CARE STUDIENTOUR TSCHAD Durch die Augen einer Frau: Fluchtursachen und Lebensrealität von Flüchtlingen BERICHT ZUR STUDIENTOUR 1. bis 4. Februar 2016 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD DELEGATIONSMITGLIEDER 1. Achim Barchmann, MdB 2. Gusty Graas, MdP 3. Andreas Lämmel, MdB 4. Birgit Menz, MdB 5. Karl-Otto Zentel, Generalsekretär CARE Deutschland-Luxemburg Die Delegation wurde außerdem begleitet von Dr. Detlev Wolter, Deutscher Botschafter im Tschad. Von links nach rechts: MdB Andreas Lämmel, MdB Birgit Menz, MdB Achim Barchmann, MP Gusty Graas, Generalsekretär Karl-Otto Zentel. EINFÜHRUNG „Durch die Augen einer Frau: Fluchtursachen und Lebensrealität von Flüchtlingen“: Mit diesem Thema beschäftigte sich vom 1. bis 4. Februar eine Delegation von Abgeordneten aus Deutschland und Luxemburg im Tschad. Bei Treffen mit Repräsentanten von Nichtregierungs- und Durchführungsorganisationen, Besuchen lokaler Gemeinden sowie im Austausch mit offiziellen Vertretern des Tschads, der EU und Deutschlands ging die Delegation vor allem den Fragen nach: • Wie gestaltet sich die Lebensrealität von Flüchtlingen im Tschad? • Was haben deutsche und internationale Projekte bei der Unterstützung der Menschen bislang erreicht? • Wie beeinflussen diese Ergebnisse zukünftige Nothilfe- und Entwicklungsbemühungen? • Warum ist der Fokus auf Frauen und Mädchen sinnvoll für eine nachhaltige Entwicklung? • Wie kann eine langfristig erfolgreiche Integration von Flüchtlingen auf lokaler Ebene aussehen? Der Tschad ist das viertärmste Land der Welt und steht gleichzeitig an siebter Stelle bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Obwohl das Land extrem schlechte Entwicklungsindikatoren bei seiner eigenen Bevölkerung aufweist, macht die Realität in den Nachbarländern die Aufnahme von Flüchtlingen und Heimkehrern zur Notwendigkeit. Zur sehr schlechten Entwicklungssituation des Landes haben nicht nur interne Gründe wie Jahre des Nord-Süd Bürgerkrieges beigetragen, sondern auch externe Faktoren wie die durch die geographische Lage bedingten regelmäßigen Dürren und Überschwemmungen, die besonders in den letzten Jahren sehr häufig auftraten. Damit vereint der Tschad ein breites Spektrum der Ursachen und Situationen von Flucht: Flüchtlinge, Rückkehrerinnen und Rückkehrer, intern Vertriebene (IDPs) – geflohen vor Krieg, Hunger und Naturkatastrophen. Somit existieren im Land verschiedene Bedarfe und Kontexte parallel: die Versorgung von Flüchtlingen aus den Nachbarländern (emergency), massiver Entwicklungsbedarf der lokalen Bevölkerung (development cooperation) sowie Anpassung an die Folgen des Klimawandels (adaptation). Die Studientour führte die Delegation sowohl in den Osten als auch in den Süden des Landes. Im Osten leben seit über zwölf Jahren Flüchtlinge aus der sudanesischen Krisenregi[NAME DES AUTORS] 1 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD on Darfur in Lagern nahe der Grenze zum Sudan. Die Situation dieser Menschen, die mitten in der unwirtlichen Sahelzone leben, erfüllt alle Kriterien einer vergessenen Krise. Im Süden nimmt der Tschad vor allem Flüchtlinge und Rückkehrer aus der Zentralafrikanischen Republik auf. Seit 2012 fliehen verstärkt Menschen vor den bewaffneten Auseinandersetzungen im Nachbarland. Es sind nicht nur Bürger der Zentralafrikanischen Republik, sondern auch tschadische Rückkehrerinnen und Rückkehrer, deren Eltern oder Großeltern einst den Tschad verlassen hatten, um im Nachbarland ihr Glück zu suchen. TAG 1: POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN Der erste Tag im Tschad setzte den Schwerpunkt auf Treffen mit offiziellen nationalen und internationalen Vertretern in der Hauptstadt N‘Djamena, um einen Überblick über die verschiedenen Lebensrealitäten zu erhalten. Flüchtlinge, Rückkehrer, IDPs: Input durch Vertreter der VN und CARE International Tschad. Zunächst führten Repräsentanten von IOM, UNHCR, UNICEF und CARE International Tschad in den Flüchtlingskontext im Land ein. Nach Klärung der Begriffe Flüchtling, Rückkehrer und IDP im nationalen Rahmen und der Darstellung der verschiedenen Le- bensrealitäten der jeweiligen Gruppen, führte die Vertreterin von IOM, Yoko Fujimura, aus, dass der Tschad sich zunehmend auch zum Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa entwickle. Die Diskussion konzentrierte sich anschließend auf den Effekt der Syrienkrise auf die Flüchtlingssituation im Land – UNHCR bestätigte, dass Auswirkungen auch im Tschad zu spüren seien, in positiver wie negativer Hinsicht. So würden die Mittel für die vergessenen afrikanischen Krisen weiterhin gekürzt, jedoch würde auch die Hoffnung auf langfristige Hilfe durch die aktivere Diskussion der Thematik steigen. Anschließend trafen die Delegationsteilnehmer Moussa Adji Maye, Generaldirektor im Ministerium für Planung und internationale Kooperation, der die Perspektive der Republik Tschad zur Flüchtlingssituation darlegte. Hr. Maye führte aus, dass der Tschad als eine Insel der Stabilität in der Region umringt von Staaten mit massiven Problemen sei. Gleichzeitig gebe es im Land einen Mangel an Entwicklung, was wiederum Ursache für Unzufriedenheit in der Bevölkerung sei und Radikalisierung fördere. Es fehle vor allem in der Region des Tschadsees an Infrastruktur, Bildung und Gesundheitsversorgung. Mit mehr Entwicklungsleistung würde auch die Stabilität in die Region zurückkehren. Aktiv habe der Tschad im Rahmen des G5-Gipfels der Sahelstaaten einen Aktionsplan zur Lösung der bestehenden regionalen Probleme erstellt, der vor allem militärische Stabilisierung sowie ökonomische Entwicklung der sogenannten „schwarzen“ (der besonders vom Klimawandel betroffenen) Regionen vorsieht. Zusätzlich werde seitens der Regierung derzeit ein Plan für die im Land lebenden Flüchtlinge erarbeitet. Auf Nachfrage erklärte Hr. Maye, dass der Tschad die Verantwortung für die Flüchtlinge nicht zurückweise. Er wies nochmals daraufhin, dass die nördlichen Bereiche der Sahel[NAME DES AUTORS] 2 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD Staaten der Schlüssel für Stabilisierung und Deradikalisierung seien. Er zitierte in diesem Zusammenhang das afrikanische Sprichwort: „Zwei reiche Menschen werden sich auf der Straße nicht bekämpfen.“ Das Problem der Migration sei nicht unlösbar, denn auf den Weg machten sich immer die Verzweifelten, wenn sie die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa hätten. Langfristige Hilfe vor Ort würde demnach die Menschen zum Bleiben bewegen. Aus diesem Grund habe der Tschad auch ein nationales Rahmenprogramm zur Entwicklung verabschiedet, die sogenannte Vision 2030. Die erste Etappe des Plans von 2016 bis 2020 konzentriere sich auf die Bereiche Forschung, Arbeit sowie die Stärkung des Privatsektors. Der dazugehörige Aktionsplan (für die Bereiche Regierungsführung, Anpassung, Infrastruktur und Sicherheit) werde demnächst den internationalen Partnern vorgelegt. Hierfür solle auch das von der G5-Sahel geplante Ministertreffen in Brüssel genutzt werden, das im Format 5-5-5 (Sahelstaaten, MaghrebStaaten, EU-Mittelmeeranrainer) im März/April angestrebt werde. Anschließend traf sich die Delegation zum Mittagessen mit Vertretern der EUDelegation und ECHO. Dr. Martin Wiese, stellvertretender Leiter der EU-Delegation und Chef der Abteilung Ländliche Entwicklung, und Pierre Houpikian, Direktor der Politischen Abteilung, führten zunächst kurz in die jüngere Geschichte des Landes ein und wiesen darauf hin, dass der Tschad erst seit sehr kurzer Zeit als stabiles Land in einer instabilen Region gelte. Die Frage stelle sich nun, ob diese Stabilität bei der Schwäche der politischen Institutionen im Land von Dauer sei. Durch externe Faktoren wie die Krise am Tschadsee, die ökonomische Situation durch den niedrigen Ölpreis sowie die Krisen in den umliegenden Ländern gerate das Land zusätzlich unter Druck. Trotzdem stehe der Tschad weltweit auf Platz drei in absoluten Zahlen bei der Aufnahme von Flüchtlingen, Rückkehrern und IDPs. Daher stelle sich also die Frage, inwiefern Entwicklungszusammenarbeit einen Beitrag zur Stabilisierung des Landes leisten könne. Hier sei die EU mit dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) einer der wichtigsten Akteure. Eine der größten Herausforderungen für den Tschad sei es, seinen eigenen Bürgern als verlässlich gegenüberzutreten. Bislang seien dafür nur in zwei Feldern Anstrengungen unternommen worden: im Bereich Gesundheit sowie im Bereich Wasser. Hier unterstützt die EU vor allem mit Projekten, die Frauen Zugang zu Wasser in annehmbaren Entfernungen ermöglichen sollen. Von links nach rechts: Botschafter Dr. Wolter, MdB Barchmann, MdB Menz, Generaldirektor Maye, Hr. Mahamat (NRO-Verbindungsdirektor Planungsministerium), MdB Lämmel, Hr. Zentel, MdP Graas. Zusätzlich sei die EU der wichtigste langfristige Partner in der Unterstützung der Zivilgesellschaft und der Demokratisierungsprozesse. Der Tschad sei reich an Ressourcen, es gebe reichlich Potential für Entwicklung. Basis dafür sei jedoch Bildung; und um die in der Zukunft besser ausgebildete Jugend im Arbeitsmarkt verankern zu können, brauche das Land Unterstützung. Der derzeitige elfte EEF konzentriere zwei Drittel seiner Leistungen auf den Bereich Ernährungssicherung mit dem Ziel, reine Nothilfe mit langfristigen Lösungen zu ersetzen. Teil der Leistungen sei deshalb auch die Beratung des Staates, um in wiederkehrenden [NAME DES AUTORS] 3 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD Nahrungsmittelkrisen eigenständig reagieren zu können. Gerade in einer Situation wie der des Tschads mit seinen vielschichtigen Problemlagen sei dies besonders wichtig: trotz Von links nach rechts: MdB Barchmann, Dr. Wiese, MdB Lämmel. der Komplexität reagiere die internationale Gemeinschaft jedoch fast ausschließlich mit Nothilfemechanismen, die dann meist zu kurz griffen. Auch deshalb strebe die EU nun im Ernährungssicherheitsbereich den Übergang von Nothilfe zu langfristig finanzierten Projekten durch den EEF an. Im Anschluss daran stellte Olivier Brouant, Vertreter von ECHO, der EU-Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz, kurz deren Aktivitäten im Tschad vor: ECHO konzentriere sich im Tschad auf die Versorgung von Kindern, die aufgrund der vom Klimawandel verursachten Dürren in der Sahelzone chronisch unterernährt seien. schaffende Maßnahmen, um die Abhängigkeit von Hilfe zu vermindern. Auf Nachfrage betonte Dr. Wiese die enge Verbindung des elften EEF mit der Stärkung des ökonomischen Sektors. Er erwähnte, dass die grundsätzliche Frage jedoch auch immer sei, ob eine politische Macht wirklich die Umverteilung wolle. Deshalb sei es wichtig, durch Entwicklungszusammenarbeit Anreize zu schaffen, die dann Weiterentwicklung sichtbar machen und so die Bereitschaft der Regierung erhöhen, Eigeninvestitionen in diesem Bereich zu tätigen. So informiert über die Aktivitäten der EU im Land, fuhr die Delegation anschließend zum Treffen mit tschadischen Parlamentariern und Parlamentarierinnen in das neue Parlamentsgebäude des Tschads. In Anwesenheit des ersten stellvertretenden Parlamentspräsidenten Moussa Kadam sowie vier weiteren Abgeordneten erfolgte ein reger Austausch. In seiner Begrüßung wies Hr. Kadam darauf hin, dass der Tschad allen für die Sahelzone typischen Problemen ausgesetzt sei und damit eigentlich alle Bereiche (Wasser, Gesundheit, Sicherheit, Ausbildung, Ernährung, Landwirtschaft und Nomadenwesen sowie Umweltschutz) gleichermaßen prioritär behandelt werden müssten. Ohne internationale Unterstützung würden Dies geschehe vornehmlich durch die Unterstützung des Gesundheitssystems sowie der Verbesserung der Wasserversorgung in Verbindung mit Aufklärung im Hygienebereich. Im Fokus ständen immer die am stärksten Gefährdeten und Ärmsten der Gesellschaft. Der zweite Arbeitsbereich von ECHO sei die Versorgung von Flüchtlingen im Osten und Süden des Landes. In beiden Regionen sei nicht absehbar, ob die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren werden können. Deswegen konzentriere man sich auf einkommens- Treffen mit VertreterInnen des tschadischen Parlaments. [NAME DES AUTORS] 4 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD Verteilungskämpfe in der Zukunft zunehmen. CARE wisse um diese Probleme aus langen Jahren der Zusammenarbeit, und man freue sich sehr, dass die Organisation diesen Besuch möglich gemacht habe. Gruppenbild mit tschadischen VolksvertreterInnen vor dem Parlament. Die Vertreter des tschadischen Parlaments, das sich selbst als verhältnismäßig junges Parlament bezeichnete, erbaten Auskunft zu sehr verschiedenen Themen, unter anderem den deutschen Erfahrungen mit der Frauenquote sowie Möglichkeiten der Unterstützung bei der geplanten Elektrifizierung des Tschads. MdB Lämmel verwies an dieser Stelle auf deutsche Pilotprojekte in Ruanda und Uganda sowie auf Solarkraftwerke in Marokko. Die europäischen Abgeordneten stellten im Gegenzug Fragen zum Arbeitsalltag von tschadischen Abgeordneten und lokalen Parlamentsabläufen. Beide Seiten zeigten sich sehr interessiert, die deutsch-tschadische Freundschaftsgruppe der beiden Parlamente mit neuem Leben zu erfüllen. Den Abschluss der offiziellen Termine des Tages bildete eine Zusammenkunft mit Vertretern der deutschen Organisationen im Land in der Deutschen Botschaft. Bei der Eröffnung des Treffens betonte Botschafter Dr. Wolter die große Bedeutung des Besuchs für die deutsch-tschadischen Beziehungen. Anschließend stellten die Vertreter der GIZ, Diakonie Katastrophenhilfe und Misereor ihr jeweiliges Projektportfolio vor. Einstimmig betonten sie die gute Kooperation mit lokalen Nichtregierungsorganisationen, forderten jedoch auch mehr politischen Druck gegenüber der tschadischen Seite, um auch von staatlicher Ebene besser unterstützt zu werden. Das offizielle Engagement im Land sei noch verbesserungswürdig. Zudem wurde der große Bedarf an langfristig angesetzter Entwicklungszusammenarbeit betont. Das Programm des Tages schloss mit dem gemeinsamen Empfang des deutschen Botschafters, Dr. Detlev Wolter, und des Generalsekretärs von CARE DeutschlandLuxemburg, Karl-Otto Zentel, in der Residenz der Deutschen Botschaft. Rund 80 Gäste aus diplomatischen Missionen, Vertretungen der Vereinten Nationen, nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie hochrangige Repräsentanten der tschadischen Regierung waren gekommen, um die deutsch-luxemburgische Delegation kennenzulernen. In Anwesenheit der Botschafterin der EU-Delegation, der Botschafterin Frankreichs, dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika sowie dem Bürgermeister von N’Djamena überreichte Generalsekretär Zentel Botschafter Dr. Wolter ein CARE Paket als Dank für die gute Kooperation. Empfang in der deutschen Botschaft. [NAME DES AUTORS] 5 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD TAG 2: UMGANG MIT VERGESSENEN KRISEN, 10 JAHRE KRIEG IN DARFUR Am zweiten Tag der Studientour widmete sich die Delegation der Situation im Osten des Landes und flog dafür nach Abeche, der Provinzhauptstadt der Region Quaddai. Seit über zehn Jahren beherbergt die Provinz ca. 290.000 Flüchtlinge aus dem benachbarten Darfur. Wassertränke für die Viehherden – das Wasser ist Resultat der von der GIZ gebauten Flussschwellen. Beim Besuch des Provinzgouverneurs Abadi Sair Fadoul sprach dieser sich für eine allmähliche Integration der Flüchtlinge aus, da keine konkreten Aussichten für deren Rückkehr nach Darfur bestünden. Bislang sind die Flüchtlinge in Lagern untergebracht und werden von verschiedenen internationalen Organisationen unter Koordination der VN versorgt. Ob der Strapazierung der ohnehin knappen natürlichen Ressourcen würden Verteilungskämpfe um Wasser zwischen Nomaden und Sesshaften stetig an Schärfe zunehmen. Hier setzt das GIZ-Übergangsprojekt an, das die GIZ in der Region seit nunmehr 15 Jahren implementiert. Durch den Bau von Flussschwellen soll mehr Wasser gespeichert werden, um nach der Regenzeit noch mindestens eine weitere Ernte zu ermöglichen. Dies soll Anreize schaffen, Flüchtlinge aus den Lagern in die lokalen Gemeinden umzu- siedeln und zu integrieren. Insgesamt soll der Anteil der profitierenden Menschen aus 40% Flüchtlingen sowie 60% lokalen Gemeinden zusammengesetzt sein. Das derzeitige Projekt umfasst 22 Flussschwellen, von welchen in der Zukunft ca. 32.000 Menschen profitieren werden. Die Standorte wurden in enger Kooperation mit UNHCR ausgewählt, um Synergien zwischen Flüchtlings- und Aufnahmegemeinden sicherzustellen. Damit die Nachhaltigkeit gewährleistet wird, geht der Bau der Flussschwellen mit einem Nutzungsvertrag mit den angrenzenden Gemeinden einher. Dieser beinhaltet zudem ein Ausbildungsprogramm für junge Männer, die sodann die Anlagen in der Zukunft in Stand halten können. Normalerweise sind die ersten Reparaturarbeiten nach zwei bis drei Jahren notwendig, was den lokalen Gemeinden erst die Möglichkeit gibt, auch den praktischen Mehrwert der Flussschwellen zu erkennen und zu erfahren. Dies ist wichtig, da der Erhalt den kritischen Punkt in der Nachhaltigkeit der Struktur einnimmt: Oft sind die Gemeinden mit der Organisation der Reparatureinheiten aus vielerlei Gründen überfordert. Zusätzlich gibt es ein Verwaltungsgremium, das Ausgaben für die Reparaturen bewilligt und die entsprechenden Arbeiten beaufsichtigt. Dieses Gremium wird aus Frauen und Männern zusammengesetzt. Der Dorfälteste aus dem benachbarten Dorf der besichtigten Mit dem gewonnenen Wasser sind nun zwei bis drei Ernten im Jahr möglich. [NAME DES AUTORS] 6 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD Flussschwelle fasst zusammen: „Seit dem Bau der Flussschwelle hat sich unser Leben hier grundsätzlich verändert. Vor zwanzig Jahren gab es bei uns nur Wasser in der Regenzeit, Tiere konnten in den restlichen neun Monaten kaum getränkt werden, Landwirtschaft außerhalb der Regenzeit war unmöglich.“ Die neuerschlossenen Felder werden gemeinsam von Flüchtlingen aus Darfur und Mitgliedern der ansässigen Gemeinden bewirtschaftet. Halima ist Witwe und Mutter von drei Kindern. Sie hat mit dem Anbau von Tomaten, Zwiebeln und Knoblauch ein Auskommen gefunden und berichtet, wie das Projekt ihr Leben verändert hat: „Die Hälfte unserer Erträge verwenden wir selbst, der Rest wird auf dem Markt in Abeche verkauft. Einen Anteil der Erlöse zahlen wir in eine gemeinsame Kasse ein, mit der wir Saatgut, die Miete eines Traktors sowie die Wartung der Wasserpumpe und der Flussschwellen finanzieren. Das Resteinkommen reicht, um mich und meine Kinder über das Jahr zu versorgen.“ Vor allem Frauen arbeiten auf den Feldern in der Sahelzone. Zum Abschluss des Programms in Abeche besuchte die Delegation Vertreter des Welternährungsprogramms (WEP), die einen Überblick über die Aktivitäten in der Region gaben. Der Vorsitzende des WEP in Abeche, Ousmane Mariko, zeichnete der Delegation ein Bild der schwierigen Situation in Quaddai – als Teil der Sahelzone regnet es in maximal drei Monaten im Jahr. Die ohnehin schwieri- ge Ressourcenlage wird zusätzlich durch die Flüchtlinge aus Darfur verschärft – von gesamt 382.000 Flüchtlingen im ganzen Land leben 78% in Lagern in der Grenzregion zu Darfur. Als Ergebnis sind 28% der Kinder in der Region schwer mangelernährt. Trotzdem musste das Welternährungsprogramm die Rationen in den letzten Jahren aufgrund von kontinuierlichen Kürzungen in der Finanzierung immer weiter reduzieren. Das Welternährungsprogramm versucht der Situation mit verschiedenen Initiativen entgegenzuwirken. Mit Schulspeisungen, Programmen zur Resilienz sowie Lebensmittelausgaben ist es bemüht, mit seinen knappen Mitteln die Ärmsten zu ernähren. Dennoch sei die Realität eindeutig: Insgesamt seien die Programme (230 Mio. USD Nahrungsmittel, 48 Mio. USD Schulprogramm, 38 Mio. UNHASFlüge) zwischen 30% und 50% unterfinanziert. Den Abschluss des Tages bildete ein Abendessen mit Vertretern der lokalen Zivilgesellschaft. Moderiert von Dr. Helga Dickow, Tschad-Expertin und Mitglied des CAREProgrammbeirats, gaben Herr Baldal Oyamta von LTDH und Frau Oyal Ngarassal von PILC einen Überblick über die Menschenrechtslage im Tschad. Diskutiert wurden im Speziellen die Situation der weiblichen Bevölkerung, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die bevorstehenden Wahlen. Die Menschenrechtsvertreter äußerten die Vermutung, dass die Opposition unter Umständen die Wahlen erneut boykottieren werde. Als grundsätzliches Problem im Tschad wurde die mangelnde Implementierung der eigentlich positiven Gesetzeslage genannt und um Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gebeten. Es müsse mehr Druck auf die Regierung ausgeübt werden, die verabschiedeten Gesetze auch umzusetzen. [NAME DES AUTORS] 7 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD TAG 3: FLÜCHTLINGSREALITÄTEN AKUT: FLÜCHTLINGE, RÜCKKEHRER, IDPs Am dritten Tag der Studientour reiste die Delegation in den Süden des Landes, um sich über die Situation von Rückkehrern und Flüchtlingen aus der Zentralafrikanischen Republik zu informieren. Während des Auftaktbesuchs beim Präfekten von Gore klärte dieser über die Aufgabenverteilung zwischen tschadischer Regierung und internationalen Organisationen bei der Versorgung der Rückkehrer und Flüchtlinge auf. Sicherheit und Landvergabe würden durch die tschadischen Autoritäten geregelt, die Versorgung der Menschen übernähmen die Vereinten Nationen in Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen. Auf die Frage, ob er die Rückkehr der Geflohenen in Erwägung ziehe, antwortete der Präfekt: „Menschen sind auf der Suche nach Frieden. Solange es in der Zentralafrikanischen Republik nicht sicher ist, wäre es unverantwortlich Frauen und Kinder dorthin zurückzuschicken. Sie sollen besser hier in Frieden leben, als dorthin in die Unsicherheit zurückkehren.“ Rückkehrer würden direkt registriert und würden dann die tschadische Staatsbürgerschaft erhalten, auch Flüchtlinge könnten diese beantragen. Die Delegation besuchte anschließend das Rückkehrerlager Danamadja, in dem 13.500 der insgesamt 24.000 Rückkehrer im Gebiet Gore leben. Im großen Versammlungszelt von UNICEF lernten die Delegationsteilnehmer zunächst die von Catholic Relief Services (CRS) ins Leben gerufene Kommission Gerechtigkeit und Frieden kennen, die zwischenmenschliche Konflikte - sowohl innerhalb des Lagers als auch mit der Aufnahmegesellschaft friedlich beilegt. Für die Bildung der Kommission wurden zunächst Vertreter der Rückkehrer- und Dorfgemeinschaft ausgewählt und in Methoden der gewaltfreien Konfliktlösung geschult. Teile einer jeden Intervention der Kommission sind Aussprache, Beilegung sowie eine Entschuldigung. Die Kommission Gerechtigkeit und Frieden im Rückkehrerlager Danamadja. Der Vorsitzende der Kommission machte den Besuchern deutlich, wie wichtig dieses Instrument für die Menschen vor Ort sei: „Auch in der Zentralafrikanischen Republik haben wir versucht zusammenzuleben und sind gescheitert. Deswegen wissen wir, wie wichtig es ist, Konflikte friedlich beizulegen. Jeden Morgen, wenn wir aufstehen, erinnern wir uns daran, was wir verloren haben. Tschad ist für uns eine Insel des Friedens, das möchten wir uns bewahren.“ Nach der Vorstellung des Konzepts verdeutlichte die Kommission in einem Rollenspiel einen typischen Konflikt, der vor der Kommission gelöst wird: eine Auseinandersetzung bei der Verteilung des Trinkwassers im Lager. Da die Erfolge der Kommission offensichtlich sind, ist sie mittlerweile von den lokalen Autoritäten offiziell als Schlichtungsinstanz anerkannt. Gewisse Techniken zur Konfliktbeilegung wurden auch schon an die lokalen Polizeieinheiten weitergegeben, die diese nun ebenfalls anwenden. [NAME DES AUTORS] 8 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD Jeden Morgen und Abend gießen Frauen ihre Felder. Anschließend besuchte die Delegation verschiedene einkommensfördernde Maßnahmen des Lutherischen Weltbundes (LWB) zur sozio-ökonomischen Integration von Rückkehrern und Flüchtlingen. Mithilfe einer Analyse hatten die Verantwortlichen Landwirtschaft und Viehzucht als sinnvollste Ansätze zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Menschen ermittelt. Folglich errichtete der LWB ein Gemeinschaftsfeld am Rande des Rückkehrerlagers, auf dem die Bewohner ihr eigenes Gemüse anbauen können. Für die Bewirtschaftung der Felder stellt der LWB Geräte zur Verfügung und bietet grundsätzliches Training in Methoden der Landwirtschaft an. Dies ist vor allem notwendig, da viele der Rückkehrer in der Zentralafrikanischen Republik nicht-handwerkliche Berufe ausübten. erfolgreich gewirtschaftet, dass vor kurzem eine zweite Maschine für einen zweiten Standort im Lager angeschafft werden konnte. Die Aussage der Projektteilnehmer war einhellig: „Für uns ist dies der Ort, wo wir unser Nest gebaut haben. Nun möchten wir in Frieden leben und autonom werden.“ Nach dem Besuch des Marktes stellte das Welternährungsprogramm sein Programm im Lager Danamadja vor. Mithilfe von Essensgutscheinen können die Rückkehrer bei der Essensverteilung „einkaufen“: Eine Tafel am Eingang des Verteilungsstelle zeigt die verfügbaren Produkte und deren Preise. Gemäß der Höhe der Zuteilungen stellen die Rückkehrer damit ihre Einkaufsliste selbständig zusammen und können die Produkte anschließend direkt bei der Ausgabe abholen. Das System hat mehrere Vorteile: zum einen wird die lokale Wirtschaft unterstützt, da alle Produkte lokal erworben werden. Zum anderen wird die Autonomie der Empfänger erhalten, da sie selbst ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Lebensmittel behalten. Die Erträge werden zum Teil von den Kleinbauern selbst verbraucht, zum Teil auf dem lokalen Markt verkauft, um Einkommen für die Familie zu generieren. Dem gleichen Prinzip folgen drei weitere Projekte des LWB: Die Verteilung von Ziegen, die Finanzierung einer Getreideschrotmaschine und die Einrichtung eines Standes auf dem Markt im Lager. Um jede dieser Aktivitäten hat sich eine Gruppe von Rückkehrern gebildet, die zu erledigende Aufgaben und Erlöse untereinander teilen. Die Gruppe um die Schrotmaschine hat beispielsweise so Lebensmittelverteilung durch das Welternährungsprogramm. Verschiedene Kontrollmechanismen begleiten das System – eine Station der Ausgabe kontrolliert die Ausgewogenheit der Produkte, um eine gesunde Ernährung sicherzustellen. Ein Komitee schlichtet Streitfälle rund um die Zuteilungen. Zusätzlich klären Mitarbeiter die Bewohner auf, wie eine ausgewogene Ernäh[NAME DES AUTORS] 9 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD rung die generelle Gesundheit, besonders im Hinblick auf Kinder, fördert. Im Anschluss an die Besichtigung gab eine Bewohnerin des Lagers den Delegationsteilnehmern die Möglichkeit, die Unterkunft zu besuchen, in der sie mit ihren Kindern lebt, und berichtete dort aus ihrem Alltag. Den Tag beschloss die Delegation in Moundou mit einem Treffen mit dem lokalen Menschenrechtsaktivisten Djéralar Miankeol und dem örtlichen Parlamentsabgeordneten Pasteur Mbaidessemel Dionadji. Im Süden des Tschads wird das im Land gefundene Öl gefördert und große Landstriche wurden deshalb zur Errichtung von Förderanlagen von der Regierung enteignet. Gleichzeitig ist die Region auch die Kornkammer des Landes und das am dichtesten besiedelte Gebiet (100 Personen pro qkm, Durchschnitt im Tschad: 8 Personen pro qkm). Hr. Miankeol wies auf die schwierige Situation in der Region hin, die sich durch den Ölfund eher verschärft als entspannt habe. Die lokale Bevölkerung lebe zu großen Teilen von weniger als einem Euro pro Tag. Das Verhältnis von Lehrern und Ärzten zur Bevölkerung verhalte sich auf 1/400 Schüler bzw. 1/20.000 Bewohner. Die Ölindustrie habe zu einem Anstieg von Korruption geführt und das nationale Parlament versage in seiner Funktion als Kontrollgremium der Regierung. Zudem habe die Ölförderung massive Umweltschäden verursacht. TAG 4: WAS BRINGT DIE ZUKUNFT? Der vierte Tag der Studientour fokussierte auf Projekte, die gezielt Frauen und Mädchen stärken und fördern – durch ökonomische Perspektiven, bessere Gesundheitsversorgung und Aufklärung im Bereich reproduktiver Gesundheit. Im Schatten eines großen Mangobaumes traf die Delegation zunächst in einem kleinen Dorf bei Moundou eine lokale CARE Frauenkleinspargruppe (VSLA). Der Ansatz, der Die CARE Kleinspargruppe begrüßt die Besucher. 1991 von CARE im Niger entwickelt wurde, ermöglicht Frauen, durch Kredite für kleine Unternehmungen eigenständig und ökonomisch unabhängig zu werden. Darüber hinaus investieren die Mitglieder einen Teil der Erträge aus der Kleinspargruppe in bessere Gesundheitsversorgung und Ernährung. Letzteres wird auch unterstützt durch einen Gruppen-Sozialfonds für Gesundheitsversorgung, der Kredite ohne Zinsen vergibt. Die Kleinspargruppen, die meist rund 20 Mitglieder umfassen, werden durch ein gewähltes Komitee geleitet. CARE begleitet die Frauen mit Trainingseinheiten zu Buchhaltung sowie Auswahl und Management von Kleinstgewerbe. [NAME DES AUTORS] 10 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD Die Kleinspargruppen sind ein wichtiges Instrument zur Stärkung und Autonomisierung der Frauen. Seit ihrer Einführung wurden Kinderehen und Prostitution gesenkt. Die Quote der Schulabbrecherinnen ist gesunken und in allen teilnehmenden Familien hat sich die Ernährungssituation signifikant verbessert. Heute betreut CARE im Süd-Tschad insgesamt 220 Kleinspargruppen (137 für Rückkehrerinnen, 30 für Flüchtlinge und 53 für die Aufnahmegemeinden). Neben Frauenkleinspargruppen, gibt es auch vereinzelt Männer- und Jugendgruppen. Die CARE Kleinspargruppe schafft Unabhängigkeit und stärkt das Selbstbewusstsein. Die Delegationsmitglieder im Kreis der Kleinspargruppe. Nach der Vorstellung der Funktionsweise der Spargruppen nahmen die Delegationsteilnehmer an einer Sitzung der lokalen Frauengruppe teil und konnten beobachten, wie zunächst die Anwesenheit überprüft wurde, die Einzahlungen bestätigt und anschließend Anträge für Kredite diskutiert wurden. Bei jedem Antrag erörterte die Gruppe auch offen die Kreditwürdigkeit der jeweiligen Antragstellerin. Kriterien waren hier die Regelmäßigkeit ihrer Teilnahme an der Gruppe und die Zuverlässigkeit der Rückzahlung bei früheren Krediten. Zwei Frauen wurde ein Kredit für den Erwerb von Stoffen genehmigt. Im Anschluss berichteten verschiedene Frauen, wie die Gruppe ihr Leben verändert hat: Ashta kam als verwitwete Rückkehrerin in den Tschad und musste ihre minderjährigen Töchter prostituieren, um sich und ihre Kinder mit dem Nötigsten zu versorgen. Seit sie Teil der Kleinspargruppe ist, besitzt sie ein kleines Gewerbe als Schneiderin, mit dem sie genug erwirtschaftet, um die Familie zu ernähren. Eine weitere Rückkehrerin berichtete, dass bei ihrer Ankunft im Tschad ihre Kinder barfuß laufen mussten, weil sie kein Geld für Schuhe hatte. Heute besitzt sie, dank der Unterstützung der Kleinspargruppe, ein kleines Café und wohnt in einem Haus aus Stein: „Die Kleinspargruppe hat mir eine Zukunft, aber auch eine Familie geschenkt.“ Die Delegationsteilnehmer zeigten sich sehr interessiert an der Auswahl der Mitglieder einer Gruppe und lernten, dass Funktionsträger nicht verwandt sein dürfen und auch Neumitglieder erst bei Ausscheiden eines anderen Mitglieds eintreten können. Der Antrag von Abgeordneten Lämmel auf Aufnahme wurde von der Gruppe abgelehnt: als Mann erfülle er das Grundkriterium für die Mitgliedschaft nicht. Dr. Olga Kajangu, Leiterin des CARE SAF-PAC Programms. Im Anschluss besuchte die Delegation eine benachbarte, von CARE unterstütze Gesundheitseinrichtung, wo sie von Freiwilligen des CARE SAF-PAC Programms (Supporting Access to Family Planing and Post-Abortion Care in Emergencies) mit Gesang willkommen geheißen wurde. SAF-PAC wird bislang in zwei der 23 Regionen des Tschads implementiert und basiert auf zwei Säulen: der [NAME DES AUTORS] 11 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD Aufklärung von Frauen im Bereich Geburtenund Familienplanung sowie der nationalen Anwaltschaft gegenüber der Regierung im Tschad für eine Verbesserung der Gesetzeslage im Bereich reproduktiver Gesundheit. Im letzten Jahr wurden mit Hilfe des Programms 110.000 Frauen sensibilisiert. Zielgruppen sind jedoch nicht nur Frauen und Frauennetzwerke, sondern auch religiöse und gesellschaftliche Anführer der Gemeinden. Die Frauen, die die Aufklärungsarbeit leisten, sind durchweg Freiwillige. Nach ihrer Motiva- Und, wie Dr. Olga Kajangu, CARE Mitarbeiterin und Leiterin des Programms, betont: „Wir fangen bei unseren Mitarbeiterinnen an. CARE hat in Gore fast 50% weibliche Angestellte – die Probleme, denen sie gegenüberstehen, sind die gleichen Probleme, die überall in der Gesellschaft herrschen. Durch den offenen Austausch wissen wir, wo wir ansetzen müssen.“ Nach der Rückkehr in die Hauptstadt stand für die Delegation ein letzter Höhepunkt, der gleichzeitig den Abschluss des Programms bildete, an: ein Treffen mit dem Premierminister der Republik Tschad, S.E. Kalzebeué Deubet. Der Premierminister begrüßte die Delegation im Namen von Staatspräsident Idriss Deby und dankte für den wichtigen Besuch und die Intensivierung der bilateralen Beziehungen. Er gab einen kurzen Überblick zu den letzten Entwicklungen in Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft und wies dann Frauen präsentieren ein typisches Gespräch zur Aufklärung. tion gefragt, antwortete Mama Therese, Vorsitzende der lokalen Frauenvereinigung: „Wir wollten etwas gegen die hohe Mütter- und Säuglingssterblichkeit unternehmen. Die Probleme sind allgegenwärtig. Mädchen müssen die Schule verlassen, weil sie schwanger sind. Viele infizieren sich mit HIV. Als wir begonnen haben, hatten wir zunächst weder das Wissen noch Unterstützung. Heute haben wir in unserem Netzwerk 333 Frauen in 24 Gruppen organisiert, die Aufklärung leisten. Training und Aufklärung sind die Waffen gegen unsere Probleme.“ Die Arbeit der Frauen konnte die Verhütungsrate in der Region inzwischen von 1,6 auf 5% erhöhen. Dies ist auch ein Ergebnis der guten Kooperation mit religiösen und gesellschaftlichen Autoritäten. Mit einem Rollenspiel verdeutlichten die Frauen anschließend, wie ein typisches Aufklärungsgespräch in einer Familie verläuft. Besuch beim Premierminister des Tschads, S.E Kalzebeué Deubet. auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen im April hin. Als problematisch betrachtete er den Einbruch der Wirtschaft durch den niedrigen Ölpreis und des wegen Boko Harams eingebrochenen Viehhandels. Zudem herrsche noch immer in fünf Regionen Mangelernährung und im Tschadseegebiet drohe eine humanitäre Krise. Bessere Bildung, vor allem auch für Mädchen, habe oberste Priorität. Der Premierminister drückte seinen Wunsch aus, die bilaterale Zusammenarbeit mit Deutschland wiederzubeleben, [NAME DES AUTORS] 12 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD und erwähnte hier besonders die Bereiche erneuerbare Energien, Bildung und Gesundheit sowie das große landwirtschaftliche Potenzial des Landes. ZUSAMMENFASSUNG Der Besuch der deutsch-luxemburgischen Delegation wurde im Tschad mit großer Begeisterung aufgenommen. Ein Bewohner des Rückkehrerlagers drückte sein Empfinden mit den Worten aus: „Wir haben Tränen der Freude in unseren Augen, wenn wir Sie hier sehen.“ Auf politischer Ebene stellt der Besuch, als erster seiner Art seit 2011, ebenfalls einen Höhepunkt dar – alle Seiten bekräftigten ihren Wunsch, den Austausch in der Zukunft fortsetzen zu wollen. Die CARE Studientour Tschad beschäftigte sich vertieft mit der Frage, wie Nothilfe für Flüchtlinge neben der Grundversorgung auch nachhaltig das Leben der Betroffenen verbessern kann. Gleichzeitig wurde deutlich, dass es ebenso essentiell ist, mittel- und langfristige Kooperationsansätze zu diskutieren. Gerade die Situation im Tschad trägt alle Züge einer langwierigen, vergessenen Krise – die Grenzen des kurzfristigen Instruments der Nothilfe wurden von allen Gesprächspartnern betont. Vor allem Mädchen und Frauen, als schwächste Glieder der Flüchtlingsgemeinschaft, leiden unter den außerordentlichen Umständen, die eine Flucht mit sich bringt. Die Reise in den Tschad hat gezeigt, dass diese besonderen Schwierigkeiten mit speziell auf Frauen zugeschnittenen Programmen abgemildert werden können. Wir hoffen, dass das Gesehene und Gehörte die politischen Entscheidungsträger dahingehend beeinflusst, die notwendige Diskussion um effektive Not- und Übergangshilfe sowie die dringend erforderliche Verbindung mit Entwicklungszusammenarbeit auch zu Hause weiterzuführen. EMPFEHLUNGEN Bekämpfung von Fluchtursachen • Fluchtursachen wie Konflikte, Menschenrechtsverletzungen und Armut sowie globale Probleme wie die Auswirkungen des Klimawandels erfordern politische Lösungen. Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit können die Folgen abmildern, jedoch nur begrenzt den Kernursachen entgegenwirken. • Gute Regierungsführung ist ein wesentlicher Faktor für die Verhinderung von Flucht. Es müssen alle politischen Instrumente, national und auf Ebene der EU, eingesetzt werden, um hier Verbesserungen zu fördern. Ein Mädchen im Rückkehrerlager Danamadja. • Krisenprävention und Friedenspolitik müssen zur Priorität werden, um in der Zukunft Konflikte frühzeitig zu erkennen und ihnen ganzheitlich zu begegnen. Dies erfordert auch eine enge Zusammenarbeit mit und Stärkung von lokalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. • Die Flüchtlingskrise ist ein globales Problem: Die Abstimmung von Strategien und Maßnahmen auf politischer Ebene muss sowohl bilateral als auch multilateral erfolgen. [NAME DES AUTORS] 13 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD • Deutschland und Luxemburg müssen aktiv darauf hinwirken, dass die Ziele der Agenda 2030 umgesetzt werden. Um dies zu gewährleisten, ist eine kohärente Politik für • Nothilfe muss die lokalen Verantwortlichen miteinbeziehen und Verbindlichkeiten schaffen. Für Flüchtlinge geschaffene Strukturen sind meist – auch aufgrund der Finanzierung – als kurzfristige Übergangslösungen konzipiert, entwickeln sich jedoch oft zu Dauereinrichtungen. • Die gezielte Unterstützung auch der Aufnahmeländer und ihrer Gesellschaften muss Teil jeder Versorgungsstrategie für Flüchtlinge sein. Dies gilt insbesondere für solche Staaten, die zu den am wenigsten entwickelten Ländern weltweit gehören. • Nothilfe muss mit einkommensfördernden Maßnahmen und langfristigen Perspektiven sowohl für die geflohenen Gruppen als auch die Gastgemeinden verbunden werden. Dies erfordert soziale, politische und ökonomische Lösungsansätze. • Langfristig muss politisch eingefordert werden, dass Flüchtlinge in die jeweiligen nationalen Entwicklungspläne eingebunden werden, um ihnen eine Perspektive zu geben und sie somit nicht dauerhaft abhängig von Hilfe zu machen. Frauen transportieren die Ernte zurück nach Danamadja. nachhaltige Entwicklung notwendig. Dies erfordert auch, dass bei Verträgen aus anderen Politikbereichen – z.B. im bilateralen Wirtschaftsbereich – Kriterien der sozialen Verträglichkeit sowie die Einhaltung der Menschenrechte erfüllt werden. Versorgung von Flüchtlingen in den Aufnahmeländern • Kurzfristige Krisen sind die Ausnahme. Langfristige Strategien müssen die bessere Verknüpfung von Nothilfe, Übergangshilfe und Entwicklungszusammenarbeit beinhalten. • Um das Überleben von Aufnahmegesellschaften und Flüchtlingen zu sichern, ist die Schonung der ohnehin knappen Ressourcen vor Ort essentiell. Die geographische Aufteilung der Flüchtlingssiedlungen muss daher möglichst umweltverträglich konzipiert werden. • Extremes Bevölkerungswachstum belastet die Ressourcen ebenfalls – hier müssen Programme zur Geburtenkontrolle und Familienplanung kombiniert mit besserer Ausbildung ansetzen. Frauen und Mädchen in Fluchtsituationen • Keine Initiative (einschließlich derer des privaten Sektors) darf geschlechterspezifische Ungleichheiten verschärfen oder die Menschenrechte verletzen. [NAME DES AUTORS] 14 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD • Gezielte Familienplanung kombiniert mit massiven Investitionen in das Gesundheitssystem und die Ausbildung der Gesamtbevölkerung ist notwendig, um Mädchen und Frauen in die Lage zu versetzen, selbst über ihr Schicksal zu bestimmen. • Frauen auf der Flucht befinden sich in einer besonderen Härtesituation. Alle durchgeführten Programme müssen diesen besonderen Bedarf adressieren. • Die persönliche Sicherheit von Mädchen und Frauen in Fluchtsituationen muss verbessert werden. Dazu gehört, dass sexueller Ausbeutung, Zwangsheirat, Kinderehen, häuslicher Gewalt und Ausbeute durch Arbeit aktiv entgegengewirkt wird. • Die spezielle Förderung von Frauen und Mädchen ist ein wesentlicher Treiber in der Entwicklung der Gesamtgesellschaft. Hier müssen Programme gezielt ansetzen. • Die Gesundheitsversorgung von Frauen und Mädchen, speziell im reproduktiven Bereich, muss wesentlich verbessert werden. • Frauen müssen eine gewichtige Stimme in politischen Prozessen bekommen – national und international. Empfehlungen zur Finanzierung von Entwicklung • Deutschland muss seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen und 0,7% des BNE für Entwicklungszusammenarbeit in den Entwicklungsländern bereitstellen. • Die Planung für die Finanzierung des Klimaschutzes muss erarbeitet werden, um den deutschen Anteil der ab 2020 zugesagten Mittel (gesamt 100 Milliarden USDollar) bereitzustellen. BNE für ODA zur Verfügung zu stellen, und drängen auf die weitere Programmierung dieser Mittel über die Direktion für humanitäre Angelegenheiten und Entwicklungszusammenarbeit. • Deutschland muss weiterhin auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf spekulative Finanzgeschäfte hinarbeiten und die Einnahmen für Armutsbekämpfung bereitstellen. • Die Vergabe von Entwicklungshilfegeldern an Transit- und Herkunftsländer darf nicht von der Kooperation bei Grenzkontrollen oder Rückführungsabkommen abhängig gemacht werden: Migration kann nur durch menschenwürdige Lebensverhältnisse beeinflusst werden, nicht durch restriktive Maßnahmen. • Dass verschiedene EU-Mitgliedsstaaten die Versorgung von Flüchtlingen im Inland aus ihrem Entwicklungshilfebudget finanzieren, ist inakzeptabel. Deutschland und Luxemburg müssen dieser Entwicklung aktiv entgegenwirken. Mit jeder neuen Krise geraten die älteren, schon länger anhaltenden Krisen in Vergessenheit und sind in der Folge chronisch unterfinanziert. Hier besteht ein dringender Bedarf an mehr Zuverlässigkeit und längerfristiger Finanzierung. • Auf EU-Ebene müssen Deutschland und Luxemburg ihren politischen Einfluss dafür nutzen, sich für einen verantwortungsvollen und transparenten Einsatz der Mittel aus dem Valetta-Treuhandfonds einzusetzen. Bei allen Finanzierungen muss ein gezielter Menschenrechtsansatz verfolgt werden. Neue Finanzierungen müssen mit laufenden bilateralen sowie regionalen Programmen zur Entwicklungsfinanzierung kohärent sein. • Wir begrüßen das fortgesetzte Engagement der luxemburgischen Regierung, 1 % des [NAME DES AUTORS] 15 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD PROGRAMM TAG 1: POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN 8:30 Willkommensfrühstück mit Sicherheitsbriefing durch Patrice Brombeck 9:00 Treffen mit internationalen Akteuren Fr. Yoko Fujimura, Leiterin Programme, IOM Hr. Jose Fischel de Andrade, stellvertretender Leiter, UNHCR Hr. Marcel Ouattara, stellvertretender Leiter, UNICEF Hr. Alio Namata, Leiter Programme, CARE International Tschad 11:00 Treffen mit Moussa Adji Maye, Generaldirektor im Ministerium für Planung und internationale Kooperation 12:30 Mittagessen mit Vertretern der EU Dr. Martin Wiese, stellvertretender Leiter der EU-Delegation Hr. Pierre Houpikian, Abteilungsleiter Politische Angelegenheiten, EU-Delegation Hr. Olivier Brounant, Leiter ECHO 14:30 Treffen mit Abgeordneten des tschadischen Parlaments Hr. Moussa Kadam, MP, 1. Stellvertretender Präsident des Parlaments Hr. Adjedoue Weidou, MP, Präsident des Auswärtigen Ausschusses Dr. Jacques Laouhingamaye Dingaomaibe, Mitglied der tschadisch-deutschen Freundschaftsgruppe Fr. Hadjé Zara Affono, MP Fr. Fatime Abdramane Doubangar, MP Fr. Alboukhari Habsita Souleymane, MP Hr. Gali Massa Harou, beigeordneter Generalsekretär des Parlaments Hr. Adoum Guemessou, Direktor des Kabinetts des Parlamentspräsidenten Hr. Kaguer Darbo, Berater des Auswärtigen Ausschusses 16:00 Briefing mit deutschen Organisationsvertretern Hr. Rico Langeheine, Auftragsverantwortlicher, GIZ Hr. Herbert Beckmann, Repräsentant, Diakonie Katastrophenhilfe Hr. Vincent Hendrickx, Direktor, Misereor [NAME DES AUTORS] 16 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD 18:30 Empfang in der deutschen Botschaft – rund 80 Gäste aus Diplomatischem Corps (unter anderem der amerikanische Botschafter und die Botschafterinnen von Frankreich sowie der EU) und VN, tschadischer Regierung sowie dem Bürgermeister von N‘Djamena, Parlamentarier, internationale und nationale NGOs TAG 2: UMGANG MIT VERGESSENENEN KRISEN, 10 JAHRE KRIEG IN DARFUR 7:00 Flug nach Abeche (Ost-Tschad) 9:30 Treffen mit dem Gouverneur von Abeche, Hrn. Abadi Sair Fadoul 11:00 Besuch eines GIZ-Projektes (Übergangshilfe) im Wadi Shok unter Führung des Auftragsverantwortlichen, Hrn. Eric Francois 12:30 Mittagsimbiss im Feld 13:30 Treffen mit Verantwortlichen des Welternährungsprogramms, Hrn. Ousmane Mariko 15:00 Rückflug nach N’Djamena 17:00 Pause 19:00 Abendessen mit den Menschenrechtsaktivisten Hrn. Baldal Oyamta (Ligue Tchadienne des Droits de l’Homme, LTDH) und Oyal Ngarassal (Public Interest Law Center, PILC) moderiert von Dr. Helga Dickow, Tschad-Expertin und Mitglied des CAREProgrammbeirats TAG 3: FLÜCHTLINGSREALITÄTEN AKUT: FLÜCHTLINGE, RÜCKKEHRER, IDPs 7:00 Flug nach Moundou (Süd-Tschad) 9:00 Fahrt nach Gore 11:00 Treffen mit dem Präfekten von Gore 12:00 Projektbesuche im Danamadja Rückkehrerlager: Kommission Gerechtigkeit und Frieden, Programm von CRS Einkommensschaffende Maßnahmen des Lutherischen Weltbundes Bargeld-Gutschriften und Lebensmittelverteilung des Welternährungsprogramms 15:30 Fahrt nach Moundou 18:30 Abendessen (mit Reflexion) 19:00 Treffen mit dem Menschenrechtsaktivisten Djeralar Miankeol und Parlamentsabgeordneten Pasteur Mbaidessemel Dionadji [NAME DES AUTORS] 17 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD TAG 4: WAS BRINGT DIE ZUKUNFT 9:00 Abfahrt vom Hotel 9:30 Projektbesuch im Dorf Mbacoro: CARE Kleinspargruppe (VSLA) 10:40 Projektbesuch im Mbacoro Gesundheitszentrum: CARE SAF-PAC - Familienplanung und Müttergesundheit 12:00 Rückfahrt nach Moundou 12:30 Pause und Mittagsimbiss 13:40 Transfer zum Flughafen, Rückflug nach N’Djamena 15:30 Treffen mit dem Premierminister der Republik Tschad, S.E. Kalzeubé Pahimi Deubet 19:00 Abendessen (mit Reflexion) 22:30 Transfer zum Flughafen 23:55 Rückreise nach Paris [NAME DES AUTORS] 18 BERICHT ZUR CARE STUDIENTOUR TSCHAD CARE möchte sich bei allen bedanken, die diese Studientour in den Tschad zu einem Erfolg gemacht haben. Im speziellen gilt unser Dank den Partnern vor Ort, die uns mit großer Herzlichkeit ihre Zeit geopfert haben. Weiterhin möchten wir uns bei der Bill & Melinda Gates Foundation für die großzügige finanzielle Unterstützung bedanken. Für die bessere Lesbarkeit sind sämtliche personenbezogene Bezeichnungen in diesem Bericht geschlechtsneutral zu verstehen. Alle Bilder in dieser Publikation wurden von Josh Estey aufgenommen. Bei Fragen, Anmerkungen oder Interesse an einer zukünftigen Tour wenden Sie sich bitte an CARE Deutschland-Luxemburg e.V. Anica Heinlein - Advocacy Referentin CARE Studientouren 0228 – 9 75 63 33 • [email protected] [NAME DES AUTORS] 19