NATUR Tierkrankheiten Achtun Aids, Sars, Rinderwahn und Vogelgrippe sind nur einige der von Tieren auf Menschen übertragenen Krankheiten aus der jüngeren Medizingeschichte. Eine Reise in die Republik Tschad deckt einige der wichtigsten Gründe auf, warum sogenannte Zoonosen weltweit zunehmen. Text und Fotos: Peter Jaeggi Tierkrankheiten NATUR g: Seuchengefahr! F rühmorgens bei Sonnenaufgang. Archaisch-zauberhafte Szenen in der Savannen-Landschaft unweit des Tschadsees, doch weit weg von Strassen und Wegen. Vor der blutroten Sonne die Silhouetten einer Rinderherde der Peul-Nomaden und ihrer kuppelartigen Zelte aus geflochtenen Palmblättern. Mit ihren Rindern, Schafen, Eseln, Kamelen, einigen Hühnern und mit Kind und Kegel haben die Peul ihr temporäres Lager aufgeschlagen. Kampf um Ackerflächen Die Romantik trügt. Sultan Mai Kagame, Stammesführer der Peul, ist aufgebracht. «Früher konnten wir mit unseren Herden problemlos ans Seeufer, um unsere Tiere zu tränken. Heute sind fast alle Wege versperrt.» Schuld daran ist die dramatische Schrumpfung des Tschadsees, des grössten Feuchtbiotops Zentralafrikas. Laut «National Geographic» war der See im Jahr 1963 mit etwa 25 000 Quadratkilometern noch mehr als halb so gross wie die Schweiz. Heute ist er rund zwanzig Mal kleiner. Zu wenig Regen, zu hohe Temperaturen und das Abzweigen von zu viel Wasser aus den Zuflüssen durch die Landwirtschaft sind Hauptgründe. Der Rückgang zwang die sesshaften Bauern dazu, ihre Felder seewärts zu verlegen, und jetzt sind die Ufer fast lücken- los damit belegt. Sultan Kagame erzählt, die Trockenheit habe zum Futtermangel geführt und der erschwerte Zugang zum Wasser provoziere Konflikte mit den Bauern. Denn den Tieren bleibt nun keine andere Wahl, als über die Äcker zur Tränke zu gelangen. All dies zeitige negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere. «Viele sterben an Mangelernährung», sagt der besorgte Sultan. Die Kadaver werden liegen gelassen und mit ihnen gefährliche Krankheitserreger. Mit vor Ort ist Jakob Zinsstag vom Schweizerischen Tropeninstitut STI in Basel. In Zusammenarbeit mit tschadischen Partnern ist er verantwortlich für Projekte der Tierseuchenbekämpfung. Auch der Forscher aus der Schweiz zeigt sich besorgt über die prekäre Lage der Nomaden und ihrer Herden: «Wenn ein Tier an Milzbrand stirbt und es wird liegen gelassen, bleiben die Erreger, die Anthrax-Sporen, für Jahrzehnte im Boden; sie sterben nicht ab. Das Gebiet des Tschadsees ist wegen solchen verseuchten Kadavern weitgehend mit den gefährlichen Sporen verseucht.» Wenn das Gras sehr niedrig ist, müssen die Tiere nahe am Boden fressen und nehmen so kontaminierte Erde auf und werden krank. Anthrax-Sporen, die bei uns auch als biologischer Kampfstoff in Verruf kamen, sind verantwortlich für den tödlichen Milzbrand bei Tier und Mensch. Menschen stecken sich durch Hautkontakt an, was zu langwierigen Geschwüren führt. Zudem werden häufig an Anthrax verendete Tiere konsumiert – mit tödlichen Folgen. Viehtrieb sorgt für neue Ansteckungen Die Trockenheit und der schwierige Zugang zum Wasser führten zudem zu einer höheren Anfälligkeit für Infektionskrankheiten; aber auch parasitäre Krankheiten wirken sich bei mangelernährten, geschwächten Tieren schlimmer aus als bei gesunden, sagt Zinsstag. Der Futternotstand zwingt die Nomaden in fruchtbarere Gebiete, die sie zuvor nie aufsuchten. Früher waren diese Wanderhirten in Regionen unterwegs, in denen weit und breit keine anderen Nutztiere lebten. Jetzt, mit den neuen Routen, kommen die Nomadenherden mit fremden Tieren in Kontakt, auch mit Herden sesshafter Bauern. Fachleute sehen darin eine der wesentlichen Gefahren für die Ausbreitung ansteckender Tierkrankheiten, die sich zum Teil auch auf den Menschen übertragen können. Lebensrettende Impfungen fehlen Lebensrettend sind deshalb in vielen Fällen vorbeugende Impfungen. Doch der Tierarzt Mboryo Mbairebe, der die Nomaden veterinärmedizinisch betreut, sagt: «Im Moment bekommen wir leider keinen Impfstoff, obschon alle Nomaden ihre Tiere impfen möchten. Davon sind auch die Menschen betroffen. Wenn sie verseuchtes Fleisch essen, können sie daran sterben.» Er kenne Metzger, die den Nomaden serbelnde, mit Anthrax infizierte Tiere abkaufen und das Fleisch dann unter die Leute brächten. «Ganze Familien sind deswegen gestorben», sagt Mbairebe. Der Hauptgrund des Impfnotstandes im Tschad liegt im desolaten Zustand des staatlichen veterinärmedizinischen Zentrallaboratoriums «Farcha» in der Hauptstadt N’Djamena. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist die Versorgung des Landes mit Impfstoff und dessen Qualitätssicherung. Doch eine Unzahl von Widerwärtigkeiten bringen diese lebenswichtigen Aufgaben stets wieder zum Scheitern. Das Labor arbeitet mit einer völlig veralteten, teilweise verrotteten Infrastruktur und es herrscht chronischer Geldmangel. Zudem ist das Personal nicht auf dem neuesten Stand des Wissens. Ganda Kana, verantwortlich für die Impfstoffproduktion: «In der diesNatürlich | 8-2007 19 Tierkrankheiten NATUR jährigen Produktion waren 80 Prozent des Impfstoffs unbrauchbar.» Ungenügende Qualitätskontrolle und veraltete Produktionsmethoden führen immer wieder zur Verunreinigung mit Fremdkeimen. Andere Gründe sind mangelhaft ausgebildetes Personal und verdorbene Chemikalien. So müssen Chemikalien wie etwa Nährböden und Laborreagenzien für teures Geld aus Europa eingeflogen werden. Fehlt es im Zentrallabor an Finanzen – und das ist die Regel –, kann es keinen Impfstoff mehr liefern. Die Tierärzte sind dann auf den freien Markt angewiesen und kaufen zum Beispiel im Nachbarland Kamerun ein. Doch der freie Markt ist hier eine lebensgefährliche Sache. Eine frühere Studie zeigt, dass etwa 70 Prozent der im Tschad verkauften Human-Medikamente gefälscht sind. Man geht davon aus, dass es im Veterinärsektor ähnlich ist. Eine weidende Zeitbombe Im staatlichen tiermedizinischen Zentrallabor versteht man nicht, weshalb die Regierung das Institut nicht besser unterstützt. Immerhin ist es unendlich wichtig für die Gesundheit von Mensch und Tier – in einem Land, dessen ökonomisches Rückgrat die Tierproduktion ist. Das Land zählt weit über acht Millionen Rinder, Kamele, Schafe und andere Nutztiere. Viele davon haben gefährliche Krankheiten, die sich auf den Menschen übertragen können. Mehr als die Hälfte der Exporteinnahmen stammen von Tieren und Tierprodukten. Fast die Hälfte der acht Millionen Menschen der Republik Tschad lebt von der Tierzucht. Das Land gilt als wichtigster Proteinlieferant für ganz Zentralafrika. Gegenwärtig sind, optimistisch geschätzt, weniger als die Hälfte der tschadischen Rinder vor Krankheiten wie Lungenseuche, Anthrax und Rauschbrand geschützt. Bei seinen Recherchen hat ein Forschungsteam des STI und seiner lokalen Partner eine erschütternde Beobachtung gemacht, die schliesslich zu einem völlig neuen Ansatz in der Gesundheitsversorgung der tschadischen Nomaden führte. Man stelle sich vor: Sämtliche Tiere eines Bauern sind geimpft; hingegen kein einziges seiner Kinder! Genau diese verblüffende Entdeckung machte ein Forscherteam des Basler Institutes zusammen mit seinen tschadischen Partnern. Kein einziges Nomadenkind war geimpft. «Eine unerträgliche Situation», sagt der Wissenschaftler Martin Wiese. Der Biologe und Geograf hat vor Ort das Leben und die Gesundheit der Nomaden und ihrer Tiere studiert. Deswegen begann man im Tschad die Tiermedizin mit der Humanmedizin zu verbinden. Immer Gefährlicher Viehtrieb: Weder Mensch noch Tier sind gegen Seuchen geschützt Natürlich | 8-2007 21 NATUR Tierkrankheiten Weshalb Zoonosen zunehmen Rund 70 Prozent aller neu auftauchenden Infektionskrankheiten stammen aus dem Tierreich; sie sind am Zunehmen. Die Gründe sind vielfältig: • Tierproduktion In den letzten 20 Jahren gab es vor allem in Asien eine sogenannte «Livestock Revolu- tiert. Die Tigermücke ist Trägerin des West- Schätzungsweise 80 bis 90 Prozent der tion», eine Verdreifachung der Schweine- und Nil-Virus und breitete sich in New York via Nomadenkinder gehen nicht zur Schule. Das Geflügel-Produktion. Damit ist das Potenzial infizierte Vögel aus. Das Virus tötet die Tiere Schweizerische Tropeninstitut STI beteiligt zur Übertragung von Infektionskrankheiten und kann beim Menschen eine Hirnhaut- sich und ist deswegen in enger Zusammen- ebenfalls in sehr grossem Mass gestiegen. entzündung hervorrufen. arbeit mit UNICEF am Aufbau von Nomadenschulen. Hinzu kommen katastrophale Fehler, etwa eine nicht artgerechte Fütterung, wie die • Klimaerwärmung Bovine spongiforme Enzephalopathie BSE Die globale Erwärmung könnte dafür sorgen, • Vordringen in bisher unberührte zeigte. Sie kam zustande, weil Nutztiere mit dass die Anophelesmücke, Trägerin des Ökosysteme nicht sterilisiertem Blut- und Knochenmehl Malariaerregers, in Gebiete vordringt, in Im Regenwald von Malaysia begann man am gefüttert wurden – Hirn zerstörende Eiweiss- denen es zuvor für sie zu kühl war. Schon Ende des letzten Jahrhunderts, die Schweine- stoffe (Prionen) überlebten. Es gibt klare jetzt im Vormarsch sind durch Zecken ver- zucht immer weiter in bisher unberührte Ur- Hinweise darauf, dass die variante Form der ursachte Infektionskrankheiten. Man geht wälder auszudehnen. Fledermäuse infizierten Creutzfeld-Jakob-Krankheit beim Menschen davon aus, dass es einen Zusammenhang mit dabei die Schweine mit dem Nipah-Virus und durch den BSE-Erreger verursacht wird. Klimaveränderungen gibt. 1999 kam es zu einem grossen Ausbruch. Von • Globalisierung • Armut schen und Pferde übertragen, Tiertransporte Ein Beispiel: Wahrscheinlich wurde durch Armut wie im Tschad verhindert selbst die sorgten für eine weite Verbreitung den Transport von Autoreifen aus Asien die minimale Bildung. Oft fehlt sogar das Wissen sogenannte Tigermücke in die USA impor- um elementarste hygienische Grundregeln. den Schweinen wurde das Virus auf Men- Fotos:R. Kohlmayer Tierhaltung, Tierhandel und die Ausbreitung von Mücken und Zecken sind an zunehmenden Infektionskrankheiten mitschuldig 22 Natürlich | 8-2007 Tierkrankheiten NATUR mehr sind nun Ärzte und Tierärzte gemeinsam unterwegs, bieten Basismedizin an und versorgen Mensch und Tier. Dieses sogenannte One-Health-Konzept ist ein Modell, das jetzt im Tschad weltweit erstmals wissenschaftlich begleitet wird. Das Ziel ist eine Kosten-Nutzen-Analyse. Projektleiter Jakob Zinsstag: «Wir hoffen, dass dieses tschadische Modell für den ganzen Sahelraum zum Vorbild wird, wie verstreute, Tiere haltende und nomadisierende Gesellschaften medizinisch versorgt werden können.» Tierarzt Mboryo Mbairebe ist voll des Lobes über das neue Konzept: «Dass wir uns um die Tiere der Nomaden kümmern, schafft unter ihnen viel Goodwill. Deshalb sind sie auch motiviert, ihre Kinder zum Impfen zu bringen. Unter den Nomadenkindern gibt es eine sehr hohe Kindersterblichkeit. Wir schätzen, dass 10 bis 15 Prozent der Kinder in den ersten fünf Lebensjahren sterben. Schon deshalb befürworte ich diese Art der kombinierten Versorgung. Nomadenkinder wachsen unter harten Bedingungen auf. Sie tragen kaum Kleider und leiden unter dem Klima. Sie sind mangelernährt und in den Zelten schlecht untergebracht. All das ist für diese Kinder sehr hart.» Krankheiten belasten die Wirtschaft Reibungslos läuft die Zusammenarbeit zwischen Tier- und Menschenmedizin nicht. Denn in armen Ländern gibt es zahlreiche Hindernisse auf politischer Ebene. Im Moment legt ein Bürgerkrieg die gesamte Versorgung praktisch lahm. Zudem arbeiten in der Republik Tschad das Ministerium für Tierzucht und das Gesundheitsministerium nur unbefriedigend zusammen. Dabei, so sagen Wissenschaftler, ist das One-Health-Konzept, gerade bei Zoonose von allergrösster Bedeutung. Beispiele wie die Vogelgrippe oder früher Sars (Schweres akutes Atemwegssyndrom) zeigen, dass die beiden Disziplinen näher zusammenrücken müssen. Auch bei uns. Jeder schwere Krankheitsfall unter den Nomaden erzeugt eine grosse menschliche und wirtschaftliche Belastung. «Die Leute müssen dann oft längere Zeit in der Nähe eines Dorfes ausharren, in dem es eine medizinische Versorgung Stolzer Hirte: Er hat gut lachen, ein Impfprogramm schützt ihn und sein Vieh gibt», sagt Martin Wiese. «Während dieser Zeit müssen die Tiere getränkt werden, was mangels Wasser oft sehr teuer ist; man muss es kaufen. Zudem blockiert eine Behandlung jeweils bis zu zwölf Familien, die gemeinsam unterwegs sind. Alles in allem betragen diese Auslagen ein Hundertfaches dessen, was die medizinische Behandlung kostet.» Die Sparkasse des kleinen Mannes Wer arm ist wie der Tschad, hat in der Zoonose-Bekämpfung nicht die gleich langen Spiesse wie ein reiches Land. Bricht zum Beispiel bei uns eine Tierseuche aus, vernichtet der Staat infizierte Herden und ersetzt den Landwirten den Marktwert der Tiere. Dies übersteigt die finanziellen Möglichkeiten armer Länder. Da bleibt – ober besser bliebe – ausser vorbeugenden Massenimpfungen kaum eine andere Lösung. Martin Wiese erklärt am Beispiel der geschätzten 85 Millionen Hühner im Tschad die Unmöglichkeit von Tiervernichtungsaktionen: «Hühner sind sozusagen die Sparkasse des kleinen Mannes, der ländlichen und auch städtischen ärmsten Familien, die kaum Bargeld besitzen, um zum Beispiel Kinder einzuschulen oder einen Gesundheitsposten aufzusuchen.» Der Verkauf eines Huhns helfe vielen Familien, schnell und unkompli- ziert zu einem dringend benötigten kleinen Geldbetrag zu kommen. Was kümmert es uns, wenn ein Land weit weg in Afrika fast unlösbare Probleme hat mit der Bekämpfung von Tierseuchen? «Was im Gesundheitsbereich des Tschad oder sonst wo auf der Welt geschieht, darf uns hier nicht egal sein», sagt Martin Wiese. Zoonosen sind Quellen von Infektionskrankheiten, die in die reichen Länder eingeschleppt werden können. «Man muss also in den armen Ländern verhüten. Wir müssen sie in unserem eigenen Interesse darin unterstützen, weil sie es aus eigener Kraft nicht schaffen.» Sonst könnte das Nichtstun eines Tages leicht zum gefährlichen Bumerang werden. ■ I N FO B OX Literatur zum Thema • Engelbrecht/Köhnlein: «Virus-Wahn», EMU-Verlag 2006, Fr. 33.40 • Cavillon: «Vogelgrippe – Die Pest des Jahrhunderts?», Verlag Silberschnur 2006, Fr. 22.– • Eggert: «Die geplanten Seuchen», Verlag Chronos Medien 2003, Fr. 28.90 Internet • www.tropeninstitut.ch (unter «über uns» «Afrikaforschung» anklicken) • http://de.wikipedia.org/wiki/Tierseuche • www.sprechzimmer.ch (unter Suchen Krankheitsname eingeben) Natürlich | 8-2007 23