Genchirurgie am menschlichen Embryo?

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POLITIK
PRO &
KONTRA Genchirurgie am menschlichen Embryo?
Foto: Deutscher Ethikrat/Reiner Zensen
Ein Forschungsmoratorium wäre verfehlt: Vor dem Hintergrund hochrangiger therapeutischer Ziele ist eine mögliche künftige Anwendung der
Genomchirurgie an Embryonen in der Reproduktionsmedizin geboten.
Prof. Dr. iur. Reinhard Merkel,
Professor (Emeritus) für Strafrecht
und Rechtsphilosophie an der
Universität Hamburg, Mitglied des
Deutschen Ethikrates
A 1478
PRO
Kritiker nennen vor allem drei prinzipielle Gründe, die gegen einen künftigen Einsatz der CRISPR/Cas-Technologie an Keimzellen sprechen:
Erstens die Verletzung der Menschenwürde, zweitens das Fehlen der
Einwilligung aller künftigen Individuen, die mit dem veränderten Genom geboren würden, und drittens
die Überflüssigkeit des Verfahrens,
da der angestrebte Effekt, die Verhinderung erbkranker Kinder, vollständig mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) erreicht werden könne. Keiner dieser Einwände kann
überzeugen.
Zur Behauptung, Genomeditierung verletze die Menschenwürde:
Wessen Menschenwürde? Die des
genetisch veränderten Embryos?
Nein. Es ist schlechterdings nicht
einzusehen, wieso ausgerechnet die
Menschenwürde gebieten sollte, einen Embryo schwer geschädigt zur
Welt kommen zu lassen, nämlich mit
seinem kranken „natürlichen“ Genom statt mit einem medizinisch korrigierten. Und sollte die „Würde
der menschlichen Gattung“ gemeint
sein: Selbst wenn man deren Verletzung (wenig plausibel) behaupten
wollte, ginge es dabei nicht um das
höchste, nach Artikel 1 des Grundgesetzes „unantastbare“ Individualrecht
der Person, sondern um ein kollektives Gut. Dessen Schutz folgt, wie der
aller kollektiven Güter, utilitaristischen Maßgaben; und das bedeutet:
er ist abwägbar. Hinter dem fundamentalen Interesse des betroffenen
Embryos, nicht schwer geschädigt
zur Welt zu kommen, hat er zurückzustehen.
Der zweite Einwand, keines der
künftigen Individuen, die mit dem
korrigierten Genom geboren würden,
hätte eingewilligt, ist aus zwei Gründen verfehlt: Erstens bedarf es für
den Eingriff in die Körpersphäre eines anderen lange vor der eigenen
Geburt und mit der Folge, dass man
selbst gesund statt genetisch schwer
krank geboren wird – schon grundsätzlich keiner Einwilligung. Und
zweitens ist unerfindlich, welchen
Anspruch ein Embryo haben sollte,
das (geschädigte!) Genom eines seiner Großeltern zu erben statt des gesunden Genoms (sagen wir) seines
Vaters.
Auch der dritte Einwand, die
Überflüssigkeit des gesamten riskanten Verfahrens wegen der Möglichkeit einer PID, überzeugt nicht. Die
Behauptung, man könne die Ziele der
Genomeditierung − die Vermeidung
der Geburt genetisch kranker Kinder
− gänzlich durch die risikoarme PID
erreichen, ist nicht richtig. Sie stimmt
schon für die (wenngleich seltenen)
Fälle nicht, in denen sämtliche Nachkommen die elterliche genetische Erkrankung erben müssten, weil beide
Eltern deren Träger sind. Im Übrigen
stimmt sie nur für monogenetische
Erkrankungen, nicht aber für polygenetisch beeinflusste Krankheiten
(wie Schizophrenie oder Alzheimer)
und auch nicht für polygene Dispositionen zu anderen Erkrankungen, wie
zu zahlreichen Krebsarten. In Fällen
solcher Dispositionen, sagen wir mit
15 bis 20 involvierten Gendefekten,
müssten sehr große Mengen von Embryonen in vitro erzeugt werden, um
die Chance zu haben, auch nur einen
einzigen gesunden zu finden. Dagegen mag die Genomchirurgie hier in
Zukunft möglicherweise vollständig
Abhilfe schaffen können. Im Übrigen
ist die PID in Deutschland nur in engen Grenzen zulässig: bei „hohem
Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“ oder „hoher Wahrscheinlichkeit einer Tot- oder Fehlgeburt“.
Warum bei etwas weniger gewichtigen genetischen Erkrankungen keine
Abhilfe erlaubt sein sollte, wenn diese durch Genomeditierung risikolos
möglich wäre, ist nicht zu sehen.
Deshalb: Die Fortsetzung der
Grundlagenforschung zur Genomchirurgie ist moralisch nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Vor
dem Hintergrund hochrangiger therapeutischer Ziele bezieht sich dieses
Gebot auch auf eine mögliche künftige Anwendung an Embryonen in der
Reproduktionsmedizin. Das von Kritikern geforderte Moratorium im
Hinblick auf diese Forschung wäre
moralisch verfehlt.
Im Übrigen gibt es auf allen Seiten
der weltweiten Diskussion jedenfalls
in einem Punkt einen fraglosen Konsens: Dass bis zu einer hinreichenden
Sicherheit der Genomeditierung mit
der CRISPR/Cas-Technologie – von
der die Forschung noch weit entfernt
ist – eine Anwendung zu Reproduktionszwecken verwerflich wäre und
verboten bleiben muss, steht außer
▄
Zweifel.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 33–34 | 22. August 2016
POLITIK
Keine sinnvolle medizinische Anwendung: Die einzig wissenschaftlich
„sinnvolle“ Anwendung wäre das Einbringen einer neuen genetischen
Eigenschaft. Das aber wäre keine Therapie, sondern Enhancement.
Foto: privat
KONTRA
Prof. Dr. rer. nat. Dr. phil. Sigrid
Graumann,
Professorin für Ethik im Fachbereich Heilpädagogik und Pflege
an der Evangelischen Hochschule
Rheinland-Westfalen-Lippe,
Mitglied des Deutschen Ethikrates
Die viel diskutierte Technologie
CRISPR/Cas eröffnet die Möglichkeit, Erbanlagen in Zellen, Geweben und Organismen viel präziser
und effektiver zu verändern, als das
mit den bisherigen Methoden der
Gentechnologie der Fall war. Mit
dem zeitsparenden, kostengünstigen und vergleichsweise einfach zu
handhabenden Verfahren kann an
gewünschter Stelle eine DNA-Sequenz aus dem Genom einer Zelle
entfernt oder eine fremde DNA-Sequenz eingefügt werden.
Theoretisch kann das Verfahren
auch an Keimzellen oder frühen
menschlichen Embryonen eingesetzt werden. Per Genomeditierung
könnte so die genetische Konstitution der eigenen Kinder gestaltet
und die Veränderung an zukünftige
Generationen weitergegeben werden. Der Sieg über Erbkrankheiten scheint in greifbare Nähe gerückt zu sein.
Noch herrscht unter Forscherinnen und Forschern überwiegend
Einigkeit, dass es sich bei einem
klinischen Einsatz der Genomeditierung um ethisch nicht vertretbare Menschenversuche handeln würde – solange die Folgen
für künftige Menschen nicht beherrschbar sind.
In dieser medizinethischen Debatte wird allerdings weitgehend
übersehen, dass es für die Genomeditierung der menschlichen Keimbahn ganz offensichtlich überhaupt
keinerlei sinnvolle medizinische
Anwendung gibt.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 33–34 | 22. August 2016
Bei der Vererbung einzelner Gene an folgende Generation sind bei
autosomal dominanten Erbgängen
50 Prozent der Nachkommen und
bei rezessiven Erbgängen 75 Prozent der Nachkommen nämlich
nicht von der Erbkrankheit betroffen. Warum sollte man also versuchen, die betroffenen Embryonen
mit der CRISPR/Cas-Technologie
zu „reparieren“, wenn man für die
Herbeiführung einer Schwangerschaft auch die nicht betroffenen
Embryonen nehmen kann? Da wäre eine Präimplantationdiagnostik
(PID) eine deutlich risikoärmere
Alternative.
Die einzig denkbare, wissenschaftlich „sinnvolle“ Anwendung einer Genomeditierung der
menschlichen Keimbahn wäre das
Einbringen einer genetischen Eigenschaft, die bislang nicht in den
Erbanlagen der Eltern vorhanden
ist. Das aber wäre keine Therapie,
sondern das wäre Enhancement.
Bei den Eigenschaften, die dafür
im Raum stehen, handelt es sich allerdings um solche, deren genetischen und epigenetischen Grundlagen sehr komplex sind und nicht
oder derzeit nicht vollständig bekannt.
Davon abgesehen gilt auch für
die CRISPR/Cas-Technologie, dass
es keine völlig risikofreie Technik
in biologischen Systemen gibt.
Beim Einsatz von CRISPR/Cas treten nachweislich unerwünschte Nebenfolgen auf, sogenannte OffTarget-Effekte. In diesen Fällen in-
seriert das Transfergen nicht an der
gewünschten Stelle im Genom,
sondern anderswo. Die Folgen davon zeigen sich in vollem Ausmaß
letztlich erst im entwickelten Organismus. Das mag im Tierversuch
vertretbar sein, im Menschenversuch ist es das nicht!
Außerdem kommt auch eine Genomeditierung nicht ohne einen
Selektionsschritt aus, bei dem die
Zellen beziehungsweise Embryonen, bei denen der Gentransfer
richtig funktioniert hat, zur weiteren Verwendung aussortiert werden. Die Embryonen, bei denen es
nicht geklappt hat, werden „verworfen“. Solange am Grundsatz
des Embryonenschutzes hierzulande festgehalten wird, ist dies nicht
möglich.
Wir sollten uns nicht in Scheingefechte verwickeln lassen und darüber die aktuelleren und wichtigeren ethischen Fragen des Einsatzes
von CRISPR/Cas ausblenden: Dabei geht es um die biologische Sicherheit, den Schutz von Patientinnen und Patienten in klinischen
Versuchen oder auch den Einsatz
der CRISPR/Cas-Technologie in
der Tier- und Pflanzenzüchtung.
Das sind die Felder, die wir dringend besprechen müssen, weil die
Anwendung hier viel eher zu erwarten ist. Es besteht die Gefahr,
dass Erfolgsmöglichkeiten überund Risiken deutlich unterschätzt
werden – so wie vor 15 Jahren, als
man somatische Gentherapien als
▄
Durchbruch feierte.
A 1479
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