108 6 Vegetatives Nervensystem Vegetatives Nervensystem 6 Martin Diener ▶ Das vegetative Nervensystem dient der unwillkürlichen Steuerung des Stoffwechsels und der inneren Organe. Anatomisch und funktionell kann man mehrere Abteilungen unterscheiden: den Sympathicus, den Parasympathicus und das enterische Nervensystem. Eine Aktivierung des Sympathicus erfolgt v. a. in Belastungssituationen zwecks Bereitstellung von Leistungsreserven, während dem Parasympathicus eine eher erhaltende Funktion zukommt. Das enterische Nervensystem dient der weitgehend vom Zentralnervensystem unabhängigen Steuerung von Funktionen des Magen-DarmTraktes. Dazu kommen noch viscerale Afferenzen, die über den Zustand der inneren Organe informieren. ◀ 6.1 Funktion des vegetativen Nervensystems Das vegetative Nervensystem umfasst den Teil des Nervensystems, der der Regulation der inneren Organe und des Stoffwechsels dient. Zu diesem Zweck arbeitet das vegetative Nervensystem eng mit dem Hormonsystem und dem somatischen Nervensystem zusammen. Synonym wird das vegetative Nervensystem auch als autonomes oder unwillkürliches Nervensystem bezeichnet, weil es weitgehend der willkürlichen Kontrolle entzogen ist. Allerdings gibt es enge Interaktionen zwischen vegetativem und somatischem Nervensystem, sodass Vorgänge wie z. B. die Miktion oder die Defäkation, die primär durch das vegetative Nervensystem gesteuert werden, auch willentlich beeinflusst werden können. Das vegetative Nervensystem reguliert die Tätigkeit der inneren Organe und den Stoffwechsel. 6.2 Bau des vegetativen Nervensystems Das vegetative Nervensystem besteht aus verschiedenen Funktionssystemen: dem Sympathicus, dem Parasymund dem enterischen Nervensystem pathicus (s. Kap. 16.2). Die beiden ersten Anteile sind die eigentlichen, klassischen Teile des vegetativen Nervensystems. Dazu kommen noch viscerale Afferenzen, die Informationen von den inneren Organen dem Zentralnervensystem zuleiten. Sympathicus und Parasympathicus besitzen sehr viele Ähnlichkeiten in ihrer Struktur (Abb. 6.1). Ihre Nervenzellen sind prinzipiell in Form von Zwei-Neuronen-Ketten angeordnet. Die zentralen Anteile des vegetativen Nervensystems liegen im Rückenmark und im Hirnstamm; die peripheren Neurone sind außerhalb des Zentralnervensystems in Ganglien lokalisiert. Die Ganglien des Sympathicus liegen meistens nahe dem Zentralnervensystem und somit organfern, während die des Parasympathicus nahe an den zu innervierenden Organen gelegen sind. Die zentralen Neurone werden, da sie vor den Ganglien liegen, als präganglionäre Neurone bezeichnet, während die Neurone in den Ganglien selbst in Analogie dazu postganglionäre Neurone genannt werden. Von den postganglionären Neuronen gehen dünne unmyelinisierte Nervenfasern aus, die die einzelnen Organe innervieren (Tab. 6.1). Die präganglionären Neurone des Sympathicus befinden sich im Rückenmark im Bereich der Seitenhörner. Sympathische Neurone findet man nicht im gesamten Rückenmarksbereich, sondern nur im Thorakal- und Lumbalmark (Th1 bis L2/3 beim Menschen; bei Hund, Pferd und Rind bis L4/L6). Die Nervenzellkörper dieser Neurone senden ihre Axone mit den Rami communicantes zum Grenzstrang. Dieser besteht aus einer Reihe von paravertebral gelegenen Ganglien (z. B. Ggl. cervicale craniale, Ggl. cervicale medium und Ggl. stellatum). Hier erfolgt z. T. die Umschaltung zum zweiten (postganglionären) Neuron. Neben dem Grenzstrang, der beidseits neben der Wirbelsäule liegt, gibt es noch eine Reihe von prävertebralen Ganglien des Sympathicus, die vor der Wirbelsäule liegen und unpaarig angelegt sind (Ggl. coeliacum, Ggl. mesentericum craniale und Ggl. mesentericum caudale). Die präganglionären Axone der Neurone, die zu diesen Ganglien projizieren, durchqueren den Grenzstrang ohne Umschaltung, d. h. ohne eine synaptische Übertragung. Die Fasern der postganglionären Neurone ziehen als vegetative Nerven oder mit den Blutgefäßen zu den zu innervierenden Organen. Die innervierten Zielorgane sind die glatte Muskulatur aller Organe, der Herzmuskel, die Gefäße und z. T. die exokrinen Drüsen. aus: von Engelhardt u. a., Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830410782) © 2010 Enke Verlag 6.2 Bau des vegetativen Nervensystems Auge N. oculomotorius Mesencephalon s N. faciali Tränen- und Speicheldrüsen yngeus N. glossophar Pons Medulla oblongata N. vagus Bronchien Ganglion cervicale craniale Ganglion stellatum Thoracolumbal Th1-L3 Herz Ganglion coeliacum Nebennierenmark Ganglion mesenteriale craniale Magen-Darm-Trakt Sacral S2-S4 Ganglion mesenteriale caudale Grenzstrang Harnblase Geschlechtsorgane Abb. 6.1 Schematischer Verlauf des Sympathicus (rot) und des Parasympathicus (schwarz). Auch in den tieferen Abschnitten des Grenzstrangs findet eine Umschaltung von prä- auf postganglionäre Neurone statt, die hier aus Gründen der Vereinfachung nicht eingezeichnet sind. Die Fortsätze dieser postganglionären Neurone dienen in der Regel dazu, die Blutgefäße zu den einzelnen Organen zu innervieren. Die Angabe der Rückenmarksegmente mit sympathischen (Th1–L3) und parasympathischen Anteilen (S1–S4) beziehen sich auf den Menschen. Die präganglionären Neurone des Parasympathicus sind im Hirnstamm und im Sacralmark lokalisiert (Abb. 6.1). Parasympathische Kerngebiete findet man im Mesencephalon, in der Pons und in der Medulla oblongata. Ihre Axone schließen sich Hirnnerven mit vegetativen Anteilen (N. oculomotorius, N. facialis, N. glossopharyngeus, N. vagus) an. Außerdem finden sich parasympathische präganglionäre Neurone im Bereich des Zwischenhorns im Sacralmark (S2–S4). Die Umschaltung zu den postganglionären Neuronen erfolgt in Ganglien, die nahe an den zu innervierenden Organen liegen. Zielorgane des Parasympathicus sind die glatte Muskulatur und die Drüsen. Gefäße werden mit wenigen Ausnahme (Arteriolen in den Geschlechts- organen, in Speicheldrüsen und im Gehirn) nicht parasympathisch innerviert. Es gibt deutliche Unterschiede zwischen den Nervenkontaktstellen im prä- und im postganglionären Bereich. Die präganglionären Neurone von Sympathicus und Parasympathicus benutzen für die Weiterleitung der Erregung an den Synapsen mit den postganglionären Neuronen generell Acetylcholin als Transmitter (Abb. 6.2). Die Axone der postganglionären Neurone ziehen schließlich zu den zu innervierenden Organen. Im Unterschied zum somatischen Nervensystem gibt es im postganglionären Bereich keine hochspezialisierten Kontaktstellen zwischen Neuron und Endorgan, also keine Synapsen. Stattdessen besitzen die aus: von Engelhardt u. a., Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830410782) © 2010 Enke Verlag 109