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Jahrbuch 2015/2016 | Portugues, Ruben | Neuronale Netze mithilfe der Zebrafischlarve erforschen
Neuronale Netze mithilfe der Zebrafischlarve erforschen
Using zebrafish larvae to link stimuli to behavior
Portugues, Ruben
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Eine Hauptfunktion unseres Gehirns ist es, Sinneseindrücke zu verarbeiten, um das optimale Verhalten zu
w ählen. Die Berechnungen, mit denen das Gehirn Sinneseindrücke und Verhalten verbindet, sind kaum
verstanden.
Um diese
komplexen
Vorgänge
zu
verstehen,
untersuchen
W issenschaftler
einfachere
Modellorganismen. Die transparente Larve des Zebrafisches erlaubt es den Forschern, mit neuesten optischen
Methoden dem gesamten Gehirn und selbst einzelnen Nervenzellen bei der Arbeit zuzuschauen. Dies hilft zu
verstehen, w ie neuronale Netzw erke Sinneseindrücke in Verhalten übersetzen.
Summary
A key function of the brain is to integrate incoming sensory information, and to select the optimal behavior in
response to these external cues. The underlying computations in the brain are extremely complex and poorly
understood. To address this area of research, scientists use the transparent larval zebrafish as model
organism. W ith the aid of pow erful microscopes, scientists can monitor the w hole brain activity at single cell
resolution in the intact, behaving animal. This helps to understand how neuronal circuit dynamics translate
sensory processing into behavioral output.
Eine der größten Herausforderungen der Neurow issenschaften ist es zu verstehen, w ie die Aktivität von
Milliarden miteinander verbundener Nervenzellen die Planung und Ausw ahl passender Verhaltensmuster
entsprechend
den
äußeren
Umständen
beeinflusst.
Bis
jetzt
haben
W issenschaftler
nur
ein
sehr
eingeschränktes Verständnis von der Funktion solcher neuronalen Netzw erke. Dies liegt vor allem daran, dass
diese Netzw erke hochkomplex sind und es kaum passende Methoden gibt, um ihre Aktivität präzise in Zeit und
Raum zu erfassen. Durch die einzigarten Eigenschaften der Zebrafischlarve können Forscher einige dieser
Einschränkungen bew ältigen, sodass Nervenzellverbände detailliert erforscht w erden können.
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A bb. 1: (O be n) Eine Ze bra fischla rve . Da s grüne Vie re ck im
obe re n Bild ist im unte re n Bild ve rgröße rt da rge ste llt. (Unte n)
Da s Ge hirn de r Ze bra fischla rve le uchte t grün, da hie r in a lle n
Ne rve nze lle n e in fluore szie re nde r, ge ne tisch-k odie rte r
Ka lzium -Se nsor vorha nde n ist. Da s bla ue Vie re ck gibt die
Ansicht in Abbildung 3 wie de r.
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Die Larve des Zebrafisches (Abb. 1), ursprünglich als Zebrabärbling bekannt, ist ein zirka vier Millimeter langes
W irbeltier. Sie besitzt rund 100.000 Nervenzellen. Im Vergleich zum menschlichen Gehirn hat die Larve gut
eine Million Mal w eniger Nervenzellen. Sie kann jedoch damit immer noch komplexe Verhaltensmuster abrufen.
Der größte Vorteil für die Forschung ist jedoch, dass die Larve durchsichtig ist. Dieser entscheidende Vorteil
ermöglicht es, das komplette Gehirn mit einer Einzelzellauflösung zu beobachten. Das Beste ist, dass alles am
w achen und sich verhaltenden Tier beobachtet w erden kann und keine invasiven Arbeiten nötig sind. Mit Hilfe
der neuesten bildgebenden Verfahren können die W issenschaftler am Max-Planck-Institut für Neurobiologie so
gew isse
Aktivitätsmuster der Nervenzellen mit spezifischen Sinneseindrücken und
Verhaltensmustern
korrelieren. Ein essenzieller Schritt, um zu verstehen, w ie das eine ins andere übersetzt w ird.
Visuell gesteuerte Verhaltensmuster
Zebrafischlarven können spezifische Verhaltensmuster abrufen, w enn sie mit verschiedenen Klassen von
visuellen Reizen konfrontiert w erden (Abb. 2). Ein Beispiel für eine solche Klasse ist die optokinetische
Reaktion: Mit gezielten Augenbew egungen versucht die Larve den Bew egungen von Objekten im visuellen
Feld zu folgen. Auf diese Weise bleibt der Blick der Larve möglichst stabil und die Netzhaut nimmt w eniger
Bildbew egung w ahr. Ein w eiteres, stereotypes Verhaltensmuster ist die optomotorische Reaktion. Hier
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versucht die Zebrafischlarve in die Richtung der w ahrgenommenen Bew egung des kompletten Sichtfeldes zu
schw immen. Im Labor kann dieses Verhalten nachgestellt w erden, indem der Larve von unten schw arz-w eiße
Balken gezeigt w erden, die sich von ihr w eg bew egen. Dies gaukelt der Larve vor, dass sie durch den Strom
des W assers w eggerissen w ird. Durch Schw immen versucht sie, die w ahrgenommene Umw elt zu stabilisieren.
A bb. 2: Die La rve schwim m t in e ine r tra nspa re nte n Scha le m it
de m visue lle n Stim ulus da runte r. Zwe i Ve rha lte nsm uste r sind
illustrie rt: (O be n re chts) Be we gt sich da s visue lle Fe ld na ch
vorne (hie r: schwa rz-we iße Ba lk e n), ve rsucht die La rve na ch
vorne zu schwim m e n – wa s nicht ge lingt, da de r Kopf fix ie rt
ist. (Unte n re chts) R otie rt e in visue lle r, ze ntrie rte r Stim ulus
a m Kopf de s Fische s (hie r e in W indm ühle nstim ulus), ve rsucht
die La rve ihn m it Auge nbe we gunge n zu ve rfolge n. In die se m
Ex pe rim e nt ist de r Körpe r fix ie rt.
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Dieses Verhaltensmuster können die Neurobiologen auch dynamisch regeln: Sie fixieren den Kopf der Larve
temporär in einem Gel. Der Schw anz ist dabei frei und kann sich bew egen. Die Forscher nehmen dann die
Schw anzbew egungen
durch
eine
Hochgeschw indigkeitskamera
auf
und
analysieren
die
spezifischen
Schw immcharakteristiken. Durch das Modulieren der Geschw indigkeit der schw arz-w eißen Balken kann eine
geschlossene, künstliche Realität gestaltet w erden, in der beispielsw eise die Geschw indigkeit der Balken von
den Bew egungen der Larve abhängt:
Je schneller oder stärker die Larve schw immt, desto langsamer
bew egen sich die Balken. Mit diesem Trick w ird der Larve vorgegaukelt, dass sie sich frei bew egen kann. Mit
Hilfe dieses Versuchsaufbaus können die Martinsrieder Forscher auch die Regeln ändern, nach denen die
virtuelle Realität funktioniert. Beispielsw eise können sie die Larve künstlich stärker oder schw ächer machen, je
nachdem ob die Geschw indigkeit der Balken schneller oder stärker programmiert w ird. Die Larve versucht
daraufhin ihr Verhalten an die neuen Regeln anzupassen. Erscheint die Larve zum Beispiel schw ächer,
versucht sie länger und stärker zu schw immen um an Ort und Stelle zu bleiben. Diese einfachen aber sehr
präzisen Manipulationen können Hinw eise darauf geben, w ie die Larve lernt, eine alte Erw artungshaltung
durch eine neue zu ersetzen und sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Funktionelle Bildgebung von neuronalen Netzwerken
Mit Hilfe der im Martinsrieder Labor etablierten Verhaltensmuster können die W issenschaftler die Aktivität
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involvierter Nervenzellen aufnehmen. Diese w erden dann mit spezifischen Parametern korreliert, die
Eigenschaften von Sinneseindrücken oder Bew egungsabläufen darstellen. Die Aktivität der Nervenzellen kann
anhand von transgenen Tieren erforscht w erden, die in bestimmten Nervenzellen einen genetisch-codierten
Kalziumsensor exprimieren. Potenziell ist es sogar möglich, diesen Sensor in alle Nervenzellen des Gehirns zu
bringen. Diese
Sensoren erlauben es, die
Nervenzellaktivität live
zu beobachten: Sie
fluoreszieren
unterschiedlich stark, je nachdem, w ieviel Kalzium in der Nervenzelle vorhanden ist. Ist eine Zelle aktiv, ist die
Kalziumkonzentration in der Zelle hoch, der Sensor fluoresziert stark und die Zelle ist hell. Damit können die
Forscher
erkennen,
w elche
Nervenzellen
w elche
Eigenschaften
eines
Sinneseindruckes
verarbeiten.
Beispielsw eise können sie auf diese Weise erkennen, w elche Nervenzellen die Geschw indigkeit der schw arzw eißen Balken codieren bzw . verarbeiten. Interessant ist dabei natürlich auch, w ie sich die Aktivität dieser
Nervenzellen verändert, w enn sich die Geschw indigkeit ändert. Es w äre möglich, dass die Geschw indigkeit von
einer gew issen Anzahl an Nervenzellen codiert w ird. Diese w ürden aktiver, w enn sich die Geschw indigkeit
erhöht. Eine alternative Hypothese w äre, dass Geschw indigkeit durch die Anzahl aktiver Nervenzellen codiert
ist: Je höher die Geschw indigkeit, desto mehr Nervenzellen sind aktiv.
Am Modell des Zebrafisches können die W issenschaftler verfolgen, w ie diese Codierung auf Sinnesebene die
Bew egungsabläufe
Schw immverhalten
beeinflusst,
indem
korrelieren. So
sie
können
die
sie
Aktivität
der
Nervenzellen
untersuchen, w elche
mit
Nervenzellen
dem
resultierenden
direkt Muskelzellen
kontrollieren und w elche die Schw immgeschw indigkeit der Larve regulieren. W ie oben beschrieben, können die
Regeln der virtuellen Realität geändert w erden, um neuronale Korrelate der motorischen Anpassung zu finden.
W ird die Reaktion des visuellen Stimulus auf das Verhalten der Larve geändert, kann die Larve eventuell die
neuen
Regeln
erlernen
und
ihre
Bew egungen
darauf
einstellen.
Ein
Vergleich
zw ischen
den
Nervenzellaktivitäten bei verschiedenen Bedingungen kann Hinw eise auf die Gehirnregionen geben, die an
Lernen und Adaption beteiligt sind. Beispiele hierfür sind das Kleinhirn (Cerebellum) und die untere Olive, eine
ovale Struktur im Hirnstamm. Für beide w urde bereits eine funktionelle Rolle in der Adaption bestätigt [1].
A bb. 3: Die Abbildung ze igt die a k tive n Ne rve nze lle n, we nn
e ine La rve m it ihre n Auge n e ine r R ota tionsbe we gung folgt.
Die Fa rbe e ntspricht de r Be we gungspha se .
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Interessanterw eise zeigt ein Vergleich von W iederholungen des gleichen Verhaltensmusters in einigen Fällen,
dass es in einem hohen Grad ähnliche Aktivitätsmuster gibt. Beispielsw eise erfolgt die zugrundeliegende
Nervenzellaktivität der optokinetischen Reaktion in einem stereotypen, geordneten Muster. Auch fanden die
W issenschaftler w eitere neuronale Module, die mit Sinneseindrücken und Bew egungssignalen korrelieren
(Abb. 3), [2]. Zudem können mithilfe eines Referenzgehirns verschiedene individuelle Larven kartiert
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w erden. So können die Forscher Unterschiede und Ähnlichkeiten zw ischen Larven analysieren. Die daraus
entstehenden Karten geben detaillierte Einsicht in die funktionelle Anatomie des Gehirns einer Zebrafischlarve.
Solche funktionellen Daten können beispielsw eise erklären, w elcher Anteil des Gehirns bei einer untersuchten
Verhaltensw eise aktiv ist und w elche Aktivitätsmuster sich bei gleichem Stimulus zw ischen den Individuen
unterscheiden.
Wie sich Änderungen der Nervenzellaktivität auf das Verhalten auswirken
Funktionelle
Bildgebung
kann
Aufschluss
darüber
geben,
w elche
Gehirnstrukturen
mit
w elchen
Sinneseindrücken oder Bew egungsmustern korrelieren. Um jedoch festzustellen, w elche Gehirnstrukturen
w irklich notw endig und w elche für ein gew isses Verhaltensmuster ausreichend sind, ist es zw ingend
notw endig, die Aktivität des Gehirns zu beeinflussen. Es ist möglich, eine Gehirnstruktur "stummzuschalten"
und so ihre Beteiligung an einem Verhalten zu untersuchen:
Zeigt
die
Larve
immer noch das gleiche
Verhaltensmuster? Dieses „Stummschalten“ kann auf verschiedene Arten erreicht w erden. Beispielsw eise
können die Forscher Nervenzellen mithilfe von Laserlicht aus dem Zellverband herausnehmen. Werden die
Nervenzellen, die zur Gruppe der unteren Olive gehören, aus dem Schaltplan entfernt, kann die Larve sich
nicht an verschiedene Geschw indigkeiten visueller Stimuli anpassen (im Falle der optomotorischen Reaktion).
Die Larve schw immt immer gleich, egal w ie stark sie die Geschw indigkeit kompensiert [1]. Ein w eiterer Weg,
um die Notw endigkeit einer Gehirnstruktur zu überprüfen, ist ihre direkte Aktivierung. Die W issenschaftler
können die Stärke der Aktivierung in einer Gehirnregion verändern und so überprüfen, w ie dies das Verhalten
beeinflusst. Solch eine Strategie ermöglichte es ihnen, eine Nervenzellgruppe im Mittelhirn zu identifizieren, die
die Geschw indigkeit der Fortbew egung steuert [3].
Zukünftige Schritte
Obw ohl die Fortschritte deutlich sind, gibt es noch immer eine Vielzahl an dringenden Fragen: Welche präzisen
Stimulus-Eigenschaften
Eigenschaften
verursachen
verschiedene
ein
bestimmtes
Verhaltensw eisen
Verhalten?
hervorrufen?
Was
W ie
können
macht
das
Änderungen
Gehirn,
w enn
in
diesen
mehrere
Sinneseindrücke gegensätzliche Informationen vermitteln? Welche Gehirnstrukturen sind verantw ortlich in der
Wahl des optimalen Verhaltens und w ie ist diese Wahl im Gehirn repräsentiert? Was passiert im Gehirn, w enn
ein neues Verhaltensmuster gelernt w urde?
Mit dem breiten Angebot an Geräten, Methoden und etablierten Verhaltensmodellen in der Zebrafischlarve
w ollen die Martinsrieder W issenschaftler Schritt für Schritt Antw orten auf die genannten Fragen finden. Jede
Antw ort bringt sie ihrem Langzeitziel näher, besser zu verstehen, w ie auch unser Gehirn durch Berechnungen
Sinneseindrücke in ein geeignetes Verhalten übersetzt.
Literaturhinweise
[1] Ahrens, M. B.; Li, J. M.; Orger, M. B.; Robson, D. N.; Schier, A. F.; Engert, F.; Portugues, R.
Brain-wide neuronal dynamics during motor adaptation in zebrafish
Nature 485(7399), 471-477 (2012)
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[2] Portugues, R.; Feierstein, C. E.; Engert, F.; Orger, M. B.
Whole-brain activity maps reveal stereotyped, distributed networks for visuomotor behavior
Neuron 81(6), 1328-1343 (2014)
[3] Severi, K. E.; Portugues, R.; Marques, J. C.; O'Malley, D. M.; Orger, M. B.; Engert, F.
Neural control and modulation of swimming speed in the larval zebrafish
Neuron 83(3), 692-707 (2014)
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