Hauptseminar Experimente in der Kern- und Teilchenphysik Wu-Experiment zur Paritätserhaltung Erik Trompler November 15, 2006 Gliederung 1. Noether Theorem I Freies Teilchen I Kepler Problem 2. Das Wu-Experiment I Aufbau Adiabatische Entmagnetisierung Ergebnis 3. Interpretation der Ergebnisse I I Emmy Noether, Invariante Variationsprobleme, Göttingen 1918 Zentrale Aussage dieser Arbeit Die Invarianz von Wirkungsintegralen gegenüber einer kontinuierlichen Transformationsgruppe hat die Existenz von Divergenzgleichungen zufolge. Physikalisch ist dieser Satz als Noether Theorem bekannt. Für jede kontinuierliche Symmetrie eines physikalischen Systems existiert eine Erhaltungsgrösse. Prinzip von Emmy Noether am physikalischen Beispiel m 2 q̇ 2 I Lagrangefunktion eines freien Teilchens L(q, q̇, t) = I Transformation T: q −→ Q = q + s und q̇ −→ Q̇ Rt Definition des Wirkungsintegrals A(q) = t12 L(q, q̇, t)dt A ist invariant bzgl. der Transformation T, wenn gilt R R A = L(q, q̇, t)dt = L(Q, Q̇, t)dt Erste Variation bilden (δA = 0) Rt δA = δ t12 L(q, q̇, t)dt = 0 Variationsrechung liefert, Euler-Lagrange Gleichungen I I I I I I d ∂L ∂L − =0 dt ∂ q̇ ∂q Aus den Symmetrieeigenschaften der Lagrangefunktion kann man Erhaltungssätze ableiten. Beispiele 1. Freies Teichen I I I I I I I m 2 q̇ 2 m Transformierte Lagrangefunktion L(Q, Q̇, t) = Q̇ 2 2 L(q, q̇, t) = L(Q, Q̇, t) d.h. invariant bzw. symmetrisch bzgl. Transformation T nach dem Noether Theorem muss eine Erhaltungsgrösse existieren. Welche? diese findet man in der Euler - Lagrange Gleichung d ∂L ∂L − =0 dt ∂ q̇ ∂q ∂L d ∂L = 0 −→ =0 ∂q dt ∂ q̇ mq̇ = const. −→ Impulserhaltung Lagrangefunktion L(q, q̇, t) = Aus der Translationsinvarianz folgt die Impulserhaltung. 2. Kepler Problem I I I I I I I I I α Masse m im Zentralfeld V = − r Lagrange Funktion in Kugelkoordinaten, r , ϕ, ϑ sind gen. Koord. m α L = (ṙ 2 + r 2 ϑ̇2 + r 2 sin2 ϑϕ̇2 ) + 2 r ∂L = 0, d.h. die Lagrangefunktion hängt nicht von ϕ ab ∂ϕ Lagrangefunktion ist invariant gegenüber Drehungen des Winkels ϕ nach dem Noether Theorem muss eine Erhaltungsgrösse existieren. Welche? diese findet man in der Euler - Lagrange Gleichung d ∂L ∂L − =0 dt ∂ ϕ̇ ∂ϕ d ∂L ∂L = 0 −→ = mr 2 sin2 ϑϕ̇ = const. = Lz dt ∂ ϕ̇ ∂ ϕ̇ da die z-Komponente des Drehimpulses durch nichts ausgezeichnet ist gilt, ~L = m~r × ~r˙ = const. In einem Zentralfeld gilt Drehimpulserhaltung. Zusammenfassung: Das Noether Theorem ist eine wichtige Grundlage in der Physik: I I es gilt für phys. Systeme, deren Bewegungsgleichung aus dem Variationprinzip abgeleitet werden es stellt den Zusammenhang zwischen Symmetrie und Erhaltungsgrösse her Weitere Symmetrien und ihre Erhaltungsgrössen Kontinuierliche Symmetrien I I I Homogenität des Raumes → Impulserhaltung Isotropie des Raumes → Drehimpulserhaltung Homogenität der Zeit → Energieerhaltung Diskrete Symmetrien I I I Isotropie der Zeit → T-Symmetrie (unabhängig von der Zeitrichtung) C-Invarianz → C-Symmetrie (unabhängig von Ladung) Zentralsymmetrie → P-Symmetrie (Parität) Der Paritätsoperator Π I I I wirkt auf Wellenfunktionen ϕ(q) oder auf Ortseigenzustände |q i in Form einer Raumspiegelung, q −→ −q Πϕ(q) = ϕ(−q) ist nur sinnvoll für Observablen einzuführen - der Messung zugängliche Grössen - dann gilt −→ muss hermitesch und unitär sein −→ Eigenwerte π = ±1 π = +1 : gerade Parität Πϕ(q) = ϕ(q) = ϕ(−q) −→ ϕ(q) ist gerade Wellenfunktion π = −1 : ungerade Parität Πϕ(q) = −ϕ(q) = ϕ(−q) −→ ϕ(q) ist ungerade Wellenfunktion Paper von T.D. Lee und C.N. Yang ”Question of Parity Conservation in Weak Interactions”, 1956 I Lee, Yang beschäftigten sich mit der Frage der Paritätserhaltung im β - Zerfall, Mesonenzerfall und Hyperonenzerfall Auganggangspunkt waren die experimentellen Daten des K 0 Zerfalls K 0 −→ 2π und K 0 −→ 3π I I Pionen sind J π = 0− Teilchen Kaonen sind J π = 0− Teilchen d.h. der Zerfall K 0 −→ 2π verletzt die Parität! sie haben konkrete Experimente vorgeschlagen, an denen man die Paritätshaltung überprüfen könnte, unter anderen auch an polarisierten .60 Co Das WU-Experiment C.S. Wu et al., Experimental Test of Parity Conservation in Beta Decay, New York 1957 Zusammenfassung: I I Die Paritätserhaltung in der schwachen Wechselwirkung wurde nach Vorschlag von Lee und Yang am Beispiel des β − - Zerfalls von.60 Co überprüft. Die unterschiedliche Ausbeute an detektierten Elektronen unter θ und 180 − θ ist ein eindeutiger Beweis für die Paritätsverletzung im β − - Zerfall. Figure: vor Paritätsoperation Figure: nach Paritätsoperation Figure: Der β − - Zerfall Vorbetrachtungen I Wie kann man die Paritätsverletzung messen? d.h. wie kann die Paritätsoperation Π : ~r → −~r experimentell darstellen .60 Co −→ .60 Ni ∗ + e − + ν̄e Wie kann man diesen Prozess ’raumgespiegelt’ ablaufen lassen? 1. Man benötigt eine fest definierte Achse unter der man die Elektronenemission beobachten kann. → die Richtung des magnetischen Moments von .60 Co wurde als kerneigene Achse gewählt 2. Ausrichtung dieser Achse in z - Richtung. → Ausrichtung mit Hilfe eines Magnetfeldes bei sehr niedrigen Temperaturen 3. Drehung dieser Achse z → −z und damit Ausführen einer Paritätsoperation Experimentelle Anordung Figure: Anordnung von Wu zur Beobachtung der Paritätsverletzung Anthrazen Kristall: Detektor für e − NaJ-Detektoren: Detektor für γ - Strahlung Heliummantelgefäss: erzeugt Temperatur von 1 K Vakuummantel: flüssiger Stickstoff zur Abschirmung der Wärmestrahlung der Kryostat ist von Magnetspulen umgeben Vorbereitung der .60 Co - Probe d.h. Polarisierung des Co-Kerns I I I der .60 Co Kern hat eine Spinquantenzahl von 5 durch Kern-Zeeman-Effekt mz = −5, −4, ... + 4, +5 diskrete ~ mit äquidistanten Energieabständen Energieniveaus in B ∆E = g · µk · B im thermodynamischen Gleichgewicht wird die Besetzung der einzelnen Energieniveaus durch die Boltzmann Verteilung bestimmt − ∆E I I I I W (∆E ) = e kB ·T für |∆E | À kB T tritt Polarisation ein bei niedrigen Temperaturen und einem starken Magnetfeld werden nur die tiefsten Energieniveaus besetzt Beispiel: g= 7,5 für .60 Co, B=2,3 T, T=0,003 K die Besetzungswahrscheinlichkeit für das zweittiefste Niveau (mz = −4) ist dann W (∆E ) = e − k∆E ·T B = 0, 074 −→ der Kern ist über 92 Prozent polarisiert Schwierigkeiten bei der Kernausrichtung Problem: µk = 5, 05 · 10−27 TJ ist so klein, so dass |∆E | À kB T praktisch nicht erreicht wird I I I Ambler et al. gelang 1953 die Polarisation von Co-Kernen, durch den Einbau des Kobalts in ein paramagnetisches Salz am Ort der Kobaltkerne konnte so ein sehr viel stärkeres Magnetfeld erzeugt werden, es gilt B ∝ µr und µr > 1 bei Paramagnetismus trotzdem benötigte man immer noch Temperaturen von T < 0, 01 K −→ das erreicht man durch adiabatische Entmagnetisierung Adiabatische Entmagnetisierung 1926 von Debye vorgeschlagene Methode zur Erzeugung tiefster Temperaturen. Fundamentalrelation der Thermodynamik dU = TdS − pdV + µdN Beschreibt die Änderung der inneren Energie eines Systems. 1. Isotherme Magnetisierung Paramagnetische Salz in Heliumgas wird in ein Magnetfeld gebracht. I I I Aufspaltung der Energiezustände, die energetisch günstigsten (tiefsten) Zustände werden besetzt dadurch nimmt die Entropie ab dU < 0, Salz gibt Wärme an Heliumgas ab 2. Thermische Isolierung I ”warmes” Heliumgas wird abgepumpt. 3. Adiabatische Entmagnetisierung I I I I I Magnetfeld wird langsam verkleinert Die Energieaufspaltung verringert sich Elementarmagnete sind bestrebt wieder die statistische Unordnung anzunehmen dabei erhöht sich die Entropie es gilt aber ∆S = 0 bei adiabatischen Prozessen −→ die Umgebung wird abgekühlt Figure: Entropie S(H,T) Ambler et al. verwendeten ein und dasselbe paramagnetische Salz 1. zur Erzeugung des Magnetfeldes 2. zur Erzeugung der tiefen Temperaturen Wie ist das möglich? I I I I es gibt paramagnetische Salze mit grosser räumlicher Anisotropie des g-Faktors dazu muss man den paramagnetischen Einkristall so ausrichten, dass 1. der g-Faktor in der Richtung maximal ist, wo das Magnetfeld - für die adiabatische Entmagnetisierung - angelegt werden soll −→ eine kräftige Abkühlung 2. der g-Faktor in der Richtung minimal, wo das Magnetfeld - für die Polarisation - angelegt werden soll −→ der Kristall erwärmt sich nur unwesentlich Mit diesem Trick hat man bei tiefen Temperaturen ein ausgerichtetes inneres Feld, so dass eine Kernausrichtung stattfinden kann. Das verwendete paramagnetische Salz hat die chemische Formel 3[Mg (NO3 )2 ] · 2Ce(NO3 )3 · 24H2 O wobei 0,5 Prozent des Magnesiums durch .60 Co ersetzt wurde. Was hat man gemessen? 1. γ - Strahlen Mit zwei Natrium-Jodid Detektoren beobachtet man die γ - Strahlen (1,17 und 1,33 MeV) des angeregten Tochterkerns .60 Ni. −→ aus der Verteilung lässt sich der Polarisationsgrad des Co-Kerns bestimmen. 2. Emission der Elektronen relativ zum Kernspin I I Das magnetische Moment des polarisierten .60 Co-Kerns stellt sich parallel zum Magnetfeld ein der Kernspin steht also parallel oder antiparallel zu B, das ist abhängig vom Vorzeichen von gCo - das man 1957 noch nicht kannte −→ man misst die Emission der Elektronen unter einem Winkel θ = 0◦ bzw. θ = 180◦ relativ zu B, bei welcher Polung man welchen Winkel zum Kernspin hatte wusste man aber nicht Ergebniss Die Elektronen werden mit grösserer Wahrscheinlichkeit entgegengesetzt zur Richtung des Magnetfeldes emittiert. Ergebnis des Wu-Experiment Bevorzugte Emissionsrichtung Beobachete Beta Zählrate Zerfallsschema des .60 Co Interpretation der Ergebnisse Beim β − - Zerfall ist die Paritätsinvarianz verletzt! I d.h. es gibt eine ausgezeichnete Richtung der emittierten Elektronen wenn man bedenkt: I I man kann jedem Spin einen Kreisstrom zuordnen, die Richtung des Kreisstromes ist durch den Rechtsschraubensinn bestimmt d.h. mit Spin Up ist der Drehsinn rechtsherum, mit Spin Down linksherum Die Elektronen emittieren auf der ”Seite” des Kern, wo der Drehsinn des Kerns linksherum erscheint. d.h. die Natur kann zwischen Linksherum und Rechtsherum unterscheiden Für eine quantitative Untersuchung der Stärke der Paritätsverletzung ist das Wu-Experiment jedoch nicht geeignet. Nachfolgende Experimente Analog zum β − - Zerfall, wurde ein Experiment zu β + - Zerfall durchgeführt .58 Co −→ .58 Fe ∗ + e + + νe Ergebnis: Es werden mehr Positronen parallel in Richtung der ausgerichteten Kernspins emittiert. Der β - Zerfall verletzt auch die Ladungskonjugation! e − werden vornehmlich antiparallel zur Richtung des Kernspins erzeugt. e + werden vornehmlich parallel zur Richtung des Kernspins erzeugt. Was ist der tiefere Mechanismus dahinter? Pseudoskalare Pseudoskalare sind Skalarprodukte aus einem polaren Vektor und einem axialen Vektor. Verhalten von Grössen unter Paritätstransformation Skalare E −→ E Polare Vektoren ~p −→ −~p Axiale Vektoren ~σ −→ ~σ Pseudoskalare ~p · ~σ −→ −~p · ~σ Ist ein Pseudoskalar der Beobachtung zugänglich, d.h. eine phys. Messgrösse, so kann man daran die Paritätserhaltung überprüfen. Winkelverteilung der detektierten Elektronen λ(θ) = 1 + α( v ~σ · p~e ) = 1 + α( )cosθ E c Eine Erklärung I I ein exakter messbarer Pseudoskalar stellt die Longitudinalpolarisation der Elektronen dar (Polarisation in ~p - Richtung) sie ist eine neue Teilcheneigenschaft und wird Helizität genannt Helizität h = ~σ · ~p |~σ | · |~p | bei der Messung der Helizität zeigt sich: für die schwache Wechselwirkung!!! ~s parallel ~p gilt für rechtshändige Teilchen ~s antiparallel ~p gilt für linkshändige Teilchen masselose Neutrinos: h = -1 linkshändig masselose Antineutrinos h=+1 rechtshändig Ferminonen: h = - vc linkshändig Antiferminonen: h = + vc rechtshändig Mit diesen neuen Erkenntnissen konnte man den Ausgang des Wu-Experiments nachvollziehen. Betrachten wir noch einmal das Wu-Experiment: .60 Co −→ .60 Ni ∗ + e − + ν̄e das Magnetfeld zeigt in z-Richtung (Quantisierungsachse) für die z-Komponente der Spins gilt dann: sz (e − ) = ± 12 , sz (ν̄e ) = ± 12 , sz (.60 Co) = +5, sz (.60 Ni) = +4 die Erhaltung von sz erfordert, dass sz (e − ) = sz (ν̄e ) = + 21 I da das ν̄e rechtshändig ist muss sein Impuls nach oben zeigen Wegen der Impulserhaltung und der Linkshändigkeit muss dann das e − nach unten emittiert werden Zusammenfassung Ergebnis aus dem WU-Experiment Elektronen werden bevorzugt entgegen der Spinrichtung des Mutterkerns emittiert. Folgerung Der β − - Zerfall ist nicht invariant gegenüber Paritätstransformation. Mit den phys. Erkenntnissen - auch aus späteren Experimenten kann man sich ein Bild machen, was die Paritätsoperation beim β − Zerfall macht, und warum sie nicht erhalten ist! Die Symmetrieoperation Parität macht aus einem nach unten fliegenden linkshändigen Elektron ein nach oben fliegendes rechtshändiges Elektron. Das wird aber mit der Stärke vc unterdrückt. Literaturliste T. Mayer-Kuckuk, Kernphysik Povh, Rith, Scholz, Zetsche, Teilchen und Kerne Frauenfelder, Henley, Teichen und Kerne Quantentheorie 2 Skript, Prof. Schmidt Tarassow, Symmetrie, Symmetrie Emmy Noether, Invariante Variationsprobleme Lee, Yang, Question of Parity Conservation in Weak Interactions C.S. Wu, Expertimental Test of Parity Conservation in Beta Deay Bodenstedt II, Experimente der Kernphysik