitet.
Immer mehr Schnittbilder
in immer kürzerer Zeit
Auf der normalen CT-Aufnahme der Leber (o.) sind nur ihre Umrisse und
hell gefärbte Gefäße zu erkennen. Einzelne Lebersegmente (u.) werden erst
sichtbar, nachdem eine Software aus den ursprünglichen Aufnahmen die
Lebersegmente errechnet und farbig dargestellt hat.
„Virtuelles“ Institut
Zurzeit arbeiten die beiden Röntgenspezialisten in einem hochkarätigen Forschungsprojekt mit, in dessen Verlauf solche Werkzeuge für
Mediziner verbessert und weiterentwickelt werden sollen. „VICORA“
heißt das interdisziplinäre Programm – die griffige Abkürzung
steht für „Virtuelles Institut für
Computerunterstützung in der klinischen Radiologie“. „Virtuell“ weil
die Mitglieder des Instituts über
halb Deutschland verteilt sind: Außer Marburg sind drei weitere Universitäten an dem Forschungsverbund beteiligt, zudem zwei Bremer
Krankenhäuser, die Firmen Siemens
und MeVis-Technology und das Bremer Institut für „Medizinische Diagnosesysteme und Visualisierung“,
kurz „MeVis“ genannt.
„Das Projekt hat den Status eines
Sonderforschungsbereichs“, betont
30
Dr. Leppek. Das Bundesforschungsministerium bewilligte im vergangenen November acht Millionen Mark
für die kommenden drei Jahre. In
dieser Startphase werden die Mediziner in Zusammenarbeit mit Informatikern, Mathematikern und Experten aus der Industrie die Methoden der digitalen Röntgendiagnostik
weiterentwickeln und in klinischen
Studien erproben. Die Universitäten
haben dabei je unterschiedliche Forschungsschwerpunkte, wie Mammographie oder Lebertransplantation.
In Marburg werden Anwendungen
bei Tumoren, Leber-, Lungen- und
Gefäßerkrankungen erforscht. Am
Ende sollen so genannte „SoftwareAssistenten“ für Radiologen als
marktfähige Produkte stehen.
Um Knochen und Gelenke sichtbar zu machen, hat sich die gut
hundert Jahre alte projektive Röntgentechnik bis heute bewährt: Die
Strahlen einer Röntgenquelle durchqueren den Körper und zeichnen
ein „Schattenbild“ des Skeletts auf
einen Film. Weil Organe wie das Gehirn oder die Leber bei dieser Technik kaum Spuren auf dem Film hinterlassen, wurde seit Mitte der siebziger Jahre die Computer-Tomographie (CT) entwickelt. Bei ihr umkreist ein Röntgenstrahler den Patienten, der in einer Röhre liegt, und
ein gegenüberliegender Sensor
misst, wie viel Strahlung bei ihm
ankommt. Aus diesen Informationen errechnet der Computer eine
Serie von Schnittbildern. Ähnlich
CT und MR haben sich in den letzten Jahren allerdings so fortentwickelt, dass sie immer mehr
Schnittbilder in immer kürzerer
Zeit liefern – bei einer Untersuchung der Brust, einer MR-Mammographie, können das mehrere
hundert Bilder sein, die der Arzt
anschließend am Leuchtkasten betrachten muss. Solche Datenmengen von Hand und mit dem Kopf
auszuwerten ist jedoch zeitraubend
und teuer. „Kollege Computer“ ist
daher gefragt. Nur er kann aus
dem Datenwust die entscheidenden
Informationen herausarbeiten, die
beim bloßen Betrachten der Bilderflut unterzugehen drohen. Doch
selbst die gängigen Methoden der
Bildverarbeitung sind dieser Datenfülle nicht mehr gewachsen. Um
die ganze Informationstiefe der
Schnittbilder auszuschöpfen,
braucht es leistungsfähigere Bildbearbeitungswerkzeuge als bisher –
das ist der Forschungsauftrag von
VICORA. Zwar gibt es schon seit einiger Zeit die Möglichkeit, zweidimensionale Schnittbilder digital
nachzubearbeiten und etwa dreidimensional darzustellen. Doch das
war bislang teuer und zeitaufwendig und wurde im klinischen Alltag
nur selten eingesetzt. Außerdem
hatten die bisherigen 3D-Darstellungen ihre Grenzen. Sie konnten
etwa das Innere von Organen nicht
sichtbar machen. Der VICORA-Forschungsverbund arbeitet nun daran, solche Programme zu verbessern.
Dabei fangen die Forscher
allerdings nicht bei Null an. Die ersten Verfahren, Informationen aus
den Schnittbildern herauszuholen,
die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind, haben die beiden Marburger Radiologen zusammen mit
Informatikern und Mathematikern
bereits entwickelt. Die Computerspezialisten arbeiten in Bremen bei
MeVis, das als Kerninstitut des Projekts VICORA fungiert. Gemeinsam
gelang es ihnen, ein Problem zu lö-
Strahlendiagnostik
sen, das in der Leberchirurgie eine
große Rolle spielt.
Wie viele andere Organe setzt
sich die Leber aus verschiedenen
Segmenten zusammen. Abbildungen in medizinischen Lehrbüchern
zeigen diesen Aufbau. Doch dort ist
nur das Grundprinzip zu sehen – in
Wirklichkeit liegen die Segmente
keineswegs bei allen Menschen genau gleich. Für den Chirurgen aber
ist es wichtig, die Anatomie seines
individuellen Patienten zu kennen,
damit er genau weiß, wo er schneiden muss. Bisher musste er sich anhand von Schnittbildaufnahmen
eine räumliche Vorstellung vom
Aufbau des Organs machen. Aber
wenn er den Bauch öffnet, verrät
kaum ein Zeichen an der Oberfläche
der Leber, wo ein Segment aufhört
und das nächste beginnt. Bislang
kann auch keine radiologische
Technik deren Grenzen sichtbar
machen.
Computerprogramme errechnen
unsichtbare Strukturen
Bekannt ist aber dies: Jedes Lebersegment wird von einem anderen
großen Zweig der Pfortader mit Blut
versorgt. Diese Regel stimmt immer,
denn die Segmente sind über die
Blutversorgung definiert. Doch es
ist schwierig, sich anhand von „flachen“ Röntgenaufnahmen eine Vorstellung davon zu machen, wie die
Adern verlaufen und sich verzweigen. Hier kann der Computer helfen.
Er wird mit den riesigen Datenmengen gefüttert, die der Computer-Tomograph oder der Magnetresonanz-Tomograph nach einem „Leber-Scan“ liefert. Für die Aufnahme
hat der Patient ein Kontrastmittel
erhalten, das die Gefäße hervorhebt. Sie zeigen also etwas andere
Grauwerte als das Gewebe der Umgebung, und so zeichnet der Computer den Verlauf der Gefäße nach:
Er beginnt an einem Punkt, der eindeutig zu einer Ader gehört. Anschließend untersucht er alle Nachbarpunkte. Weicht der Grauwert eines Punktes zu stark ab, folgert der
Rechner, dass die Ader nicht in diese Richtung weitergeht. Liegt der
Grauwert dagegen innerhalb eines
vorgegebenen Toleranzbereichs,
schlägt der Rechner ihn der Ader zu
und sucht von hier aus weiter. So
arbeitet er sich langsam in alle
Richtungen vor, wobei er stets aufhört, sobald er irgendwo nicht weiterkommt. Das erfasste Aderngeflecht „wächst“ regelrecht – Fachleute sprechen von „region growing“. Die neuen Computerverfahren
schaffen es auch, die verschiedenen
Zweige der Pfortader auseinanderzuhalten, was ja die Voraussetzung
für die Unterscheidung der verschiedenen Lebersegmente ist.
Irgendwann allerdings wird die
Verästelung der Adern so fein, dass
sie selbst mit modernsten Tomographen nicht mehr zu erfassen ist.
„Bis zur dritten, vierten Verzweigungsstufe sind die Gefäße zu sehen“, sagt der MeVis-Informatiker
Dr. Dirk Selle, mit dem Leppek seit
fünf Jahren eng zusammenarbeitet.
„Bei allem, was darüber liegt, bleibt
nur eines: berechnen, wie das
Aderngeflecht weitergehen müsste.“
Glücklicherweise ist das möglich.
Denn Adern verzweigen sich nicht
zufällig. Sie gehorchen den Grundsätzen der fraktalen Geometrie.
Der Grundgedanke dieser Theorie ist einfach: Viele Strukturen in
der Natur sind selbstähnlich – das
immer wieder gleiche Muster wiederholt sich in verschiedenen Größendimensionen. Eine Luftaufnah-
me von ganz England zeigt eine
Küstenlinie mit zahlreichen Buchten. Betrachtet man diese großen
Buchten näher, zeigt sich, dass sie
aus kleineren Buchten bestehen, die
sich ihrerseits wieder in kleine
Buchten untergliedern. Ein Baumstamm verzweigt sich in einige große Äste, diese wiederum in weitere
Äste, die wie getreue Verkleinerungen der großen aussehen. Genauso
machen es auch die Adern, und deshalb lassen sich mit Hilfe der fraktalen Geometrie Äderchen berechnen, die kein medizinisches Gerät
erkennen kann. „Die Berechnungen
gehen über die Originaldaten der
Schnittbilder hinaus“, erläutert
Dirk Selle die Arbeitsweise der neuen Programme.
Sobald die Verteilung der
Aderngeflechte feststeht, ist auch
die Position der Lebersegmente klar,
da sie ja bis in den letzten Winkel
von den Adern durchzogen werden.
Die Forscher haben ihr Verfahren an
Leberpräparaten von Leichen getestet und festgestellt, dass die errechnete Anatomie gut mit der tatsächlichen übereinstimmt.
Das interdisziplinäre Teamwork bei MeVis kommt nicht von
ungefähr. Leiter des Instituts ist
Professor Heinz-Otto Peitgen, ein
renommierter Mathematiker und
Spezialist für fraktale Geometrie
und Chaostheorie. Die fraktale
Struktur von Bäumen hatte es Forschern wie ihm immer schon angetan. Dass sein Team sich für die
ähnlich aufgebauten Blutbahnen
oder Luftwege in der Lunge interessieren könnte, lag nahe.
Doch erst durch die Zusammenarbeit mit dem Marburger Radiologen Klaus Jochen Klose nahm die
Idee zu den Forschungsvorhaben
Gestalt an, die VICORA nun bearbeitet. „Zwei visionäre Forscher
haben sich zusammengetan“, beschreibt Leppek die 1991 begonnene Kooperation von Klose und Peitgen. Die beiden sind Mentoren des
Programms; Leppek ist der wissenschaftliche Koordinator.
Interdisziplinäres Projekt
Außer Informatikern und Mathematikern arbeiten Physiker, Elektroniker und ein Arzt bei MeVis. Sie treffen sich regelmäßig mit den beteiligten Medizinern der vier Universitäten und der zwei Krankenhäuser.
Die Mediziner haben dann die
zuletzt ausgetüftelten Werkzeuge in
der klinischen Praxis erprobt und
können angeben, was schon gut
und was noch gar nicht funktioniert. Grundsätzlich muss „ein medizinisches Problem in ein mathematisches übersetzt werden“, schildert Leppek den Austausch. „Der
Mathematiker sagt beispielsweise
dem Mediziner: Wenn Du wissen
willst, wie vital ein Tumor ist, dann
musst Du mir sagen, was der Parameter für Vitalität ist.“ Die Kommunikation klappt nicht immer auf
Anhieb, doch die Beteiligten loben
einmütig den interdisziplinären Arbeitsstil, der bei VICORA herrscht.
„Die Informatiker haben schnell erkannt, dass die Medizin Bedarf an
ihren Programmen hat und umgekehrt“, sagt Leppek.
Anwendungsreife Programme
Was auf keiner normalen Röntgenaufnahme zu sehen ist, macht der Computer sichtbar: Die Leber besteht aus mehreren Segmenten, deren Lage
beispielsweise ein Chirurg vor einer Operation kennen muss. Der Rechner
zeigt auch die sonst verborgenen Adersysteme, von denen jeweils ein
Zweig ein Lebersegment versorgt.
Dass die Programme Patienten
zugute kommen, dafür sorgen die
Mediziner. Die Lebersegmentierung
hat sich in der Praxis bereits bewährt und wird an der Medizinischen Hochschule Hannover bei so
genannten „Split-liver“-Transplan31
Strahlendiagnostik
Auf den zwölf CT-Bildern ist ein Tumor in der Leber als dunkler Fleck
zu erkennen. Die Schnittbilder –
von links oben nach rechts unten
übereinanderliegend zu denken –
zeigen seine Ausdehnung in verschiedenen Schnitthöhen. Der
Rechner zeichnet die Umrisse des
Tumors automatisch ein und errechnet sein Volumen – sehr viel präziser als bisherige Messungen mit
dem Lineal.
tationen eingesetzt. Dabei spenden
Angehörige Leberkranken einen Teil
ihrer Leber.
Die Teilleber wächst bei Spender und Empfänger wieder nach,
sofern sie nicht kleiner als rund ein
Drittel des gesamten Organs ist. Wie
groß genau die Leber bleibt, nachdem sie geteilt wurde, kann man
mit Hilfe der Lebersegmentierungsmethode schon vor der Operation
berechnen. Außerdem kann der Chirurg vorher sehen, wie er beide Lebern an den Rändern der Segmente
entlang schneiden muss. Er kann
die Operation vorher am Bildschirm
simulieren.
Die neuen Methoden der Bildanalyse bewähren sich auch schon
bei der Entfernung von Tumoren
aus der Leber. Mit Hilfe eines mathematischen Verfahrens namens
Wasserscheiden-Transformation
lässt sie die Lage eines Tumors genau bestimmen und als räumliches
Gebilde darstellen. Der Betrachter
kann dann per Mausklick angeben,
welcher Bereich ihn interessiert und
welcher nicht – schon lässt der
Computer den Tumor aufleuchten,
der nun von allen Seiten betrachtet
werden kann.
Der Arzt kann sich zudem zeigen lassen, ob der Tumor sich zum
Beispiel über zwei Segmente erstreckt, die von zwei Gefäßbäumen
versorgt werden, oder nur über eines. Da auch Tumorgewebe Blut
zum Leben braucht, operiert man
heute radikal segmentorientiert
und schneidet so eventuell zurückbleibendem Krebsgewebe die Blut32
zufuhr ab. Ein entscheidender Fortschritt in der Tumorchirugie, meint
Leppek: „Mit den Software-Werkzeugen kann man den individuellen
Organaufbau darstellen, um dem
Chirurgen, na, ich will nicht sagen,
das Skalpell zu führen, aber ihm
doch eine wichtige Hilfe zu geben.“
Der Chirurg kann so besser der heutigen Operationsmaxime folgen: so
schonend wie möglich und so radikal wie nötig.
Erklärtes Ziel von VICORA ist
die Entwicklung anwendungsreifer
Techniken, die sich auf dem Markt
behaupten. „Mit VICORA sollen sich
nicht sechs, sieben Leute habilitieren, sondern die Ergebnisse sollen
möglichst vielen Patienten zugute
kommen“, beschreibt Leppek das
Selbstverständnis. Aus diesem
Grund arbeitet die Firma Siemens
Medizintechnik von Anfang an mit.
„Wir setzen die Werkzeuge so in klinische Arbeitsplätze um, dass die
Benutzer damit arbeiten können“,
beschreibt der Produktmanager Dr.
Gerald Lenz die Aufgabe der Firma.
Dazu werden die Ergebnisse von
VICORA in SYNGO integriert – die
Standard-Software von Siemens, die
auf vielen medizinischen Geräten
läuft.
Quantitative und funktionelle
Informationen über Organe
Von einer weiteren VICORA-Anwendung werden zunächst hauptsäch-
Anhand dieser Aufnahme kann ein Chirurg eine „Split-liver“-Operation – bei
der ein Verwandter eines Leberkranken einen Teil seiner Leber spendet –
präzise planen. Dazu hat der Computer drei Lebersegmente (re.) farblich
unterschieden und vom Rest der Leber abgetrennt. Zugleich macht er die
Verzweigungen des Pfortadersystems sichtbar.
lich Marburger Patienten profitieren: Ronald Leppek will mit Hilfe
des Computers feststellen, wie groß
und wie gefährlich ein Tumor ist.
Das soll die Verlaufskontrolle bei
Krebserkrankungen einen großen
Schritt voranbringen. „Wir messen
das Volumen von Tumoren bis heute mit dem Lineal“, erläutert er.
Dabei ermittelt man bislang einfach
den Durchmesser an der dicksten
Stelle, die auf einem Schnittbild zu
sehen ist. Da ein Tumor aber kein
regelmäßiges Gebilde wie eine Kugel
ist, konnte man bislang das Volumen der Geschwulst nur grob ausrechnen – eine viel zu subjektive
Messmethode. Erst seit der Computer Tumorgewebe von gesundem
Gewebe unterscheiden kann, können Ärzte das Volumen einer Krebsgeschwulst wesentlich genauer als
bisher berechnen.
Auch das ist ein erklärtes VICORA-Ziel: Methoden zu entwickeln,
die quantitativ präzise Untersuchungsergebnisse hervorbringen.
Nur so können Mediziner künftig
effektiver und wirksamer behandeln.
Wichtig zu wissen ist aber auch,
wie aktiv ein Tumor noch ist. Hat
die Behandlung ihn schon getötet,
oder lebt er noch? Ärzte sprechen
von der „Vitalität“ des Tumors. Sie
lässt sich nicht immer aus seiner
Form ableiten – es kommt daher
darauf an, etwas über die Funktion
des Tumors zu erfahren. Solche Fragen stellen sich den Diagnostikern
immer öfter. „Die Radiologie bewegt
sich vom Bild weg zur Funktion, die
Strahlendiagnostik
man dem Bild als solchem nicht ansieht“, so Leppek. Daran arbeiten
die VICORA-Forscher ebenfalls:
computergestützte radiologische
Verfahren zu entwickeln, die den
Medizinern neben morphologischen
auch funktionelle Informationen
über die Organe liefern.
Die Vitalität eines Tumors lässt
sich nur feststellen, wenn ein Computerprogramm neben den Raumdimensionen auch den zeitlichen Verlauf körperlicher Vorgänge erfassen
kann. Zum Beispiel, wie ein Tumor
Kontrastmittel aufnimmt und
wieder abgibt. Ein bösartiger Tumor tut das in der Regel schneller
als beispielsweise eine gutartige Geschwulst, ein vitaler Tumor zeigt im
Unterschied zu einem abgestorbenen einen regen Stoffwechsel.
Kombiniert man diese funktionelle Messung mit der Volumenberechnung, bekommt man Aufschluss darüber, ob der Krebs
beispielsweise schon auf eine Bestrahlung oder eine Chemotherapie
anspricht. „Denn es ist ja denkbar,
dass ein Tumor zwar abstirbt, aber
noch nicht geschmolzen ist. Wenn
ich nur die Größe messe, dann sage
ich, der Tumor hat gar nicht reagiert“, schildert Leppek den Klinikalltag. Wenn es aber gelänge nachzuweisen, dass der Tumor trotz
gleichbleibender Größe unter der
Therapie abgestorben ist, könnte
man dem Patienten eine aggressive,
nebenwirkungsreiche Therapie ersparen. Oder man könnte Patienten
ermutigen, bei denen die Behandlung anschlägt – auch das ist
bislang noch nicht nachweisbar. Der
Arzt könnte begründeter entscheiden, ob er das richtige Mittel verabreicht, ob er die Behandlung umstellen, weiterführen oder gar abbrechen muss.
Diese vielen Themen bewältigt
Leppek freilich nicht alleine. Zur
Marburger Arbeitsgruppe gehören
Forscher aus allen Disziplinen: der
Onkologe Zugmaier, der Pharmakologe Aigner, der Physiker Heverhagen, der Chirurg Kisker und der Radiologe Alfke. Die Arbeitsgruppe
Der Bronchialbaum der Lunge
zeigt auf jeder
Verzweigungsstufe dieselbe
Art der Verästelung. Aufgrund
dieser selbstähnlichen Struktur
lassen sich die
Segmente der
Lunge mit Hilfe
der fraktalen Geometrie berechnen: Zunächst
wird das Skelett
der Segmentbronchien (li.o.)
und dann ihre
volle Größe errechnet (re.o.)
Anschließend errechnet der
Computer für jeden Punkt der
Lunge, zu welchem Segment
er gehört (li. u.)
und stellt das
Resultat – die
Lungensegmente – farblich dar.
sucht noch weitere Wissenschaftler.
Interessierte Mediziner, Physiker
und Biologen können sich bei Dr.
Leppek melden.
Leid und Geld sparen
Gezieltere und effizientere Behandlungen würden nicht nur den Patienten unnötige Leiden, sondern den
Krankenkassen auch viel Geld sparen, besonders wenn es sich um
„Volkskrankheiten“ wie zum Beispiel die Arteriosklerose handelt.
Das Heer der Kranken mit solchen
Durchblutungsproblemen wird
möglicherweise von den neuen Bildanalyse-Methoden profitieren können. Die Marburger haben mit der
Suche nach Methoden begonnen,
um die Schwere von arteriellen Ver-
Dr. Ronald Leppek
Oberarzt an der
Klinik für Strahlendiagnostik
Zentrum für Radiologie
Baldingerstraße
35033 Marburg
Tel.: 06421 / 28-65937
E-Mail:
[email protected]
schlusskrankheiten wie der Arteriosklerose festzustellen.
Bislang schauen Ärzte danach,
wie eng oder weit ein Blutgefäß ist,
das durch Ablagerungen verengt
wurde. Für den Patienten heißt das:
Er bekommt von der Leiste aus einen Katheter in das Blutgefäß geschoben. Doch das Starren auf die
Verengung ist gar nicht unbedingt
hilfreich, dachten sich die Marburger Forscher und kamen auf die
Idee, dort zu untersuchen, wo die
eigentlichen Probleme entstehen: in
der Muskulatur. Die bekommt
durch die Verengung weniger Blut
und schmerzt bei Belastung – die so
genannte Schaufensterkrankheit ist
das bekannteste Beispiel. Wenn der
Arzt den Durchblutungsgrad der
Muskulatur ermitteln könnte, wäre
er besser in der Lage, die angemes-
sene Behandlung zu wählen. Oft
nämlich entsprechen die subjektiven Beschwerden der Patienten
nicht der tatsächlichen Minderdurchblutung. Nicht jeder braucht
gleich die stärkste Behandlung.
Manchmal reicht es, ein Medikament zu geben, dass das Gefäßwachstum stimuliert. So müsste
man nur solchen Patienten die Gefäße mit einem Ballonkatheter weiten oder gar durch eine Operation
ersetzen, bei denen dies wirklich
nötig ist. Auch zur Diagnose müssten sich die Patienten keinem Eingriff unterziehen, sondern sich nur
in die MR-Röhre legen.
Gabriele Neuhäuser
Prof. Dr. Klaus Jochen Klose
Leiter der Klinik für
Strahlendiagnostik
Zentrum für Radiologie
Baldingerstraße
35033 Marburg
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