Vossische Zeitung, 27. März 1928 (Max Marschalk) „Erwartung“ und „Die glückliche Hand“ sind die beiden dramatischen Werke, die Arnold Schönberg bisher geschrieben hat. „Monodrama“ und „Drama für Musik“ – diese Bezeichnungen bekunden schon, daß es sich nicht um Werke handelt, die irgendwie Aehnlichkeiten mit dem gangbaren Genre „Oper“ haben. Paul Stefan hat eine interessante Studie über Schönberg geschrieben. Er notiert den Satz: „Aber Jahre und vielleicht Jahrzehnte werden vergehen müssen, ehe die Bedeutung gerade dieser beiden Werke, der Dramen Schönbergs auch nur aufgeht und ihre Deutung folgt.“ Wenn nun einer, der den Drang bekennt, seinen Glauben (an Schönberg) auszusprechen und zu begründen, dermaßen seine Hoffnung auf die Zukunft setzten muß: was sollen andere, die nicht glauben und sich gleichfalls auseinanderzusetzen haben mit den Dramen Schönbergs – ja, was sollen sie und was soll das Publikum hoffen? Da ist noch einer, der leidenschaftlich für Schönberg eintritt; erfordert: „Keine kritische Einstellung! Sie ist ein Krebsschaden am Verhältnis des Publikums zur Kunst.“ Seien wir also aufmerksam und empfänglich; und lassen wir nicht den Wunsch des Laien in uns aufsteigen, der „aus jedem Drama einen plausiblen Gedanken herausschälen möchte“; so ein Laie nämlich „verkennt das Wesen der Kunst vollständig. . .“ Die haben nicht viel zu sagen, die Schönberg-Apostel; nicht viel mehr als: der Glaube macht selig; und hoffet! Und merkwürdig ist es, daß Schönberg selbst es auch nicht vermag, sein Publikum, ob kritisch oder nicht kritisch eingestellt, hinzuführen zu seinen Werken. Am Stadttheater in Breslau wurde das Drama für Musik „Die glückliche Hand“ zweimal hintereinander gegeben, und zwischen den Aufführungen sprach Schönberg, um hinzuführen, um einzuführen; aber es war nur ein geistreiches Sprechen – wir kennen ja sein Art! – um die Sache herum: er wolle mit den Mitteln der Bühne musizieren, nicht nur mit Tönen; mit der Szenerie, mit den Requisiten; mit den Personen, der Bewegung, der Mimik, der Sprache, dem Gesang; mit der Beleuchtung, dem Farbenwechsel- kurz: das, was von jeher die Handlung des Dramas veranschaulichte, soll nunmehr das innere Erleben ausdrücken. „Das ist neu“; das Musizieren mit den Mitteln der Bühne. Es wird erzählt, wie Schönberg selbst den Inhalt seines Dramas für Musik skizziert: Ein vom Unglück geschlagener Mann rafft sich auf Das Glück lächelt ihm wieder: Er vermag Leistungen zu vollbringen wie in früheren Zeiten. Doch abermals erweist sich alles als trügerisch, und von neuen Schicksalsschlägen getroffen bricht er zusammen. Dieser Mann, der noch nicht hundert Worte zu singen hat, der mit Gott und der Welt, mit der Kunst und dem Weibe ringt, der mit „Ja, o ja!“ mit „Das Blühen: o Sehnsucht“ anfängt und mit „Du Schöne – bleib bei mir–!“ aufhört, „handelt“ mit dem Weibe und dem Herrn, die stumm sind. Chorgesang rahmt die Handlung, die weiter nichts als alte Pantomime ist, mit Gesangseinlagen: sechs Männer und sechs Frauen, deren Köpfe aus dem Dunkel hervorleuchten, stellen Betrachtungen über den Ruhelosen an, der das überirdische Glück in sich hat und das irdische sucht. Stimmung, Farben, malerische, ein wenig unklare Visionen, einmal heißt es: „Knapp bevor der Mann oben ist, erhellt sich langsam eine der beiden Grotten, indem von dunkelviolettem Licht ziemlich rasch über Braun, Rot, Blau und Grün zu hellem, dünnem Gelb (Zitronengelb) übergegangen wird. (Nicht sehr hell!)“ Das ist denn wohl ein Musizieren mit Licht und Farben! Zu einer ändern Stelle gibt es ein Krescendo des Windes und ein Krescendo der Beleuchtung. Der Mann hat das so darzustellen, als ginge beides von ihm aus. „ Wenn das gelbe Licht da ist, muß sein Kopf so aussehen, als ob er platzen würde.“ Ja – es ist nicht leicht, eine rechte Anschauung zu geben von diesem Drama für Musik. Sie ist kaum durch die Lektüre des Buches, oder besser; gesagt, des Szenariums zu gewinnen, kaum durch eine zweimalige Aufführung. Das, was die sechs Männer und die sechs Frauen halb zu singen, halb zu sprechen haben, ist besonders eindrucksvoll. Hier ist etwas Neues, Entwicklungsfähiges, in die Zukunft Weisendes. Auch sonst hat die Musik, die einem sehr großen Orchester anvertraut ist, ganz ungewöhnlichen Klang. Sie ist durchweg charaktervoll; aber nicht das, was wir bis auf den heutigen Tag schön zu finden geneigt sind. Das Häßliche vielmehr ist in Permanenz erklärt. Wird die Welt diese Musik nach Jahren, nach Jahrzehnten schön finden? Aber sie stammt ja bereits aus dem Jahre 1912! Und wir haben doch inzwischen schon so allerlei an ungewöhnlicher, an kakophonischer Musik über uns ergehen lassen müssen und sind sozusagen abgehärtet. Ist diese Musik aus einer abwegigen Phantasie aufgestiegen oder ist sie das Produkt eines scharfen Verstandes, der sich seine Wege, seine Abwege vorgezeichnet hat? Sie ist ein Experiment, ein interessantes; aber sie will uns einstweilen nicht mehr als interessant erscheinen: unseren Respekt fordert sie heraus, nicht unsere Liebe. Die Aufführung von Herbert Graf szenisch, von Fritz Cortolezis musikalisch geleitet, stand auf überraschend hohem Niveau. Es wird über das Breslauer Theater, dessen Intendant Josef Tu mau ist, noch einiges zu sagen sein nach der szenischen Aufführung des Händelschen Josua, die den ganzen Apparat in Bewegung setzt. Das Publikum bereitete übrigens dem Schönbergschen Werke einen Achtungserfolg, der milde angefochten wurde.