Abiturprüfung 2011 BIOLOGIE als Grundkursfach Arbeitszeit: 180 Minuten Der Fachausschuss wählt jeweils eine Aufgabe aus den Gebieten A, B und C zur Bearbeitung aus. Bei jeder Teilaufgabe steht die maximal erreichbare Anzahl von Bewertungseinheiten (BE). -2- A 1 Gehörlosigkeit Gehörlosigkeit kann durch genetische Defekte oder Umwelteinflüsse (z. B. Lärm) ausgelöst werden. 1 Zwei Beispiele für genetisch bedingte Hörstörungen sind zum einen die Fortschreitende Hörstörung (Stammbaum Familie 1) und zum anderen die Fortschreitende Hörstörung mit zusätzlichem Nierenfunktionsdefekt (Stammbaum Familie 2). Beide Krankheiten werden jeweils monogen vererbt. Das Gen für eine der Erkrankungen liegt auf einem Autosom, das für die andere auf einem Gonosom. Bei den vorliegenden Beispielfamilien tritt jeweils nur eine der Erkrankungen auf. Familie 1 Familie 2 1 2 3 4 5 7 8 6 9 1* 2* 3* 4* 5* 7* 8* 6* 9* Abb. 1: Stammbäume zweier Familien, in denen genetisch bedingte Hörstörungen auftreten (Das Gen für eine der Erkrankungen liegt auf einem Autosom, das für die andere auf einem Gonosom.) 1.1 Leiten Sie unter Ausschluss der Ihnen bekannten Erbgangstypen sowie unter Angabe der entscheidenden Genotypen die Erbgangstypen bei den Familien 1 und 2 ab! [8 BE] 1.2 Geben Sie jeweils den Genotyp der Personen 9 und 8* an, die zusammen bereits ein Kind haben, das an beiden Hörstörungen erkrankt ist! Ermitteln Sie mithilfe eines Kombinationsquadrates die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein weiteres Kind dieser Eltern an beiden Krankheiten leidet! Hinweis: In den Familien 1 bzw. 2 tritt jeweils nur eine der Erkrankungen auf. [6 BE] 2 Martha's Vineyard ist eine Insel vor der Küste Massachusetts. Im 18. und 19. Jahrhundert war der Anteil an Gehörlosen mit 0,7 % an der Gesamtbevölkerung größer als im Vergleich zu 0,015 % in anderen Gegenden der USA. Erläutern Sie unter Textbezug das gehäufte Auftreten der Gehörlosigkeit bei den Bewohnern von Martha's Vineyard! [5 BE] 3 Die Mutation R143W führt zu einer weiteren erblichen Form der Gehörlosigkeit, der NSHL (non-syndromic hearing loss). Die Bezeichnung R143W bedeutet, dass eine Punktmutation vorliegt, durch die an Position 143 der Aminosäurekette des gebildeten Proteins die Aminosäure „R“ gegen die Aminosäure „W“ (W = Tryptophan, Trp) ausgetauscht wird. Im nicht-mutierten Gen findet man im codogenen Strang an der entsprechenden Position das Triplett 3' GCC 5'. 3.1 Beschreiben Sie zwei Eigenschaften des genetischen Codes! [4 BE] (Fortsetzung nächste Seite) -3- 3.2 Leiten Sie mithilfe der Code-Sonne (Abb. 2) her, wie der dem Codon 143 zugrunde liegende codogene Strang der DNA durch die Mutation verändert wurde, und schließen Sie daraus auf die Aminosäure „R“! [5 BE] Abb. 2: Code-Sonne (Leserichtung von innen nach außen) 3.3 Die Krankheit NSHL wird autosomal-rezessiv vererbt. Um festzustellen, ob Probanden heterozygot bezüglich dieser Mutation sind, wird aus dem Genom ein 521 Basenpaare (bp) langes DNA-Fragment, das den betreffenden DNA-Abschnitt enthält, isoliert, vervielfältigt und mit dem Restriktionsenzym Nci I geschnitten. Anschließend werden die Fragmente durch Gelelektrophorese aufgetrennt. Bei dieser Untersuchungsmethode wandert die DNA durch ein Gel, an dem eine Spannung anliegt. Die Wanderungsgeschwindigkeit der DNA sinkt mit steigender Molekülgröße. Nach dem Auftrennen wird die DNA sichtbar gemacht; es sind Banden zu erkennen. Das gewählte Fragment weist ohne Mutation zwei Schnittstellen für das Restriktionsenzym Nci I auf, mit Mutation nur eine. Abb. 3: Versuchsergebnisse der Gelelektrophorese für drei unterschiedliche Probanden Geben Sie begründet an, ob die Personen 1-3 gesund oder erkrankt sind! 3.4 [6 BE] Ein wichtiger Ansatz für die zukünftige Behandlung genetisch bedingter Krankheiten ist die Gentechnologie. Restriktionsenzyme spielen auch hier eine wichtige Rolle, nämlich bei der Herstellung von Hybridplasmiden. Beschreiben Sie die wesentlichen Schritte zur Herstellung eines Hybridplasmids! [6 BE] ______ [40 BE] -4- A 2 Sichelzellanämie Sichelzellanämie ist eine Erkrankung, die auf eine Veränderung des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin zurückzuführen ist. Bei Erkrankten nehmen die roten Blutkörperchen in bestimmten Situationen eine sichelförmige Gestalt an und verklumpen. 1 Das Hämoglobin besteht aus vier Peptidketten. 1.1 Stellen Sie allgemein unter Mitverwendung einer beschrifteten Skizze den Ablauf der Translation dar! 1.2 [8 BE] Die Reihenfolge der einzelnen Aminosäuren in den Peptidketten kann durch Sequenzanalyse ermittelt werden. Hierbei wird ein Peptid durch Enzym 1 in mehrere Teilstücke zerlegt. Die Teilstücke können im Labor getrennt und identifiziert werden. Um die richtige Aufeinanderfolge der Teilstücke zu ermitteln, wird dasselbe Peptid durch Enzym 2 in eine andere Serie von Teilstücken zerlegt. Aus den sich überlappenden Sequenzen der Teilstücke aus beiden Versuchsansätzen lässt sich schließlich die Aminosäuresequenz herausfinden. Im Folgenden ist das Ergebnis für den Anfangsbereich einer der vier Peptidketten des Hämoglobins bzw. des Sichelzellhämoglobins dargestellt. Tab. 1: Ergebnis der enzymatischen Spaltung des Anfangsbereichs der Peptidkette des Hämoglobins1 normales Hämoglobin (HbA) Sichelzellhämoglobin (HbS) Teilstücke nach Behandlung mit Enzym 1 Teilstücke nach Behandlung mit Enzym 2 Teilstücke nach Behandlung mit Enzym 1 Teilstücke nach Behandlung mit Enzym 2 Leu – Thr Val – His Glu – Lys Pro – Glu Glu – Glu – Lys Thr – Pro Val – His – Leu Val – Glu – Lys Val – His Leu – Thr – Pro Val – His – Leu Glu – Lys Thr – Pro – Val Ermitteln Sie anhand der Tabelle die Aminosäuresequenzen für das normale Hämoglobin (HbA) und das Sichelzellhämoglobin (HbS) im untersuchten Bereich! [4 BE] 1.3 Ermitteln Sie für die Aminosäuren, durch die sich die beiden Aminosäuresequenzen von HbA und HbS unterscheiden, mithilfe der Code-Sonne alle möglichen Basentripletts der codogenen DNA-Stränge und leiten Sie daraus eine mögliche genetische Ursache der Sichelzellanämie ab! Sollten Sie bei 1.2 zu keiner Lösung gekommen sein, so nehmen Sie an, dass sich HbA und HbS durch die Aminosäuren Histidin (His) und Prolin (Pro) unterscheiden. Diese Alternative entspricht nicht der Lösung von 1.2. [7 BE] (Fortsetzung nächste Seite) -5- Abb. 1: Code-Sonne (Leserichtung von innen nach außen) 2 Die Abbildung 2 zeigt den Stammbaum einer Familie, in der Sichelzellanämie auftritt. 13 Abb. 2: Stammbaum einer Familie, in der Sichelzellanämie auftritt 2.1 Leiten Sie unter Ausschluss der Ihnen bekannten Erbgangstypen den Erbgangstyp für die Sichelzellanämie ab und geben Sie die möglichen Genotypen der Generationen I und II an! [6 BE] (Fortsetzung nächste Seite) -6- 2.2 Die Personen 3 und 4 (Abb. 2) wünschen sich ein drittes Kind und möchten das Risiko abschätzen lassen, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Kind an Sichelzellanämie erkrankt. Der Arzt teilt ihnen mit, dass hierfür eine Stammbaumanalyse allein nicht für eine eindeutige Vorhersage genügt. Er schlägt folgende molekulargenetische Untersuchung vor: Die isolierten Hämoglobin-Gene werden vervielfältigt und anschließend mit dem Restriktionsenzym Mst II in Fragmente geschnitten. Durch die Mutation, die Sichelzellanämie auslöst, wird gleichzeitig die Schnittstelle für das Mst II zerstört. Folgende Abbildung gibt die Fragmentgrößen in Basenpaaren (Bp) an. Spaltungsmuster 1: 2200 Bp Spaltungsmuster 2: 1500 Bp 700 Bp Abb. 3: Spaltungsmuster der Restriktionsanalyse Tab. 2: DNA-Fragmente bei verschiedenen Personen (+ = vorhanden) Person 3 Person 4 700 + + 1500 + + 2200 + Ermitteln Sie auf Grundlage dieser Untersuchung die Genotypen von Person 3 und 4 und berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass das dritte Kind dieser Familie an Sichelzellanämie erkrankt! [6 BE] In einem Laborexperiment wurde das Blut von drei Personen untersucht. Dabei ergab sich folgendes Diagramm: Anteil an Sichelzellen in % 2.3 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 -10 0 20 40 60 80 100 120 140 160 Sauerstoffpartialdruck in mm Hg Person A Person B Person C Abb. 4: Häufigkeit von Sichelzellen in Abhängigkeit vom Sauerstoffpartialdruck im Blut (Der Sauerstoffpartialdruck ist ein Maß für die Sauerstoffkonzentration.)2 2.3.1 In bestimmten Alltagssituationen bilden sich bei Person B Sichelzellen im Blut. Geben Sie begründet an, in welcher Alltagssituation dies der Fall sein kann! [3 BE] 2.3.2 Ordnen Sie die beiden Personen A und C je einer Person im Stammbaum (Abb. 2) zu und begründen Sie Ihre Zuordnung! Stellen Sie eine begründete Hypothese auf, die die Ursache für den Kurvenverlauf bei Person B erklärt! [6 BE] ______ [40 BE] Abbildungen und Tabellen: 1 verändert nach: http://www.webmic.de/sichelzellanaemie.htm 2 verändert nach: http://www.nslc.wustl.edu/sicklecell/part1/background.html -7- B 1 Prachtlibellen In Bayern sind mit der Gebänderten Prachtlibelle und der Blauflügel-Prachtlibelle zwei Prachtlibellenarten bekannt. Beide Arten leben ausschließlich räuberisch; sie machen Jagd auf Mücken oder fressen Blattläuse, die Pflanzen befallen haben. Die Libellen und ihre Larven werden auch selbst Opfer verschiedener Jäger. So enden die erwachsenen Libellen zum Teil im Netz von Spinnen oder werden von Vögeln erbeutet. Die Entwicklung der ebenfalls räuberisch lebenden Libellenlarven findet im Wasser statt. Da die Larven der Blauflügel-Prachtlibelle empfindlicher auf Sauerstoffmangel reagieren als die der Gebänderten Prachtlibelle, werden von ihnen etwas kältere, meist schneller fließende, sauerstoffreiche und daher meist kleinere, stärker beschattete Fließgewässer mit einer optimalen Wassersommertemperatur von 13 bis 18 °C bevorzugt. Die Gebänderte Prachtlibelle kommt vermehrt an stärker besonnten Bereichen von Fließgewässern bei Wassersommertemperaturen zwischen 18 und 24 °C vor. 350 Anzahl der Nachweise Anzahl der Nachweise Anzahl Nachweise 1 300 250 200 150 350 300 250 200 150 100 100 50 50 0 M 1 0 7A M 19J 13 25J 31A 37S 43O 49N 55 M A M J J A S O N Abb. 1: Nachgewiesene Flugzeiten von März bis November der Gebänderten Prachtlibelle (links) und der Blauflügel-Prachtlibelle (rechts)1 1.1 Erstellen Sie unter Verwendung von ökologischen Fachbegriffen für alle Lebewesen der oben beschriebenen Lebensgemeinschaft ein Nahrungsnetz und ordnen Sie die Lebewesen den Trophieebenen zu! [6 BE] 1.2 Die erwachsenen Tiere beider Arten kommen an manchen Fließgewässern nebeneinander vor. Entwickeln Sie aus ökologischer Sicht eine Hypothese, die das gemeinsame Vorkommen beider Prachtlibellen-Arten erklärt! Begründen Sie Ihre Hypothese mithilfe der gegebenen Informationen! [6 BE] 1.3 Die Larven der Blauflügel-Prachtlibelle bevorzugen Gewässer, bei denen das Sediment einen geringen Anteil an organischem Material aufweist. Erklären Sie diese Beobachtung aus ökologischer Sicht! [3 BE] (Fortsetzung nächste Seite) -8- 2 Im Wasser lebende Libellenlarven besitzen eine Fangmaske, die aus der stark verlängerten Unterlippe entstanden ist. Sie dient dem Beutefang. 2.1 Sobald eine Libellenlarve ein sich bewegendes Beutetier wahrnimmt, dreht sie den Kopf in Richtung Beute und nähert sich ihr an. Die Fangmaske der Libelle schießt hervor und greift die Beute. Nachdem die Fangmaske wieder eingeklappt wurde, wird die Beute verzehrt. Abb. 2: Ausklappen der Fangmaske einer Libellenlarve2 Erläutern Sie unter Textbezug das Beutefangverhalten der Libellenlarve! Verwenden Sie ethologische Fachbegriffe! [6 BE] 2.2 2.3 Fangmasken treten nur bei wenigen Insektengruppen auf. Erklären Sie auf Grundlage der erweiterten Evolutionstheorie die Entstehung einer anatomischen Struktur wie der Fangmaske! [6 BE] Die tierische Nahrung ist sehr proteinhaltig. Überschüssige Aminosäuren, die nicht zur Synthese von eigenen Proteinen verwendet werden, dienen im Stoffwechsel als Energiequelle. Dazu werden Aminosäuren, wie beispielsweise Asparaginsäure, unter aeroben Bedingungen abgebaut. Die einzelnen Reaktionsschritte dieses Vorgangs lassen sich vereinfacht folgendermaßen zusammenfassen: Asparaginsäure + NAD+ + H2O Æ Brenztraubensäure + NADH/H+ + NH3 + CO2 Die Brenztraubensäure wird in der vom Kohlenhydratabbau bekannten Weise weiter abgebaut. Nennen Sie die wesentlichen weiteren Schritte des aeroben Abbaus der Brenztraubensäure! Vergleichen Sie am Beispiel der Asparaginsäure (C4-Körper) den Energiegewinn beim Abbau von Aminosäuren mit dem beim Abbau von Glucose (jeweils pro Molekül)! [8 BE] 3 Besonders in der Paarungszeit kann man Libellenmännchen beobachten, die in der Luft voreinander stehen bleiben, abrupte Richtungswechsel vollziehen und abwechselnd voreinander vorwärts und rückwärts fliegen. Interpretieren Sie dieses Verhalten aus ethologischer Sicht! [5 BE] ______ [40 BE] Abbildungen: 1 verändert nach: Bayerisches Landesamt für Umweltschutz und Bund Naturschutz in Bayern e. V. (Hrsg.): Libellen in Bayern. Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart 1998 2 http://www.sglibellen.de/fangmaske.gif -9- B 2 Phytoplankton 1 Der 1986 erstmals geflutete Altmühlsee ist ein See mit hohem Mineralstoffeintrag. Seine durchschnittliche Wassertiefe liegt nur bei etwa 2,5 m. Im See wurde ein sehr hoher Bestand an Brachsen (dominierender Friedfisch) festgestellt. Friedfische ernähren sich in erster Linie von größeren Vertretern des Zooplanktons, vor allem von Wasserflöhen. Diese wiederum ernähren sich vorwiegend von Phytoplankton, wie z. B. einzelligen Grünalgen und Cyanobakterien. Der einzige im See vorkommende Raubfisch ist der Zander. 1.1 Erstellen Sie unter Verwendung der ökologischen Fachbegriffe für die oben beschriebene Lebensgemeinschaft im Altmühlsee eine Nahrungskette und ordnen Sie die Trophieebenen zu! [4 BE] 1.2 Im Jahr 2001 kam es wegen des hohen Anteils an potenziell toxischen Cyanobakterien im Phytoplankton mehrfach innerhalb der Hauptbadesaison zur Verhängung eines Badeverbotes. Neben anderen Giftstoffen wurde Anatoxin, ein Gift, das die Acetylcholinesterase irreversibel hemmt, in Cyanobakterien nachgewiesen. Fertigen Sie eine beschriftete Skizze einer neuromuskulären Synapse an! Beschreiben Sie die Vorgänge bei der Informationsübertragung in dieser Synapse in Gegenwart von Anatoxin und eine zu erwartende Vergiftungserscheinung! [10 BE] 2 Am Großen Müggelsee wurde 1991 der Chlorophyll-a-Gehalt des Sees über das Jahr hinweg verfolgt. Der Chlorophyll-a-Gehalt ist dabei ein Maß für die Dichte der Phytoplankton-Organismen im See. Die Messdaten wurden in der Seemitte aus dem Oberflächenwasser erhoben. Es ergaben sich folgende Werte: Chlorophyll-a-Gehalt in µg/l 140 120 100 80 60 40 20 0 Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Abb. 1: Chlorophyll-a-Gehalt im Großen Müggelsee (1991)1 2.1 Stellen Sie eine aus ökologischer Sicht begründete Hypothese auf, die den Kurvenverlauf erklärt! [6 BE] 2.2 Zeichnen Sie ein Diagramm, das die zu erwartende Sichttiefe (relative Einheiten) im Großen Müggelsee in dem untersuchten Zeitraum zeigt! [3 BE] (Fortsetzung nächste Seite) - 10 - 3 Kieselalgen sind wichtige Vertreter des Phytoplanktons in Seen. Da die verschiedenen Kieselalgenarten sich in ihrer ökologischen Toleranz bezüglich abiotischer Umweltfaktoren unterscheiden, eignen sie sich zum Teil gut als Bioindikatoren. Beispielsweise hängen sowohl das Artenspektrum als auch die relative Arthäufigkeit von Kieselalgen von der Mineralstoffbelastung und der Konzentration von Gesamt-Phosphor in Seen ab. Tab.: Überwiegend vorliegende Gesamt-Phosphor-Konzentrationen (µg/l) beim Vorkommen von drei verschiedenen Kieselalgenarten. Die Gesamt-PhosphorKonzentration beinhaltet auch die Konzentration von gelösten Phosphat-Ionen.2 Art Aulacoseira subarctica Aulacoseira islandica Cyclotella distinguenda (A) (B) (C) ca. 20-100 ca. 10-20 ca. 5-15 Gesamt-PhosphorKonzentration (µg/l) Abgestorbene Kieselalgen sinken auf den Seegrund und haben wesentlichen Anteil an der Bildung des Sediments. Die vertikale Verteilung ausgewählter Kieselalgenarten (A), (B) und (C) eines Sedimentkerns, der am 18.10.1990 im Chiemsee gestochen wurde, gibt Aufschluss über die Entwicklung der Kieselalgenzusammensetzung in diesem See von etwa 1954 (unterste Sedimentschicht, 19 cm) bis zum Zeitpunkt der Entnahme (oberste Sedimentschicht) (s. Abb. 2). Art A Art B Häufigkeit Häufigkeit 50% 0% 100% 50% Häufigkeit 100% 0% 0 2 2 2 3 3 3 4 4 4 5 7 9 11 5 7 9 11 Sedimenttiefe [cm] 0 0 Sedimenttiefe [cm] Sedimenttiefe [cm] 0% Art C 50% 100% 5 7 9 11 13 13 15 15 15 17 17 17 19 19 19 13 Abb. 2: Relative Häufigkeit ausgewählter Kieselalgenarten im Sediment des Chiemsees3 3.1 Skizzieren Sie die Toleranzkurve der Kieselalgenart A bezüglich der Gesamt-PhosphorKonzentration! Beschriften und erklären Sie allgemein charakteristische Punkte einer Toleranzkurve! [5 BE] 3.2 Leiten Sie aus der Abbildung 2 die Entwicklung der Gesamt-Phosphor-Konzentration sowie der Mineralstoffsituation im Chiemsee in den Jahren 1954 bis 1990 ab und bezeichnen Sie diese Entwicklung mit einem Fachbegriff! Nennen Sie zwei mögliche Ursachen! [5 BE] (Fortsetzung nächste Seite) - 11 - Entwickeln Sie eine Hypothese, warum die Arten A und C trotz ihrer unterschiedlichen Ansprüche an die Gesamt-Phosphor-Konzentration in derselben Sedimentschicht gefunden werden! [3 BE] 3.4 Im Jahr 1989 wurde am Chiemsee die Ringkanalisation in Betrieb genommen. Bereits sechs Jahre vorher hatte man begonnen, die Konzentrationen von Gesamt-Phosphor im Chiemsee regelmäßig zu messen. In Abbildung 3 sind die jährlichen arithmetischen Mittelwerte der Messergebnisse bis 1996 dargestellt. 30 25 20 15 10 5 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 0 1983 Gesamt-Phosphor-Konzentration [µg/l] 3.3 Abb. 3: Jährliche arithmetische Mittelwerte der Gesamt-Phosphor-Konzentration im Chiemsee4 Stellen Sie auf Grundlage der vorliegenden Daten eine begründete Hypothese auf, wie sich die relative Häufigkeit der jeweiligen Kieselalgenarten von 1989 bis 1996 entwickelt haben könnte! [4 BE] ______ [40 BE] Abbildungen und Tabellen: 1 verändert nach: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/umweltatlas/d201_05.htm 2 verändert nach: J. Schaumburg: Zur Limnologie des Chiemsees. Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft. Heft 2/92. Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft (Hrsg.). Verlag Bartels & Wernitz, München, Juli 1992 3 verändert nach: Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen (Hrsg.): Nährstoffbedingtes Pflanzenwachstum - Trophie. In: Heft 29 der Schriftenreihe „Wasserwirtschaft in Bayern“. Flüsse und Seen in Bayern. Gewässergüte und Wasserbeschaffenheit 1995. Verlag Bartels & Wernitz, München, 1996 4 verändert nach: B. Wolf, F. Liesenkötter: Ergebnisse aus dem Landesmessnetz Seen – Routinemonitoring. In: Wasserwirtschaftlicher Bericht – Niedrigwasserperiode 2003. Informationsbericht des Bayerischen Landesamts für Wasserwirtschaft Heft 2/05. Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft (Herausgeber und Verlag), München, 2005 - 12 - C 1 Sinnesphysiologie und Verhaltensleistungen des Dreistachligen Stichlings 1 Der Dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus) besitzt, wie alle Fische, ein Seitenlinienorgan. Hierbei handelt es sich um ein Sinnesorgan, mit dem Druckwellen und Bewegungen im Wasser aufgenommen werden können. Das Seitenlinienorgan besteht aus vielen Sinnesknospen, die in Kanälen unter der Haut angeordnet sind. Die Kanäle stehen über Poren mit dem umgebenden Wasser in Verbindung, so dass sich Druckänderungen in der Umgebung auch auf das Wasser im Kanalsystem auswirken. Sinneszelle Sinnesknospe Sinneshärchen Gallerte Pore Kanal afferente Fasern Sinnesknospe Synapse afferenter Nerv Abb. 1: Seitenliniensystem1, 2 Eine Sinnesknospe enthält mehrere Haarsinneszellen, deren Sinneshärchen in eine Gallerte hineinragen. Wird diese Gallerte durch die Wasserströmung verformt, werden die Sinneshärchen ausgelenkt und das Membranpotenzial der Haarsinneszellen verändert sich. Auch im nicht gereizten Zustand bilden diese Sinneszellen Aktionspotenziale in einer charakteristischen Frequenz, die als Spontanaktivität bezeichnet wird. 1.1 Beschreiben Sie anhand der Abbildung 2 die Zusammenhänge zwischen der Auslenkung der Sinneshärchen, dem Membranpotenzial der Haarsinneszelle und der Aktionspotenzialfrequenz der afferenten Nervenfaser! [6 BE] Membranpotenzial der Haarsinneszelle U Aktionspotenziale der afferenten Nervenfaser Zeit Abb. 2: Elektrische Antwort auf die Auslenkung der Sinneshärchen3 1.2 Bei höherer zeitlicher Auflösung der Potenzialveränderungen der afferenten Nervenfaser wird der typische Verlauf eines Aktionspotenzials sichtbar. Erläutern Sie den Verlauf eines Aktionspotenzials mithilfe einer beschrifteten Skizze! [9 BE] (Fortsetzung nächste Seite) - 13 - 1.3 In Abbildung 3 sind Bau und Funktionsweise des Drehsinnesorgans in den Bogengängen des Innenohrs von Säugetieren dargestellt. Bogen gang Abbiegen der Gallerte mit Flüssigkeit gefüllter Bogengang Gallerte Sinneszelle afferente Faser a) Lage b) Bau c) Funktionsweise Abb. 3: Drehsinnesorgan der Säugetiere4 Zeigen Sie drei Gemeinsamkeiten zwischen Seitenlinien- und Drehsinnesorgan auf und begründen Sie, ob es sich dabei um homologe oder analoge Organe handelt! [6 BE] 2 Der Dreistachlige Stichling zählt zu den Fischarten, deren Verhalten sehr gut untersucht ist. 2.1 Trifft ein laichbereites Stichlingsweibchen auf ein Männchen, führt das Männchen einen Zick-Zack-Tanz auf. Nun richtet sich das Weibchen auf und zeigt ihm seinen dicken Bauch (= Kopfhoch-Balzhaltung). Das Balzverhalten wird weiter fortgesetzt und es kommt letztlich zum Ablaichen und zur Besamung der Eier. Das Männchen bewacht anschließend das Nest mit den Eiern und fächelt frisches, sauerstoffreiches Wasser zu. 2.1.1 Die Männchen des Dreistachligen Stichlings haben während der Fortpflanzungsperiode einen intensiv rotgefärbten Bauch. Infiziert man Männchen mit dem häufig auftretenden krankheitserregenden Parasiten Ichthyophthirius multifiliis, so werden diejenigen blasser und erkranken, denen ein Resistenzgen gegen den Parasitenbefall fehlt. Abb. 4: Wahlverhalten des Stichlingsweibchens zwischen unterschiedlich intensiv gefärbten Männchen5 Beurteilen Sie mithilfe von Abbildung 4 den Paarungserfolg eines infizierten Männchens ohne Resistenzgen und eines infizierten Männchens mit Resistenzgen, wenn ein Weibchen in einem Laborexperiment die Wahl zwischen diesen beiden Männchen hat! Legen Sie anhand von zwei Aspekten dar, worin der Nutzen dieses Wahlverhaltens für die Weibchen besteht! [8 BE] (Fortsetzung nächste Seite) - 14 - Aufenthaltsdauer beim blassen Männchen [min] 2.1.2 Unter natürlichen Bedingungen hat das Weibchen meist nicht die Wahl zwischen gleichzeitig anwesenden Männchen, sondern es trifft nacheinander auf die potenziellen Partner. Um das Wahlverhalten der Weibchen unter solchen Bedingungen zu untersuchen, wurde folgender Versuch durchgeführt: Laichbereite Weibchen verbrachten drei Minuten in einem Becken mit einem intensiv rotgefärbten Männchen, waren von ihm und seinem Nest aber durch ein Netz getrennt. Die Weibchen nahmen sofort die Kopfhoch-Balzhaltung ein. Anschließend wurden die Weibchen nach unterschiedlich langen Pausen in ein Testbecken gesetzt, in dem sich ein blasses Männchen mit seinem Nest befand. Es wurde die Zeit notiert, in der sich das Weibchen in einer bestimmten Zone in der Nähe des Männchens aufhielt. Das Ergebnis ist in Abbildung 5 dargestellt. Die Aufenthaltsdauer des Weibchens beim blassen Männchen entspricht der Intensität der Balzhandlung des Weibchens. 120 100 80 60 40 20 0 0 10 30 60 Pause nach rotem Männchen [min] Abb. 5: Aufenthaltsdauer laichbereiter Weibchen in der Nähe eines blassen Testmännchens in Abhängigkeit von der Pause nach einem roten Männchen6 Entwickeln Sie unter Verwendung von ethologischen Fachbegriffen zwei Hypothesen für das Zustandekommen der unterschiedlichen Aufenthaltsdauer in der Nähe des blassen Männchens! [6 BE] 2.2 Der Hecht (Esox lucius) gehört zu den natürlichen Feinden der Stichlinge. Dennoch meidet ein Hecht, der sich mehrfach beim Fressen von Stichlingen an deren Stacheln verletzt hat, künftig diese potenziellen Beutetiere. Erklären Sie das Verhalten des Hechts unter Verwendung von ethologischen Fachbegriffen! [5 BE] ______ [40 BE] Abbildungen: 1 verändert nach: H. Bleckmann, J. Mogdans, J. Engelmann, S. Kröther, W. Hanke: Das Seitenliniensystem – Wie Fische Wasser fühlen. In: Biologie in unserer Zeit. 34. Jg. 2004, Nr. 6, S. 358 2 verändert nach: H. Moßner, G. Sailer, J. Staudinger: Natura 6. Ernst Klett Schulbuchverlage, Stuttgart, 2006, S. 160 3 verändert nach: H. Bleckmann, J. Mogdans, J. Engelmann, S. Kröther, W. Hanke: Das Seitenliniensystem – Wie Fische Wasser fühlen. In: Biologie in unserer Zeit. 34. Jg. 2004, Nr. 6, S. 361 4 verändert nach: H. Bayerhuber, U. Kull (Hrsg.): Linder Biologie. Schroedel-Verlag, Braunschweig, 2005, S. 229 5 verändert nach: D. Franck: Verhaltensbiologie. Thieme Verlag, Stuttgart, 1997, S. 130 6 verändert nach: D. Franck: Verhaltensbiologie. Thieme Verlag, Stuttgart, 1997, S. 163 - 15 - C 2 Fische 1 In einem Experiment werden die DNA-Menge pro Zelle sowie der Ploidiegrad (n) der Zellen während der Spermienbildung und Befruchtung bei einer Fischart untersucht. 1.1 Übertragen Sie das in Abbildung 1 vorgegebene Diagramm auf Ihren Arbeitsbogen und tragen Sie die zu erwartenden Werte für die DNA-Menge pro Zelle und den Ploidiegrad der Zellen ein! Begründen Sie jeweils die Werte unter Mitverwendung entsprechender cytogenetischer Fachbegriffe! [9 BE] DNA-Menge pro Zelle [rel. Einheiten] Ploidiegrad (n) der Zellen 4 n=2 3 2 n=1 1 Urkeimzelle vor Beginn der Meiose Spermium Zygote direkt nach der Befruchtung Abb. 1: DNA-Menge pro Zelle und Ploidiegrad von Urkeimzelle, Spermium und Zygote 1.2 Beschreiben Sie die beiden Vorgänge, bei denen während der Keimzellenbildung eine Durchmischung des genetischen Materials stattfindet! [4 BE] (Fortsetzung nächste Seite) - 16 - 2 Viele Fische ernähren sich von Zooplankton. Die Abbildung 2 zeigt im Meer lebende Tierarten mit ihren im Zooplankton vorkommenden Larven. Jeweils zwei der abgebildeten Arten sind nahe verwandt. ausgew. Tier Larve ausgew. Tier A: Entenmuschel ausgew. Tier Larve B: Yoldia Larve ausgew. Tier C: Miesmuschel Larve D: Salinenkrebs Abb. 2: Verschiedene im Meer lebende Tierarten1 Begründen Sie mit Fachbegriffen und unter Bezugnahme auf Abbildung 2, welche Paare der dort dargestellten Tierarten jeweils nahe miteinander verwandt sind! [5 BE] mittlere Länge der Flecken [mm] Guppies (Poecilia reticulata) stammen ursprünglich aus Südamerika, sind heute aber in den Tropen weit verbreitet, da sie häufig zur Mückenbekämpfung eingesetzt wurden. Die Männchen der Endler-Guppies sind in ihrer Grundfarbe silbergrau. Sie bilden schöne, kräftig orange, grüne und schwarze Farbflecke aus. Der Wissenschaftler John Endler führte in fünf verschiedenen Flüssen Trinidads (A-E) Untersuchungen zur Körperfärbung von männlichen Guppies durch. Dabei untersuchte er die mittlere Fleckenzahl pro Fisch sowie die mittlere Länge der Flecke in Abhängigkeit von zunehmender Dichte der Raubfeinde. mittlere Fleckenzahl pro Fisch 3 11 10 9 8 7 A B C D E Flüsse A-E mit zunehmender Räuberdichte 1,8 1,6 1,4 1,2 1 0,8 A B C D E Flüsse A-E mit zunehmender Räuberdichte Abb. 3: Einfluss der Bejagung durch Räuber auf die Farbmuster männlicher Guppies (Fluss A: geringste Räuberdichte)2 (Fortsetzung nächste Seite) - 17 - Interpretieren Sie die Ergebnisse aus Abbildung 3! Erläutern Sie zwei Vorteile einer auffälligen Körperfärbung bei männlichen Guppies! [7 BE] 4 Drei nahe verwandte Buntbarsch-Arten zeigen Unterschiede im Fortpflanzungsverhalten: Haplochromis burtoni ist eine maulbrütende Buntbarsch-Art. Die Eier entwickeln sich im Maul des Weibchens und auch die Jungfische flüchten sich bei Gefahr dorthin. Tilapia tholloni ist eine bodenbrütende Buntbarsch-Art, d. h. die Eier werden auf dem Gewässergrund abgelegt. Beide Eltern bewachen das Gelege. Pelmatochromis taenius ist ebenfalls Bodenbrüter, verlagert aber seine Eier mehrfach, indem er sie mit dem Maul transportiert. Zudem werden die frisch geschlüpften Larven für einige Zeit im Maul behalten. 4.1 Stellen Sie eine begründete Hypothese auf, welche der drei oben beschriebenen Fortpflanzungsverhaltensweisen evolutionsgeschichtlich die jüngste ist! 4.2 [6 BE] Je früher bei Haplochromis burtoni die Eier vom Weibchen ins Maul genommen werden, desto mehr Nachkommen überleben. Die Weibchen nehmen deshalb sofort nach dem Ablegen die Eier auf, häufig so schnell, dass sie noch nicht von Männchen besamt werden konnten. Eiflecken frisch gelegte Eier Abb. 4: Haplochromis burtoni (unten Weibchen, oben Männchen)3 Beschreiben Sie mithilfe der Abbildung 4, warum es bei Haplochromis burtoni trotz des beschriebenen Verhaltens des Weibchens dennoch zu einer Befruchtung kommt! [4 BE] 4.3 Experimentell soll nachgewiesen werden, ob das Fluchtverhalten der Jungtiere bei Haplochromis burtoni angeboren ist. Erläutern Sie die Durchführung eines entsprechenden Experiments und geben Sie die zu erwartenden Beobachtung an, falls das Verhalten angeboren ist! [5 BE] ______ [40 BE] Abbildungen: 1 verändert nach: D. Feldermann: Linder Biologie – Arbeitsbuch. Schroedel-Verlag, Braunschweig, 2005 2 verändert nach: J. R. Krebs, N. B. Davies: Einführung in die Verhaltensökologie. Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin, Wien, 1996 3 D. Feldermann: Linder Biologie – Lehrermaterialien. Schroedel-Verlag, Braunschweig, 2007