Signale für die musikalische Welt, 18. Juni 1930 (Walther Hirschberg)

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Signale für die musikalische Welt, 18. Juni 1930 (Walther Hirschberg)
Arnold Schönberg ist als Anreger seines Platzes in der Musikgeschichte sicher. Er wird ihn stets
behalten, denn das Meiste, was heute diesseits und jenseits der deutschen Grenzen von den
Vertretern radikaler Strömungen geschrieben wird, ist ohne den Einfluß seines Schaffens und
Wirkens undenkbar. Historische Bedeutung aber und überragende künstlerische Prominenz sind
zweierlei und brauchen nicht notwendigerweise Hand in Hand zu gehen. Als eine schöpferische
Potenz von hohen Graden Ist Schönberg nicht anzusprechen. Dies bewies von neuem mit aller
wünschenswerten Klarheit und Eindringlichkeit der Abend in der Staalsoper am Platz der
Republik, der der Berliner Erstaufführung des Monodrams „Erwartung“ und des Dramas mit
Musik „Die glückliche Hand“ gewidmet war. Beide Stücke, die für den Stil der mittleren
Schaffensperiode des Komponisten charakteristisch sind, haben bereits ein Alter von rund
zwanzig fahren. Das sie so spät zu uns gelangt sind, erklärt sich daraus, daß ihnen bei keiner der
vorangegangenen Aufführungen – Prag hat 1923 die „Erwartung“ herausgebracht, Wien, Breslau
und das Duisburger Musikfest des vorigen Jahres haben es mit der „glücklichen Hand“ versucht
– eine Bedeutung zugesprochen werden konnte, die ihre weitere Verbreitung empfahl. Es sind,
wie es Schönbergs Art und Absicht ist, Versuche, Experimente; sie wollen abwegig und vielleicht
sogar abstrus sein. In zwanzig Jahren sind wir ihnen nicht nähergekommen, aber wir haben
genügend Distanz zu ihnen gewonnen, um zu erkennen, das wir ihnen auch nicht
näherzukommen brauchen, daß es nämlich auf diesem Wege nicht weitergeht. Wir verstehen sie
ganz, auch wenn wir eiskalt und völlig unberührt von ihnen bleiben, auch wenn ein maximum
d’effort bei uns nur ein minimum d’effet verursacht. Merkwürdig übrigens, daß bei aller
Auflösung der Elemente der Musik, bei aller Destruktion von Melodie, Harmonie und Rhythmus
doch ein wagnerverwandtes Pathos den Grundakkord der Stücke bildet. Ihr Ernst und Ethos
flößen Respekt ein, aber ihre Unerbittlichkeit des Mißklangs wird zur Erbarmungslosigkeit gegen
den Hörer. Schönheit ist doch gewiß nicht, wie sie es nach einem Schönberg-Wort sein soll, eine
„Erfindung der Unproduktiven“.
Das Libretto zu dem Monodram „Erwartung“ stammt von der Dichterin Marie Pappenheim, die
bei dem Entwurf einer Anregung Schönbergs gefolgt ist. Eine Frau sucht nachts im Walde ihren
Geliebten und findet ihn tot, ermordet, von der Hand der Nebenbuhlerin – das ist der karge
Inhalt, soweit er die Vorgänge selbst betrifft. Natürlich aber ruht sein Schwergewicht im
Affektativen. Die Handlung soll in ihrem Auf und Nieder zum Symbol des Gefühls der
Sehnsucht der Frau schlechthin, zum Symbol der „Erwartung“ werden. Die Frau, die einzige
Rolle des etwa halbstündigen Stücks, wurde von Moje Forbach gesanglich und darstellerisch
überzeugend verkörpert. Alexander von Zemlinsky, der bereits seinerzeit die Uraufführung des
Werkes in Prag geleitet hatte, erwies sich als mit dem Schönberg-Stil aufs Innigste vertraut. Teo
Otto hatte die nur mäßig geglückten Bühnenbilder entworfen.
Schönbergs „glückliche Hand“ ist mehrmals in den „Signalen“ ausführlich besprochen worden,
am eingehendsten von Dr. Paul Riesenfeld in Nr. 15/1928 anläßlich der Breslauer Aufführung.
Hier ist auch der Versuch gemacht worden, soweit sich dies durchführen läßt, die
symbolgetränkten Fäden der enigmatischen Handlung zu entwirren. Man braucht diesen Versuch
nicht von neuem zu unternehmen. Es genügt zu sagen, daß der Sehnsucht der Frau, die in der
„Erwartung“ behandelt wird, in der „glücklichen Hand“ als Problem die Sehnsucht des Mannes
gegenübergestellt ist, die Sehnsucht nach Liebe und Glück, die sich ihm immer von neuem
entwinden. Diesmal rührt auch der bewußt und absichtlich unklare Text von Schönberg selbst
her; es ist also jedenfalls eine völlige Einheit aller Faktoren dieses „Dramas mit Musik“
vorhanden. Parallel zur Symbolik der Handlung (und wenn man will zur Symbolik der Musik)
lauft eine Symbolik der Farben, die aber ebenfalls nicht dazu angetan ist, die Vorgänge
einleuchtender zu machen. Die mannigfaltigen szenischen Anweisungen des Textes waren in der
Inszenierung Arthur Maria Rabenalts als Gast und in den Bühnenbildern Oscar Schlemmers nur
zum Teil befolgt worden. Die Hauptrolle des „Mannes“ gab Fritz Krenn, der in Spiel und
Gesang eine eindrucksvolle Gestalt schuf, die stummen Partien der „Frau“ und des „Herrn“, die
man vielleicht besser Schauspielern oder Tänzern von Profession anvertraut hätte, lagen in den
Händen Jarmila Novotnas und Erik Wirls. Den aus sechs Männern und sechs Frauen
bestehenden, unsichtbar bleibenden Chor hatte Karl Rankl verdienstvoll gedrillt. Die
musikalische Leitung selbst hatte Otto Klemperer inne, der sich ihrer mit der ganzen Hingabe des
Fanatikers entledigte. Nach beiden Stücken setzte starker Beifall ein, der den Komponisten und
die Ausführenden wiederholt vor die Rampe rief. Am Schlusse der „glücklichen Hand“ regte sich
auch Widerspruch.
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