4. Teil Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels 17. 17.1 Ziel- und Zeitplan − Effektivität des Kyoto-Protokolls Prognosen Im ersten Teil wurde dargestellt, welche massiven klimatischen und damit physisch realen Veränderungen der Natur und des sozialen Lebens durch den Klimawandel drohen und zum Teil bereits jetzt schon zu spüren sind. Als effektive Gegenmaßnahme kommt nur die erhebliche Reduktion auf einen Bruchteil der heutigen Treib­hausgasemissionen in Betracht. Zur Umsetzung dieser globalen Klimaschutzmaßnahme wurde die Klimarahmenkonvention und ihr Kyoto-Protokoll ins Leben gerufen. Die Frage ist jedoch, wie effektiv ist dieses Instrument wirklich? Kann das Kyoto-Protokoll wirklich der Umsetzung des Umweltziels dienen? Grundlage der Beurteilung sind derzeit aktuelle Prognosen, wobei hier zwischen den kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Einschätzungen zu unterscheiden ist. 17.1.1 Kurzfristige Prognosen Das Bonner UN-Klimasekretariat veröffentlichte am 17.11.2005, einen ausführlichen Sachstandsbericht,841 mit erschreckenden Ergebnissen. Nach den Prognosen der UN werden im Jahr 2012 knapp 11 % mehr Treib­hausgase ausgestoßen als noch 1990. Diese Berechnungen stellen die Wirkung der Klimarahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls weitestgehend in Frage. Die Tatsache des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Staaten des nahen Ostens, hat zu einem Rückgang der dorti841 Der Bericht ist einzusehen unter: http://unfccc.int/files/essential_background/background_ publications_htmlpdf/application/pdf/key_ghg_data_web.pdf. 281 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels gen Emissionen in den Jahren 1990 bis 2003 um 40% geführt und dafür gesorgt, dass die Treib­hausgasemissionen in den entwickelten Ländern um 6% zurückgegangen sind. Dies ist jedoch nur augenscheinlich eine positive Entwicklung, denn zum einen entstand damit das hot air Problem842 und zum anderen nehmen die Emissionen auch dort zwischenzeitlich wieder zu. Nach UN-Prognosen sollen 2010 die Emissionen noch immer 18% unter dem Niveau von 1990 liegen, aber insgesamt steigen die Emissionen der westlichen Industriestaaten im selben Zeitraum um fast 20%, trotz Klimaschutzmaßnahmen.843 17.1.2 Mittelfristige Prognosen Nach den neuesten europäischen Modellrechnungen wird mittelfristig − unabhängig von den getroffenen Maßnahmen − ein Steigen der Temperatur von mehr als 2° C gegenüber der vorindustriellen Zeit erwartet. Briten, Franzosen, Norweger und Deutsche haben im Rahmen des EUProjektes „Ensembles“ unabhängig von einander herausgefunden, dass zum Ende des Jahrhunderts die Temperatur etwa 4° C zunehmen wird, im besten Fall 2,5 ° C. Die Erwartung einer Zunahme von plus 4° C basiert auf der Annahme, dass keine relevanten Klimaschutzmaßnahmen getroffen werden und das CO2 weiter ungebremst die Atmosphäre anreichert und sich sein Gehalt im Vergleich zu heute mehr als verdoppelt. Auf plus 2,5° C läuft es hinaus, wenn die Industriestaaten ihre CO2Emissionen um einige wenige Prozentpunkte (wie z. B. im Kyoto-Protokoll vorgesehen) reduzieren. In diesem Fall würde das Kohlendioxid in der Atmosphäre immer noch um rund 40 % zunehmen. Doch bereits das Passieren der plus 2° C Marke hätte einen ökologischen Kollaps zur Folge. Nach dem PIK-Chef Schellnhuber844 werden 842 Vgl. näher dazu S. 297 f. 843 Sechs der zehn Staaten mit den größten Zuwachsraten sind sogar Mitglieder der Europäischen Union: Spanien (+ 42 % bis 2003), Portugal (+ 37%), Griechenland und Irland (beide + 26%), Finnland (+ 22%) und Österreich (+ 17%). Erst danach folgen die USA (+ 13%), die aber nach wie vor mit Abstand am meisten emittieren. Unter den 15 Mitgliedern der alten EU schneiden Deutschland (- 20%)(Ziel bis 2010: –21%), und Großbritannien (- 13%) am besten ab. Neben Schweden (-2%) hat Großbritannien zudem sein Kyoto-Ziel bereits leicht übertroffen. 844 Schnellnhuber, Hansjoachim, Direktor des Potsdam Instituts für Klimaforschung (PIK). 282 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels dann „eine ganze Reihe von bisher schlafenden ökologischen Riesen geweckt.“845 So ließe sich in dem bisher unveröffentlichten Entwurf des kommenden IPCC Reports nachlesen, dass man mit dem kompletten und unaufhaltsamen Abschmelzen des Grönlandeises rechne. Ein solcher Prozess zöge sich zwar über zwei oder drei Jahrtausende hin, doch am Ende läge der Meeresspiegel rund sieben Meter höher als heute. Der Grundstein einer solchen Entwicklung könnte nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Folge bereits gelegt sein. So kühlt sich das Grönlandeis selbst, indem die Schneedecke Sonnenlicht reflektiert. Wenn das Eis beginnt abzutauen, dann lässt auch dieser Kühlungseffekt nach, und der Schmelzprozess wird am Ende unumkehrbar. Auch der riesige Eispanzer im Westen der Antarktis würde instabil, wenn die Außentemperatur nur um durchschnittlich weitere 1,4° C ansteigt. Nach den so genannten Nullversionen des kommenden IPCC-Reports werden auch die Korallenriffe diesen Aufheizungsprozess nicht mehr verkraften. Bereits 1° C mehr, als in der vorindustrieller Zeit, reicht vermutlich aus, um sie großflächig ausbleichen846 zu lassen. 17.1.3 Langfristige Prognosen Das Klimamodell des Lawrence Livermore National Laboratory in den USA hat sich mit den Prognosen für die nächsten 300 Jahren auseinander gesetzt. Nach dem Ergebnis dieser Studien wird die Jahresdurchschnittstemperatur 8° C höher liegen als heute, an den Polen sogar 20° C höher. Dabei gehen die Wissenschaftler von einer fast Vervierfachung der CO2-Konzentration aus. Nach den heutigen Werten von 380 ppm geht das Modell von einem Wert von 1423 ppm im Jahr 2300 aus. Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre soll bis zum Jahr 2300 um etwa 0,45 % pro Jahr ansteigen (etwas weniger als die heutige Rate von etwa 0,5% pro Jahr). Dies hätte zur Konsequenz, dass die arktische Tundra fast vollständig verschwunden wäre. In Arktis und Antarktis wüchsen dann Wälder, das Packeis, das noch heute große Wasserflächen bedeckt, wäre ver845 Zitiert nach Mrasek, Schlafende Riesen werden geweckt, Klimaprognosen, Erwärmung überschreitet kritischen Wert, Spiegel-Online, 17. Nov. 2005 (www.spiegel.de). 846 Siehe S. 20, Fn 40. 283 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels schwunden. Der Meeresspiegel würde um sieben Meter ansteigen, die Niederlande und große Teile Norddeutschlands stünden unter Wasser. Dabei gehen die Wissenschaftler davon aus, dass bis 2150 die Eisdecke der Weltmeere fast vollständig verschwunden sein wird. Dies kann zum Aussterben einer ganzen Spezies führen.847 Nach dem Erstautor der Studie Bala Govindasamy, werde es jedoch noch 20 oder 30 Jahre dauern, bis das ganze Ausmaß der durch den Menschen verursachten Veränderungen sichtbar wird. Allerdings gibt er zweifelsfrei zu verstehen, dass es in den nächsten 300 Jahren auf jeden Fall wärmer wird und es in Wirklichkeit sogar noch schlimmer kommen könnte als sie es bereits jetzt vorhersagen. 17.2 Beitrag des Kyoto-Protokolls zum Abbau der Klimagase Ziel des Kyoto-Protokolls und der Vereinbarungen von Marrakesch ist eine Reduktion der Treib­hausgase des Basisjahrs 1990 um mindestens minus 5% bis zum Jahr 2012. Dies ist bereits unter Berücksichtigung benannter Prognosen offensichtlich unzureichend, um selbst bei Erfüllung der Reduktionsziele den Klimawandel aufzuhalten oder auch nur relevant zu verzögern. Dabei verursachen die verpflichteten Staaten gerade einmal 30% des weltweiten CO2-Ausstoßes. Die Entwicklungsländer und die ausgestiegenen Länder, wie die USA und Australien, verantworten die restlichen 70%. Darunter sind signifikant wachsende Länder wie China und Indien. Hinzu kommt die Schwäche des KyotoProtokolls selbst. Die zugeteilten Rechte auf Basis von 1990 sind relativ zu den Emissionen im Jahr 2010 bei einem „business as usual“-Szenario848. Die zum Teil vereinbarten Ziele des Kyoto-Protokolls weichen bei einigen beteiligten Staaten sogar nur unwesentlich von einem „business as usual“ ab. Erschwerend hinzukommt, dass das Kyoto-Protokoll Regelungen beinhaltet, die die Minimalziele noch weiter relativieren. Insbesondere durch die Einbeziehung von Senken849 und die Anrech847 Denn dadurch würden die Weltmeere weniger alkalisch, was Schalentiere und Korallen ihrer Kalkgerüste berauben und zu ihrer Ausrottungen führen könnte. (Spiegel-Online, 02. Nov. 2005, Neues Klimamodell: Dichte Wälder in der Arktis (www.spiegel.de)). 848 Alfsen/Holtsmark, The Kyoto-Protokoll a step in the wrong direction, Cicerone Feb. 2005. http://www.cicero.uio.no/fulltext.asp?id=3563&lang=en. 849 Vgl. dazu S. 299. 284 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels nung von CDM-Projekten.850 Dies führt dazu, dass das ursprüngliche Ziel auf minus 2,5 % aufgeweicht wird.851 Die Tatsache, dass Australien und die USA bislang noch nicht ratifiziert haben, führt im Ergebnis sogar dazu, dass die Emissionen der Industriestaaten des Kyoto-Protokolls im Zeitraum der ersten Verpflichtungsperiode bei ca. + 10% liegen werden.852 Die Klimarahmenkonvention mit ihrem Kyoto-Protokoll ist also allein und in dieser Form kein effektives Mittel um den Klimawandel aufzuhalten. Welcher Nutzen kommt nach diesem ernüchternden Ergebnis dem Protokoll überhaupt zu? Es wäre zu kurz gegriffen, das Kyoto-Protokoll allein als ökologisch ineffektiv zu verurteilen. Dies ließe den gesamten Entwicklungsprozess unberücksichtigt. Im ersten Teil habe ich die jahrelangen Bemühungen und Anstrengungen aufgezeigt, bis es zum erfolgreichen Abschluss und Inkrafttreten des ersten völkerrechtlich verbindlichen Reduktionsabkommens gekommen ist. Vor dem Hintergrund dieser zähen und umkämpften Entwicklung ist das Kyoto-Protokoll auf jeden Fall als Erfolg zu bezeichnen. Mit ihm wurde der Grundstein für die Entwicklung eines international angelegten Klimaschutzprozesses gelegt. Ihm kommt deswegen vor allem eine Signalwirkung zu. Es zeigt das international wachsende Bewusstsein der Bedrohungen durch den Klimawandel und die Bereitschaft den Kampf dagegen gemeinsam in der Weltgemeinschaft aufzunehmen. Multilaterale Vereinbarungen dieser Art kämpfen immer mit dem Problem, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen berücksichtigt werden müssen und so die Effektivität der angestrebten Ziele und Maßnahmen relativiert werden. Dass das Kyoto-Protokoll keine solide Basis für einen klimatisch relevanten Treib­hausgasabbau bilden konnte, war schon im Zeitpunkt der Gründung klar. Schon 1989 forderten die Wissenschaftler auf der Weltkonferenz in Toronto853 eine globale Reduktion 850 Vgl. dazu S. 300. 851 Luhmann, Das Kyoto-Protokoll tritt in Kraft, Bemerkungen zu dessen Bedeutung, S. 52, http://deutscheumweltstiftung.de/aktuell/stifter04-kyoto.pdf. 852 Luhmann, a. a. O. 853 Vgl. S. 40 ff. 285 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels der Treib­hausgase um 50%, gemessen an den damaligen Emissionen, und als eine Sofortmaßnahme 20% bis zum Jahre 2005 − ausgehend von dem Basisjahr 1988. Primäres Ziel war es deswegen zunächst eine einheitliche und vor allem gemeinsame Basis in der Weltgemeinschaft zu schaffen. Die vielen unterschiedlichen Interessen, Aufklärungs- und Umwelt(bewusstseins)standards erforderten zum einen eine homogene wissenschaftliche Plattform, um den Erkenntnisstand im Prozess des Klimawandels zu vereinheitlichen und das Bewusstsein zu schärfen und zum anderen galt es eine gemeinsame vertragliche Basis zu schaffen, um auf politischer Ebene die Weltgemeinschaft aufzurufen, gemeinsam den Kampf gegen den Klimawandel aufzunehmen und im Bewusstsein der Staaten dauerhaft zu verankern. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse des IPCC sind zwischenzeitlich international anerkannt und das Kyoto-Protokoll mit seinen Ergänzungen bildet ein solides vertragliches Fundament, das derzeit 163 Mitgliedsstaaten zählt.854 Die notwendige und geforderte ökologische Effektivität hängt nunmehr von der Weiterentwicklung im internationalen Klimaschutzprozess ab. Von oberster Priorität ist es deswegen, auf dem Kyoto-Protokoll aufbauend, dieses weiter zu entwickeln und die Reduktionsverpflichtungen auf nicht beteiligte Staaten mit relevanten Emissionswerten zu erweitern und für die Anhang-B-Staaten weiter zu verschärfen. Dabei wird es auch unerlässlich sein, den Verkehrssektor (Flug- und Seereiseverkehr) künftig mit einzubinden.855 Zunächst aber sollten sich die internationalen Verhandlungen auf eine künftige Einbindung der USA und Australien konzentrieren. 17.3 Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls Ein großes Manko des Kyoto-Protokolls ist, dass die USA als weltweit größter Treib­hausgasemittent nicht eingebunden sind. Es ist deswegen vor allem auf die Entwicklung in den USA ein besonderes Augenmerk zu richten und kurz- bis mittelfristig auch die Einbindung dieses An854 Stand: 18 April 2006. 855 So verzeichnete der Verkehrssektor den stärksten Anstieg relevanter CO2-Emissionsquellen: Luftverkehr: 72 % von 1990 bis 2003, EEA (2005): Annual European Community Greenhouse Gas Inventory 1990 - 2003, Annex 1 + 2 and Inventory Report 2005. 286 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels hang-B-Staates in die Reduktionsverpflichtung des Kyoto-Protokolls zu verwirklichen. Australien hat bislang nicht zu erkennen geben, dass es in nächster Zeit das Kyoto-Protokoll noch ratifizieren wird, doch das Land strebt zumindest an, die Kyoto-Verpflichtungen auch ohne Ratifizierung zu erfüllen. Schwieriger ist hingegen die US-amerikanische Strategie und Entwicklung zu beurteilen, dabei sind vor allem innerstaatliche Differenzen erkennbar. Während auf nationaler Ebene ein politischer Meinungswechsel derzeit nicht in Sicht ist (zumindest unter der aktuellen Präsidentschaft) zeigen sich hingegen auf regionaler Ebene positive Entwicklungen. 17.3.1. Die USA 17.3.1.1 Die Entwicklung auf internationaler Ebene Die USA unter der Regierung Georg W. Bush haben bereits vor der COP 6 II, im März 2001 angekündigt, das Kyoto-Protokoll nicht ratifizieren zu wollen und sind im Juni 2001 endgültig ausgestiegen. Das Enfant terrible des Klimaschutzes, bezeichnete damals das Kyoto-Protokoll als „fatally flawed in fundamental ways“.856 In seiner Begründung stützt sich Georg W. Bush auf den angeblich fehlenden wissenschaftlichen Nachweis des Zusammenhangs zwischen Klimawandel und Treib­ hausgasemissionen und die wirtschaftliche Belastung für das Land. Er fürchtete Einbusen im Wirtschaftswachstum und internationale Wettbewerbsnachteile.857 Den fehlenden wissenschaftlichen Nachweis hat die amerikanische Regierung zwischenzeitlich korrigiert und sich der internationalen − weithin anerkannten − Meinung angeschlossen, dass die massenhafte Emission von CO2 und anderer Treib­hausgase die „einzig wahrscheinliche Erklärung für die globale Erwärmung in den vergangen drei Jahrzehnten“ ist.858 Doch die Furcht vor wirtschaftlichen Einbußen ist nach wie vor ungebrochen. Auch wenn sie zwischenzeitlich mehr auf den Einsatz klimafreundlicher Technologien setzen, lehnen sie weiterhin verbindliche Ziele ab.859 856 http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/06/20010611-2.html. 857 Vgl. zur strategischen Analyse Mittendorf/Sell, Bonner Klimagipfel, ZfU 2/2002, S. 203 215 (213 ff.). 858 Washington bewertet Klimaveränderungen neu, FAZ vom 28.08.2004, Nr. 200, S. 5. 859 Eine Zukunft für das Kyoto-Protokoll, FAZ vom 12.12.2005, Nr. 289, S. 2. 287 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels Dieser Rückzug hat nicht nur aus klimapolitischer Sicht ein großes Loch gerissen, die Auswirkungen auf den internationalen Wettbewerb sind ebenso bedrohlich. Diese Situation schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der ratifizierenden Länder. Dies zeigt sich insbesondere an dem Beispiel Kanadas, dessen größter Handelspartner der Nachbar USA ist. Aus Kanada importiert die USA einen großen Teil seines Erdöl- und Erdgasbedarfs. Die steigenden Kosten durch Kyoto können hierbei zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen führen.860 So können die OPEC Länder, denen keine Verpflichtungen auferlegt wurden, die betreffenden Produkte vergleichsweise günstiger verkaufen und den Anbieter Kanada vom Markt verdrängen. Dies gilt auch bei der Produktion sonstiger Handelswaren, denn Produkte aus Ländern die nicht verpflichtete Parteien des Protokolls sind, haben einen Produktionskostenvorteil im internationalen Wettbewerb und können ihre Produkte erheblich billiger anbieten.861 Mit diesem so genannten „free rider – Problem“ sind also nicht nur erhebliche Nachteile für die verpflichteten Vertragsstaaten verbunden, sondern im gleichen Maße erhebliche Vorteile für die Nichtvertragsstaaten, diese werden sich diesen Wettbewerbsvorteil kaum nehmen lassen wollen. In diesem Zusammenhang wird auch das „Carbon Leakage – Problem“ diskutiert, dahinter steht die Gefahr der Abwanderung energieintensiver Produktionsstätten in Staaten, die keinen Reduktionsverpflichtungen unterliegen. Dafür bieten sich nicht nur Entwicklungsländer an, sondern auch große Industriestaaten mit gleichzeitig potentiellem Absatzmarkt − wie die USA.862 Diese Wettbewerbsvorteile vermitteln den Eindruck, dass die USA weniger die Wettbewerbsnachteile fürchten, als vielmehr ihre Wettbewerbsvorteile nutzen wollen. Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die davon ausgehen, dass, sobald wichtige Handelspartner der USA das Kyoto-Protokoll ratifi860 Vgl. Page, Kyoto and Emissions Trading Challenges for the NAFTA Family, Canda-United States Law Journal, Vol. 28/2002, S.55 - 66, der insbesondere die auftretenden Schwierigkeiten in dem NAFTA-Verbund zwischen USA, Kanda und Mexico darstellt. 861 Vgl. zum wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund Shin, Kyoto-Protokoll, Wettbewerb und WTO-Handelssystem, HWWA Discussion Paper 215, S. 10 ff. 862 Ob und in welchem Maße dieser Effekt eintreten wird, hängt vor allem von der Zuteilungsmethode der Emissionszertifikate ab. Eine kostenlose Zuteilung führt nur zu marginalen Effekten gegenüber den nicht beteiligten Ländern und damit auch nur zu einem abgemilderten Leakage Effekt. Müssen die Zertifikate hingegen ersteigert, also erkauft werden, sind auch die Kosten erhebliche höher und wird auch den Leakage Effekt wahrscheinlicher machen. 288 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels ziert haben, der Widerstand einiger Wirtschaftssektoren gegen den Vertrag, aufgrund der unterschiedlichen Standards auf den Weltmärkten, abnehmen wird.863 Es bleibt damit die künftige Entwicklung abzuwarten. Grund zur Hoffnung gab der Klimagipfel in Montreal im Herbst 2005. Die USA haben am Ende des ersten Gipfels, nach Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls, doch noch einlenken müssen und sich zumindest bereit erklärt, an künftigen (aber vorerst unverbindlichen) Verhandlungen zu Reduktionsverpflichtungen nach 2012 teilzunehmen. Der Umweltgipfel in Montreal hat auch den politischen Druck weiter erhöht. So appellierte der ehemalige US-Präsident Bill Clinton zu einem multilateralen Vorgehen und nannte die Sorgen der amerikanischen Regierung unbegründet. Nach seiner Auffassung können die USA ihr Kyoto-Ziel „leicht erfüllen und übererfüllen − und zwar auf eine Weise, die unsere Wirtschaft stärken würde.“ Nicht nur der internationale politische Druck auf die USA nimmt also merklich zu, auch auf nationaler Ebene drängen die Vorreiter eines politischen Umdenkungsprozesses zum Schutze des Klimas nach vorne. 17.3.1.2 Die Entwicklung auf Bundesstaatenebene In den 108 Kongressen im Zeitraum 2003 bis 2004 wurden bereits 45 Gesetzesentwürfe, Resolutionen und Zusätze den Klimawandel und die Treib­hausgasemissionen betreffend eingebracht. Dabei wird vor allem der Handel mit Treib­hausgasemissionen diskutiert. Es wurde zwar ein landesweiter Treib­hausgashandel 2003 mit 55 zu 43 Stimmen abgelehnt, doch nach Presseberichten Ende Dezember 2005 zu Folge, wollen sieben US-Bundesstaaten ein dem europäischen Emissionshandel ähnliches System aufbauen. Eine entsprechende Grundsatzentscheidung wurde von den Gouverneuren von Connecticut, Delaware, Maine, New Hampshire, New Jersy, New York und Vermont unterzeichnet.864 Geplant ist der Start mit Beginn des Jahres 2009. Im Rahmen dieser Regional Greenhouse Gas Initiative (RGGI) sollen die CO2-Emissionen in der ersten Verpflichtungsperiode zwischen 2009 und 2014 auf 863 Vgl. Smeloff , Global Warming: The Kyoto Protocol and Beyond, Environmental Policy and Law, Vol. 28/2 1998, S. 63 - 68 (67). 864 Massachusetts und Rohde Island sind wegen der Furcht vor steigenden Energiepreisen ausgestiegen. 289 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels insgesamt 121,3 Millionen Tonnen begrenzt werden. Dabei wird für jeden teilnehmenden Staat ein individuelles cap vorgesehen. Eine entsprechend Menge an Emissionszertifikaten wird an die Betreiber von Stromerzeugungsanlagen mit mindesten 25 Megawatt Leistung gratis vergeben.865 Nach drei Jahren muss der Anlagenbetreiber ausreichend Zertifikate nachweisen, die den Emissionen in diesem Zeitraum entsprechen. Neu ist allerdings der Preissicherungsmechanismus. Sobald der Preis für ein Zertifikat während der Verpflichtungsperiode mehr als 12 aufeinander folgende Monate $ 10 übersteigt, kann die Periode insgesamt drei Mal um ein Jahr verlängert werden. Hinzu kommt, dass die betroffenen Anlagenbetreiber so genannte „offset projects“ also Emissionsreduktionsprojekte (mit einem Volumen von max. 3% ihrer Emissionen) in den USA durchführen können, was sie sich auf ihren Zielwert anrechen lassen können.866 In der zweiten Verpflichtungsperiode (2015 bis 2019) sind jährliche Emissionsreduktionen um 2,5% und während des gesamten Zeitraums um 10% geplant, wobei banking erlaubt ist. 867 17.3.1.3 Die Entwicklung auf Unternehmensebene Auf unternehmerischer Ebene wird seit Mitte Dezember 2003 ein CO2Handel praktiziert.868 Dafür wurde in Chicago eine Emissionsrechtebörse (Chicago Climate Exchange / CCX) gegründet. Dieses Programm erfasst als Pilotprojekt sowohl den Emissionshandel als auch „offset projects“ in den USA, Kanada, Mexiko sowie Brasilien. Die CCX beruht auf freiwilligen Verpflichtungen ihrer Mitglieder, die sich dazu verpflichtet haben, ihre Treib­hausgasemissionen bis zum Jahr 2006 (dem letzten Jahr des Programms) ihre Treib­hausgasemissionen um 4 % ihrer Baseline zu reduzieren. Die Baseline bildet die durchschnittlichen 865 Ein Zertifikat entspricht eine Tonne CO2. 866 Wenn im Rahmen der ersten 14 Monte der Compliance Periode 2009 - 2014 der AllowancePreis $7, für mindestens 12 aufeinander folgende Monate erreicht oder übersteigt, können die Unternehmen 5% ihrer Emissionen durch „Offset Projects“ abdecken. Wenn zwei zwölfmonatige „Hochpreisperioden“ hintereinander auftreten, können Zertifikate, auch aus internationalen Projekten, wie die des Kyoto-Protokoll zugekauft werden. Die RGGI-Staaten nehmen damit mittelbar an Kyoto teil. 867 Zur Überwachung richtet die RGGI eine Regional Organisation (RO) ein, die ihren Sitz im Staat New York haben wird. Die RO wird über einen Exekutivausschuss (Executive Board) verfügen, dem je zwei Vertreter jedes RGGI-Mitgliedsstaates angehören. 868 Vgl. näher dazu http://www.chicagoclimatex.com. 290 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels Emissionen in den Jahren 1998 – 2001. Ausgehend von dieser Baseline werden den Unternehmen jedes Jahr ein Prozent weniger Zertifikate zugeteilt. Die Unternehmen können mit den ihnen zugewiesenen Zertifikaten Handel treiben. Der Handel involviert mehr als drei Dutzend Unternehmen − darunter Du Pont, Ford, Motorola, die zusammengenommen so viel CO2 ausstoßen, wie ganz Großbritannien.869 Dieses System scheint sich bis dato bewährt zu haben, denn laut dem Gründer der Börse Richard Sandor liegen die Einsparungen bei 9% − also weit über der Selbstverpflichtung.870 Der Preis des Zertifikats ist damit hoch genug, dass sich Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen lohnen. Auf regionaler und privater Ebene werden also Anstrengungen unternommen die Treib­hausgase zu reduzieren. Es zeichnet sich derzeit jedoch nicht ab, dass sich dies auch auf die nationale, bzw. internationale Haltung der Regierung auswirken wird. Ob und Wann die USA sich auf internationale Verpflichtungen einlassen werden, wird entscheidend von einem Regierungswechsel und dem Verantwortungsbewusstsein der künftigen Regierung und ihres Präsidenten abhängen. Bis dahin können trotz positiver Tendenz die regionalen Maßnahmen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. 17.3.2 Die Schwellen- und Entwicklungsländer Ein besonderes Augenmerk ist künftig auch auf die Schwellen- und Entwicklungsländer zu richten. Auch wenn auf Grund der völkerrechtlichen Vereinbarungen und des Prinzips der „common but differetiated responsibility“ eine Einbindung nicht vorgesehen ist, muss zumindest auf Basis einer freiwilligen Verpflichtung eine künftige Einbindung in die Reduktionsverpflichtungen angestrebt werden. Die alleinige Beteiligung der Industriestaaten im Kampf gegen den Klimawandel reicht nachweislich nicht aus. Selbst eine Stabilisierung der Treib­hausgasemissionen kann nur erreicht werden, wenn sowohl die entwickelten Länder als auch die Entwicklungsländer ihre Emissionen reduzieren. Dies wird vor allem an der Entwicklung der Treib­hausgasemissionen in den Entwicklungsländern deutlich, insbesondere solcher dynamisch wachsen869 Trautfetter, Geschäfte mit der Erwärmung, in: Der Spiegel 32/2005, S. 116 - 119 (117). 870 Trautfetter, a. a. O. S.118. 291 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels der Länder wie China und Indien. Die stark wachsende Wirtschaft Chinas ist auf dem besten Weg, die USA in ihrem Energieverbrauch und Emissionsausstoß einzuholen. So nimmt China bereits Platz 2 der globalen CO2-Emissionen ein.871 Die Entwicklungsländer werden jedoch ihr Recht auf wirtschaftliches Wachstum dieser Forderung entgegenhalten ebenso wie die vorrangige Verpflichtung der Industrieländer. Diese befürchten wiederum wirtschaftliche Nachteile durch die Konkurrenz der Entwicklungsländer ohne Reduktionsverpflichtung,872 weshalb eine Vielzahl entwickelter Länder, allen voran die USA, auf einer Beteiligung der Entwicklungsländer beharren. Auch hier konnte der Klimagipfel in Montreal 2005 ein positives Signal setzen. So haben sich auch die Entwicklungsländer im Rahmen dieser Konferenz bereit erklärt, an den Gesprächen für ein Kyoto II teilzunehmen. Dies könnte der Beginn eines Entwicklungsprozesses für eine künftige Beteiligung der Entwicklungsländer sein. 17.3.3 Aktuelle Entwicklung Von erkennbar entscheidender Bedeutung für die Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls war die erste Vertragsstaatenkonferenz zum Kyoto-Protokoll in Montreal 2005. Im Rahmen dieses Klimagipfels haben sich sowohl die USA und Australien aber auch die Entwicklungsländer bereit erklärt in den kommenden beiden Jahren an Gesprächen für ein Kyoto II teilzunehmen, auch wenn es (zunächst) nur die Teilnahme an Gesprächen zu freiwilligen Beiträgen in unverbindlichen Arbeitsgruppen betrifft. Diese war vor allem relevant für eine mögliche künftige Einbindung der Schwellen- und Entwicklungsländer. Da jedoch die Entwicklungsländer bislang jede Anstrengung durch Zahlungen der Industrieländer kompensiert bekamen, werden sich diese auch zukünftig kaum ohne finanziellen Ausgleich beteiligen. So stellten Brasilien und andere Entwicklungsländer auch in Montreal den Vorschlag zur Debatte, freiwillig ihre Anstrengungen zur Reduktion von Treib­hausgasen 871 Kemfert, Klimapolitik mit China und den USA nach 2012: Kostensenkung durch Emissionshandel und technologische Kooperation, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Wochenbericht 72/2005, S. 463 - 467 (464). 872 Breidnich u. a., The Kyoto-Protokoll to the UNFCCC, AJIL, Vol.92, No.2 1998, S. 315 - 331 (325). 292 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels verstärken zu wollen, allerdings nicht ohne einen adäquaten finanziellen Ausgleich. Damit gingen die Entwicklungsländer einen Schritt auf die entwickelten Länder zu und könnten so den Weiterentwicklungsprozess entscheidend voranbringen. Die USA, die seit Jahren die Beteiligung der Entwicklungsländer fordern, haben darauf grundsätzlich positiv und interessiert reagiert, wie weit dies die US-amerikanische Haltung beeinflussen wird, machen sie jedoch davon abhängig „how it plays out“.873 Neben dem Beitritt dieser Länder ist für einen effektiven Kampf gegen den Klimawandel weiter erforderlich, dass das Kyoto-Protokoll über den Ablauf des ersten Verpflichtungszeitraums hinaus fortgeschrieben wird. Dahingehend hat das Treffen in Montreal ebenfalls begründeten Anlass zur Hoffnung gegeben. Es wurden zwar keine verbindlichen Vereinbarungen beschlossen, dennoch haben sich die Vertragsstaaten übereinstimmend entschieden, die Verhandlungen zeitnah weiterzuführen, mit dem Ziel der Fortführung des Kyoto-Protokolls über das Jahr 2012 hinaus. Dabei gilt es vor allem weiter gehende und damit höhere Emissionsreduktionen für die Industrieländer zu vereinbaren und Russland niedrigere Quoten abzuverlangen. So dass von Verpflichtungsperiode zu Verpflichtungsperiode die Emissionsberechtigungen und damit der Ausstoß klimarelevanter Gase weiter verringert werden können. Die künftige Entwicklung in diesem erkennbar hoch sensiblen Terrain wird dabei ein hohes Maß an diplomatischen Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft abverlangen. Die ersten Gespräche, die im Mai 2006 in Bonn stattfanden, konnten bereits zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Die Delegierten waren sich im Rahmen dieser Konferenz einig, dass ein nahtloser Übergang nach 2012 notwendig ist und konnten übereinstimmend ein Arbeitsprogramm verabschieden, „das auf einem soliden Prozess basiert und zu wissenschaftlich fundierten Minderungszielen für die Industriestaaten innerhalb der nächsten Jahre führen wird“.874 873 Harlan Watson, US Verhandlungsführer, im Wall Street Journal vom 12.12.2005. 874 Zammit-Cutaja, Michael, Vorsitzender der „Ad Hoc-Arbeitsgruppe zu weitergehenden Verpflichtungen für die Vertragsstaaten des Kyoto-Protokoll“. 293 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels 17.4 Ergebnis Es lässt sich damit festhalten, dass die Bedeutung der Klimarahmenkonvention und seines Kyoto-Protokoll vor allem auf seiner Signalwirkung beruht. Man hat es erstmals geschafft, völkerrechtlich verbindliche Reduktionsvereinbarungen zu treffen. Die 163 Mitgliedsstaaten, die das Kyoto-Protokoll mittlerweile ratifiziert haben, sind damit Teil der größten existierenden Klimaschutzkoalition, auch wenn auf diese noch eine Menge Arbeit zukommt. Ein erster aber entscheidender Schritt zur Umsetzung des Umweltziels Klimaschutz wurde damit getan, der Erfolg und die Effektivität hängen jedoch von der künftigen Weiterentwicklung ab. Das Kyoto-Protokoll ist ein Beispiel dafür, dass sich Ambitionen lohnen und kombiniert mit diplomatischem Geschick und Kompromissbereitschaft auch Erfolg versprechend sind, auch wenn bislang klimatisch relevante Ergebnisse auf der Strecke geblieben sind. Dies muss sich künftig ändern, damit sich die Verhandlungen auch in einer effektiven klimatischen Verbesserung niederschlagen. Das Kyoto-Protokoll ist damit allenfalls ein Zwischenziel. Endziel muss eine nahezu emissionsfreie Wirtschaft sein. Dieses langfristige Ziel bedarf einer stufenweise und wirtschaftlich verträglichen Umsetzung, nur so kann es gelingen, den Ausstoß an Treib­hausgasen weltweit zu mindern und das globale Klima langfristig zu stabilisieren und dabei die weltweit wirtschaftliche Beeinträchtigung im Rahmen zu halten. 18. Die Rolle des Emissionshandels im internationalen Klimaschutz Eine wirtschaftlich verträgliche Umsetzung der Umweltziele hängt maßgeblich von den Umsetzungskosten ab. Um diese möglichst gering zu halten, wurde der Emissionshandel aber auch der CDM und der JI in das Kyoto-Protokoll integriert. Der Grundgedanke der flexiblen Mechanismen ist die lokale Irrelevanz der ergriffenen Maßnahmen. Es kommt also nicht darauf an, wo Treib­hausgase verringert oder vermieden werden, allein entscheidend ist, dass es zu einer effektiven Reduzierung kommt. Während der CDM und der JI Mechanismen sind, die mit regionalen Projekten zu einer direkten Reduktion der Treib­hausgase führen, setzt der Emissionshandel an deren indirekter Vermeidung bzw. Verrin294 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels gerung an. Sein Ziel ist nicht die unmittelbare Emissionsverringerung als vielmehr die Schaffung notwendiger Anreize solche Maßnahmen zu ergreifen. So kann die Umsetzung der Reduktionsziele zu den geringsten Kosten erreicht werden, und die Reduzierung von Treib­hausgasen kann flexibel − und damit an die individuellen Bedürfnisse angepasst – gestaltet werden. Diese Flexibilität lässt auch ein Mehr an Emissionen zu, ohne dass dies zu einem Nachteil der Umwelt führen würde, weil auf der anderen Seite Reduktionen stehen, ohne die ein Verkauf nicht möglich wäre. Dabei berücksichtigt der globale Handel die Tatsache, dass die Kosten der Emissionsvermeidung bzw. Reduzierung weltweit stark differieren. Durch einen Emissionshandelsmarkt werden die Emissionen dort reduziert, wo dies zu geringsten Grenzvermeidungskosten möglich ist. Reduzierungen über das zugeteilte Maß hinaus können kapitalisiert werden, in dem die nicht gebrauchten Emissionsrechte am Markt verkauft werden. Käufer sind wiederum diejenigen, die ansonsten nur mit höherem Kostenaufwand ihre Reduktionsziele erreichen könnten. Der globale Handel erhöht die Marktliquidität und beeinflusst die Stabilität des Preisniveaus. Mit dem Handel einher geht die Entwicklung klimafreundlicher Technologien, was wiederum auch den ärmeren Ländern zugute kommen wird875 und damit ebenfalls zur globalen Reduktion von Emissionen beiträgt. Der Emissionshandel leitet sich mit seinem Konzept aus dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung876 ab, was sich auch in Art. 3 FCCC widerspiegelt. Das Klima wird zu einer Ressource dessen nachhaltiger Schutz durch ein ökonomisches Mittel erreicht werden kann. Künftigen Generationen soll diese Ressource erhalten bleiben, um ihnen eine gleichwertige Lebensgrundlage zu bieten, wie dies für die heutigen Generationen der Fall ist. Um dieses Ziel zu erreichen, wird mit dem Substrat, das zum „Abbau“ des Klimas führt, Handel getrieben. Damit wird der finanzielle Anreiz gesetzt, ein mehr an „Substrat“ auf dem Weltmarkt anzubieten und damit ein Weniger an Klima abzubauen. Denn der Umfang des Angebots hängt davon ab, wie viel Emissionsrechte nicht gebraucht werden und damit durch technologische Innovation weniger Treib­hausgas 875 Vgl. Art. 10c Kyoto-Protokoll. 876 Vgl. S. 35 ff. 295 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels produziert wird. Durch die Einführung des Emissionshandels bekam die Ressource Atmosphäre, bzw. die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für Klimagase, einen Preis. Die Werthaftigkeit hat also zu einer Internalisierung der Kosten des ehemals freien Guts verholfen und damit zur Umsetzung des Verursacherprinzips. Durch die Internalisierung der sozialen Zusatzkosten, wird eine verschwenderische Nutzung der freien Güter verhindert, denn die Kosten werden nunmehr vom Verursacher getragen, was eine moderate Nutzung dieser Güter bewirkt. Mittlerweile sind auch die moralischen Bedenken gegen dieses Instrument einer allgemeinen Akzeptanz und Vertrauen gewichen, was nicht zuletzt auf einem breiten Informations- und Aufklärungssystems beruht. Zwar halten sich bis heute die Stimmen, die von einem „modernen Ablasshandel“877 sprechen, doch die wohl überwiegende Auffassung weltweit misst gerade dem Emissionshandel zwischenzeitlich eine wichtige Rolle im Klimaschutz zu. Schwierig war im Rahmen dieser Entwicklung insbesondere die Akzeptanz des Paradigmenwechsels. Wenn bislang Umweltverschmutzungen pönalisiert wurden, so wurde diese nunmehr zu einem wirtschaftlichen Gut. Ein Wechsel von: „It ist wrong to pollute, even if you can afford to pay“ zu „It’s ok to pollute, provided you can pay“878, hat somit einige Zeit gebraucht. 18.1 Mögliche Gefahren Die Effektivität des Emissionshandels und der marktspezifische Anreiz zur Reduktion und Innovation hängt vor allem von dem Preis der Emissionszertifikate ab; nur ein kappes Gut führt zu hohen Preisen. Dafür bedarf es neben einer restriktiven Zuteilung auch einer strengen Kontrolle. Nur dann kann der Emissionshandel einen effektiven Beitrag im internationalen Klimaschutz leisten. Das System ist vor allem sehr sensibel gegenüber Faktoren, die dieses Gleichgewicht stören und zu einem Überangebot an Emissionsrechten führen und damit einen Preis877 Sattler, Moderner Ablasshandel in: Das Parlament Nr. 11/08.03.2004, www.bundestag.de/ das parlament/2004/11/ThemaderWoche/002.html. 878 Goodin, Selling Environmental Indulgences, Kyklos, Vol. 47/1994, S. 573 - 696 (582 f.) 296 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels verfall begründen könnten. Derzeit gibt es einige Unwägbarkeiten, die genau dieses Risiko beinhalten. 18.1.1. Hot air Eines der größten Probleme, ist das der so genannten „Hot air“. Das Problem geht zurück auf den Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Mittel- und Ost-Europa sowie in Russland in den 1990ern. Aus diesem Grund wurden Russland und der Ukraine in der ersten Verpflichtungsperiode 100% ihrer Emissionen von 1990 zugestanden. Doch wegen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs dieser Länder, liegen die tatsächlichen Emissionen weit unter denen von 1990. Hinzu kommt der technologische Fortschritt, der die Emissionsreduktion weiter fördert. Dies führte zu einem Rückgang der Emissionen zwischen 1990 und 1997 von rund 30%. Was zunächst nach einer positiven Entwicklung aussieht, birgt jedoch eine große Gefahr für die ökonomische und ökologische Effektivität des Emissionshandels. So steht zum einen diesen freien Emissionsrechten keine adäquate Reduktion gegenüber und zum anderen kann das ungenutzte Emissionspotential, und damit die große Anzahl handelbarer Rechte, zu einem Überangebot am Emissionshandelsmarkt führen. Nachdem Russland das Kyoto-Protokoll ratifiziert hat und am internationalen Emissionshandel teilnehmen kann, können also ab 2008 diese dem Markt zugänglich gemacht werden, ohne dass eigene Anstrengungen zum Klimaschutz getätigt wurden. Die dadurch bedingten Niedrigstpreise, ermöglicht den Vertragsparteien, unter Beibehaltung eines „business as usual“, ihre Reduktionsverpflichtungen einfach durch den Zukauf dieser Berechtigungen zu erfüllen, auch bei Anstieg ihrer eigenen Emissionen. Erschwerend hinzu kommt, dass der größte potentielle Käufer – die USA – weggefallen sind. Damit steht diesem großen Angebot nur eine relativ geringe Nachfrage gegenüber. Dies kann dazu führen, dass im Jahr 2012 keine Tonne CO2 weniger ausgestoßen wurde.879 Das Kyoto-Protokoll würde ad absurdum geführt. Allerdings ist davon auszugehen, dass Russland und die Ukraine ihre Emissionsrechte nicht zu Niedrigstpreisen „verschleudern“ wollen, 879 Graichen/Harders, Die Ausgestaltung des internationalen Emissionshandels nach dem Kyoto-Protokoll und seine nationalen Umsetzungsvoraussetzungen, ZUR 2/2002 S. 73 - 80 (78). 297 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels sondern an einem hohen Preisniveau interessiert sind. Dafür müssen sie jedoch einen beträchtlichen Anteil ihrer Emissionsrechte zurückhalten. Darüber hinaus ist seit Montreal 2005 klar, dass Kyoto II kommen muss und kommen wird. Im Rahmen der Verhandlungen werden auch künftige Reduktionsverpflichtungen dieser Länder wahrscheinlich. So erscheint es für diese sinnvoll, Emissionsberechtigungen zur Erfüllung künftiger Reduktionsverpflichtungen in der zweiten Periode anzusparen (banking). Hinzu kommt, dass die Wirtschaft dieser Länder mittlerweile wieder wächst und damit auch die Emissionen; weshalb sich ein Ansparen ebenfalls lohnen würde. Diese Gefahr war nicht zuletzt auch der Grund dafür, die Commitment Period Reserve einzurichten. Der zweite Teil der Regelung, dass das Fünffache der Menge des zuletzt überprüften Emissionsverzeichnisses als Reserve zurückzuhalten ist, soll vor allem die Staaten erfassen, deren Emissionsbudget zu mehr als 10% aus „hot air“ besteht. Steigen die Emissionen in einem solchen Land deutlich an und hat dieses Land in den ersten Jahren der Verpflichtungsperiode seine „freien“ Emissionsrechte verkauft, müsste es Zertifikate zurückkaufen, um die Reservevorgaben zu erfüllen. In diesem Zusammenhang wird auch ein weiteres Problem ähnlicher Art diskutiert, dass der so genannten „tropical air“, die „hot air“ aus tropischen Ländern. Wenn es zu Verhandlungen über Reduktionsverpflichtungen von Schwellen- und Entwicklungsländern kommen wird, besteht die Gefahr, dass die präjudizielle Wirkung880 der Zugeständnisse an Russland und die Unkraine greift. Es ist davon auszugehen, dass auch die Schwellen- und Entwicklungsländer darauf beharren werden, Emissionsbudgets weit über ihrem „business as usal“ zugewiesen zu bekommen. Das Zugeständnis wäre, unter Anwendung des internationalen Rechtsgrundsatzes der „Equity“, wohl auch legitim.881 Damit droht dem Emissionshandel neben der„hot air“ auch die „tropical air“. Deswegen ist von Russland und der Ukraine, zumindest in der 2. Verpflichtungsperiode, eine Verpflichtung und damit eine Emissionsbudgetzuweisung weit unter dem des „business as usal“ abzuverlangen.882 880 Batruch, „Hot Air“ as Precedent for Developing Countries? Equity Considerations,UCLA Journal of Environmental Law, Vol. 17:45, 1998-99, S. 45 - 66 (57 f.). 881 Batruch, a. a. O. S. 59 ff. 882 Jochen, System handelbarer Emissionsrecht, ZfU 3/1999, S. 349 - 368 (353). 298 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels 18.1.2 Senken Ein weiteres Problem ist die Einbindung von CO2 in Senken. Dies stellt eine preisgünstige Möglichkeit zum Erwerb von Emissionsrechten dar. Ein Land, das nachweisen kann, dass seine Senken mehr CO2 aufnehmen als abgeben, kann sich dies anrechnen lassen. Die gutgeschriebenen RMUs können wiederum dem Emissionshandelsmarkt zugeführt werden. Ähnlich dem Problem der heißen Luft, kann unter Beibehaltung des „business as usual“ eine formale Emissionssenkung mit geringen Anstrengungen erreicht werden. Auch diese so genannte „Waldluft“ kann zu einem starken Absenken der Preise führen. Hinzu käme die erhebliche Verlangsamung des umwelttechnologischen Fortschritts, sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern, da die Technologieprojekte, die mit höheren Anfangsinvestitionen verbundenen werden, verdrängt würden.883 Mit einher geht ein erhebliches ökologisches Risiko, so mag es zwar egal sein, ob CO2 vermieden oder vorhandenes CO2 in Senken eingebunden wird, doch die Einbindung ist nur relativ, denn Holz wird im Zweifel über kurz oder lang doch verbraucht, verbrannt oder es verrottet und das gebundene CO2 wieder freigesetzt. Außerdem kann selbst eine großflächige Wiederaufforstung die enormen fossilen Emissionen kaum kompensieren.884 Während für die Anrechenbarkeit von Waldflächen in Marrakesch zumindest Obergrenzen festgelegt wurden, ist die Anrechenbarkeit von Acker- und Grünlandbewirtschaftung weiterhin unbegrenzt möglich. Zumindest wurde die Datenerhebung- und Kontrolle verbessert und bei mangelndem Nachweis der erforderlichen Einbindung können am Ende der Verpflichtungsperiode die Emissionsgutschriften aus Senkenaktivitäten wieder gelöscht werden. Dies ändert aber nichts daran, dass die Schwierigkeit einer Berechnung, wie viel CO2 ein Baum tatsächlich speichern kann − und vor allem wie lange, nicht behoben wurde. Die erheblichen Unsicherheiten und Schwachstellen sind also geblieben und werden sich auch kaum beheben lassen. Aus diesem Grund sollte die Anrechenbarkeit von Senken künftig ausgeschlossen werden. 883 Jochen, System handelbarer Emissionsrechte, ZfU 3/1999, S. 349 – 368 (361). 884 Kyoto-Protokoll und CO2-Emissionshandel: Chancen für Entwicklungsländer? www.bertahamburg.de/pdf/Archiv. 299 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels 18.1.3 CDM Auch der CDM muss an dieser Stelle erwähnt werden, denn dieser Mechanismus kann nicht nur zur Reduktion der Emissionen beitragen, sondern auch die Vorgaben des Kyoto-Protokolls und damit die Zielerreichung relativieren, weil mit den Gutschriften aus CDM-Projekten zusätzliche Emissionsberechtigungen dem Emissionshandelsmarkt zugeführt werden. Das ursprünglich begrenzte Budget wird dadurch aufgeweicht und kann zu einem erheblichen Preisverfall der Emissionszertifikate am Markt führen und damit auch die notwendigen Reduktionen unattraktiv machen.885 In Marrakesch wurden deswegen strenge Kriterien für die Anrechnung von CDM-Projekten beschlossen. Und auch im Rahmen der Anrechnung von Senkenaktivitäten wurden diese auf Aufforstungs- und Wiederauffrostungsmaßnahmen beschränkt, die in der ersten Verpflichtungsperiode auf 1% der Emissionen des Basisjahres begrenzt sind. Es wurde auf internationaler Vertragsebene also viel unternommen, um die negativen Effekte abzuschwächen und aufzufangen. Wie weit sich die potentiellen Gefahren realisieren werden und in wie weit diese durch die Regelungen aufgefangen werden, wird sich erst in der Praxis zeigen. 18.2 Der Emissionshandel als Mittel zur Erreichung von Universalität In Anlehnung an das bereits Erwähnte886 strebt das (Umwelt)-Völkerrecht bei vertraglichen Vereinbarungen auf Staatengemeinschaftsebene immer die Universalität, also eine möglichst hohe Beteiligung an, um einen möglichst hohen Grad an Effizienz zu erreichen. Auch die Erreichung des Ziels eines umfassenden und globalen Klimaschutzes erfordert die Beteiligung so vieler Staaten wie möglich. Dafür müssen vor allem Anreize geschaffen werden, die für alle Länder gleichermaßen attraktiv sind. Ein sinnvoll ausgestalteter internationaler Emis885 Jochen, System handelbarer Emissionsrecht, ZfU 3/1999, S. 349 - 368 (362). 886 Vgl. S. 45 ff. 300 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels sionsrechtehandel hat das Potential einen solchen Anreiz zu setzen.887 Dies ist darauf zurück zu führen, dass der Grad der Beteiligung maßgeblich von der Höhe der damit verbundenen Kosten abhängt. D. h. die Klimaschutzziele sind nur zu verwirklichen, wenn diese zu geringst möglichen Kosten umgesetzt werden können. Dafür stehen einige unterschiedliche finanziell geprägte Anreizinstrumente zur Verfügung, die auch Länder mit hohen Emissionen und meist hohen Vermeidungskosten überzeugen können, dem Klimaschutzabkommen beizutreten.888 Wirklich Erfolg versprechend sind dabei solche Maßnahmen, die nur minimale volkswirtschaftliche Kosten erwarten lassen, wie dies bei einem internationalen Emissionshandel der Fall wäre. Nach dessen Konzept sollen die Investitionskosten für die Reduktionsmaßnahmen zumindest teilweise finanziell kompensiert werden, indem die frei werdenden Emissionsberechtigungen verkauft werden können. Funktioniert dieser Mechanismus, wird es zu einer Vielzahl von Reduktionsmaßnahmen und Investitionen kommen. Die Kosten, die mit den zunächst höheren Anfangsinvestitionen verbundenen sind, können durch den Verkauf zumindest teilweise kompensiert werden, wobei sich die Investitionen vor allem langfristig auszahlen werden, weil dadurch dauerhaft weniger emittiert wird. Die Käufer hingegen können durch den Kauf günstiger operieren, als durch die Investitionen in Reduktionsmaßnahmen. Das Ineinandergreifen von Angebot, Nachfrage und Investitionen führt zu einer stetigen Verringerung der Umsetzungskosten und der Verwirklichung des Umweltziels. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Folge, können in den Industriestaaten im Vergleich zu einem Szenario, in dem kein Emissionshandel vorgesehen ist, bis zum Jahr 2050 Kosten in Höhe von ca. 500 Mrd. US-Dollar vermieden werden.889 Dies setzt allerdings voraus, dass Europa, die USA, Japan und Russland ihre Emissionen von 2012 an um 3% pro Jahr gegenüber einem geschätzten 887 Wolfrum, Völkerrechtliche Beurteilung des Handels mit Emissionsrechten, in: Rengeling (Hrsg.), Klimaschutz durch Emissionshandel, Achte Osnabrücker Gespräche zum deutschen und europäischen Umweltrecht am 26. und 27. April 2001, Schriften zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Bd. 26, S. 191 f., ohne nähere Erläuterung. 888 Z. B. durch eine finanzielle Bezuschussung oder auch Entlastung, vgl. näher dazu Kemfert, Klimapolitik mit China und den USA nach 2012: Kostensenkung durch Emissionshandel und technologische Kooperation, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Wochenbericht 72/2005, S. 463 - 467 (464). 889 Kemfert, Klimapolitik mit China und den USA nach 2012: Kostensenkung durch Emissionshandel und technologische Kooperation, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Wochenbericht 72/2005, S. 463-467 (463 ff.) 301 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels Emissionsverlauf gemäß einem „Business as usual“-Szenario reduzieren und dass gleichzeitig China ab 2012 mit Emissionsrechten ausgestattet wird. Durch den wirtschaftlichen Effekt des internationalen Emissionshandels steigt die internationale Aufmerksamkeit und Akzeptanz890 für das Instrument und kann dadurch den Anreiz setzen, auch Länder wie die USA und China von dem Handel und damit von einem Beitritt − bzw. der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls − zu überzeugen. Viele amerikanische Ökonomen unterstützen das Kyoto-Protokoll nur und gerade wegen des Emissionshandels.891 Ein um die USA erweiterter Handel fördert die Liquidität des Marktes und führt zu einer weiteren Kostenreduzierung.892 Dies steigert auch den Anreiz für die Nicht-AnhangB-Staaten, wie China mit hohen Emissionswerten freiwillige Reduktionsverpflichtungen zu übernehmen, da es durch den Verkauf von Emissionsrechten in beachtlichem Ausmaß profitieren kann.893 Die Beteiligung der Entwicklungsländer könnte für diese sogar zu Einnahmen führen und sogar zu einem höheren Wirtschaftswachstum von 0,1%.894 Je größer der Kreis der Beteiligten wird, umso leichter, kostengünstiger und effizienter wird die Zielerreichung der Kyoto-Vorgaben und die künftiger Vereinbarungen. Der globale Handel steigert die Liquidität des Marktes und reduziert die Kosten. Dabei gleichen sich die Kosten der Länder automatisch nach unten an. Die Gesamtkosten für die Erfüllung eines gegebenen Reduktionsziels werden also minimiert, bzw. die mit begrenzten Ressourcen erreichbaren Emissionsreduktionen werden maximiert.895 Dies macht den Emissionshandel zu einem Umsetzungs890 Grubb/Michaelowa u. a., United Nations Conference on Trade and Development, Greenhouse Gas Emissions Trading, 1998, S. 12, http://r0.unctad.org/ghg/download/other/intl_ rules_execsum.pdf. 891 Frankel, Kyoto and Geneva: Linkage of the Climate Change Regime and the trade Regime, S.5, http://ksghome.harvard.edu/~jfrankel/VeniceKyotoGeneva.pdf 892 Ciorba/Lanza/Pauli, Kyoto Protocol and Emissions Trading: Does the US make a difference?, Fondazine Eni Enrica Matei, Nota di Lavoro 90.2001, http://www.feem.it/NR/ rdonlyres/96A80032-D5C7-40BC-B135-29D030B65F57/210/9001.pdf. 893 Kemfert, Klimapolitik mit China und den USA nach 2012: Kostensenkung durch Emissionshandel und technologische Kooperation, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Wochenbericht 72/2005, S. 463-467 (463 ). 894 Kemfert, a. a. O. S. 466. 895 Oberthür/Ott, Das Kyoto-Protokoll, S. 243. 302 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels instrument eines multilateralen Vertrages, das aufgrund seines Mechanismus den erforderlichen Anreiz auch für eine weitreichende Beteiligung an dem Vertrag selbst setzt, der für die Teilnahme die Ratifizierung und das Eingehen von Reduktionsverpflichtungen voraussetzt. Die zunehmende Beteiligung würde automatisch auch die Wettbewerbsprobleme lösen, wie z. B. das Leakage Problem. Denn durch die Beteiligung der bislang nicht oder nur geringfügig verpflichteten Staaten bliebe nur noch wenig Raum für eine Abwanderung der Fertigung energieintensiver Produkte, bzw. emissionsintensiver Produktionsstätten. Auch das hot air Problem könnte durch einen weltweiten Handel verringert werden. Denn ein übermäßiges Angebot auf dem Weltmarkt hätte einen nicht gewünschten Preisverfall zur Folge, weshalb man versuchen wird durch Zurückhaltung den Zertifikatspreis stabil zu halten. Der internationale Emissionshandel ist damit ein Instrument zur Umsetzung der Reduktionsverpflichtung und gleichzeitig Anreizmittel Reduktionsverpflichtungen zu übernehmen. Was auf den ersten Blick sonderbar wirkt, ist genau der Mechanismus, der langfristig das Ziel einer universellen oder zumindest nahezu universellen Beteiligung realisieren kann. Dabei können die Industrieländer durch diesen Mechanismus, im Vergleich zu anderen Optionen, die Vermeidungskosten gering halten und für die Entwicklungsländer, die sich freiwillig zum Klimaschutz bereit erklären, kann es sogar mit einem höheren Wirtschaftswachstum verbunden sein. 18.3 Das völkerrechtliche Neuartige Völkerrechtliche Verträge gaben bislang Ziele vor, die auf nationaler Ebene umgesetzt werden mussten. Dafür stellte der multilaterale Vertrag Instrumente und Mittel zur Verfügung oder es blieb den Staaten selbst überlassen, wie sie die Ziele umsetzen. Dieses Konzept wurde durch das Kyoto-Protokoll erheblich verbessert und revolutionär erweitert. Auch das Kyoto-Protokoll gibt als völkerrechtlicher Vertrag ein bestimmtes Ziel vor, das Mittel, dass der multilaterale Vertrag zur Umsetzung dieses Ziels anbietet, ist jedoch nicht auf eine nationale Umsetzung beschränkt, sondern das Kyoto-Protokoll beinhaltet mit dem Emis303 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels sionshandel ein Instrument, wie die nationalen Ziele auch international umgesetzt werden können. Der dadurch bedingte Effektivitätsvorteil wird sogar zu einem entscheidenden Erfolgskriterium. Die Effektivität der angeboten Mittel bleibt nicht allein im Verantwortungsbereich des betroffenen Staates, sondern wird zum Ziel der Weltgemeinschaft, die nicht nur hinsichtlich des Ziels auf die internationale Zusammenarbeit baut, sondern auch bei den Mitteln der Umsetzung die Vorteile einer globalen Beteiligung nutzt. Mit Beginn des europäischen Emissionshandels, zeigte sich bereits innerhalb des europäischen Staatenverbundes die Effektivität eines grenzüberschreitenden Handels, auf Mitgliedsstaatlicher Ebene. Ab 2008 wird es durch das Kyoto-Protokoll möglich sein, die nationalen Ziele auch international umzusetzen. Die Besonderheiten lassen sich auch in dem System des Handels selbst erkennen, so wird die Angebotsseite durch internationale Bestimmungen geregelt, die Nachfrageseite wir hingegen auf nationalen bzw. europäischen Regeln aufgebaut.896 Mit der Integration des internationalen Emissionshandels in einen umweltvölkerrechtlichen Vertrag wurde zum ersten Mal in der Geschichte des Umweltvölkerrechts ein System aufgebaut, das auch unterschiedlichste Politikebenen miteinander verbindet. Ausgehend von der internationalen Vorgabe und des angebotenen Umsetzungsinstruments, wird die europäische und nationale politische Ebene involviert genauso − wenn nicht sogar vorrangig − die nationale Unternehmenspolitik als unmittelbar handelnde und entscheidende Einheit. Dabei ist der grenzüberschreitende Emissionshandels auch für Unternehmen das erste ökonomische Instrument der Umweltpolitik auf Staatenübergreifender Ebene.897 Das Völkerrecht bzw. Umweltvölkervertragsrecht hat durch das Instrument des internationalen Emissionshandels eine neue Dimension erfahren. Dabei kann der Grundgedanke der Umsetzung eines globalen Ziels durch einen grenzüberschreitenden Aktivismus auch Bestandteil 896 Langrock/Bunse, Internationale Verträge schaffen neue Märkte: Das Beispiel Emissionshandel, CDM und JI, Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie, S. 11, http://www.wupperinst. org/download/TL-flexible-mechanismen.pdf. 897 Langrock/Bunse, a. a. O. 304 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels künftiger völkerrechtlicher Verträge werden, nicht nur im Bereich des Umweltvölkerrechts. 19. Resümee und Prognose Die Integrierung des Emissionshandels in das Kyoto-Protokoll ist der komplexe Versuch mit einem marktwirtschaftlichen Instrument klar definierte Umweltziele umzusetzen, dies macht das Instrument so besonders und zum Bindeglied zwischen Ökonomie und Ökologie. Ein innovatives Konzept dessen Vergleichbarkeit zu anderen, bekannten Marktinstrumenten schwer fällt. Auch vergleichbare Erfahrungswerte fehlen. Das US-Acid-Rain-Programm oder der seit 2002 in Groß Britannien stattfindende Emissionshandel lässt keine Rückschlüsse zu, da dieser Handel territorial begrenzt ist und ihm andere rechtliche Legitimationen zu Grunde liegen. Auch der innereuropäische Handel ist noch zu jung, so dass sich bislang nur wenige Erkenntnisse daraus schließen lassen. Allerdings können die in dem Dreijahreszeitraum bis 2008 gewonnen Erkenntnisse für die Einschätzung des Erfolgs eines weltweiten Handels mit Emissionsrechten durchaus von Bedeutung sein. Mit Gewissheit kann jedoch gesagt werden, dass das Reduktions- bzw. Stabilisierungsziel des Kyoto-Protokolls ohne den Handel nicht zu erreichen ist. Auch nach dem Ergebnis des G8 Gipfeltreffens im Sommer 2005 in Groß Britannien, waren sich die Beteiligten einig, dass der Emissionshandel durchaus ein probates Mittel ist, die Unternehmen zur Reduktion ihrer Treib­hausgase anzureizen. Da aber der vorrangige Aspekt der flexiblen Mechanismen die Steigerung der Effizienz der Energienutzung und des Produktionsprozesses sei und man keine durchgreifenden technologischen Veränderungen erwartet, sollen auch andere Programme auf dem öffentlichen und privaten Sektor gefördert werden, um die Entwicklung klimafreundlicher Technologien voranzutreiben.898 Zur Verfogung dieses Zieles bedarf es nicht zuletzt auch der Weiterentwicklung auf internationaler Vertragsebene. Dahingehend steht neben einer Fortführung des Kyoto-Protokolls auch der Abschluss 898 Statement of G 8 Climate Change Roundtable convened by the World Economic Forum in Collaboration with her Majesty’s Government, United Kindgdom 9. Juni 2005, http://www. weforum.org/pdf/g8_climatechange.pdf, S. 3, Unleash technological innovation through performance-based incentive programs. 305 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels weiterer – davon unabhängiger – internationaler Verträge im Raum,899 in denen sich die Staaten zu Reduktionsmaßnahmen verpflichten. Es gibt bereits eine Vielzahl von Vorschlägen, mit welchen Methoden und Instrumenten diese Verträge wirtschaftlich am verträglichsten umgesetzt werden können.900 Neben zusätzlichen internationalen Vereinbarungen wird mittlerweile auch verstärkt auf nationale Alternativen gesetzt.901 Auch im europäischen Emissionshandel sind für die Phase nach 2012 verstärkt unilaterale Abkommen zwischen den Mitgliedsstaaten geplant.902 Der Klimaschutz baut damit auf drei Säulen auf – den nationalen, europäischen und den internationalen Maßnahmen. Der Emissionshandel ist dabei ein Instrument aller drei Säulen, der ebenso säulenübergreifend funktioniert und damit ein Maximum an Umsetzungseffizienz ermöglicht. Als global funktionierender Mechanismus ist er zur Zeit fast konkurrenzlos, wenn man einmal von den projektorientierten Mechanismen absieht. Diese Arbeit hat die Vielseitigkeit und Multifunktionalität des Emissionshandels aufgezeigt. Dabei fällt es schwer, die ganze Bandbreite an Funktionen und Folgen abschließend zusammenzufassen. Dies liegt nicht zuletzt an den interdisziplinären Eigenschaften dieses Instruments. Als Bestandteil eines Umweltvölkerrechtlichen Vertrages lässt 899 Barrett, Environment and Statecraft. The Strategy of Environmental Treaty - Making, S. 397. 900 Vgl. Torvanger/Bang u. a., Broadening the climate regime, design and feasibility of multistage climate agreements, CICERO Report Mai 2005, http://www.cicero.uio.no/media/3604. pdf. Die Autoren wollen mit ihrer Idee des „multi-stage approach“ alle Länder mit einbinden und die unterschiedlichen wirtschaftlichen Ausgangssituationen über eine Abstufung über das GDP berücksichtigen. Die Länder sollen in dem Maß zu einem stärkeren Emissionsrückgang verpflichtet werden, das im Verhältnis zur Entwicklung ihres BIP pro Kopf und ihrer Treib­hausgasemissionen steht; vgl. auch Alfsen/Holtsmark, The Kyoto-Protokoll a step in the wrong direction, CICERO 2005, http://www.cicero.uio.no/fulltext.asp?id=3563&lang=en, die zusammenfassend einige alternative Beispiele aufzählen; vgl. zu den weiteren Möglichkeiten für die Zeit nach 2012 Bodansky, International Climate, Efforts beyond 2012: A survey of Approaches, http://www.pewclimate.org/docUploads/2012%20new.pdf. 901 Alfsen/Holtsmark, a. a. O.; Bodansky, a. a. O. 902 Egenhofer, EU Emission Trading Scheme, General Perceptions after six moth, CEPS, Europäische Kommission, Brüssel Juni 2004, S.7, http://www.ceps.be/files/ET_Egenhofer_ Green_Week2005.ppt. 306 4. Teil: Bewertung des Kyoto-Protokolls und des Emissionshandels sich aber festhalten, dass er nicht nur als ein optionelles Umsetzungsinstrument zur Erfüllung der verbindlichen Reduktionsvorgaben den Vertragsstaaten an die Hand gegeben wurde, sondern seine ökologische und ökonomischen Effektivität und Dynamik ihn auch zu einem systemimmanent wirkenden Durchsetzungsinstrument macht. Sein Anreizeffekt hat bereits die verpflichteten Staaten davon überzeugt, dass sie ihr gesetztes Umweltziel dadurch zu geringstmöglichen Kosten erreichen können. Dieser Anreiz kann auch zur effektiven Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls beitragen. Dieser Mechanismus hat das Potential nicht nur die noch fehlenden Industriestaaten des Anhangs B zur Ratifikation zu bewegen, sondern auch die Entwicklungsländer davon zu überzeugen, dass es sich lohnt freiwillige Verpflichtungen zu übernehmen. Der Emissionshandel war und ist somit ein Motor in der Verwirklichung eines globalen und effektiven Klimaschutzes und damit in der Verwirklichung eines universellen Klimaregimes. 307