18-23 Zoonose

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NATUR Tierkrankheiten
Achtun
Aids, Sars, Rinderwahn
und Vogelgrippe sind nur
einige der von Tieren auf
Menschen übertragenen
Krankheiten aus der jüngeren Medizingeschichte.
Eine Reise in die Republik
Tschad deckt einige der
wichtigsten Gründe auf,
warum sogenannte Zoonosen weltweit zunehmen.
Text und Fotos: Peter Jaeggi
Tierkrankheiten NATUR
g: Seuchengefahr!
F
rühmorgens bei Sonnenaufgang.
Archaisch-zauberhafte Szenen in
der Savannen-Landschaft unweit
des Tschadsees, doch weit weg
von Strassen und Wegen. Vor der blutroten Sonne die Silhouetten einer Rinderherde der Peul-Nomaden und ihrer kuppelartigen Zelte aus geflochtenen Palmblättern. Mit ihren Rindern, Schafen,
Eseln, Kamelen, einigen Hühnern und
mit Kind und Kegel haben die Peul ihr
temporäres Lager aufgeschlagen.
Kampf um Ackerflächen
Die Romantik trügt. Sultan Mai Kagame,
Stammesführer der Peul, ist aufgebracht.
«Früher konnten wir mit unseren Herden
problemlos ans Seeufer, um unsere Tiere
zu tränken. Heute sind fast alle Wege versperrt.» Schuld daran ist die dramatische
Schrumpfung des Tschadsees, des grössten Feuchtbiotops Zentralafrikas. Laut
«National Geographic» war der See im
Jahr 1963 mit etwa 25 000 Quadratkilometern noch mehr als halb so gross wie
die Schweiz. Heute ist er rund zwanzig
Mal kleiner. Zu wenig Regen, zu hohe
Temperaturen und das Abzweigen von zu
viel Wasser aus den Zuflüssen durch die
Landwirtschaft sind Hauptgründe.
Der Rückgang zwang die sesshaften
Bauern dazu, ihre Felder seewärts zu verlegen, und jetzt sind die Ufer fast lücken-
los damit belegt. Sultan Kagame erzählt,
die Trockenheit habe zum Futtermangel
geführt und der erschwerte Zugang
zum Wasser provoziere Konflikte mit den
Bauern. Denn den Tieren bleibt nun
keine andere Wahl, als über die Äcker
zur Tränke zu gelangen. All dies zeitige
negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere. «Viele sterben an Mangelernährung», sagt der besorgte Sultan. Die
Kadaver werden liegen gelassen und mit
ihnen gefährliche Krankheitserreger.
Mit vor Ort ist Jakob Zinsstag vom
Schweizerischen Tropeninstitut STI in
Basel. In Zusammenarbeit mit tschadischen Partnern ist er verantwortlich für
Projekte der Tierseuchenbekämpfung.
Auch der Forscher aus der Schweiz zeigt
sich besorgt über die prekäre Lage der
Nomaden und ihrer Herden: «Wenn ein
Tier an Milzbrand stirbt und es wird
liegen gelassen, bleiben die Erreger, die
Anthrax-Sporen, für Jahrzehnte im Boden; sie sterben nicht ab. Das Gebiet des
Tschadsees ist wegen solchen verseuchten Kadavern weitgehend mit den gefährlichen Sporen verseucht.»
Wenn das Gras sehr niedrig ist, müssen die Tiere nahe am Boden fressen und
nehmen so kontaminierte Erde auf und
werden krank. Anthrax-Sporen, die bei
uns auch als biologischer Kampfstoff in
Verruf kamen, sind verantwortlich für
den tödlichen Milzbrand bei Tier und
Mensch. Menschen stecken sich durch
Hautkontakt an, was zu langwierigen
Geschwüren führt. Zudem werden häufig
an Anthrax verendete Tiere konsumiert –
mit tödlichen Folgen.
Viehtrieb
sorgt für neue Ansteckungen
Die Trockenheit und der schwierige Zugang zum Wasser führten zudem zu einer
höheren Anfälligkeit für Infektionskrankheiten; aber auch parasitäre Krankheiten
wirken sich bei mangelernährten, geschwächten Tieren schlimmer aus als bei
gesunden, sagt Zinsstag.
Der Futternotstand zwingt die Nomaden in fruchtbarere Gebiete, die sie zuvor
nie aufsuchten. Früher waren diese
Wanderhirten in Regionen unterwegs, in
denen weit und breit keine anderen Nutztiere lebten. Jetzt, mit den neuen Routen,
kommen die Nomadenherden mit fremden Tieren in Kontakt, auch mit Herden
sesshafter Bauern. Fachleute sehen darin
eine der wesentlichen Gefahren für die
Ausbreitung ansteckender Tierkrankheiten, die sich zum Teil auch auf den Menschen übertragen können.
Lebensrettende Impfungen
fehlen
Lebensrettend sind deshalb in vielen Fällen vorbeugende Impfungen. Doch der
Tierarzt Mboryo Mbairebe, der die Nomaden veterinärmedizinisch betreut, sagt:
«Im Moment bekommen wir leider keinen Impfstoff, obschon alle Nomaden
ihre Tiere impfen möchten. Davon sind
auch die Menschen betroffen. Wenn sie
verseuchtes Fleisch essen, können sie
daran sterben.» Er kenne Metzger, die
den Nomaden serbelnde, mit Anthrax
infizierte Tiere abkaufen und das Fleisch
dann unter die Leute brächten. «Ganze
Familien sind deswegen gestorben», sagt
Mbairebe.
Der Hauptgrund des Impfnotstandes
im Tschad liegt im desolaten Zustand
des staatlichen veterinärmedizinischen
Zentrallaboratoriums «Farcha» in der
Hauptstadt N’Djamena. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist die Versorgung des
Landes mit Impfstoff und dessen Qualitätssicherung. Doch eine Unzahl von
Widerwärtigkeiten bringen diese lebenswichtigen Aufgaben stets wieder zum
Scheitern.
Das Labor arbeitet mit einer völlig
veralteten, teilweise verrotteten Infrastruktur und es herrscht chronischer
Geldmangel. Zudem ist das Personal
nicht auf dem neuesten Stand des
Wissens. Ganda Kana, verantwortlich
für die Impfstoffproduktion: «In der diesNatürlich | 8-2007 19
Tierkrankheiten NATUR
jährigen Produktion waren 80 Prozent
des Impfstoffs unbrauchbar.» Ungenügende Qualitätskontrolle und veraltete
Produktionsmethoden führen immer
wieder zur Verunreinigung mit Fremdkeimen. Andere Gründe sind mangelhaft
ausgebildetes Personal und verdorbene
Chemikalien. So müssen Chemikalien
wie etwa Nährböden und Laborreagenzien für teures Geld aus Europa eingeflogen werden.
Fehlt es im Zentrallabor an Finanzen –
und das ist die Regel –, kann es keinen
Impfstoff mehr liefern. Die Tierärzte sind
dann auf den freien Markt angewiesen und
kaufen zum Beispiel im Nachbarland
Kamerun ein. Doch der freie Markt ist
hier eine lebensgefährliche Sache. Eine
frühere Studie zeigt, dass etwa 70 Prozent
der im Tschad verkauften Human-Medikamente gefälscht sind. Man geht davon aus,
dass es im Veterinärsektor ähnlich ist.
Eine weidende Zeitbombe
Im staatlichen tiermedizinischen Zentrallabor versteht man nicht, weshalb die
Regierung das Institut nicht besser unterstützt. Immerhin ist es unendlich wichtig
für die Gesundheit von Mensch und Tier
– in einem Land, dessen ökonomisches
Rückgrat die Tierproduktion ist. Das
Land zählt weit über acht Millionen
Rinder, Kamele, Schafe und andere Nutztiere. Viele davon haben gefährliche
Krankheiten, die sich auf den Menschen
übertragen können. Mehr als die Hälfte
der Exporteinnahmen stammen von Tieren und Tierprodukten.
Fast die Hälfte der acht Millionen
Menschen der Republik Tschad lebt von
der Tierzucht. Das Land gilt als wichtigster Proteinlieferant für ganz Zentralafrika. Gegenwärtig sind, optimistisch
geschätzt, weniger als die Hälfte der
tschadischen Rinder vor Krankheiten
wie Lungenseuche, Anthrax und Rauschbrand geschützt.
Bei seinen Recherchen hat ein Forschungsteam des STI und seiner lokalen
Partner eine erschütternde Beobachtung
gemacht, die schliesslich zu einem völlig
neuen Ansatz in der Gesundheitsversorgung der tschadischen Nomaden führte.
Man stelle sich vor: Sämtliche Tiere
eines Bauern sind geimpft; hingegen
kein einziges seiner Kinder! Genau diese
verblüffende Entdeckung machte ein
Forscherteam des Basler Institutes zusammen mit seinen tschadischen Partnern. Kein einziges Nomadenkind war
geimpft. «Eine unerträgliche Situation»,
sagt der Wissenschaftler Martin Wiese.
Der Biologe und Geograf hat vor Ort
das Leben und die Gesundheit der Nomaden und ihrer Tiere studiert. Deswegen begann man im Tschad die Tiermedizin mit
der Humanmedizin zu verbinden. Immer
Gefährlicher Viehtrieb: Weder Mensch noch Tier sind gegen Seuchen geschützt
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NATUR Tierkrankheiten
Weshalb Zoonosen
zunehmen
Rund 70 Prozent aller neu auftauchenden
Infektionskrankheiten stammen aus dem
Tierreich; sie sind am Zunehmen.
Die Gründe sind vielfältig:
• Tierproduktion
In den letzten 20 Jahren gab es vor allem in
Asien eine sogenannte «Livestock Revolu-
tiert. Die Tigermücke ist Trägerin des West-
Schätzungsweise 80 bis 90 Prozent der
tion», eine Verdreifachung der Schweine- und
Nil-Virus und breitete sich in New York via
Nomadenkinder gehen nicht zur Schule. Das
Geflügel-Produktion. Damit ist das Potenzial
infizierte Vögel aus. Das Virus tötet die Tiere
Schweizerische Tropeninstitut STI beteiligt
zur Übertragung von Infektionskrankheiten
und kann beim Menschen eine Hirnhaut-
sich und ist deswegen in enger Zusammen-
ebenfalls in sehr grossem Mass gestiegen.
entzündung hervorrufen.
arbeit mit UNICEF am Aufbau von Nomadenschulen.
Hinzu kommen katastrophale Fehler, etwa
eine nicht artgerechte Fütterung, wie die
• Klimaerwärmung
Bovine spongiforme Enzephalopathie BSE
Die globale Erwärmung könnte dafür sorgen,
• Vordringen in bisher unberührte
zeigte. Sie kam zustande, weil Nutztiere mit
dass die Anophelesmücke, Trägerin des
Ökosysteme
nicht sterilisiertem Blut- und Knochenmehl
Malariaerregers, in Gebiete vordringt, in
Im Regenwald von Malaysia begann man am
gefüttert wurden – Hirn zerstörende Eiweiss-
denen es zuvor für sie zu kühl war. Schon
Ende des letzten Jahrhunderts, die Schweine-
stoffe (Prionen) überlebten. Es gibt klare
jetzt im Vormarsch sind durch Zecken ver-
zucht immer weiter in bisher unberührte Ur-
Hinweise darauf, dass die variante Form der
ursachte Infektionskrankheiten. Man geht
wälder auszudehnen. Fledermäuse infizierten
Creutzfeld-Jakob-Krankheit beim Menschen
davon aus, dass es einen Zusammenhang mit
dabei die Schweine mit dem Nipah-Virus und
durch den BSE-Erreger verursacht wird.
Klimaveränderungen gibt.
1999 kam es zu einem grossen Ausbruch. Von
• Globalisierung
• Armut
schen und Pferde übertragen, Tiertransporte
Ein Beispiel: Wahrscheinlich wurde durch
Armut wie im Tschad verhindert selbst die
sorgten für eine weite Verbreitung
den Transport von Autoreifen aus Asien die
minimale Bildung. Oft fehlt sogar das Wissen
sogenannte Tigermücke in die USA impor-
um elementarste hygienische Grundregeln.
den Schweinen wurde das Virus auf Men-
Fotos:R. Kohlmayer
Tierhaltung, Tierhandel und die
Ausbreitung von Mücken und Zecken
sind an zunehmenden Infektionskrankheiten mitschuldig
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Tierkrankheiten NATUR
mehr sind nun Ärzte und Tierärzte gemeinsam unterwegs, bieten Basismedizin
an und versorgen Mensch und Tier. Dieses
sogenannte One-Health-Konzept ist ein
Modell, das jetzt im Tschad weltweit erstmals wissenschaftlich begleitet wird. Das
Ziel ist eine Kosten-Nutzen-Analyse. Projektleiter Jakob Zinsstag: «Wir hoffen,
dass dieses tschadische Modell für den
ganzen Sahelraum zum Vorbild wird, wie
verstreute, Tiere haltende und nomadisierende Gesellschaften medizinisch versorgt
werden können.»
Tierarzt Mboryo Mbairebe ist voll des
Lobes über das neue Konzept: «Dass wir
uns um die Tiere der Nomaden kümmern, schafft unter ihnen viel Goodwill.
Deshalb sind sie auch motiviert, ihre
Kinder zum Impfen zu bringen. Unter
den Nomadenkindern gibt es eine sehr
hohe Kindersterblichkeit. Wir schätzen,
dass 10 bis 15 Prozent der Kinder in
den ersten fünf Lebensjahren sterben.
Schon deshalb befürworte ich diese Art
der kombinierten Versorgung. Nomadenkinder wachsen unter harten Bedingungen auf. Sie tragen kaum Kleider und
leiden unter dem Klima. Sie sind mangelernährt und in den Zelten schlecht untergebracht. All das ist für diese Kinder
sehr hart.»
Krankheiten belasten
die Wirtschaft
Reibungslos läuft die Zusammenarbeit
zwischen Tier- und Menschenmedizin
nicht. Denn in armen Ländern gibt es
zahlreiche Hindernisse auf politischer
Ebene. Im Moment legt ein Bürgerkrieg
die gesamte Versorgung praktisch lahm.
Zudem arbeiten in der Republik Tschad
das Ministerium für Tierzucht und das
Gesundheitsministerium nur unbefriedigend zusammen. Dabei, so sagen Wissenschaftler, ist das One-Health-Konzept,
gerade bei Zoonose von allergrösster
Bedeutung. Beispiele wie die Vogelgrippe
oder früher Sars (Schweres akutes Atemwegssyndrom) zeigen, dass die beiden
Disziplinen näher zusammenrücken
müssen. Auch bei uns.
Jeder schwere Krankheitsfall unter
den Nomaden erzeugt eine grosse
menschliche und wirtschaftliche Belastung. «Die Leute müssen dann oft längere
Zeit in der Nähe eines Dorfes ausharren,
in dem es eine medizinische Versorgung
Stolzer Hirte: Er hat gut lachen, ein Impfprogramm schützt ihn und sein Vieh
gibt», sagt Martin Wiese. «Während
dieser Zeit müssen die Tiere getränkt
werden, was mangels Wasser oft sehr
teuer ist; man muss es kaufen. Zudem
blockiert eine Behandlung jeweils bis zu
zwölf Familien, die gemeinsam unterwegs sind. Alles in allem betragen diese
Auslagen ein Hundertfaches dessen, was
die medizinische Behandlung kostet.»
Die Sparkasse
des kleinen Mannes
Wer arm ist wie der Tschad, hat in der
Zoonose-Bekämpfung nicht die gleich
langen Spiesse wie ein reiches Land.
Bricht zum Beispiel bei uns eine Tierseuche aus, vernichtet der Staat infizierte
Herden und ersetzt den Landwirten den
Marktwert der Tiere. Dies übersteigt die
finanziellen Möglichkeiten armer Länder.
Da bleibt – ober besser bliebe – ausser
vorbeugenden Massenimpfungen kaum
eine andere Lösung.
Martin Wiese erklärt am Beispiel der
geschätzten 85 Millionen Hühner im
Tschad die Unmöglichkeit von Tiervernichtungsaktionen: «Hühner sind sozusagen die Sparkasse des kleinen Mannes,
der ländlichen und auch städtischen
ärmsten Familien, die kaum Bargeld besitzen, um zum Beispiel Kinder einzuschulen
oder einen Gesundheitsposten aufzusuchen.» Der Verkauf eines Huhns helfe
vielen Familien, schnell und unkompli-
ziert zu einem dringend benötigten kleinen Geldbetrag zu kommen.
Was kümmert es uns, wenn ein Land
weit weg in Afrika fast unlösbare Probleme hat mit der Bekämpfung von Tierseuchen? «Was im Gesundheitsbereich
des Tschad oder sonst wo auf der Welt
geschieht, darf uns hier nicht egal sein»,
sagt Martin Wiese. Zoonosen sind Quellen von Infektionskrankheiten, die in die
reichen Länder eingeschleppt werden
können. «Man muss also in den armen
Ländern verhüten. Wir müssen sie in
unserem eigenen Interesse darin unterstützen, weil sie es aus eigener Kraft nicht
schaffen.» Sonst könnte das Nichtstun
eines Tages leicht zum gefährlichen
Bumerang werden.
■
I N FO B OX
Literatur zum Thema
• Engelbrecht/Köhnlein: «Virus-Wahn»,
EMU-Verlag 2006, Fr. 33.40
• Cavillon: «Vogelgrippe – Die Pest des
Jahrhunderts?», Verlag Silberschnur 2006,
Fr. 22.–
• Eggert: «Die geplanten Seuchen»,
Verlag Chronos Medien 2003, Fr. 28.90
Internet
• www.tropeninstitut.ch (unter «über uns»
«Afrikaforschung» anklicken)
• http://de.wikipedia.org/wiki/Tierseuche
• www.sprechzimmer.ch (unter Suchen
Krankheitsname eingeben)
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