Kulturelle Blüte Arabische Musik und Medizin Al-Mawardi, Ibn Khaldun, Ibn Battuta Al-Farabi, Ibn Sina Humor im Islam Weihrauch Bücher ... Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Wer im christlichen Abendland aufgewachsen ist, der denkt in der (vor)weihnachtlichen Zeit vielleicht einmal an die Ereignisse vor ca. 2000 Jahren. Jedenfalls ging es mir so. Das Bild, das die Bibel von der Gesellschaft jener Zeit vermittelt, schien mir immer bäuerlich und ärmlich zu sein. Jedenfalls hatte ich als Kind immer Mitleid mit Maria, die ihr Kind in einem Stall zur Welt bringen musste, weil es sonst keinen Platz in der Herberge mehr gab. Dass aber gerade im Vorderen Orient um jene Zeit eine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Blüte herrschte, wird durch die Bibel kaum vermittelt. Gerade einmal in der kurzen Schilderung der Huldigung der Weisen aus dem Morgenland klingt etwas von dem sagenhaften Reichtum an, über den die Herrscher und Wohlhabenden der Zeit verfügt haben müssen. Unvorstellbar, dass selbst Privatpersonen sich einige hundert Jahre später gar Kamelladungen voller Bücher kauften, weil Büchersammeln, Lesen und Schreiben zu den am höchsten geachteten Beschäftigungen der damaligen Zeit gehörten. Wenn ich mir dann vorstelle, dass sich in Städten wie Baghdad im Bazar ganze Straßenzüge nur mit der Ware Buch befassten, dass es Bibliotheken mit vielen hunderttausend Büchern gab, dann stimmt es mich sehr traurig, wenn ich in den Abendnachrichten die neusten Meldungen über die Zerstörungen in Baghdad, über den Niedergang der Kultur, über die Unmenschlichkeit höre, mit der in vielen Teilen der Welt Gewalt verübt und Krieg geführt wird und zu allen Zeiten in der Geschichte Bücher und andere Kulturgüter vernichtet wurden. Da erschüttert es mich dann um so mehr, wenn ich von einer Musikethnologin höre, dass sie auf einem Kongress den Bericht einer irakischen Kollegin gehört hat über die Zerstörung des Musikmuseums in Baghdad, worüber niemand in der Weltpresse auch nur ein Wort verloren hat. Und ich frage mich, was ist denn für uns Heutige überhaupt noch ein Kulturgut, was ist noch schützenswert? Die Musik früherer Zeiten, die Instrumente, die fein säuberlich geschriebenen Traktate mit theoretischen Berechnungen, wie Musikinstrumente zu bauen seien, damit sie eben diese Töne und nicht andere produzieren? Liebe Leser, ich wünsche uns und Ihnen ein wenig von der Muße der damaligen Zeit, um die Kulturgüter dieser Welt genügend schätzen zu können und ich wünsche mir ein wenig von dem geistigen Reichtum der Weisen aus dem Morgenland für viele unserer Entscheidungsträger. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Lektüre und kommen Sie gut ins Neue Jahr! Herzlichst Ihre Ihre Ulrike-Zeinab Askari - Chefredakteurin - 3 Leserbriefe Liebe Ulrike, Bei der Gelegenheit wollte ich dir/der Redaktion noch sagen: Ich finde die Al-Maqam klasse (hab ein Abo) und journalistisch äußerst wertvoll für den heimischen OrientZeitschriften-Markt. Freue mich auf jedes Exemplar. M. F., Mannheim Liebe Frau Askari, ... Ich habe gleich alles gelesen und bin begeistert. Und dieses Mal gefällt mir auch das Titelbild. Die Musiker sind zwar ein wenig unscharf, aber dafür ist das ganze Motiv, auch von den Farben her sehr ansprechend. Also: Großes Kompliment! Den Artikel von Edda Brandes über die Tuareg-Frauen fand ich besonders interessant. Herzlichen Gruß B. S., Laatzen Liebe Frau Askari, vielen Dank, ich bin begeistert. Ihnen und Ihrem Team frohe Weihnachten und ein wunderbares Jahr 2008. R. Z., Schwarzenfeld Sehr geehrte Frau Askari, … Ihr Magazin habe ich mit Interesse gelesen. Ich wünsche Ihnen guten Erfolg, was sicher gegeben ist, da es Anzeige 4 eine Lücke schließt, die in der Gegenwart unbedingt geschlossen werden sollte, denn was so alles über die arabische Welt berichtet wird, bedarf doch auch einer anderen Berichterstattung. … Ihr F. S., Berlin Liebe Frau Askari Das erste Heft habe ich bereits erhalten und habe mich schon in einzelne Artikel vertieft. Ich freue mich auf die weiteren (Artikel und Hefte)! Mit herzlichen Grüssen L. R., Zürich Vielen Dank, das Heft ist echt toll geworden :-)) 1001 Grüße C. S., Augsburg Salam Ulrike! ... der erste Eindruck ist gut! Das Thema Algerien macht sehr neugierig, wenngleich wir uns gerade um die nächste Reise in den Oman kümmern ... Ich lasse wieder von mir hören und sende viele Grüße nach Berlin, S. G., Seefeld Inhalt Die Weisen aus dem Morgenland 3 5 4 Editorial Inhalt Leserstimmen Bücher Geschichte 6 10 13 15 Die Weisen aus dem Morgenland Die arabische Entwicklung zur kulturellen Blüte Jesus kam fast bis nach Assiut Al-Mawardi - Im Auftrag des Kalifen 47 48 49 50 Gesellschaft 17 19 22 Sitten und Gebräuche, 6 Ibn Khaldun Ibn Battuta 51 52 CDs 53 Ibn Sina und die arabische Medizin Radio Marrakesch Aus der Natur Medizin 24 Allahs langer Schatten Arabesque Kunst und Architektur Tausendundeine Nacht Klassiker arabischer Literatur Der Jakubiân-Bau Maria und Jesus im Islam 54 56 Weihrauch in Oman Weihrauch Musik 27 31 Arabische Musikgeschichte, 3 Al-Farabi - Ein Universalgenie Orientalismus 32 Aktuelles 58 Das Lächeln der Odaliske, 2 Fundstücke 26 Veranstaltungen 34 35 42 Superstrass, Leipzig Fantasia Orientale, Hamburg DAFG Humor im Islam Louvre Abu Dhabi Vorschau / Impressum 59 Nächstes Heft: Palästina Impressum Literatur/Theater 36 Interview mit Claudia Ott Al-Maqam heißt laut Brockhaus der „Ort einer Versammlung, wo Musik und Poesie vorgetragen wurden.“ Die arabische “Tonleiter” wird ebenfalls als Maqam bezeichnet. Ferner ist ein Heiligengrab ein Maqam. In früheren Zeiten konnte das Wort Maqam für eine Gedichtsammlung stehen. Heutzutage verbindet man damit u. a. das hohe Ansehen einer Person. 5 Geschichte Die Weisen aus dem Morgenland Ulrike-Zeinab Askari Weihnachten, Christkind, der Stern von Bethlehem fallen mir bei den Stichworten „die Weisen aus dem Morgenland“ als allererstes ein, da sie eng mit den Traditionen bei uns im christlichen Abendland zusammenhängen. Die Heiligen Drei Könige, wie man die Weisen aus dem Morgenland auch nennt, stehen für mich aber auch stellvertretend für zahlreiche unbekannt gebliebene Gelehrte im Orient. Namentlich bekannt sind häufig Forscher und Wissenschaftler der Araber, die das Wissen und die Kunst ihrer Nachbarn und Besiegten aufgriffen und weiterentwickelten. „Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.“ (Matthäus, 2, 10f.) Gold, Weihrauch und Myrrhe hatten die Weisen aus dem Morgenland im Gepäck, als sie dem Christuskind ihre Aufwartung machten. Sie hatten sich leiten lassen von dem Stern von Bethlehem. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gese- Der Komet Hale Bopp bei den Pyramiden, Foto: André Elbing 6 aus dem Manuskript des Hariri, Staatsbibliothek Wien hen hatten, ging vor ihnen her, bis er ankam und über dem Ort stillstand, wo das Kind war. (Matthäus, 2, 9) Die Weisen oder Heiligen Drei Könige waren möglicherweise antike Sternforscher. Darüber hinaus hatten sie aber wohl noch weitere Kenntnisse, wie ihre Namen nahelegen. Kaspar, Melchior und Balthasar werden im griechischen Text des Matthäusevangeliums als Magier aus dem Osten bezeichnet. Der Name „Kaspar“ lässt sich vom persischen Wort für „Schatzmeister“ wie auch vom frühäthiopischen für „innere Stadt oder Stadtkern“ ableiten. Letzteres ist im Arabischen heute noch in Kasbah (ursprüngl. Zitadelle) erhalten, was sich aus den persischen Begriffen „ghaz“ (Schatz) und „bar“ (leiten, verwalten, versorgen) zusammensetzt. D. h. Kaspar war derjenige, der das Geld, die Wertsachen, die Staatsschätze verwaltete. Melchior ist dagegen ein hebräischer Name mit der Bedeutung „König des Lichts.“ Dies kann einerseits mystisch gedeutet werden, andererseits auch im Zusammenhang mit der damaligen Astronomie als hervorragender Kenner der Sternenkunde. Balthasar ist ein Vorname babylonisch-hebräischen Ursprungs. Er bedeutet Baal schütze sein Leben, oder in der Form Belsazar Baal (Gott) schütze den König. Im Alten Testament taucht der Name als Beiname für den Propheten Daniel auf.1 Der Stern von Bethlehem Bereits die Babylonier und Chaldäer waren Himmelskundler, die große Observatorien bauten, da die Betrachtung des Himmels und der Sterne einen sehr hohen geradezu staatserhaltenden Stellenwert hatte, ähnlich wie im pharaonischen Ägypten. Die Babylonier hatten schon im 5. Jahrhundert v. Chr. das Sonnenjahr errechnet und eine ausgefeilte Astrologie entwickelt. Bauten und Anlagen zur Oberservierung des Himmels und der Sterne gab es bereits im 5. Jahrtausend v. Chr. Die Sternenkunde war jedoch nicht reiner Selbstzweck, sondern es ging den Forschern und Wissenschaftlern seit der Antike um die Frage nach der Stellung des Menschen im Universum. Als Nebenprodukte sozusagen berechnete der Grieche Thales von Milet 585 v. Chr. eine Sonnenfinsternis, Abu Raihan Muhammad ibn Ahmad al-Biruni, ein persischer Universalgelehrter um ca. 1000 n. Chr., eine Mondfinsternis. Dabei fanden auch Messgeräte wie das Astrolabium, vermutlich entwickelt von dem Griechen Eratosthenes (284 - 202 v. Chr.) ihren Einsatz, das von den Arabern maßgeblich weiterentwickelt wurde. In der Spätantike, ca. 250 n. Chr., kam in Alexandria in der hellenistischen Schule die Meinung auf, der Stern von Bethlehem könne ein Komet gewesen sein. Dagegen spricht allerdings, dass es zur Giotto di Bandone: Die Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige, 1304 - 1306 Zeit von Jesu Geburt, die auf das Jahr 7 bis 4 v. Chr. datiert wird, nachweislich keinen sichtbaren Kometen gegeben hat. Lediglich in einer chinesischen Quelle ist im Jahr 5 v. Chr. von einem Kometen die Rede. Der Halleysche Komet, der allgemein für den Stern von Bethlehem gehalten wird, war jedoch von August bis November 12 v. Chr. sichtbar. Die Epoche der Römer ging mit der Eroberung Alexandrias, eines der Zentren der damaligen Himmelkunde, durch die Araber zu Ende. Die berühmte Bibliothek stand nun den islamischen Gelehrten für ihre Studien zur Verfügung und diverse Einflüsse, vor allem indische, machten die islamischen Astrologen zu den führenden der damaligen Zeit. Ihre Leistungen bestanden vor allem in der genauen Beobachtung des Himmels auch zu astrologischen Zwecken, obwohl der Islam den Blick in die Zukunft eigentlich nicht erlaubt - und das Erstellen von Sternkatalogen, von denen etliche der heute üblichen Sternnamen abstammen. Sternbild aus einem Manuskript von Al Sufi, www.telescop.ucoz.ru Die genaue Berech- 7 ziner angestachelt, indem er sagte, dass „Allah für jede Krankheit ein Heilmittel erschaffen habe, nur nicht für den Tod.“ Außerdem wurde jeder Muslim angehalten, den Koran lesen zu lernen. Eine der Aufforderungen des Koran an die Gläubigen lautet: „Ikra“ – „Lies!“ ein intensiver Austausch von Wissen sowie Kunst und Kultur. Dass Baghdad ein Zentrum der Wissenschaft und Kultur wurde, liegt auch an der Gründung des Bait al-Hikma (Hauses der Weisheit), das der Abbasidenherrscher al-Mamun 813 gegründet hatte. Die Hauptarbeit dieses Hauses bestand vornehmlich in der Übersetzung wissenschaftlicher Werke aus allen Sprachen der Erde, speziell aus dem Griechischen. Zu dieser Zeit gab es den Beruf des Agenten, der ausgeschickt wurde, um Manuskripte zu kaufen, um sie dann daheim kopieren und/oder übersetzen zu lassen. Nicht selten brachten die Karawanen bis zu vierzig Kamelladungen voller Bücher aus fernen Ländern mit. Nicht nur für Bibliotheken wurden Bücher angeschafft. Jeder reiche Privatmann, der etwas auf sich hielt, investierte sein Geld in Bücher. Stolz berichteten Gelehrte, Politiker, Krieger oder Kaufleute über ihre umfangreichen Bibliotheken, die durchaus mehrere hunderttausend Bücher2 umfassen konnten. Im Bazar von Baghdad waren an die einhundert Buchhändler mit ihren Um ca. 1000 n. Chr. umfasste das islamische Reich Nordafrika, Spanien, den VordeDie Araber erobern die Welt, aus dem Manuskript des Hariri, ren Orient, Teile Staatsbibliothek Wien der heutigen Türkei, die Arabische nung der Stellung der Himmelskör- Halbinsel bis hin zu Teilen des heutiper war für die Muslime wichtiger als gen Indien und Pakistan. Von überall für Christen und Juden, denn für sie her kamen Menschen nach Baghdad hing die Ausübung und Wohlgefällig- in die Hauptstadt des gewaltigen Reikeit ihrer täglichen religiösen Pflich- ches. Dort fand ein reger Austausch ten von der Exaktheit der Zeit ab. So von Handelswaren statt aber auch musste der Muezzin die genaue Zeit für die Gebete, die er auszurufen hatte, berechnen können, aber auch Chronologie der Geschichte des Papiers die Bewegungen des Mondes, um den Beginn und das Ende des Fasten3500 v. Chr. Verwendung von Papyrus in Ägypten monats Ramadan korrekt festzuset2700 v. Chr. Älteste Funde von beschriebenem Pergament (Ägypten) zen. Und schließlich musste jeder Gläubige die richtige Richtung für das 180 - 50 v. Chr. Funde aus der frühen Han-Periode an verschiedenen Gebet finden, denn egal wo er sich Orten in China dokumentieren den Gebrauch von Papier befand, musste er sich nach Mekka ausrichten. 105 n. Chr. Der chinesische Minister Tsai Lun (bis 121) beschreibt die Herstellung von Papier Das Haus der Weisheit In ihrem Forscherdrang waren die Muslime bestärkt durch den Ausspruch des Propheten Mohamed, dass sie „auf ihrer Suche nach Wissen sogar bis nach China reisen“ sollten, wenn es denn nötig sei. So hatte er den Wissensdurst und Eifer Boilley der MediMoschee in Algier, Foto: Damien 8 610 Einführung der Papiermacherei in Japan 751 Die Araber erlangen durch chinesische Kriegsgefangene Kenntnis von der Kunst des Papiermachens 794 Errichtung von Papiermühlen in Bagdad 1109 Ältestes Dokument aus Papier (Archiv in Palermo) 1110 Papierherstellung wurde bereits in Marokko betrieben Läden ansässig. Der Bibliothek der berühmten Hochschule Nisamija in Baghdad stand ein Jahresetat von eineinhalb Millionen Goldfranken zur Anschaffung von Büchern und Manuskripten zu Verfügung. Hunderttausende von Menschen standen durch die Handelsware Buch in Brot und Arbeit: Da waren die Papierhersteller, Buchbinder, Lederarbeiter, Tintenhersteller, Kopisten, Übersetzer, Buchhändler, Agenten usw. Das chinesische Geheimnis Zum Aufschwung von Kultur und Wissenschaft trug sicher auch die Herstellung von Papier bei. Das Wort Papier, das in Europa seit dem 14. Jahrhundert belegt ist und über das Altfranzösische und Spanische ins Deutsche kam, stammt vom lateinischen Wort Papyrus ab. Im 11. Jahrhundert berichtete der arabische Historiker Abd al-Malik al-Thaalibi, dass Papier zu den Besonderheiten Samarkands gehört. „Es sieht besser aus und ist weicher, angenehmer im Gebrauch und besser zum Schreiben geeignet als Papyrus und Pergament,“ die beiden bis dahin gebräuchlichen Schreibmaterialien. Während mehrerer Jahrhunderte hatten die Chinesen das Geheimnis der Papierherstellung hüten können. Beim Angriff der Ara- Darstellung des Sokrates in einer arabischen Handschrift Giorgione: Tre Filosofis, um 1508, Kunsthistorisches Museum, Wien ber auf die Stadt Samarkand 751 n. Chr. gerieten chinesische Papierhersteller in Gefangenschaft, die ihre Kunst den Siegern preisgeben mussten. So kam das Papier im arabischislamischen Herrschaftsgebiet in Gebrauch und wurde von da an in großem Umfang hergestellt. Es ersetzte alle anderen vorher benutzten Materialien. Al-Thaalibi schrieb: „Sein Wert war allgemein anerkannt und alle Menschen verstanden es zu gebrauchen.“ Damaskus wurde für Jahrhunderte der Hauptlieferant für Papier nach Byzanz und in andere Teile Europas, wohin es ab dem 10. Jahrhundert verkauft wurde. Über Kairo verbreitete sich die Papierherstellung bis nach Marokko. Schließlich brachten die Mauren die Papiererzeugung nach Spanien, von wo aus sie sich dann auch weiter nach 1 Daniel 10,1 2 „Wenn solche Summen auch reichlich überschlägig berechnet und großzügig abgerundet sein mögen und unter „Band“ bei früharabischen Büchern meist ein gebundenes Kapitel zu verstehen ist, so spricht allein der Stolz, mit dem diese Angaben gemacht werden, für eine unbändige Freude an der Sache.“ Sigrid Hunke: Allahs Sonne über dem Abendland. Unser arabisches Erbe, Fischer TB Verlag, Frankfurt a. M., 1990, S. 215 Europa ausbreitete. Um 1000 n. Chr. konnte fast jeder Mensch im Abbasidenreich lesen und schreiben. Da alle Muslime durch das Studium des Korans Arabisch sprachen, entwickelte sich das Arabische zu einer Universalsprache, die nach und nach in weiten Teilen der damals bekannten Welt gleichermaßen gesprochen wurde und so den Austausch von Wissen, aber auch den Handel wesentlich erleichterte und intensivierte. Der Handel blühte auf, Handelsstraßen durchzogen die bekannte Welt, auf den Meeren umschifften die Araber mit ganzen Flotten die Küsten und erschlossen so immer weitere Gebiete, von denen sie alles Mögliche mitbrachen: Stoffe, kostbaren Schmuck, Edelsteine, Gewürze, Schwarzpulver, Geräte aller Art, Bücher und vieles mehr. Literatur: Sigrid Hunke: Allahs Sonne über dem Abendland. Unser arabisches Erbe, Fischer TB Verlag, Frankfurt a. M., 1990 Europa und der Orient. 800 – 1900, Ausstellungskatalog, Bertelsmann Verlag, Gütersloh, 1989 9 Die arabische Entwicklung zur kulturellen Blüte Hussein Gaafar Die Arabische Halbinsel kannte vor dem Auftreten des Propheten Muhammad keine umfassende politische Ordnung. Kennzeichnend für das gesamte Gebiet war die tribale Gesellschaftsordnung, in der das Gewohnheitsrecht (urf) unter allen Angehörigen herrschte. Die Bevölkerung der Stadt Mekka bestand aus den Mitgliedern des Stammes Quraisch, dem auch der Prophet Muhammad angehörte. Nach dessen Berufungserlebnis zum Propheten durch den Erzengel Gabriel stieß er mit seiner neu verkündeten Glaubensmission auf heftigen Widerstand, auch aus den eigenen Reihen. Durch seinen plötzlichen Tod ging die Nachfolge des Propheten auf seine engsten Gefährten über, aus deren Kreis schließlich die vier rechtgeleiteten Kalifen hervorgingen. Hauptsitz des islamischen Reiches wurde Medina. Von 661 bis 750 übernahmen dann die Omayyaden unter dem Kalifen Muawiya die Macht über das islamische Großreich. Die Hauptstadt wurde kurzerhand nach Damaskus verlegt. Die Omayyaden distanzierten sich deutlich von Muhammads neu verkündeter Glaubensmission. Stattdessen richteten sie ihre Politik nach einem genealogischen und weniger religiösen Gemeinwesen aus. Wer sich in der Bevölkerung nicht arabisierte, wurde selten diskriminiert und in seinem sozialen Status unterdrückt. Dies manifestierte sich vor allem in den Steuerabgaben. Darüber hinaus war es den nichtarabischen Muslimen (mawali) kaum mög- 10 lich, in höhere Machtpositionen aufzusteigen. Die konsequente Ausdehnung der Grenzen des islamischen Machtbereiches, des Dar al-Islam, genoss höchste Priorität. So verwundert es auch nicht, dass sich ein halbes Jahrhundert nach dem Tode Muhammads noch keine eigenständige Architektur unter den arabischen Herrschern herausgebildet hatte. Erst durch den Omayyaden Abd al-Malik trat eine entscheidende Veränderung ein. Ihm gelang es, das 681 unter alZubair formierte Gegenkalifat in Mekka nach zehn Jahren zu beseitigen. Währenddessen sollte - verglichen mit den christlichen Heiligtümern der Byzantiner - ein durchaus ebenbürtiges Bauprojekt auf islamischer Seite entstehen: der Felsendom in Jerusalem. Omayyadische Architektur Dieses Bauwerk markiert den Beginn der islamischen Monumentalarchitektur und wurde durch Abd al-Maliks Sohn und Nachfolger al-Walid I. vollendet. Bereits hier trifft man auf einige typische Markenzeichen späterer omayyadischer Architektur wie zum Beispiel die in Marmorsäulen eingravierten Weinrankenmotive und akkurat ausgearbeiteten Fayence-Verzierungen. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Architekten, die der Kalif mit dieser Aufgabe betraute, syrische Byzantiner christlicher Herkunft waren. Der Kalif scheute sich also nicht, byzantinische Stilelemente bewusst in den Bau mit einfließen zu lassen. In der Achse des Felsendoms entstand wenig später die al-Aqsa Moschee, die bereits Ergebnis zahlloser Veränderungen und Restaurierungen war. Nach ihrem Vorbild wurde in der Hauptstadt Damaskus an der Stelle der Basilika, die dem heiligen Johannes dem Täufer geweiht war, im selben Zeitraum die große, prächtige Omayyaden-Moschee errichtet. Durch sie setzte sich das Kalifat an seinem Hauptsitz erstmals ein würdiges Denkmal. Der Felsendom und die Große Moschee von Damaskus sind eine deutliche muslimische Antwort auf die Pracht der sie umgebenden antiken und christlichen Architektur und eine Bekundung der Grundriss des Felsendoms in Jerusalem Macht und Präsenz des neuen Glaubens. Während diese religiösen Bauwerke ausgeführt wurden, realisierten die Omayyaden gleichzeitig aber auch ein bedeutendes profanes Bauprogramm, zu dem man vor allem die herausragenden Wüstenschlösser in der jordanischen Wüste (Wadi AlRum) zählt. Die letzten Jahrzehnte der Herrschaft waren durch meist kurze und schwache Kalifate sowie durch innenpolitische Konflikte gekennzeichnet. Ein entscheidender Grund für das Scheitern dieser Dynastie war sicherlich die nicht gelungene Integrierung von immer größer werdenden Personenkreisen, die an der ursprünglichen muslimischen Gemeinschaft, der Umma, teilzuhaben wünschten. Als Fazit bleibt dennoch, dass die Dynastie der Omayyaden insgesamt eine glanzvolle Epoche der arabischen Geschichte war. Ihre politische Macht erstreckte sich im Westen von der Iberischen Halbinsel bis an den Indus. Dazu zählt neben den bereits erwähnten Verdiensten im Bereich der Monumentalarchitektur auch die Überlieferung der hellenistischen und griechischen Kultur in eigens dafür eingerichteten Schulen. Die Abbasiden – eine islamische Weltmacht etabliert sich Die Geschehnisse der Jahre 747 bis 750 markierten eine Veränderung, die alle Bereiche des islamischen Gemeinwesens und der bis dahin noch jungen muslimischen Kultur erfasste. Man spricht hier von der „abbasidischen Revolution“, die das vorläufige Ende des ommayadischen Kalifats bedeutete. Sie brachte eine Dynastie an die Macht, die sich zur Sippe der Haschimiten zählte und auf die Nachkommenschaft des Abbas, eines Onkels Muhammads, stützte. Sie sollte für mehr als ein halbes Jahrtausend bis zum Mongolensturm 1258 regieren. Unter den Abbasiden erhielten die mawali erstmals Zutritt zum Verwaltungsapparat des Kalifats, was ihnen unter den Omayyaden verwehrt geblieben war. Von dort aus konnten sie in höhere Machtpositionen aufsteigen. Der Hauptsitz der neuen Herrscher wechselte von Damaskus nach Baghdad. Der zweite Abbasidenkalif al- Trinkbecher, um 1280 Mansur (754-775) ließ dort nach persischem Vorbild eine Palaststadt mit einer kreisrunden Anlage erbauen, von der heute keine Spur mehr vorhanden ist. Unter dem späteren Kalifen Harun al-Raschid bedeckte die Metropole eine dicht besiedelte Fläche mit einer geschätzten Einwohnerzahl von fast einer Million. Baghdad war zu dieser Zeit die größte und bevölkerungsreichste Stadt der Welt. Dank ihrer Lage zwischen den zwei großen, schiffbaren Flüssen Euphrat und Tigris war sie ein viel größerer Handelsplatz, als es Damaskus je gewesen war. Durch das große Handelsvolumen öffnete sich die Stadt verschiedensten Einflüssen, die von Schwarzafrika bis nach China reichten. Der Fernhandel profitierte vor allem von der Übernahme des Arabischen als Lingua franca im gesamten Reich. Die Hauptstadt des abbasidischen Reiches wurde zu einem geistigen Zentrum, in dem erstmals unter alMansur das philosophische und naturwissenschaftliche Erbe der Antike ins Arabische übersetzt wurde. Es setzte eine enorme Produktion von Literatur ein, angefangen bei religiösen Schriften. Dazu wurden vermehrt Koranexemplare mit ornamental ausgeschmückten Verzierungen hergestellt. Hinzu kamen die ersten Biografien und schriftlich festgehaltenen Aussprüche des Propheten Muhammad, die Ahadith, von Ibn Ishaq beziehungsweise al-Buchari. 830 eröffnete der Sohn Harun alRaschids, al-Mamun, eine riesige Bibliothek: das Bait alHikma (Haus der Weisheit). Hier trafen sich Gelehrte und tauschten wissenschaftliche Erfahrungen miteinander aus. Im Vordergrund stand die Rezeption des antiken Erbes, die dadurch möglich wurde, dass die Werke zunächst ins Mittelpersische (Pahlavi) und dann ins Arabische übersetzt wurden. Von der Mitte des 8. bis zum Ende des 10. Jahrhunderts wurde ein Großteil von überwiegend griechischen Prosawerken aus den Bereichen der Naturwissenschaften und Philosophie durchgehend übersetzt. Bereits unter den Omayyaden waren griechische Textmanuskripte übersetzt worden, allerdings weniger im Bereich der Wissenschaften, als vielmehr in der Politik und der Wirtschaft. In diesen beiden Naturwissenschaftsbereichen können die Verdienste der einzelnen Forscher in Bezug auf ihre Bedeutung für das Abendland nicht genug gewürdigt werden. Der heutige mathematische Ausdruck des Algorithmus oder auch der Algebra geht beispielsweise auf den Perser al- 11 Khwarizmi zurück, der bei seinen Recherchen auf das indische Ziffernsystem stieß und dieses entscheidend weiterentwickelte. Der Arzt und Philosoph Ibn Sina (lat. Avicenna) lebte und lehrte in zahlreichen Städten Persiens. Sein Hauptwerk der „Kanon“ (al-Qanun) und weitere seiner Veröffentlichungen erlangten die Bedeutung von Standardwerken, nicht nur bei den Arabern sondern bald auch im christlichen Abendland. bautechniken vermittelt. Der Anbau von neu im Lande eingeführten Gemüse- und Obstsorten verbreitete sich. Viele dieser Nahrungsmittel sind bis heute im spanischen Wortschatz in ihrem vorwiegend arabischen, aber auch zum Teil persischen Ursprung unter leicht abgewandelten Formen Den größten Einfluss auf die abendländische Philosophie hatte vermutlich der andalusische Aristoteliker Ibn Rushd (lat. Averroes). Erst durch ihn ist Aristoteles im Abendland bekannt geworden und mit dem lateinischen Averroismus hatte sich noch der Scholastiker Thomas von Aquin kritisch auseinander zu setzen. Überhaupt blickte man ab dem 10. Jahrhundert neben Baghdad noch auf eine weitere Region, die in ihrer Wissensvermittlung eine durchaus ebenbürtige Konkurrenz darstellte: das islamische Spanien unter den Omayyaden. Als letzter Überlebender der Omayyaden-Dynastie war Abd AlRahman von Syrien aus über Palästina, Ägypten und Marokko dorthin geflohen. Hier begründete er 756 das Omayyadenreich von Cordoba. Trotz innenpolitischer Querelen wurde das Reich zunehmend zu einem ansehnlichen Zentrum geförderter Künste, das viele Blicke auf sich zog und mit der Zeit die arabisch-andalusischen Wissenschaften in die weite Welt hinaus trug. 929 ließ Abd alRahman III. sich zum Kalifen von Cordoba ausrufen. Die Stadt erlebte in dieser Zeit eine Glanzperiode und agierte eigenständig und souverän. In den Bereichen der Bewässerung und Landwirtschaft wurden dank des aus Persien übernommenen künstlichen Bewässerungssystems innovative An- 12 geprägt worden ist. Die Ära der Abbasiden wurde in Mesopotamien und der gesamten benachbarten Region durch den Einfall der Mongolen unter Dschingis Khans Enkel Hülagü überraschend beendet. Damit endete auch die kulturelle Glanzperiode dieses Imperiums, die ihren Höhepunkt bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts und der damit implizierten Machtübernahme der Seldschuken hatte. Zwar gelang Abbasi al-Mustansir, einem Onkel des letzten Kalifen, die Flucht nach Ägypten, wo ihn der soeben zur Macht gelangte Mamelukensultan Baibar als nächsten Kalifen einsetzte. Allerdings dienten die Abbasiden allein der Herrschaftslegitimation der Mameluken und hatten keinen relevanten politischen Einfluss. Moscheelampe, Damaskus um 1300 erhalten geblieben, wie zum Beispiel zu sehen bei arroz (Reis), alcachofa (Artischocke), naranja (Orange, im pers. Mandarine) usw. Der Musiker Ziryab, der aus Mesopotamien stammte, wurde zum Instrument einer wahren Umwälzung innerhalb der muslimischen Zivilisation in Al Andalus. Er vermittelte wichtige von Baghdad stammende Hoftraditionen, Essensinnovationen und Modetrends und veränderte auf tief greifende Weise den Lebensstil der Oberschicht des islamischen Spaniens. Viele dieser Vermittlungen haben sich bis heute in der spanischen Kultur erhalten. Eine von ihnen, der spanische Flamenco, geht auf eine kulturell vielseitige Tradition zurück. Neben seinem zigeunerischen Ursprung weist er auch arabische Einflüsse auf, wodurch unter anderem der heutige cante jondo Bis zum 19. Jahrhundert erholte sich die Region nicht vom Mongolensturm. Für das Abendland ist die Rezeption der wissenschaftlichen Verdienste der Araber eine bis heute nicht mehr wegzudenkende Grundlage für weitere wissenschaftliche Forschungen. Literatur: Ulrich Haarmann: Geschichte der arabischen Welt, C. H. Beck, München, 1987 Heinz Halm: Die Araber, C. H. Beck, München, 2004 Heinz Halm: Der Islam, C. H. Beck, München, 2000 Robert Hillenbrand: Kunst und Architektur des Islam, Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen, Berlin 2005 Henri Stierlin: Die Welt der Araber, Jesus kam fast bis nach Assiut Text und Fotos: Jürgen Sorge Nach koptischer Überlieferung weilte die Heilige Familie mehr als drei Jahre in Ägypten. Die Weisen aus dem Morgenland beteten das Jesuskind an. Sie brachten ihre Geschenke dar und zogen wieder fort. „Da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: ‚Steh auf, nimm das Kindlein und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.’ Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten.“ Die im Matthäus-Evangeliums geschilderte Flucht nimmt in der koptischen Kirche einen breiten Raum ein. Entlang des Nils erinnern zahlreiche Kirchen und Klöster an die Reise der Heiligen Familie durch die damalige römische Provinz. El-Matariya ist heute ein dicht bevölkerter Stadtteil Kairos. Zwischen den hohen Häusern pulsiert das Leben. Inmitten des Tru- bels weisen eine umgestürzte Sykomore und eine künstlich angelegte Quelle auf einen Platz, an dem die Heilige Familie einst gerastet haben soll. Die Mauer um den Wallfahrtsort schließt die Hektik der Metropole aus. Die Ruhe scheint fast wie eines jener Wunder, die das Jesuskind auf seiner Reise allerorts bewirkt haben soll. Über el-Matariya berichtet ein Heiligenkalender wie Jesus einen Stab Josephs in kleine Stücke brach und diese in die Erde steckte. Das Kind grub nach Wasser und begoss die Stäbchen, die sofort Wurzeln schlugen, Blätter erhielten und einen süßen Duft verströmten, angenehmer als Parfüm. Nach den Überlieferungen war die Familie über die einstige römische Grenzstadt Rhinocolura (dem heutigen el-Arish) im Nordsinai, durch den in der Bibel als „Land Gosen“ bezeichneten Landstrich und das Wadi Natrun bis nach el-Matariya gelangt. Von hier ging die Reise weiter südwärts. Die alten Schriften vergessen nicht, Eine umgestürzte Sykomore in al-Matariya erinnert heute an den Platz, an dem die Heilige Familie verweilt haben soll Darstellung von Maria und Jesus im Kloster al-Muharraq die Überlegenheit des Jesuskindes über die alten Götter herauszustellen. Zwischen Kairo und Assiut liegt el-Ashmunein. Hier war die Hauptkultstätte des altägyptischen Weisheits- und Schreibergottes Thot. Der Autor des apokryphen Pseudo-Matthäusevangeliums berichtet von einem Tempel in dem 365 Götzenbilder aufgestellt waren, „denen an bestimmten Tagen göttliche Ehre in götzendienerischen Weihen erwiesen wurde. […] Es traf sich aber, als die seligste Maria mit dem Kind in den Tempel eintrat, da fielen sämtliche Götzenbilder auf den Boden, so dass sie alle gänzlich umgestürzt und zerbrochen auf ihrem Angesicht dalagen.“ Als der Statthalter Aphrodosius mit seinem Heer zum Tempel kam, hofften die Priester auf Rache. „Jener aber trat in den Tempel ein, und als er alle Götzenbilder auf ihrem Angesicht darniedergestreckt liegen sah, ging er hin zur seligen Maria, die an ihrem Busen den Herrn trug, betete ihn an und sprach zu seinem ganzen Heere und zu allen seinen Freunden: ‚Wenn dieser nicht der Gott unserer Götter wäre, so wären unsere Götter gewiss nicht vor ihm auf ihr Angesicht gefallen, und sie würden nicht in seiner Gegenwart 13 Nach koptischer Überlieferung dauerte die Reise der Heiligen Familie etwa dreieinhalb Jahre, bis Herodes im Jahr 4 v. Chr. starb.1 Statt nach Judäa zurückzukehren, wo Herodes Sohn Archelaus herrschte, ging die Heilige Familie nach Nazareth in Galiläa. Darstellung der Flucht der heiligen Familie aus der koptischen St. Markus-Kathedrale 1 Die christliche Zeitrechnung beginnt mit 0 als dem Geburtsjahr Jesu, historisch ist er aber wohl ca. 7 Jahre vor Beginn der Zeitrechnung geboren. hingestreckt daliegen.’“ Etwa 50 Kilometer nördlich von Assiut zweigt in al-Qusiya ein Weg nach Westen ab. Mit dem Auto gelangt man auf der schmalen Straße zwischen Feldern und mehreren Dörfern hindurch nach etwa zehn Minuten vor das Eingangstor des Klosters alMuharraq. Der Überlieferung zufolgte hat die Heilige Familie an diesem Ort mehr als ein halbes Jahr verweilt. Die Mönche des Klosters glauben, dass ihre zu Ehren der Jungfrau Maria errichtete Kirche die älteste Kirche Ägyptens sei – errichtet um das Jahr 60, als der Evangelist Markus, den die Kopten als ersten Patriarchen ihrer Kirche verehren, nach Ägypten kam. Eingang des Klosters al-Muharraq bei al-Qusiya Kopten in Ägypten In Ägypten breitete sich das Christentum in den folgenden Jahrhunderten schnell aus. Die ägyptischen Christen, stets auf Eigenständigkeit bedacht, entzweiten sich bald mit der Kirche in Konstantinopel. Greifbar werden die Auseinandersetzungen in dem Streit um die Natur Christi, die beim vierten Ökumenischen Konzil in Chalcedon im Jahr 451 zum Bruch zwischen beiden Kirchen führte. Die Ägypter beharrten damals auf dem Monophysitismus, wonach die Natur Christi nur göttlich sein könne. In der Folge sahen sich die ägyptischen Christen im eigenen Land von Konstantinopel unterdrückt, zum Teil sogar verfolgt. Als 640 der Feldherr Amr Ibn al-As Ägypten für den Islam eroberte, standen die Kopten den neuen Herren deshalb zunächst durchaus wohlwollend gegenüber. Heute sind schätzungsweise zehn Prozent der Ägypter Christen. Papst Shenouda III. ist als 116. Nachfolger des Markus Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Christen, die bis heute ihrem monophysitischen Glaubensgrundsatz treu blieben. Das Weihnachtsfest feiern sie am 7. Januar. Seit 2003 ist es ein staatlicher Feiertag. 14 Literatur Erich Weidinger: Die Apokryphen. Verborgene Bücher der Bibel, Bechtermünz Verlag, Augsburg, 1999 Emma Brunner-Traut: Die Kopten. Leben und Lehre der frühen Christen in Ägypten, Herder Verlag, Freiburg, 2000 Jürgen Sorge ist als freier Journalist in Sachsen tätig. Seit 1994 unternahm er mehrere Reisen nach Ägypten, Jordanien und Syrien. Dabei lernte er die facettenreiche arabische Kultur und Lebensart kennen und schätzen. Al-Mawardi Im Auftrag der Kalifen Christian M. Jolibois Im Jahr 945 nahmen die aus Persien stammenden schiitischen Buyiden (932-1062) Baghdad ein. Die neuen Machthaber erlangten die Kontrolle über die abbasidischen Kalifen, in deren Namen sie regierten. Nordafrika, die Levante und Westarabien, mit den beiden Städten Mekka und Medina, standen unter der Herrschaft des Kalifats der Fatimiden (909-1071). In Spanien gelang es den Nachfahren der Omayyaden, eine neue Dynastie zu etablieren, deren Herrscher sich ab dem Jahr 929 ebenfalls als Kalifen bezeichneten. Im elften Jahrhundert erstarkte die türkische Dynastie der sunnitischen Seldschuken (10381194), die Baghdad im Jahr 1056 eroberten. Wem stand nun der Titel als Stellvertreter Gottes auf Erden und Nachfahre des Propheten rechtmäßig zu? Neben der religiösen Fragestellung hängt die Beantwortung eng mit der Position zusammen, die man angesichts der nicht weniger komplexen politischen Lage der Titelseite eines Buches zum Thema Recht, Kairouan, um 1100 damaligen Zeit einnimmt. Der im Jahr 974 geborene Abu alHasan Ali Ibn Muhammad Ibn Habib al-Mawardi setzt sich mit seiner berühmten Schrift „al-ahkam al-sultaniya“ (Die Bestimmungen der Machtausübung) eindeutig für die Abbasiden ein. Das Werk fasst erstmals systematisch die unterschiedlichen Aspekte über das Kalifat zusammen. Es beschreibt die Geschichte des Kalifats, definiert dessen Ziele und Funktionen, nennt Regeln für die Wahl des Kalifen und seine Aufgaben, beschreibt die Beziehungen zu den in seinem Namen agierenden Beamten und Machthabern sowie zur Bevölkerung. Der Autor stellt darin eigenständige Betrachtungen an und löst diplomatisch das bestehende Dilemma zwischen dem religiösen Ideal und der politischen Wirklichkeit, das die muslimische Geschichte spätestens seit der Machtergreifung der Omayyaden prägt. Al-Mawardi sieht es aufgrund der menschlichen Natur als gegeben an, einem Führer zu folgen. Die eine Gemeinschaft der Gläubigen, die ein Zentrum (Mekka) besitzt und dem geoffenbarten Wort des einen Gottes folgt, bedürfe auch nur eines einzigen Führers: Den Kalifen als deren Symbol der Einheit, als Bewahrer und Verteidiger des Glaubens sowie als höchste religiöse Instanz auf Erden. Der Koran selbst legitimiere das Kalifat, das die von Gott für den Menschen vorgesehene Ordnung repräsentiere, folgendermaßen: Ich will einen Statthalter auf Erden einsetzen (2/28); O David, Wir haben dich zu einem Stellvertreter auf Erden gemacht (38/25); O die ihr glaubt, Al-Mawardi, Zeichnung: Brit Schuster gehorchet Allah und gehorchet dem Gesandten und denen, die Befehlsgewalt unter euch haben (4/62). Der in Europa auch unter dem Namen Alboacen bekannte Mawardi studierte islamisches Recht in seiner Geburtsstadt Basra. Basra war lange Zeit eine Metropole, von der wichtige Impulse für die islamische Welt ausgingen. Die ersten arabischen Prosawerke, die Ausarbeitung der arabischen Grammatik sowie die rationale Denkschule der Mutazila nahmen hier ihren Anfang. Mit der Verlegung der Hauptstadt nach Baghdad verlor Basra allmählich seine Stellung. Den Juristen al-Mawardi zog es ebenfalls nach Baghdad. Dort vertiefte er seine Studien und begann seine berufliche Karriere als Lehrer. Er galt als freundlich und höflich. Zeitgenössische Quellen charakterisieren ihn als enthusiastischen und eloquenten Redner, der zudem eine natürliche Würde ausstrahlte. Er wurde zum Kadi ernannt und seine Talente erregten bald die Aufmerksamkeit hoher Würdenträger. Nach der Ausübung des Richteramtes in verschiedenen Städten wurde er im Jahr 1038 zum Oberrichter in Baghdad befördert. Als Emissär der Kalifen al-Kadir (991-1031) und al- 15 Qaim (1031-74) wurde er mit verschiedenen diplomatischen Missionen betraut, in deren Verlauf er auch mit den Buyiden und Seldschuken verhandelte. Die beiden Kalifen bekannten sich wieder offen zur sunnitischen Lehre, zu der ihnen alMawardi reichliches Hintergrundmaterial bezüglich des Kalifats lieferte. Hochbetagt starb al-Mawardi im Alter von 86 Jahren in Baghdad. Mawardis Theorie über das Kalifat erweckt zunächst den Anschein, die gesamte islamische Geschichte zu umfassen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich indes, dass manche Vor- Anzeige 16 kommnisse fehlen. Er äußert sich weder zur Machtergreifung der Abbasiden noch zur prekären Lage der Kalifen unter den Buyiden. Die Erklärung liegt im Ziel und Zweck seiner Auftragsarbeit: Die Restauration der Abbasiden und ihres exklusiven Anspruchs auf das Kalifat. Mawardi entwickelte einen pragmatischen Ansatz, der die politische Realität seiner Zeit - die Beziehung eines schwachen Kalifen zu starken und unabhängigen Herrschern - mit den Erfordernissen des geoffenbarten Rechts in Einklang brachte. Dies gelang ihm mit Hilfe der Theorie der Ämterdelegation durch den Kalifen als religiöses Oberhaupt der Muslime. Mit der nachträglichen Legitimierung unabhängiger Herrscher wurde die göttliche Ordnung und ideologische Einheit der Muslime wieder hergestellt. Mawardi führte die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit als neue Kategorien ein. Letztlich tat er nichts Anderes, als das religiöse Gesetz im Kontext seiner Zeit zu interpretieren und an neue Gegebenheiten anzupassen. Gesellschaft Sitten und Gebräuche in der arabischen Welt Teil 6: Tipps für alle arabischen Länder Text und Fotos: Barbara Schumacher Fotografieren Ob in der Öffentlichkeit oder im privaten oder geschäftlichen Bereich: Nie Personen ungefragt „abschießen“, auf keinen Fall Frauen, die in den meisten arabischen Ländern den „bösen Blick“ des Fotoapparats fürchten. Man sollte immer zuerst fragen, ob man ein Foto machen darf und wird meist überrascht sein über die freundliche Reaktion. Männer stellen sich oft sogar in Positur, wobei es ihnen darauf ankommt, einen würdigen Eindruck zu machen. Frauen sind dann milde gestimmt, wenn man ihnen (nur als Frau!) sagt, dass Makeup, Gewand und Schmuck sie besonders gut kleiden. Auch hier sollte man auf die Geschlechtertrennung achten. So ist es natürlich völlig undenkbar, dass ein europäischer Mann eine arabische Frau wegen eines Fotos anspricht. Europäische Frauen können im Hinblick auf Fotos sowohl arabische Männer als auch Frauen ansprechen, wenn das auf sehr zurückhaltende und höfliche Weise erfolgt. Je ausführlicher man ins Gespräch kommt, umso besser, und Fotos zu machen, ist dann in der Regel kein Problem mehr. Es kann auch sein, dass die Einheimischen dann ein Foto von dem westlichen Besucher machen möchten – Kameras sind auch in arabischen Ländern, besonders in touristisch gut erschlossenen Gebieten, weit verbreitet und werden gern genutzt. Eine solche Fotobitte sollte man natürlich nicht abschlagen. Öffentliche Gebäude, militärische Einrichtungen, Ministerien, Flughäfen sind generell für Fotografen tabu. Bei Verstößen muss man mit Filmentzug, Kamerakonfiszierung, endlosen Diskussionen, Vorsprechen beim Polizeipräsidenten oder gar Gefängnis rechnen (je nach Art des Vergehens und nach Land). Ich selbst geriet durch Fotografieren nur einmal (in Mauretanien) in Schwierigkeiten, allerdings war ich mir keines Versto- alter Mann im Souq ßes bewusst, trotzdem landete ich beim Polizeipräsidenten der Stadt, der mir Berge beschlagnahmter Filme und Kameras aller gängigen Marken zeigte und mich – dank völliger Zerknirschung (in solchen Fällen nie toben, schreien und auf sein vermeintliches Recht pochen – es nützt nichts) meinerseits und dank meiner deutschen Nationalität - ungeschoren, also mit Film und Kamera, davon kommen ließ. FAZIT: MIT FINGERSPITZENGEFÜHL VORGE„MUMKIN SURA?“ (DARF ICH SIE FOTOGRAFIEREN?) IST DAS ZAUBERWORT. HEN. Besichtigung von Sehenswürdigkeiten Einladung zum Dattelnessen in der Wüste Der Eintritt in Museen oder historische Gebäude ist während angegebener Öffnungszeiten problemlos möglich, bei Moscheen ist Vorsicht geboten. Bei kleinen Moscheen sollte man die Einheimischen fragen, auch bei Gebäuden, die architektonisch oder aus sonstigen Gründen interessant sind und oft eine Moschee beherbergen, was für Fremde manchmal zunächst nicht ersichtlich ist, oder erst dann, wenn man Berge 17 von ausgezogenen Schuhen sieht. In den großen, berühmten Moscheen ist der Besuch von Nicht-Muslimen geregelt, man darf oft nur in die Innenhöfe, nicht aber in die Moschee selbst, oder letzteres nur zu Zeiten, in denen keine Gebete stattfinden, was verständlich ist. Auch hier kommt es wieder auf die vollständige Bekleidung an, in manchen Moscheen muss man zusätzlich zur eigenen Kleidung noch lange, wirklich alles verhüllende Umhänge tragen, die ausgeliehen werden. Auf jeden Fall müssen die Schuhe ausgezogen werden. In den Wintermonaten können die Marmorfußböden eiskalt sein, man sollte daher Wollsocken bereithalten (so machen es auch viele Einheimische). Vor den Moscheen sitzen oft alte, blinde Männer, dies sind wirklich Bedürftige, die für ein kleines Almosen dankbar sind. In Moscheen sollte man nur dann fotografieren, wenn die Einheimischen dies auch tun. Betende Gläubige darf man nicht fotografieren. Es ist unbedingt zu vermeiden, zwischen Betenden und der nach Mekka ausgerichteten Gebetsnische hindurchzugehen. Warten Sie das Ende des Gebetes ab, bevor Sie sich in der Moschee umsehen! Fotografieren von Exponaten in Museen und anderen Kulturstätten ist nicht immer erlaubt. Man sollte daher fragen oder entsprechende Hinweisschilder beachten. Das für Fotos Gesagte gilt auch für Videokameras, Handys mit Kamera usw. FAZIT: EINSCHRÄNKUNGEN TEN UND AKZEPTIEREN. BEIM BESUCH Straßencafé in Luxor, Foto: U. Askari 18 VON MOSCHEEN BEACH- Imam in einer Moschee Im nächsten Heft lesen Sie Tipps zu den folgenden Themen: Westliche Frauen in arabischen Ländern, Gesten und Mimik. Ferner geben wir Ihnen Literaturhinweise. www.muslimheritage.com Ibn Khaldun: Beobachter seiner Zeit – zeitlos aktuell? Britta Hecking In der aktuellen Globalisierungsforschung spielt das Verhältnis des Lokalen zum Globalen in Wirtschaft, Politik, Kultur und sozialem Leben der Menschen eine große Rolle. So wie im zwölften Jahrhundert das Kalifat in lokale Reiche zerfiel, verliert heute der Nationalstaat zu Gunsten entterritorialisierter Räume seine Bedeutung. Die Geschichte der Menschheit wird seit jeher vom Ringen um neue räumliche Ordnungen und damit verbundener sozialer Identitäten geprägt. Auch der 1332 in Tunis geborene Gelehrte Ibn Khaldun hat sich mit der Beziehung zwischen gesellschaftlichen Werten, Herrschaft und räumlicher Ordnung beschäftigt. Seit seinem Tode 1407 in Kairo sind 600 Jahre vergangen und dennoch finden sich in aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten direkte Einflüsse oder Spuren seiner Theorien. Sein Werk gehört zu den wichtigsten historischen Quellen über Nordafrika im 14. Jahrhundert. Ibn Khaldun ist zugleich Beobachter seines Umfelds, Zeuge seiner Zeit und Wissenschaftler von grenzenund zeitloser Bedeutung. Da er schon damals - wie die interdisziplinär arbeitenden Globalisierungsforscher heute - Phänomene aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet hat, wird er oft als Historiker, Politologe, Ethnologe und sogar als Vorläufer der soziologischen Denkweise bezeichnet. Ibn Khaldun teilt das Schicksal vieler Klassiker, „indem er viel gerühmt, aber wenig gelesen wird.“1 Entsprechend einseitig sind oft die Beurteilungen seiner Bedeutung als Wissenschaftler, die ihn je nach Perspektive als bloßes Kind seiner Zeit unter- oder als universales Genie überbewerten. Ibn Khaldun und seine Zeit Nordafrika - im 14. Jahrhundert aus geopolitischer Sicht noch nicht der westlichste Punkt der arabischen Welt – litt unter dem Hegemoniestreben kleiner Dynastien, deren Größe und Dauer meist unbedeutend blieben. Zahlreiche Machtwechsel und räumliche Zersplitterung bereiteten dem Aufschwung der Region und dem Wohlstand ihrer Zivilisation ein Ende. Die kulturelle Blütezeit hatte ihren Zenith bereits erreicht und dennoch gibt es Gelehrte jener Zeit, deren Ruhm groß genug war, um den Niedergang der Zivilisation, in der sie gelebt haben, zu überleben. Sie werden heute meistens mit der kulturellen Blütezeit ihrer Zivilisation in Verbindung gebracht. Dazu gehört auch Ibn Khaldun. Von seiner Geburtsstadt Tunis aus führte es ihn – für damalige Verhältnisse - in die weite Welt, nach Granada, Fes und Kairo. Aufgrund seiner edlen Abstammung und gut positionierten Familie bekam er eine klassische Ausbildung, studierte die arabische Sprache, den Koran, islamisches Recht, Mathematik, Logik und Philosophie. Zeitweise war er in öffentlichen Ämtern als Schreiber, Staatssekretär und später sogar als oberster Qadi (Richter) der malikitischen Rechtsschule tätig. Er gehört also zu jenen, die vom kulturellen Glanz ihrer Zeit profitieren konnten. Sein Werk jedoch zeugt schon deutlich vom Untergang dieser glorreichen Epoche: Ausführlich beschreibt er Entstehen und Untergehen von „Dynastien“ unter dem Einfluss der Stammesgesellschaften, nicht nur mit Hilfe von Überlieferungen sondern auch durch Beobachtung seiner Zeit und seines Umfeldes Nordafrika. Die Wirren seiner Zeit wirkten sich auch auf sein eigenes Leben aus. Nur durch seine diplomatische Begabung gelang es ihm, im Dienste verschiedener Herrscher und Dynastien tätig zu sein, ohne dass seine politische Karriere darunter zu leiden hatte. Als er jedoch 1357 gegen den Merinidenherrscher Abu Inan, für den er im Dienst war, intrigierte, musste er für 22 Monate ins Gefängnis. Der zeitlose Gelehrte Ob ihn die Unruhen seiner Zeit dazu veranlasst haben, sich von 1375 1378 auf das algerische Hochplateau zurückzuziehen, um eine Erklärung für das Entstehen und Untergehen von Dynastien zu finden, kann man nur vermuten. Tatsache ist, dass er in dieser Zeit engen Kontakt zu den dort lebenden Nomaden hatte, über deren soziale Werte und Ordnung er in der Muqaddima2 ausführlich berichtet. Er suchte nach einer Erklärung für die Beziehung zwischen sozialen Werten und dem Entstehen von Herrschaft und fand ihren Ursprung im „Zusammengehörigkeitsgefühl unter Blutsverwandten,“ der Urform der asabiyya (siehe Kasten). Solidarische Gefühle und Verantwortungsbewusstsein für Blutsverwandte seien etwas Natürliches unter den Menschen.3 Ibn Khaldun sah darin eine gottgegebene Tatsache, die dazu beiträgt, das Leben auf der Welt zu regeln.4 Durch das Zusammengehörigkeitsgefühl wird 19 nicht nur das Wohl des Stammes sondern auch des tunesische Briefmarke Einzelnen gesichert, der ohne Gemeinschaft nicht überleben könnte. Auch wenn Stämme über ein so genanntes Stammesterritorium verfügen, dessen Grenzen mehr oder weniger klar „gezogen“ sind, identifizieren sie sich weniger mit ihrer geografischen Herkunft, als mit der biologischen, der Genealogie. Ihre Zugehörigkeit zu einem Clan steht über der individuellen Identität. „Genealogischen Kenntnissen kam dabei eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung zu, denn das Aufsagen der Genealogie diente der eigenen Identifizierung und stellte gleichsam eine Art «Ausweis» dar.“5 Ibn Khaldun geht so ausführlich auf die asabiyya ein, weil er in ihr den Anzeige 20 „Motor“ der Geschichte sieht. Das Herrschaftsstreben, das dem Menschen eigen ist, führt ihn zu Eroberungen und Unterwerfungen. Je stärker die asabiyya, umso stärker der Wille zu erobern. Aus diesem Grund neigen die Beduinen – die einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn be-sitzen - dazu, Herrschaft zu erwerben und zu verbreiten. Ist eine Herrschaft von Bequemlichkeit und Luxus verdorben, wird sie von Herrschaftssuchenden Beduinen mit ausgeprägter asabiyya angegriffen und erobert. Ob die Theorien Ibn Khalduns sich auf die Praxis heutiger Tage übertragen lassen, ist umstritten, da sich die Umstände geändert haben und neue Formen politischer Herrschaft entstanden sind. Einflüsse des Clanwesens spielen aber auch heute noch in der Politik und Wirtschaft einiger Staaten eine große Rolle, ebenso wie die Konflikte zwischen Regierungen und Stämmen. Der Mensch ist in seiner Natur ein Gruppenmensch. Aus diesem Grund sucht er immer eine Gemeinschaft, mit der er sich identifiziert. Wir, die Familie; wir, die Muslime; wir, die Araber. Identität bedeutet Gleichheit zweier Dinge oder Personen. Der Einzelne sucht eine Gruppe, mit der er sich identifiziert und durch die er sich von den Anderen abgrenzt. Sobald die Gruppe von Anderen „bedroht“ wird, muss sie den Einzelnen schützen und der Einzelne die Gruppe. In den Staaten der arabischen Welt ist dieses Schutzverhältnis nicht mehr so gewährleistet, wie es einst in den Stammesgesellschaften der Fall war. Das traditionelle, familiäre oder tribale Modell wurde mit den Errungenschaften der Moderne langsam aufgelöst. Gründe dafür sind z. B. das Sozialsystem, die wachsende Kluft zwischen den Armen und Reichen, korrupte und schlecht geführte Regierungen.6 Die Bevölkerung wird „Ich und mein Bruder gegen meinen Cousin, ich und mein Cousin gegen den Fremden!“ - Asabiyya Beduine, Foto: Barbara Schumacher unterdrückt und ausgebeutet. Auch diese Situation ist keine neue. In Ibn Khalduns zyklischem Geschichtsbild finden wir Beispiele aus der Entstehungszeit des Islam, die dessen Aufstieg erläutern. Muhammads Wirken wurde von der sozialpolitischen Lage in Mekka beeinflusst. Die Mekkaner waren „verweichlicht und vom Luxus verdorben,“ die ursprünglichen Eigenschaften der Beduinen wie Großzügigkeit waren verloren gegangen, die Masse lebte in Armut. So gelang es Muhammad, die auf einer geschwächten familiären asabiyya beruhende Stammesgesellschaft durch eine religiöse asabiyya zu einigen, zu stärken und ihren Machteinfluss so zunehmend zu vergrößern. Angesichts der aktuellen politischen Konflikte und sozialen Probleme scheint es nicht verwunderlich, dass auch heute wieder die Religion eine größere Bedeutung für die Identität der Menschen im Nahen Osten und in anderen Teilen der Welt bekommt. Ein Kampf gegen eine ungerechte Herrschaft, der im Namen der Religion geführt wird, führe aber nur dann zum Erfolg, wenn Gott die Propheten In seinen Beschreibungen zur badawa (nomadische/ländliche Kultur) und hadara (sesshafte/städtische Kultur) in der Muqaddima benutzt Ibn Khaldun das altarabische Wort asabiyya. In seinem gesamten Werk taucht dieser Begriff sehr häufig auf. Die Bedeutung verändert sich je nach Zusammenhang. Schon die verschiedenen Übersetzungen von asabiyya zeigen, dass es sich nicht um ein eindeutiges Phänomen handelt, das unabhängig von seinem Kontext betrachtet und analysiert werden kann. Die Wurzel „a – s - b“ bedeutet „sich verbinden, vereinen“. In den verschiedenen Kommentaren zur Muqaddima wird asabiyya je nach Kontext in Bezug auf soziale Bedeutung als sozialer Zusammenhalt, soziale Solidarität, Stammeszusammenhalt oder Gemeinschaftsgeist, oder in ihrer politischen Bedeutung als Nationalismus, nationales Bewusstsein oder Patriotismus übersetzt.8 All diese Übersetzungen sind nur teilweise richtig, jedoch ergibt Ibn Khalduns Verwendung der asabiyya eindeutig ein bewegliches, sich veränderndes Konzept, das nicht zu übersetzen ist. Während die Urform der asabiyya sich auf einen kleinen Kreis, die engsten Verwandten bezieht, kann sie, bedingt durch externe Faktoren, ihren Kreis ausweiten und neue Verbündete in ihre Solidarität einbeziehen: „Ich und mein Bruder gegen meinen Cousin, ich und mein Cousin gegen den Fremden!“9 Die asabiyya kann je nach Situation wirtschaftlich, politisch oder ideologisch bedingt sein. dafür vorgesehen habe,7 so Ibn Khaldun. 1 Gerd Spittler: Paideuma 48, 2002, S. 261 2 Die Einleitung zu seinem sieben bändigen Geschichtswerk (Kitab Al Ibar) ist als eingeständiges Werk anerkannt. Ibn Khaldûn: The Muqaddimah, An introduction to History, übersetzt von Franz Rosenthal, Princeton University Press, 1967 3 vgl. Muqadimma, S. 9 4 vgl. Muqadimma, S. 98 5 Eva Orthmann: Stamm und Macht, Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2002, S. 218 6 Ahmed Akbar: Ibn Khaldun’s Understanding of Civilizations and the Dilemmas of Islam and the West Today, Middle East Journal, Vol. 56, Nr. 1, Winter 2002, S. 31 7 vgl. Muqadimma, S. 127 8 vgl. Abdelghani Megherbi: Le pensée sociologique d’Ibn Khadoun, SNED, Algier 1971, S. 157-159 9 Ali Al-Wardi: Soziologie des Nomadentums, Studie über die iraqische Gesellschaft, Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied und Darmstadt, 1972, S. 84 Literatur Essad Bey: Mohammed, Komet Verlag, Köln 2007 Salah E. Humodi: Das islamische Staatswesen, Studien zur politischen Struktur zur Zeit Muhammads; Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 1983 Abdulkader Irabi: Arabische Soziologie, Studien zur Geschichte und Gesellschaft des Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989 Umberto Rizzitano: Mohammed, Edition Bernd von Nottbeck, München 1959 Peter von Sivers: Khalifat, Königstum und Verfall, die politische Theorie Ibn Khaldûns, Paul List Verlag, München 1968 Infos: www.welt.de/kultur/article88401/Aufstieg_und_Fall_der_Zivilisationen.html www.wikipedia.org/wiki/Ibn_Khaldun 21 Ibn Battuta Ein Weltenbummler Hussein Gaafar Ibn Battuta gilt als einer der bekanntesten Reisenden und Verfasser von Reiseberichten im Mittelalter. Während seiner über 27 Jahre andauernden Reisen legte er insgesamt mehr als 120.000 Kilometer zurück. Dabei bereiste er neben Nord- und Ostafrika den Süden des asiatischen Kontinents vom ehemaligen byzantinischen Reich, angefangen in Anatolien über den persischen Golf bis hin nach China und auf die Malediven. Kein Mensch war vor ihm so lange und so weit unterwegs gewesen. Dadurch erhielt er in der westlichen Welt den Beinamen „Marco Polo der Araber“. Als Muhammad Ibn Ibrahim Al-Lawati Al Tanji wurde der als Ibn Battuta bekannte Berber im Februar 1304 im Norden Marokkos in Tanger geboren. Seine Familie blickte bis dahin auf eine lange Tradition als Kadis zurück, von der auch er sich später anstecken lassen sollte. Ibn Battuta begann sich bereits früh für Literatur zu interessieren und studierte später religiöses Recht, um als Rechtsgelehrter zu unterrichten. reisende seine Heimat, um nach Mekka zu pilgern. Seine erste Station auf dem Weg dorthin war Alexandria. Nachdem er sich einen sorgfältigen Eindruck über das zu dieser Zeit von den Mamelucken regierte Ägypten verschafft hatte, ging es weiter in das ebenfalls unter mameluckischer Herrschaft stehende Syrien. In Damaskus schloss sich Ibn Battuta einer Handelskarawane an, die ihn zu den heiligen islamischen Stätten von Medina und Mekka brachte. Die Pilgerreise war für Ibn Battuta aufgrund seiner Glaubenspflicht als Muslim enorm wichtig. Sie war auf der anderen Seite aber auch für sein erweitertes Weltbild und seine vielen Bekanntschaften mit anderen Menschen, neben Rechtsgelehrten auch einfachen Händlern, essentiell. Ursprünglich hatte der tiefreligiöse Ibn Battuta nicht die Absicht, nach der Hadsch weiter in den Osten zu reisen. Doch bereits auf dem Weg nach Mekka hatte Ibn Battuta den Drang verspürt, die islamische Kultur näher erforschen zu müssen. Er reiste daraufhin weiter in das von den Mit 22 Jahren verließ der Forschungs- Mongolen besetzte Mesopotamien und kurz darauf in das Gebiet des heutigen Irans. Im Anschluss reiste Ibn Battuta wieder nach Mekka zurück und hielt sich dort für zwei Jahre an verschiedenen Rechtsschulen auf. In dieser Die Reiserouten des Ibn Battuta (grün) im Vergleich zu der des Marco Polo (rot), www.sangam.org Zeit erlangte er 22 den Rang eines Scheichs, der ihm bei seinen späteren Besuchen zugute kommen sollte. Er brach schließlich erneut gen Osten auf, dieses Mal bis nach Hinterindien beziehungsweise China. Ibn Battutas Chronologie seiner besuchten Länder reicht aus, um zu demonstrieren, zu welchen neuen Dimensionen er damit der Gattung der Rihla („Reise“) verhalf. Zu dieser Zeit konzentrierte sich die traditionelle Rihla vorwiegend auf den Besuch der heiligen Stätten auf der arabischen Halbinsel.1 Mit seiner unerschöpflichen Wissbegierde begründete er eine bis dahin kaum gekannte Literaturform innerhalb der arabisch-islamischen Welt: die Reiseliteratur. Sein wohl bekanntestes Werk, schlicht mit Rihla betitelt, ist eine Aufzeichnung seiner eigenen erlebten Erfahrungen in den jeweiligen Ländern und ein Präzedenzexempel für Völkerverständigung und Kulturaustausch. Während seiner Reisen verlor Ibn Battuta einige Male seine Notizen, so dass er diese später aus seinem Gedächtnis heraus nachtragen musste. Somit ist eine Authentizität seiner Reiseberichte nicht immer garantiert. Diese Tatsache darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Rihla um ein besonderes Werk handelt, das damals in der Reiseliteratur neue und unerreichte Maßstäbe setzte. Ibn Battuta hält darin als interessierter Beobachter akkurat seine Begegnungen mit den verschiedensten Kulturen fest. Hier von einer wertfreien ethnologischen Forschung zu sprechen, wäre sicherlich etwas voreilig, zumal Ibn Battuta sich nicht die Kritik an unbelehrbaren Nichtmuslimen oder den Herrschern vor Ort verbieten lässt. Aber dies war auch nicht sein Anliegen, zumal sich seine Reisen eher spontan und ohne durchdachte Planungen ergaben. Vielmehr lag ihm daran, nah- und fernöstliche Regionen, die wie etwa Mesopotamien auf eine jahrtausendlange Kulturgeschichte zurückblickten, zu erkunden. In Indien beispielsweise berichtet er über die mehrheitlich muslimische Bevölkerung, aber auch über die an den Rand der Gesellschaft gedrängten Götzenanbeter, die in abgelegenen Dörfern ihren Kult zelebrieren. Auch die Tyrannei des Sultans Muhammad Schah und seine grausamen Foltermethoden lässt Ibn Battuta hierbei nicht aus. Im erst kurz vorher islamisch gewordenen Sultanat von Delhi erhielt der Berber das Amt des Kadis und wurde in seiner dortigen Amtszeit reich vom Sultan beschenkt. Dem Sultan lag vor allem daran, so viele islamische Gelehrte und Funktionäre wie möglich einzustellen, um seine Macht zu stärken. Ibn Battuta genoss in dieser Zeit durch seine Frömmigkeit, Intelligenz und seine Wissbegierde etliche Privilegien an dessen Hof. Er blieb insgesamt sieben Jahre in Delhi und erhielt sogar das Angebot, als Botschafter nach China zu reisen. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass Ibn Battuta durch seinen aufsteigenden Ruhm und sein hohes Ansehen gegen Ende seines Aufenthaltes gefährdet war, Opfer von Machtintrigen zu werden. Der Sultan fürchtete jederzeit um sein Leben und ließ oftmals Menschen aus seinem Umfeld, die er willkürlich zu Thronaspiranten deklarierte, ermorden. Dies war schließlich ein Grund für Ibn Battutas Weiterreise in den Osten. Ibn Battuta wird empfangen von Muhammed ibn Tughiq, www.sangam.org Wenn Ibn Battuta nicht Opfer solcher Intrigen wurde, so wurde er im Laufe seiner Reisen oftmals Opfer von Überfällen und Gefangennahmen. Einige Ibn Battuta, Zeichnung Norman MacDonald, mit freundlicher Genehmigung von Saudi Aramco World/PADIA Male entkam er nur knapp dem Tod, doch ließ er sich davon nicht beirren und setzte seine Reisen konsequent fort. Wenn es irgendein Land in der islamischen Welt gab, das Ibn Battuta nicht ausreichend erforscht hatte, so war das sicherlich sein Geburtsland. 22 Jahre vor seinem Tod lebte er in seiner Heimat und genoss dort große Ehren. Ibn Battuta verstarb 1368 oder 1377. Das Todesjahr wird in der mittelalterlichen arabischen Literatur unterschiedlich angegeben. Die Rihla blieb überraschenderweise über Jahrhunderte hinweg sowohl in islamischen als auch europäischen Kreisen unbekannt. Ab dem 19. Jahrhundert wurde das Buch schließlich erstmals in englischer Sprache veröffentlicht. 1 The Encyclopedia of Islam. Bearman, P.J.; Leiden Brill. The Netherlands, 2000 Literatur: Horst Jürgen Grün (Hrsg.): Die Reisen des Ibn Battuta, Bd. 1 und 2, Allitera Verlag München, 2007 23 Ibn Sina und die arabische Medizin Ulrike-Zeinab Askari Alten Quellen zufolge war das Gesundheitswesen um 1000 n. Chr. bereits so weit entwickelt, wie es in Europa erst Ende des 19. Jahrhunderts sein sollte. Cordoba verfügte um diese Zeit über 50 Krankenhäuser, in denen es verschiedene Abteilungen gab, wie die Ambulanz (Poliklinik), in der Kranke behandelt wurden, die nicht stationär aufgenommen werden mussten. Sie wurden mit einem Rezept versehen, das sie gleich in der Krankenhausapotheke einlösen konnten. Des Weiteren gab es eine chirurgische Abteilung, eine innere, eine gynäkologische, eine Augenabteilung. In allen stationären Abteilungen gab es je einen eigenen Operationsbereich. Die Kranken bekamen saubere Krankenhauskleidung und regelmäßige, ausgewogene und stärkende Mahlzeiten (soweit ihr Gesundheitszustand dies zuließ). Der Chefarzt machte regelmäßig morgens mit seinen Assistenzärzten eine Visi- te, wobei die Wärter die Verordnung der Medikamente, eventuelle Diätvorschriften usw. niederschrieben. Fließendes Wasser in jedem Krankenzimmer war eine Selbstverständlichkeit und die Zimmer wurden während der kalten Jahreszeit geheizt. Im Jahr 931 gab es in Baghdad 860 Ärzte, beamtete Regierungsärzte nicht einmal mitgerechnet.1 Im Jahr 999 verfasste Abulkasis (Abu al-Qasim Khalaf ibn al-Abbas al-Zahrawi, 936 - 1013), sein wichtigstes Werk: Das al-Tasrif, eine 30bändige Sammlung medizinischen Wissens, erörterte Albiruni die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht, entdeckte Alhazen (Abu Ali al-Hasan Ibn al-Haitham, 965 - 1040) die Gesetze des Sehens und experimentierte mit der Camera obscura sowie mit Spiegeln (sphärischen, zylindrischen und konischen) und Linsen. Ibn al- Ibn Sina, Miniatur von Suheyl Unver Nafis, ein Arzt aus Syrien (1210 oder 1213 - 1288) war der erste Mediziner, der den Blutkreislauf, genauer den kleinen Blutkreislauf oder Lungenkreislauf, entdeckte und beschrieb, ebenso wie die Versorgung des Herzens durch die Koronargefäße. Außerdem schrieb er Bücher über Diäten und Augenkrankheiten. Die Blütezeit der arabischen Wissenschaft und Kultur ist zwischen 1000 und 1200 n. Chr. anzusiedeln, in der Herrschaftszeit der Abbasiden, die sich als Förderer von Kunst, Kultur und Wissenschaft betätigten. Doppelseite aus dem arabischen Qanun 24 Vor allem wurden an den Höfen der Herrscher auch die Übersetzungen wissenschaftlicher Werke aus dem Griechischen gefördert. Durch den Handel bis hin nach China (Seidenstraße, Weihrauchstraße usw.) und die Expansion des Reiches gelangten auch andere Errungenschaften in das arabische Herrschaftsgebiet wie etwa die Herstellung von Papier aus China oder das kaufmännische Rechnen aus Indien. So gelangte die Null in die arabische Mathematik, was wie- derum den Aufschwung der Naturwissenschaften beschleunigte. Aus den östlichen Nachbarländern Indien und China kamen auch deren medizinische Errungenschaften, die auf eine jahrhundertealten Tradition zurückblickten bis nach Baghdad, Damaskus, Kairo und in alle anderen Städte des Reiches. Auf ihrem Weg nahmen sie noch manche Kenntnisse aus dem alten Persien auf. In diesem Milieu und Umfeld wuchs der junge Ibn Sina (Abu Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina lat. Avicenna) auf. Er wurde 980 in Afshana bei Buchara im heutigen Usbekistan geboren. Im Laufe seines Lebens hat er das damalige Samanidenreich nie verlassen. Er wuchs in Buchara auf, wo er als Medicus im Dienst des Herrschers Nuh ibn Mansur (reg. 976 – 997) das Privileg genoss, dessen umfangreiche Bibliothek benutzen zu können. Später verbrachte Ibn Sina einige Jahre in Ray (nahe dem heutigen Teheran), in Jargan und Qabus, bis er schließlich nach Hamadan kam, wo er 1037 starb, ob an Ruhr oder Darmkrebs ist aus den Quellen nicht klar ersichtlich. Bereits im Alter von 21 Jahren schrieb Ibn Sina sein erstes Buch. Er hat sich mit Philosophie, Medizin, Theologie, Geometrie, Astronomie und Meta- Ibn Sina, http://staff.xu.edu physik beschäftigt. Manche Quellen sprechen von 21 Haupt- und 24 Nebenwerken, andere von insgesamt 99 Büchern. Seinen nachhaltigen Ruhm begründeten allerdings seine Kenntnisse in der Medizin. Sein Hauptwerk ist unbestritten der „Qanun al-Tibb“ (der Kanon der Medizin), der durch spanische und lateinische Übersetzungen in Andalusien und Sizilien Verbreitung in ganz Europa fand, wo er bis ins 18. Jahrhundert als Standardwerk im akademischen medizinischen Unterricht galt. Es war das erste arabische gedruckte Buch und erlebte im Laufe der Zeit mehr als 30 Neuauflagen! Der Qanun ist auf Arabisch geschrieben und enthält fünf große Schwerpunkte zur Medizin: 1. die Theorie der Medizin (allgemeine Lehre der medizinischen Prinzipien) 2. eine alphabetische Liste der Medikamente (über 760!) mit ihrer Wirkungsweise 3. Krankheiten (nach Organsystemen, mit Pathologie und Therapie) 4. Chirurgie und allgemeine Erkrankungen 5. Herstellung von Heilmitteln Sensationell ist, dass Ibn Sina bereits vor 1.000 Jahren die Tuberkulose als ansteckend beschreibt, dass er betont, dass Krankheiten von Wasser und Erde übertragen werden können. Ferner weist er auf die Wichtigkeit von Diäten und richtiger Ernährung hin, auf den Einfluss von Klima und Umwelt auf die Gesundheit und erklärt die orale Anästhesie in der Chirurgie. Speziell zum Thema Krebs rät er, dass krankes Gewebe vollständig zu entfernen sei und zwar so früh wie möglich! Aber er berührt auch Themen, die in die Psychotherapie hineinreichen. So schreibt Ibn Sina auch über die Beziehung von Gefühlen und Körper, speziell von der positiven Wirkung der Musik auf das menschliche Befinden. Eine weitere Empfehlung dieses Titelblatt der lateinischen Übersetzung des Qanun, Venedig 1544, www.incois.gov.in Universalgenies war das Testen von neuen Medikamenten an Tieren und Menschen. Ibn Sina wird heute noch in Persien verehrt wie ein Heiliger. In der gesamten arabischen Medizin gilt er als einer der größten Gelehrten aller Zeiten. 1 Sigrid Hunke, Allahs Sonne über dem Abendland. Unser arabisches Erbe, Fischer Verlag, Frankfurt a. M., 2001, S. 122 Literatur Dietrich Brandenburg: Die Ärzte des Propheten. Islam und Medizin, Quintessenz Verlag Berlin 1992 Maher Damen-Barakat u. Gert Baumgart: Arabische Naturheilkunde. Die besten Therapien aus dem Vorderen Orient, Goldmann Verlag, München 2001 Wolfgang F. Reddig: Bader, Medicus und Weise Frau. Wege und Erfolge der mittelalterlichen Heilkunst Erhart Kahle: Avicenna (Ibn Sina) über Kinderkrankheiten im Kinderregimen seines Qanun, Battenberg Verlag, Regenstauf 2000 25 Fundstücke Louvre Abu Dhabi Die Kunst des Mega-Deals hae/dpa/AFP März 2007 Das Emirat Abu Dhabi unterzeichnete im Frühjahr 2007 einen Vertrag mit Frankreich über eine Louvre-Filiale. 700 Millionen Euro fließen dafür in die Kassen der grande nation. Das 24.000 Quadratmeter große Museum wird unter dem Namen „Louvre Abu Dhabi“ über einen Zeitraum von 20 Jahren wechselnde Leihgaben ausstellen. Als Lizenzgebühr dafür erhält Frankreich rund 700.000 Millionen Euro, davon sind 400 Millionen Euro allein für die Nutzung des Markennames „Louvre“. Der französische Staat stellt für das geplante Museum auf einer GolfInsel Namen, Fachwissen und Kunstwerke zur Verfügung. Innerhalb von zehn Jahren nach der Eröffnung des Museums-Neubaus wird Frankreich für Ausstellungen im „Louvre Abu Dhabi“ Kunstwerke zur Verfügung stellen. Diese sollen aus sämtlichen Epochen stammen und „die kulturellen Werte“ beider Partner respektieren. Ihre Leihdauer soll jeweils zwei Jahre nicht übersteigen. Diese weltweit einzigartige Vereinbarung ist in der Kulturszene heftig umstritten. Kritiker fürchten vor allem eine zunehmende Kommerzialisierung von Museen, warnen aber auch vor religiöser Zensur in dem konser- Der Louve in Paris, Foto: Courtney Jordan 26 vativen Emirat. In Frankreich protestierte man gegen einen „Ausverkauf des nationalen Erbes.“ In einer Petition hatten sich 4.650 Unterzeichner, darunter MuseumsExperten, Archäologen und Kunsthistoriker, gegen den Vertrag ausgesprochen. „Die Museen sind nicht zu verkaufen“, betonten sie. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, beklagte, mit der Niederlassung in Abu Dhabi handele das weltbekannte Pariser Museum „als Unternehmen mit einer klar definierten Strategie, die Gewinnmaximierung heißt.“ Frankreichs Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres betonte dagegen, der „Louvre Abu Dhabi“ werde zum weltweiten „Strahlen“ der französischen Kultur beitragen. Zudem helfe das Projekt, Touristen nach Frankreich zu locken. Mit den Einnahmen aus dem Abu-Dhabi-Deal will der französische Staat unter anderem die Lagerbestände des Louvre und anderer Pariser Museen gegen eine mögliche Jahrhundertflut der Seine sichern. Im Louvre selbst soll ein derzeit von Restauratoren als Werkstatt genutzter Pavillon renoviert werden, um ihn für Gemäldeaustellungen zu nutzen. Der Pariser „Figa- Teilentwurf der irakischen Architektin Zaha Hadid, s. Al-Maqam, Nr. 4, 2007 ro“ meint, hätte der Louvre die Gelegenheit nicht ergriffen, dann hätten dies „Sankt Petersburg, Madrid oder Wien“ getan. Der futuristische Gebäude-Entwurf des Stararchitekten Jean Nouvel wird bei seiner Umsetzung rund 83 Millionen Euro kosten. Die Bauarbeiten sollen noch dieses Jahr beginnen und werden frühestens 2012 abgeschlossen sein. Die Louvre-Zweigstelle soll, ebenso wie die 30.000 Quadratmeter große Dependance des New Yorker Guggenheim Museums, auf der SaadiyatInsel („Insel des Glücks“) gebaut werden. Ein Teil der Insel im Persischen Golf soll zu einem „Kulturbezirk“ werden. Zusätzlich soll dort ein Nationalmuseum, ein Seefahrtsmuseum sowie ein Entertainmentzentrum entstehen. Neben dem Kulturbezirk werden bis 2018 aber auch Luxushotels, Golfplätze, Yachthäfen und Privatvillen auf Saadijat gebaut. Kritiker befürchten deshalb, der „Louvre in der Wüste“ werde eine Art „Disneyland“Museum. Musik Geschichte der arabischen Musik, Teil 3 Das goldene Zeitalter der Abbasiden-Dynastie Mohamed Askari Dass eine umfassende Darstellung der Geschichte der Abbasiden und speziell ihrer Leistungen im Bereich Kunst und Kultur nicht auf wenigen Seiten zu leisten ist, dürfte jedem Leser klar sein. So ist dieser Artikel lediglich als Überblick gedacht, der einige wichtige Eckpunkte und Namen aufzeigen will und einen groben Umriss zeigt, um damit vielleicht Appetit auf mehr zu machen. Wenn wir uns die politische Lage näher anschauen, stellen wir fest, dass es mindestens zwei Gründe gibt, die den Abbasiden zur Machtübernahme verholfen haben. Zunächst der Feldzug der Omayyaden um 740 gegen Byzanz, der mit einer Niederlage der Araber bei Akroinos endet. Dazu kommt, dass der omayyadische Kalif al-Walid ll. (743 744) ein Dichter und Musiker, ein Liebhaber von gutem Wein und Frauen war, der sich mit Künstlern umgab. Jedoch war er ein schlechter Regent. Das führte zu Unruhen und Aufständen, die schließlich mit der Ermordung des Kalifen endeten. Es folgten Machtkämpfe um den Thron. Wegen der Zunahme der Aufstände, hatte der Kalif Marawan ll. (744 750) versucht, alle Unruhen niederzuschlagen, um das Omayyadenkalifat in Syrien wiederherzustellen. Doch die Aufstände begannen erneut wegen der Unzufriedenheit der persischen Würdenträger (Mawali) und der arabischen Geistlichen. Um 750 erlangten die Aufständischen den Sieg über den letzten Omayyadenkalifen Marawan ll. Die Abbasiden richteten unter den Omayyaden ein furchtbares Blutbad an, und leitete eine neue Epoche in der arabischen Geschichte ein. Der Name der Abbasiden geht zurück auf al-Abbas ibn Abd al-Muttalib, einen Onkel des Propheten Mohammed. Die Familie gehörte zu der Sippe der Haschimiten aus dem Clan der Qureisch in Mekka. Diese Epoche lässt sich kulturell in die zwei folgenden Abschnitte aufteilen: Das Goldene Zeitalter 750 - 847 und den Niedergang 945 - 1258. aus dem Manuskript des Hariri, Staatsbibliothek Wien Nach der Machtübernahme durch Abu alAbbas, der unter dem Namen Saffah in die Geschichte einging, wurde der Regierungssitz nach Babylonien verlegt (Anbar, dann nach Hashimiyya, 768 nach Baghdad), weil Damaskus die Heimat der Omayyaden war, und weil die unmittelbare Nähe zum byzantinischen Reich eine potentielle Gefahr darstellte. Außerdem war Damaskus zu weit von Khorasan und Persien entfernt. Vor allem die Perser hatten den Abbasiden bei der Machtübernahme geholfen. Obwohl Abu al-Abbas ein Despot und Tyrann war, hatte er trotzdem eine Vorliebe für Kunst und Kultur. Für ihn gab es keinen Widerspruch zwischen der Musik und dem islamischen Glauben. Sein Bruder alMansur (754 - 775) gründete 768 die Stadt Baghdad, die zur Metropole und zum Mittelpunkt des islamischen Kulturlebens wurde. Baghdad wurde ein regelrechter Magnet für Denker, Musiker (Sänger und Instrumentalisten), Dichter und Wissenschaftler aus allen Gebieten der Erde. Der Kalif al-Mahdi (775 - 785), Sohn des Kalifen al-Mansur, war ein Musikliebhaber. Er wird in den historischen Quellen als trefflicher Sänger gerühmt. In seinem Palast hielten sich ständig zahlreiche Musiker auf, darunter die berühmten Sänger und Oudspieler Hakam al-Wadi, Seyat, Ibrahim al-Mausili und Yazid Huraa. Obwohl der Kalif selbst die Musik liebte, hat er trotzdem verboten, dass seine Söhne Harun al-Rashid (786 809) und al-Hadi (785 - 786) mit der Musik in Berührung kamen. Unter Harun al-Rashid erlebte die Musikpflege in Baghdad ihren Höhepunkt. Die Erinnerung an den Glanz des Kalifen findet später in den Erzählungen von „Tausendundeiner Nacht“ ihren literarischen Niederschlag. Der Musiktheoretiker Yunus al-Katib (gest. um 765) stellte das erste „Buch über die Lieder“ (kitab al-aghani) zusammen und schrieb das erste arabische Werk über Musiktheorie. Es wird schon in dieser Zeit sowohl 27 ker, den so genannten Mutazaliten, die am Hof des Kalifen integriert waren. Durch die vielen Übersetzungen berühmter griechischer Werke ins Arabische erfuhr die Musik in dieser Zeit eine weitere Entwicklung auf der Ebene der Musiktheorie und der Instrumente. Die Entlohnung der Künstler durch den Kalifen, um 1335 vokal als auch instrumental musiziert, die Vokalmusik wird jedoch höher bewertet. Im Instrumentarium behauptet die Laute (Oud) ihre führende Stellung. Ihre Bünde ergeben die pythagoreische Skala. Die vier Saiten sind in Quarten gestimmt. Die zweisaitige Pandora (tunbur) ist das Lieblingsinstrument der Sängerinnen. Außerdem ist die Violine (rabab) verbreitet. Blas- und Schlaginstrumente sind die gleichen wie in der Omayyadenzeit.1 Während der Machtübernahme durch die Abbasiden gab es die erste Spaltung der politischen Einheit innerhalb des muslimischen Reiches. Das Reich spaltete sich zunächst in zwei Zentren und in der Folge in eine ständig wachsende Zahl von selbständigen Fürstentümern. In Cordoba im Westen entstand ein Nebenkalifat, das eine starke Konkurrenz zu Baghdad im Osten darstellte. Es gab mehrere Gründe für die Entstehung der geistigen Blüte oder des so genannten „Goldenen Zeitalters“ der Abbasiden. Zunächst die persische Unterstützung durch Militär, Ver- 28 waltungsapparat und Politik, die den Abbasiden zur Machtübernahme verholfen hatte, zum zweiten die Konkurrenz von Cordoba und Baghdad. Viele Künstler und Wissenschaftler waren von Geburt her nicht Araber sondern zum Islam konvertierte und arabisierte Griechen, Syrer, Perser, Juden usw. Die Abbasidenkalifen waren nicht nur eifrige Förderer der Literatur sondern auch vieler Bereiche der Wissenschaft wie zum Beispiel Astrologie, Mathematik, Philosophie, Musiktheorie usw. Es wurden für diese Zwecke extra Schulen und Bibliotheken gegründet, unter anderem vom Kalifen al-Mamun im Jahr 825 das Bait al-Hikmah (Haus der Weißheit), eine Art Akademie, in Baghdad. Baghdad lockte viele Musiker, Dichter und Wissenschaftler aus den verschiedenen Gegenden des Reiches an und bekam als Stadt einen kosmopolitischen Charakter. Es wurde zum Mittelpunkt der islamischen Welt. Hier lebten Nationalitäten aus aller Herren Länder: Perser, Inder, Griechen, Chinesen usw. Das wurde unterstützt durch die bestehende Meinungsfreiheit der geistlichen Den- Berühmte Künstler und Musiktheoretiker dieser Zeit waren unter anderen Yaqub ibn Ishaq al-Kindi, 800 - 873, ein arabischer Philosoph, Wissenschaftler, Mathematiker, Arzt und Musiker. Er verfasste mindestens sieben musiktheoretische Abhandlungen. Manche davon sind heute in Berlin, Wien usw. archiviert. Abu Nasr Muhammad al-Farabi, 870 - 950, der in Europa unter dem Namen Alfarabius bekannt wurde, war persischer Arzt, Mathematiker, Musiker, Mystiker und Philosoph. Er wurde vor allem durch seine Kommentare zu Aristoteles berühmt. Sowohl er als auch Abu al-Walid Ibn Rusd (lat. Averroes), gest. 1198, übten in Europa einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die christliche Scholastik aus, die wissenschaftliche Denkweise und Methode, die in der mittelalterlichen lateinischsprachigen Gelehrtenwelt entwickelt wurde. Al-Farabi hat in seinem Werk kitab almusiqa al-kabir, dem „Großen Buch der Musik“ keine Notenbeispiele verwendet, wohl aber rhythmische Formeln und Tonleitern. Seine Schrift über die Wissenschaften wurde in der lateinischen Übersetzung unter dem Titel „De Scientiis“ in Cordoba im Unterricht an den Universitäten verwendet. Abu al-Farag al-Asfahani, geb. 897, verfasste ein Werk mit dem Titel kitab al-aghani al-kabir, das „große Buch der Gesänge“ in zwanzig Bänden, mit Biographien von Dichtern, Komponis- ten, Sängern und Instrumentalisten sowie zu Rhythmus und Modus der Lieder. Sowohl Ibn Sina, gest. 1037, als auch Safi al-Din al-Urmawi, gest. 1294, stellten in Musiktraktaten die Teilung der Oktave in 17 Tonstufen vor. Ibrahim Ibn Mahan (Maymun) 742 – 804, der unter dem Namen Ibrahim al-Mausili bekannt ist, wurde in Kufa im Irak geboren und wuchs in alMausel auf. Er stammte ursprünglich aus einer persischen Familie und lernte die Kunst des Gesangs bei einem persischen Meistersänger. Ibrahim al-Mausili wurde einer der bevorzugten Sänger beim Kalifen Harun al-Rashid, der ihn übertrieben gut belohnte, was zu großer Eifersucht bei Kollegen wie Ibn Gamee führte. Al-Mausili wurde sehr reich. Er bekam ein monatliches Gehalt von 10.000 Dirham vom Kalifen, 24 Millionen Dirham in Silber als Ein- nahme aus seiner Schule und viel mehr aus anderen Quellen wie Grundstücken. Er war ein begnadeter Komponist, der über 900 Kunstgesänge2 schrieb. Er war ein hervorragender Oudspieler, Sänger und Musiktheoretiker. Seine Schüler waren unter anderem sein Sohn Ishaq al Mausili, 767 850, Mukhareq, Abu Sodfah, Mo-hammad ben al-Hareth und Zalzal (gest. 791). Abu al-Hassan ben Nafi, gest. 960, unter dem Namen Ziryab bekannt, war Sänger, Dichter und Oudspieler. Ziryab siedelte 822 von Baghdad nach Cordoba, Spanien um. Dort hieß ihn der Prinz Abd al-Rahman ll. willkommen. Er stellte den Ruhm aller bisher in Spanien wirkenden Musiker in den Schatten. Ziryab führte in Andalusien, ähnlich wie al-Kindi im Osten, die fünfte Saite der Laute ein. Er gründete eine Musikschule, die sich bald von den Fesseln der traditionellen arabischen Schule des Ostens befreite und die Keimzelle für die spätere andalusische Musik bildete. Dort entwickelte er neue didaktische Methoden, um den Gesang zu lehren. Eine der wenigen Darstellungen von arabischen Musikinstrumenten: Hier der Erzengel Gabriel mit einer Posaune. Im Bereich der Musik ist dies u. a. auf das Wirken des Musikers und Dichters Ibrahim al-Mahdi in Baghdad im Osten zurückzuführen, der nach Erneuerung der arabischen Musiktradition des Higaz strebte. In Cordoba im Westen arbeitete Ziryab unter den Omayyaden eifrig an der Entwicklung und Erneuerung der damaligen Musik weiter. Im 11. Jahrhundert wurden in Andalusien Werke arabischer Philosophen und Musiktheoretiker ins Lateinische übersetzt. Die Oud (Laute) hatte immer eine führende Stellung. Ihre Bünde sind nach pythagoreischer Skala angeordnet. Die vier Saiten sind in Quarten gestimmt. Ziryab hat die fünfte Saite hinzugefügt. Die Oud hat der europäischen Laute nicht nur die Form sondern auch den Namen gegeben. Der Korpus ist aus dünnen Holzstreifen zusammengesetzt und hat eine Decke mit drei Schalllöchern. Sie ist meistens in E, A, D, G, C, F gestimmt. Ein Vorläufer der Oud ist die Kuitra (griech. Kithara), etymologisch verwandt mit der Gitarre. Sie wird in der arabischen Welt heute noch als „andalusische Kurzhalslaute“ (Kuitra) bezeichnet, ein Hinweis darauf, wie die islamische Hochkultur in Spanien von 711 bis 1492 die heutige arabische beeinflusst hat. Da die Kuitra heute eine untergeordnete Rolle hat, spielt sie keine Soli. Die Musik wurde sehr gepflegt. Im Westen bildete sich eine neue, typisch spanische lyrische Kunst. Die arabische Dichtkunst übernahm neue strophische Formen, welche an Oden oder Balladen der Renaissance erinnern. Mit diesen beiden Formen veränderte sich auch die musikalische Metrik grundlegend. Die alte Ballade der Araber war auf eine lange Reihe von Versen gleicher Struktur und gleicher Länge aufgebaut. Die melodische Phrase war also sehr beengt. Bei der Berührung mit den Persern und den Byzantinern wurde diese Einförmigkeit belebt. Ibn Muhriz (gest. 715) erweiterte die Phrase auf zwei Verse (a, a, b, a). Dieses klassische Schema existiert noch heute in der arabischen Musik. 29 Was sind die Grundlagen der arabischen Musik? Sprache und Musik sind in der arabischen Musik seit jeher eng miteinander verknüpft. Das Singen ist ein zentrales Element dieser Kunst. Der Koran, das heilige Buch der Muslime, wird gewöhnlich öffentlich laut rezitiert, wobei man sich der Melodiemodelle der traditionellen arabischen Musik bedient. Gebetsrufe und religiöse Lieder in der islamischen Musik nutzen das musikalische System, betonen den Text jedoch ähnlich wie bei der Koranrezitation. Die arabische Musik ist eine primär modal bestimmte Kunst. Die Melodik ist an formelhafte, traditionelle Strukturmodelle gebunden. Die Melodien werden aus einer großen Vielzahl von Melodiemodellen, den so genannten Maqamat (Singular: Maqam), gebildet. Unter den strukturgebenden Parametern der arbischen Musik herrscht die Melodie vor. Dadurch hat der Musiker einen gro- ßen Spielraum für kreative Improvisationen. Meistens steigert sich die Improvisations-Freudigkeit des Solisten bis zur Heterophonie mit anderen in kleinen Gruppen, die voneinander Abweichendes der gleichen Melodie ausspinnen. Oft bestimmt die Resonanz des Publikums die Art und Weise wie ein Musiker seine Improvisation darbietet. Der Zuhörer ist ein aktiver Teilnehmer der Aufführung, der die Dauer der Darbietung mitbestimmt und das Musikstück sozusagen mitformt. Der Tonraum wird definiert durch einen Qarar (Grundton) und verschiedene weitere Töne. Die Benutzung dieses Tonmaterials in unterschiedlicher Ausführung führt zur Darstellung bestimmter Gefühlstimmungen. Durch diese Vortragsart kann ein Stück, das nur zehn Minuten lang ist, leicht bis zu einer Stunde ausgedehnt werden und beim Publikum bestimmte Gefühle hervorrufen. Diese Gefühlsausbrüche und dieses „Bewegt-Sein“ kann dazu führen, dass die Zuhörer während einer Interpretation eines Stückes spontan aufspringen und dem Musiker laut und voller Emotionen zujubeln. Diese Emotion nennt man im Arabischen Tarab, das ist die Freude, die man beim Musikhören verspürt. Ghina (Gesang) und Tarab bestimmten das Musikleben und die Musikpflege der Araber seit Beginn der Musikgeschichte bis in die Gegenwart. Der Intensitätsgrad des Tarab hängt in erster Linie von der Stimme und der Vortragsweise des Sängers ab. Meistens erklingen alle Instrumente inklusive des Gesanges in einem arabischen Orchester zusammen in derselben Melodie, aber jeder umspielt sie ganz individuell. Die klassische Musik des Nahen und Mittleren Ostens wird mit dem Begriff Maqam-Musik bezeichnet. Maqam bedeutet wörtlich Ort oder Rang. Maqamat sind in der Musik Tongattungen, die durch die Definition der Töne und einen bestimmten Melodieverlauf die jeweilige Tonart ergeben. Ein Maqam setzt sich aus einer Tonleiter und einer kompositorischen Melodiestruktur zusammen. Eine gelungene Darbietung eines klassischen Maqam-Stückes erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen des Musikers in Bezug auf die Komposition, wie auch die Stimmung der Zuhörer. Der kreative Umgang mit den Strukturen innerhalb eines Maqam wird in Improvisationen, Taqasim, zum Ausdruck gebracht. Fortsetzung im nächsten Heft 1 Farmer, Musikgeschichte in Bildern, S. 145 2 Abu al Farag al-Asfahani: Buch der Gesänge, Seite 5 - 176 Literatur drei arabische Weise - dargestellt durch den Reif um den Kopf 30 Henry Georg Farmer: Musikgeschichte in Bildern, Bd. III, 2, Islam, 1966 Al-Farabi - ein Universalgenie Mohamed Askari Baghdad gekommen ist. Dort studierte er Logik bei Yuhanna ben Haylan, einem christlichen Anhänger der griechischen Schule Alexandrias. Geldschein aus Kasachstan mit dem Konterfei von Al-Farabi Über die Herkunft des Mathematikers, Arztes, Mystikers, Musikers und Philosophen Abu Nasr Mohammed Ibn Mohammed Ibn Tarkhan al-Farabi (870 - 950) bieten weder die schriftlich-dokumentarischen noch schriftlich-erzählenden Quellen eindeutige, nachweisbare Fakten. Es herrschen zwei Hauptmeinungen: Die erste, al-Farabi sei persischer Abstammung, die zweite behauptet, dass Al-Farabi türkischer Herkunft sei. Bis heute wird immer noch über seinen Geburtsort gestritten. Alles, was man mit Sicherheit weiß, ist, dass er als Knabe mit seiner Familie nach Al-Farabi galt schon vor Ibn Sina (s. S. 24f.) als der bedeutendste islamische Philosoph. Der Sohn eines Generals wurde vor allem durch seine Kommentare zu Aristoteles berühmt. Das Universalgenie al-Farabi befasste sich mit den griechischen Wissenschaften der Philosophie und Naturwissenschaft und beschäftigte sich mit Logik, Ethik, Politik, Mathematik, Philosophie und Musik. Er verfasste eigene psychologische und metaphysische Abhandlungen und gehört mit zu den herausragendsten Denkern des 10. Jahrhunderts. Er gilt als der größte Theoretiker der islamischen Musikgeschichte. Sein kitab al-musiqi al-kabir gilt als umfassendste Schrift der islamischen Musiktheorie und Musiksystematik. In seinen Schriften zur Musik verband er seine detaillierten Kenntnisse als ausübender Musiker und seine sachliche Präzision als Naturwissenschaftler mit der Logik der Philosophie. Illustration aus dem Kitab al-musiqi al-kabir, ein „sah-rud“ genanntes Musikinstrument, nach: H. G. Farmer, Musikgeschichte in Bildern Zu seinen berühmtesten Schriften gehören das „Siegel der Weisheit“ (Fusus alHikam) und die Abhandlung über die Idealstadt (Risala fi Ara Ahl al-Madinat al-Fadila). In dieser wissenschaftlichen philosophisch-sozilogischen Abhand- al-Farabi, www.levity.com lung stellt er die musterhafte Gesellschaftsordnung einer von Weisen regierten idealen Gemeinschaft dar. Die Abhandlungen al-Farabis sind mystisch angehaucht, von sufischem Geist erfüllt. Seine Lehren fußen auf der gedanklichen Einheit der Philosophie. Ob die philosophischen Systeme von Aristoteles oder von Platon, für ihn waren sie nur verschiedene Ausdrucksformen ein- und derselben Wahrheit. Der Hauptverdienst alFarabis war, dass er als Erster der arabischen Welt die Lehren der griechischen Philosophie erschloss. Er übte einen starken Einfluss auf die Scholastik aus. Eine Auswahl seiner Schriften zur Musik: Kitab ihsa al-iqaat Buch der Klassifikation der Rhythmen Kitab fi-l-iqaat Buch über Rhythmen Kitab ihsa al-ulum Buch über die Einteilung der Wissenschaften Kitab al-musiqa al-kabir Das große Buch der Musik 31 Orientalismus Das Lächeln der Odaliske, Teil 2 Ansichten über „Orient-Malerei“ Svetlana Georgieva Die künstlerischen Mittel, die persönliche Beziehung zum Orient darzustellen, sind denkbar vielfältig. Grundsätzlich besteht keine Schule der Orientmalerei. Die Bilder sind weniger stilistisch als inhaltlich miteinander verwandt. Schauen wir uns die „Odalisken“ von Jean-AugusteDominique Ingres, Eugène Delacroix oder Pierre-Auguste Renoir an: Es handelt sich dabei um drei berühmte Orient-Bilder mit gleichem Thema. Doch stilistisch unterscheiden sie sich fundamental. Jedes von ihnen ist einer anderen Schule zuzuordnen. Die leidenschaftliche, „unfertige“ Malweise Delacroixs steht in scharfem Kontrast zur ruhigen, kühlen, liniengenauen und additiven Gestaltungsweise bei Ingres. Ihren Höhepunkt erlebte die Orient-Malerei im 19. Jahrhundert. Die Anfänge reichen bis zum Exotismus der Antike zurück. Im 15. Jahrhundert wuchs das Interesse an der Darstellung orientalischer Themen. Für viele Maler des 18. und 19. Jahrhunderts wie Gérôme, Chassériau, Gaugin, Delacroix und Ingres bot der Orient als Modell bzw. als Projektionsfläche eine Möglichkeit, sich von klassischen Schönheitsidealen und Normen zu distanzieren und zu befreien. Den gemäßigten und geordneten Vorstellungen der Antike wurde eine eher maßlose Schönheit entgegengesetzt. Selbst Ingres Odaliske, die als Sinnbild des Formvollendeten gilt, weist keine perfekten Proportionen auf. Der ins Auge fallende, schwungvoll gebogene Rücken ist aus anatomischer Sicht mindestens drei Wirbel zu lang. Aus künstlerischer Sicht trägt diese Überlänge zu einer Verschiebung des Perfekten, Genormten ins Absonderliche bei. Andere Maler bedienten sich eines großzügigen Farbeneinsatzes und stellten vor allem Frauen in unverschämt unbefangenen Positionen dar. Die Hingabe an sinnliche Genüsse wie Schmecken, Duften, Lauschen oder Zusehen diente oft als Grundthema der Bilder und infizierte die Vorstellungskraft der europäischen Betrachter. In einem ständigen Wechselspiel mit westlichen Modeströmungen können unterschiedliche Phasen des Schaffens in der bildenden Kunst beobachtet werden. Im 18. Jahrhundert waren die „Turquerien“ besonders beliebt, während die „Ägyptomanie“ im 19. Jahrhundert tonangebend war. Andere Phasen waren wiederum eher persisch, indisch oder chinesisch gefärbt. Je nach dem Geschmack der Zeit entwickelten sich neue Stile und Techniken. Zum Anbruch des 20. Jahrhunderts floss die sinnlich aufgeladene Orientmalerei in den verschnörkel- 32 Jean-Auguste-Dominique Ingres: Odaliske, 1814 ten Jugendstil ein und wurde von dort aus verstärkt für Werbezwecke eingesetzt. Eine Vielzahl der Werke haben die Vorliebe für Farben, das romantische Verweilen am Detail – die Borte eines Kleides, das Muster auf Teppichen und Mosaiken, der filigrane Schmuck der Frauen, flüchtige Gesten, Gebrauchsgegenstände, Architektur usw. - sowie das Auffangen von Licht auf der Leinwand gemeinsam. An der Schwelle zwischen Romantik und Impressionismus rückt die Stimmung der Szenerie immer mehr in den Vordergrund. Der Übergang wird bei Eugène Delacroix deutlich vernehmbar. Wegen der Lebhaftigkeit seiner Vorstellungskraft und seines großzügigen Umgangs mit den Farben gilt er als Wegbereiter des Impressionismus. Die Gemälde, die er im Pariser Salon ausstellte, erregten die Gemüter. Kritiker empörten sich über seine unkonventionelle Art und malerische Exzessivität. Nach den Impressionisten Renoir und Manet ließen sich auch Avantgardisten wie Matisse, Kandinsky und Macke vom exotischen Sujet faszinieren, wobei das Formale Jean Pierre Simonet: Females on the terrace, 1870 gegenüber dem Inhaltlichen an Bedeutung gewann. Aufgrund der politisch-gesellschaftlichen Umstrittenheit fiel die ästhetische Wirkung der Bilder kaum ins Gewicht. Mittels ihrer lauten Farbigkeit und unerhörten Szenarien fesseln sie das Auge. Unendlich Filigranes lädt ein zum Verweilen und Eintauchen in eine Welt, die anders ist. Auf ihre verspielte Art lassen sie den Betrachter unendlichen Märchen und Geschichten folgen. Anhand des Hintergrundes – Himmel, Wüste, Mauer, Diwan usw. – und mittels feinster Nuancierung des Lichtes werden, wie von Zauberhand, zarte Stimmungen auf die Leinwand gebannt. Kräftiges Rot, schillerndes Gelb und glänzendes Braun lassen die Bilder erstrahlen. Und doch gelingt es den üppigen Gemälden wohl kaum, den Betrachter in emotionale Ergriffenheit zu versetzen. Schauen wir uns noch einmal Ingres Odaliske an. Thematisch könnte die Dame einen Harem bewohnen oder einem Märchen aus „1001 Nacht“ entspringen. Bei aller Sorgfalt der Linienführung, der reinen Form, der sensiblen Hell-Dunkel-Verteilung und der Liebe zum Detail wirkt sie gewissermaßen uninteressiert, zwar echt, doch unwirklich. Trotz der Darstellung eines enthüllten, weiblich gerundeten, zart leuchtenden Körpers und den verspielten türkischen Accessoires lässt das Bild keinen Hauch Anzeige von Sinnlichkeit verspüren. Alles nur leere Versprechungen? Die Bilder spielen mit den Erwartungen der Zuschauer. Ein Bild ist niemals nur ein AbBild. Es spiegelt nicht nur das Verhältnis des Malers zum Objekt seiner Begierde sondern auch den Bezug des Betrachters, der es aufgrund seines Wissens und Empfindens beurJohn Singer Sargent: Fumée d’Ambre teilt. Gris, 1880 Womöglich lag es an der farbigen Fülle, an der Progressivität der Fleischlichkeit, an dem dargestellten Überschwang, dass die Orient-Bilder als bunter Kitsch belächelt wurden. Durch das Fehlen des Anspruchs, den Betrachter zu berühren, wurden die Bilder vermutlich leicht als Phantasmagorien abgestempelt und die Bedeutung hoher Kunst abgesprochen. Moralisierende Tendenzen prägten den öffentlichen Geschmack und ließen den Blickwinkel schrumpfen. Hand in Hand mit dem Orient-Boom der letzten dreißig Jahre ist in Westeuropa das Interesse an den Orient-Bildern gewachsen. In einen neuen, durchaus zugespitzten Kontext gestellt, erfahren die Bilder eine Aufwertung, die sich nicht nur auf das Dargestellte bezieht sondern auch die Art und Weise, die Ausdrucksstärke und Wirkung der Bilder mit einbezieht.1 Die Betrachtungsweise wird dabei sowohl von einer kritischen Sicht als auch von einem Fasziniert-Sein getragen. 1 Wolf-Dieter Lemke: Staging the Orient. Beirut, 2004 Literatur Hélène Gill: The Language of French Orientalist Painting (= Studies in Art History; Vol. 6), Lewiston, Edwin Mellen Press, New York, 2003 Gérard-Georges Lemaire: Orientalismus. Das Bild des Morgenlandes in der Malerei. Ullmann/Tandem, Königswinter 2005, ISBN 978-3833135774 Infos www.orientalist-art.org.uk www.alloilpaint.com/orientalist/p1.htm www.evelinapapazova.com/pageit.php?P=119&SP=121 33 Veranstaltungen Kreativität und Experimentierfreudigkeit Orientshow vermittelt die Lebensphilosophie des Orientalischen Tanzes Text: Ines Hofmann Klangsprache des Stepptänzers Sebastian Weber, wofür es begeisterten Beifall gab. Nashira; Foto: © Bernd Koschay Die Show „Superstrass - Bauchtanz vom Feinsten“ zog im Juli die Leipziger Zuschauer in ihren Bann. Vor der außergewöhnlichen Kulisse des alten Filmtheaters UT Connewitz nahmen nationale und internationale Tänzerinnen das Publikum mit auf eine Reise durch den Orient. Von klassisch indischem Bauchtanz über Gypsy bis zum modernen Schleiertanz reichte dabei das Repertoire. Traditionelle Tänze wurden mit anderen klassischen Tanzformen und modernen Elementen verknüpft, Klischees wurden bewusst aufgebrochen, angestaubte orientalische Rhythmen durch moderne Rock- und Popmusik ersetzt, die Tänzerinnen durch ein auf Leinwand ausgestrahltes Videoprojekt in Szene gesetzt. So wurden die Showbeiträge zur zeitgemäßen Tanzkunst, die auch szenefremde Zuschauer begeisterten. Gleich zu Beginn gab es ein tänzerisches Highlight: Die Leipzigerin Mohini begann die Orientreise mit einem Mohiyattam aus Indien, der das Publikum bezauberte. Inayah aus Magdeburg, Nisrin aus Chemnitz und die Berlinerin Shalymar El Amar zeigten mit einem Trommelsolo, dem Shamadan und klassischer Routine, wie facettenreich und phantasievoll der orientalische Tanz ist. Die Initiatorin der Show, die Leipziger Tanzikone Natalie, improvisierte zur 34 Ihr folgte der Weltraumtänzer Axel Schwemmer, der einzige Mann der Show, der sich mit seinem Auftritt keineswegs hinter den Frauen verstecken musste. Gemeinsam mit Natalie präsentierte er eine „Schleierhaftmoderne Liebestragödie“ – eine Choreographie, die Farben, Licht und Musik zu einer getanzten Liebesgeschichte verschmelzen ließ. Die Leipzigerin Lina und Nashyra aus Frankfurt überzeugten die Zuschauer mit klassischer Routine und einem Trommelsolo mit Isis-Flügeln. Das Duo Hayal nahm mit seiner Darstellung, die insbesondere durch augenzwinkernde Komik glänzte, das Publikum gefangen und erhielt stürmischen Applaus. Dieser hielt an, bis die Offenbacherin Eliana ihr Tribal Fusion beendet hatte. Unbestrittener Star des Abends war Petite Jamilla, Ensemblemitglied der „Bellydance Superstars“, deren Show in den USA bereits mehr als eine halbe Million Zuschauer besuchten. Mit ihren ausgefeilten Choreographien bewies sie, dass sie zu Recht zu den Superstars der Bauchtanzszene gehört. Dinge zeichneten die Show dabei aus: Zum einen die Kreativität und Experimentierfreudigkeit, mit der Natalie die Veranstaltung realisierte Videokünstler projizierten die Tänzer auf Leinwand, Tänze verschiedenster Stilrichtungen wurden verbunden und mit modernen Elementen und Licht neu inszeniert. Zum anderen überzeugte die Show durch die hohe Professionalität der Tänzerinnen und Tänzer, von denen die meisten eine jomdance-Ausbildung absolvieren bzw. bereits abgeschlossen haben (s. Al-Maqam 2/2006). Der Abend machte dem Publikum deutlich, dass orientalischer Tanz viel mehr ist, als eine Abfolge ästhetischrhythmischer Bewegungen: Er vermittelt eine Lebensphilosophie, erzählt Geschichten und weckt Emotionen. Genau diese Faszination sprang auf das Publikum über. Die insgesamt vierzehn Tänzer demonstrierten an diesem Abend, dass der orientalische Tanz auch hierzulande ein hohes Niveau erreicht hat und inzwischen zu einer eigenständigen Kunstform geworden ist. Zwei Ines Hofmann hat in Leipzig gerade ihr Journalistikstudium abgeschlossen und tanzt selbst. Nashira, Foto: © Michael Ehritt Fantasia Orientale Orientalische Impressionen aus Hamburg Text und Fotos HFJ Möller Im Oktober 2007 präsentierte die 1001 Nacht Event Agentur im DelphiShowpalast in Hamburg einen abwechslungsreichen Abend aus dem Morgenland. Eingeladen hatte Magdy Rezkalla die Tänzerinnen Shahrazad und Joumana sowie Zarefah und Shammadan aus Hamburg, ferner den Derwischtänzer Shinouda. Eingebettet waren die Tänze in eine Geschichte von Magdy über „die Menschwerdung,“ erzählt von Christa Hopf und eindrucksvoll untermalt von Adam Saidani mit Oud und Geige. Zu Beginn der Darbietungen kam das Licht auf die Erde. Die Szene war ganz in Gold gehalten, im Hintergrund zwei Tänzerinnen als Engel mit ausgebreiteten Isis-Flügeln, im Vordergrund Shammadan, die einen mystischen Leuchtertanz mit vielen feinen Shimmis und Akzenten zeigte. (Die Interpretation des Lichts, der Choreographie Magdy Rezkalla.) Es folgte der „Schlag der Herzen.“ Stargast Shahrazad versinnbildlichte, untermalt von afrikanischen Trommeln, mit ausdrucksvollen Armbewe- Shammadan Zarefah gungen und Körperkontraktionen sowie ausgeprägten Beckenbewegungen, den Herzschlag. Als Gegensatz dazu der Auftritt von Joumana, die uns als Göttin Hathor ins alte Ägypten entführte und die Entstehung der Liebe dargestellte. Das nächste Bild malte Zarefah mit einem fröhlichen TamburinTanz, hierbei verfehlte ihr strahlendes Lächeln – so auch das Thema – seine Wirkung nicht. Ausdrucksstark Shahrazad mit dem „Lüften der Schleier von unseren Sinnen.“ Hierbei wurden nacheinander sieben Schleier abgetanzt. Der Mensch fand dann „die Musik als gemeinsame Sprache.“ Joumana spielte in ihrem temperamentvollen Tanz – teilweise mit Zimbeln – mit dem Publikum. Bevor das Publikum in die Pause entlassen wurde, wurde es voll auf der Bühne. Antar, das tanzende Pferd, Shinouda als Stocktänzer und Magdy als Omda, ägyptischer Bürgermeister mit Stock, der sich kaum auf den Beinen halten konnte und beim Tanzen öfter stürzte und sofort wieder aufstand, brachten das Publikum zum Lachen. Nach der Pause eröffnete Zarefah mit einem wunderschönen Schleiertanz nach der Choreographie von Magdy Rezkalla und führte uns ins Reich der Träume. „Wie ich mir die Welt erträume“ war der Titel. Später zeigte sie ihr Temperament mit einem Zimbeltanz. Weitere Statio- nen der Menschwerdung zeigte Joumana mit einem Shaabi und einem klassischen Tanz. Shammadan tanzte nach Choreographien von Magdy Rezkalla einen Melaya Leff und später einen Balady im typischen Kairoer Stil. Shahrazad zeigte uns „die Welt hinter der Welt.“ Der etwas mystische Tanz wurde durch die leuchtfarbenen Flächen auf dem Rock eindrucksvoll unterstrichen. Ebenfalls ausdrucksstark waren ihr Hagalla, mit dem Thema „Weg zur Liebe“ sowie ihr klassischer Tanz. Beendet wurde der Abend mit Shinouda, der einen Tanoura, ebenfalls choreographiert von Magdy Rezkalla, zeigte. Endlich durfte er auf der Bühne sein Können zeigen. Es war ein Tanz mit einigen ausgefallenen und überraschenden Elementen. Eindrucksvoll sein Sprung von der Bühne, bei dem er seinen schweren Rock über dem Kopf drehte. Insgesamt war es ein gelungener, bunter Reigen, der uns viele Facetten des orientalischen Tanzes näher brachte. Das Publikum war durchweg begeistert. Nach der Show konnte noch bis 3 Uhr in der Früh auf und vor der Bühne zu orientalischer Musik bei der After-Show-Party gefeiert und getanzt werden. HFJ Möller ist Orient-Liebhaber und bereiste viele Male Ägypten und die Türkei. Er begann bereits vor vielen Jahren, Berichte und Fotos über seine Reisen sowie über seine Besuche von kulturellen Veranstaltungen zu verfassen. 35 Literatur Das Neueste von 1001 Nacht Interview mit der Übersetzerin Dr. Claudia Ott Das Interview führte Christian M. Jolibois Al-Maqam: Woher stammt 1001 Nacht? Dr. Claudia Ott: 1001 Nacht ist ein zeitloses Werk der Weltliteratur, das durch zwei Kulturen gewandert ist, bevor es in der arabischen ankam. Es entstand in Indien und gelangte über Persien durch Übersetzungen im 8. Jahrhundert in die arabische Literatur. Dann, viele Jahrhunderte später, löste die Übersetzung aus dem Arabischen ins Französische einen Orientboom in Europa aus. Schließlich kam es, als Re-Import sozusagen, wieder in die arabische Kultur zurück. Erst danach erhielt das Werk auch in der arabischen Welt die ihm gebührende Wertschätzung. Das Werk hat eine über 2000-jährige Geschichte hinter sich. Wie kamen Sie als Übersetzerin zu 1001 Nacht? Ich glaube, dass es schicksalhaft war. Der Auftrag ereilte mich nach meiner Doktorarbeit. Ich wollte unbedingt noch orientalische Musik studieren und bin deswegen nach Kairo gegangen. In dieser Zeit bekam ich die Anfrage, ob ich nicht dieses große Werk übersetzen wolle. Ich habe die Herausforderung angenommen und dann drei Jahre täglich daran gearbeitet. Bereits davor hatte ich Gedichte übersetzt von denen einige veröffentlicht wurden. Meine Dissertation behandelt arabische Epik, die von Berufserzählern als Geschichten vorgetragen werden. Über einen solchen Erzähler habe ich gearbeitet. Die Werke, die er vorlas, habe ich bis zu den ersten Manuskripten zurückverfolgt. Daraus ist meine Dissertati- 36 on entstanden. Aufgrund dieser Arbeit wurde ich als Übersetzerin vorgeschlagen. Die Dissertation trägt den Titel Metamorphosen des Epos und beschreibt wie diese Riesenwerke entstanden sind, sich in den verschiedenen Handschriften weiterentwickelten und schließlich von den Erzählern heute vorgetragen werden. Dieses Changieren zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit bei der Überlieferung der Werke ist das Thema meiner Doktorarbeit. Was ist das Besondere an Ihrer Übersetzung von 1001 Nacht? Es ist die erste deutsche Übersetzung der ältesten bekannten Handschrift von 1001 Nacht. Vieles daran ist anders als an früheren Übersetzungen. Insbesondere betrifft das die Überschriften. Früher bezeichnete man das Werk als die „unterhaltsamen und merkwürdigen“ Geschichten aus 1001 Nacht. Für mich stand dabei die Haltung und Sichtweise des Königs Schahriyar im Vordergrund. Schahriyar musste immer neugierig auf die Fortsetzung der Geschichte bleiben. Jede musste so spannend und aufregend sein, dass er Schahrasad nicht töten ließ. Diese Spannung habe ich in den Vordergrund gestellt und deshalb sind es für mich „Die spannenden und aufregenden“ Geschichten aus 1001 Nacht. Claudia Ott, Foto: © Ulrike Schmidt-Parusel wie beispielsweise in dem Gedicht Die männliche Schönheit Die Schönheit selbst sollte sich mit ihm vergleichen, Da blickte die Schönheit beschämt auf die Knie. Man fragte: „Hast du, liebe Schönheit, schon einmal ...“ Sie sagte: „ ... solch einen gesehen? Noch nie!“ Was ist an der 9. Auflage Ihrer 1001 Nacht anders? Das Nachwort. Die Reaktionen auf die Übersetzung, die Fragen, die mir am meisten gestellt wurden und was ich in den drei Jahren seit der Erstveröffentlichung erlebt habe, habe ich in das neue Nachwort mit eingebaut. Gibt es neue Übersetzungen von 1001 Nacht in anderen europäischen Sprachen? Was war bei der Übersetzung von 1001 Nacht besonders zeitaufwändig? Es gibt von demselben Manuskript eine Übersetzung ins Dänische, Englische und Niederländische. Meine, die derzeit aktuellste und jüngste, endet in der 282. Nacht, so wie das arabische Manuskript. Die Gedichte, die mir bei der Übersetzung sehr wichtig waren. Ich habe versucht, Reim und Metrum der arabischen Vorlage in der deutschen Übersetzung anklingen zu lassen, Wie waren die Reaktionen auf Ihre Übersetzung von 1001 Nacht? Meine arabischen Kollegen haben sich sehr darüber gefreut, dass das Werk ganz nah am arabischen Original übersetzt wurde. Viele frühere deutsche Ausgaben sind Weiterübersetzungen aus dem Französischen oder ganz freie Nacherzählungen. In der arabischen Welt wurde meine Übersetzung recht gut bekannt durch einige Rezensionen und Vorträge, die ich dort gehalten habe. Bei den Fachleuten ist das ähnlich. Der größte Erfolg für mich ist, dass es von nicht-fachlichen Lesern so gut angenommen wird. Die meisten anderen Übersetzungen haben eine gewisse literarische oder wissenschaftliche Distanz zum Text. Die bewusst gewählte zeitgenössische Sprache ist vielleicht das Geheimnis des Erfolgs meiner Übersetzung. Die Littmann’sche Übersetzung - entstanden zwischen 1921 und 1928 - ist ein Kind jener Zeit. Es ist eine sehr gute Übersetzung, die teilweise etwas trockener erscheint als meine. Das liegt auch an dem von ihm benutzten arabischen Text, der bereits eine literarisierte Fassung ist. Diese Littmann-Übersetzung kannte ich natürlich, hatte sie Anzeige aber während der Zeit meiner Übersetzung gar nicht aufgemacht, um mich nicht allzu sehr davon beeinflussen zu lassen. In einer meiner ersten Lesungen wurde ich auch zu meinem Verhältnis zu der Übersetzung von Littmann gefragt. Ich sagte, dass in meinem Bücherregal der Littmann genau neben meiner Übersetzung stehe, auf der selben Ebene. Nach der Veranstaltung kam die Dame, die mich danach gefragt hatte zu mir. Sie sagte, sie sei Littmanns Tochter und ihre Begleiterin seine Enkeltochter. Zu ihr habe ich einen sehr guten Kontakt. Wir organisierten gemeinsam eine Ausstellung über Littmann, anlässlich seines 50. Todestages im kommenden Jahr. So ähnlich wie Littmann sehe ich fast alle anderen Übersetzungen auch. Jede Übersetzung hat ihren eigenen Wert. Jede hat ihre Ausrichtung und ihr Zielpublikum. Bei mir stehen sie alle nebeneinander. Keine macht der anderen Konkurrenz. Kann 1001 Nacht als epische Erzählung bezeichnet werden? Anzeige 37 Claudia Ott, Foto: © Claudia Ramstein Ich dachte vorher immer, dass 1001 Nacht ebenfalls zur epischen Tradition gehört und dass die Erzähler bestimmt auch Geschichten von 1001 Nacht erzählen. Dann war ich auf meiner Feldforschung in Marrakesch bei dem Erzähler, der das in meiner Dissertation behandelte Werk vorgetragen hat. Ich durfte mich mit dazu setzen und ebenfalls zuhören. Das Publikum ist mir im Rahmen dieser Feldforschung sehr ans Herz gewachsen. Anfänglich haben sich einige darüber gewundert, dass eine Europäerin sich so dafür interessiert und so oft mit dabei war. Das normalisierte sich mit der Zeit, und ich konnte mit ihnen über alles Mögliche ganz wunderbar reden. Nach einer Weile habe ich den Erzähler und das Publikum gefragt, warum nicht auch mal 1001 Nacht drankäme. Da waren auf einmal alle ganz empört. Warum? Da kämen viel zu viele Dschinnen und fliegende Teppiche und Nixen vor, das gebe es ja alles gar nicht, alles Lüge. Für dieses Publikum gehörte 1001 Nacht in die Welt der Fiktion. Im Gegensatz zur Epik, die ja vorgibt, wahre Geschichte zu 38 erklären. Behandelt wird die Geschichte der Araber, die Ausbreitung des Islam in Nordafrika, die verschiedenen Eroberungs- und Kreuzzüge, die Einnahme von Konstantinopel usw. Das ist die eine Richtung. Die andere Richtung ist 1001 Nacht. 1001 Nacht ist Fiktion. Das war für diese Leute nicht das Gleiche und dieser Unterschied ist ganz wichtig. Das hat mich sehr überrascht. Zählt 1001 Nacht zur Gattung der Kindermärchen? Ja und nein. Einzelne Geschichten aus 1001 Nacht sind immer Kindern erzählt worden. Die mündliche Überlieferung ist etwas ganz typisch Weibliches in der orientalischen Erzählkultur. Nirgends kann man es so schön sehen wie bei 1001 Nacht. Diese Linie läuft von der älteren Frau zum Mädchen und betrifft einzelne Geschichten aus 1001 Nacht. Ich habe viele Interviews mit Frauen geführt, die aussagten, die Geschichte zu kennen, in der der Ifrit (arab. boshafter, listiger Dämon) das Mädchen gefangen hält, das ihn mit anderen Männern betrügt, sobald er ein- geschlafen ist. Oder sie kannten Geschichten von bösen Menschenfresserinnen, die harmlosen Wanderern am Wegesrand auflauerten. Diese Geschichten, obwohl sie teilweise auch erotische Details enthalten, kannten die Mädchen, das war gar keine Frage. Sie wurden ihnen von Frauen und meistens ohne den Hinweis, dass es sich dabei um 1001 Nacht handelt, erzählt. Das ist die eine Linie der Überlieferung. Die andere Linie ist die schriftliche Überlieferung. Soweit wir sie historisch nachvollziehen können, verläuft sie von Mann zu Mann. Die Bücher und Aufzeichnungen sind alle von männlichen Schreibern verfasst. Wenn ich Männer gefragt habe, wie sie denn mit 1001 Nacht in Berührung gekommen sind, fällt mir als schönstes Beispiel Gamal al-Ghitani ein, der berühmte Autor aus Ägypten, der selbst einen Nachdruck von 1001 Nacht editiert hat. Er sagte mir, er habe das Buch als Neunjähriger mit nach Hause gebracht und durfte es nicht lesen, weil sein Vater sagte, das sei nichts für kleine Jungs. Also las er es heimlich. Solche Geschichten erzählen einem die Männer: Dass sie verbotenerweise an den Bücherschrank des Vaters gegangen sind, wo dieses Buch irgendwo in einer unteren Ecke lag, weil es eben doch nicht zur höheren arabischen Literatur zählt sondern eben diesen Anstrich von Trivialliteratur hat. Diese unterschiedliche Weitergabe ist bei 1001 Nacht etwas ganz Besonderes. Eigentlich sind es eher Märchen für Erwachsene. Allein schon aufgrund des Inhalts. Da ist viel von Erotik und Gewalt die Rede. Dann die mangelnde Abgeschlossenheit der Geschichten, die für eine kindliche Geduld zu groß sind. Die Spannung wird immer weiter aufrecht erhalten, damit der König neugierig und Schahrasad am Leben bleibt. Ebenso verhält es sich mit den Fortsetzungen der Geschichten. Ein Kindermärchen braucht nach einer gewissen Anzahl von Seiten einen Abschluss. Für Kinder ist es ganz wichtig, dass das Gute siegt und sie nicht verzweifeln angesichts dieser Märchen. Nicht jede Geschichte von 1001 Nacht ist durch ein Happy-End abgeschlossen. Woran man es auch erkennen kann, ist das Alter der Helden. Bei den Märchen der Gebrüder Grimm sind es Kinder, mit denen sich jedes Kind leicht identifizieren kann. In 1001 Nacht sind die Helden Erwachsene. Welchen Stellenwert besitzt 1001 Nacht in der arabischen Welt? Es wird als Unterhaltungsliteratur angesehen. Jeder kennt den Titel und bestimmte Bilder, die damit assoziiert werden. Es gab eine Zeit, in der das Werk im Orient weniger privilegiert war. Vor dem Orient-Boom in Europa galt es zunächst nicht viel in der arabischen Welt. Ich nenne das gerne den „Pizza-Effekt“. Etwas, das in der Ursprungsregion zunächst nicht sehr angesehen war, wie z. B. die Pizza ehemals in Italien. Diese gewann im Ausland große Beliebtheit und wurde daraufhin im Ursprungsland neu bewertet. So ist es auch mit 1001 Nacht. Seit den Anfängen der modernen arabischen Literatur so um das Jahr 1900 hat man sich sehr viel mit 1001 Nacht beschäftigt und sich oftmals darauf bezogen. Es gibt von Nagib Machfus einen Roman, „Layali alf Layla“ (die Nächte der 1000 Nächte). Eigentlich haben fast alle großen Schriftsteller irgendwann eine Variation über das Thema geschrieben. Das war davor nicht so. Wohl aber seit dem Beginn der modernen arabischen Literatur, die ihren Blick ja nach Westen gerichtet hatte, wo 1001 Nacht sehr beliebt war. Seitdem ist das Ansehen des Werks in der arabischen Welt sehr gestiegen. Gibt es einen geschichtlichen Bezug für 1001 Nacht? Einen sehr starken sogar und zwar für jede Geschichte einen anderen. Das ist das Komplizierte daran. 1001 Nacht hat eine Rahmenhandlung. Die Geschichte von König Schahriyar, der wie sein Bruder von der Ehefrau betrogen wird. Beide stellen fest, dass die „Tücke der Weiber“ ungeheuerlich sei. Sie ziehen in die Welt hinaus, um jemanden zu finden, dessen Unglück noch schrecklicher ist als das ihre. Sie stoßen auf den Ifrit mit der Truhe, in der eine junge Frau eingesperrt ist, die ihn jedes Mal betrügt, wenn er sich schlafen legt. Sie hat bereits mit 98 Männern geschlafen, bevor diese beiden Könige als Nummer 99 und 100 an der Reihe sind. Nachdem die beiden Brüder das erlebt haben, sind sie sicher, dass es auf der ganzen Welt keine anständige Frau gibt. Daraufhin beschließt König Schahriyar jede Frau nach der Hochzeitsnacht zu töten, um vor ihrer vermeintlichen Bosheit und Arglist in Sicherheit zu sein. Das ist die Rahmenge- schichte von 1001 Nacht. Bis dann Schahrasad auftaucht und ihm jede Nacht einen Teil der unendlichen Geschichte erzählt, so dass der König immer wieder neugierig bleibt auf die Fortsetzung. Diese Rahmengeschichte hat eine vollkommen andere Historie als die Einzelgeschichten, die Schahrasad erzählt. Wir wissen, dass die Motive der Rahmengeschichte um die Zeitenwende, zum Jahr Null bereits in der Sanskritliteratur kursierten. Alle drei Motive sind in der indischen Literatur eindeutig belegt. Das Motiv der beiden Brüder, die von ihren Frauen betrogen werden, der Ifrit mit der Truhe auf dem Kopf sowie die schöne Prinzessin oder das Mädchen, das dem König, um ihn zu besänftigen und am Leben zu bleiben, jede Nacht eine Geschichte erzählt. Es ist bekannt, dass das Werk in die persische Literatur einging und dort den Namen „Hazar Afsanah“, Tausend Abenteuergeschichten erhielt. Ebenfalls nachweisbar ist, dass das Werk um das Jahr 800 aus dem Persischen ins Arabische übersetzt und dann mit arabischen Geschichten angefüllt wurde. Für mich ist 1001 Nacht ein Geschichtenmagnet, der alles anzieht, was die Bedingung erfüllt, spannend und aufregend zu sein. Wie kam 1001 Nacht nach Europa? Es wurde 1704 ins Französische übersetzt. Der damalige erste Übersetzer Antoine Galland hatte das Glück, dass er bei seiner Suche nach 1001 Nacht sofort auf das älteste Manuskript stieß. Das ist allerdings ein Torso, der nach der 282. Nacht aufhört. Galland hat 1001 Nacht im Französischen vervollständigt, indem er andere Manuskripte hinzunahm und sich weitere Geschichten diktieren ließ. Von März bis Oktober 1709 hielt sich der syrische Christ Hanna Diab bei einem Freund von Galland in Paris auf. Der Übersetzer bat den Syrer darum, ihm weitere Geschichten für seine französische Fassung zu erzählen. Während Hanna Diab dieser Bitte bereitwillig nachkam, machte sich Galland Notizen. Diese mündlich vorgetragenen Geschichten gingen bereits durch Gallands Redaktion während sie erzählt wurden. Von diesen kennen wir keine schriftlichen arabischen Originale. Lediglich Gallands französische Originale sind bekannt. Das sind keine Fälschungen oder westliche Erfindungen, wie es oftmals behauptet wird. Erzählt hat sie der syrische Christ Hanna Diab, der sie nicht erfand, nur damit Galland Geschichten hatte sondern aus dem Gedächtnis wiedergab, was für ihn zu 1001 Nacht gehörte. Unter denen befinden sich auch diejenigen, die bei uns am beliebtesten geworden sind. Aladdin und die Wunderlampe, Ali Baba und die 40 Räuber. Warum sind es gerade diese Geschichten, die bei uns so besonders beliebt sind und die auch in diese Kinderecke gehen? In dieser Zeit, so um das Jahr 1700, gab es in Frankreich eine 39 Anzeige literarische Mode namens „Contes des Fées.“ Feenmärchen und Geschichten, die in Richtung Bildungs- und Kinderliteratur tendierten. Während Galland redigierte und schrieb, formulierte er so, wie es dieser damaligen Mode entsprach. Die erste französische Version von 1001 Nacht wurde auch als „Contes Arabes“ bezeichnet. Damit gab er bereits die Richtung vor, in die diese arabischen Märchen umformuliert wurden: Kinder- und Hausmärchen. Solche Versionen kamen aus Europa zurück in die arabische Welt. Die ursprüngliche Handschrift hat nichts davon. Was entspricht in der europäischen Literatur im weitesten Sinne 1001 Nacht? Mir fällt sofort das Decamerone ein, das auch eine Rahmengeschichte hat, in der dann einzelne Geschichten erzählt werden. Ansonsten, glaube ich nicht, dass die europäische Literatur etwas Eigenes, Vergleichbares in dieser Richtung hervorgebracht hat. Das war auch nicht nötig, weil 1001 Nacht es sofort zu einer unglaublichen Verbreitung in Europa gebracht hat. Diese Gattung, diese Art von Literatur war eben bereits von 1001 Nacht besetzt und ist es bis heute. Das Werk steht für sich selbst und ich glaube, es hat auf der ganzen Welt kein Ebenbild, gerade auch weil es so ein Geschichtenmagnet ist. Von Anfang an gab es offene Stellen. Wenn sich eine andere Geschichte fand, wurde sie eingefügt. Es ist eine Art offenes Werk, in das man Geschichten aufnehmen kann, ohne dass es weiter auffällt. Jeder Übersetzer und jeder Herausgeber hat seine eigene Version zusammengestückelt. Auf diese Weise entstand etwas Lebendiges, ein Werk das in dem Sinn nicht abgeschlossen ist und mit der Zeit mitgehen kann. Wie stellt sich das Frauenbild in 1001 Nacht dar? Das Frauenbild in 1001 Nacht ist ein sehr vielfältiges. Wir haben ganz negative Protagonistinnen und auf der anderen Seite der Skala die eine große Frauengestalt Schahrasad, die das Ganze dominiert. Der Blick richtet sich viel mehr auf die Frauen als auf die Männer. Selbst in den Geschichten in denen der Mann der Held ist, geht es eigentlich immer um Frauen. Literaturwissenschaftler haben das als psychologische Taktik interpretiert. Schahrasad trat mit dem Anspruch an, den König fast wie eine Therapeutin von seinem Trauma zu heilen. Der König musste erfahren, wie schrecklich er von seiner Frau betrogen wurde. Schahrasad erzählt ihm mit Absicht solche Geschichten, bei denen am Anfang auch betrügerische Frauen im Mittelpunkt stehen. Das lässt sich so interpretieren, dass sie ihm aufzeigt, dass er mit seinem Trauma nicht alleine ist und es anderen Männern ebenso erging. Je weiter sie fortschreitet, desto positiver werden die Frauen dargestellt, desto selbstbewusster und auch begehrenswerter werden diese Frauen, so dass der König im Laufe dieser 1001 Nächte ganz langsam von seinem negativen Frauenbild abkommt. Das Bild der Frau in 1001 Nacht wandelt sich. Welche ist Ihre persönliche Lieblingsfigur in 1001 Nacht? Schahrasad, weil sie alles überblickt und die Fäden zieht. Gibt es Situationen, in denen Sie sich an 1001 Nacht erinnert fühlen? Zwei solche Situationen beschreibe ich im Nachwort. 1001 Nacht ist ein Buch, das das Leben schrieb, Geschichten, die aus dem Leben ganz einfacher Menschen berichten. Man hat das Buch auch die Bibel der Handwerker, Händler und einfachen Bewohner der Stadt genannt. Als deren Lebensbild in arabischen Großstädten, wie Aleppo und Bagdad, Damaskus und Kairo, das dort portraitiert wird. Wenn man sich in den Basaren arabischer Städte aufhält, kommen einem ständig solche Szenen aus 1001 Nacht vors innere Auge, da sich diese Szenen oftmals dort abspielen. Vermittelt 1001 Nacht einen Einblick in das tägliche Leben der arabischen Stadt? Man muss sicher immer aufpassen, das nicht gleichzusetzen. Vom Gefühl und der Atmosphäre her sicherlich. Aufpassen, weil man so eine Art von Literatur natürlich nicht mit einem Dokumentarfilm verwechseln darf. Betrachtet man es als Kulisse, dann ist es durchaus authentisch. Wie gesagt, nicht als historische Realität, aber als Atmosphäre. Es ist und bleibt Unterhaltungsliteratur. Dr. Claudia Ott studierte Orientalistik in Jerusalem, Tübingen und Berlin sowie arabische Musik in Kairo. Sie arbeitet als Übersetzerin, Autorin, Moderatorin und Musikerin. Seit 2000 ist sie außerdem wissenschaftliche Assistentin am Institut für orientalische Philologie der Universität Erlangen. www.tausendundeine-nacht.com Info Tausendundeine Nacht, Claudia Ott (Übersetzerin), Beck Verlag, München, 9. Auflage 2007, ISBN-13: 978-3406516801 Weitere Informationen: Rezension zur 9. Auflage von 1001 Nacht www.tausendundeine-nacht.com Titelbild und Portrait von Dr. Claudia Ott: www.chbeck.de 41 Veranstaltungen Iftar - Fastenbrechen Deutsch-Arabische Freundschaftsgesellschaft e.V. Die DAFG e. V. feiert mit den arabischen Botschaftern Text: Bruno Kaiser, Fotos: M. El Sawaf Das allabendliche Fastenbrechen Iftar ist ein Symbol des Dialogs und des Zusammentreffens von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Die DAFG e.V. versteht sich als Bindeglied zwischen den Kulturen und nutzte den Brauch des Fastenbrechens, um im Kreis der arabischen Botschafter sowie einiger Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft das Thema Kultur und Bildung in der Auswärtigen Politik zu erörtern. Nach der Begrüßung durch den Präsidenten Dr. Otto Wiesheu, leitete der Politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Dr. Volker Stanzel, mit einem Vortrag in das Thema des Abends ein. Er betonte, dass die Kulturpolitik ein hervorragendes Medium sei, die Köpfe und Herzen der Menschen zu erreichen. Interkulturelle Verständigung gilt als Basis aller internationalen Beziehungen. Dementsprechend ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stark in der deutschen Außenpolitik verankert. Beim Kulturdialog gehe es insbesondere darum, das kreative Potential zu schützen, welches in den Differenzen zwischen unseren Kulturen und Gesellschaften liegt. S. E. Al-Orabi, Dr. Wiesheu, Herr Dr. Stanzel 42 S. E. Abdul Nabi Mussayab, Botschafter der Arabischen Liga, Herr Dr. Stanzel, Dr. Otto Wiesheu Nach Diskussionsbeiträgen von S. E. Mohamed Al-Orabi (Botschafter Ägyptens), S. E. Dr. Hussein Omran (Botschafter Syriens) und S. E. Dr. Baha´aldin Hanafi (Botschafter des Sudans) ergab sich eine lebhafte Diskussion um die Meinungsfreiheit, den staatlichen Einfluss auf die Medien und die öffentliche Meinung. Die DAFG will durch ihre Arbeit für die Vermittlung einer differenzierten Meinungsbildung eine Plattform bieten. Präsident Otto Wiesheu verwies auf das von der DAFG geplante Veranstaltungsformat „DAFG Salon“, das die Chance biete, Vertreter unterschiedlicher Kulturen zusammenzubringen. Gleichfalls biete das geplante Medienforum die Chance, „arabische Themen“ in der deutschen Öffentlichkeit präsenter zu machen. Das DAFG-Mitglied Prof. Dr. Hans J. Brauns betonte die Notwendigkeit eines Deutsch-Arabischen Jugendwerkes. Dieser Vorschlag stieß bei dem Vertreter des Auswärtigen Amts auf positive Resonanz. Er ermunterte die DAFG, dieses Projekt weiter zu verfolgen. S. E. Mohamed Al-Orabi regte abschließend die Stiftung eines deutsch-arabischen Preises an, adäquat zu dem kürzlich ins Leben geru- S. E. Dr. Omran, Herr Tiedt, Frau Müller Der syrische Großmufti Dr. Badr Hassoun in Berlin Eine Veranstaltung der DAFG e.V. im Deutschen Bundestag Text: Bruno Kaiser, Foto: Sami Al Habbal Die DAFG e.V. und die Parlamentariergruppe „arabischsprachige Staaten des Nahen Ostens“ im Deutschen Bundestag veranstalteten einen Die DAFG lud im Oktober 2007 in Kooperation mit der Bundestags-Parlamentariergruppe „arabisch-sprachige Staaten des Nahen Ostens“ zu Vortrag und Diskussion mit dem Großmufti von Syrien, S. E. Dr. Badr Hassoun, ein. Der Großmufti wurde von S. E. Antoine Audo, dem Erzbischof von Aleppo, begleitet. In der Begrüßung betonte der Abgeordnete Joachim Hörster, Vorsitzender der Parlamentariergruppe arabischsprachige Staaten des Nahen Ostens, die Bedeutung des Deutschen Bundestages als Ort dieses Zusammentreffens. Er verwies auf die intensive Diskussion in Deutschland hinsichtlich des Zusammenlebens von Muslimen und Christen in demokratischen Gesellschaften. Der Präsident der DAFG, Dr. Otto Wiesheu, erläuterte den Anspruch der DAFG, das Zusammenleben der Kulturen und Religionen zu fördern. S. E. Dr. Hussein Omran, Botschafter Syriens, dankte für die Gelegenheit des Dialoges. Er rief die muslimischen Mitbürger unseres Landes dazu auf, sich im Hinblick auf den Islam besser zu artikulieren und die Gemeinsamkeiten unserer Religionen stärker zu betonen. Religion solle die Menschen zusammenführen, wobei jeder auf seine Art und Weise zum Himmel blicke. Der Großmufti Dr. Hassoun fühlt sich in Parlamentsgebäuden nicht fremd, da er acht Jahre Mitglied des syrischen Parlaments war. In seinem Vortrag betonte er die besondere Rolle seiner Heimat und der Region des Nahen Ostens bei der Entstehung der verschiedenen Religionen. Gleichzeitig verwies er auf die großen Gemeinsamkeiten der Religionen: Wer den Koran lese, lese auch immer das Evangelium mit. Religion sei nicht aufteilbar. Das einzige was sich ändere, seien religiöse Vorschriften. Er selbst bete sowohl in Moscheen, Kirchen als auch Synagogen, da sie alle Häuser Gottes seien. Dr. Hassoun stellte das Individuum und die Zivilisation in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Demzufolge gebe es keine unterschiedlichen Zivilisationen, je nach Religionen, sondern nur eine. Daraus leitet sich auch seine Überzeugung von einer Trennung von Staat und Religion ab. Wenn sich ein Staat auf eine Religion gründe, führe dies zu Spannungen zwischen den Religionen. Ebenso wird sich nach seiner Auffassung ein Staat, der sich nur auf ethnologischer Grundlage aufbaut, auflösen. Daher forderte er einen Herr Hörster, S. E. Omran, Großmufti Dr. Hassoun zivilen Staat. Dass es sich hierbei um einen säkularisierten Staat handeln muss, ist für Dr. Hassoun selbstverständlich. So gebe Säkularisierung jedem Menschen Würde und Rechte. Er selbst bezeichnete sich als säkularisierten Moslem. Diese Aussage bildete die Brücke für eine hochpolitische Aussage des geistlichen Würdenträgers: Er glaubt nicht an eine dauerhafte Zweistaatenlösung zwischen Israel und Palästina. „Ich glaube an ein einziges Land, das Juden, Muslime und Christen gemeinsam umfasst,“ war sein politisches Credo. Der Großmufti lobte Deutschland als Vorbild für den zivilisatorischen Aufbau. Er hob insbesondere das Engagement der deutschen Bevölkerung hervor, das zum Einreißen der Mauer in Berlin geführt hat. Er forderte die Anwesenden auf, die Mauer in Palästina ebenfalls einzureißen, damit Christen, Juden und Muslime friedlich zusammenleben könnten. Er forderte eine allgemeinverbindliche, weltweite Fatwa gegen Waffenlieferungen. „Liefern Sie keine Waffen in unsere Länder, liefern Sie keine Waffen nach Israel oder in arabische Länder,“ lautete sein Aufruf an den Westen. Seine Forderung ist eindeutig gerichtet auf Dialog zwischen den Menschen. Der Forderung schloss sich auch der Erzbischof von Aleppo an, der von einem problemlosen Zusammenleben unterschiedlicher Religionen in Syrien und anderen arabischen Ländern berichtete. Trotzdem gelte es, kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen, insbesondere auch in der Perzeption von Seiten des Westens. 43 Feierliche Eröffnung der DAFG-Geschäftsstelle Text: Bruno Kaiser, Fotos: Simon Harik? Ibrahim Hazimeh vor einem seiner bekanntesten Bilder Die DAFG e. V. lud am 13. Dezember 2007 zur feierlichen Eröffnung ihrer Geschäftsstelle in der Friedrichstraße. Präsident Dr. Wiesheu konnte zahlreiche arabische Botschafter, Abgeordnete des Deutschen Bundestages und wichtige Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien in den neuen Geschäftsräumen willkommen heißen. Erfreulich war, dass auch viele Mitglieder der Einladung folgten, um sich einen Eindruck von der zentral gelegten Geschäftsstelle in Berlin Mitte zu machen. Insgesamt fanden an diesem Abend gut hundert Gäste ihren Ibrahim Hazimeh erläutert sein Werk 44 Dr. Otto Wisheu, S. E. Al-Orabi und Prof. Dr. Shobokshi bedanken sich für die bewegenden Worte Hazimehs Weg zur Gesellschaft. Die zahlreich erschienenen Gäste belegten, welches Ansehen sich die DAFG in den letzten Monaten erworben hat. Der Empfang bot Gelegenheit, sich bei orientalischen Köstlichkeiten über die deutsch-arabischen Beziehungen auszutauschen und sich über die Aktivitäten der DAFG zu informieren. Ein Höhepunkt des Abends war die Eröffnung der Kunstausstellung Unsterbliche Hoffnung des palästinensischen Künstlers und DAFG-Mitglieds Ibrahim Hazimeh, dessen Werke noch bis zum 13. März 2008 in den Geschäftsräumen der DAFG zu sehen sind. Präsident Dr. Wiesheu und DAFGMitglied Dr. Hassan Hakam lobten die künstlerische Ausdruckskraft der Bilder von Ibrahim Hazimeh. Der Künstler selbst sieht sein Werk im Dienst des erhofften Friedens in seiner Heimat. Dem stimmte der Doyen der arabischen Botschafter, S. E. Mohamed Al-Orabi, zu. Er beglückwünschte im Namen seiner Kollegen die DAFG e.V. zur Ausstellung und zur Eröffnung der neuen Geschäftsstelle. Dr. Hassan Hakam mit dem Künstler Termine der DAFG e.V. Deutsch-Arabische Freundschaftsgesellschaft e.V. bis 17. März 2008 Ausstellung des palästinensischen Künstlers Ibrahim Hazimeh in den Geschäftsräumen der DAFG e.V. 28.01.2008 18:00 Einladung zum Neujahrs- und Wirtschaftsempfang der DAFG e.V. im Haus der Deutschen Wirtschaft, Breite Str. 29, 10178 Berlin 07.02.2008 16:00 Verleihung der Ehrenmedaille in Gold der Freien Universität Berlin an H.H. Sheikh Mohammed bin Rashid al Maktoum (Teilnahme nur mit persönlicher Einladung) 13.02.2008 19:00 DAFG-Salon in der Generaldelegation Palästina 25.02.2008 19:00 Wirtschaftsempfang in der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., München Beiratssitzung 28.02.2008 06.03.2008 19:00 Vortrag Martin Weiss „Sonderfall Nord-Irak“ in der DAFG GS 11.03.2008 18:00 Vorstandssitzung 12.03.2008 18:00 DAFG-Salon 16.04.2008 Delegationsreise / Wirtschaft nach VAE und Katar 09. - 11.06.2008 Delegationsreise / Wirtschaft nach Marokko und Algerien Von Januar bis Dezember wird es regelmäßig Vorträge und Diskussionen zu kulturellen und aktuellen Themen in der DAFG - Geschäftsstelle geben. Die Termine dazu erfahren Sie auf www.dafg.eu. Die DAFG e.V. - Geschäftsstelle Friedrichstr. 185 Kontorhaus Mitte D-10117 Berlin Telefon: +49 (0)30. 20 64 88 88 Telefax: +49 (0)30. 20 64 88 89 Web: www.dafg.eu Mail: [email protected] Ibrahim Hazimeh: Palästina, Land meiner Träume 45 Anzeige Die Idee zur Gründung des „West-östlichen Diwan“ entstand bei einem arabisch-deutschen Schriftstellertreffen 2000 im Jemen. Die irakische Dichterin Amal al-Jubouri hatte Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger und andere überzeugt, dass gerade jetzt ein intellektueller und emotionaler Dialog mit arabischen Kollegen dringend notwendig sei. Sie gründete parallel in Bagdad und in Berlin dieses Kulturforum als Brücke zwischen den Welten, die auf der einen Seite unter Zerstörung und Hass leiden und auf der andern in Gleichgültigkeit über die Schicksale in der nächsten Nachbarkultur versinken. Ein neu gestaltetes Domizil in der Berliner Kulturbrauerei stimmt die Gäste auf regelmäßig stattfindende Lesungen, Filme, Ausstellungen und Diskussionen ein. Ein kleiner, internationaler Kreis von Liebhabern der Kultur arabischer Länder unterstützt das Programm des „Diwans“ und bietet einem allgemeinen Publikum in regelmäßiger Folge Veranstaltungen und Informationen. Alle Seiten, Araber, Deutsche und die Nachdenklichen aller Länder finden Anregungen aus sonst kaum erreichbaren Quellen und ungewöhnliche Gelegenheiten zur Begegnung mit Akteuren, die den Mut und die Verantwortung fühlen, sich gegen das drohende Auseinanderfallen der geistigen Welt zu wehren. Wir wollen Zeichen setzen gegen Unterdrückungen jeglicher Art, die Mutigen in ihren Visionen und Hoffnungen hören und unterstützen sowie Beschneidungen der Freiheit anprangern. Erinnerungen an große Werke der Vergangenheit sollen neben Ermunterungen für junge Künstler stehen, die Diskussionen werden Informationen und Kritiken austauschen und die gegenseitige Anerkennung fördern. Die Gründerin sponsert die Räume bei freiem Eintritt – weiteres Engagement und Unterstützung fördern dieses auf Dynamik gebaute Begegnungsforum. Ende Oktober 07 zeichnete die Gründerin und Präsidentin unseres Vereins Amal Al-Jubouri den streitbaren Dichter und Publizisten Hans Magnus Enzensberger mit dem Diwan-Orden aus. In ihrer Laudatio kam Amal Al-Jubouri auf den Kern ihres Anliegens und unseres Vereins zugleich zu sprechen. Sie erinnerte an das Dichtertreffen 2002 und ein spezielles folgenreiches Gespräch ... Zitat: „In Alexandria war die Diskussion zwischen uns sehr heftig. Der Leiter des Goethe-Instituts in Kairo begleitete uns damals. Er dachte, wir bekriegten uns“. „Nein, wir diskutieren“, sagte ihm Enzensberger. „So sollte der Dialog sein.“ Seine Devise war: es gibt Unterschiede, aber das hindert uns nicht, den anderen dazu zu bewegen, dass wir weiter diskutieren. Es geht nicht darum, Übereinstimmung zu erreichen, sondern den anderen zu akzeptieren und über die kulturellen Unterschiede zu reden, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen, sodass beide Seiten ebenbürtig sind. Und ich ergänzte: „Wir müssen von der kulturellen Entwicklung lernen, Kritik akzeptieren, um wieder aufbauen zu können und um den Krebs der Restauration zu bekämpfen, eine Krankheit, die Völker überfällt, wenn sie Niederlagen erleben. Das geschieht heute in der gesamten arabischen Welt. Wir diskutieren, das heißt, wir existieren …“ West-East Cultural Association Berlin-Baghdad Programm – 1. Vierteljahr 2008 in Kooperation mit der Deutsch-Arabischen Freundschafts-Gesellschaft e.V. (DAFG) Diwan-Forum – jeden 1. Dienstag im Monat, 20:00 Uhr (Eintritt frei – mit Getränkeverkauf) 8. Januar Adonis (Ali Ahmad Said) Ausstellung: neue Collagen von Adonis; Musik: Ashraf Kateb (Geige) Thesen von Adonis zur „Kritik des monotheistischen Religionsverständnisses“, anschließend Diskussion 5. Februar Joachim Sartorius Vorstellung des Diwan-Readers ‚Zwischen Berlin und Beirut’, Ulrike Draesner liest Marokko-Gedichte anschl. Diskussion in Anwesenheit weiterer Autoren 4. März Adel Karasholi Lesung aus „Wenn Damaskus nicht wäre“ und „Also sprach Abdulla“ – anschließend Diskussion Diwan-Film – jeden 3. Dienstag im Monat, 20:00 Uhr (Eintritt frei – mit Getränkeverkauf) 15. Januar Underexposure Irakischer Spielfilm von Oday Rasheed, 2005, Org. mit dt. UT.; in Anwesenheit des Regisseurs 19. Februar Baghdad Correspondent - The Story of Jawad Khadom Irakischer Dokumentarfilm von Koutaiba Al-Janabi, 2007, Org. mit engl. UT 18. März Timimoun Deutscher Spielfilm von Michael Roes, 2004/2005; in Anwesenheit des Regisseurs west-östlicher diwan e.V. in der Kulturbrauerei – (neben der Literatur-Werkstatt) Schönhauser Allee 36-39 (Geb. 9.2) III. Stock, 10435 Berlin – Tel. 20 61 99 81 Wünsche, Kritiken und Vorschläge an: [email protected] Viele Informationen im Netz www.diwanev.com Bücher Michael Lüders Allahs langer Schatten Warum wir keine Angst vor dem Islam haben müssen UA Auf verhältnismäßig knappem Raum unternimmt Lüders in seinem neuesten Buch den Versuch, einen Spagat durch die Geschichte und die Begrifflichkeiten des Islam sowie die historischen Zusammenhänge und politischen Wirrnisse in der islamischen Welt zu machen, um damit das Schreckgespenst Islam zu enttarnen. Es ist eindeutig ein unbequemes Buch, ein mutiges, das eine deutliche Sprache spricht. Es ist die Stimme eines besonnenen Kenners der Materie. Immerhin hat Lüders arabische Literatur, Islamwissenschaft und Politologie u. a. in Damaskus studiert. Lüders tritt gleich in seiner Einleitung „Warum es falsch ist, den Islam zu verteufeln“ dafür ein, den Dialog auf gleicher Augenhöhe zu suchen. „Die Beziehung zwischen Orient und Okzident ist asymmetrisch, nicht getragen von einer Begegnung unter Gleichen.“ (S. 11) ist die wesentliche Feststellung und Forderung seines Buches. Einer anderen Religion oder Kultur insbesondere dem Islam mit Respekt und Toleranz zu begegnen, kann sogar gewinnbringend sein. Dazu erklärt Lüders auf nicht einmal dreißig Seiten das Wichtigste zur Geschichte des Islam. Auf weiteren zwanzig Seiten erläutert er sozusagen Reizworte zu Themen wie Scharia: „Die Scharia ist jedoch keine Variante des Bürgerlichen Gesetzbuches.“ (S. 51), Die Stellung der Frau: „Diese Strukturen reichen zurück bis in vorislamische Zeiten und sind vom islamischen Recht, der Scharia, eher integriert als überwunden worden.“ (S. 58), Kopftuch und Schleier „In ländlichen Gebieten setzte sich der Schleier erst in den letzten 100 Jahren durch.“ (S. 56), Koran, Die fünf Säulen des Islam. Weitere Kapitel befassen sich mit der geschichtlichen Entwicklung in der arabisch-islamischen Region und dem Aufstieg und Niedergang der islamischen Hochkultur. Schließlich legt Lüders den Finger in die Wunden des Westens, der nicht unbeteiligt ist an der heutigen politischen Situation. In zu vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens haben die USA sich eingemischt und eher das Gegenteil von dem bewirkt, was sie ursprünglich erreichen wollten („Die Fehler der Amerikaner, S. 158ff.). Lüders scheut sich nicht, auch die israelische Politik der verbrannten Erde gegenüber den Palästinensern zu benennen und zu kritisieren. Meiner Meinung nach hätte sich Lüders jedoch auf die historische und politische Analyse beschränken sollen, denn (islamwissenschaftliche) Erklärungsversuche gibt es bereits und in der Regel viel ausführlichere und verständlichere wie z. B. Der Islam von Peter Heine oder Der Islam. Eine Einführung von Annemarie Schimmel. Dagegen ist Lüders Spezialgebiet ja eindeutig die Analyse von politischen und historischen Zusammenhängen, die zu der bekannten verfahrenen Situation geführt haben. Und diese Analyse hätte für meinen Geschmack ruhig noch ausführlicher sein können. Auch hätte ich mir Literaturangaben und Hinweise zum weiteren Studium gewünscht. Ob dem Buch mit dem etwas reißerischen Titel Allahs langer Schatten ein Gefallen getan ist, wird sich noch zeigen müssen. Wobei ich meine, dass ein Verlag wie Herder doch eigentlich für die Qualität seiner Bücher spricht und es gar nicht nötig hätte, auf derartige Titel und Umschlaggestaltungen zu setzen. Herder, Freiburg 2007, 223 Seiten, ISBN: 978-3451296642, 19,90 Euro 47 Claudia Roden Arabesque - 180 orientalische Rezepte Ein ausgezeichnetes Kochbuch cmj Nach dem Titelbild beeindruckt der Einband. Robustes Papier, das den Inhalt des gewichtigen Bandes schützt und einiges von dem aushält, was Büchern in der Küche so passieren kann. Dann die Bilder. Ungewohnte Perspektiven zeigen faszinierend angerichtete Speisen mit dem Blick auf die wesentlichen Details. Die bereits vielfach für ihre orientalischen Kochbücher ausgezeichnete Engländerin Claudia Roden wuchs in Kairo auf. Ihr Buch „Arabesque“ beinhaltet die Esskultur und landestypischen Rezepte von Marokko, der Türkei und dem Libanon, gegliedert nach Vorspeisen, Hauptgerichten und Desserts. Die Einführungen zu den nach Ländern geordneten Kapiteln schildern die Entstehung, Entwicklung und Besonderheiten der jeweiligen Regionalküche, angereichert mit persönlichen Anekdoten und zahlreichen Hinweisen. Unkompliziert beschreibt die Autorin die Rezepte traditioneller Speisen und Hausmannskost sowie die vielfältigen Angebote der populären Straßenküchen und noblen Gourmet-Restaurants. In Marokko beginnt ein typisches Essen mit einer Auswahl an Pürees und Salaten, Pasteten und Suppen, zu denen Brot gereicht wird. Couscous und Tagines - Hauptgerichte, die in einem flachen Tontopf mit kegelförmigem Deckel geschmort werden - repräsentieren die Küche des Maghreb. Marokko besitzt „die feinste und raffinierteste in ganz Nordafrika.“ Tagine-Variationen mit Fisch, Geflügel und Lamm, in Verbindung mit Obst und Gemüse sowie „narrensichere“ Filmplakat Bab el WebMethoden für die 48 Couscous-Zubereitung dominieren den Abschnitt. Sehr empfehlenswert ist die Lamm-Tagine mit karamellisierten Zwiebeln und Birnen. Früchte und süße Pasteten schließen das Essen ab. Für Kinder empfiehlt sich als Nachtisch ebenfalls der Couscous mit Früchten, Honig und Nüssen. In der Türkei wird neben Brot auch Raki zu den warmen und kalten Vorspeisen angeboten. Bemerkenswert ist die große Auswahl an gefülltem und geschmortem Gemüse sowie Blätterteig- und Nudelgerichten. Wichtige Bestandteile der türkischen Küche sind Joghurt und Auberginen, Bulgur und Pilaw, die oft mit Fisch und Hähnchen serviert werden. Sehr beliebt und einfach zuzubereiten sind frittierte Rotbarben mit Knoblauch und Petersilie. Als Desserts locken Kuchen und Puddings. Die Variation mit gemahlenen Mandeln nennt die Autorin als persönlichen Favorit. Die libanesische Küche zeichnet sich durch ihre Weltoffenheit und regionale Eigenständigkeit aus. Die Haltbar- machung von Lebensmitteln prägt die traditionelle Zubereitung der Gerichte. Das christliche Fastengebot spiegelt sich in den vielen fleischlosen Gerichten wider. Die Auswahl an Vorspeisen in der arabischen Welt ist im Libanon am größten. Von den beschriebenen Dips besticht die Walnuss-Granatapfel-Paste mit ihrem außergewöhnlichen Geschmack. Die Variationen von geschmorten Auberginen und frischen Tomaten in Verbindung mit Kichererbsen sprechen alle Sinne angenehm an. Für Pizzateig lässt sich auch Joghurt verwenden. Als Belag schlägt Claudia Roden Lammhackfleisch, Pinienkerne und Tomaten vor, gewürzt mit Granatapfelsirup. Der Abschnitt endet mit einem wahrhaft königlichen Lammgericht. Unter den Desserts ragen zwei besonders hervor: das schnell herzustellende Sahneeis und das in seiner Zubereitung etwas anspruchsvollere Pistazienkonfekt. Nach der ersten Lektüre von „Arabesque“ bestätigt sich der Ersteindruck angesichts der Reichhaltigkeit und Vielfalt der auserwählten Speisen. Claudia Rodens Anweisungen sind einfach und klar. Ihr Buch macht zweifellos Appetit und ermutigt, die Zutaten immer wieder neu zu kombinieren. Christian Verlag, München 2007, 352 S., 100 Farbfotos, ISBN-13: 9783884727379 34,95 Euro www.christian-verlag.de Robert Hillenbrand Claudia Ott Kunst und Architektur im Islam Tausendundeine Nacht Neues von 1001 Nacht (9. Auflage) cmj Ua Das bereits 1999 auf Englisch erschienene Buch des Professors für islamische Kunst Robert Hillenbrand wurde vor zwei Jahren im Wasmuth Verlag, der für seine Publikationen über Museen und Ausstellungen bekannt ist, auf Deutsch herausgegeben. Er hat hiermit ein grundlegendes Werk veröffentlicht, das durch die gesamte islamische Geschichte (und alle Dynastien) die Errungenschaften und Neuerungen in der Architektur, in der Herstellung von Keramiken, Stoffen, Glas- und Metallwaren beschreibt. Sehr ausführlich geht Hillenbrand auf die verschiedenen Einflüsse ein, die durch politische und geographische Aspekte bedingt sind. Mehr als 200 Abbildungen machen das Buch fast zu einem Bildband. Etwas verwirrend ist die Nummerierung am äußeren Rand des Textes, die den Leser im Unklaren lässt, ob sie sich lediglich auf im Text besprochene Objekte bezieht, oder auf in einer Ausstellung gezeigte Objekte. Das Glossar ist etwas kurz geraten. Seine Sprache ist gewöhnungsbedürftig, da Hillenbrand sich durchgängig eines gehobenen Fachjargons befleißigt. Für Leser, die das Buch mehr oder weniger als Nachschlagewerk zu bestimmten Dynastien oder Objekten benutzen wollen, ist es ein Tresor an Informationen und Wissen. Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen, Berlin, 2005, 288 S., Broschiert ISBN 3-80304027-2 24,80 Euro Wer kennt sie nicht, die Erzählungen aus 1001 Nacht? Den Wenigsten ist indes bekannt, dass es sich dabei um Weiterübersetzungen handelt. 300 Jahre nachdem 1001 Nacht ins Französische übertragen wurde, veröffentlichte der Beck-Verlag die erste deutsche Übersetzung der Orientalistin Claudia Ott. Gerade erschien die überarbeitete 9. Auflage der Erstveröffentlichung von 2004, versehen mit einem neuen Nachwort der Übersetzerin. Darin schildert sie die Geschichte des über 2000-jährigen Erzählwerks und lässt den Leser anekdotisch an der Entstehung ihrer Übersetzung in Kairo teilhaben. Claudia Ott übersetzte das älteste erhaltene arabische Manuskript aus dem Jahr 1450, das der Iraker Muhsin Mahdi 1984 erstmals in einer wissenschaftlichen Edition herausgab. Der Text hat nur wenig mit den uns bekannten Kindermärchen gemein. Sindbad der Seefahrer, Aladdin und die Wunderlampe oder Ali Baba und die vierzig Räuber kommen in dem Fragment der Handschrift, das mit der 282. Nacht endet, nicht vor. Neben der Rahmenhandlung (siehe Interview mit Claudia Ott S. 38ff.) erzählt Schahrasad zehn weitere Geschichten, in denen wiederum zahlreiche Protagonisten ihre „spannenden und aufregenden“ Erlebnisse schildern. Bei Claudia Otts Übersetzung kommt der Orient selbst zur Sprache. 1001 Nacht wird von einem unbekannten Verfasser eingeleitet, der kundtut, „dass dieses köstliche und sehnlich erwartete Buch mit der Absicht geschrieben wurde, einem jeden nützlich zu sein, der darin liest. Hier finden sich höchst lehrreiche Lebensgeschichten, dazu wunderbare Gedanken für Menschen von hoher Bildung.“ Der weltweite Erfolg und die Beliebtheit von 1001 Nacht geben ihm Recht. Verlag C.H Beck, München 2007, 688 S., ISBN-13: 978-3406516801 29,90 Euro 49 Johann Christoph Bürgel Klassiker arabischer Literatur Anthologie der wichtigsten Autoren und Werke CMJ Tausendundeine Welt bietet einen kompakten Überblick über mehr als 50 Autoren und Werke der arabischen Literatur, von der Entstehung des Korans im 7. Jahrhundert bis zu dem Soziologen Ibn Khaldun (1332-1406). Der emeritierte Schweizer Professor der Islamwissenschaft Johann Christoph Bürgel hat hierfür alle Texte neu übersetzt, die so teilweise erstmalig in deutscher Sprache vorliegen. Das Werk umfasst drei Teile: Es beginnt mit religiöser Prosa, an die sich die Wissenschaften, Reiseberichte und Biographien anschließen und endet mit der schönen Literatur. Die Besonderheit der arabischen Literatur liegt in dem allgegenwärtigen Bezug auf den Koran und die Hadithe, mit denen der erste Teil beginnt. Die Standard-Biographie über Mohammed und seine Zeit, editiert von Ibn Hisham (gest. um 830), vermittelt einen realistischen Eindruck. In den ersten Jahrhunderten nach Mohammeds Tod im Jahr 632 häuften sich Hadithe, deren Ursprung nicht als gesichert galt. Im 9. Jahrhundert entstanden die sechs angesehensten Sammlungen mit authentischen Überlieferungen. Beispielhaft zitiert Bürgel aus dem Werk von al-Buchari (gest. 870). Zu den einflussreichen Autoren religiöser Prägung zählen der Perser al-Ghazali (1058-1111) und der Andalusier Ibn Arabi (1165-1240). Al-Ghazali widmete sich der Suche nach der Wahrheit und widerspricht der aristotelischen Tradition im Islam. Ibn Arabi gelang es, Theologie, Mystik und neuplatonische Gedanken zu vereinen. Seine Grundthesen sind in dem Werk „Ringsteine der Weisheit“ zusammen gefasst. Darin äußert er sich über die religiöse Toleranz und die Frau, „als vollkommenste Manifestation göttlicher Schönheit.“ Zu den geläufigeren, im zweiten Teil 50 behandelten einundzwanzig Autoren zählen Ibn Sina (Avicenna) und Ibn Ruschd (Averroes) sowie Ibn Battuta und Ibn Khaldun. Mit al-Kindi (um 801-866) nahm die islamische Philosophie ihren Anfang. Seine Schriften behandeln die Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft. Von dem persischen Kapitän Buzurg Ibn Schahriyar zitiert Bürgel aus „Die Wunder Indiens“, das Erzählungen und Seemannsgarn über seine Reisen enthält und an Sindbad aus 1001 Nacht erinnern. Masudi, der ebenfalls im 10. Jahrhundert lebte, berichtet ausführlich über Alexander den Großen. Der Andalusier Ibn Dschubair (1145-1217) schildert seine Pilgerfahrt und Erlebnisse mit den Muslimen in Sizilien unter der Herrschaft von König Wilhelm dem Guten. Der Biograph Ibn Challikan (1211-1282) verfasste ein Lexikon mit über 800 Einträgen zu Personen aus der islamischen Geschichte. Als Beispiel wählt Bürgel die ausführliche Biographie von Dschafar Ibn Yahya, dem Wesir des Kalifen Harun al-Raschid. Der arabische Begriff Adab umfasst die Thematik des dritten Teils. Die vorgestellten Autoren „waren Meister der Beobachtung, liefern farbenprächtige Kulturbilder in Form kurzer Anekdoten und Schwänke,“ kritisieren die Unmoral und Skrupellosigkeit sowie den Missbrauch der Religion durch die Mächtigen. Ibn al-Muqaffa (um 724-756) gehört mit seinen Übersetzungen aus dem Persischen zu den Pionieren des Adab. Berühmt ist der Fabelzyklus von „Kalila wa Dimna“, den zwei Schakalen am Hofe des Löwen. Der Essayist und Gesellschaftskritiker al-Dschahiz (um 776-868) ragt unter den Adab-Autoren am deutlichsten hervor. Der spielerische Umgang mit der Sprache, der journalistisch anmutende Stil sowie die ungewöhnliche Themenauswahl - wie z. B. Zahnspangen - sind kennzeichnend für seine Werke. Dem umfangreichen Werk „Buch der Lieder“ von al-Isfahani (897-967), das die arabische Kulturgeschichte, Biographien von Künstlern und Hintergründe von Gedichten kompiliert, räumt Bürgel den meisten Platz ein. Einen der ersten philosophischen Romane der arabischen Literatur verfasste Ibn Tufail (um 1105-1186). Sein Protagonist Hayy wird von einer Gazelle aufgezogen. Nach deren Tod entdeckt er die Welt, stellt sich philosophische Fragen und trifft auf Dorfbewohner, die einer geoffenbarten Religion angehören. Tausendundeine Welt hält, was es verspricht. Streiten lässt sich darüber, ob alle der „wichtigsten Autoren und Werke“ vertreten sind, wie es der Umschlagtext verkündet. Einmalig ist der „Überblick“ allemal. Die mutige Auswahl verdient Respekt, ebenso wie die Übersetzungen, deren Wert nicht zu unterschätzen ist. Die üblicherweise vorgebrachte Kritik an solchen Anthologien, dass Themen gar nicht, zu kurz oder dann doch wieder zu ausführlich behandelt seien, lässt sich mit einem Verweis auf den Titel entkräften. Dem Herausgeber dürfte es nicht schwer fallen, genügend weitere Autoren zu finden, um die 1001 zu erreichen. Ein Band zur arabischen Lyrik ist bereits in Vorbereitung. Verlag C. H. Beck, München 2007, 528 S., inklusive weiterführender Literatur und Glossar, ISBN 978-3406563218 29,90 Euro Alaa Al-Aswani Wie viele Schicksale passen unter ein Dach? Der Jakubijân-Bau HG Alaa Al-Aswanis Roman stellt vieles dar, was es im alltäglichen Ägypten gibt, worüber aber nie mit dieser Offenheit gesprochen wird: Homosexualität, Korruption und religiöser Fanatismus sind die Hauptmotive, die den Rahmen der einzelnen Handlungen im Buch bilden. Al-Aswani besticht dabei mit einer detailgetreuen Beobachtungsgabe und deckt unzensiert die tiefen Mechanismen und Strukturen der ägyptischen Gesellschaft auf. Mitten im Zentrum Kairos (Wust alBalad) steht der berühmte JakubijânBau, von dem alle weiteren Handlungen im Roman ausgehen. Das vielköpfige Personal ergibt ein Panoptikum, dass die ägyptische Gesellschaft repräsentiert. Da ist der verträumte Bonvivant Saki Bey, der homosexuelle Chefredakteur Hatim Rachid, der korrupte Regierungspolitiker Hagg Muhammad Asam und der in die Fänge des religiösen Fanatismus getriebene Taha Al-Schasli. Äußerlich betrachtet eine gelungene Auswahl an medieneffizienten Stereotypen, um daraus einen erfolgreichen Roman zu erschaffen. Al-Aswani machte jedoch im Vorfeld bereits deutlich, das ihm nicht daran lag, die Themenpunkte als Vorlage für einen guten Roman zu nutzen. Vielmehr, so Al-Aswani, entstehe erst durch den Roman ein gutes Thema anstatt umgekehrt. Und das wird im Jakubijân-Bau auch deutlich. Der Roman beginnt mit Saki Bey, der mal wieder eine Frau in seinem Büro empfängt und am nächsten Tag von ihr beraubt wird. Zu allem Unglück verschwindet dabei auch der Ring seiner Schwester Daulat, mit der er noch gemeinsam eine Wohnung teilt. Daulat erträgt den Lebensstil ihres niedergeschlagenen Bruders schon lange nicht mehr und leitet gegen diesen ein Entmündigungsverfahren ein. Das Chaos ist vorprogrammiert und Saki Bey flüchtet sich in ein Leben voller Sehnsüchte nach Ruhm, Ehre und Macht vor Ausbruch der sozialistischen Revolution 1952. Und dann ist da Taha Al-Schasli. Wenn man beispielsweise sein Schicksal betrachtet, ergibt sich daraus ein Bild von einem Ägypten, das in Bezug auf die islamische Entwicklung nach und nach deutlich strenger geworden ist. Das ägyptische moderate Verständnis des Islams ist der wesentlich strengeren wahabitischen Auffassung durch die zurückgekehrten ägyptischen Wanderarbeiter aus Saudi-Arabien gewichen. Al-Schasli durchlebt eine radikale Kehrtwende in Bezug auf seinen Glauben, nachdem ihm der Zugang zu einer Polizeischule verwehrt geblieben ist. Al-Aswani beschreibt diesen Zustand innerhalb der ägyptischen Gesellschaft als Verschlossenheit und Rückständigkeit im Land. Der Jakubijân-Bau ist ein lesenswerter Roman, dessen Autor in der Nachfolge von Nagib Machfus und besonders seinem Roman Die Midaq-Gasse steht, in dem ein sozialer Mikrokosmos in der Altstadt Kairos vorgeführt wird. Al-Aswani verlagert den Mikrokosmos in das Zentrum, wo die Hauptcharaktere in einem symbiotischen Verhältnis zueinander stehen. Er schlägt dabei gekonnt eine Brücke zwischen Orient und Okzident, weshalb das Buch außer in Ägypten auch in Frankreich und Italien bereits zum Bestseller aufgestiegen ist. In der arabischen Welt zählt es zu den meistverkauften Romanen der letzten Jahre. Die Neue Zürcher Zeitung fand bei der Herausgabe des Romans in deutscher Sprache die passenden Worte: „Al-Aswani malt nicht schwarzweiss. Sein Roman schillert in allen Farben, klingt, riecht und schmeckt nach Leben ...“ Übersetzt wurde das Buch übrigens von Hartmut Fähndrich, der bereits in der Vergangenheit durch seine zahlreichen Übersetzungen arabischer Werken ins Deutsche von sich Reden machte. Lenos Verlag, Basel, 2007, ISBN-13: 978-3857873812, 19,90 Euro www.lenos.ch 51 Saddek & Sabine Kebir Maria und Jesus im Islam Illustrationen von Konrad Golz. Für Kinder, Jugendliche, Eltern und Erzieher UA Das wunderschöne (Bilder)Buch, das die Geschichte von Maria und Jesus aus der Sicht des Islam erzählt, ist 52 sowohl eine Geschichte für Kinder als auch ein Leitfaden für Eltern und Erzieher zum tieferen Verständnis der islamischen Auffassung von Jesus und dem Stellenwert von Maria, der Mutter Jesu. Im ersten Teil wird die Geschichte der Geburt Jesu erzählt, wobei die Person Marias einen breiten Raum einnimmt, was bereits verdeutlicht, wie wichtig sie den Muslimen ist. Im zweiten Teil des Buches sind die Koran-Passagen abgedruckt, in denen von Maria und/oder Jesus (Isa) die Rede ist. Und schließlich gibt es zusätzliche Informationen über die Verbreitung der Erzählung der Geburt Jesu und seiner Wundertaten. Nirgends in dem Buch finden sich indoktrinierende Passagen, sondern es ist ein aus wissenschaftlicher Sicht heraus erläuternder Leitfaden für einen wertfreien „Unterricht“, wobei sicher so mancher Erwachsene das ein oder andere Aha-Erlebnis haben wird. Die schönen Illustrationen von Konrad Golz – ganzseitige Bilder sowie Ornamente auf jeder Seite – machen das Buch auch optisch einzigartig. Und es ist sicher nicht nur zur Weihnachtszeit ein sehr gutes Geschenk für Groß und Klein. Interkulturelle Dialoge Peoples Globalization Edition, o.O. 2007, ISBN 978-3-00-023018-9, 18,- Euro www.sabine-kebir.de/aktuellebuecher.html CD-Vorstellung Radio Marrakesch Jazz mit Rhythmen und Klängen orientalischer Kulturen SG Radio Marrakesch CD produziert von Dirk Engelhardt und Manfred Schiek, 2005 Länge: 51:45 Min. Dirk Engelhardt (T-Sax), Ali Baba (Qanun, Akkordeon; Libanon), Andreas Willers (Gittare), Rainer Winch (Perkussion), Ramani Krishna (Bass; Indien) Wer zu dieser CD greift, in der An- nahme, es handle sich um Musik aus Marokko, wird sicherlich enttäuscht, zumindest überrascht sein. Die Gesänge im „Café du Detroit“ in Tanger/Marokko werden im Booklet als Inspiration ausgewiesen. Als Hörer kann ich diesen Einfluss nur wage nachvollziehen. Bei der von Dirk Engelhardt und Manfred Schiek produzierten CD handelt es sich um Jazzstücke, die mit Rhythmen und Klängen orientali- scher Kulturen korrespondieren. Vor allem eingängige traditionelle arabische Melodien werden durch die herausfordernden Dialoge der einzelnen Instrumente aufgebrochen. Die Protagonisten wie Gitarre, Saxophon, Akkordeon, Qanun treten solistisch glanzvoll in den Vordergrund, um dann wieder in dem raumfüllenden, atmosphärischen Sound fließend zueinander zu finden. Das Zusammenwirken einzelner Instrumente aus unterschiedlichen musikalischen Traditionen ist keineswegs selbstverständlich. Den zarten, fast flüsternden Klang eines Qanun neben einer vorpreschenden E-Gitarre wirkungsvoll zur Geltung zu bringen, ist eine Herausforderung, die dem multikulturellen Ensemble gelungen ist. Ich fühlte mich an die Musik der 70er Jahre erinnert, eine Zeit, zu der Einflüsse aus dem Orient in der Rockmusik hörbar waren. Der Sound ist reich an Klangfarben und Stimmungsumschwüngen – passend zu einem sonnigen Herbstmorgen – in Marra- Anzeige 53 Weihrauchbaum in der Wüste 54 Aus der Natur Weihrauch in Oman Text und Fotos: Barbara Schumacher Eine der Sehenswürdigkeiten der südlichen Provinz Dhofar ist die Weihrauchgegend. „Aus diesen knorrigen Sträuchern werden pro Jahr 6.000 Tonnen Weihrauch gewonnen,“ so Ahmed, der sich mit dem kostbaren Harz auskennt, weil er in der Erntezeit als Aufseher dort arbeitet. „Weihrauch wächst nur wild. Es ist unmöglich, Weihrauchkulturen anzulegen. Pro Jahr sind hier 3.000 Menschen mit der Ernte beschäftigt. Das Meiste wird exportiert und von der Kosmetikindustrie verarbeitet. Die dabei entstehenden Öle sollen gut sein gegen Faltenbildung. Auch für Parfum wird Weihrauch verwendet. Luban, (Weihrauch mit medizinischer Wirkung) war früher eine kostbare Handelsware, teurer als Gold, und brachte großen Reichtum: ein Grund dafür, dass die Römer das Land „arabia felix“ nannten. Schon die Römer versuchten, in dieser Gegend der Weihrauchsträucher Fuß zu fassen. Dies konnte nicht gelingen, da sie übersahen, dass weit und breit nur Wüste war. Kaiser Nero soll bei der Beerdigung seiner Frau die ganze Jahresernte Arabiens „verdampft“ haben. Nach der Ernte und einer gewissen Lagerungszeit wurde der Weihrauch mit Kamelen durch die Wüste transportiert und dann verschifft. Die Weihrauchstraße ist noch heute ein Begriff. Beim Verbrennen von Weihrauch entwickeln sich Phenoldämpfe, die desinfizierende Wirkung haben. Schon früher wurde in Tempeln bei großen Menschenansammlungen Weihrauch verbrannt. Dies hatte kulturelle und religiöse Gründe, diente aber auch der Vermeidung der Ausbreitung von Krankheiten. Die Ernte des Weihrauchs erfolgt vor der typische Weihrauchgefäßé aus Oman Monsunzeit. Man benutzt dazu ein spezielles Messer, ein Mangaf, mit dem der Baum eingeritzt wird. Nach zehn Tagen ist das Harz ausgetreten - das sieht aus wie Tränen -, wird dann eingesammelt und an speziellen Plätzen getrocknet. Ein Baum bzw. Strauch wird 2 - 5 m hoch und produziert etwa zehn Kilo Weihrauch. Ein und derselbe Strauch wird während einer Saison drei- bis viermal angeritzt, danach kann er sich „ausruhen.“ Die echten Weihrauchsträucher wachsen nur in der Provinz Dhofar mit den größten Beständen, im Hadramaut (Jemen) und in Somalia, sonst nirgendwo auf der Welt. Viele Geschichten ranken sich um den Weihrauch. Wenn es dämmert, kann man sich mit ein wenig Phantasie vorstellen, dass bei der bizarren Form der braunen Äste sich kleine Schlangen um die Äste zu winden scheinen. Vor der Ernte des Weihrauchs führen die Arbeiter spezielle Waschungen durch. In der Regel ist die Weihrauchernte Männersache.“ Für Einheimische und Besucher ist der Weihrauchsouk in Dhofars Hauptstadt Salalah attraktiver Treffpunkt. Der Preis des Weihrauchs richtet sich nach der Qualität. Man unterscheidet vier Sorten, in der Reihenfolge der Qualität: Al-Hojari (beste Sorte), Ashazri, Annajdi und Asha’bi. Als Faustregel gilt: Je heller die Farbe, desto besser die Qualität. Auch die Weihrauchbrenner kann man im Souk kaufen. Früher waren die manchmal künstlerisch durchbrochenen Tongefäße bunt bemalt, die echten, traditionellen Weihrauchbrenner kann man in den original eingerichteten Forts sehen. Heute gibt es moderne Ausführungen in den verschiedensten Materialien, Größen und Farben. Weihrauch gehört zur Kultur im Land: Bei offiziellen Anlässen gehört er zur Begrüßungszeremonie, an vielen heiligen Orten, wie z. B. in der Grabmoschee von Hiob, wird Weihrauch verbrannt und die Henna-Nacht einer Hochzeitsfeier ist ohne Weihrauch undenkbar. Die meisten Familien pflegen ihre eigene Weihrauchtradition und eine besondere Ehre ist es, als Gast ein Döschen mit Weihrauch geschenkt zu bekommen. Weihrauchverbrennung 55 Ein Rohstoff begründet den Reichtum des Arabia Felix Weihrauch Ulrike-Zeinab Askari „Was steigt da herauf aus der Wüste wie ein gerader Rauch, wie ein Duft von Myrrhe, Weihrauch und allerlei Gewürz des Krämers?“ Hohelied Salomons, 3, 6 Gold, Weihrauch und Myrrhe brachten die Heiligen Drei Könige Kaspar, Melchior und Balthazar dem Christuskind dar, die kostbarsten Geschenke, die es damals gab. „Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.“ (Matthäus, 2, 10) An mehreren Stellen der Bibel wird Weihrauch erwähnt1, so im Alten Testament im Hohelied Salomons: „Du bist ge- wachsen wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen mit Narden, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Weihrauchsträuchern, Myrrhe und Aloe, mit allen feinen Gewürzen.“ (4,14) fand der Weihrauch Eingang in die europäische Naturheilkunde, wo er bis etwa 1870 noch be-nutzt wurde, da er in pharmakologischen Büchern immer wieder empfohlen wurde. Tatsächlich sind Weihrauch oder Weihrauch und Olibanum ist der andere Kräuter, Inbegriff heiligen die in ähnlicher Räucherwerks. HerFunktion benutzt wurgestellt werden die den wie der kostbare Olibanum, Foto: Peter Presslein gelben Tränen aus Weihrauch, seit einigen Jahrtausenden bekannt. In der dem eingetrockneten Milchsaft von indischen Naturmedizin Ayurveda Boswellia carteri und anderen Boswird Weihrauch seit 5.000 Jahren ver- welliaarten. Früher kam der Weihwendet. Zur gleichen Zeit fand der rauch aus dem „Arabia Felix“ Weihrauch bei den Alten Ägyptern genannten Teil der Arabischen HalbVerwendung bei der insel. Die genaue Herkunft des WeihMumifizierung. Auch rauches konnte lange Zeit geheim die Sumerer, Babylo- gehalten werden, was auch den nier und Perser kann- sagenhaften Reichtum dieses Teils ten den Weihrauch. des arabischen Reiches begründete. Sein bekanntester Alle Welt importierte den Weihrauch Verfechter in der ara- zu religiösen, kosmetischen und auch bischen Medizin war zu medizinischen Zwecken. Ibn Sina (980 – 1037 n. Chr.). In Europa Die Kirche hatte schnell erkannt, dass fand der Weihrauch der Weihrauchduft die spirituelle Verbreitung durch „Arbeit“ förderte und eine AtmoKaiser Konstantin sphäre von Frieden und innerer Ruhe (272 – 337 n. Chr.), erzeugte. Neben der Verwendung als der das Christentum Räucherwerk in religiösen Zeremoförderte und für die nien kann auch sein Öl verwendet Ausbreitung der werden, das in der Parfumherstellung christlichen Kirche seiner fixierenden Wirkung wegen sorgte. eingesetzt wird. Der Duft von Weihrauch ist noch heute so beliebt, dass Über die arabische es in vielen Teilen der arabischen Medizin und den Welt zu den HochzeitsvorbereitunGebrauch in den gen gehört, die Braut und den BräutiBoswellia sacra - arabischer Weihrauch, aus: Franz Eugen Köhler: Köhler’s Medizinal-Pflanzen, 1887 Ritualen der Kirche gam sowie deren gesamte Kleidung 56 Im medizinischen Bereich wird der Weihrauch heute hauptsächlich wegen seiner anregenden und zugleich beruhigenden Wirkung eingesetzt. Früher war er auch wegen seiner wundheilenden, adstringierenden Kräfte geschätzt. In einem Rezept des Paracelsus zur Wundheilung findet sich neben Terpentin- und Johanniskrautöl auch Weihrauch. Bei Ibn Sina (vgl. S. 24f.) findet sich Weihrauch neben vielen anderen aromatischen Heilmitteln. Heute kommt Weihrauch auch aus China, Indien und Äthiopien. Dabei gibt es große qualitative Unterschiede, die sich u. a. in der Farbe bemerkbar machen. Von weißen Perlen bis fast rotem und bräunlichem Harz ist alles zu haben. Und immer noch wird der Weihrauch in der Kirche benutzt. Aber auch viele andere Menschen haben den Weihrauch entdeckt: Z. B. findet er Verwendung bei spirituellen Zeremonien. In der Naturkosmetik wie in der Naturmedizin erlebt das alte Gold der Araber eine regelrechte Renaissance. Aromen und Essenzen UA Nach dem Untergang des Römischen Reiches existierten viele alte Traditionen in Byzanz, das immerhin eine tausendjährige Geschichte hat (330 – 1453), weiter. Von dort übernahmen die Araber viele Kenntnisse und Fähigkeiten und bauten sie weiter aus. So auch das Wissen um die Wirkung von Heilpflanzen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die Byzantiner bereits die Destillation kannten (von Aetius von Amida um 500 n. Chr. beschrieben). Sie wurde später von Ibn Sina weiter ausgefeilt und perfektioniert. Die Alchemie und Pharmazie waren zwei große Bereiche, in denen Pflanzen eine wichtige Rolle spielten. Die technischen Mittel übernahmen die Araber von den Griechen, Alten Ägyptern, Mesopotamiern, Indern, zum Teil sogar von den Chinesen. Dass die Aromakunde in der arabischen Welt einen so hohen Stellenwert erlangte, liegt u. a. daran, dass der Prophet Muhammad gesagt hat, dass drei Dinge sein Herz erfreuen können: Frauen, Kinder und Parfum. Der Islam verstand sich nie als sinnenfeindliche Religion, denn er hatte eher das Ziel, Gott auf dem Weg über Ekstase und Exaltation der Sinne zu erfahren. Das Lieblingsparfum der Araber, der Moschus, wurde früher sogar beim Bau von Moscheen in den Mörtel eingemischt und der feine Duft verbreitet sich bis heute. Salah al-Din ließ nach der Eroberung Jerusalems 1187 die Moschee des Omar „mit Rosenwasser reinigen, um die Ausdünstungen der „Ungläubigen“ gründlich zu entfernen.“ Foto: B. Schumacher vor der Hochzeit mit Weihrauch zu räuchern. Bestimmte Arten von Weihrauch werden in Ägypten und anderen arabischen Ländern heute noch gekaut – und haben eine euphorisierende Wirkung. Literatur 1 Insgesamt wird Weihrauch in der Bibel 24 Mal erwähnt, s. http://www.bibelonline.net unter dem Suchwort Weihrauch. Martin Henglein: Die heilende Kraft der Wohlgerüche und Essenzen. Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 1990, ISBN-13: 978-3404621255 Susanne Fischer-Rizzi: Botschaft an den Himmel. Anwendung, Wirkung und Geschichte von duftendem Räucherwerk, AT Verlag Baden/München, 2002, ISBN13: 978-3855028757, 28,90 Euro 57 Aktuelles Humor in der arabischen Kultur Symposium an der FU Berlin 2007 Katja Schönke Im Sommer fand an der Freien Universität Berlin ein internationales Symposium zu dem globalen Thema „Humor“ statt. Eingeladen hatte Prof. Dr. Georges Tamer vom Seminar für Semitistik und Arabistik und es kamen viele Fachleute aus aller Welt sowie zahlreiche Gäste. Die Tagung fand in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Moderner Orient (ZMO) statt und wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU, der Botschaft Qatars und dem Rat der Arabischen Botschafter in Deutschland. Thema der Konferenz waren die Existenz und Ausdrucksformen von Humor in den Gesellschaften der arabischen Welt von gestern bis heute wie auch das Verständnis von Humor im jüdischen und christlichen Denken. So ging es gleich zu Beginn um die Frage, ob Araber eigentlich Humor haben und wenn ja, ob er anders ist als der der Europäer oder der Deutschen. Prof. Tamer erläuterte dazu, dass Humor kontextabhängig ist. „Und Humor ist keine Einbahnstraße es sind immer zwei Seiten beteiligt. … Der Islam ist nicht humorfeindlich. Ich habe neulich in der Spruchsammlung Mohammeds gelesen, da steht sogar, dass Gott lacht. Aber religiöses Denken ist ernst. … Ich glaube, den Humor einer anderen Kultur zu verstehen, ist ein Stück Integration. Ich war schnell integriert, ein Freund nannte mich nach zwei Jahren den Preußen aus dem Libanon.“1 Um zunächst einmal eine gemeinsame Gesprächsebene zu schaffen, begann das Symposium mit dem Themenblock „Humor und Religion“. 58 Die erste Referentin legte dar, dass der Koran keine eindeutigen Aussagen über den Humor oder das Lachen macht. Es finden sich lediglich – ähnlich wie bei der Frage nach der Musik – nur Hinweise, dass gelächelt wird, gelacht oder auch gespottet, wobei das Spotten der Gläubigen übereinander verboten ist. Allerdings habe selbst der Prophet Mohammed gern gescherzt, zumindest mit Wortspielereien. Die Meinungen in den Hadithen (den Aussprüchen des Pro- Warum lachen wir eigentlich nicht? Lachen ist eine Schande. Es gibt nichts zu lachen. Noch einmal: Es ist eine Schande zu lachen. Ohne Grund zu lachen, ist kein gutes Benehmen. Schwule lachen trotzdem! Letztendlich sterben wir sowieso. Warum also bitteschön lachen? pheten) über das Lachen sind widersprüchlich. Weitere Themenblöcke befassten sich mit Humor in der arabischen Literatur sowie Humor in der Moderne (Theater, Literatur und Medien). Dazu waren u. a. der algerische Karikaturist Slim und der marokkanische Journalist Driss Ksikes geladen. Fazit für mich: Alle Menschen lachen, aber worüber, das hängt von politischen, kulturellen, wirtschaftlich-sozialen, religiösen, pädagogischen und anderen Umständen ab. Eine wichtige Veranstaltung, bei der viel gelacht wurde. Insgesamt vielleicht immer noch zu wenig, aber je mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander lachen können, umso friedlicher wird unsere Welt! 1 George Tamer: „Der Islam ist nicht humorfeindlich“, Interview mit Silke Lode, Süddeutsche Zeitung vom 6. 7. 2007 Vorschau Die nächste Ausgabe, 1/2008 erscheint im März 2008 Palästina * Geschichte Palästinas * Ibrahim Hazimeh, Mahmoud Shahin, Mahmoud Darwish * Der Felsendom Ibrahim Hazimeh: Fünf Schwestern * Palästinensischer Film * Sitten und Gebräuche, Teil 7 * Geschichte der arabischen Musik, Teil 4 * u. v. m. Impressum ISSN 1431-7974 Herausgeber mediaAGENT Houssam Maarouf Wilhelmstr. 42, 10963 Berlin Tel. 030 -61 65 96 51 e-mail: [email protected] www.Al-Maqam.info Bankverbindung Deutsche Bank Berlin Konto 187 22 33 00 BLZ 100 700 24 Redaktion Ulrike-Zeinab Askari, v.i.S.d.P. Satz und Layout mediaAGENT, Berlin Annoncen Ahmad Raichouni Jahresabo inkl. Versandkosten 22 Euro (Dt.) Ausland zzgl. das jeweilige Porto 5,50 Euro zzgl. 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