Ökonomische Aspekte der Mangelernährung Symposium Mangelernährung, Würzburg 1. Oktober 2005 Dipl. oec. med. Arno Schäfer Servicezentrum DRG Agenda • Definition und Folgen der Mangelernährung • Globale ökonomische Bedeutung der Unterernährung • Mangelernährung in europäischen Kliniken • Bedeutung der Mangelernährung im DRGSystem S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 2 Definition und Folgen der Mangelernährung Begriffsdefinition: Deutsche Leitlinien Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften Erfassung des Problems Festlegung von Grenzwerten Unterernährung BMI, Trizepshautfalte (THF) Erwachsene: BMI < 18,5 kg/m2 THF < 10. Perz. Kinder/Jugendliche: BMI < 10. Perz. THF < 10. Perz. Mangelernährung krankheitsassoziierter Gewichtsverlust Gewichtsveränderung unfreiwilliger Gewichtsverlust > 10% / 6 Monaten oder < 90% des üblichen Körpergewichtes Eiweißmangel AMA, Kreatinin in 24Std.-Urin < 10. Perz. AMA bzw. < 80 % KreatininHöhen-Index AMA, Erwachsene, USA 1981 Kreatinin-Höhen-Index, Erwachsene, USA 1977 Kinder/Jugendliche, BRD 2002 Armumfang, Kinder, Frankreich 1982 Ernährungsprotokoll Albuminspiegel spezifischer Nährstoffmangel Symptomatik, gezielte Untersuchung, z. B. Knochendichte, Vitaminspiegel z. B. < 10. P. Knochendichte bzw. Vitaminspiegel Funktionsteste Knochendichte (DEXA), WHO 1994 Vitamine etc. (VERA 1992) Ernährungsprotokoll Funktionstests, Diagnostik der Malassimilation S-DRG Universitätsklinikum Würzburg Referenzdatenbanken BMI, Erwachsene RKI 2000 THF Kinder, Jugendliche und Erwachsene, USA 1981 Kinder, Jugendliche, BRD 1980 Klärung der Ursachen Ernährungsprotokoll Diagnostik der Malassimilation, Energieverbrauch (REE) Krankheitsaktivität (Klinik, Albumin < 3,5 g/dl) Ernährungsprotokoll Diagnostik der Malassimilation, Energieverbrauch (REE) 2. Oktober 2005 4 Kreislauf „Mangelernährung“ bei geriatrischen Patienten ALTER $ Soziale Probleme Psychische Probleme Körperliche Veränderungen Schwierigkeiten bei Einkauf, Zubereitung und beim Essen KRANKHEIT $ Medikation Appetit Ð Bioverfügbarkeit Ð Nahrungsaufnahme Ð Körpergewicht Ð Ernährungszustand Ð Immunstatus Ð Bedarf Ï Geistige Verfassung Finanzielle Probleme Nährstoffbedarf nicht gedeckt Schlechte Gewohnheiten Ungünstige Lebensmittelwahl S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 5 Folgen der Mangelernährung: erhöhter Ressourcenverbrauch • • • • unspezifische Folgen: – schlechter Allgemeinzustand, Müdigkeit, allgemeine Schwäche, Antriebslosigkeit Organfunktionen: – Skelettmuskulatur: Schwäche, Abnahme der Muskelkraft, erhöhtes Sturz- und Frakturrisiko – Atemmuskulatur: Störung der respiratorischen Funktion – Immunfunktion: erhöhte Infektanfälligkeit – Haut: erhöhtes Dekubitusrisiko – Gehirn: neurologische und kognitive Störungen Krankheitsverlauf: – beeinträchtigte Wundheilung, verlangsamte Rekonvaleszenz, erhöhtes Komplikationsrisiko Mortalität: – erhöhtes Mortalitätsrisiko S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 6 Mortalität mangelernährter Patienten nach Entlassung Cederholm T et al. Am J Med 1995; 98: 67 S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 7 Globale ökonomische Bedeutung der Unterernährung Unterernährung weltweit Direkte globale Kosten der Unterernährung 1990: $ 87 Mrd. = ¼ der Gesundheitskosten der entwickelten Länder Globaler Verlust an produktiver “Arbeitszeit” durch Unterernährung: 46 Mio. Jahre mit geschätzten Kosten von $ 17 Mrd. Pinstrup-Andersen, et. al (1993) S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 9 Mangelernährung in europäischen Kliniken …..auch ein europäisches Problem….? „Der Europarat verweist auf die inakzeptabel hohe Zahl unterernährter Krankenhauspatienten und fordert die europäischen Regierungen zur Verbesserung der ernährungsmedizinischen Praxis …auf.“ – (Council of Europe, Committee of Ministers, Resolution ResAP[2003]3 on Food and Nutritional Care in Hospitals, https://wcm.coe.int/rsi/CM/index.jsp) S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 11 Prävalenz der Mangelernährung bei europ. Klinikpatienten Studie Anzahl Land Disziplin (%) Coats (1993) 228 USA Allgemeinmedizin 38 McWhirter (1994) 500 UK multidisziplinär 40 Cederholm (1995) 205 S Geriatrie 20 Naber (1997) 155 NL Innere Medizin 45-62 Bruun (1999) 244 USA Chirurgie 39 Durrant (2000) 850 UK multidisziplinär 20 Waitzberg (2001) 4.000 Brasilien multidisziplinär 47 Kyle/Pirlich (2004) 1.273 BRD/CH multidisziplinär 25 Gesamt: 8.055 S-DRG Universitätsklinikum Würzburg multidisziplinär 2. Oktober 2005 35,68 12 Identifizierung von Risikopatienten Krankheitsbild Referenz Chronische Erkrankungen Leberzirrhose Caregaro et al., 1996 Chronische Lebererkrankungen Selberg et al., 1997 Terminale Niereninsuffizienz De Lima et al., 1998 Herztransplantation Madill et al., 2001 Chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen Vandenbergh et al., 1967 Lymphome Aviles et al., 1995 Akute lymphatische Leukämie Viana et al., 1994 Kolonkarzinom Nixon et al., 1980 Bronchialkarzinom Lai und Perng, 1998 Magenkarzinom Rey Ferro et al., 1997 HIV-Infektion Süttmann et al., 1995 Rheumatoide Arthritis Collins et al., 1987 Demenz Ueki et al., 1995 Akute Erkrankungen Alkoholhepatitis Mendenhall et al., 1986 Ambulant erworbene Pneumonie Hedlund, 1995 Apoplex Gariballa et al., 1998 Kritisch Kranke Giner et al., 1996 S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 13 Risikopatienten NVS-Studie - 69 S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 14 Bedeutung der Mangelernährung im DRG-System Kalkulation der G-DRG Erlöse (InEK) Ökonomische Bedeutung der Verweildauer Erlöse Kosten Risikobereich für das KH Zuschlag Erlös Gewinnzone DRG Abschlag uGVD mVD Tage oGVD uGVD/oGVD: untere/obere Grenzverweildauer, mVD: mittlere Verweildauer S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 16 Folgen der Mangelernährung Weinsier 1979, Reilly et al, JPEN, 1988, Smith 1988 S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 17 Folgekosten bei der Mangelernährung Δ 19.500 $ Δ 9.500 $ Weinsier 1979, Reilly et al, JPEN, 1988, Smith 1988 S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 18 Kalkulierte stat. Kosten durch Mangelernährung Autor Anzahl Zusätzliche Kosten Robinson JPEN 1987 100 VWD ↑ 7.4 Tage Kosten ↑8.999 $ pro Pat. Reilly JPEN 12:371, 1988 771 VWD ↑ 11.7 Tage Herrmann Arch Intern Med 1992 15.511 VWD ↑ 4.5 Tage Re-Hospitalisierungsrate 3% ↑ Shaw-Stiffel Nutrition 1993 245 VWD ↑ 7 Tage Tucker Nutr Rev 1996 600 VWD ↑ 5.8 Tage Kosten ↑8.264 $ pro Pat. Kyle JPEN 2004 gesamt S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 1.273 VWD ↑ 11 Tage 18.540 VWD ↑ 5,34 Tage 2. Oktober 2005 19 England: „MUST-Report“ 2005 • Nach den Studien aus den 80 zigern und 90 zigern wurden die Kosten der Mangelernährung im NHS auf £ 2 bis £ 4 Mrd./Jahr geschätzt • Nach einer aktuellen Studie (9/2005) der British Association for Parenteral and Enteral Nutrition liegen die Kosten aktuell bei ca. £ 7 Mrd./Jahr 'Malnutrition Universal Screening Tool' Report S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 20 Aktuelle Studie aus Deutschland (2005) Ohne Malnutrition Mit Malnutrition Anzahl 449 92 Alter (a) 59 ± 18 56 ± 17 n.s. Geschlecht (f/m) 201 / 248 39 / 53 n.s. BMI (kg/m2) 27 ± 6.7 22 ± 4.7 < 0.001 VWD (d) 7±7 11 ± 9 <0.00001 P-value „Nutritional assessment and management in hospitalised patients: Implication for DRG-based reimbursement and health care quality“ Ockenga et.al. 2005, Clinical Nutrition S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 21 Zusätzliche Sachkosten bei Mangelernährung Anzahl 12 Leistung ∑ Lstg. Zusätzliche Gespräche Einzelkosten (€) Gesamtkosten (€) 47 6 282 5 Beratungen 6 22 132 8 Spez. Diät 90 10 900 8 Supplemente 112 2 224 6 Enterale Sondenernährung 34 33 1.122 TPE 56 69 3.864 12 Zusätzliche Kosten für spezielle Ernährung 6.524 Zusätzlicher DRG-Erlös durch korrekte Kodierung 4.665 nach Ockenga 2004, basierend auf 20 gastroenterologischen Patienten S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 22 Abbildung der Ernährungsmedizin als Hauptdiagnose • Hauptdiagnosen z.B. – E44.0 mäßige Energie- und Eiweißmangelernährung – E64.0 Folgen der Energie- und Eiweißmangelernährung – E46 Energie- und Eiweißmangelernährung onA DRG K60A Schwere Ernährungsstörungen • Hauptdiagnose z.B. – R64 Kachexie DRG Z65Z Beschwerden und Symptome S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 23 Abbildung der Mangelernährung als Nebendiagnose • Die DRG richtet sich nach der Hauptdiagnosen z.B. Hauptdiagnose – J44.* COPD – C18.* Kolon-CA – E05.* Hyperthyreose – K50.* Morbus Crohn – F00.* bis F03 Demenz med. und oper. DRG Basis-DRG E65 / E05* Basis-DRG G60 / G18* Basis-DRG K64 / K12Z Basis-DRG G64 / G18* Basis-DRG B63 • Der Schweregrad (A bis max. F) richtet sich auch nach z.B. ernährungsmedizinischen Nebendiagnosen: – – – – E64.0 Folgen der Energie- und Eiweißmangelernährung CCL 2,3,4 R64 Kachexie CCL 2,3,4 E44.0 mäßige Energie- und Eiweißmangelernährung CCL 2,3,4 R63.3 Ernährungsprobl. und unsachgemäße Ernährung CCL 2,3,4 S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 24 Weitere CCL-relevante Nebendiagnosen ICD CCL OP CCL kons. E53.8 2,3,4 2,3 Mangel an Vitamin-B-Komplexes, sonstige E56.1 2,3,4 2,3 Vitamin-K-Mangel E61.0 2,3,4 2,3 Kupfermangel E61.1 2,3,4 2,3 Eisenmangel E61.7 2,3,4 2,3 Mangel an mehreren Spurenelementen E63.0 2,3,4 2,3 Mangel an essentiellen Fettsäuren [EFA] E64.1 2,3,4 2,3 Folgen des Vitamin-A-Mangels E64.2 2,3,4 2,3 Folgen des Vitamin-C-Mangels E64.8 2,3,4 2,3 Folgen sonstiger alimentärer Mangelzustände S-DRG Universitätsklinikum Würzburg ICD - Text 2. Oktober 2005 25 Ernährungsmedizinische Prozeduren (OPS 2005) • 5-431.2 • 8-123.0 • 8-123.1 PEG Anlage PEG Wechsel PEG Entfernung gruppierungsrelevant • 5-450.3 • 8-124.0 • 8-124.1 PEJ Anlage PEJ Wechsel PEJ Entfernung S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 26 Ökonomische Implikationen der ME im DRG-System • Die Studien zeigen, dass – Patienten mit initial schlechtem Ernährungszustand durchschnittlich eine um 30% längere VWD aufweisen – bei mangelernährten Patient im Vergleich zu „normalen“ Patienten höhere Kosten entstehen - bei gleicher DRGEingruppierung – somit im Rahmen pauschalierter Entgelte eine unzureichende Vergütung des Mehraufwands anzunehmen ist – eine deutliche Reduktion der Klinikverweildauer und der anfallenden Kosten pro Patient zu erreichen ist, wenn die Patienten einen adäquaten Ernährungszustand aufweisen S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 27 Zusammenfassung • Unterernährung und Malnutrition sind globalökonomisch ein großes Problem • Mangelernährung ist auch in europäischen Kliniken ein relevantes medizinisches Problem (Sepsis, Wundheilungsstörungen etc.) • unter DRG-Bedingungen stellt die Mangelernährung durch erhöhten Ressourcenverbrauch ein betriebswirtschaftliches Risiko dar • ein differenziertes Ernährungsassessment mit anschließender Therapie kann medizinische Komplikationen reduzieren und konsekutiv Kosten senken • das Ernährungsassessment sollte als Modul eines „prospektiven Fallmanagements“ fest implementiert werden S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 28 M. Elia, University of Southampton: • Nach wie vor ist davon auszugehen, dass die Mangelernährung häufig weder erkannt noch behandelt wird. • Dieses Problem ließe sich mit einfachen Mitteln lösen. S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 29 S-DRG Universitätsklinikum Würzburg 2. Oktober 2005 30