Atonale Musik Um den ganzen Komplex dieses zum Schlagwort ge

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OTTMAR GERSTER (1897-1969)
Was nun, von der P ra xis aus gesehen, sowohl
Ohne Ordnung läßt sich keine Gedankenflucht bändigen.
Das hervorstechende Moment an der neuen Musik
Mitglied der Akademie
Arnold Schönberg wie Paul I-lindemith in ihrer jeweiligen
scheint mir die Betonung des melodischen Elements zu
Ich schließe, um die Überschrift dieses letzten Kapitels
These zu einer neuen Harmonik gemeinsam ist, ist die
sein, im Gegensatz zu den letzten Hundert Jahren, in
meiner bescheidenen Schrift ad absurdum zu fUhren mit
Aus: Grundriß der Harmonielehre (Entwurf)
chromatische Tonleiter, aus der das Material zum mu-
denen besonders auf theoretischem Gebiet die Melodie
einem Zitat aus Paul Hindemiths "Unterweisung im Ton-
sikalischen Schaffen entnommen werden soll. Während
fast vollständig vernachlässigt, die Harmonie unver-
satz" Seite 176. "Heute wissen wir freilich, daß es
aber bei Schönberg die Verw'endung resp. Ordnung der
hältnismäßig im Vordergrund stand. Melodielehren gab
keine Atonalität geben kann, daß höchstens der harmoni ..
einzelnen Töne zum Organismus dem musikalischen
es kaum, die Harmonielehren wurden immer dicker und
sehen Unordnung dieser Titel zukommt."
Schöpfer zugewiesen ist, gewinnt Hindemith die chroma ..
fUr den Schüler fast unverständlich.
Weimar, 4. Sept. 1947
Atonale Musik
Um den ganzen Komplex dieses zum Schlagwort gewordenen Begriffs einigermaßen zu umreißen, müßte
ich ein neues Buch beginnen. Unter den vielen Namen ,
die bei der Nennung dieses Schlagworts sich aufdrängen,
möchte ich nur zwei nennen. Arnold Schönberg und
Paul Hindemith, und zwar aus dem Grunde, weil von
diesen beiden Komponisten musiktheoretische Werke
vorliegen, Arnoid Schönbergs "Harmonielehre" und
Paul Hindemiths "Unterweisung im Tonsatz". Beide
tische Tonleiter aus der Obertonreihe.
Die Obertöne, d. h. die Töne, die in jedem einzelnen
Zusammenklangs wegen wird ja mehr als einstimmig
Bläser ein vertrautes Phänomen. Deswegen sollte sich
komponiert, und daß das niemals ohne Ordnung und Sinn
jeder Musiker damit vertraut machen, sie stellen die
geschehen kann, dürfte jedem denkenden Menschen ein-
von der Natur gegebene unumstößliche Ordnung der
leuchten. Daß ungewohnte Akkorde und Melodieführung
Töne dar.
nicht gleich jedem Zuhörer gefällt, ist ebenso klar.
von der Beweg'ung. Schönberg gibt eine fesselnde Darstellung der Harmonielehre, wie sie bis jetzt gelehrt
wurde, besonders wertvoll ist die starke und teils' sehr
zutreffende Kritik, die an den vielen Unklarheiten,
Doppeldeutigkeiten unserer alten "Harmonielehre" ge··
übt wird. Jedenfalls sei dem Musiker, dem die Grundwahrheiten der Harmonielehre vertraut sind, das Stu,·
dium beider Bücher durchaus anempfohlen. Er wird
einsehen, daß es ein Irrtum ist, zu glauben, daß die
Musik, wie sie uns in den Werken vieler Komponisten
dieser Epoche entg'egenfritt, nur del' harmonischen
Anarchie huldigt, er wird vielmehr ein heißes und ern,·
stes Bestreben finden, zu einer Ordnung zu kommen,
die zu neuen Dingen vorstößt, ohne die alte Ordnung
gänzlich zu verlassen.
Arnold Schönberg konstruiert aus der chromatischen
Tonleiter eine "Folge", die für das betreffende Stück
im Verlauf als maßgebend abgewandelt wird. Man ist
versucht, Richard Wagners Meistersinger zu zitieren:
"Wie fang ich nach der Regel an? Ihr stellt sie selbst
und folgt ihr dann". Eben aus diesem Grunde wird wiederUll1 Arllold Schönbergs Lehre von Theoretikern ab ..
gelehnt, die es in Abrede stellen, eine willkürlich, wie
sie sagen, gebildete "Reihe" zum Ausgang'Spunkt eines
musikalischen Organismus zu machen. Es kann kein
Zweifel sein, daß dieser Streitpunkt vom" Musiker"
und nicht vom Theoretiker entschieden wird, jedenfalls
existieren von Schönberg und aus seiner Schule genug'
Werke, die nicht bloß auf dem dürren Reis der "Theorie" gewachsen sind, ich nenne nur ein paar bekannte
Namen, Schönbergs Kammersinfollie, sein zweites
Streichquartett (mit Sopransolo) seinen "Pierrot lunaire" oder Alban Bergs "Wozzeck", der auch von dem
nicht vorgebildeten Theaterpublikum Anerkennung und
Beifall fand.
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Drücke ich am Klavier hier den ersten Oberton C
(Manuskript, Archiv, Akademie der Künste der DDR)
der Zusammenklang unwichtig geworden ist, eben des
Ton mitschwingen, sind jedem Streicher, wie jedem
Bücher präzisieren den Standpunkt ihres jeweiligen Verfassers, Schönberg kommt vom Klang her, Hindemith
Es ist natürlich nicht so, daß nun in der neuen Musik
GEORG KATlER (1935)
"Schönberg und die folgen"
Es hat in der Kunstgeschichte mehrfach fruchtbare
Daß es auch in der neuen Musik schlechte Musik gibt,
leise hinunter und schlage den tiefen Grundton C kurz
ist schließlich ein Faktum, welches wohl zu allen Epo-
Irrtümer gegeben, ein solcher ist z. B. mit der Ent-
und fest an, so wird das obere C weiterklingen, d. h.
chen der Musikausübung der Fall war o Aber leider re ..
stehung der Gattung Oper verbunden. Auch Schönbergs
die höhere Saite wird von den Schwingungen des Unter ..
giert noch das Schlagwort und da ergeben sich ja nach
wesentliche musiktheoretische LeiBhmg, die Erfindung
tons mit erfaßt und ihrerseits als Oberton zum Schwin-
Einstellung des betreffenden Musikanten oder Musik-·
gen gebracht. Dieses Experiment kann ich nun am Kla,·
hörers merkwürdige Gleichungen. Als da sind
vier mit jedem weiteren Oberton wiederholen, bis die
klänfse
temperierte Stimmung unseres Klaviers hier ein Ziel
= modern
setzt. Also, jeder Ton enthält eine Auswahl mitschwin""
= l'omantisch = veraltet;
=
der Reihentechnik kann unter diesem Aspekt betrachtet
werden, liegt ihr doch einerseits das Mißverständnis
Drei~
Nichtdreiklänge
= atonal
zugrunde, eine numerische Ordnung der Tonbeziehun ..
gen könne eine musikalisch sinnfällige Ordnung stiften
großartig (oder umgekehrt)
'Von sachlich-fachlicher Begründung will der so ein-
und hat doch andererseits seine Erfindung auf eine
gender Töne, deren Wichtig'keU im Verhältnis ihrer
gestellte Musikant resp. Zuhörer gar nichts wissen.
besondere Weise stimulierend gewirkt für einen be . ,
Entfernung zum Grundton steht. Aus diesem Verhältnis
Ich erwähne hier absichtlich den Musiker oder Musikan ..
deutenden Abschnitt der Musikgesclüchte, wenn dieser
der Obertöne zum Grundton und zueinander baut fUnde ..
ten mit, denn es ist erstaunlich, wie groß elie Unbildung
auch in einer Sackgasse endete.
mith Tonleiter, Intervall, Akkord, Melodie, kurzum
in einfachsten musikästhetischen :Fragen auch bei sehr
seinen neu geordneten Werkstoff auf, die alte Ordnung
bedeutenden Künstlern oft ist.
Es scheint. so, daß an manchen Entwicklungen nicht
vorbeizukommen ist, auch wenn diese schon im Ansatz
Deshalb ist es ullum[S'änglich, daß sich nicht bloß
widersprüchlich simL So folgt Schönbergs Gleichheits··
der angehende Komponist (ob er von einem angehenden
erklärung für die zwölf temperierten Halbtöne absolut
In bestechender Weise formuliert Hindemith so den
zum wirklichen wird, steht olmehill meist dahin) son-
konsequent als Resümee aus der von ihm selbst mit··
einzelnen Ton als Wurzel der zu ihm gehörenden Ton ..
dern jeder Musikausübende auch mit den th e 0 r e t i"
bestimmten Entwicklung der Musik seiner Zeit. Auch
leiter und kommt zu mannigfachen Resultaten, die
sc h enGrundwahrheiten befaßt. Es fehlt uns noch das
andere waren ja ... gleich ihm .. bereit, dieses Resümee
sich auch olme Kenntnis der physikalischen Hintergrün",
Lehrbuch, welches uns die Synthese der Musiktheorie,
zu ziehen. Die Musikgeschichte gibt mit Hecht jedoch
de manchem Schaffenden schon aufgedrängt haben.
wie sie uns in den Werken der zeitgenössischen Musik
Schönberg den Zuschlag, seine Erfindung verbindet sich
wird dabei nicht g'änzlich verlassen, ist vielmehr in
der neuen vielseitig enthal tell.
entgegentritt, bringt, und zwar in logischem und ver ..
mit einer großen kompositorischen Leistung und ist
ständlichem Aufbau. Wenn Bewunderer wie Geg'ner der
außerdem die praktikabelste. Sie ist vielleicht die el'ste
d. h. die wichtigste Bedeutung hat. Des weiteren wird
neuen Musik der Ansicht sind, der Komponist von heute
Kompositionslehre, die nicht zmn Wesentlichen aus
der Terzenaufbau, nach dem die Akkorde biB jetzt er-
könne schreiben wie er wolle und es sei egal, wie es
einem Kanon von Verbotenem besteht, sondern in der
richtet wurden, abgelehnt., an Stelle der Akkordumkeh-
klinge, wenn "auch" Komponisten heute so oft meinen,
Grundidee konstruktiv ist, indem sie durch die ihr
rungen wird ein umfassenderes Prinzip aufgest.ellt und
allein die Tatsache, daß sie nicht anerkannt sind, genü ..
zugrunde liegende Reihenidee das Tonhöhenmaterial
die Mehrdeutigkeit der Akkorde abgelehnt, Ding'e, die
ge, um sie mindestens Beethoven gleichzustellen, so
in einer Abfolge vorlegt, also in der musikspezifischen
in der alten Harmonielehre oft zur Kritik herausforder-
sei ihnen mit aller Deutlichkeit gesagt, daß auch das
Ordnung: der Zeit. Die "Sicherheit", die zudem von
ten.
größte Genie ohne unbeschränktes Können nur wenig
der Dodekaphonie geboten wird, ist beträchtlich: es
Z. B. daß nicht immer der tiefste Ton in einem In ..
tervall oder in einem Akkord der stärkste Ton ist,
gibt kein "richtig" oder "falsch", denn indem die
Diese Andeutungen mögen genügen, daß es sich in ..
leisten wird, und daß es in unserem chaotischen Zeit
nerhalb der Probleme der !leuen Musik nicht um Will-
alter in der Kunst gel'ade an einem fehlt, am "Hand,·
Heihe das Material liefert, bestätigt sie gleichzeitig ihre
kür, sondern um Probleme handelt, die, rein musika-
werk" und nochmals am "Handwerk", Nur der kann
eigene Theorie. Für Schönberg hatte die Reihe außer
lisch schon als gelöst betrachtet werden können und jetzt
wirklich Neues schaffen, d. h. seine neuen noch,nicht.
dem konstruktiven noch einen besonderen ästhetischen
allmählich auch ihrer theoretischen Fundamentiel'lmg
clagewesenen Ideen realisieren, der noch mehr "kann"
Wert: sie garantiert bei orthodoxer Handhabung' Atonali-
entgegengehen.
als die anderen.
M
tät. Bei Gl.eichsetzung von tonal = banal sichert die
Heihe also eine gewisse Höhe der" I11spiration" .
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