Wirtschafts- und Arbeitssoziologie

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Universität Bielefeld
Fakultät für Soziologie
Curriculum für das integrierte Ergänzungsfach
„Wirtschafts- und Arbeitssoziologie“
(mit WE III und V abgestimmter Entwurf vom 28.05.2003)
Mitglieder der Arbeitsgruppe:
Prof. Dr. Reinhold Hedtke
Dr. Ursula Mense-Petermann
Dr. Gabriele Wagner
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Ergänzungsfach „Wirtschafts- und Arbeitssoziologie“
1.
Das Ergänzungsfach „Wirtschafts- und Arbeitssoziologie“ im Rahmen des Diplomstudiengangs Soziologie
Wirtschaftssoziologie und Arbeitssoziologie bieten sich für die Konstruktion eines integrierten Ergänzungsfaches an, da sie einerseits eine Reihe relevanter Gemeinsamkeiten in
mehreren Dimensionen haben: eng miteinander verflochtene Gegenstandsbereiche, gemeinsame theoretische Bezüge (etwa Systemtheorie, Rational Choice-Ansatz, Regulationstheorie
oder Institutionalismus), geteilte Methoden (z. B. Netzwerkanalyse), gleiche oder verwandte
Themen (wie Arbeitsmarkt, Industrielle Beziehungen, Produktionsregime) und berücksichtigte Klassiker (u. a. Marx, Durkheim, Weber, Polanyi). Die Gemeinsamkeiten, insbesondere im
Gegenstandsbereich und bei den Themen, bieten andererseits die Chance, die unterschiedlichen Perspektiven beider Teildisziplinen herauszustellen und damit deren disziplinäres Profil
zu schärfen.
Wirtschaftssoziologie
Die Entwicklung der Wirtschaftssoziologie als einer eigenständigen Disziplin der Soziologie
kann als wissenschaftliche Antwort auf die zunehmende Ausdifferenzierung und Verselbständigung der Wirtschaft in der Gesellschaft und auf die zunehmende Ausbreitung ökonomisch
geprägter Denk- und Handlungsmuster auf alle Bereiche moderner Gesellschaften verstanden
werden. In diesem Sinne kann man Wirtschaftssoziologie als spezielle Soziologie des gesellschaftlichen Teilsystems Wirtschaft, ihrer Institutionen, Organisationen, Felder, Handlungsmuster und Akteure, oder als Soziologie wirtschaftlichen Handelns in der Gesellschaft konzipieren. Als spezielle Soziologie der Wirtschaft fragt sie danach, wie das System der materiellen Reproduktion einer Gesellschaft (Produktion, Tausch, Verteilung, Konsum) von den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Prozessen und von denen anderer
Gesellschaften abhängt. Faktisch konzentriert sich die Wirtschaftssoziologie heute auf moderne, kapitalistisch geprägte, industrielle, „westliche“ Marktwirtschaften.
Wirtschaftssoziologie gründet sich auf eine lange Tradition innerhalb der Soziologie.
Klassische Autoren, auf die sich wirtschaftssoziologische Lehre und Forschung gegenwärtig
bezieht, sind vor allem Marx, Weber, Durkheim, Simmel, Schumpeter, Polanyi, Parsons und
Smelser. Bis heute ist die Wirtschaftssoziologie ein eher heterogenes Feld. Das zeigt sich etwa
an der Vielfalt der soziologischen Konzepte, Kategorien und Modelle, mit denen sie arbeitet:
beispielsweise Arbeit, Interaktion, Rolle, Institution, Kontrolle, Macht, Markt, Hierarchie,
Wettbewerb, Unsicherheit, Kooperation, Einbettung, Netzwerk, Gender oder Kultur sowie Institutionalismus, Kulturalismus, Rational Choice oder Regulationstheorie.
Heute fokussiert sich das wirtschaftssoziologische Interesse vor allem auf vier Perspektiven:
–
die gesellschaftliche Konstruktion ökonomischer Institutionen, Organisationen, Systeme,
Akteure, Beziehungsmuster und Steuerungsformen,
–
die soziologische Erklärung zentraler ökonomischer Phänomene wie Markt, Vertrag,
Geld, Preis, Einkommen oder Beschäftigung,
–
die kulturelle und kognitive Dimension ökonomischer Denk- und Handlungsmuster wie
Eigennutz, Rationalität oder Rechenhaftigkeit, und ferner auf die
–
Analyse von Teilbereichen des Wirtschaftssystems wie Branchen, Regionen, Verbände,
Unternehmen, Haushalte und von Grundfiguren wirtschaftlichen Handelns wie Arbeiten,
Tauschen, Investieren, Konsumieren und Sparen.
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In allen Perspektiven zeigt sich das für moderne Marktwirtschaften charakteristische
Spannungsverhältnis zwischen den Eigendynamiken und Autonomieansprüchen des Wirtschaftssystems einerseits, seiner gesellschaftlichen Einbettung und den Versuchen politischer
Steuerung andererseits. In vergleichender Perspektive analysiert Wirtschaftssoziologie auch,
in welchen institutionellen Formen unterschiedliche Gesellschaften mit diesem Spannungsverhältnis umgehen und welche Regime sie dabei herausbilden.
Märkte bilden den Kern moderner kapitalistischer Wirtschaften. Märkte stehen auch im
Zentrum des Interesses der Neuen Wirtschaftssoziologie, die sich seit den 1970er Jahren
entwickelt hat. Sie beansprucht insbesondere, Markt und Märkte, Marktverhältnisse und
Marktprozesse mit den Mitteln der soziologischen Analyse angemessener erklären zu können
als mit herkömmlichen wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen. Markante Konzepte und Ansätze sind die soziale Einbettung ökonomischen Handelns und ökonomischer Strukturen, die
Netzwerkanalyse, der Neoinstitutionalismus und kulturalistische Analysen. International dominieren angloamerikanische Autoren die Neue Wirtschaftssoziologie.
Arbeitssoziologie
In der modernen Gesellschaft hat Arbeit einen doppelten Bezug: Sie hat zum einen Gesellschaftsbezug. Arbeit ist ein wesentliches Inklusionsmedium in die Gesellschaft, zunächst vor
allem in das Wirtschaftssystem. Über Erwerbsrbeit erwerben Personen Einkommen sowie
Anwartschaften gegenüber den Systemen sozialer Sicherung. Auch soziale Ungleichheit vermittelt sich zentral über die Inklusion in das Wirtschaftssystem. Auf dieser Ebene der Systembildung lassen sich weiterhin die Ausdifferenzierung von Arbeitsmärkten, Markt- bzw. Wettbewerbsstrukturen und Regulationsmodellen beobachten. Neben dem Gesellschaftsbezug
(gesellschaftliche Organisation von Arbeit) hat Erwerbsarbeit zum zweiten einen Organisationsbezug. Gearbeitet wird insbesondere in Organisationen vor allem des Wirtschaftssystems,
aber auch in Organisationen anderer gesellschaftlicher Bereiche: etwa in Rechtsanwaltskanzleien, Finanzämtern oder dem Öko-Institut. Auf dieser Ebene der Systembildung stehen
Fragen der organisatorischen Formung des Mediums Arbeit im Zentrum; Beispiele hierfür
sind Arbeitszeiten oder die Definition und Zuweisung von Arbeitsaufgaben. Die Soziologie
der Arbeit interessiert sich für den Formwandel sowie für die Wechselwirkungen zwischen
der gesellschaftlichen Organisation und der organisatorischen Formung von Arbeit.
Aktuell beobachten wir den Bedeutungsverlust eines industriegesellschaftlichen Regulationsmodells, das hauptsächlich auf dem Nationalstaat, dem fordistischen Modell der Massenproduktion, starken Kontinuitäts- und Fortschrittsannahmen (‚the same as before, but better and
more‘) und traditionellen Formen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beruhte. An die
Stelle gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen als „Arbeits-“ oder „Industriegesellschaft“ treten Übergangsbegriffe wie „postfordistische“ oder „postindustrielle Gesellschaft“. Solche Begriffe unterstreichen den Prozeßcharakter und damit die Ergebnisoffenheit aktueller Umbrüche von Arbeitsaufgaben, Arbeitsformen, Beschäftigungsverhältnissen und der betrieblichen
wie auch gesellschaftlichen Organisation von Arbeit.
Einschlägige Stichworte, welche die ganze Bandbreite aktueller Umbrüche nur sehr ausschnitthaft wiedergeben, sind:
-
flexible Spezialisierung, verkürzte Produktlebenszyklen, erhöhter Konkurrenz- und
Kostendruck, steigende Marktturbulenzen
Vervielfältigung von Arbeitsformen und Beschäftigungsverhältnissen (Gruppenarbeit,
Projektarbeit / befristete, Teilzeit-, Leiharbeit, Teleheimarbeit, Scheinselbständige)
Veränderte Organisationskonzepte, Koordinations- und Kontrollmechanismen (Dezentralisierung, Hierarchieabbau, netzwerkartige Strukturen / interne Vermarktlichung,
Rahmensteuerung, indirekte Kontrolle)
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-
quantitatives Wachstum von Dienstleistungsarbeit und qualitativer Wandel von Arbeit
(Herauslösung von Arbeit aus stofflichen Bezügen zugunsten von Kommunikation und
Information / „Subjektivierung“ von Arbeit)
globalisierungsbedingte Neuausrichtung von transnational agierenden Unternehmen.
-
Diese Liste, die sich noch fortsetzen ließe, unterstreicht zweierlei. Zum einen haben sich die
Fragestellungen, Methoden und theoretischen Ansätze der Arbeitssoziologie verändert und
erheblich erweitert. Das liegt in gesellschaftlichen wie ökonomischen Umbrüchen und neuen
Konstellationen von Erwerbssystem und Wohlfahrtsstaat genauso begründet wie in der
Entwicklung des Faches Arbeitssoziologie selbst. Zum anderen kann von einem „Ende der
Arbeitsgesellschaft“ keine Rede sein – jedenfalls dann nicht, wenn man mit dieser Formel
zum Ausdruck bringen möchte, daß je bestimmte Formungen von Arbeit Ausdruck und Folge,
Motor und Bremse sozialen Wandels sind. Über all diese Wandlungsprozesse hinweg ist
Arbeit nach wie vor das zentrale Inklusionsmedium in die Gesellschaft und wichtigste Referenz für identitätsrelevante Erfahrungen gesellschaftlicher Anerkennung und sozialer Wertschätzung.
Studienziele
Die Studierenden sollen sich unterschiedliche wirtschaftssoziologische und arbeitssoziologische Konzeptionen, Kategorien und Perspektiven aneignen und lernen, Phänomene und Probleme der Wirtschaft und der Arbeit mit ihrer Hilfe reflektiert zu beschreiben, zu erklären und
Gestaltungsvorschläge zu beurteilen. Sie sollen sich insbesondere mit den Phänomenen der
gesellschaftlichen wie der organisatorischen Formung von Wirtschaft und Arbeit vertraut machen und Konzepte, Instrumente und Reichweite politischer Steuerung von Wirtschaft und
Arbeit kennen lernen. Darüber hinaus sollen sie wirtschafts- und arbeitssoziologische Ansätze
zu gesellschaftstheoretischen Entwürfen in Beziehung setzen können. Schließlich sollen die
Studierenden in der Lage sein, gesellschaftstheoretische Konzepte, Begriffe und Beobachtungsperspektiven für eine kreative Analyse des Problemfeldes Arbeit, Wirtschaft/Gesellschaft zu nutzen.
2.
-
Übersicht und Struktur des Lehrangebots als Veranstaltungstypen
Grundstudium (8 SWS):




-
Einführung in die Wirtschafts- und Arbeitssoziologie (4 SWS) (immer im SS)
Exemplarische Probleme der Wirtschaftssoziologie (2 SWS)
Exemplarische Probleme der Arbeitssoziologie (2 SWS)
Hauptstudium (10 SWS):



wirtschafts- und arbeitssoziologische Problemanalyse (4 SWS)
Gesellschaftstheoretische Bezüge der Wirtschafts- und Arbeitssoziologie (2 SWS)
Vertiefungsveranstaltungen (2 SWS)
3. Erläuterungen zu den einzelnen Veranstaltungen bzw. Veranstaltungstypen
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Einführung in die Wirtschafts- und Arbeitssoziologie (4 SWS, GS)
Die vierstündige Einführung in die Wirtschafts- und Arbeitssoziologie vermittelt grundlegende Fragestellungen, Forschungsmethoden und Theorieansätze der beiden beteiligten
speziellen Soziologien. Im ersten Teil führt die Veranstaltung ein in die soziologische
Beschreibung und Erklärung von Wirtschaftssystemen, ökonomischen Institutionen, Entwicklungsprozessen und Praktiken und thematisiert deren gesellschaftliche Infrastruktur. Sie greift
relevante Phänomene und Veränderungen von Wirtschaftssystemen, Märkten, Steuerungsformen und des alltäglichen Wirtschaftslebens auf, um sie in wirtschaftssoziologischer Perspektive zu analysieren. Aus exemplarischen Einzelanalysen werden Grundfiguren wirtschaftssoziologischen Denkens entwickelt und systematisiert. Die Veranstaltung thematisiert
ökonomische Phänomene und Probleme auf der Makro- und Mesoebene und besonders auf
der Mikroebene.
Dabei werden die folgenden Themengebiete berücksichtigt (die dynamische Entwicklung der
Wirtschaftssoziologie kann Änderungen oder Ergänzungen erfordern):
–
Konzeptionelle Grundlagen und Entwicklungslinien der Wirtschaftssoziologie
–
Geschichte der Wirtschaftsgesellschaften, insbesondere der modernen kapitalistischen
Marktwirtschaften
–
wichtige Paradigmen und Konzeptionen der Wirtschaftssoziologie
–
Hauptbegriffe der Wirtschaftssoziologie
–
Formen, Normen und Wandel wirtschaftlichen Handelns; ökonomische Akteure, Institutionen und Organisationen
–
Produktion, Distribution, Konsum
–
Markt, Märkte, Marktbeziehungen
–
Steuerung in der Wirtschaft und Steuerung der Wirtschaft; Staat und Wirtschaft;
kollektive ökonomische Akteure
–
Theorien kapitalistischer Marktwirtschaften und anderer Wirtschaftssysteme
–
wirtschaftliche Entwicklung und wirtschaftliche Internationalisierung
–
ausgewählte Probleme der Wirtschaftsgesellschaft, z. B.: Partizipation, Ungleichheit, Innovation, Arbeitslosigkeit, externe Effekte, Schattenwirtschaft, Korruption, Kriminalität
Im zweiten Teil der Veranstaltung werden
die Studierenden mit grundlegenden Fragestellungen, empirischen Methoden und theoretischen Konzepten der Arbeitssoziologie vertraut gemacht. Dabei werden auch zentrale Debatten der Industriesoziologie aufgegriffen. Der inhaltliche Aufbau dieses Teils der Veranstaltung ist daran orientiert, Umbrüche von Arbeit zum einen und den Wandel der gesellschaftlichen wie betrieblichen Organisation von Arbeit zum anderen zu analysieren und diese
beiden Bezugsebenen von Arbeit in ihrem Wechselverhältnis zu untersuchen. Schwerpunktmäßig werden folgende Themengebiete erörtert:
-
Geschichte und kultureller Wandel des Arbeitsbegriffs (Arbeit aus Not und als Elend / Beruf als Berufung / Ausgrenzung der Hausarbeit aus dem Arbeitsbegriff / neue Inszenierungszwänge als Künstler bzw. Selbstverwirklichungsvirtuose)
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-
Gesellschaftliche Einbettung von Arbeit in institutionelle settings (industrielle Beziehungen / Beruflichkeit von Arbeit / Betriebsförmigkeit der Arbeit / Selbstständigkeit /
korporatistische Arrangements)
-
Rationalisierungskonzepte und Rationalisierungsdilemmata (Webers Bürokratiemodell /
Taylorismus, Fordismus / systemische Rationalisierung / Rationalisierung von Dienstleistungs- und Grenzstellenarbeit / Rationalisierungs- und Rationalitätsmythen)
-
Wandel von Arbeits- und Unternehmensorganisation (klassische Managementformen und
Organisationsmodelle / Neue Produktionskonzepte / reflexive Verwissenschaftlichung /
Technik / Hierarchie und Kontrolle / Wandel von Arbeitsformen und -anforderungen)
-
Erklärungsmodelle zur Entstehung von nationalen, globalen Arbeitsmärkten, Arbeitslosigkeit und Arbeitskräftewanderungen
-
Analyse des Wechselverhältnisses zwischen betrieblicher ‚Führung‘ und außerbetrieblicher Lebensführung (berufsbiographische Skripte / Entstehung und Erosion von Normalbiographien / Wandel von Klassen-Geschlechterarrangements)
-
Grundzüge und Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft (strukturelle und normative Hintergründe gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen als Arbeitsgesellschaft, Tätigkeitsgesellschaft, Dienstleistungsgesellschaft, Erfolgsgesellschaft)
Exemplarische Probleme der Wirtschaftssoziologie (2 SWS, GS)
In dieser Grundstudiumsveranstaltung wird das Wissen über grundlegende Fragestellungen,
Konzepte und Theorien der Wirtschaftssoziologie vertieft, indem es exemplarisch auf wirtschaftssoziologische Probleme angewandt wird. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung können
längerfristige wirtschaftliche Entwicklungsprozesse stehen (z.B. Vermarktlichung), aktuelle
wirtschaftliche Transformations- und Wandlungsprozesse (z.B. Globalisierung) oder politische Steuerungsprobleme (Wirschaftspolitik).
Exemplarische Probleme der Arbeitssoziologie (2 SWS, GS)
In dieser Veranstaltung im Grundstudium sollen die grundlegenden Kenntnisse über Konzepte, Fragestellungen und Methoden der Arbeitssoziologie vertieft und um weitere zentrale Forschungsgegenstände und Debatten erweitert werden. Die Veranstaltung kann beispielsweise
die Themen „Arbeitsmarktpolitik“, „Wohlfahrtsregime“, „Berufsbiographien im Wandel“
oder „Arbeit und Anerkennung“ zum Gegenstand haben .
Wirtschafts- und arbeitssoziologische Problemanalyse (4 SWS, HS)
Die 4-stündige wirtschafts- und arbeitssoziologische Problemanalyse ist die zentrale Veranstaltung des Ergänzungsfachs im Hauptstudium. Die Teilnahme setzt den Besuch sowohl der
Einführung in die Wirtschaftssoziologie als auch der Einführung in die Arbeitssoziologie
voraus.
Im Zentrum der Veranstaltung stehen Themen, die mit Hilfe von Theorien, Modellen und Methoden der Wirtschaftssoziologie und der Arbeitssoziologie bearbeitet werden (z.B. wirtschaftliche und (berufs-)biographische Aspekte von Globalisierung, Arbeitsmarkt und
Beschäftigung, der Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft)
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Diese Themen sollen mit einem problemorientierten Zugriff bearbeitet werden. Deshalb hat
die Veranstaltung einen Werkstatt-Charakter: Im Mittelpunkt steht das ausgewählte Problem,
zu dessen Verständnis und Erklärung dann wirtschafts- und arbeitssoziologische Theorien sowie entsprechende empirische Studien herangezogen werden. Die Studierenden sollen das
Problem analysieren, indem sie es in einem wirtschafts- und arbeitssoziologischen Zugriff zunächst einmal reformulieren. Gefragt wird jeweils: Wie erscheint das Problem in wirtschaftssoziologischer, wie erscheint es in arbeitssoziologischer Perspektive? Was tragen wirtschaftssoziologische Theorien, was tragen arbeitssoziologische Theorien zur Erklärung des
Problems bei? Aus diesem ‚dimensional‘ aufgefächerten Verständnis heraus, sollen dann die
Möglichkeiten wie Grenzen einer Integration wirtschafts- und arbeitssoziologischer Zugriffsweisen und inhaltlichen Aspekte ausgelotet werden.
Soweit vom Thema her sinnvoll und möglich, können die Studierenden auch eigene kleine
Erhebungen machen. In jedem Fall sollen in dieser Veranstaltung die in der Wirtschafts- und
Arbeitssoziologie angewandten Methoden der empirischen Sozialforschung mitreflektiert
werden. Aufgrund der konzeptionellen Anlage soll die Veranstaltung möglichst von zwei Lehrenden durchgeführt werden, die jeweils eine der beteiligten speziellen Soziologien vertreten.
Ziel der Veranstaltung ist es, die in den Einführungen erworbenen Kenntnisse grundlegender
Fragestellungen, Methoden und Theorien zu vertiefen. Durch das integrierte Vorgehen und
den Problembezug soll einerseits der Blick für die je spezifischen Leistungen der beiden beteiligten speziellen Soziologien geschärft werden, andererseits sollen aber auch die Chancen
deutlich werden, die sich aus der Verknüpfung beider Perspektiven für die Analyse von Problemen aus dem Bereich von Wirtschaft und Arbeit ergeben.
Gesellschaftstheoretische Bezüge der Wirtschafts- und Arbeitssoziologie (2 SWS, HS)
Im Mittelpunkt dieser Hauptstudiumsveranstaltung steht die Frage nach den Beiträgen der
Wirtschaftssoziologie und der Arbeitssoziologie zu gesellschaftstheoretischen Debatten. Umgekehrt geht es auch um die Frage, wie unterschiedliche Gesellschaftstheorien mit Phänomenen der Wirtschaft und der Arbeit systematisch umgehen, und welche Einsichten sich
daraus für wirtschafts- und arbeitssoziologische Debatten gewinnen lassen. Keine der beteiligten speziellen Soziologien kann von sich behaupten, selbst eine genuine Gesellschaftstheorie
zu liefern. Wie lassen sich dann aber deren zentrale Gegenstände, die Wirtschaft und die
Arbeit, in gesellschaftstheoretischen und –diagnostischen Debatten verorten?
Wirtschaften und Arbeiten sind ubiquitäre Phänomene: in allen historischen und gegenwärtigen Gesellschaften wurde und wird gewirtschaftet und gearbeitet. Durch Wirtschaften
treffen Menschen Vorsorge für zukünftige Bedarfe. Durch Arbeit sichern und reproduzieren
sie ihr individuelles und gesellschaftliches Leben.
Die Frage nach der gesellschaftstheoretischen ‚Verortung‘ kann nun aus zwei unterschiedlichen Perspektiven ‚angegangen‘ werden:
In einer ersten Perspektive ist die Frage zentral: Wie wird gewirtschaftet und wie wird gearbeitet? Gefragt wird also jeweils nach der gesellschaftlichen Organisation des Wirtschaftens und
des Arbeitens, in ihrer wechselseitigen Verwobenheit: Eine bestimmte Art der gesellschaftlichen Organisation des Wirtschaftens (Wirtschaftssystem, Produktionsregime) geht mit einer
bestimmten Art der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit einher. Wirtschafts- und
Arbeitssoziologie können in dieser Perspektive gleichermaßen – und gemeinsam – zur
Beschreibung und Erklärung von unterschiedlichen Gesellschaftstypen (kapitalistische versus
staatssozialistische Gesellschaft, angelsächsischer versus nordeuropäischer versus südeuro-
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päischer Regulierungs- und Gesellschaftstyp, Arbeitsgesellschaft versus Erlebnis-/Freizeitgesellschaft) und deren Dynamik beitragen.
In einer zweiten Perspektive kann nach dem theoretischen Status von Wirtschaft und Arbeit
gefragt werden: Wo ist ihr jeweiliger gesellschaftstheoretischer „Ort“? So sind in einer systemtheoretischen Perspektive beide Phänomene theoretisch auf unterschiedlichen Ebenen der
Systembildung verortet: Während in der modernen Gesellschaft sich die Wirtschaft als
funktionales Teilsystem der Gesellschaft ausdifferenziert hat – also den Status eines eigenen
sozialen Systems hat -, stellt die Arbeit in dieser Sicht ein Inklusionsmedium in die Wirtschaft
und in Organisationen dar. In dieser Sichtweise würde die Wirtschaftssoziologie einerseits
Beiträge zu Fragen der Spezifik des Wirtschaftssystems – im Unterschied zu anderen sozialen
Systemen – und damit auch allgemein zu Fragen nach Bedingungen und Folgen der funktionalen Ausdifferenzierung und Spezialisierung leisten, andererseits zu Fragen nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft, bzw. allgemein von Teilsystemen zum System als
Ganzem. Die Arbeitssoziologie hingegen würde Beiträge zu Fragen der gesellschaftlichen wie
organisatorischen Inklusion und damit zu Bedingungen der Stabilisierung funktional ausdifferenzierter, komplexer Systeme leisten.
Die hier angeschnittene Frage des Verhältnisses von Gesellschaftstheorie und theoretischen
Konzepten bzw. theoretischem Selbstverständnis der beiden speziellen Soziologien soll in
dieser Theorieveranstaltung systematisch bearbeitet werden. Dabei soll auch das – je nach
theoretischer Perspektive unterschiedlich konzipierte – Verhältnis von Wirtschafts- und
Arbeitssoziologie untereinander theoretisch reflektiert werden.
Vertiefungsveranstaltungen (2 SWS, HS)
Vertiefungsveranstaltungen, die in der Regel in der Form von Seminaren angeboten werden,
dienen der individuellen Schwerpunktbildung und sind im Umfang von 4 SWS aus dem Lehrangebot der Wirtschafts- und Arbeitssoziologie zu wählen. Sie greifen neben Inhalten aus den
beiden Einführungsveranstaltungen auch weitere, aktuelle Themen und Forschungsperspektiven auf. Auch Vertiefungsveranstaltungen können wirtschafts- und arbeitssoziologische Perspektiven kombinieren.
4. Empfehlungen für den Studienaufbau
Die Teilnahme an Veranstaltungen des Hauptstudiums setzt die Teilnahme an der wirtschafts
und arbeitssoziologischen Einführung sowie den Erwerb eines Teilnahmenachweises voraus.
Im Hauptstudium ist zuerst die Veranstaltung „Wirtschafts- und arbeitssoziologische Problemanalyse“ und danach die „Gesellschaftstheoretischen Bezüge der Wirtschafts- und
Arbeitssoziologie“ zu besuchen. Die Vertiefungsveranstaltungen setzen die Teilnahme an der
„Wirtschafts- und arbeitssoziologischen Problemanalyse“ voraus.
5. Bezug zu anderen Fächern, spezielle Angebote für andere Studiengänge
Da sich insbesondere die Neue Wirtschaftssoziologie mit der Wirtschaftswissenschaft auseinandersetzt und deren klassische Themen in soziologischer Perspektive aufgreift, empfiehlt es
sich, als Nebenfach Wirtschaftswissenschaft zu wählen. Ferner passt auch das Nebenfach
Rechtswissenschaft zum Ergänzungsfach Wirtschafts- und Arbeitssoziologie.
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Das Ergänzungsfach Wirtschafts- und Arbeitssoziologie lässt sich besonders gut mit dem Praxisschwerpunkt „Organisation“ verknüpfen.
Die Lehrveranstaltungen des Grundstudiums werden für alle Studiengänge der Fakultät für
Soziologie angeboten. Für alle anderen Lehrveranstaltungen des Ergänzungsfaches wird über
die Zuordnung im Einzelfall entschieden.
6. Leistungsnachweise und Prüfungshinweise
Der im Grundstudium obligatorische Teilnahmenachweis für das Ergänzungsfachwird in der
wirtschafts- und arbeitssoziologischen Einführungsveranstaltung erworben.
Studierende, die nicht das Ergänzungsfach Wirtschafts- und Arbeitssoziologie wählen, können
in der Einführung in die Wirtschafts- und Arbeitssoziologie einen Leistungsnachweis für
„Spezielle Soziologien“ erwerben.
Der im Hauptstudium obligatorisch in einem Ergänzungsfach zu erbringende Leistungsnachweis wird in der Veranstaltung „Wirtschafts- und arbeitssoziologische Problemanalyse“
erworben.
7. Grundlegende Literatur
Stand: Frühjahr 2003
Einführungsliteratur:
a) Arbeitssoziologie
Daheim, Hansjürgen; Schönbauer, Günther (1993): Soziologie der Arbeitsgesellschaft. Grundzüge und Wandlungstendenzen der Erwerbsarbeit. Weinheim, München.
Deutschmann, Christoph (2002): Postindustrielle Industriesoziologie. Theoretische Grundlagen, Arbeitsverhältnisse und soziale Identitäten. Weinheim, München.
Mikl-Horke, Gertraude (2000): Industrie- und Arbeitssoziologie. 5. , vollst. neubearb. Auflage. München, Wien.
Müller-Jentsch, Walther (1997): Soziologie der industriellen Beziehungen. Eine Einführung.
Frankfurt am Main, New York.
b) Wirtschaftssoziologie:
Buß, Eugen (1996): Lehrbuch der Wirtschaftssoziologie. Berlin, New York, 2. Aufl.
Granovetter, Mark; Swedberg, Richard (Hg.) (2001): The Sociology of Economic Life.
Boulder, Oxford, 2. Aufl.
Klein, Hans-Joachim (1993): Wirtschafts- und Konsumsoziologie. In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hg.), Einführung in Spezielle Soziologien. Opladen, 141-166.
Reinhold, Gerd (Hg.) (1997): Wirtschaftssoziologie. München, Wien, 2. Aufl.
10
Smelser, Neil J.; Swedberg. Richard (Hg.) (1994): The Handbook of Economic Sociology.
Princeton, New York.
Steiner, Philippe (1999): La sociologie économique. Paris.
Weiterführende Literatur
Beckenbach, Niels; van Treeck, Werner (Hg.) (1994): Umbrüche gesellschaftlicher Arbeit.
(Soziale Welt, Sonderband 9), Göttingen.
Beckert, Jens (1996): Was ist soziologisch an der Wirtschaftssoziologie? Ungewissheit und
die Einbettung wirtschaftlichen Handelns. In: Zeitschrift für Soziologie 25 (1996) 2,
125-146.
Beckert, Jens (1997): Grenzen des Marktes. Die sozialen Grundlagen wirtschaftlicher Effizienz (Theorie und Gesellschaft; 39). Frankfurt am Main, New York.
Berger, Johannes (1999): Die Wirtschaft der modernen Gesellschaft. Strukturprobleme und
Zukunftsperspektiven. Frankfurt am Main, New York.
Bommes, Michael; Tacke, Veronika (2001): Arbeit als Inklusionsmedium moderner Organisationen. Eine differenzierungstheoretische Perspektive. In: Veronika Tacke (Hg.):
Organisation und gesellschaftliche Differenzierung. Wiesbaden, S. 61-83.
Castells, Manuel (2001): Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Opladen (Das Informationszeitalter; 1). Opladen.
Crouch, Colin; Streeck, Wolfgang (Hg.) (1997): Political Economy of Modern Capitalism.
London.
Durkheim, Émile (1988): Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer
Gesellschaften. Frankfurt am Main.
Fligstein, Neil (2001): The Architecture of Markets. An Economic Sociology of Twenty-FirstCentury Capitalist Societies. Princeton, Woodstock.
Geissler, Birgit; Maier, Friederike; Pfau-Effinger, Birgit (Hg.) (1998): FrauenArbeitsMarkt.
Der Beitrag der Frauenforschung zur sozio-ökonomischen Theorieentwicklung. Berlin.
Guillén, Mauro F.; Collins, Randall; England, Paula; Meyer, Marshall (Hg.) (2002): The New
Economic Sociology. Developments in an Emerging Field. New York.
Häußermann, Hartmut; Siebel, Walter (1995): Dienstleistungsgesellschaften. Frankfurt am
Main.
Heinemann, Klaus (Hg.) (1988): Soziologie wirtschaftlichen Handelns (Sonderheft der Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie). Opladen.
Hollingsworth, J. Rogers; Boyer, Robert (1997): Contemporary Capitalism. The Embeddedness of Institutions (Cambridge Studies in Comparative Politics). Cambridge.
Keller, Berndt (1999): Einführung in die Arbeitspolitik. Arbeitsbeziehungen und Arbeitsmarkt
in sozialwissenschaftlicher Perspektive. 6., unwesentlich veränd. Aufl. München /
Wien
Kocka, Jürgen; Offe, Claus (Hg.) (2000): Geschichte und Zukunft der Arbeit. Frankfurt am
Main, New York.
11
Lange, Elmar (1989): Marktwirtschaft. Eine soziologische Analyse ihrer Entwicklung und
Strukturen in Deutschland. Opladen.
Luhmann, Niklas (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main.
Marx, Karl (1989, 2001): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Bd. 1, 36. Aufl.
2001, Bd. 2, 29. Aufl. 1989, Bd. 3, 30. Aufl. 1989. Berlin.
Mikl-Horke, Gertraude (1999): Historische Soziologie der Wirtschaft. Wirtschaft und Wirtschaftsdenken in Geschichte und Gegenwart (Lehr- und Handbücher der Soziologie).
München, Wien.
Parsons, Talcott, Smelser, Neil J. (1956): Economy and society. A study in the integration of
economic and social theory . - 4. impr ., Glencoe, Ill.
Polanyi, Karl (1978): The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von
Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Frankfurt am Main.
Schmidt, Gert; Trinczek, Rainer (Hg.) (1999): Globalisierung. Ökonomische und soziale Herausforderungen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. (Soziale Welt, Sonderband
13), Göttingen.
Simmel, Georg (1989): Philosophie des Geldes. Frankfurt am Main.
Swedberg, Richard (Hg.) 1996: Economic Sociology (The International Library of Critical
Writings in Sociology; 5). Cheltenham, Brookfield.
Weber, Max (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen, 5. Aufl.
Zelizer, Viviana (1994). The social meaning of money. Princeton.
Zukin, Sharon; DiMaggio, Paul (Hg.) (1994): Structures of Capital: The Social Organization
of the Economy. Cambridge.
Zeitschriften:
American Journal of Economics and Sociology
Arbeit
Cahiers de sociologie économique
Economic Sociology (European Electronic Newsletter)
Economy and Society
Industrielle Beziehungen
Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Organization Studies
SOFI-Mitteilungen
Work, Employment, and Society
WSI-Mitteilungen.
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