Auswirkungen der Eurokrise auf das Wirtschaftswachstum und das

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Monatsthema
Auswirkungen der Eurokrise auf das Wirtschaftswachstum und
das Produktionspotenzial der Schweiz
Die Schweizer Wirtschaft hat sich
trotz Eurokrise erstaunlich günstig entwickelt. Die vorliegende
Studie zeigt anhand von Modellsimulationen, dass dies den robusten Exporten und dem zuwanderungsbedingt hohen Bevölkerungswachstum zuzuschreiben
ist. Dennoch sind im Vergleich zu
einem hypothetischen Szenario
ohne Eurokrise deutliche Bremsspuren festzustellen. Beim Bruttoinlandprodukt (BIP) zeigt sich
bis Ende 2012 ein Niveauverlust
von 1,7%, und beim Produktionspotenzial beträgt die Einbusse
längerfristig 1,3%. Während die
Die Wirtschaftsleistung der Jahre 2011 und 2012 lag mit Wachstumsraten von 1,4% bzw. –0‚3% weit unter den noch im
Jahr 2010 prognostizierten Werten. Wie viel dieser Einbusse auf die Eurokrise zurückzuführen ist, versucht die vorlieFoto: Keystone
gende Untersuchung zu eruieren. schlechte Auslandkonjunktur und
die Aufwertung des Frankens zu
markanten Exporteinbussen führten, werden der Wohnbau und die
Immobilienpreise durch die rekordtiefen Zinsen stimuliert.
1 Die in diesem Beitrag vertretenen Ansichten sind die der
Autoren und stimmen nicht notwendigerweise mit jenen
der SNB überein. Neben dem hier verwendeten Modell
stützt sich die SNB in ihren Einschätzungen auf verschiedene andere Modelle und Indikatoren.
Dr. Caroline Schmidt
Inflationsprognosen,
Schweizerische Nationalbank SNB, Zürich
Prof. Dr. Peter Stalder
Inflationsprognosen,
Schweizerische Nationalbank SNB, Zürich
Dieser Beitrag1 behandelt die Auswirkungen der europäischen Währungskrise auf die
Schweiz. Neben den Effekten auf das BIPWachstum sollen auch die Implikationen für
die Wirtschaftsstruktur, den Arbeitsmarkt,
das Investitionsverhalten und das Potenzialwachstum untersucht werden. Wirkungsanalysen dieser Art sind methodisch heikel.
Denn bekannt ist nur die Entwicklung unter
den tatsächlich herrschenden Bedingungen,
während das zur Identifikation der Effekte
benötigte Vergleichsszenario – im vorliegenden Kontext also die Entwicklung ohne Eurokrise – anhand modellmässiger Überlegungen konstruiert werden muss. Nur
festzuhalten, was sich nach Ausbruch der Eurokrise verändert hat, wäre wenig hilfreich,
da die seitherige Entwicklung von einer Vielzahl weiterer Einflussfaktoren geprägt war.
In einem ersten Schritt ist zu überlegen,
wie sich die Weltwirtschaft ohne Eurokrise
entwickelt hätte. Wegen der Verquickung mit
anderen Problemherden – wie der Finanzkrise von 2008, der Bankenrettung und der daraus resultierenden zusätzlichen Staatsverschuldung – stellt dies ein schwieriges
Unterfangen dar. Die Eurokrise ist zudem als
Folge von Fehlentwicklungen zu sehen, die
11 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2013
bereits früher eingesetzt haben. Das kontrafaktische Weltszenario müsste deshalb
strenggenommen weiter zurückblenden und
zum Beispiel ein risikobewussteres Verhalten
im Finanzsektor, erhöhte staatliche Budgetdisziplin und weniger divergierende Lohnstückkosten im Euroraum unterstellen. Das
im nächsten Abschnitt skizzierte Weltszenario kann vor diesem Hintergrund nur als
grobe Behelfslösung betrachtet werden.
Anschliessend gehen wir der Frage nach,
warum sich die Schweizer Wirtschaft unter
den Bedingungen der Eurokrise besser entwickelt hat als dies gemeinhin erwartet worden war. Es lassen sich vor allem zwei wachstumsstützende Faktoren identifizieren: die
Widerstandsfähigkeit der Exporte gegenüber
der Frankenaufwertung sowie die unter dem
Regime der Personenfreizügigkeit trotz Konjunkturabschwächung fast ungebrochene
Einwanderung. Umgekehrt konnte die Geld­
politik nach der Absenkung des 3M-Libor auf
praktisch null im Rahmen konventioneller
Massnahmen nicht mehr weiter gelockert
werden.
Im Haupttteil der Untersuchung zeigen
wir schliesslich, wie sich die Schweizer Wirtschaft unter den kontrafaktischen Weltan-
Monatsthema
Tabelle 1
Entwicklung der Weltwirtschaft, 2010–2015
Effektive und prognostizierte Entwicklung
2010
BIP EU-15 2011
2012
2013
2014
2015
2.01.4-0.30.31.72.3
a
BIP Welt a, b
3.22.41.11.62.83.2
Euro Kurzfristzinsc
0.81.40.60.30.81.8
Zins deutsche Staatsanleihenc
Wechselkurs USD/EUR
Vergleichsszenario ohne Eurokrise
2.82.71.61.92.93.6
1.331.391.291.301.301.30
2010
2011
2012
2013
2014
2015
BIP EU-15a
2.01.51.01.72.42.5
BIP Welt a, b
3.22.52.32.73.33.3
Euro Kurzfristzins 0.81.42.32.93.33.5
c
Zins deutsche Staatsanleihenc
Wechselkurs USD/EUR
a Wachstum in %.
b Gewichtet mit CH-Exportanteilen.
c Niveau in %.
2.82.83.43.84.14.2
11.331.361.361.361.361.36
Quelle: Nationale Statistikämter, Consensus Forecasts;
Schmidt, Stalder / Die Volkswirtschaft
nahmen ohne Eurokrise entwickelt hätte
und diskutieren die Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von diesem Vergleichsszenario. Das für die Simulationen
verwendete ökonometrische Modell ist in
vielen Anwendungen erprobt, stellt aber –
wie jedes andere Modell – ein vereinfachtes
Abbild der Wirklichkeit dar. Auch deshalb
sind die Untersuchungsergebnisse mit einer
gewissen Vorsicht zu interpretieren.
Vergleichsszenario «Weltwirtschaft
­ohne Eurokrise»
Als Beginn der Eurokrise im engeren Sinn
kann das Frühjahr 2010 gesehen werden. Innerhalb kurzer Zeit war damals klar geworden, dass es der griechischen Regierung nur
mit Hilfe der EU und des IWF gelingen würde, einen Staatsbankrott abzuwenden.
Gleichzeitig stiegen die Risikoprämien auf
Anleihen der Peripherieländer stark an. Auswirkungen auf das aggregierte BIP-Wachstum der EU wurden allerdings erst rund ein
Jahr später sichtbar. Aus heutiger Sicht etwas
erstaunlich rechneten die meisten Prognostiker jedoch nicht mit einer markanten Wachstumsabschwächung. So prognostizierte z.B.
das Seco im Dezember 2010 für die EU noch
Wachstumsraten von 1,7% in 2011 und 2,0%
in 2012 und die KOF von 1,4% in 2011 und
1,8% in 2012. Tatsächlich waren es dann
1,4% bzw. –0,3%. Offensichtlich war man
damals der Auffassung, die Eurokrise würde
nicht auf die Realwirtschaft übergreifen. Die
Ende 2010 veröffentlichten Prognosen für
die Weltwirtschaft können mithin als Ausgangspunkt für die Konstruktion des kontrafaktischen Vergleichsszenarios dienen.
Ob der damalige Überoptimismus allerdings allein aus der Vernachlässigung der realwirtschaftlichen Auswirkungen der Euro-
12 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2013
krise resultierte, ist fraglich. Vielmehr scheint
man auch die nach der Finanzkrise von 2008
vom Entschuldungsprozess im öffentlichen
und privaten Bereich ausgehenden Bremswirkungen unterschätzt zu haben. Mit anderen Worten wäre das realwirtschaftliche
Wachstum auch ohne Eurokrise tiefer ausgefallen als Ende 2010 prognostiziert. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Entwicklung
der Weltwirtschaft ohne Eurokrise zwischen
den überoptimistischen Prognosen von Ende
2010 und dem effektiven Pfad verlaufen wäre.
Die wichtigsten Annahmen dieses Vergleichsszenarios sind in Tabelle 1 festgehalten. Die im oberen Teil der Tabelle dargestellte «effektive Entwicklung» ist natürlich nur
bis Ende 2012 bekannt; die für 2013-2015
unterstellte Entwicklung geht von einem graduellen Abklingen der Eurokrise aus und
entspricht in etwa dem gegenwärtigen Prognose-Konsens. Das 2012 realisierte bzw. für
2013 erwartete BIP-Wachstum der EU liegt
1,3 bzw. 1,4 Prozentpunkte unter den Werten
des Vergleichsszenarios ohne Eurokrise. Danach verringert sich der Wachstumsrückstand. Im Niveau fällt die Wirtschaftsleistung
der EU bis 2015 aber um 2,9% unter den
Vergleichspfad. Entsprechend bleiben auch
die Kurz- und Langfristzinsen unter den
Werten des Vergleichsszenarios, und der Euro notiert zum Dollar anhaltend schwächer.
Warum kam die Schweiz trotz Eurokrise
relativ gut über die Runden?
Tabelle 2 vergleicht die effektive bzw. unter der Annahme einer langsam abflauenden
Eurokrise prognostizierte Entwicklung der
Schweizer Wirtschaft mit verschiedenen Alternativszenarien. Angesichts des Wachstumseinbruchs in Europa und der markanten Frankenstärke kam die Schweiz mit
BIP-Wachstumsraten von 1,9% in 2011 und
rund 1% in 2012 erstaunlich gut über die
Runden. Auch für 2013 ist gemäss Modell
trotz anhaltender Stagnation in Europa ein
moderates Wachstum von 1,3% zu erwarten.
Zwei Faktoren haben den Wirtschaftsgang
unter den Bedingungen der Eurokrise positiv beeinflusst:
–– Die Exporte erwiesen sich gegenüber der
weltweiten Wachstumsschwäche und der
massiven Aufwertung des Frankens als erstaunlich widerstandsfähig. Dies dürfte
auf eine verstärkte Spezialisierung auf wenig preissensitive Produkte sowie die stark
wachsende Bedeutung aussereuropäischer
Absatzregionen zurückzuführen sein. Im
Modell schlägt sich dies in positiven Residuen der Exportgleichung nieder. Setzt
man diese Residuen auf Null, so zeigt das
Modell die Entwicklung, wie sie gemäss
Monatsthema
Tabelle 2
Entwicklung der Schweizer Wirtschaft, 2010–2013
A) Effektiv a A1) Exporte
A2) Weniger
A3) Ohne Zins-
B) Vergleichs-
c
d
untergrenze szenario ohne schwächer bImmigration Eurokrise
BIP-Wachstum
2010
3.03
2.99
3.00
3.14
3.03
2011
1.93
1.51
1.79
2.35
2.46
2012
0.95
0.69
0.76
1.46
2.04
2013
1.31
1.27
1.11
1.79
1.41
Exportwachstum
2010
7.50
7.337.45 7.73 7.50
2011
3.83
2.403.68 4.50 5.22
2012
0.06
2013
3.35
3.603.24 3.55 3.65
2010
0.69
0.69
0.68
0.71
0.69
2011
0.14
0.06
0.11
0.27
0.99
2012
–0.58
–0.78
–0.62
–0.29
0.68
2013
0.49
0.26
0.49
0.92
1.30
–0.65–0.08
0.58 2.41
Inflation (LIK)
3M-Libor
2010
0.19
0.19
0.33
–0.410.19
2011
0.12
0.09
0.36
–0.860.80
2012
0.07
0.05
0.33
–1.001.92
2013
0.05
0.05
0.37
–1.012.42
Wechselkurs CHF/EUR
2010
1.38
1.38
1.38
1.39
1.38
2011
1.23
1.23
1.23
1.26
1.33
2012
1.21
1.21
1.20
1.25
1.31
2013
1.21
1.21
1.20
1.26
1.30
1.10
1.05 1.101.10
Bevölkerungswachstum
2010
1.10
2011
1.06
1.05
0.86 1.061.06
2012
0.92
0.90
0.58 0.950.92
2013
0.81
0.78
0.38 0.850.81
a
b
c
d
Effektiv bzw. prognostiziert unter dem Einfluss der Eurokrise.
Exporte weniger widerstandsfähig gegenüber Aufwertung.
Weniger Immigration (keine Personenfreizügigkeit).
Ohne Zinsuntergrenze (3M-Libor kann negativ werden).
Quelle: BFS, SECO, SNB; Schmidt, Stalder / Die Volkswirtschaft
den historisch geschätzten Reaktionsparametern zu erwarten gewesen wäre. In den
Jahren 2011 und 2012 hätte das Exportwachstum nicht 3,83% bzw. 0,06% betragen, sondern wäre mit 2,40% bzw. –0,65%
spürbar tiefer ausgefallen, was sich dämpfend auf das BIP-Wachstum, die Teuerung, die Zinsen und das Bevölkerungswachstum ausgewirkt hätte. Insgesamt
resultiert aus der erstaunlich robusten
Exportentwicklung bis Ende 2012 ein positiver BIP-Niveaueffekt von 0,7%.
–– Unter dem Regime der Personenfreizügig­
keit hielt das hohe Bevölkerungswachstum trotz Konjunkturabkühlung fast ungebremst an. Um den Einfluss dieses
Faktors abzuschätzen, wird anhand des
Modells untersucht, was passiert wäre,
wenn die Immigration stärker abgenommen hätte. Im Vergleich zu dieser Simulation zeigt sich, dass das anhaltend starke
13 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2013
Bevölkerungswachstum kumuliert über
die Jahre 2010 bis 2013 einen BIP-Zuwachs von 0,6% generiert. Dabei fällt der
angebotserweiternde Effekt der hohen
Zuwanderung etwas stärker aus als die
nachfrageseitige Stimulierung der Wirtschaft (Konsumnachfrage und Wohnungsbau). Entsprechend sinkt der Inflationsdruck; der 3M-Libor kann bei
gleichem Inflationsziel tiefer gehalten
werden. Das höhere Arbeitsangebot wirkt
sich aber negativ auf das Produktivitätswachstum und das BIP pro Kopf der Bevölkerung aus. Es schlägt sich in leicht erhöhter Arbeitslosigkeit und einer tieferen
Erwerbsquote nieder. Umgekehrt formuliert wären die Unternehmungen ohne die
starke Zuwanderung mit verstärkter Personalknappheit und daher stärker steigenden Löhnen konfrontiert gewesen,
was das BIP-Wachstum gebremst, die
Produktivität aber gesteigert und die Arbeitslosigkeit reduziert hätte.
Den wachstumsstützenden Effekten der
robusten Exporte und der starken Zuwanderung wirkt der Umstand entgegen, dass die
Eurokrise die Schweiz in einer Situation traf,
in der der 3M-Libor nicht mehr weiter gesenkt werden konnte. Die Konsequenzen der
Zinsuntergrenze lassen sich quantifizieren,
indem man in einer Modellsimulation negative Kurzfristzinsen zulässt. Wie Spalte A3 in
Tabelle 2 zeigt, wäre der 3M-Libor 2012 auf
–1,0% gesenkt worden. Der Franken hätte sich
weniger stark aufgewertet, die Inflation wäre
nicht so stark in den Negativbereich getaucht,
und das BIP-Wachstum wäre 2012 mit 1,46%
spürbar höher ausgefallen, als dies effektiv der
Fall war (0,95%). Kumuliert über die Jahre
2010 bis 2013 ergibt sich aus der Zinsuntergrenze ein BIP-Verlust von 1,5%. Dieser negative Effekt ist absolut gesehen grösser als die
positiven Effekte der robusten Exporte und
der ungebrochenen Zuwanderung. Dabei ist
aber zu beachten, dass die Exporte und die Zuwanderung tatsächlich hätten tiefer ausfallen
können, während ein Absenken des 3M-Libor
in den Negativbereich keine real existierende
Möglichkeit darstellt.
Auswirkungen der Eurokrise auf das
­BIP-Wachstum
Grafik 1 stellt die effektive bzw. die für 2013
prognostizierte Entwicklung der Schweizer
Wirtschaft dem kontrafaktischen Vergleichsszenario ohne Eurokrise gegenüber. Die entsprechenden Jahreswerte finden sich in Tabel­
le 2 in den Spalten A und B. In seiner Rolle als
«sicherer Hafen» hat sich der Franken im
Sommer 2011 massiv aufgewertet. Seit der
Monatsthema
Grafik 1
Entwicklung der Schweizer Wirtschaft, 2009–2013
Vergleichsszenario ohne Eurokrise
Effektiv bzw. prognostiziert unter dem Einfluss der Eurokrise
Wechselkurse CHF/EUR und CHF/USD
3M-Libor
1.6
2.8
CHF/EUR
1.5
2.4
1.4
2.0
1.3
1.6
1.2
CHF/USD
1.2
1.1
0.8
1.0
0.4
0.9
0.8
0.0
2009
2010
2011
2012
2009
2013
BIP real in Mrd. CHF
2010
2011
2012
2013
Konsumteuerung gegenüber Vorjahr in %
144
1.5
142
1.0
140
0.5
–1.7%
138
136
0.0
134
–0.5
132
Kasten 1
Bestimmung des Produktions­
potenzials
–1.0
130
128
–1.5
2009
2010
2011
2012
2013
Das diesem Artikel zugrundeliegende
ö­ konometrische Makromodell erklärt die Entwicklung des Produktionspotenzials als
­Folge der Abschreibung alter Produktions­
anlagen und der Investitionen in neue
­Produktionsanlagen:
–– Bestehende Anlagen werden umso rascher
abgeschrieben (und durch neue Anlagen
­ersetzt), je stärker die Löhne im Verhältnis
zu den Kapitalkosten steigen (und je höher
die Rate des technischen Fortschritts auf
neuen Produktionsanlagen ist).
–– Zudem beeinflusst das Faktorpreisverhältnis auch das Faktoreinsatzverhältnis auf
neuen Produktionsanlagen. Eine relative
Verteuerung des Faktors Arbeit hat zur
­Folge, dass ein bestimmtes Investitions­
volumen mit weniger Arbeitseinsatz
­kombiniert wird, wodurch sich der kapa­
zitätserweiternde Effekt der Neuinvesti­
tionen verkleinert.
–– Das Investitionsvolumen schliesslich hängt
von einem Vergleich der effektiven Nach­
frage mit der vorhandenen Produktions­
kapazität ab.
Die Eurokrise zieht eine temporäre Erhöhung des Lohn/Kapitalkosten-Verhältnisses
und einen Rückgang der effektiven Nachfrage
nach sich. Sie dämpft folglich das Potenzialwachstum über alle drei Kanäle, wobei der
Rückgang des Investitionsvolumens empirisch am stärksten ins Gewicht fällt.
Einführung der Untergrenze durch die SNB
fluktuiert er leicht über dem Mindestkurs
von 1,20 CHF/EUR. Damit ist der Franken
aber immer noch hoch bewertet, was sich in
entsprechenden Residuen der auf Fundamentalfaktoren basierten Wechselkursgleichung des Modells widerspiegelt. Im Vergleichsszenario sind diese «Schocks» im
Sinne einer ungestörten Wechselkursentwicklung auf null gesetzt, womit die 2011
eingetretene Aufwertung unterbleibt. Zusammen mit der besseren Auslandkonjunktur ohne Eurokrise setzt sich daher im Vergleichsszenario das BIP-Wachstum in der
Schweiz ungebrochen fort. Effektiv hat das
BIP-Wachstum jedoch seit Anfang 2011 aufgrund der faktischen Frankenstärke und der
verschlechterten Auslandkonjunktur deutlich nachgelassen. Die sich bis Ende 2012 gegenüber dem Vergleichsszenario öffnende
Niveaudifferenz beläuft sich auf 1,7%. Der
3M-Libor, der ohne Eurokrise bereits ab Ende 2010 angehoben worden wäre, bewegt sich
nahe bei null und wäre ohne Zinsuntergrenze
14 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2013
2009
2010
2011
2012
2013
Quelle: BFS, SNB, SECO; Schmidt, Stalder / Die Volkswirtschaft
– wie oben erwähnt – sogar auf –1% gesenkt
worden. Gemäss Modell ist die Geldpolitik
somit derzeit restriktiver als unter den gegebenen Umständen erwünscht. Das schwache
BIP-Wachstum und der starke Franken drücken die Teuerung für längere Zeit in den Negativbereich. Sie liegt durchschnittlich um etwa einen Prozentpunkt unter den Werten, die
im Vergleichsszenario ohne Eurokrise zu erwarten gewesen wären.
Auswirkungen der Eurokrise auf das
­Produktionspotenzial
Die Eurokrise wirkte sich auch negativ
auf die Entwicklung des Produktionspoten­
zials aus. Wie Grafik 2 zeigt, näherte sich das
BIP nach der Finanzkrise bis Ende 2010 von
unten dem Potenzialpfad an; d.h. der zuvor
negative Output Gap hat sich bis zu diesem
Zeitpunkt nahezu geschlossen. Ohne Eurokrise hätte sich der Output Gap 2011 vor­
übergehend leicht ins Positive gedreht. Unter
dem Einfluss der Eurokrise fiel das BIP 2011
Monatsthema
Grafik 2
veren Neuinvestitionen niederschlägt. Beides
wirkt sich negativ auf die Entwicklung des
Produktionspotenzials aus (siehe Kasten 1).
BIP und Produktionspotenzial, 2010–2015
Real, in Mrd. CHF
Potenzial
BIP
Vergleichsszenario ohne Eurokrise
Auswirkungen der Eurokrise auf die
Wirtschaftsstruktur und das Preisgefüge
Effektiv bzw. prognostiziert unter der Eurokrise
150.0
150.0
147.5
147.5
145.0
145.0
142.5
142.5
140.0
140.0
137.5
137.5
135.0
135.0
132.5
132.5
130.0
130.0
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Quelle: SECO; Schmidt, Stalder / Die Volkswirtschaft
Grafik 3
Wirkung der Eurokrise auf die Verwendungsstruktur des BIP und die relativen Preise, 2010–2015
Abweichungen vom Vergleichsszenario ohne Eurokrise in %
Konsumentenpreise
Konsum
BIP
Exporte
Wohnbau
Ausrüstungsinvestitionen
Importpreise
Importe
Ausrüstungsinvestitionen
Verwendungskomponenten des BIP
BIP-Deflator
Exportpreise
Baupreise
Hauspreise
Löhne
Diverse Preise und Löhne
6
6
4
4
2
2
0
0
–2
–2
–4
–4
–6
–8
–6
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Quelle: Schmidt, Stalder / Die Volkswirtschaft
Kasten 2
Literatur
–– Stalder, P. (2001): Ein ökonometrisches
­Makromodell für die Schweiz, Quartalsheft
2/2001, Schweizerische Nationalbank,
S. 62-89.
–– Stalder, P. (2010): Free Migration between
the EU and Switzerland: Impacts on the
Swiss Economy and Implications for Monetary Policy, Swiss Journal of Economics
and Statistics 146(4), S. 821–874.
jedoch wieder unter das Produktionspotenzial. Der resultierende negative Gap vergrössert sich 2013 auf –1,2% und schliesst sich
erst Anfang 2015. Dabei ist zu beachten, dass
das Produktionspotenzial seinerseits längerfristig um 1,3% unter das Vergleichsniveau
ohne Eurokrise zu liegen kommt. Verantwortlich dafür sind primär die verminderten
Ausrüstungsinvestitionen. Sie fallen um 7%
unter das Vergleichsszenario ohne Eurokrise.
Zudem verändert die Eurokrise in einer ersten Phase das Faktorpreisverhältnis zu Ungunsten des Arbeitseinsatzes (rasch sinkende
Kapitalkosten im Verhältnis zu den trägen
Löhnen), was sich in einem beschleunigten
Abschreibungsrhythmus und kapitalintensi-
15 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2013
Die aufgrund der Eurokrise eingetretene
Kombination eines überbewerteten Frankens
mit rekordtiefen Zinsen hat auch zu beträchtlichen Verschiebungen in der Wirt­
schaftsstruktur und veränderten relativen
Preisen geführt (siehe Grafik 3). Die Wohnbauinvestitionen wurden durch die günstigen Finanzierungskonditionen angetrieben.
Unter dem Einfluss anhaltend tiefer Zinsen
übersteigen sie das Vergleichsszenario ohne
Eurokrise bis 2015 um rund 5%. Stark negativ betroffen waren demgegenüber die Exporte und die Ausrüstungsinvestitionen.
Beim privaten Konsum dominiert zunächst
der dämpfende Einfluss der verschlechterten
Einkommens- und Arbeitsmarktsituation;
längerfristig überwiegt der stimulierende Effekt der tiefen Zinsen, sodass das Vergleichsniveau ohne Eurokrise leicht übertroffen
wird. Die Importe fallen deutlich unter die
Werte des Vergleichsszenarios, was den Effekt der rückläufigen Nachfrage auf das BIP
abfedert. Der BIP-Verlust gegenüber dem
Vergleichsszenario ohne Eurokrise erreicht
2013 aber trotzdem ein Maximum von 1,7%.
Die veränderte Nachfragestruktur widerspiegelt sich im Preisgefüge. Positiv beeinflusst von der Eurokrise werden aufgrund
der steigenden Immobiliennachfrage einzig
die Hauspreise. Sie kommen bis 2015 um gut
4% über das Vergleichsniveau ohne Eurokrise zu liegen. Alle anderen Preisvariablen fallen infolge der Aufwertung des Frankens
und/oder der rückläufigen Nachfrage unter
die Werte des Vergleichsszenarios. Am wenigsten ist dies für die Baupreise der Fall,
weil hier von der kräftigen Nachfrage nach
Bauleistungen ein Gegeneffekt ausgeht. Die
Löhne sinken zunächst weniger als die Konsumentenpreise, so dass die Reallöhne von
der Eurokrise in einer ersten Phase positiv
beeinflusst werden. Längerfristig kehrt sich
der Effekt wegen der verschlechterten Arbeitsmarktsituation jedoch um. Der Umstand, dass die Exportpreise stärker fallen als
der BIP-Deflator, bringt zum Ausdruck, dass
die Exportfirmen auf die Frankenaufwertung mit einer Margenverengung reagierten.
Ohne dieses Verhalten wäre das Exportvolumen noch stärker unter das Vergleichsniveau

ohne Eurokrise gefallen. 
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