Valery Gergiev - Münchner Philharmoniker

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Valery Gergiev
Sol Gabetta
Freitag, 6. März 2015, 20 Uhr
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A n t o n í n D v o ř á k
Konzer t für Violoncello und Orchester
h-Moll op. 104
1. Allegro
2. Adagio, ma non troppo
3. Finale: Allegro moderato
Richard Strauss
„Also sprach Zarathustra“
Tondichtung (frei nach Friedrich Nietzsche)
für großes Orchester op. 30
„Till Eulenspiegels lustige Streiche“
nach alter Schelmenweise – in Rondeauform –
für großes Orchester gesetzt op. 28
Valery Gergiev, Dirigent
Sol Gabetta, Violoncello
Freitag, 6. März 2015, 20 Uhr
3. Abonnementkonzer t h5
Spielzeit 2014/2015
117. Spielzeit seit der Gründung 1893
Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)
Paul Müller, Intendant
2
Antonín Dvořák: Cellokonzert h-Moll
„Wie ich es gefühlt und gedacht habe“
Klaus Döge
Antonín Dvořák
(1841-1904)
Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll
op. 104
1. Allegro
2. Adagio, ma non troppo
3. Finale: Allegro moderato
Sängerin am Prager Interimstheater und Dvořáks
große Liebe Mitte der 1860er Jahre war, integrierte er das Melodiezitat „Lasst mich allein
in meinen Träumen geh’n !“ aus seinen „Vier
Liedern“ op. 82/1 in den Mittelsatz des Konzerts. Den Schluss des Finales arbeitete Dvořák
nach Josefinas Tod grundlegend um, ließ ihn
„diminuendo, wie ein Hauch“ ausklingen und
verzichtete auf die ursprünglich vorgesehene
Solokadenz. Aus diesem Grund wurde die revidierte Reinschrift der Partitur in Písek / Böhmen
erst am 11. Juni 1895 fertig.
Widmung
Lebensdaten des Komponisten
Geboren am 8. September 1841 in Nelahozeves
(Mühlhausen), unweit von Prag an der Moldau
gelegen (Böhmen); gestorben am 1. Mai 1904
in Prag.
Entstehung
Dvoř áks Cellokonzert ist das letzte größere Werk,
das der Komponist während seines knapp dreijährigen USA-Aufenthalts schrieb; es entstand
vom 8. November 1894 bis 9. Februar 1895 in
New York City im Anschluss an einen Urlaub,
den Dvoř ák in seiner böhmischen Heimat verbracht hatte. Im Gedenken an seine schwer erkrankte Jugendfreundin Josefina Kaunitzová
(geb. Cermáková), die früher Schauspielerin und
Im Erstdruck: „Hanuš Wihanov“ (Hans Wihan
gewidmet); Dvoř ák hatte sein Cellokonzert auf
Anregung des berühmten Prager Cellisten und
Gründers des „Böhmischen Streichquartetts“
Hanuš Wihan (1855-1920) geschrieben, mit dem
er sich in der Folge allerdings überwarf, weil er
die von Wihan gegen Ende des 3. Satzes gewünschte große Solokadenz bewusst aussparen
wollte.
Uraufführung
Am 19. März 1896 in London (Orchester der
London Philharmonic Society unter Leitung von
Antonín Dvoř ák; Solist: Leo Stern); 1897 dirigierte Dvoř ák sein Konzert in Leipzig „In memoriam Johannes Brahms“, 1899 in Amsterdam
ein erstes und einziges Mal mit Widmungs­t räger
Hans Wihan als Solist.
Antonín Dvořák: Cellokonzert h-Moll
Konzertante Vorläufer
Die Gattung „Konzert“ spielte im umfangreichen Schaffen von Antonín Dvoř ák eine eher
periphere Rolle. Zwar schrieb der Prager Komponist bereits am Anfang seines künstlerischen
Wegs, in jener Phase der kompositorischen Hochproduktion des Jahrs 1865, in der neben dem
Liederzyklus „Zypressen“ auch seine beiden
ersten Symphonien (Nr. 1 c-Moll, Nr. 2 B-Dur)
entstanden, ein Konzert für Violoncello A-Dur
„mit Begleitung des Klavieres“; aber mehr als
eine kompositorische Fingerübung und insbesondere eine musikalische Gefälligkeit für den
befreundeten Cellisten Ludevít Peer, mit dem
der Bratscher Dvoř ák damals zusammen im Orchester des Prager Interimtheaters spielte, war
dieses vom Autor unveröffentlicht gelassene
Konzert nicht.
Elf Jahre vergingen, Jahre, in denen drei weitere Symphonien, drei Opern und eine Vielzahl
von Kammermusikwerken entstanden, bevor
sich Dvoř ák im August 1876 zum zweiten Mal
der Gattung „Konzert“ zuwandte und – angeregt durch seine Freundschaft mit dem Prager
Klaviervirtuosen Karel von Slavkovsky – sein
Klavierkonzert g-Moll op. 33 komponierte, dessen Charakter und Schicksal der Verleger Robert
Lienau mit den Worten kommentierte: „Sie behandeln das Clavier, Beethoven ähnlich, in enger
Verschmelzung mit dem Orchester, und es ist noch
fraglich, ob das den heutigen Konzertspielern
sehr willkommen ist...“
Dass Dvoř ák bereits drei Jahre später wiederum an einem Konzert, diesmal für die Violine,
arbeitete, ging auf das Drängen des Berliner
3
Verlegers Fritz Simrock zurück. Am 27. Januar
1879 hatte dieser an den Prager Komponisten
die Anfrage gerichtet: „Wollen Sie mir ein
Violinkonzert schreiben, recht originell, kantilenenreich und für gute Geiger ?“ Mit „gute
Geiger“ meinte Simrock dabei vor allem einen:
den berühmten Berliner Violinvirtuosen Joseph
Joachim, dem Dvoř ák sein Violinkonzert zur
Begutachtung übersandte, dessen Änderungswünsche Dvoř ák zu mancher Umarbeitung veranlassten und dem der Prager Komponist sein
Geigenkonzert denn auch widmete.
Neu erwachtes Interesse
Was 13 Jahre später – kurz vor Dvoř áks Reise
nach Amerika, wo er von Oktober 1892 bis April 1895 als künstlerischer Direktor und Kompositionsprofessor am New Yorker National
Conservatory of Music wirkte – den Anstoß
dafür gab, dass Dvořák in seinem Schaffen nochmals das Konzertgenre aufgriff, ist unbekannt.
Feststellen lässt sich, dass sein künstlerisches
Interesse an der Gattung, das schließlich zur
Entstehung des Violoncellokonzerts führte, im
Sommer 1892 neu erwachte. Seinen Freund
Alois Göbl ließ er damals wissen, dass er sich
gerade Gedanken über ein neues Klavier- oder
Violinkonzert mache. Und auch Simrock gegenüber muss er von dieser Idee berichtet haben,
denn im Oktober 1892 – Dvoř ák war bereits in
New York – meldete der Verleger: „Ich will nicht
unterlassen, Ihnen zu sagen, dass ich z. B. ein
Klavierkonzert ganz gerne von Ihnen edieren
würde (wenn es ein schönes und wirkungsvolles Stück ist).“
4
Antonín Dvořák: Cellokonzert h-Moll
Kompositorisch greifbar wird Dvoř áks damalige
Konzertidee zwischen 19. Dezember 1892 und
10. Januar 1893: Auf Seite 11 des mit „Motivy
New York“ überschriebenen ersten amerikanischen Skizzenbuchs befindet sich ein melodischer Entwurf, betitelt „Allegro Concert Piano
Rondo Finale“. Dass Dvoř ák diesen Entwurf
nicht weiter ausführte und damit das neue Konzertprojekt zunächst nicht weiter verfolgte, muss
nicht verwundern angesichts der umfangreichen
anderen kompositorischen Arbeiten des Jahrs
1893 (Symphonie e-Moll „Aus der Neuen Welt“
op. 95, „Amerikanisches Streichquartett“ F-Dur
op. 96, Streichquintett Es-Dur op. 97, Vio­lin­
sonatine G-Dur op. 100), angesichts der mehrmonatigen Sommerreise 1893 nach Spillville in
den Norden der USA, angesichts der vielen
Direk­t ionsverpflichtungen am New Yorker Konservatorium während des Schuljahres 1893/94
und auch angesichts der sich daran anschließenden, heiß ersehnten Sommerferien in der
böhmischen Heimat von Mai bis Oktober 1894.
In seinem Denken fallen gelassen aber hatte
Dvoř ák dieses Konzertprojekt nicht. In Hamburg,
wo er auf der Rückreise nach New York Mitte
Oktober 1894 bei der mit ihm befreundeten
Komponistenfamilie Josef Bohuslav Foerster
Station machte, ging es in der Unterhaltung der
beiden Tonsetzer nachweislich um ein Konzert,
diesmal mit der Violine als Soloinstrument. Und
am 2. November 1894, nur kurze Zeit nach seinem
Wiedereintreffen in New York, war in einem
Brief Dvoř áks an seine in Prag gebliebenen Kinder zu lesen: „Bis jetzt arbeite ich an nichts,
aber froh wäre ich, wenn es wieder dazu käme,
sehr froh – ich bin ausgeruht mehr als genug.
Gerne würde ich ein Konzert machen für Klavier
oder Geige oder Cello.“
Symphonisches Prinzip
Dass in diesen Zeilen neben dem Klavier und
der Geige erstmals auch das Violoncello als
mögliches Soloinstrument genannt wird, hängt
wohl mit Dvoř áks Zusammentreffen und gemeinsamen Musizieren mit Hanuš Wihan, Professor am Prager Konservatorium und Cellist
des „Böhmischen Streichquartetts“ während
seines Sommerurlaubs zusammen. Wihan scheint
damals – einer späteren Schüler-Erinnerung zufolge – an den befreundeten Prager Komponisten (der ihm vermutlich von seiner Konzertidee
erzählt hatte) immer und immer wieder mit der
Bitte um ein Konzert für Violoncello herangetreten zu sein. Dabei ist anzunehmen, dass zum
Zeitpunkt des zitierten Schreibens an die Kinder das Soloinstrument „Cello“ in Dvořáks
kompositorischem Denken bereits favorisiert
war. Denn nur sechs Tage später, am 8. November 1894, begann Dvoř ák im fünften amerikanischen Skizzenbuch mit der Erstniederschrift seines Konzerts für Violoncello, und
zwar mit dem 1. Satz, den Dvoř ák ursprünglich
in d-Moll notierte, nach etwa 50 Takten abbrach
und daraufhin mit gleicher Thematik in h-Moll
nochmals von vorne schrieb. Kurze Zeit nach
Beendigung der Partitur am 9. Februar 1895 ließ
er seinen Freund Josef Bohuslav Foerster wissen:
„Ich sage Ihnen aufs bestimmteste, dass dieses
Konzert meine beiden Konzerte, das Violin­
konzert wie das Klavierkonzert, bei weitem
übertrifft.“
5
Antonín Dvořák (1891)
6
Antonín Dvořák: Cellokonzert h-Moll
Dabei war auch das Violoncellokonzert in seiner
Konzeption dem Typus des symphonischen Konzerts verpflichtet. Doch verstand es Dvoř ák hier,
die Idee des symphonischen Ganzen in einzigartiger Weise mit dem konzertierenden Prinzip
zu verbinden. Es ist das Soloinstrument, das
dramaturgisch agiert, neue Gedanken vorträgt,
den Dialog mit dem Orchester eröffnet; und es
ist das Orchester, das dieses Agieren und Dialogisieren im Sinne einer Ausbalancierung für
das Ganze aufgreift, sich – wo nötig – in die musikalische Dramaturgie einschaltet und durch
eigene Themen oder Themenvarianten eine
höchst individuelle Rolle spielt.
Von hier aus gesehen wird Dvoř áks vehemente
Ablehnung einer Kadenz nur zu verständlich, die
Hanuš Wihan, der Dvoř ák für den Solopart beratend zur Seite stand, gegen Ende des Finales
eingefügt wissen wollte: „Überhaupt muss es
[das Konzert] in der Gestalt sein, wie ich es gefühlt und gedacht habe. [...] Das Finale schließt
allmählich diminuendo wie ein Hauch – mit Reminiszenzen an den 1. und 2. Satz – , das Solo
klingt aus bis zum pp, dann ein Aufschwellen,
und die letzten Takte übernimmt das Orchester
und schließt im stürmischen Tone.“
Tönende Autobiographie
Über das Kompositorische hinaus ist das Cellokonzert zugleich ein höchst persönliches Werk
Dvoř áks. Dies nicht so sehr, weil es zu seiner
Entstehung weder der Anregung von Verlegernoch von Freundesseite her bedurft hatte, sondern vor allem deshalb, weil es ein Stück Auto­
biographie enthält. Musikalisch fixiert ist dies
im zweiten, zuerst vom Cello vorgetragenen
Thema (g-Moll) des langsamen Satzes, ein stilisiertes Zitat der Gesangsmelodie aus Dvoř áks
1887/1888 komponiertem Lied „Lasst mich allein in meinen Träumen geh’n !“ Es war das
Lieblingslied von Josefina Kaunitzová (geb.
Cermáková), ehemalige Schauspielerin und
Sängerin am Prager Interimstheater, Dvoř áks
große Liebe Mitte der 1860er Jahre und später
seine Schwägerin.
In einem Brief vom 26. November 1894 hatte
Josefina dem Komponisten ihren bedrohlichen
Gesundheitszustand geschildert; Dvoř ák, der
diesen Brief nachweislich noch vor der Skizzierung des 2. Satzes erhielt, gedachte ihrer mit
dem Melodiezitat aus dem ersten der „Vier Lieder“ op. 82. Und nachdem Josefina am 27. Mai
1895, nur kurze Zeit nach Dvoř áks Rückkehr aus
Amerika, verstarb, änderte Dvoř ák den Schluss
des Finalsatzes und fügte auch dort das Liedzitat ein: gespielt von Holzbläsern und Solo­
violine in hoher Lage, ohne eigentliches Bassfundament, fern vom Gewohnten und damit
gleichsam wie aus einer anderen Welt herüberklingend.
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Hugo Boettinger: Antonín Dvořák (um 1895)
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Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“
Mit Musik gegen das „Ewig Gestrige“
Stephan Kohler
Richard Strauss
Entstehung
(1864–1949)
Im Frühjahr 1894, noch vor der Uraufführung
seiner ersten Oper „Guntram“, scheint sich Strauss
in Weimar erstmals mit der Konzeption einer
Tondichtung „frei nach Friedrich Nietzsche“ beschäftigt zu haben; im Juli 1895 griff er das Projekt
während eines Urlaubs in Cortina d’ Ampezzo
(Trentino) wieder auf, um noch im gleichen Jahr
mit der Niederschrift der definitiven Komposi­
tionsskizze zu beginnen. Das Particell seines
Opus 30 beendete Strauss am 17. Juli 1896 in
Marquartstein / Oberbayern, die Partiturreinschrift am 24. August 1896 in München.
„Also sprach Zarathustra“
Tondichtung (frei nach Friedrich Nietzsche)
für großes Orchester op. 30
Widmung
Lebensdaten des Komponisten
Geboren am 11. Juni 1864 in München; ge­
storben am 8. September 1949 in GarmischPartenkirchen.
Literarische Vorlage
„Also sprach Zarathustra“, mehrteilige philosophische Dichtung von Friedrich Nietzsche (1844–
1900) mit dem Untertitel „Ein Buch für Alle und
Keinen“; Nietzsches zuletzt auf „vier Teile“ erweitertes Hauptwerk erschien zwischen 1883 und
1885 und erlebte zahlreiche Auflagen, von denen Strauss – wie der redaktionelle Stand der
aus Nietzsches Buch übernommenen Kapitelüberschriften in seiner Partitur beweist – eine
der frühesten benutzte.
Auf eine personenbezogene Widmung hat
Strauss bewusst verzichtet; statt dessen wollte er seinem Werk ursprünglich den Untertitel
geben: „Symphonischer Optimismus in Fin de
siècle – Form, dem 20. Jahrhundert gewidmet“.
Dieses bereits in Weimar 1894 zu Papier gebrachte „Motto“ wich bei der Drucklegung dem
ersten Kapitel von „Zarathustras Vorrede“, mit
dem Strauss seiner Partitur einen Originaltext
Friedrich Nietzsches voranstellte.
Uraufführung
Am 27. November 1896 in Frankfurt am Main
im Rahmen des 4. Museumskonzerts der Frankfurter Museums-Gesellschaft im Saalbau (Frankfurter Museums-Orchester unter Leitung von
Richard Strauss).
Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“
Vom Geist der Opposition
Im Herbst 1898 vertauschte Richard Strauss,
34-jährig, seinen Posten als Nachfolger Hermann Levis am Königlichen Hof- und Nationaltheater zu München mit der Position eines
Preußischen Hofkapellmeisters seiner Majestät, des Kaisers Wilhelm II., in Berlin. Berlin
hatte das spätbiedermeierliche München weit
überflügelt, war zur intellektuellen Hauptstadt
Deutschlands avanciert und zog Künstler aus
allen Teilen des Deutschen Reiches an. Strauss
galt als bedeutendster Komponist seiner Generation, und sein Wechsel von München nach
Berlin wurde allgemein als spektakulärer Vorgang gewertet. Spektakulär waren auch die Erfolge, die Strauss um die Jahrhundertwende
feierte – meist verbunden mit erbittert umkämpften Uraufführungsskandalen, die den
Komponisten nicht unbedingt zum Höfling der
wilhelminischen Ära prädestinierten.
Dass die Berliner kaiserliche Hofverwaltung ein
derartiges „enfant terrible“ dennoch adoptierte,
gereicht ihr noch nachträglich zur Ehre. Strauss
hingegen geriet durch sein Berliner Engagement
für viele nachfolgende Generationen in das dubiose Licht des erzreaktionären und auf bloße
Repräsentation bedachten Hohenzollernstaats,
als dessen musikalischen Exponenten ihn manche neuzeitliche Musikhistoriographen eilfertig
brandmarkten. Wäre es ihm um bloßes Anpassertum gegangen, hätte er nie „Guntram“ komponiert, seinen höchst eigenwilligen Bühnenerstling, in dem Anarchisten, Exzentriker und PolitProvokateure des Fin de siècle sich wieder­
erkennen und philosophisch legitimiert sehen
konnten. Auch sein zweites Bühnenwerk
9
„Feuers­n ot“ geht konzessionslos gegen die
bürgerliche Reaktion vor und entlarvt gesellschaftliches Wohlverhalten als heimtückische
Berechnung und verlogene Prüderie.
Der „Feuersnot“-Librettist Ernst von Wolzogen,
ein gegen die Wahnfried-Ergebenheit seines
Bruders Hans revoltierender „Outlaw“, hatte
dem selbsternannten Gottesgnadentum der
Wagner-Witwe Cosima ebenso den Kampf angesagt wie sein künstlerischer Partner Richard
Strauss, den nach anfänglicher Bayreuth-­
Begeisterung bald Skepsis gegen Ideologie und
Musiktradition der Wagner-Schule erfasste.
Doch schon Jahre vor den „Meistersinger“-,
„Tristan“-, „Ring“- und „Parsifal“-Parodien der
„Feuersnot“ hatte sich Strauss vor den höchst
konservativen Kreisen des zeitgenössischen
Bürgertums durch seine offen zur Schau getragene und in „Also sprach Zarathustra“ auch kompositorisch belegte Nietzsche-Begeisterung diskreditiert. Der Geist der Opposition gegen die verhassten, gründerzeitlich-bornierten „Philisternester“ Weimar und München disponierten ihn
in jenen Jahren für satirische Komödienhandlungen und provokante Weltanschauungsstoffe.
Anstiftung zu lachender Bosheit
Als Cosima Wagner 1901 von ihrem abtrünnigen
Adepten Richard Strauss zur Uraufführung des
Singgedichts „Feuersnot“ nach Dresden eingeladen wird, stellt ihr der Komponist „ein ganz
boshaftes Vergnügen“ in Aussicht, um sich sogleich zu korrigieren: „Ach Pardon, ich vergaß:
Lachende Bosheit ist nur bei uns schlimmen
Nietzsche-Brüdern eine Tugend !“ Cosimas
Antwort, bedeutend in ihrer aphoristischen
10
Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“
Prägnanz, beendet zugleich eine knapp zehn
Jahre währende Debatte über Wagners einstigen Apologeten, in deren Verlauf der junge
Dichterkomponist des „Guntram“ und seine
„geistige Erzieherin“ in Wahnfried sich zunehmend entfremdet hatten: „Gott: Nietzsche ! Wenn
Sie ihn gekannt hätten ! Er hat nie gelacht und
war immer durch unsern Humor wie überrascht;
dazu Kurzsichtigkeit bis zur Augenblödigkeit:
Armer Nachtvogel, der an allen Ecken und Enden anstieß. Den als Prediger des Lachens anzutreffen, berührt seltsam.“
Wie war Strauss unter die „schlimmen NietzscheBrüder“ geraten ? Im Frühjahr 1892 hatte er sich
eine lebensgefährliche Lungenerkrankung zugezogen, die er im Winterhalbjahr 1892/93 auf
einer Mittelmeer-Reise auszuheilen hoffte. Mit
im Reisegepäck, quasi als Rezeptur für nicht
nur körperliche, sondern auch geistige Genesung, hatte er die damals aktuellsten Schriften
Schopenhauers und Nietzsches. Doch Schopenhauers Theorie von der „Erlösung des Willens
in der Verneinung“ erwies sich für Strauss als
unzugänglich; in sein Reisetagebuch notierte
er: „Ich bejahe bewusst, das ist mein Glück !“
Im Frühjahr 1893 in Taormina angelangt, schrieb
er schließlich an Cosima über Nietzsches 1886
erschienene Schrift „Jenseits von Gut und Böse“,
die im Untertitel als „Vorspiel einer Philosophie
der Zukunft“ bezeichnet ist: „Die Zweifel, die
Schopenhauer mir erweckt, hat Nietzsche auch
nicht ganz gelöst, wenn ich es auch gleich für
möglich halte, dass auf dem Wege, auf dem
dieser wahnsinnig geworden, doch vielleicht
einmal ‚die Philosophie der Zukunft‘ heraufdämmern wird. Kennen Sie das Buch ? Es ist
ein tolles Gemisch von Verrücktheiten, Absur-
ditäten und dann wieder Gedanken, die ich für
das Bedeutendste mit halte, was ein Menschenkopf ersinnen kann.“
„Fingerzeige zu einem neuen
Leben“
Spätestens mit diesem Brief vom April 1893
beginnt sich – wie Max Steinitzer, sein erster
Biograph, es formulierte – Strauss’ dezidierte
Abwendung vom „Bayreuther Erlösungsrummel“ abzuzeichnen. Schon im Februar desselben
Jahres hatte Strauss an seinen Jugendfreund
Ludwig Thuille geschrieben, die Zeit der „Moralpredigten“ sei nun endgültig vorbei. Spielte
er damit auf Nietzsches Selbstinterpretation in
seiner späten, 1888 entstandenen Schrift „Ecce
Homo“ an („Wie man wird, was man ist“), wo die
Verweigerung jedwelchen Verkündens von
„Moral“ als besondere Errungenschaft gerade
von „Also sprach Zarathustra“ gepriesen wird ?
Nietzsche sagt dort über sein berühmtes, „für
Alle und Keinen“ geschriebene Buch, das von
1883 bis 1885 zum Teil nur als Privatdruck erscheinen durfte: „Hier redet kein ‚Prophet‘, keiner jener schauerlichen Zwitter von Krankheit
und Willen zur Macht, die man Religionsstifter
nennt. Hier redet kein Fanatiker, hier wird nicht
‚gepredigt‘, hier wird nicht Glauben verlangt.“
Strauss („Ich bejahe bewusst !“) musste sich
von Nietzsches „Zarathustra“ angezogen fühlen, dessen dichterischer Konzeption – laut
„Ecce Homo“ – „die höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann, das
‚Ja !‘ sagende Pathos par excellence“ zugrunde
liegt. „Also sprach Zarathustra“, dem in einer
frühen Fassung der Untertitel „Fingerzeige zu
11
Früher Privatdruck von „Also sprach Zarathustra“ mit satirischer Widmung Nietzsches an einen Freund:
„Ein verbotenes Buch ! Vorsicht ! Es beisst !
12
Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“
einem neuen Leben“ beigegeben war, verkörperte für Strauss – wie für die meisten seiner
Leser – das „Dithyrambische“ als Lebensform,
den artistisch geträumten, gedichteten Daseinsrausch, in dem man ein Fanal der Befreiung von
gründerzeitlichen Zwängen erblickte. Sein sensualistischer Subjektivismus ließ sich zu einer
Metaphysik der Diesseitigkeit überhöhen, der
im Kampf gegen das „Ewig Gestrige“ deutliche
Überbau-Funktion zukam. Mochte für Nietzsche,
den kränklichen Philologen, „Also sprach Zarathustra“ kompensatorische Bedeutung gehabt
haben – für Strauss war seine Lektüre zweifellos ein Mittel affirmativer Selbstbestätigung.
Nietzsche-Brüder unter sich
Die vielgerühmte Musikalität des Textes hatte
schon Nietzsche selbst hervorgehoben. In einem
Brief an seinen komponierenden Vertrauten Peter Gast heißt es: „Unter welche Rubrik gehört
eigentlich dieser ‚Zarathustra‘ ? Ich glaube beinahe unter die Symphonien !“ In „Ecce Homo“
wiederholt Nietzsche den synästhetischen Zuordnungsversuch, indem er angesichts der Silbenkatarakte seines entfesselten Sprachflusses anheimstellt: „Man darf vielleicht den ganzen ‚Zarathustra‘ unter die Musik rechnen.“ Vorausbedingung für seine adäquate Lektüre sei allerdings
eine dringend erforderliche „Wiedergeburt“ in der
den meisten Menschen abhanden gekommenen
„Kunst zu hören“. Außer Richard Strauss „hörten“ und komponierten „Zarathustra“-Texte im
selben Zeitraum Oscar Fried („Das trunkene Lied“),
Frederic Delius („A Mass of Life“), Siegmund von
Hausegger („Dionysische Phantasie“) und vor
allem Gustav Mahler in seiner breit angelegten
3. Symphonie, die parallel zu Strauss’ „Zara-
thustra“ zwischen 1894 und 1896 entstand.
Noch 1906 erklärte sich Mahler diese auffallende Duplizität aus dem Umstand, „dass wir
beide als Musiker die sozusagen latente Musik
in dem gewaltigen Werke Nietzsches herausgefühlt haben“.
Seine „Dritte“ hatte Mahler ursprünglich in
Anlehnung an Nietzsches gleichnamige, von
1882 bis 1887 erschienene Schrift „Die fröhliche Wissenschaft“ betitelt und für jeden der
anfangs sieben, zuletzt sechs Sätze akribisch
ausgearbeitete Überschriften erdacht, in die
Lektürefrüchte aus Büchern Nietzsches einflossen. Bei Drucklegung ließ Mahler jedoch alle
Nietzsche-Anspielungen rückwirkend tilgen, so
dass nur noch das Altsolo des 4. Satzes, in dem
das „Mitternachtslied“ Zarathustras („O Mensch !
Gib acht !“) vertont ist, die ursprüngliche Konzeption der Symphonie verrät. Warum musste
Mahler so verzweifelt um Nietzsche ringen, wo
ihn sich ein Strauss im Handumdrehen als „Hausphilosoph“ erobert hatte ? Zwar bewunderte
Mahler das sprachliche Feuer von Nietzsches
Prosa und die Sogwirkung ihrer von größter
Musikalität durchdrungenen Deklamationskunst;
aber was der bekennende Atheist Richard Strauss
als Freibrief für weltanschaulichen Liberalismus
hielt, konnte den konvertierten Juden Gustav
Mahler in seinem christlichen „Missionsgefühl“
auf Dauer nur abstoßen.
Nicht zuletzt an der markanten Abänderung des
ursprünglichen Titels seiner Symphonie in „Meine fröhliche Wissenschaft“ ist Mahlers deutliche Kurskorrektur gegenüber Nietzsche abzulesen: Der „Übermensch“ als Produkt eines
überzogenen Sozialdarwinismus oder – noch
13
Hans Olde: Friedrich Nietzsche auf dem Krankenlager (1899)
14
Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“
schlimmer – gezielter „rassischer Auslese“ war
dem Juden Mahler begreiflicherweise nicht zugänglich. Er sah im Gegensatz zu Strauss den
Mensch als Produkt der „Mitte“, nicht des „Darüber“: als „primus inter pares“ eingebettet in
eine von christlich-pansophischem Ganzheitsdenken geprägte Ahnung des Allzusammenhangs jeglicher Natur. Schließlich sei man, so
Mahler an Anna von Mildenburg, „sozusagen
nur ein Instrument, auf dem das Universum
spielt...!“ Seiner Ehefrau Alma, die sich selbst
als „wilde Nietzscheanerin“ bezeichnete, hielt
er folgerichtig „die ganz verlogene und schlimmfreche Herren-‚Unmoral‘ Nietzsches“ vor und
empfahl ihr, ihre Nietzsche-Gesamtausgabe
schleunigst „ins Feuer“ zu werfen.
„Symphonischer Optimismus in
Fin de siècle – Form“
So sehr sich Strauss im Gegensatz zu Mahler
für Nietzsches Herren-„Moral“ begeistern konnte und den Autor des „Zarathustra“ als Apologet institutionalisierter „Freigeistigkeit“ feierte – das Programmatische, Bekenntnishafte
seiner Tondichtung „frei nach Friedrich Nietzsche“ wollte er dennoch nicht überbewertet
wissen. Die in der Tat sehr „freie“ Handhabung
der Vorlage durch den Komponisten macht es
einem ohnehin nicht leicht, programmatische Entsprechungen zwischen Text und Musik eindeutig
zu fixieren. Lediglich einige wenige Kapitelüberschriften Nietzsches fanden Eingang in die Partitur, wo ihre Reihenfolge von der der Buchausgabe im Übrigen erheblich abweicht: „Von den
Hinterweltlern“, „Von der großen Sehnsucht“,
„Von den Freuden- und Leidenschaften“, „Das
Grablied“, „Von der Wissenschaft“, „Der Gene-
sende“, „Das Tanzlied“ und schließlich „Das
Nachtwandlerlied“, dessen Titel Nietzsche in
einer späteren Auflage in „Das trunkene Lied“
abänderte. Strauss stellte seiner Partitur das
erste Kapitel von „Zarathustras Vorrede“ gleichsam als Einführungstext voran und opferte dafür den ursprünglich vorgesehenen, ironisch
gefärbten Untertitel „Symphonischer Optimismus in Fin de siècle – Form, dem 20. Jahrhundert gewidmet“.
Dieser „Slogan“ wurde vermutlich schon 1894
in Weimar zu Papier gebracht; soweit reichen
jedenfalls die ersten Skizzen zu dem Werk zurück. Im Juli 1895 setzte Strauss die Arbeit
während eines Sommeraufenthalts in Cortina
d’ Ampezzo fort, um noch im gleichen Jahr mit
der Niederschrift des Particells, der letzten von
ihm sogenannten „Bleistiftskizzen“, zu beginnen. Er beendete sie am 17. Juli 1896 in der
Sommerresidenz seiner Schwiegereltern in
Marquartstein im Chiemgau, hatte zu diesem
Zeitpunkt aber auch schon längst – nämlich seit
4. Februar 1896 – mit der Partitur-Reinschrift
begonnen, so dass „Also sprach Zarathustra“
bereits am 24. August in München fertig vorlag.
Der von Strauss gewählte Orchesterapparat
entspricht im Wesentlichen demjenigen des
Vorgänger-Werks „Till Eulenspiegels lustige
Streiche“ op. 28; geringfügige Einsparungen bei
Trompeten und Hörnern werden durch Hinzu­
fügung einer Basstuba wieder ausgeglichen.
Zwei Harfen und die bei Strauss erstmals verwendete Orgel komplettieren das üppig besetzte Orchester.
Hatte Strauss in seinen bisherigen Werken, z. B.
in „Don Juan“, den Formverlauf zumeist noch
15
Richard Strauss als Münchner Hofkapellmeister (1896)
16
Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“
an Rudimenten eines in Auflösung begriffenen
Sonatenhauptsatzes orientiert, so wählte er für
„Zarathustra“ die Form einer großangelegten
symphonischen Phantasie: Nietzsches sprunghafter Zitier- und Formulierungskunst konnte
und wollte er nicht mit althergebrachter symphonischer Vernetzungstechnik begegnen, um
auf solch traditionelle Weise übergreifende
tektonische Zusammenhänge zu stiften. Wenn
Nietzsche modernste, quasi „filmische“ Techniken vorwegnahm wie Montage, Überblendung
oder Schnitt, so folgen auch bei Strauss auf die
Themen-Exposition eher lose verbundene, durchführungsartige Episoden, die sich auf einzelne
„Bilder“ oder fragmentarische Einsprengsel konzentrieren und in denen jeweils unterschiedliche
Variationsprinzipien gelten. Alle zielen sie jedoch
auf Intensivierung, Steigerung und keineswegs
auf bloße Rekapitulation der anfangs eingeführten Themen ab. Erkennbare Satzelemente wie
Fugato, Scherzo, Adagio, Finale und Coda sind
nie Folge abstrakt-formaler Planung, sondern
bleiben stets rückbeziehbar auf ihre inhaltliche
bzw. literarische Funktion; Strauss erweist sich
hier als unbeirrbarer Anhänger der „neudeutschen“ Musikästhetik Friedrich von Hauseggers
und seines Hauptwerks „Die Musik als Ausdruck“.
Wechselspiel entferntester Ton­
arten
Eine besondere Rolle spielt im „Zarathustra“ die
Kontrastivität der Tonarten, deren Symbolwert
Strauss in einer Tagebuch-Eintragung rückblickend
kommentierte: „ ‚Zarathustra‘ ist musikalisch genommen als Wechselspiel zwischen den zwei
entferntesten Tonarten (die Secunde !) angelegt.“ In der Tat bilden die beiden Hauptton­arten H-Dur und C-Dur das harmonische Grundgerüst der Komposition: Mensch (H-Dur) und
Natur (C-Dur) werden miteinander konfrontiert,
ohne dass Aussicht auf Aufhebung ihrer Gegensätzlichkeit bestünde; im Gegenteil: ihre
Gegensätzlichkeit wird festgeschrieben und
musikalisch gleichsam „zementiert“. In einem
seiner „Zarathustra“-Skizzenbücher hat Strauss
die Mensch-Natur-Polarität zusätzlich durch ein
Zitat aus Goethes „Faust“ glossiert: „Du gleichst
dem Geist, den du begreifst, nicht mir !“ So wird
der „Übermensch“ Faust – als solcher bereits
von Goethe tituliert ! – von der Naturgottheit
des unerbittlichen „Erdgeists“ in die engen
Schranken seiner menschlich-bedingten Existenz gewiesen.
Ein anderes Skizzenbuch nennt das fanfarenartige Trompetenthema des Beginns (c-g-c) die
Formel für das „Universum“ („immer unbeweglich, starr, unverändert bis zum Schluss“) und
gibt Einblick in die von Strauss virtuos gehandhabte Technik des symbolischen, fast schon
sprachähnlichen Spiels mit Tonarten: „Großes
Diminuendo und Erlöschen bis zum Beginn der
Fuge; großer Aufbau, bis alle Lebensthemen zusammenkommen ! Ihre Combination endet mit
Verzweiflung (Dmoll), aus der die Sehnsucht
(Hmoll) endlich sanft ihre Flügel über den vom
Kampfe mit den Gespenstern des ‚Lebens‘ Ermatteten ausbreitet (Hdur) und ihn zur ‚Freiheit‘
führt (Cdur 3/4). Lebenstrieb, niedrige Leidenschaften, Schütteln vor Lachen (gestopfte Trompeten, hi – hi – hi – hi). Leidenschaftsthema in
Asdur (Blech, dunkelblau). Englisch-Horn-Solo
Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“
tanzend. Die erfüllte Sehnsucht als Schluss­
hymnus (Hdur, dann Cdur). Chromatisches Ausklingen !“
„Dem 20. Jahrhundert gewidmet“
Kaum eine symphonische Dichtung von Richard
Strauss musste sich schon vor ihrer Uraufführung so viele Anfeindungen und Gehässigkeiten
gefallen lassen wie „Also sprach Zarathustra“.
Cosima Wagner, immerhin, rang sich zu einer
versöhnlich-toleranten Haltung durch: „Ich hatte den Titel Ihrer symphonischen Dichtung ‚So
sprach Zarathustra‘ für einen Zeitungsscherz
gehalten. Aber ich kenne Nietzsches Buch nicht
und nehme jetzt an, dass in seinem Inhalt etwas
sein muss, was Sie musikalisch angeregt hat !“
Noch im November 1899, fast auf den Tag genau drei Jahre nach der Frankfurter Uraufführung, wägt man in Wahnfried das Für und Wider
ab: „‚Zarathustra‘ ist gar nicht berüchtigt, vielmehr höre ich ihn von allen Seiten rühmen. Ich
protestiere nur gegen den armen Nietzsche als
Programmdichter, weil er ja schon seit über 20
Jahren traurig erkrankt ist.“ Dieselbe (Geistes-)
Krankheit unterstellte mancher Kritiker auch
Richard Strauss, so in verschlüsselter Form sein
Wiener Gegenspieler Eduard Hanslick: „Oh, Zarathustra ! Klatsch’ doch nicht so fürchterlich
mit deiner Peitsche ! Du weißt ja: Lärm mordet
die Gedanken !“
Auf andere wieder, so auf den jungen Béla Bartók, wirkte „Also sprach Zarathustra“ wie ein
„Blitzschlag“, der urplötzlich eigene, bisher nicht
gekannte musikalische Energien freisetzte. Claude Debussy schließlich glaubte während eines
17
Pariser Konzerts, in dem Strauss seinen „Zarathustra“ dirigierte, eine seltsame Übereinstimmung zwischen Dirigent, Komponist und Werk
zu entdecken, die auch schon Romain Rolland,
dem hellsichtigen Kritiker und künstlerischen
Weggefährten von Strauss, aufgefallen war:
„Seine Stirn ist die eines Musikers, aber die
Augen und das Mienenspiel sind die eines ‚Übermenschen‘, von dem der sprach, der auch sein
Lehrmeister in der Energie war: Nietzsche. Von
ihm hat er die erfreuliche Verachtung des AlbernSentimentalen übernommen; von ihm hat er gelernt, dass Musik nicht nur unsere Nächte erhellen soll, sondern dass sie wie die Sonne selbst
sei. Ich kann Ihnen versichern, dass in Richard
Strauss’ Musik Sonne ist ! Es ist unmöglich, der
gewinnenden Macht dieses Mannes zu widerstehen.“
18
Friedrich Nietzsche: „Also sprach Zarathustra“
„Zarathustras Vorrede“
Friedrich Nietzsche
Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoß er seines Geistes und seiner Einsamkeit und
wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, – und
eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu
ihr also:
„Du großes Gestirn ! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du
leuchtest !
Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und
dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange.
Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluß ab und
segneten dich dafür.
Siehe ! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die des Honigs zu viel
gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich ausstrecken.
Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder
einmal ihrer Torheit und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind.
Dazu muß ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends tust, wenn du hinter das Meer
gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn !
Ich muß, gleich dir, u n t e r g e h e n, wie die Menschen es nennen, zu denen ich
hinab will.
So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugroßes Glück
sehen kann !
Segne den Becher, welcher überfließen will, daß das Wasser golden aus ihm fließe
und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage !
Siehe ! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch
werden.“
– Also begann Zarathustras Untergang.
Von Richard Strauss dem Partiturdruck seiner Tondichtung vorangestellter Eröffnungsabschnitt aus Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“
Richard Strauss: „Till Eulenspiegels lustige Streiche“
19
Mit Schelmenweisen gegen die Philister
Stephan Kohler
Richard Strauss
(1864–1949)
„Till Eulenspiegels lustige Streiche“, nach alter
Schelmenweise – in Rondeauform – für großes
Orchester gesetzt, op. 28
komischen Einakter „Till Eulenspiegel bei den
Schildbürgern“, dessen fragmentarisches
Libretto er im Frühjahr 1894 in Weimar zu Papier brachte. Der nicht ausgeführte Opernplan
mündete ein Jahr später in die Komposition der
symphonischen Dichtung „Till Eulenspiegels
lustige Streiche, nach alter Schelmenweise – in
Rondeauform – für großes Orchester gesetzt“,
deren Reinschrift Strauss am 6. Mai 1895 in
München beendete.
Widmung
Lebensdaten des Komponisten
Geboren am 11. Juni 1864 in München; ge­storben am 8. September 1949 in GarmischPartenkirchen.
Entstehung
Noch während der Abschlussarbeiten an seiner
ersten Oper „Guntram“ befasste sich Strauss
im Sommer 1893 in Italien mit dem satirisch-
„Seinem lieben Freunde Dr. Arthur Seidl gewidmet“: Arthur Seidl (1863-1928), Wortführer der
„neudeutschen“ Schule um Wagner und Liszt,
Mitarbeiter der „Bayreuther Blätter“ und Verfasser vielgelesener „Straussiana“, war Strauss
seit seiner Weimarer Kapellmeister-Zeit freundschaftlich verbunden. Er nahm regen Anteil an
der Entstehung des „Guntram“ und der geplanten „Till“-Oper, der er die „wertvolle Dedikation
vielleicht noch lieber eingeschrieben gesehen
hätte“ als der zuletzt realisierten symphonischen
Dichtung.
Uraufführung
Am 5. November 1895 in Köln im Rahmen des
2. Abonnementkonzerts der Kölner Konzert­
Gesellschaft im Gürzenich-Saal (Städtisches
Gürzenich-Orchester unter Leitung von Franz
Wüllner).
20
Richard Strauss: „Till Eulenspiegels lustige Streiche“
Verkappte Identifikationsfigur
Nach seiner ersten Oper „Guntram“, so schrieb
Strauss rückblickend in seinen „Betrachtungen
und Erinnerungen“, sei der Weg frei gewesen
für „unbehindert selbstständiges Schaffen“; der
„neue subjektive Stil“, den er damals angestrebt
habe, manifestiere sich schon wenig später in
seiner zweiten Oper „Feuersnot“. Mit gleichem
Recht hätte Strauss an dieser Stelle die noch
vor „Feuersnot“ entstandene Tondichtung „Till
Eulenspiegels lustige Streiche“ nennen können,
denn auch in ihr spielt, um mit Strauss zu reden,
„der Mensch sichtbar in das Werk“. Wie sehr
der Komponist den Spötter und Spaßtreiber Till
als verkappte Identifikationsfigur empfand, geht
nicht nur aus Bemerkungen wie dieser, sondern
auch aus einem selbstverfassten Opernentwurf
hervor, mit dem sich Strauss nach „Guntram“
beschäftigte und der die mittelalterliche Sagenfigur des Till Eulenspiegel als Protagonisten
verwendete.
Vielleicht ließ er sich dabei von Cyrill Kistlers
zweiaktiger Oper „Till Eulenspiegel“ inspirieren, die auf einem Text August von Kotzebues
basierte und im April 1889 in Würzburg zur Uraufführung gekommen war – Strauss kannte
den heute völlig vergessenen Komponisten und
stand mit ihm im Briefkontakt. Wahrscheinlicher
ist allerdings, dass er die Till-Figur bereits als
Kind kennen gelernt hatte; denn 1878 – Strauss
war gerade 14 Jahre alt – erschien Carl Simrocks
moderne Nacherzählung des mittelalterlichen
Volksbuchs und zählte binnen kürzester Zeit zu
den beliebtesten Kinder- und Jugendbüchern
der Gründerzeit. Für die Till-Renaissance die-
ser Jahre spricht auch das Unternehmen des
Halle’schen Verlegers Knust, der 1885 den ältesten Druck der Till-Legenden, erschienen im
Straßburg des Jahres 1515, neu herausgab. Der
historische Till Eulenspiegel soll übrigens zu
Kneitlingen in der Nähe Braunschweigs geboren und um 1350 in Mölln bei Lauenburg gestorben sein – wo noch heute sein im 17. Jahrhundert erneuerter Grabstein mit Eule und
Spiegel gezeigt wird: Ein klarer Fall von Volksetymologie, da der Namensbestandteil „-spiegel“ ursprünglich von französisch „espiègle“
(= Schalk) herrührt.
Satirischer Opernplan
Das fragmentarische „Till“-Libretto, das Strauss
ausarbeitete, trägt den Titel „Till Eulenspiegel
bei den Schildbürgern“. Das Thema des genialen Individualisten, des „Weltverächters, der
die Menschen missachtet, weil er sie im Grunde liebt“, spiegelt des Komponisten eigene Situation in den „Philisternestern“ Weimar und
München, wo er während der Beschäftigung
mit der Till-Figur für ihn höchst unerfreuliche
Engagements als Kapellmeister innehatte.
Strauss ist es in seinem dramatischen Entwurf
vor allem um die Darstellung des aus seiner
Sicht „ewigen“, folglich immer wiederkehrenden Kampfes des „Fortschritts“ gegen das
„Ewig-Gestrige“ zu tun, des intellektuell begabten Künstlers gegen ein Milieu, in dem der
philiströse Mief dominiert: Schilda steht für
Weimar und München, und in den Schildbürgern
sind des Komponisten Landsleute portraitiert,
deren bornierte Dummheit von Till Eulenspiegel satirisch bloßgestellt wird.
21
„Dem braven ‚Till’ zum 50. Geburtstag“: Späte Abschrift der Partitur durch den Komponisten „für meine
lieben Kinder und Enkel“ (1944)
22
Richard Strauss: „Till Eulenspiegels lustige Streiche“
Strauss gefiel sich in der Rolle des boshaften
Skeptikers und lachenden Philosophen, der sich
unter der Tarnkappe des „Narren“ erfolgreich
zu verstecken wusste. Wenig später sollte sich
in „Feuersnot“ die hier angestrebte Dramaturgie in der (nicht mehr ganz so komischen) Konfrontation des künstlerischen Outsiders Kunrad
mit dem spießbürgerlichen „Munichen“ wiederholen: die Parallelen zwischen beiden Werken
sind unübersehbar, zumal die „Till“-Oper wie die
spätere „Feuersnot“ als Einakter gedacht war, und
die Protagonisten beider Opern, von ihren Mitbürgern unerkannt, ihr streng gehütetes Inkognito am Ende wie Wagners Lohengrin in einem
breit angelegten Enthüllungsmonolog preisgeben.
Rondeau, Scherzo oder einfach
„Tanz“ ?
Möglicherweise war es die für Strauss betrübliche Einsicht, dass ihm letzten Endes die Qualitäten eines Dichterkomponisten vom Range
Richard Wagners abgingen, die ihn den etwas
weitschweifigen Entwurf seiner „Till“-Oper beiseite legen ließ. An die Stelle des Komödienprojekts trat zu guter Letzt eine symphonische
Dichtung „in Rondeauform“, in die die wichtigsten Wesenzüge der Till-Figur aus dem Opernentwurf übernommen wurden. Die „Reigen“Form, die Strauss im Untertitel seiner Tondichtung nennt, hat aber nichts mit dem klassischen
Formideal eines „Rondo“ zu tun, wie wir es aus
dem Finalsatz eines dreisätzigen Instrumentalkonzerts kennen: „Rondeau“ ist hier metaphorisch gemeint und betont das Tänzerische des
Werks, das nicht umsonst das am häufigsten
choreographierte Orchesterwerk von Richard
Strauss wurde.
Den „Reigen“ der zahlreichen „Till Eulenspiegel“Ballette eröffnete niemand Geringerer als Vaclav
Nijinsky, für den Strauss später die Rolle des
Joseph im Ballett „Josephs Legende“ schuf.
Mit „tänzerisch“ ist aber noch nichts über den
tatsächlichen Formverlauf gesagt, den der Komponist wie so oft an eine sehr frei gehandhabte Sonatenhauptsatzform anlehnte. Um die Verwirrung vollständig zu machen, sprach Strauss
auch öfters von einem „Scherzo“ – wie später
Paul Dukas im Untertitel seiner Tondichtung „Der
Zauberlehrling“, die überdeutlich in der Tradi­
tion des „Till Eulenspiegel“ steht und von Dukas
kaum anders als französische Hommage an
Richard Strauss gedacht sein konnte.
„Verflucht komisches Programm“
Wie die meisten Strauss’schen Tondichtungen
sind auch „Till Eulenspiegels lustige Streiche“
untrennbar mit dem Begriff „Programm-Musik“
verknüpft. Im Gegensatz zum weitverbreiteten
Klischee von programmatischer Musik als naiv
deskriptiver Bebilderung außermusikalischer
Inhalte war Strauss der Meinung, ProgrammMusik müsse auch stets Musik sein, „die sich
logisch aus sich selbst entwickle“, und so schrieb
er folgerichtig an den Dirigenten der „Till“Uraufführung Franz Wüllner, der ihn um inhaltliche Aufschlüsse über die Komposition des „Till
Eulenspiegel“ gebeten hatte: „Es ist mir unmöglich, ein Programm zu ‚Eulenspiegel‘ zu geben: in Worte gekleidet, was ich mir bei den
einzelnen Teilen gedacht habe, würde sich oft
23
„Wer zuletzt lacht, lacht am besten...“: Richard Strauss an seinem 80. Geburtstag (1944 )
24
Richard Strauss: „Till Eulenspiegels lustige Streiche“
verflucht komisch ausnehmen und viel Anstoß
erregen. Wollen wir diesmal die Leutchen selber die Nüsse aufknacken lassen, die der Schalk
ihnen verabreicht.“
In die Partitur seines Komponisten-Kollegen
Wilhelm Mauke, der uns heute allenfalls noch
als Verfasser von bemühten Einführungsschriften zu Orchesterwerken von Richard Strauss
bekannt ist, hat der Komponist des „Till“ dann
doch einige Erläuterungen, in gewisser Weise
sogar „Übersetzungen“ seiner Musik ins verbale Medium notiert, die der phantasiebegabte
Hörer aber nicht benötigt und allenfalls als redundant empfindet.
Spürsinn für das Szenische
Romain Rolland war überzeugt, dass der Komponist des „Till Eulenspiegel“ früher oder später
komische Opern schreiben würde und lobte an
der Partitur, was er den „sens scénique“ nannte. Bühnenwirksamkeit und Spürsinn für das Szenische sind in der Tat Elemente der Strauss’schen
„Schreibart“ – eine Beobachtung, die sich beim
Blick in sein „Till“-Skizzenbuch bestätigt. Strauss
gibt sich dort ein librettoähnliches, bald nur
skizziertes, bald ausformuliertes „Programm“
vor, das er dann mit Musik gleichsam „auffüllte“.
Er tat es offenbar sehr zur Unzufriedenheit seiner Gattin Pauline, die sich auf vielen Seiten
des Skizzenbuchs mit drastischen Bemerkungen
zu Wort meldete. So heißt es gleich auf der ersten Seite: „Entsetzliches Componieren !“ Daneben von der Hand des lieben Ehemanns: „An-
merkungen der Frau Gemahlin !“ Dafür rächt
sich Pauline wieder auf der dritten Seite mit
der Bemerkung „Infam !“, auf später folgenden
Seiten mit „Verrückt !“, „Scheußlich !“ und zuletzt mit „Schlechtes Geschmier !“ Doch auch
der Komponist ist nicht zimperlich: Gegenüber
der Eintragung seiner Frau, er sei nicht ganz
bei Sinnen, skizziert er seelenruhig eine Passage für die Szene, in der Till zum Tode verurteilt wird, und unterlegt sie mit den Worten:
„Die Zunge herausstreckend“ und zuletzt „Lustig auf und davon...!“
„Raffinierteste Décadence“
Die unverwüstliche Keckheit und Kühnheit der
Partitur hat noch den alten Anton Bruckner fasziniert, der der Wiener Erstaufführung des „Till
Eulenspiegel“ am 5. Januar 1896 in einem Abonnementkonzert der Wiener Philharmoniker unter Leitung von Hans Richter beiwohnte. Bruckner, der im selben Konzert eine Aufführung
seiner 4. Symphonie („Romantische“) erleben
durfte, musste in einer Sänfte in den Saal getragen werden, da er bereits sehr leidend war.
Er ließ sich von der Strauss’schen Tondichtung
jedoch so sehr gefangen nehmen, dass er sich
eine weitere „Till“-Aufführung am 29. März anhörte, um dem Wiener Musikgelehrten Theodor
Helm anschließend zu bekennen, die erste, flüchtige Bekanntschaft mit dem Werk hätte in ihm
den Wunsch geweckt, es beim zweiten Mal noch
besser zu verstehen, in seinen Kompositionsstil
noch tiefer einzudringen.
Anders der erklärte Feind der „neudeutschen
Schule“ Eduard Hanslick, der schon nach dem
Richard Strauss: „Till Eulenspiegels lustige Streiche“
ersten Anhören zu wissen glaubte, an welchen
Stellen die Partitur verbesserungsbedürftig und
wo das Fehlen Schumann’scher Stil- und Form­
ideale besonders auffällig, besonders schmerzlich zu bemerken sei. Er verglich Strauss’ orchestrale Komik mit dem Einbruch der Engländer in Transvaal bzw. mit Italiens Kriegsführung
in Massanah und schreckte nicht davor zurück,
Strauss einen „glänzenden Virtuosen der Mache“, sein „verrücktes Scherzo“ ein Produkt der
„raffiniertesten Décadence“ zu nennen.
Musikalische Sturzflüge für
Verrückte
Der schon von Pauline gebrauchte Begriff der
„Verrücktheit“ taucht auch in Claude Debussys
spektakulärer Pariser Konzertkritik auf, in der just
diejenigen Kennzeichen der Partitur, die einen
Hanslick um den Verstand brachten, zu Merkmalen von Genialität erklärt wurden. Der Autor
des „Pelléas“ hatte am 19. Mai 1901 eine Aufführung der Berliner Philharmoniker unter Leitung Arthur Nikischs gehört, auf die er in der
Pariser Zeitschrift „Revue blanche“ mit einer
höchst witzigen Glosse reagierte: „Dieses Stück
gleicht ‚einer Stunde neuer Musik bei den Verrückten‘. Die Klarinetten vollführen wahnsinnige Sturzflüge, die Trompeten sind immer verstopft, und die Hörner, ihrem ständigen Niesreiz
zuvorkommend, beeilen sich, ihnen artig ‚Wohl
bekomm’s !‘ zuzurufen; eine große Trommel
scheint mit ihrem Bum-Bum den Auftritt von
Clowns zu unterstreichen. Man hat gute Lust,
lauthals herauszulachen oder todtraurig loszuheulen, und man wundert sich, dass noch alles
25
an seinem gewohnten Platz ist; denn es wäre
gar nicht so verwunderlich, wenn die Kontrabässe auf ihren Bögen bliesen, die Posaunen
ihre Schalltrichter mit imaginären Bögen strichen und Herr Nikisch sich auf den Knien einer
Platzanweiserin niederließe.“
Im Gegensatz zu Debussy betonte Komponisten­
kollege Ferruccio Busoni weniger die expressionistischen oder gar dadaistischen Elemente
des „Till“, sondern deutete ihn als Schlüssel­
werk des sich anbahnenden Neoklassizismus:
„Strauss’ ‚Eulenspiegel‘ klang“ – schrieb er 1910
an seine Frau Gerda – „wie ein modernerer Papa
Haydn, der in seiner naivsten Laune ist und die
alten Wiener Aristokraten, die selbst mitspielen, zum Lachen bringt.“
Scherz, Satire, Ironie und tiefere
Bedeutung
Zeitlebens liebte es Strauss, sich als „Till“ oder
„Eulenspiegel“ zu bezeichnen. Nur zu gern schlüpfte er in die Rolle des Schalksnarren, um seine
Ansichten ironisch zu verschleiern. Als er 1918
den kabarettistischen Liederzyklus „Krämerspiegel“ schrieb, in dem er die skrupellosen Geschäftemacher unter den Musikverlegern satirisch bloßstellte, vertonte er Texte des berühmtberüchtigten Berliner Theaterkritikers Alfred Kerr,
in denen Till Strauss alias Richard Eulenspiegel
als Urheber aktuellster Schelmenweisen auftritt: „O Schröpferschwarm, o Händlerkreis, /
wer schiebt dir einen Riegel ? / Das tat mit
neuer Schelmenweis’ / Till Eulenspiegel...!“
26
Die Künstler
Valery Gergiev
Dirigent
Die Künstler
27
Sol Gabetta
Violoncello
nic Orchestra und dem Concertgebouw Orchestra auf. Sie ist gern gesehener Gast bei zahlreichen interna­tionalen Musikfestivals wie dem
Menuhin-Festival in Gstaad und dem SchleswigHolstein-Musikfestival. Ihr breites Repertoire,
das vom Barock über die Klassik bis hin zur Romantik und frühen Moderne reicht, ergänzt Sol
Gabetta stets mit Werken der Gegenwart, die
zeitgenössische Komponisten für sie schreiben.
Als engagierte Kammermusikerin hat Sol Gabetta ihr eigenes Kammermusikfestival „Solsberg“
in der Schweiz gegründet. Ihre zahlreichen CDEinspielungen wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet, so z. B. mit dem Echo Klassik und dem
Gramophon Award. 2012 wurde der AusnahmeKünstlerin der renommierte „Würth Preis der Jeunesses Musicales Deutschland“ verliehen.
Die in Córdoba, Argentinien, geborene Sol Gabetta gewann bereits im Alter von zehn Jahren
ihren ersten Violoncello-Wettbewerb. Ihre internationale Karriere startete die junge Cellistin
2004, als sie den renommierten „Crédit Suisse
Young Artist Award“ gewann, eine der höchst
dotierten Auszeichnungen für junge Musiker.
In­z wischen tritt Sol Gabetta unter Dirigenten wie
Charles Dutoit, Mario Venzago, Thomas Hengel­
brock und David Zinman mit weltweit renom­
mierten Orchestern wie dem Royal Philharmo-
Sol Gabetta spielt eines der seltenen und kostbaren Guadagnini-Violoncelli von 1759, das ihr
von der Rahn-Kulturstiftung zur Verfügung gestellt wurde.
28
Zu Ehren Lorin Maazels
„Lorin Maazel war einer der genialsten Musiker, seine dirigentische Brillanz von nahezu
einzigartiger Qualität. Er hat mich immer wieder beeindruckt mit einer zutiefst humanen
Grundhaltung. Er war überzeugt, dass Musik
das menschliche Leben gerade unter extremen
Bedingungen verbessert. Dafür hat er seine
ganze Leidenschaft und Energie investiert. Darum hat er sich so intensiv für junge Musiker
eingesetzt, sie gefördert, für sie ein eigenes
Festival auf seiner Farm in Castelton/ Virginia
gegründet. Das wird ihn zu einem wichtigen Vorbild für junge Musiker machen.
Dass er mit uns zusammen seinen 85. Geburtstag feiern wollte, empfinden wir als große Ehre.
Wir wollen daher die Konzerte an diesem Wochenende ihm, unserem verehrten Maestro,
widmen. Nicht nur ich, auch die Kolleginnen
und Kollegen aus Direktion und Orchester vermissen ihn – als genialen Musiker und großartigen Menschen.“
Paul Müller
Intendant der Münchner Philharmoniker
„Ich bin seit 1984 im Orchester – und mein
allererstes Konzert bei den Philharmonikern
war unter der Leitung von Lorin Maazel mit Mozarts Prager Symphonie und der 5. Symphonie
von Tschaikowsky.
Mit Lorin Maazel verbinde ich seine unglaubliche Präsenz und Präzision. Er hat eine solche
Sicherheit und Souveränität ausgestrahlt, die
mich immer wieder verblüfft und begeistert hat.“
Stefan Gagelmann
Solo-Paukist
29
„Uns Münchner Philharmonikern war es vergönnt, Lorin Maazel als Chefdirigenten so zu
genießen, wie es vielleicht kein anderes Orchester zuvor konnte: altersmilde, aber trotzdem unnachgiebig qualitätsfordernd an uns
Musiker – und an sich selbst.
Am bewegendsten war für mich sein Antrittskonzert im September 2012 mit Mahlers 9. Symphonie, einer „Liebeserklärung an das Leben“,
wie im damaligen Programmheft stand.
Ich hätte mir sehr gewünscht, noch viel mehr
Zeit und Musik mit Lorin Maazel zu erleben.“
Alexandra Gruber,
Solo-Klarinettistin
„Ich durfte mit Lorin Maazel neben seiner Position als Chef des Orchesters und neben meiner Vorstandsarbeit einige Zeit verbringen.
Wir haben zusammen die Oper „La voix humaine“ von Francis Poulenc für sein CastletonFestival umarrangiert und viele Stunden auf
dem Sofa nebeneinander sitzend verbracht. Bei
unserer gemeinsamen Arbeit an der Partitur
durfte ich nicht nur sein unfassbares Können
und Wissen bewundern, sondern vielmehr seine Liebe zur Musik, seine warmherzige Ernsthaftigkeit, Sensibilität und seinen so trockenen
Humor. Er war ernsthaft an jeder Idee oder musikalischen Meinung interessiert und hatte großen Spaß daran, quasi unlösbare Probleme in
der Orchestrierung stundenlang zu diskutieren,
analysieren und mit ins Bett zu nehmen, um die
Lösung am nächsten Tag voller Stolz zu präsentieren. Auch wenn er ein bisschen Unbehagen
ob der Spielbarkeit mit „…das können meine
fantastischen Musiker schon…“ oder „…ganz
schön viele Doppelgriffe. Ich hoffe, es verletzt
sich niemand…“ beruhigte.
Ich hoffe, er konnte sein Buch vollenden, aus
dessen Manuskript (auf dem Laptop!) er immer
wieder Passagen vorlas und herrliche, rührende
Anekdoten etwa von einem Sabbatical auf einer Südseeinsel erzählte.
Er war an allem interessiert, was echt war. Am
Leben und an den Menschen. Und er war offen
für Neues, war interessiert an jeder Verbesserung oder Veränderung. So musste ich ihm un-
30
bedingt bei einem Glas Wein und einer Banane
den Umgang mit einem Notensatzprogramm am
Computer erklären, weil ihm das Notenschreiben mit der Hand viel zu langsam ging. Er war
mit einer Auftragskomposition für einen Wettbewerb beschäftigt und hatte Sorge, nicht rechtzeitig fertig zu werden.
Mit 83 Jahren wurde Lorin Maazel noch quasi
ein Fussballfan. Er erkannte die Chance, als ich
ihm die Partitur für die FC Bayern Hymne zeigte,
Millionen von noch nicht Klassikfans zu erreichen und vielleicht nur für einen Moment deren
Neugier zu wecken. Er sagte sofort seine Mitwirkung zu und war voller Begeisterung sogar
im Wembley Stadion zum Champions League
Finale in London. Dass er bei der Aufnahme das
Trikot trug, was aus einer „Anzug noch im Hotel“Notsituation resultierte, reute ihn bei aller Kritik in keiner Sekunde. Wir haben uns mit ihm
halb schlapp gelacht.
Ich erzählte ihm, dass einige wenige Stimmen
zu vernehmen waren, dass die Aktion unseriös
sei. Darauf entgegnete er völlig entspannt, dass
er diese Leute kenne, die nicht auch mal über
sich selbst lachen können. Sie täten ihm Leid
und seien in seinen Augen selten wirklich seriös.
Seine Professionalität, seine unfassbar genialen Fähigkeiten und seine Intelligenz konnten
wohl auf den ersten Blick distanziert oder kühl
wirken. Bei genauerem Hinsehen musste man
allerdings den warmherzigen, vertrauenden,
selbstkritischen und zutiefst idealistischen Menschenfreund erkennen, der sein ganzes Leben
darauf verwendet hat, die Welt mit seiner Musik besser zu machen.
Ich werde ihn sehr vermissen.“
Matthias Ambrosius
Orchestervorstand
der Münchner Philharmoniker
31
32
Do. 19.03.2015, 20:00 Uhr 3. Abo k5
Fr. 20.03.2015, 20:00 Uhr 5. Abo c
So. 22.03.2015, 19:00 Uhr 5. Abo g5
Franz Schubert
Symphonie Nr. 4 c-Moll D 417
(„Tragische“)
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 5 cis-Moll
Vorschau
Do. 26.03.2015, 20:00 Uhr 5. Abo b
Fr. 27.03.2015, 20:00 Uhr 6. Abo d
Wolfgang Rihm
Konzert für Klavier und Orchester
Nr. 2
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 9 d-Moll
(Sätze 1–3)
Robert Trevino, Dirigent
Christoph Eschenbach, Dirigent
Tzimon Barto, Klavier
Impressum
Herausgeber
Direktion der Münchner
Philharmoniker
Paul Müller, Intendant
Kellerstraße 4,
81667 München
Lektorat: Stephan Kohler
Corporate Design:
Textnachweise
Klaus Döge, Paul Müller, Stefan
Gagelmann, Alexandra Gruber und
Matthias Ambrosius schrieben ihre Texte als Original­beiträge für die
Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Stephan Kohler s­ tellte
seine Texte den Münchner Philharmonikern zum Abdruck in diesem
Programmheft zur Verfügung; er
­r edigierte bzw. verfasste auch die
lexikalischen Angaben und Kurzkommentare zu den aufgeführten Werken.
Künstlerbiographien: Agenturtexte
(Gergiev, Gabetta). Alle Rechte bei
den Autorinnen und Autoren; jeder
Nachdruck ist seitens der Urheber
genehmigungs- und kostenpflichtig.
Graphik: dm druckmedien gmbh,
München
Druck: Color Offset GmbH,
Geretsrieder Str. 10,
81379 München
Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix
zertifiziertem Papier der Sorte
LuxoArt Samt.
Fr. 10.04.2015, 20:00 Uhr 6. Abo c
Sa. 11.04.2015, 19:00 Uhr 7. Abo d
So. 12.04.2015, 19:00 Uhr 6. Abo f
Felix Mendelsohn Bartholdy
„Elias“ op. 70
Andrew Manze, Dirigent
Sally Matthews, Sopran
Daniela Sindram, Mezzosopran
Christian Elsner, Tenor
Michael Volle, Bariton
Philharmonischer Chor München,
Einstudierung: Andreas Herrmann
Bildnachweise
Abbildungen zu Antonín Dvoř ák:
Antonín Hořejš, Antonín Dvoř ák –
Sein Leben und Werk in Bildern, Prag
1955; Michael Raeburn and Alan
Kendall (Hrsg.), Heritage of Music,
Vol. III: The Nineteenth-Century
Legacy, Oxford / New York 1989.
Abbildungen zu Richard Strauss:
Strauss Archiv München (SAM),
Sammlung Stephan Kohler, München. Künstlerphotogra­phien: Marco
Borggreve (Gergiev, Gabetta). Abbildungen von Lorin Maazel: Petra
Coddington, Christian Beuke, Severin
Vogl, wildundleise.de.
SOL
GABETTA
UND DIE MÜNCHNER
BEI SONY CLASSICAL
PHILHARMONIKER
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Sol Gabetta hat mit ihrem Freund,
dem herausragenden französischen
Pianisten Bertrand Chamayou,
Werke für Cello und Klavier von
Chopin und dessen Freund, dem
Cellisten Franchomme, aufgenommen.
„Das ist ein Programm mit Glücksmomenten…Chopins Musik aufs
Schönste.“ NDR Kultur
Foto © Sony Classical International / Marco Borggreve
SOL GABETTA
DAS CHOPIN ALBUM
SOL GABETTA
RACHMANINOFF
SCHOSTAKOWITSCH
Die mit dem ECHO Klassik
ausgezeichnete Aufnahme
des Cellokonzertes Nr. 1 von
Schostakowitsch und der
Cellosonate von Rachmaninoff.
Mit den Münchner Philharmonikern unter Lorin Maazel und
Olga Kern (Klavier).
www.solgabetta.de
MÜNCHNER
PHILHARMONIKER
VERDIS REQUIEM
Die Live-Aufnahme von Verdis berühmtem Requiem mit den Münchner
Philharmonikern unter Lorin Maazel entstand wenige Monate vor
seinem überraschenden Tod im Juli 2014. Mit Anja Harteros, Georg
Zeppenfeld, Daniela Barcellona und Wookyung Kim. „Eindringlich und
überzeugend“ Abendzeitung · Erhältlich ab 27.3.15
www.sonymusicclassical.de
www.facebook.com/sonyclassical
117. Spielzeit seit der Gründung 1893
Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)
Paul Müller, Intendant
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