Das Klingeln im Ohr - Goethe

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Das Klingeln im Ohr
Ursachen
U
h und
d
Therapiemöglichkeiten
von Tinnitus
Holger Stark
Institut für Pharmazeutische Chemie
Johann Wolfgang Goethe-Universität, Biozentrum
E-Mail: [email protected]
pharmazie forum 2010, Schladming, 24. Jänner 2010
1
Subtitel
Unter welchen gesundheitlichen Beeinträchtigungen
leiden Sie häufig bzw. dauerhaft? – Top 10
Tinnitus, Ohrgeräusche
2
1
Nur meine Ohren,
die sausen und brausen
Tag und Nacht fort,
ich kann sagen,
ich bringe
mein Leben elend zu.
Ludwig v.
v Beethoven
3
Tinnitus
Gliederung:
• Einteilung / Charakteristika
• Auftreten und Häufigkeit
• Pathophysiologie
• Medikamentöse Therapien
• Andere Heilverfahren
• Therapieverfahren in der Pipeline
• Zusammenfassung
Tinnitus (lat. tinnire = klingeln)
Def. Ohr- und Kopfgeräusche ohne äußere Schallquelle
4
2
Tinnitus
Geschichte
Nicht-existierende Töne als Ankündigung des baldigen Todes
Sturm im Ohr
Altes Babylonien - 1500 v. Chr.
Wenn die Hand des Geistes einen Mann ergreift und seine Ohren singen,
sollst Du Myrrhe zerreiben, in Wolle einrollen, mit Zedernblut besprenkeln
und darauf den nötigen Zauberspruch zitieren
Aristoteles – Altes Griechenland 300 v. Chr.
Warum hört das Summen in den Ohren auf, wenn jemand ein
Geräusch macht?
Paracelsus – Grossenn Wundarztney um 1500
starker Lärm als Verursacher von Gehörlosigkeit und Tinnitus
5
Tinnitus
Ich höre was, was Du nicht hörst.
¾ Phantomartige Geräuschwahrnehmung
ohne akustisches Korrelat
eine störende bzw.
bzw schmerzhafte Empfindung
¾ Pfeifen, Klingeln, Summen, Zirpen
Zischen, Knacken, Rauschen, Brummen
(tonal)
(nicht-tonal)
¾ Rhythmisch-pulsierend oder gleichbleibend
individuell unterschiedlich
¾ Keine Krankheit, eher Symptom bzw. Syndrom
(>93% hörgesunde Probanden nach 5 min im schallisolierten Raum Æ Tinnitus)
6
3
Tinnitus
Häufigkeit
Österreich:
ca. 800.000 mit Tinnitus-Beschwerden
10-20% chronischer Tinnitus
Auch Kinder und
Jugendliche
betroffen
Tinnitushäufig
gkeit
[‰]
25 – 50% der Bevölkerung
haben eine Tinnitus-Erfahrung
Deutschland:
ca. 10 Mio. mit Tinnitus-Beschwerden
ca. 2,7 Mio Behandlungsbedürftige
ca. 304 000 Neuerkrankungen/a
Männer
< 45 J. 45-64 J. 65-74 J. > 75 J.
Alter
(stark schwankende Zahlenwerte in der Literatur)
7
Frauen
Lockwood et al. N. Engl. J. Med. 2002, 347, 904
Tinnitus - Einteilungen
Tinnitus
mit und ohne Hörverlust
Objektivierbarkeit
- Objektiver
j
Tinnitus ((von außen wahrnehmbar),
),
Gefäßmissbildungen, sehr selten (0,01%)
- Subjektiver Tinnitus (ICD-10 WHO)
Tinnitus aureus – Innenohrgeräusche
Tinnitus cerebri – Kopfgeräusche
60% bilateral, 40% unilateral
Lautstärke ≈6,3
≈6 3 (subj.
(subj Skalierung Patient: 1 – leise … 10 – sehr laut)
Verlaufsdauer
- akut
- subakut
- chronisch
< 3 Monate
3 – 6 Monate
>6 (12) Monate
8
4
Grad I
Kompensiertes Ohrgeräusch,
kein Leidensdruck
35-40
Grad II
Tinnitus wird hauptsächlich in Stille
wahrgenommen,
wirkt störend bei Stress und
psychisch-physischen Belastungen
11-17
Grad III
Dauernde Beeinträchtigung im
privaten und beruflichen Bereich,
Störungen im emotionalen, kognitiven
und körperlichen Bereich
~8
Grad IV
Völlige Dekompensation
im privaten Bereich
0,5
Einteilung nach Leidensdruck, nicht nach empfundener Lautstärke.
Kompensiert
Häufigkeit
[%]
Dekompe
ensiert
Tinnitus
Schweregrade
=
9
Tinnitus
Erkrankungen als Auslöser
Ohr
Morbus Meniere (Drehschwindel), Cochleaverletzungen (Lärm),
Hörsturz,, Cerumenverfestigung
g g ((Ohrschmalzblockade),
), Otitis
Kopf
HWS-Schleudertrauma, Schädelfraktur, Kiefer-OP
Psyche
Depression, Angstsymptomatik
Metabolismus
Schilddrüsenfehlfunktion, Hyperlipidämie, Vit.-B12-Mangel
Kreislauf
Hypertonie, Artheriosklerose, Kapillarschäden
Infektion
10
5
Tinnitus
Hauptauslöser [%]
Lärm; 23,6
Unbekannt;
42,6
H l /N k
Hals/Nackenbeschwerden;
16,7
Ohrbeschwerden; 7
Diverse; 9,6
Operationen;
1,6
Stress; 2,5
Medikamentös;
3,4
Andere
Erkrankungen;
7,2
Tinnitus Archive.org 1981-1994 (Mehrfachnennungen möglich)
11
Tinnitus
Medikamentöse Auslöser
Analgetika
Salicylate (ASS), NSAR
Antibiotika
Aminoglycoside, Chloramphenicol, Erythromycin, Tetracycline,
Vancomycin
Schleifendiuretika
Furosemid, Bumetanid, Ethacrynsäure etc.
Chemotherapeutika
Methothrexat, Cisplatin, Bleomycin, Vincristin etc.
Malariatherapeutika
Chinin, Chloroquin etc.
Æ Nahezu immer reversibel
(nach Absetzen)
12
6
Tinnitusempfinden
Teufelskreis
Verstärktes
Störempfinden
Sensibilisierung
Ruhe,
geräuscharme
Umgebung
Tinnitus
Hyperakusis
Hörstörungen
Erhöhtes
Ruhebedürfnis
13
Tinnitus
Teufelskreis
Physische
und psychische
Dekompensation
Verdrängung anderer
Empfindungen
Stress
Angst,
Depression
Schlafstörungen
Tinnitus
Hyperakusis
Hörstörung
Fokussierung der
A f
Aufmerksamkeit,
k
k it
Ruhebedürfnis
Verstärkte
Muskelanspannungen
Negative
Bewertung
14
7
Tinnitusdiagnostik
HNO-Arzt
Ausführliche Anamnese
Physische
Ph
i h U
Untersuchung
h
Otoskopie, Hals/Kopf-Untersuchung,
evtl. MRT/CT/Sonographie
Audiometrie
Tonhöhe, Klangcharakter, Bandbreite, Lautheit
Fragenkataloge
Strukturiertes Tinnitus-Interview (STI)
Tinnitus-Fragebogen (TF)
Mini-Tinnitus-Fragebogen (Mini-TF12)
15
16
8
Anatomie des Hörens - einfach
Tinnitusursache – “Durchblutungsverminderung“ des Innenohrs (90-95%)
Innenohrschädigung…Lärm…Stress…etc.
17
Anatomie des Hörens II
15.000 Sinneszellen
18
9
Anatomie des Hörens III
Cortisches Organ = eigentliches Hörorgan
- schwingungsfähigen Membran
- Sinnes- und Stützzellen sowie Tektorialmembran
- Äußere Haarzellen steuern und verstärken die sog. Wanderwelle
(→ im Innenohr durch Schall ausgelöst)
- Innere Haarzellen wandeln Schallenergie in elektrische Impulse um
→ Information wird auf Fasern des Endnervs übertragen
→ über den Hörnerv erfolgt die Weiterleitung zum Gehirn
Stereozilien
Äußere Haarzelle
Efferente Synapse
Stützzelle
Basilarmembran
15.000 Sinneszellen
19
Wir hören mit dem Gehirn
und nicht mit den Ohren!
20
10
Plastizität
des
Hörempfindens
Emotionen,
Emotionen,
Bewertungen
Bewertungen
Emotionen,
Emotionen,
Abwehr, Angst
Abwehr,
Angst
Psychische Alteration,
Psychische
Alteration,
Übererregung
Übererregung
Botenstoffe:
Limbisches System
Thalamus
Auditorisches Kortex
Glutamat
Ca2+
Collicus
inferior
Glycin
GABA
ACh
Nucleus
cochlearis
Lärm,
Degeneration
Æ Chronifizierung
21
Therapie akuter Tinnitus
Eiltherapie beim HNO-Arzt
1. Infusion (Kochsalz, Zucker, Pentoxifyllin
Plasmaexpander,
Plasmaexpander Hydroxyethylstärke (AES)….)
(AES) )
2. Glucocorticoide (3+7 Tage)
3. Kombination 1+2
4. Entfernung des Ohrschmalzpropfs
5. Lidocain/Procain-Therapie
6. Hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) 150 €
Ziele des
antiphlogistisch-rheologischer Ansatzes:
Schwellung ↓,
Mikrozirkulation ↑
Æ Versorgungsverbesserung
der Haarzellen
Patientenhinweise:
− (Innere) Ruhe bewahren, eine Pause machen
− HNO-Arzt aufsuchen
− Reguläres Leben weiterführen
Fehlende evidenzbasierte Therapie
In den ersten 24 h höchste Ansprechraten
> 70% Heilungsrate (hohe Spontanheilungsrate)
22
11
Tinnitustherapeutika
Ginkgo biloba (z.B. EGb761®)
Einziges Arzneimittel mit der zugelassenen Indikation Tinnitus
Postulat: Durchblutungsfördernd (O2) durch Verminderung der Blutviskosität
(Ginkgoflavonglykoside, Terpenlaktone (Gigkolide, Biobalid))
19 Klinische Studien zeigen Vorteile für Ginkgo biloba im Vergleich zu Placebo
(führten zur Zulassung)
Klinische Studie (Drew und Davies, 2001)
-DBPC, 1121 Patienten über 4 Wochen
-In der Behandlungszeit Fragebögen zur Selbsteinschätzung
-Telefonbetreuung Æ keine positiven Wirkungen durch Beratung und Zuwendung
-Therapieende:
Verbesserung Placebo-Gruppe
9,4%
Verbesserung Ginkgo
Ginkgo-Gruppe
Gruppe
9
9,7%
7%
-2 Wochen nach Absetzen:
Verschlechterung Placebo-Gruppe 11%
Verschlechterung Ginkgo-Gruppe 13,3%
Cochrane-Metastudie 2006
-Es wurden 3 (von 13) Studien eingeschlossen
-Patienten mit cerebraler Insuffizienz
ÆKein signifikanter Beweis der Wirksamkeit bei Tinnitus,
weitere Untersuchungen notwendig
23
Off-Label-Use-Arzneistoffe
als potentielle Tinnitustherapeutika
Antiarrythmika
Lidocain
Tocainid
Flecainid
Mexiletin
Anxiolytika
Clonazepam
Alprazolam
Diazepam
Anticonvulsiva
Carbamazepin
Gabapentin
p
Lamotrigin
Valproinsäure
Vigabatrin
Tiagabin
Glutamatantagonisten
Acamprosat
p
Caroverin
Memantin
Gacyclidin
Antidepressiva
Amitriptylin
Trimipramin
Nortriptylin
Paroxetin
Sertralin
Fluoxetin
Verschiedene
Misoprostol
Atorvastatin
Nimodipin
Furosemid
Cyclandelat
Scopolamin
Sulpirid
Vardenafil
Melatonin
Kräuterzubereitungen
Vitamine
Mineralien
24
12
Chronischer/subchronischer Tinnitus
Somatogene / psychogene Ursachen
Somatogene Ursachen
Psychogene Ursachen
z.B. Haarzellschäden
z.B. Persönlichkeitsstrukturen,
Depression/Angststörungen
Æ Otogener Tinnitus
Æ Psychogener Tinnitus
Fehlschaltungen in Hörreizweiterleitungen/ZNS
Æ Chaos im Hören/Tinnitus
Aktuell keine medikamentöse Therapie verfügbar
Therapieansätze
− Krankheitssymptome lindern.
− Bei der Leidensbewältigung unterstützen.
− Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit der Patienten bessern.
25
Chronischer/subchronischer Tinnitus
Geräusche als Therapie – Maskierung/Noiser
Klassische Maskierung
g
Intensität
Anwendung
Dauer
Beratung
Modell
26
Verdeckung
bei Belastung
immer
Information
Stressreduktion
psychoakustisch
Teilmaskierung
g im Habituationsmodell
Teilverdeckung
möglichst häufig
bis Habituation eintritt
Angstabbau
Exposition
psychophysiologisch
nach Goebel, 2003, 2005
13
Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT)
Mehrdimensionale therapeutische Implikationen:
1. Counseling (Beratung/Aufklärung)
2. Psychologische Betreuung
3. Entspannungstechniken
4. Geräteversorgung
HNO-Arzt / Psychologe / (Sporttherapeut) / Hörgeräteakustiker etc.
Dauer: 1-2
1 2 Jahre oder länger
A) Kognitives Verhaltenstraining als Gewöhnung und Lernen im Umgang
B) Noiser/Rauschgerät meist inkl. Hörgerät
Beurteilung:
patientenorientiert, langwierig, kostenaufwendig,
übersichtliche Erfolgsbilanz
ohne klare klinische Studienlage
27
Therapie chronischer/subchronischer Tinnitus
Maßgeschneiderte Musiktherapie
Musikbehandlung
Frequenzband von einer Octave
wurde um die individuelle
Tinnitusfrequenz entfernt
Placebo-kontrollierte Kleinstudie (23 Patienten) (Variation Tomatis-Therapie)
Nach 6 und 12 Monaten 100% Verumgruppe („target notched music“)
deutliche Besserungen.
Æ Effektive Niedrigkostentherapie
28
Okamoto et al. PNAS 2010, in press
14
Weitere Tinnitustherapien
¾ Cochlea-Implantat
¾ Transkranielle Magnetstimulation
¾ Akkupunktur
¾ Entspannungstechniken
¾ Hypnotherapie
¾ Softlaserbestrahlung
¾ Klangtherapie / Musiktherapie.
29
Wirkstoffe in der Pipeline
Grundthese: Tinnitus hat ein biologisches Korrelat
Substanz
Target
Status
Firma
AM-111
JNK
Präklin.
Auris
Phase 1
Ipsen
NK-1 Cochlea
Phase 2
GSK
NMDA
Phase 2
Auris
Ebselen
GT-Peroxidase
Phase 2
Sound P.
Lidocain-TTS
Na+-Kanäle
Phase 2
Epicept
Neramexan
NMDA, nACh
Phase 3
Merz
Gingko biloba-Extrakt
Vestipitant
AM-101
?
30
15
Tinnitustherapeutikum
Neramexan
Stereozilien
Äußere Haarzellen
Efferente Synapsen
Ionenkanal-Hemmer:
• Glutamaterge NMDA-Rez.
• Nicotinerge ACh-Rez.
(α9α10)
• Serotonerge 5-HT3-Rez.
Stützzellen
Basilarmembran
NMDA-Rez.
nACh-Rez.
α9,α10-Untertypen
9 10 U t t
Neramexan
Neuroprotektion
Memantin
Cytoprotektion
Neramexan
NH2
NH2
(vergl. Salicylat-Tox.)
H3C
H3C
CH3
H 3C
H3C
CH3
CH3
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Tinnitustherapeutikum
Neramexan
Stereozilien
Äußere Haarzellen
Efferente Synapsen
Stützzellen
Basilarmembran
Studie:
DBPC – Phase 2, 150 Patienten (Placebo, 25/50/75 mg/d)
Ionenkanal-Hemmer:
• Glutamaterge NMDA-Rez.
• Nicotinerge ACh-Rez.
(α9α10)
• Serotonerge 5-HT3-Rez.
Veränderung im Mini-TF12-Score
Mini TF12 Score
nach 16 Wochen bei subakutem Tinnitus (Skala 0-24, Basisline 14.1-14.9, ∆ abs. 2.2-4.2)
Placebo
Neramexan 25mg/d
Neramexan 50mg/d
Neramexan 75mg/d
n
50
45
45
41
∆[%]
-9,2
-9,2
-17,5
-14,2
Æ Aktuelle Phase-III-Studie
(2010/2011 Zulassungsantrag
erwartet)
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Häufige und Lebensqualität-beeinträchtigendes Symptom
Unklare pathophysiologische Ursachen
Hohe Spontanheilungsraten
So gut wie keine wirksame medikamentöse Therapie (Studienlage)
Multifaktorielle Therapieansätze (nicht-evidenz-basiert)
− Antiphlogistisch-rheologisch
− Habituationen (Noiser)
− Tinnitus-Retraining-Therapie
− Gingko biloba-Extrakte etc.
¾ Vielversprechende Therapieansätze in der Pipeline (Neramexan)
¾
¾
¾
¾
¾
Rasches Aufsuchen eines Spezialisten
keine Hektik, Warnsignal des Körpers - Lärmhygiene
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