Kammermusikalischer Vorabend zu „Moses und Aron“

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Kammermusikalischer
Vorabend zu
„Moses und Aron“
Gesprächskonzert
Freitag, 27.01.17 — 19.30 Uhr
Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal
K am m erkonzerte
zum heutigen Programm
g e SP r Äc h SKo nz e r t:
arnold SchönbergS oPer „moSeS und aron“ –
entStehungSgeSchichte und nWdr- uraufführung
(hamburg 1954)
teilnehmer der geSPrÄchSrunde:
Expressionistische Extreme
und Virtuosenmusik
Streichtrio und Violin-„Phantasy“ von Arnold Schönberg
ingo metzmacher
Dirigent
ulrich KrÄmer
Herausgeber bei der Schönberg-Gesamtausgabe
claudia zencK
Universität Hamburg
Kol Ja bl acher
Violine
özg ü r aY d i n
Klavier
humboldt trio:
anthea KreSton
Violine
volKer JacobSen
Viola
JaSon ducKleS
Violoncello
„Eines Zusammenseins mit Schönberg bei uns ist in jenen Tagen gedacht und
soll hier gedacht sein“, schrieb Thomas Mann in seiner „Entstehung des Doktor
Faustus“, „bei dem er mir von seinem neuen, eben vollendeten Trio und den
Lebenserfahrungen erzählte, die er in die Komposition hineingeheimnist habe,
deren Niederschlag das Werk gewissermaßen sei. Er behauptete, er habe darin
seine Krankheit und ärztliche Behandlung samt ,male nurse‘ und allem übrigen
dargestellt. Übrigens sei die Aufführung äußerst schwierig, ja fast unmöglich,
oder nur für drei Spieler von Virtuosenrang möglich, dabei aber sehr dankbar
vermöge außerordentlicher Klangwirkungen.“
Am 7. Juni 1946 hatte Schönberg mit der Arbeit an seinem Streichtrio op. 45 begonnen, das an der Harvard-Universität bei einem Symposium über Musikkritik aufgeführt werden sollte. Anfang August erlitt er einen schweren Herzinfarkt, verlor
das Bewusstsein und war nach eigener Aussage „praktisch tot“. Unter dem Titel
„Death and Restoration“ hielt Gertrud Schönberg die dramatischen Ereignisse jener Tage fest und berichtete von einer Adrenalininjektion direkt ins Herz, mit der
ihr Mann wiederbelebt wurde. Mit „160 Penicillin-Injektionen“ (Schönberg) folgte
die allmähliche Genesung, während derer der Komponist die Arbeit an dem Trio
wieder aufnahm, um das Stück in kurzer Zeit – innerhalb von nur sechs Wochen –
am 23. September zu vollenden. Egal, ob man die Partitur, wie es Schönberg gegenüber Thomas Mann und vielen anderen behauptet hat, als musikalische Darstellung des Nahtoderlebnisses versteht (gegenüber seinem Schüler Adolphe Weiss
berichtete der Komponist, er habe sogar das Eindringen der Nadel in Musik gefasst):
Dieses Streichtrio ist ein Werk der expressionistischen Extreme, wie man sie seit
der Musik aus dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr
kannte. Bereits in der alptraumhaften Einleitung etabliert sich das unberechenbare, fragmentarische Nebeneinander von kontrastierenden chromatischen
Gedanken, denen Momente von trancehafter Schönheit gegenübergestellt werden,
wie etwa der Beginn des zweiten Teils oder der Anfang der ersten Episode.
Zum heutigen Programm
Formal gliedert sich das einsätzige Stück in drei „Parts“ und zwei verbindende
Episoden, in denen die Fragmentierung der Musik stärker vorangetrieben wird.
Der dritte Teil präsentiert sich schließlich als extrem verdichtete Reprise von
immenser Virtuosität, die, allmählich verlangsamt, ersterbend verklingt.
Schönberg ist die Tradition von Brahms, Brahms die Tradition
von Beethoven – Tradition ist also bereits Innovation.
‚Allein‘ kann sie keinesfalls entstehen, da sie von Menschen
gemacht wird, denen eine Gegenwart eignet. Immer wieder eine
neue Gegenwart: jetzt – jetzt – jetzt und immer wieder – jetzt …
programm
A r n o l d S c h ö n b e r g ( 1 8 7 4 – 1 9 5 1 )
Phantasy for Violin with Piano Accompaniment op. 47
Grave – Più mosso – Meno mosso – Lento – Grazioso – Tempo I – Più mosso –
Scherzando – Poco tranquillo – Scherzando – Meno mosso – Tempo I
Arnold Schönberg
Streichtrio op. 45
Part 1 – First Episode – Part 2 – Second Episode – Part 3
Wolfgang Rihm (1997)
Obwohl die „Phantasy for Violin with Piano Accompaniment“ nur drei Jahre nach
dem Streichtrio und zwei Jahre vor Schönbergs Tod entstanden ist, wirkt sie in
Form und Ausdruck deutlich konservativer als das Trio. Dies mag u. a. daran liegen,
dass Schönberg das Stück den Fantasien von Mozart, Beethoven und Schubert
nachempfunden hat. Ähnlich wie die Vorbilder besteht das virtuose Werk daher
auch aus einem Satz kontrastierender Abschnitte (Grave, Lento, Grazioso, Scherzando), der mit einer Reprise des ersten Teils endet. Der Untertitel „with Piano
Accompaniment“ deutet die Hierarchie der Instrumente an, bezüglich derer
Schönberg Ende Oktober 1949 an Eduard Steuermann schrieb: „Dies ist kein Duo,
sondern ein Stück für Solo Geige mit Begleitung, die sich niemals durch Selbständigkeit vordrängen darf.“ In einem rund zwei Monate später verfassten Brief an
Josef Rufer heißt es: „Um dieses Stück ganz entschieden zu einem Solostück für
Geige zu gestalten, habe ich zuerst die ganze Geigenstimme komponiert und dann
die Klavierbegleitung hinzugefügt.“ Viel von der thematischen Substanz dieser
„Phantasy“ – die Entscheidung, den Titel mit „Ph“ statt mit „F“ zu schreiben, fiel
erst in letzter Minute –, ist der einleitenden Phrase zu Beginn des Stücks entnommen, insbesondere die wiederholte Tonfolge im Auftakt, die sich in veränderter
Gestalt durch das gesamte Werk zieht. Letztlich gelang es Schönberg ein wirkliches Virtuosenstück in freier (nicht beliebiger!) Form zu komponieren, das den Solisten in allerhand schwierigen Passagen vor immense Herausforderungen stellt:
mit Doppelgriffen in weitem Ambitus, Glissandi, Pizzicati und Flageoletts sowie
diffizilen Tremolo-Effekten und dynamisch differenzierten Akkord-Arpeggien.
Harald Hodeige
In Zusammenarbeit mit dem Arnold Schönberg Center Wien
und NDR das neue werk
Für die Hilfe bei der Recherche und Einsichtnahme von Originaldokumenten zur Hamburger
„Moses und Aron“-Premiere 1954 danken wir der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
Carl von Ossietzky (Fach- und Sondersammlungsreferate Kunst, Musik, Theater) und
insbesondere Herrn Dr. Jürgen Neubacher.
Konzert vorschau
I m p r e ss u m
K a m m e rkonze r t i m Rol f - Li e b e rm a n n - S tu dio
Mahler, Haydn,
Schumann
Brigitte Lang
Violine
Jan Larsen
Viola
K at h a r i n a K ü h l
Violoncello
Y vonne Lang
Klavier
J o s e p h H ay d n
Klaviertrio G-Dur Hob. XV:25
„Zigeunertrio“)
G u s tav M a h l e r
Klavierquartettsatz a-Moll
Robert Schumann
Klavierquartett Es-Dur op. 47
Rolf-Liebermann-Studio Hamburg
Dienstag, 04.04.17 — 20 Uhr KK5
Herausgegeben vom
Norddeutschen Rundfunk
Programmdirektion Hörfunk
Orchester, Chor und Konzerte
Leitung: Andrea Zietzschmann
Redaktion Kammerkonzerte
Dr. Richard Armbruster
Redaktion des Programmheftes
Dr. Harald Hodeige
Der Einführungstext von Dr. Harald Hodeige
ist ein Originalbeitrag für den NDR.
NDR Markendesign
Design: Factor, Realisation: Klasse 3b
Druck: Nehr & Co. GmbH
Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des NDR gestattet.
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