Ist die Metastasierung bald vorhersagbar?

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Onkologie_2_S3-34.pdf; s6; (200.00 x 275.00 mm); 21.Sep 2016 12:30:05; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
ZIRKULIERENDE TUMORZELLEN
Ist die Metastasierung
bald vorhersagbar?
A
ufgrund der hohen Mortalität maligner Krebserkrankungen wird intensiv nach Möglichkeiten geforscht, um die verschiedenen Entwicklungsstufen der Metastasierungskaskade besser verstehen
zu können. Tumorspezifische Biomarker, die (verbleibende) Krebszellherde im Körper der Patienten
verlässlich erkennen und die Effizienz systemischer
Therapien zeitnah abbilden können, können möglicherweise einen entscheidenden Beitrag zum verbesserten Verständnis einer Krebserkrankung liefern und
somit die Überlebenschancen der Patienten steigern.
8
Gegenwärtig werden im klinischen Alltag geläufig
bildgebende Verfahren wie Computertomographie
(CT), Röntgen, Ultraschall, Knochenszintigraphie,
Magnetresonanztomographie (MRT) oder Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zur Erkennung
von Tumorerkrankungen und/oder für die Überwachung des Therapieerfolgs eingesetzt.
Diese Verfahren scheinen für den Nachweis von
minimalen Resterkrankungen („minimal residual
disease“, MRD) allerdings nicht geeignet zu sein, so
dass alternative, ultrasensitive immunzytologische
Perspektiven der Onkologie 2/2016 | Deutsches Ärzteblatt
Foto: eye of science/Agentur Focus
Die molekulare Untersuchung blutbasierter Biomarker wie CTCs,
ctDNA-Moleküle oder Exosomen bietet die Möglichkeit, tiefere Einblicke
in biologische Prozesse der Metastasierungskaskade zu erlangen.
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oder molekulare Verfahren eingesetzt werden müssen, um verbleibende Tumorzellen im Körper der Patienten gesichert aufspüren zu können.
In der Krebsforschung werden aktuell zirkulierende Tumorzellen („circulating tumor cells“, CTCs)
und zellfreie, tumorzellspezifische Nukleinsäuren
(ctDNA-Moleküle) als vielversprechende Biomarker
diskutiert (1–3). Unter CTCs versteht man Krebszellen, die sich vom Primärtumorzellverband oder Metastasen gelöst haben und sich systemisch über das
Blut- oder Lymphsystem im Körper der Patienten
ausbreiten können (Grafik 1).
ctDNA-Moleküle hingegen sind DNA-Bruchstücke des Tumors, die im Plasma, Serum oder auch
Urin zu finden sind und überwiegend von sterbenden
Tumorzellen freigesetzt werden (4). Beide Biomarker konnten bereits mit einer schlechten Prognose in
Verbindung gebracht werden, wobei die Datenlage
bei den CTCs wesentlich umfangreicher ist und zahlreiche multizentrische Studien umfasst (5–7).
Es wird angenommen, dass ein ununterbrochener
Zufluss von CTCs und ctDNA-Molekülen aus der
Tumormasse erfolgt, wodurch diese Biomarker ebenfalls für die Überwachung des Krankheitsverlaufs
von besonderer Bedeutung sein könnten, da sie die
Tumorprogression auf zellulärer bzw. ctDNA-Ebene
widerspiegeln. Basierend auf dieser Annahme ließen
sich Therapieerfolge und eine frühzeitige Neubildung von Metastasen über einen gering-invasiven
Eingriff leicht verfolgen.
Laut aktuellen Forschungsstudien können Tumorzellen den Primärtumor schon in sehr frühen Stadien
verlassen. So wurde gezeigt, dass sich einzelne Tu-
morzellen bereits bei etwa 20 % der Patientinnen mit
einem duktalen Carcinoma in situ (DCIS) im Knochenmark nachweisen lassen (8). Einzelne Krebszellen, die sich in neuen „metastatischen Nischen“, wie
den Lymphknoten oder dem Knochenmark, angesiedelt haben, werden als disseminierte Tumorzellen
(„disseminated tumor cells“, DTCs) bezeichnet. Der
Nachweis von DTCs wurde in zahlreichen klinischen
Studien bereits als unabhängiger Marker für eine
schlechte Prognose beschrieben (9). Interessanterweise scheint nur eine kleine Subpopulation von
Krebszellen für die Ausbildung von Fernmetastasen
verantwortlich zu sein. Diese Zellen werden als Metastase-induzierende Krebsstammzellen („metastasis-inducing cancer stem cells“, MICs) bezeichnet
(10). Es wird vermutet, dass die Nische im Knochen
zum Beispiel über die Sekretion von Gas6 die
Stammzelltransformation der DTCs begünstigen
kann (11). DTCs mit Stammzelleigenschaften besitzen ein unbegrenztes Selbsterneuerungspotenzial.
Der Schlaf der Tumorzellen
Manche DTCs scheinen zusätzlich in der Lage zu
sein, über Monate (bis hin zu Jahren) in einem
„schlafenden“ (dormanten) Zustand zu verweilen,
ohne vom eigenen Körperabwehrsystem zerstört zu
werden. In diesem zellteilungsinaktiven Zustand sind
diese Zellen relativ resistent gegenüber dem Angriff
von gebräuchlichen anti-proliferativen Chemotherapeutika (Zytostatika). Die Ursache für eine Tumorzelldormanz kann möglicherweise auf einen gestoppten oder verlangsamten Zellzyklus zurückgeführt
werden. Die Mechanismen, die zur Aufhebung dieses
Quelle: Joose SA et al., EMBO Mol Med 2015
GRAFIK
Tumorzellen können den Tumorzellverband verlassen und ins Blut- oder Lymphgefäßsystem einwandern („circulating tumor cells“, CTCs).
Für die Auswanderung der Zellen spielt möglicherweise die epithelial-mesenchymale Transition (EMT) eine entscheidende Rolle. Zum Überleben im Blutsystem
müssen die Zellen Hindernisse wie Anoikis, Scherkräfte oder auch Zellen des Immunsystems überwinden. CTCs, die eine neue metastatische Nische erreicht
haben, werden als disseminierte Tumorzellen (DTCs) bezeichnet. DTCs können in einem schlafenden (dormanten) Zustand verweilen oder aber eine Makrometastase bzw. weitere Metastasen induzieren (2).
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Zustands führen sind bisher allerdings weitestgehend
unbekannt.
Ein wesentlicher Parameter, der die Tumorzelldormanz beeinflussen kann, ist die Gefäßneubildung
(Neoangiogenese). Die Ausbildung von neuen Blutgefäßen ist für die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des Tumors essenziell. Die Gefäßneubildung
wird durch verschiedene Botenstoffe, wie zum Beispiel VEGF oder FGF-1 reguliert. Diese Botenstoffe,
die auch unmittelbar vom Tumor selbst gebildet werden können, können einen „angiogenic switch“ bewirken, wobei der Tumor von einem avaskulären in
einen vaskulären Zustand übergeht (12).
Dieser Prozess kann durch Sauerstoffmangel (Hypoxie), Mutationen der Tumorzellen oder die Expression von Onkogenen/Tumorsuppressorgenen induziert werden. Daneben konnte gezeigt werden, dass
eine aberrante Expression des vaskulären Zelladhäsionsmoleküls-1 (VCAM-1) die Transition von einer
indolenten Mikrometastase zu einer Makrometastase
begünstigen kann (13). Weiterhin konnten Cheung
und Kollegen aufdecken, dass die Expression von
Keratin-14, einem epithelialen Strukturprotein, als
Regulator für die Ausbildung von Metastasen und die
Wanderung von Tumorzellverbänden (CTC-Cluster)
fungiert (14).
Verschiedenartige Tumore scheinen bevorzugt in
ganz bestimmte Organe zu wandern („homing“). So
konnten bereits Marker, wie CXCR4 oder Jagged1
mit der gezielten Metastasierung in Lymphknoten
oder Knochen von Patienten in Verbindung gebracht
werden (15, 16). Neben den Tumorzellen scheinen
auch tumorzellspezifische Exosomen die Metastasierung zu beeinflussen. Exosomen sind 30–120 nm
große Vesikel, die von einer Zelle aktiv in die Umgebung abgegeben werden.
Diese Vesikel können DNA-Bestandteile, RNAs
oder Proteine beinhalten und dienen als Transportvehikel oder zur Ausschleusung von Zellbestandteilen.
Neueste wissenschaftliche Untersuchungen lassen
die Vermutung zu, dass tumorzellspezifische Exosomen eine prämetastatische Nische bilden und über
die Expression von Adhäsionsmolekülen (Integrinen) den Ort der Metastasierung regulieren (17).
Prognostische Relevanz
In der CTC-Forschung besitzt gegenwärtig lediglich das EpCAM-basierte CellSearch®-System eine
Zulassung der US-amerikanischen Food and Drug
Administration (FDA). Über dieses System lassen
sich CTCs standardisiert und reproduzierbar in
Blutproben (7,5 ml) von Krebspatienten nachweisen. Die Ergebnisse klinischer Studien belegen eindeutig, dass CTCs eine prognostische Relevanz für
den Krankheitsverlauf der Tumorpatienten haben
(6, 18, 19). Diese vielversprechenden Ergebnisse
konnten nicht nur für Patienten mit bereits metastasierten Tumoren, sondern auch für Patienten mit
nicht metastasierten Tumorerkrankungen gezeigt
werden (20).
10
Neben der Quantifizierung ermöglicht das System
auch die molekularbiologische Charakterisierung der
CTCs auf therapierelevante Marker, wie zum Beispiel PSMA, EGFR, PDL1 oder HER2 (21–24). Die
DETECT-Studie ist die erste klinische Interventionsstudie, in der die Charakterisierung von CTCs Eingang in die Therapieentscheidung gefunden hat. Bei
dieser Studie werden Patientinnen mit HER2-negativem Primärtumor, aber HER2-positiven CTCs, randomisiert und mit dem Tyrosinkinaseinhibitor Lapatinib behandelt (25).
Aufgrund der Heterogenität von Tumorzellen
und EMT-assoziierten (epithelial-mesenchymale
Transition) Tumorzellveränderungen, die im Verlauf der Metastasierung auftreten können, werden
über die alleinige „epitheliale Selektion“ bestimmte
CTC-Populationen möglicherweise nicht erfasst
(26–28). Daher ist die weitere Optimierung und klinische Validierung von neuen CTC-Anreicherungsverfahren sowie der komplementäre Einsatz von
ctDNA und Exosomen als weitere Komponenten
der „Flüssigbiopsie“ wichtig.
Eine bedeutende Aufgabe der gegenwärtigen
Krebsforschung besteht nun darin, verschiedene Verfahren zum standardisierten Nachweis dieser Biomarker zu entwickeln und in der klinischen Praxis zu
etablieren. Im Jahr 2015 wurde hierzu das europäische Forschungskonsortium CANCER-ID gegründet, das derzeit 37 Partnerinstitutionen umfasst
(www.cancer-id.eu).
Fazit
● Die molekulare Untersuchung Blut-basierter Bio-
●
●
●
marker, wie CTCs, ctDNA-Molekülen oder Exosomen bietet die Möglichkeit, tiefere Einblicke in
biologische Prozesse der Metastasierungskaskade
zu erlangen.
In naher Zukunft könnten diese Biomarker auch
als prädiktive Biomarker eingesetzt werden, wodurch eine personalisierte Therapie der Krebspatienten gewährleistet werden könnte.
Diese Biomarker könnten demnach als „Flüssigbiopsie“ verwendet werden und damit über die
Analyse des Genom- und Expressionsprofils die
Vorhersage über das Ansprechen der Patienten auf
eine Therapie unterstützen.
Inwiefern die „Flüssigbiopsie“ in Zukunft die derzeitige Nadelbiopsie als Goldstandard ergänzen
kann, ist Gegenstand lebhafter Diskussionen. ▄
DOI: 10.3238/PersOnko/2016.09.30.02
Dr. rer. nat. Tobias M. Gorges
Prof. Dr. med. Klaus Pantel
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Tumorbiologie
Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt
vorliegt.
@
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3916
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ZIRKULIE RENDE TUMORZELLEN
Ist die Metastasierung
bald vorhersagbar?
Die molekulare Untersuchung blutbasierter Biomarker wie CTCs,
ctDNA-Moleküle oder Exosomen bietet die Möglichkeit, tiefere Einblicke
in biologische Prozesse der Metastasierungskaskade zu erlangen.
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