Brennende Herzen

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AZTEKEN – KRIEGERISCHE GELEHRTE
Die Azteken sind für ihre grausamen
Menschenopferungen berühmt, doch nicht
jeder findet die Beweise dafür glaubwürdig.
Wie brutal waren die Indianer wirklich?
Aztekisch-mixtekisches
Opfermesser mit
Klinge aus dem Halbedelstein Chalcedon
15. bis 16. Jh.
Brennende
Herzen
ten,
und jeder wurde auf andere Weise milde gestimmt.
Im 20-Tage-Rhythmus des Kalenders gab es für alle Gottheiten etwas zu
holen. Manchen reichte Gebäck, für anVon DANIEL SANDER
dere gab es Schmuck oder das Blut von
ie Germanen haben es ge- Kolibris. Den meisten aber wurden Mentan, die alten Slawen, die schen geschenkt.
Griechen, die Punier und
die Kelten. Aus fast jeder Azteken-Darstellung der
antiken Kultur sind Be- enthaupteten Mondrichte über Menschenopfer überliefert, göttin (nachkolound fast niemand findet das überra- riertes Relief)
schend. Denn dort, wo die Menschen ihr
Glück von der Gemütslage einiger wankelmütiger Götter abhängig gemacht haben, neigten sie auch dazu, eben jene Götter mit möglichst wertvollen Opfergaben
zu besänftigen – und nichts ist so wertvoll wie ein menschliches Leben, das fanden alle Völker, auch die Azteken.
Diese Indianer, die sich selbst „Mexica“ nannten, gelten allerdings heute
noch als die grausamsten und maßlosesten von allen, wenn es um die rituelle
Opferung von Menschen geht. Als die
spanischen Eroberer – selbst nicht gerade zartbesaitet – 1519 erstmals die Tempel der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan betraten, soll ihnen übel geworden
sein vom Geruch verbrannter Herzen
und blutgetränkter Wände. Der Konquistador Bernal Díaz del Castillo schreibt
in seinem Augenzeugenbericht von
„grässlichen und abscheulichen Bräuchen“, die man in keinem anderen Teil
der Welt je gesehen habe.
Die Azteken kannten viele Götter mit
den unterschiedlichsten Zuständigkei-
D
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Am bekanntesten ist das Ritual für den Kriegs- und Sonnengott
Huitzilopochtli, der als Schutzpatron
der Hauptstadt Tenochtitlan intensiv
umsorgt wurde. Dazu musste das spätere Opfer zunächst den Templo Mayor
hochsteigen, die Hauptpyramide, an deren Spitze vier Priester warteten, um
den Todgeweihten auf einen kniehohen
Steinblock zu legen und an allen Gliedmaßen festzuhalten. Mit einem Messer
aus Obsidian schnitt ein Priester dem
Opfer nun unterhalb der Rippen die
ART RESOURCE (L.O.); AKG / DE AGOSTINI PICTURE LIBRARY (R.O.)
Spanische Darstellung einer
aztekischen Opferzeremonie
Mexiko, 16. Jh.
Brust auf und riss ihm das noch schlagende Herz heraus. Letzteres wurde erst
ins Sonnenlicht gehalten und dann in
eine sogenannte Adlerschale gelegt und
verbrannt. Die Leiche stieß man die
Tempeltreppe hinunter. Teile des Körpers wurden anschließend in einer feierlichen Zeremonie verspeist.
Die Idee dahinter war, den großen
Kriegsgott an seinen Triumph über seine
Halbschwester zu erinnern, die Mondgöttin Coyolxauhqui. Dem Mythos nach
hatte die nämlich einst versucht, mit Hilfe ihrer 400 Brüder die gemeinsame
Mutter zu ermorden, als diese gerade
mit ihm, Huitzilopochtli, schwanger war.
Rechtzeitig zum Mordanschlag auf dem
„Schlangenhügel“ kam der Kriegsgott
aber in voller Kämpfermontur zur Welt,
brachte die 400 Brüder um und zerstückelte seine Schwester. Ihre abgetrennten Gliedmaßen schleuderte Huitzilopochtli den Hügel hinab, ihren Kopf da-
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gegen in den Himmel, wo er zum Mond
wurde.
Auf die Opfer für den Fruchtbarkeitsgott Xipe Totec warteten darüber hinaus
nekrophile Riten. Sie wurden an einen
Pfahl gefesselt, mit Pfeilschüssen getötet
und gehäutet. Die getrocknete Haut trug
ein Priester dann für die restlichen 20
Tage des Opfermonats als Gewand. Davon erhoffte man sich unter anderem
eine bessere Maisernte.
chen Hochzeitsfeier ein Priester in der
Haut dieser Tochter tanzte. Achitometl
soll danach gar nicht mehr gut auf die Azteken zu sprechen gewesen sein und sie
aus seinem Reich gejagt haben.
Für den besonders mächtigen und als
notorisch schlechtgelaunt bekannten
Nacht- und Todesgott Tezcatlipoca wurden Gladiatorenkämpfe veranstaltet, in
denen die Opfer ohne Rüstung und mit
einer Waffenattrappe gegen tapfere und
voll ausgestattete Krieger antreten mussSchon zu Beginn des 14. Jahrhun- ten. Immerhin wurden sie freigelassen,
derts, als die Azteken noch kleine Em- wenn sie entgegen aller Wahrscheinlichporkömmlinge waren, befremdeten sie keit den Kampf gewonnen hatten. Gemit diesem Ritus Freunde und Feinde, opfert wurde dann eben ein Krieger.
Die Methoden schienen grenzenlos
darunter den Herrscher Achitometl, an
dessen Volk die Azteken damals noch Tri- in ihrer Grausamkeit. Zu Ehren des Feubut zahlen mussten. Als Zeichen seiner ergotts Huehueteotl hat man die Opfer
Freundschaft hatte er eingewilligt, seine lebendig verbrannt. Für die LandwirtTochter mit dem aztekischen Anführer schaftsgöttin Chichomecoatl mussten
zu verheiraten – und musste dann angeb- junge Frauen geköpft werden. Und für
lich mitansehen, wie auf der vermeintli- den Regengott Tlaloc machte man sogar
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vor Kindern nicht halt – da Kindertränen den erhofften Regen symbolisierten,
wurden die Kleinen auf Berggipfel verschleppt und per Herzentnahme oder
mit Pfeilschüssen umgebracht.
Unklar ist, in welchem Ausmaß geopfert wurde. Übertreibungen gibt es
jede Menge: Zur Weihe des berühmten
Templo Mayor im Jahr 1487 soll der damalige Herrscher Ahuitzotl laut sehr
viel späteren Berichten über 80 000
Menschen eigenhändig das Herz herausgerissen haben. Demnach hätte der König an vier Tagen hintereinander rund
um die Uhr mehr als ein Dutzend Menschen pro Minute umgebracht. Andere
Quellen sprechen von 4000 Opfern.
Die Schätzungen zur jährlichen Gesamtzahl rangieren zwischen knapp unter 100 bis hin zu 250 000. Als realistisch
gelten heutigen Forschern eher die niedrigen Zahlen.
Es gibt allerdings auch Wissenschaftler, die den gesamten Menschenopferkult bei den Azteken für einen Mythos
halten. Der Schweizer Anthropologe Peter Hassler etwa macht vor allem spanische Propaganda für den schlechten Ruf
verantwortlich. Weil die Indianer selbst
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kein Alphabet kannten und ihre Chroniken in einer Bilderschrift verfasst haben,
stammen die ersten geschriebenen Berichte über die Opferungen alle aus der
Hand der Kolonialherren. Und die hatten
natürlich ein Interesse daran, das soeben
unterworfene Volk als eine blutrünstige
Horde von Wilden und sogar Kannibalen
darzustellen.
Bernal Díaz del Castillo zum Beispiel schildert in einer Passage seines
immer wieder zitierten Berichts detailliert, wie er die Opferung 50 spanischer
Kameraden auf dem Templo Mayor beobachtet haben will („... rissen ihnen das
Herz noch zuckend heraus und boten es
den Götzen dar“). Zu dem Zeitpunkt
stand er allerdings knapp acht Kilometer
entfernt in einem sicheren spanischen
Lager. Es wird schwer gewesen sein, von
dort aus irgendetwas zu erkennen, zumal das Fernrohr im Jahr 1520 noch
nicht erfunden war.
Auf den gemalten Chroniken der Azteken selbst, dem berühmten Codex Magliabecchiano etwa, finden sich ebenfalls
sehr viele blutige Opferszenen. Allerdings wurden die allermeisten Codices
aus der eigentlichen aztekischen Ära
von den Spaniern zerstört, so dass heute
fast nur postkoloniale Werke erhalten
sind, die zwar von Indianern, aber unter
europäischer Aufsicht und auf europäischem Papier gezeichnet wurden. Anthropologe Hassler glaubt nicht, dass die
Bilderschriften der Azteken eins zu eins
gelesen werden dürfen, also dass jede
dargestellte Enthauptung auch einen tatsächlich abgetrennten Kopf bedeutet.
Stattdessen hätten sie auf Metaphern
und Symbole zurückgegriffen: Der Getötete auf dem Bild war womöglich nur
die personifizierte Version einer Krankheit, die bekämpft werden sollte.
Aus medizinischer Sicht erscheint es
außerdem fragwürdig, dass die Priester
mit ihren relativ primitiven ObsidianMessern so einfach an die Herzen der
Opfer gelangen konnten. Wenn heutige
Chirurgen für eine Operation das Herz
freilegen, trennen sie den Brustkorb mit
einer elektrischen Säge auf.
Echte archäologische Indizien für den
Opferkult sind selten. Aber es gibt sie: Da
ist der abgetrennte, auf einer Art Teller
abgelegte Schädel, der im vergangenen
Jahr an der Ausgrabungsstätte des Tem-
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CULTURE-IMAGES / UIG
Der Gott der Finsternis opfert einen Menschen der Eulengöttin Aus dem präkolumbischen Codex Cospi
AZTEKEN – KRIEGERISCHE GELEHRTE
plo Mayor gefunden wurde. Da sind die
42 Kinderskelette, die dort entdeckt wurden. Wo einmal die Azteken-Stadt Zultepec stand, haben Archäologen die Überreste von rund 400 Menschen gefunden.
Das deckt sich mit Überlieferungen, nach
denen Azteken-Krieger dort im Jahr 1520
über 550 Gefolgsleute des Konquistadoren Pánfilo de Narváez gefangen nahmen,
opferten und verspeisten.
DE AGOSTINI PICTURE LIBRARY / AKG
Als relativ gesichert gilt auch die
Theorie, dass die Azteken regelmäßig
sogenannte Blumenkriege veranstaltet
haben – Feldzüge, die nicht zur Eroberung anderer Gebiete gedacht waren,
sondern nur zur Ergreifung möglichst
vieler Kriegsgefangener, die man später
opfern wollte. Die besten aztekischen
Kämpfer sollen speziell ausgebildet gewesen sein, ihre Gegner eben nicht zu
töten, sondern immer lebendig gefangen
zu nehmen. Vor allem der als extrem
blutrünstig verschriene Herrscher
Ahuitzotl war neben seinem unbändigen Willen, das Reich zu vergrößern, für diese Art der
Kriegsführung bekannt. Kleineren gegnerischen Völkern
wurde deshalb statt einer
kompletten Unterwerfung
gern eine gewisse Souveränität
gelassen, damit man sie bei Bedarf immer wieder angreifen konnte, um sich frisches menschliches Opfermaterial zu besorgen. So steht es zumindest in den aztekischen Quellen. Die
betroffenen Städte hingegen stellen es
so dar, dass die Azteken es einfach nie
geschafft haben, sie ganz zu erobern.
Es glauben allerdings nicht mehr viele Forscher an die These, dass die Hauptmotivation der Menschenopferungen im
späteren Verspeisen der Überreste lag,
um einen angeblich chronischen Eiweißmangel der Azteken auszugleichen. Sie
hielten sich zwar außer Vögeln keine
Nutztiere, doch Kannibalismus wurde
wohl nur zu rituellen Zwecken praktiziert. Es gab keine Gelage, in denen sich
alle um die besten Stücke prügelten, sondern feierliche Festmahle für die Priester und für die Krieger, die das Opfer
vorher selbst gefangen hatten.
Nicht alle Opfer aber waren Kriegsgefangene. Auch Sklaven mussten die
Tempeltreppen hochsteigen. Und manche meldeten sich sogar freiwillig. Für
Priester des Todes
Aztekische Lehmfigur,
14. bis 16. Jh.
ein spezielles jährliches Opfer zu Ehren
des Nachtgottes wurde ein regelrechtes
Casting veranstaltet. Nur der stärkste,
schönste und tapferste Auserwählte galt
als würdig, ein Jahr lang das menschliche Ebenbild der dunklen Gottheit
darzustellen. Dieses eine Jahr lebte er
in Saus und Braus, es wurden ihm vier
Frauen zur freien Verfügung zur Seite
gestellt, und er konnte sich der ständigen
Ehrerbietung seiner Mitmenschen ge-
wiss sein. Am Ende wurde ihm dann
zwar auch bei lebendigem Leibe das
Herz herausgerissen, aber immerhin verblich er als Held.
Überhaupt erfuhren alle Opfer, ob Gefangener, Freiwilliger oder Sklave, eine
große Wertschätzung und wurden bis zu
ihrem schmerzhaften Ende sehr gut behandelt. Niemand sollte auf dem Weg
zur Tempelspitze verhöhnt werden, stattdessen konnte man in seinen letzten Minuten mit einer Welle von Dankbarkeit
und Zuneigung rechnen. Gleichzeitig
durfte man sich auf einen Aufenthalt in
einem komfortablen Premium-Jenseits
freuen, denn die Azteken glaubten daran,
dass alle geopferten Menschen – wie
auch die gefallenen Krieger und die im
Kindbett verstorbenen Frauen – nach ihrem Tod in einem Paradies landen würden, in dem sie vier Jahre lang die Sonne
begleiten, bevor sie als Schmetterlinge
oder Vögel wieder auf die Erde zurückkehren. Wer zu Hause friedlich in seinem Bett das Zeitliche segnete, musste dagegen erst mal neun Jahre lang
grässliche Prüfungen in der Unterwelt bestehen, bevor er ins eigentliche Jenseits gelangte.
Besonders verstorbenen
Kindern wurde eine Sonderbehandlung nach dem Tod versprochen, weswegen sich angeblich so viele Eltern fanden, die ihren Nachwuchs
freiwillig als Opfer für den Regengott
Tlaloc zur Verfügung stellten. Grundlage des Glaubens war die Vorstellung,
dass sich die Götter einst selbst für die
Menschen geopfert hatten, um Sonne,
Erde und Mond überhaupt zu erschaffen. Dafür galt es nun entsprechende
Dankbarkeit zu zeigen.
So blutig und gruselig diese Religion
auch aus heutiger Sicht wirkt, hatte sie
doch auch ganz praktische Vorzüge. Da
sie den Göttern schließlich das Kostbarste auf der Welt überhaupt gaben, fürchteten sie sich kaum und erwarteten stattdessen angemessene Gegenleistungen.
Die Götter konnten so durchaus selbst
in die Defensive geraten. Wenn die Wünsche nicht erfüllt wurden – wenn der Regen trotz der Kinderopfer ausblieb oder
die Ernte missriet – durfte man den jeweiligen Gott ruhig mit Liebesentzug
strafen. Dann bekam er beim nächsten
Mal nicht so viele Opfer, oder man hat
die entsprechende Statue gleich mit ein
paar Peitschenhieben bedacht. Es war ein Geben
und Nehmen.
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