Weisen aus dem Morgenland - Al

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Kulturelle Blüte
Arabische Musik und Medizin
Al-Mawardi, Ibn
Khaldun, Ibn Battuta
Al-Farabi, Ibn Sina
Humor im Islam
Weihrauch
Bücher ...
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Wer im christlichen Abendland aufgewachsen ist, der denkt in der (vor)weihnachtlichen Zeit
vielleicht einmal an die Ereignisse vor ca. 2000 Jahren. Jedenfalls ging es mir so. Das Bild, das
die Bibel von der Gesellschaft jener Zeit vermittelt, schien mir immer bäuerlich und ärmlich zu
sein. Jedenfalls hatte ich als Kind immer Mitleid mit Maria, die ihr Kind in einem Stall zur Welt
bringen musste, weil es sonst keinen Platz in der Herberge mehr gab.
Dass aber gerade im Vorderen Orient um jene Zeit eine wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Blüte herrschte, wird durch die Bibel kaum vermittelt. Gerade einmal in der kurzen Schilderung der Huldigung der Weisen aus dem Morgenland klingt etwas von dem sagenhaften
Reichtum an, über den die Herrscher und Wohlhabenden der Zeit verfügt haben müssen.
Unvorstellbar, dass selbst Privatpersonen sich einige hundert Jahre später gar Kamelladungen
voller Bücher kauften, weil Büchersammeln, Lesen und Schreiben zu den am höchsten geachteten Beschäftigungen der damaligen Zeit gehörten.
Wenn ich mir dann vorstelle, dass sich in Städten wie Baghdad im Bazar ganze Straßenzüge
nur mit der Ware Buch befassten, dass es Bibliotheken mit vielen hunderttausend Büchern
gab, dann stimmt es mich sehr traurig, wenn ich in den Abendnachrichten die neusten Meldungen über die Zerstörungen in Baghdad, über den Niedergang der Kultur, über die
Unmenschlichkeit höre, mit der in vielen Teilen der Welt Gewalt verübt und Krieg geführt wird
und zu allen Zeiten in der Geschichte Bücher und andere Kulturgüter vernichtet wurden.
Da erschüttert es mich dann um so mehr, wenn ich von einer Musikethnologin höre, dass sie
auf einem Kongress den Bericht einer irakischen Kollegin gehört hat über die Zerstörung des
Musikmuseums in Baghdad, worüber niemand in der Weltpresse auch nur ein Wort verloren
hat. Und ich frage mich, was ist denn für uns Heutige überhaupt noch ein Kulturgut, was ist
noch schützenswert?
Die Musik früherer Zeiten, die Instrumente, die fein säuberlich geschriebenen Traktate mit
theoretischen Berechnungen, wie Musikinstrumente zu bauen seien, damit sie eben diese
Töne und nicht andere produzieren?
Liebe Leser, ich wünsche uns und Ihnen ein wenig von der Muße der damaligen Zeit, um die
Kulturgüter dieser Welt genügend schätzen zu können und ich wünsche mir ein wenig von
dem geistigen Reichtum der Weisen aus dem Morgenland für viele unserer Entscheidungsträger.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Lektüre und kommen Sie gut ins Neue
Jahr!
Herzlichst
Ihre
Ihre
Ulrike-Zeinab Askari
- Chefredakteurin -
3
Leserbriefe
Liebe Ulrike,
Bei der Gelegenheit wollte ich dir/der Redaktion noch
sagen: Ich finde die Al-Maqam klasse (hab ein Abo) und
journalistisch äußerst wertvoll für den heimischen OrientZeitschriften-Markt. Freue mich auf jedes Exemplar.
M. F., Mannheim
Liebe Frau Askari,
... Ich habe gleich alles gelesen und bin begeistert. Und
dieses Mal gefällt mir auch das Titelbild. Die Musiker sind
zwar ein wenig unscharf, aber dafür ist das ganze Motiv,
auch von den Farben her sehr ansprechend. Also: Großes
Kompliment! Den Artikel von Edda Brandes über die Tuareg-Frauen fand ich besonders interessant.
Herzlichen Gruß
B. S., Laatzen
Liebe Frau Askari,
vielen Dank, ich bin begeistert. Ihnen und Ihrem Team
frohe Weihnachten und ein wunderbares Jahr 2008.
R. Z., Schwarzenfeld
Sehr geehrte Frau Askari,
… Ihr Magazin habe ich mit Interesse gelesen. Ich wünsche Ihnen guten Erfolg, was sicher gegeben ist, da es
Anzeige
4
eine Lücke schließt, die in der Gegenwart unbedingt
geschlossen werden sollte, denn was so alles über die
arabische Welt berichtet wird, bedarf doch auch einer
anderen Berichterstattung. …
Ihr F. S., Berlin
Liebe Frau Askari
Das erste Heft habe ich bereits erhalten und habe mich
schon in einzelne Artikel vertieft. Ich freue mich auf die
weiteren (Artikel und Hefte)!
Mit herzlichen Grüssen
L. R., Zürich
Vielen Dank, das Heft ist echt toll geworden :-))
1001 Grüße
C. S., Augsburg
Salam Ulrike!
... der erste Eindruck ist gut! Das Thema Algerien macht
sehr neugierig, wenngleich wir uns gerade um die nächste Reise in den Oman kümmern ... Ich lasse wieder von
mir hören und sende viele Grüße nach Berlin,
S. G., Seefeld
Inhalt
Die Weisen aus dem Morgenland
3
5
4
Editorial
Inhalt
Leserstimmen
Bücher
Geschichte
6
10
13
15
Die Weisen aus dem Morgenland
Die arabische Entwicklung zur kulturellen Blüte
Jesus kam fast bis nach Assiut
Al-Mawardi - Im Auftrag des Kalifen
47
48
49
50
Gesellschaft
17
19
22
Sitten und Gebräuche, 6
Ibn Khaldun
Ibn Battuta
51
52
CDs
53
Ibn Sina und die arabische Medizin
Radio Marrakesch
Aus der Natur
Medizin
24
Allahs langer Schatten
Arabesque
Kunst und Architektur
Tausendundeine Nacht
Klassiker arabischer
Literatur
Der Jakubiân-Bau
Maria und Jesus im Islam
54
56
Weihrauch in Oman
Weihrauch
Musik
27
31
Arabische Musikgeschichte, 3
Al-Farabi - Ein Universalgenie
Orientalismus
32
Aktuelles
58
Das Lächeln
der Odaliske, 2
Fundstücke
26
Veranstaltungen
34
35
42
Superstrass, Leipzig
Fantasia Orientale, Hamburg
DAFG
Humor im Islam
Louvre Abu Dhabi
Vorschau / Impressum
59
Nächstes Heft: Palästina
Impressum
Literatur/Theater
36
Interview mit Claudia Ott
Al-Maqam
heißt laut Brockhaus der „Ort einer Versammlung, wo Musik und Poesie vorgetragen wurden.“
Die arabische “Tonleiter” wird ebenfalls als Maqam bezeichnet. Ferner ist ein Heiligengrab ein Maqam. In früheren
Zeiten konnte das Wort Maqam für eine Gedichtsammlung
stehen. Heutzutage verbindet man damit u. a. das hohe
Ansehen einer Person.
5
Geschichte
Die Weisen aus dem
Morgenland
Ulrike-Zeinab Askari
Weihnachten, Christkind, der Stern von Bethlehem fallen
mir bei den Stichworten „die Weisen aus dem
Morgenland“ als allererstes ein, da sie eng mit den
Traditionen bei uns im christlichen Abendland zusammenhängen. Die Heiligen Drei Könige, wie man die
Weisen aus dem Morgenland auch nennt, stehen für mich
aber auch stellvertretend für zahlreiche unbekannt
gebliebene Gelehrte im Orient. Namentlich bekannt sind
häufig Forscher und Wissenschaftler der Araber, die das
Wissen und die Kunst ihrer Nachbarn und Besiegten aufgriffen und weiterentwickelten.
„Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut
und gingen in das Haus und fanden das Kindlein
mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und
beteten es an und taten ihre Schätze auf und
schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.“
(Matthäus, 2, 10f.)
Gold, Weihrauch und Myrrhe hatten die Weisen
aus dem Morgenland im Gepäck, als sie dem
Christuskind ihre Aufwartung machten. Sie hatten
sich leiten lassen von dem Stern von Bethlehem.
Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gese-
Der Komet Hale Bopp bei den Pyramiden, Foto: André Elbing
6
aus dem Manuskript des Hariri, Staatsbibliothek Wien
hen hatten, ging vor ihnen her, bis er ankam und
über dem Ort stillstand, wo das Kind war. (Matthäus, 2, 9)
Die Weisen oder Heiligen Drei Könige waren möglicherweise antike Sternforscher. Darüber hinaus
hatten sie aber wohl noch weitere Kenntnisse, wie
ihre Namen nahelegen. Kaspar, Melchior und Balthasar werden im griechischen Text des Matthäusevangeliums als Magier aus dem Osten bezeichnet. Der Name „Kaspar“ lässt sich vom persischen
Wort für „Schatzmeister“ wie auch vom frühäthiopischen für „innere Stadt oder Stadtkern“ ableiten.
Letzteres ist im Arabischen heute noch in
Kasbah (ursprüngl. Zitadelle) erhalten, was
sich aus den persischen Begriffen „ghaz“
(Schatz) und „bar“ (leiten, verwalten, versorgen) zusammensetzt. D. h. Kaspar war
derjenige, der das Geld, die Wertsachen,
die Staatsschätze verwaltete. Melchior ist
dagegen ein hebräischer Name mit der
Bedeutung „König des Lichts.“ Dies kann
einerseits mystisch gedeutet werden, andererseits auch im Zusammenhang mit der
damaligen Astronomie als hervorragender
Kenner der Sternenkunde. Balthasar ist ein
Vorname
babylonisch-hebräischen
Ursprungs. Er bedeutet Baal schütze sein
Leben, oder in der Form Belsazar Baal
(Gott) schütze den König. Im Alten Testament taucht der Name als Beiname für den
Propheten Daniel auf.1
Der Stern von Bethlehem
Bereits die Babylonier und Chaldäer waren Himmelskundler, die große Observatorien bauten, da
die Betrachtung des Himmels und der Sterne
einen sehr hohen geradezu staatserhaltenden Stellenwert hatte, ähnlich wie im pharaonischen Ägypten. Die Babylonier hatten schon im 5. Jahrhundert
v. Chr. das Sonnenjahr errechnet und eine ausgefeilte Astrologie entwickelt. Bauten und Anlagen
zur Oberservierung des Himmels und der Sterne
gab es bereits im 5. Jahrtausend v. Chr. Die Sternenkunde war jedoch nicht reiner Selbstzweck,
sondern es ging den Forschern und Wissenschaftlern seit der Antike um die Frage nach der Stellung
des Menschen im Universum. Als Nebenprodukte
sozusagen berechnete der Grieche Thales von
Milet 585 v. Chr. eine Sonnenfinsternis, Abu Raihan Muhammad ibn Ahmad al-Biruni, ein persischer Universalgelehrter um ca. 1000 n. Chr., eine
Mondfinsternis. Dabei fanden auch Messgeräte wie
das Astrolabium, vermutlich entwickelt von dem
Griechen Eratosthenes (284 - 202 v. Chr.) ihren Einsatz, das von den Arabern maßgeblich weiterentwickelt wurde.
In der Spätantike, ca. 250 n. Chr., kam in Alexandria in der hellenistischen Schule die Meinung auf,
der Stern von Bethlehem könne ein Komet gewesen sein. Dagegen spricht allerdings, dass es zur
Giotto di Bandone: Die Anbetung des Kindes durch die
Heiligen Drei Könige, 1304 - 1306
Zeit von Jesu Geburt, die auf das Jahr 7 bis 4 v. Chr.
datiert wird, nachweislich keinen sichtbaren Kometen gegeben hat. Lediglich in einer chinesischen
Quelle ist im Jahr 5 v. Chr. von einem Kometen die
Rede. Der Halleysche Komet, der allgemein für den
Stern von Bethlehem gehalten wird, war jedoch
von August bis November 12 v. Chr. sichtbar.
Die Epoche der Römer ging mit der Eroberung
Alexandrias, eines der Zentren der damaligen
Himmelkunde, durch die Araber zu Ende. Die
berühmte Bibliothek stand nun den islamischen
Gelehrten für ihre Studien zur Verfügung und
diverse Einflüsse, vor
allem indische, machten die islamischen
Astrologen zu den führenden der damaligen
Zeit. Ihre Leistungen
bestanden vor allem in
der genauen Beobachtung des Himmels auch zu astrologischen
Zwecken, obwohl der
Islam den Blick in die
Zukunft eigentlich nicht
erlaubt - und das Erstellen von Sternkatalogen,
von denen etliche der
heute üblichen Sternnamen abstammen.
Sternbild aus einem Manuskript von Al Sufi, www.telescop.ucoz.ru
Die genaue Berech-
7
ziner
angestachelt, indem er
sagte, dass „Allah
für jede Krankheit
ein Heilmittel erschaffen
habe,
nur nicht für den
Tod.“ Außerdem
wurde jeder Muslim angehalten,
den Koran lesen
zu lernen. Eine
der Aufforderungen des Koran an
die
Gläubigen
lautet: „Ikra“ –
„Lies!“
ein intensiver Austausch von Wissen
sowie Kunst und Kultur. Dass
Baghdad ein Zentrum der Wissenschaft und Kultur wurde, liegt auch
an der Gründung des Bait al-Hikma
(Hauses der Weisheit), das der Abbasidenherrscher al-Mamun 813 gegründet hatte.
Die Hauptarbeit dieses Hauses bestand vornehmlich in der Übersetzung wissenschaftlicher Werke aus
allen Sprachen der Erde, speziell aus
dem Griechischen.
Zu dieser Zeit gab es den Beruf des
Agenten, der ausgeschickt wurde,
um Manuskripte zu kaufen, um sie
dann daheim kopieren und/oder
übersetzen zu lassen. Nicht selten
brachten die Karawanen bis zu vierzig Kamelladungen voller Bücher aus
fernen Ländern mit. Nicht nur für
Bibliotheken wurden Bücher angeschafft. Jeder reiche Privatmann, der
etwas auf sich hielt, investierte sein
Geld in Bücher. Stolz berichteten
Gelehrte, Politiker, Krieger oder Kaufleute über ihre umfangreichen Bibliotheken, die durchaus mehrere hunderttausend Bücher2 umfassen konnten. Im Bazar von Baghdad waren an
die einhundert Buchhändler mit ihren
Um ca. 1000 n.
Chr. umfasste das
islamische Reich
Nordafrika, Spanien, den VordeDie Araber erobern die Welt, aus dem Manuskript des Hariri,
ren Orient, Teile
Staatsbibliothek Wien
der heutigen Türkei, die Arabische
nung der Stellung der Himmelskör- Halbinsel bis hin zu Teilen des heutiper war für die Muslime wichtiger als gen Indien und Pakistan. Von überall
für Christen und Juden, denn für sie her kamen Menschen nach Baghdad
hing die Ausübung und Wohlgefällig- in die Hauptstadt des gewaltigen Reikeit ihrer täglichen religiösen Pflich- ches. Dort fand ein reger Austausch
ten von der Exaktheit der Zeit ab. So von Handelswaren statt aber auch
musste der Muezzin die genaue Zeit
für die Gebete, die er auszurufen
hatte, berechnen können, aber auch
Chronologie der Geschichte des Papiers
die Bewegungen des Mondes, um
den Beginn und das Ende des Fasten3500 v. Chr.
Verwendung von Papyrus in Ägypten
monats Ramadan korrekt festzuset2700 v. Chr.
Älteste Funde von beschriebenem Pergament (Ägypten)
zen. Und schließlich musste jeder
Gläubige die richtige Richtung für das
180 - 50 v. Chr. Funde aus der frühen Han-Periode an verschiedenen
Gebet finden, denn egal wo er sich
Orten in China dokumentieren den Gebrauch von Papier
befand, musste er sich nach Mekka
ausrichten.
105 n. Chr.
Der chinesische Minister Tsai Lun (bis 121) beschreibt
die Herstellung von Papier
Das Haus der Weisheit
In ihrem Forscherdrang waren die
Muslime bestärkt durch den Ausspruch des Propheten Mohamed,
dass sie „auf ihrer Suche nach Wissen
sogar bis nach China reisen“ sollten,
wenn es denn nötig sei. So hatte er
den Wissensdurst
und
Eifer Boilley
der MediMoschee
in Algier, Foto:
Damien
8
610
Einführung der Papiermacherei in Japan
751
Die Araber erlangen durch chinesische Kriegsgefangene
Kenntnis von der Kunst des Papiermachens
794
Errichtung von Papiermühlen in Bagdad
1109
Ältestes Dokument aus Papier (Archiv in Palermo)
1110
Papierherstellung wurde bereits in Marokko betrieben
Läden ansässig. Der Bibliothek der
berühmten Hochschule Nisamija in
Baghdad stand ein Jahresetat von
eineinhalb Millionen Goldfranken zur
Anschaffung von Büchern und Manuskripten zu Verfügung. Hunderttausende von Menschen standen durch
die Handelsware Buch in Brot und
Arbeit: Da waren die Papierhersteller,
Buchbinder, Lederarbeiter, Tintenhersteller, Kopisten, Übersetzer, Buchhändler, Agenten usw.
Das chinesische Geheimnis
Zum Aufschwung von Kultur und
Wissenschaft trug sicher auch die
Herstellung von Papier bei. Das Wort
Papier, das in Europa seit dem 14.
Jahrhundert belegt ist und über das
Altfranzösische und Spanische ins
Deutsche kam, stammt vom lateinischen Wort Papyrus ab. Im 11. Jahrhundert berichtete der arabische Historiker Abd al-Malik al-Thaalibi, dass
Papier zu den Besonderheiten Samarkands gehört. „Es sieht besser aus
und ist weicher, angenehmer im
Gebrauch und besser zum Schreiben
geeignet als Papyrus und Pergament,“
die beiden bis dahin gebräuchlichen
Schreibmaterialien. Während mehrerer Jahrhunderte hatten die Chinesen
das Geheimnis der Papierherstellung
hüten können. Beim Angriff der Ara-
Darstellung des Sokrates in einer arabischen
Handschrift
Giorgione: Tre Filosofis, um 1508, Kunsthistorisches Museum, Wien
ber auf die Stadt Samarkand 751 n.
Chr. gerieten chinesische Papierhersteller in Gefangenschaft, die ihre
Kunst den Siegern preisgeben mussten. So kam das Papier im arabischislamischen Herrschaftsgebiet in Gebrauch und wurde von da an in großem Umfang hergestellt. Es ersetzte
alle anderen vorher benutzten Materialien. Al-Thaalibi schrieb: „Sein
Wert war allgemein anerkannt und
alle Menschen verstanden es zu
gebrauchen.“ Damaskus wurde für
Jahrhunderte der Hauptlieferant für
Papier nach Byzanz und in andere
Teile Europas, wohin es ab dem 10.
Jahrhundert verkauft wurde. Über
Kairo verbreitete sich die Papierherstellung bis nach Marokko. Schließlich brachten die Mauren die Papiererzeugung nach Spanien, von wo aus
sie sich dann auch weiter nach
1 Daniel 10,1
2 „Wenn solche Summen auch reichlich
überschlägig berechnet und großzügig
abgerundet sein mögen und unter „Band“
bei früharabischen Büchern meist ein
gebundenes Kapitel zu verstehen ist, so
spricht allein der Stolz, mit dem diese
Angaben gemacht werden, für eine unbändige Freude an der Sache.“ Sigrid Hunke:
Allahs Sonne über dem Abendland. Unser
arabisches Erbe, Fischer TB Verlag,
Frankfurt a. M., 1990, S. 215
Europa ausbreitete.
Um 1000 n. Chr. konnte fast jeder
Mensch im Abbasidenreich lesen
und schreiben. Da alle Muslime
durch das Studium des Korans Arabisch sprachen, entwickelte sich das
Arabische zu einer Universalsprache,
die nach und nach in weiten Teilen
der damals bekannten Welt gleichermaßen gesprochen wurde und so
den Austausch von Wissen, aber
auch den Handel wesentlich erleichterte und intensivierte. Der Handel
blühte auf, Handelsstraßen durchzogen die bekannte Welt, auf den Meeren umschifften die Araber mit ganzen Flotten die Küsten und erschlossen so immer weitere Gebiete, von
denen sie alles Mögliche mitbrachen:
Stoffe, kostbaren Schmuck, Edelsteine, Gewürze, Schwarzpulver, Geräte
aller Art, Bücher und vieles mehr.
Literatur:
Sigrid Hunke: Allahs Sonne über
dem Abendland.
Unser arabisches Erbe, Fischer TB
Verlag, Frankfurt a. M., 1990
Europa und der Orient. 800 – 1900,
Ausstellungskatalog,
Bertelsmann Verlag, Gütersloh, 1989
9
Die arabische Entwicklung zur kulturellen Blüte
Hussein Gaafar
Die Arabische Halbinsel kannte
vor dem Auftreten des Propheten
Muhammad keine umfassende
politische Ordnung. Kennzeichnend für das gesamte Gebiet war
die tribale Gesellschaftsordnung,
in der das Gewohnheitsrecht (urf)
unter allen Angehörigen herrschte. Die Bevölkerung der Stadt
Mekka bestand aus den Mitgliedern des Stammes Quraisch, dem
auch der Prophet Muhammad
angehörte. Nach dessen Berufungserlebnis zum Propheten
durch den Erzengel Gabriel stieß
er mit seiner neu verkündeten
Glaubensmission auf heftigen
Widerstand, auch aus den eigenen
Reihen.
Durch seinen plötzlichen Tod ging
die Nachfolge des Propheten auf seine engsten Gefährten über, aus
deren Kreis schließlich die vier rechtgeleiteten Kalifen hervorgingen.
Hauptsitz des islamischen Reiches
wurde Medina.
Von 661 bis 750 übernahmen dann
die Omayyaden unter dem Kalifen
Muawiya die Macht über das islamische Großreich. Die Hauptstadt wurde kurzerhand nach Damaskus verlegt. Die Omayyaden distanzierten
sich deutlich von Muhammads neu
verkündeter Glaubensmission. Stattdessen richteten sie ihre Politik nach
einem genealogischen und weniger
religiösen Gemeinwesen aus. Wer
sich in der Bevölkerung nicht arabisierte, wurde selten diskriminiert und
in seinem sozialen Status unterdrückt. Dies manifestierte sich vor
allem in den Steuerabgaben. Darüber hinaus war es den nichtarabischen Muslimen (mawali) kaum mög-
10
lich, in höhere Machtpositionen aufzusteigen.
Die konsequente Ausdehnung der
Grenzen des islamischen Machtbereiches, des Dar al-Islam, genoss
höchste Priorität. So verwundert es
auch nicht, dass sich ein halbes Jahrhundert nach dem Tode Muhammads noch keine eigenständige
Architektur unter den arabischen
Herrschern herausgebildet hatte. Erst
durch den Omayyaden Abd al-Malik
trat eine entscheidende Veränderung
ein. Ihm gelang es, das 681 unter alZubair formierte Gegenkalifat in
Mekka nach zehn Jahren zu beseitigen. Währenddessen sollte - verglichen mit den christlichen Heiligtümern der Byzantiner - ein durchaus
ebenbürtiges Bauprojekt auf islamischer Seite entstehen: der Felsendom
in Jerusalem.
Omayyadische Architektur
Dieses Bauwerk markiert den Beginn der
islamischen
Monumentalarchitektur
und wurde durch Abd
al-Maliks Sohn und
Nachfolger al-Walid I.
vollendet. Bereits hier
trifft man auf einige
typische Markenzeichen späterer omayyadischer Architektur
wie zum Beispiel die
in Marmorsäulen eingravierten Weinrankenmotive und akkurat ausgearbeiteten
Fayence-Verzierungen. Dabei darf nicht
außer Acht gelassen
werden, dass die Architekten, die der
Kalif mit dieser Aufgabe betraute,
syrische Byzantiner christlicher Herkunft waren. Der Kalif scheute sich
also nicht, byzantinische Stilelemente
bewusst in den Bau mit einfließen zu
lassen.
In der Achse des Felsendoms entstand wenig später die al-Aqsa
Moschee, die bereits Ergebnis zahlloser Veränderungen und Restaurierungen war. Nach ihrem Vorbild wurde
in der Hauptstadt Damaskus an der
Stelle der Basilika, die dem heiligen
Johannes dem Täufer geweiht war,
im selben Zeitraum die große, prächtige Omayyaden-Moschee errichtet.
Durch sie setzte sich das Kalifat an
seinem Hauptsitz erstmals ein würdiges Denkmal. Der Felsendom und
die Große Moschee von Damaskus
sind eine deutliche muslimische Antwort auf die Pracht der sie umgebenden antiken und christlichen Architektur und eine Bekundung der
Grundriss des Felsendoms in Jerusalem
Macht und Präsenz des neuen Glaubens.
Während diese religiösen Bauwerke
ausgeführt wurden, realisierten die
Omayyaden gleichzeitig aber auch
ein bedeutendes profanes Bauprogramm, zu dem man vor allem die
herausragenden Wüstenschlösser in
der jordanischen Wüste (Wadi AlRum) zählt.
Die letzten Jahrzehnte der Herrschaft
waren durch meist kurze und schwache Kalifate sowie durch innenpolitische Konflikte gekennzeichnet. Ein
entscheidender Grund für das
Scheitern dieser Dynastie war
sicherlich die nicht gelungene
Integrierung von immer größer werdenden Personenkreisen, die an der ursprünglichen
muslimischen Gemeinschaft,
der Umma, teilzuhaben wünschten. Als Fazit bleibt dennoch, dass
die Dynastie der Omayyaden insgesamt eine glanzvolle Epoche der arabischen Geschichte war. Ihre politische Macht erstreckte sich im Westen
von der Iberischen Halbinsel bis an
den Indus. Dazu zählt neben den
bereits erwähnten Verdiensten im
Bereich der Monumentalarchitektur
auch die Überlieferung der hellenistischen und griechischen Kultur in
eigens dafür eingerichteten Schulen.
Die Abbasiden –
eine islamische Weltmacht
etabliert sich
Die Geschehnisse der Jahre 747 bis
750 markierten eine Veränderung,
die alle Bereiche des islamischen
Gemeinwesens und der bis dahin
noch jungen muslimischen Kultur
erfasste. Man spricht hier von der
„abbasidischen Revolution“, die das
vorläufige Ende des ommayadischen
Kalifats bedeutete. Sie brachte eine
Dynastie an die Macht, die sich zur
Sippe der Haschimiten zählte und
auf die Nachkommenschaft des
Abbas, eines Onkels Muhammads,
stützte. Sie sollte für mehr als ein halbes Jahrtausend bis zum Mongolensturm 1258 regieren. Unter den
Abbasiden erhielten die mawali erstmals Zutritt zum Verwaltungsapparat
des Kalifats, was ihnen unter den
Omayyaden verwehrt geblieben war.
Von dort aus konnten sie in höhere
Machtpositionen aufsteigen.
Der Hauptsitz der neuen Herrscher
wechselte von Damaskus nach
Baghdad. Der zweite Abbasidenkalif
al-
Trinkbecher, um 1280
Mansur (754-775) ließ dort nach persischem Vorbild eine Palaststadt mit
einer kreisrunden Anlage erbauen,
von der heute keine Spur mehr vorhanden ist. Unter dem späteren Kalifen Harun al-Raschid bedeckte die
Metropole eine dicht besiedelte Fläche mit einer geschätzten Einwohnerzahl von fast einer Million.
Baghdad war zu dieser Zeit die größte und bevölkerungsreichste Stadt der
Welt. Dank ihrer Lage zwischen den
zwei großen, schiffbaren Flüssen
Euphrat und Tigris war sie ein viel
größerer Handelsplatz, als es Damaskus je gewesen war. Durch das große
Handelsvolumen öffnete sich die
Stadt verschiedensten Einflüssen, die
von Schwarzafrika bis nach China
reichten. Der Fernhandel profitierte
vor allem von der Übernahme des
Arabischen als Lingua franca im
gesamten Reich.
Die Hauptstadt des abbasidischen
Reiches wurde zu einem geistigen
Zentrum, in dem erstmals unter alMansur das philosophische und naturwissenschaftliche Erbe der Antike
ins Arabische übersetzt wurde. Es
setzte eine enorme Produktion von
Literatur ein, angefangen bei religiösen Schriften. Dazu wurden vermehrt
Koranexemplare mit ornamental ausgeschmückten Verzierungen hergestellt. Hinzu kamen die ersten Biografien und schriftlich festgehaltenen
Aussprüche des Propheten
Muhammad, die Ahadith,
von Ibn Ishaq beziehungsweise al-Buchari. 830 eröffnete der Sohn Harun alRaschids, al-Mamun, eine riesige Bibliothek: das Bait alHikma (Haus der Weisheit).
Hier trafen sich Gelehrte und
tauschten
wissenschaftliche
Erfahrungen miteinander aus. Im
Vordergrund stand die Rezeption
des antiken Erbes, die dadurch möglich wurde, dass die Werke zunächst
ins Mittelpersische (Pahlavi) und
dann ins Arabische übersetzt wurden.
Von der Mitte des 8. bis zum Ende
des 10. Jahrhunderts wurde ein Großteil von überwiegend griechischen
Prosawerken aus den Bereichen der
Naturwissenschaften und Philosophie
durchgehend übersetzt. Bereits unter
den Omayyaden waren griechische
Textmanuskripte übersetzt worden,
allerdings weniger im Bereich der
Wissenschaften, als vielmehr in der
Politik und der Wirtschaft.
In diesen beiden Naturwissenschaftsbereichen können die Verdienste der
einzelnen Forscher in Bezug auf ihre
Bedeutung für das Abendland nicht
genug gewürdigt werden. Der heutige mathematische Ausdruck des
Algorithmus oder auch der Algebra
geht beispielsweise auf den Perser al-
11
Khwarizmi zurück, der bei seinen
Recherchen auf das indische Ziffernsystem stieß und dieses entscheidend
weiterentwickelte. Der Arzt und Philosoph Ibn Sina (lat. Avicenna) lebte
und lehrte in zahlreichen Städten Persiens. Sein Hauptwerk der „Kanon“
(al-Qanun) und weitere seiner Veröffentlichungen erlangten die Bedeutung von Standardwerken, nicht nur
bei den Arabern sondern bald auch
im christlichen Abendland.
bautechniken vermittelt. Der Anbau
von neu im Lande eingeführten Gemüse- und Obstsorten verbreitete
sich. Viele dieser Nahrungsmittel sind
bis heute im spanischen Wortschatz
in ihrem vorwiegend arabischen,
aber auch zum Teil persischen
Ursprung unter leicht abgewandelten
Formen
Den größten Einfluss auf die
abendländische Philosophie
hatte vermutlich der andalusische Aristoteliker Ibn Rushd
(lat. Averroes). Erst durch ihn ist
Aristoteles
im
Abendland
bekannt geworden und mit dem
lateinischen Averroismus hatte sich
noch der Scholastiker Thomas von
Aquin kritisch auseinander zu setzen.
Überhaupt blickte man ab dem 10.
Jahrhundert neben Baghdad noch
auf eine weitere Region, die in ihrer
Wissensvermittlung eine durchaus
ebenbürtige Konkurrenz darstellte:
das islamische Spanien unter den
Omayyaden.
Als letzter Überlebender der
Omayyaden-Dynastie war Abd AlRahman von Syrien aus über Palästina, Ägypten und Marokko dorthin
geflohen. Hier begründete er 756
das Omayyadenreich von Cordoba.
Trotz innenpolitischer Querelen wurde das Reich zunehmend zu einem
ansehnlichen Zentrum geförderter
Künste, das viele Blicke auf sich zog
und mit der Zeit die arabisch-andalusischen Wissenschaften in die weite
Welt hinaus trug. 929 ließ Abd alRahman III. sich zum Kalifen von
Cordoba ausrufen. Die Stadt erlebte
in dieser Zeit eine Glanzperiode und
agierte eigenständig und souverän. In
den Bereichen der Bewässerung und
Landwirtschaft wurden dank des aus
Persien übernommenen künstlichen
Bewässerungssystems innovative An-
12
geprägt worden ist.
Die Ära der Abbasiden wurde in
Mesopotamien und der gesamten
benachbarten Region durch den Einfall der Mongolen unter Dschingis
Khans Enkel Hülagü überraschend
beendet. Damit endete auch die kulturelle Glanzperiode dieses Imperiums, die ihren Höhepunkt bis zur
Mitte des 11. Jahrhunderts und der
damit implizierten Machtübernahme
der Seldschuken hatte.
Zwar gelang Abbasi al-Mustansir, einem Onkel des letzten
Kalifen, die Flucht nach Ägypten, wo ihn der soeben zur
Macht gelangte Mamelukensultan Baibar als nächsten Kalifen
einsetzte. Allerdings dienten die
Abbasiden allein der Herrschaftslegitimation der Mameluken und hatten
keinen relevanten politischen Einfluss.
Moscheelampe, Damaskus um 1300
erhalten geblieben, wie zum Beispiel
zu sehen bei arroz (Reis), alcachofa
(Artischocke), naranja (Orange, im
pers. Mandarine) usw.
Der Musiker Ziryab, der aus Mesopotamien stammte, wurde zum Instrument einer wahren Umwälzung
innerhalb der muslimischen Zivilisation in Al Andalus. Er vermittelte wichtige von Baghdad stammende Hoftraditionen, Essensinnovationen und
Modetrends und veränderte auf tief
greifende Weise den Lebensstil der
Oberschicht des islamischen Spaniens. Viele dieser Vermittlungen
haben sich bis heute in der spanischen Kultur erhalten. Eine von
ihnen, der spanische Flamenco, geht
auf eine kulturell vielseitige Tradition
zurück. Neben seinem zigeunerischen Ursprung weist er auch arabische Einflüsse auf, wodurch unter
anderem der heutige cante jondo
Bis zum 19. Jahrhundert erholte sich
die Region nicht vom Mongolensturm. Für das Abendland ist die
Rezeption der wissenschaftlichen
Verdienste der Araber eine bis heute
nicht mehr wegzudenkende Grundlage für weitere wissenschaftliche
Forschungen.
Literatur:
Ulrich Haarmann: Geschichte der
arabischen Welt, C. H. Beck,
München, 1987
Heinz Halm: Die Araber, C. H.
Beck, München, 2004
Heinz Halm: Der Islam, C. H. Beck,
München, 2000
Robert Hillenbrand: Kunst und
Architektur des Islam, Ernst Wasmuth
Verlag, Tübingen, Berlin 2005
Henri Stierlin: Die Welt der Araber,
Jesus kam fast bis nach Assiut
Text und Fotos: Jürgen Sorge
Nach koptischer Überlieferung
weilte die Heilige Familie mehr als
drei Jahre in Ägypten.
Die Weisen aus dem Morgenland beteten das Jesuskind an. Sie brachten
ihre Geschenke dar und zogen wieder fort. „Da erschien der Engel des
Herrn dem Josef im Traum und
sprach: ‚Steh auf, nimm das Kindlein
und flieh nach Ägypten und bleib
dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes
hat vor, das Kindlein zu suchen, um
es umzubringen.’ Da stand er auf und
nahm das Kindlein und seine Mutter
mit sich bei Nacht und entwich nach
Ägypten.“
Die im Matthäus-Evangeliums geschilderte Flucht nimmt in der koptischen Kirche einen breiten Raum ein.
Entlang des Nils erinnern zahlreiche
Kirchen und Klöster an die Reise der
Heiligen Familie durch die damalige
römische Provinz. El-Matariya ist heute ein dicht bevölkerter Stadtteil Kairos. Zwischen den hohen Häusern
pulsiert das Leben. Inmitten des Tru-
bels weisen eine umgestürzte Sykomore und eine künstlich angelegte
Quelle auf einen Platz, an dem die
Heilige Familie einst gerastet haben
soll. Die Mauer um den Wallfahrtsort
schließt die Hektik der Metropole
aus. Die Ruhe scheint fast wie eines
jener Wunder, die das Jesuskind auf
seiner Reise allerorts bewirkt haben
soll. Über el-Matariya berichtet ein
Heiligenkalender wie Jesus einen Stab
Josephs in kleine Stücke brach und
diese in die Erde steckte. Das Kind
grub nach Wasser und begoss die
Stäbchen, die sofort Wurzeln schlugen,
Blätter erhielten und einen süßen Duft
verströmten, angenehmer als Parfüm.
Nach den Überlieferungen war die
Familie über die einstige römische
Grenzstadt Rhinocolura (dem heutigen el-Arish) im Nordsinai, durch den
in der Bibel als „Land Gosen“ bezeichneten Landstrich und das Wadi
Natrun bis nach el-Matariya gelangt.
Von hier ging die Reise weiter südwärts.
Die alten Schriften vergessen nicht,
Eine umgestürzte Sykomore in al-Matariya erinnert heute an den Platz, an dem die Heilige
Familie verweilt haben soll
Darstellung von Maria und Jesus im Kloster
al-Muharraq
die Überlegenheit des Jesuskindes
über die alten Götter herauszustellen. Zwischen Kairo und Assiut liegt
el-Ashmunein. Hier war die Hauptkultstätte des altägyptischen Weisheits- und Schreibergottes Thot. Der
Autor des apokryphen Pseudo-Matthäusevangeliums berichtet von einem Tempel in dem 365 Götzenbilder aufgestellt waren, „denen an bestimmten Tagen göttliche Ehre in götzendienerischen Weihen erwiesen
wurde. […] Es traf sich aber, als die
seligste Maria mit dem Kind in den
Tempel eintrat, da fielen sämtliche
Götzenbilder auf den Boden, so dass
sie alle gänzlich umgestürzt und zerbrochen auf ihrem Angesicht dalagen.“
Als der Statthalter Aphrodosius mit
seinem Heer zum Tempel kam, hofften die Priester auf Rache. „Jener aber
trat in den Tempel ein, und als er alle
Götzenbilder auf ihrem Angesicht darniedergestreckt liegen sah, ging er hin
zur seligen Maria, die an ihrem Busen
den Herrn trug, betete ihn an und
sprach zu seinem ganzen Heere und
zu allen seinen Freunden: ‚Wenn dieser nicht der Gott unserer Götter wäre,
so wären unsere Götter gewiss nicht
vor ihm auf ihr Angesicht gefallen, und
sie würden nicht in seiner Gegenwart
13
Nach koptischer Überlieferung dauerte die Reise der Heiligen Familie
etwa dreieinhalb Jahre, bis Herodes
im Jahr 4 v. Chr. starb.1 Statt nach
Judäa zurückzukehren, wo Herodes
Sohn Archelaus herrschte, ging die
Heilige Familie nach Nazareth in
Galiläa.
Darstellung der Flucht der heiligen Familie aus der koptischen St. Markus-Kathedrale
1 Die christliche Zeitrechnung beginnt mit
0 als dem Geburtsjahr Jesu, historisch ist
er aber wohl ca. 7 Jahre vor Beginn der
Zeitrechnung geboren.
hingestreckt daliegen.’“
Etwa 50 Kilometer nördlich von Assiut zweigt in al-Qusiya ein Weg nach
Westen ab. Mit dem Auto gelangt
man auf der schmalen Straße zwischen Feldern und mehreren Dörfern
hindurch nach etwa zehn Minuten
vor das Eingangstor des Klosters alMuharraq. Der Überlieferung zufolgte hat die Heilige Familie an diesem
Ort mehr als ein halbes Jahr verweilt.
Die Mönche des Klosters glauben,
dass ihre zu Ehren der Jungfrau Maria
errichtete Kirche die älteste Kirche
Ägyptens sei – errichtet um das Jahr
60, als der Evangelist Markus, den die
Kopten als ersten Patriarchen ihrer
Kirche verehren, nach Ägypten kam.
Eingang des Klosters al-Muharraq bei al-Qusiya
Kopten in Ägypten
In Ägypten breitete sich das Christentum in den folgenden Jahrhunderten
schnell aus. Die ägyptischen Christen, stets auf Eigenständigkeit bedacht,
entzweiten sich bald mit der Kirche in Konstantinopel. Greifbar werden die
Auseinandersetzungen in dem Streit um die Natur Christi, die beim vierten
Ökumenischen Konzil in Chalcedon im Jahr 451 zum Bruch zwischen beiden Kirchen führte. Die Ägypter beharrten damals auf dem Monophysitismus, wonach die Natur Christi nur göttlich sein könne. In der Folge sahen
sich die ägyptischen Christen im eigenen Land von Konstantinopel unterdrückt, zum Teil sogar verfolgt. Als 640 der Feldherr Amr Ibn al-As Ägypten
für den Islam eroberte, standen die Kopten den neuen Herren deshalb
zunächst durchaus wohlwollend gegenüber.
Heute sind schätzungsweise zehn Prozent der Ägypter Christen. Papst Shenouda III. ist als 116. Nachfolger des Markus Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Christen, die bis heute ihrem monophysitischen Glaubensgrundsatz
treu blieben. Das Weihnachtsfest feiern sie am 7. Januar. Seit 2003 ist es ein
staatlicher Feiertag.
14
Literatur
Erich Weidinger: Die Apokryphen.
Verborgene Bücher der Bibel,
Bechtermünz Verlag, Augsburg, 1999
Emma Brunner-Traut: Die Kopten.
Leben und Lehre der frühen
Christen in Ägypten,
Herder Verlag, Freiburg, 2000
Jürgen Sorge
ist als freier Journalist in Sachsen
tätig. Seit 1994 unternahm er mehrere Reisen nach Ägypten, Jordanien
und Syrien. Dabei lernte er die
facettenreiche arabische Kultur und
Lebensart kennen und schätzen.
Al-Mawardi Im Auftrag der Kalifen
Christian M. Jolibois
Im Jahr 945 nahmen die aus Persien
stammenden schiitischen Buyiden
(932-1062) Baghdad ein. Die neuen
Machthaber erlangten die Kontrolle
über die abbasidischen Kalifen, in
deren Namen sie regierten. Nordafrika, die Levante und Westarabien, mit
den beiden Städten Mekka und
Medina, standen unter der Herrschaft
des Kalifats der Fatimiden (909-1071).
In Spanien gelang es den Nachfahren
der Omayyaden, eine neue Dynastie
zu etablieren, deren Herrscher sich
ab dem Jahr 929 ebenfalls als Kalifen
bezeichneten. Im elften Jahrhundert
erstarkte die türkische Dynastie der
sunnitischen Seldschuken (10381194), die Baghdad im Jahr 1056
eroberten. Wem stand nun der Titel
als Stellvertreter Gottes auf Erden
und Nachfahre des Propheten rechtmäßig zu? Neben der religiösen Fragestellung hängt die Beantwortung
eng mit der Position zusammen, die
man angesichts der nicht weniger
komplexen politischen Lage der
Titelseite eines Buches zum Thema Recht,
Kairouan, um 1100
damaligen Zeit einnimmt.
Der im Jahr 974 geborene Abu alHasan Ali Ibn Muhammad Ibn Habib
al-Mawardi setzt sich mit seiner
berühmten Schrift „al-ahkam al-sultaniya“ (Die Bestimmungen der Machtausübung) eindeutig für die Abbasiden ein. Das Werk fasst erstmals systematisch die unterschiedlichen
Aspekte über das Kalifat zusammen.
Es beschreibt die Geschichte des
Kalifats, definiert dessen Ziele und
Funktionen, nennt Regeln für die
Wahl des Kalifen und seine Aufgaben, beschreibt die Beziehungen zu
den in seinem Namen agierenden
Beamten und Machthabern sowie
zur Bevölkerung. Der Autor stellt
darin eigenständige Betrachtungen
an und löst diplomatisch das bestehende Dilemma zwischen dem religiösen Ideal und der politischen
Wirklichkeit, das die muslimische
Geschichte spätestens seit der
Machtergreifung der Omayyaden
prägt.
Al-Mawardi sieht es aufgrund der
menschlichen Natur als gegeben an,
einem Führer zu folgen. Die eine
Gemeinschaft der Gläubigen, die ein
Zentrum (Mekka) besitzt und dem
geoffenbarten Wort des einen Gottes
folgt, bedürfe auch nur eines einzigen Führers: Den Kalifen als deren
Symbol der Einheit, als Bewahrer und
Verteidiger des Glaubens sowie als
höchste religiöse Instanz auf Erden.
Der Koran selbst legitimiere das Kalifat, das die von Gott für den Menschen vorgesehene Ordnung repräsentiere, folgendermaßen: Ich will
einen Statthalter auf Erden einsetzen
(2/28); O David, Wir haben dich zu
einem Stellvertreter auf Erden
gemacht (38/25); O die ihr glaubt,
Al-Mawardi, Zeichnung: Brit Schuster
gehorchet Allah und gehorchet dem
Gesandten und denen, die Befehlsgewalt unter euch haben (4/62).
Der in Europa auch unter dem
Namen Alboacen bekannte Mawardi
studierte islamisches Recht in seiner
Geburtsstadt Basra. Basra war lange
Zeit eine Metropole, von der wichtige Impulse für die islamische Welt
ausgingen. Die ersten arabischen
Prosawerke, die Ausarbeitung der
arabischen Grammatik sowie die
rationale Denkschule der Mutazila
nahmen hier ihren Anfang. Mit der
Verlegung der Hauptstadt nach
Baghdad verlor Basra allmählich seine Stellung. Den Juristen al-Mawardi
zog es ebenfalls nach Baghdad. Dort
vertiefte er seine Studien und begann
seine berufliche Karriere als Lehrer. Er
galt als freundlich und höflich.
Zeitgenössische Quellen charakterisieren ihn als enthusiastischen und
eloquenten Redner, der zudem eine
natürliche Würde ausstrahlte. Er wurde zum Kadi ernannt und seine
Talente erregten bald die Aufmerksamkeit hoher Würdenträger. Nach
der Ausübung des Richteramtes in
verschiedenen Städten wurde er im
Jahr 1038 zum Oberrichter in
Baghdad befördert. Als Emissär der
Kalifen al-Kadir (991-1031) und al-
15
Qaim (1031-74) wurde er mit verschiedenen diplomatischen Missionen betraut, in deren Verlauf er auch
mit den Buyiden und Seldschuken
verhandelte. Die beiden Kalifen
bekannten sich wieder offen zur sunnitischen Lehre, zu der ihnen alMawardi reichliches Hintergrundmaterial bezüglich des Kalifats lieferte.
Hochbetagt starb al-Mawardi im Alter
von 86 Jahren in Baghdad.
Mawardis Theorie über das Kalifat
erweckt zunächst den Anschein, die
gesamte islamische Geschichte zu
umfassen. Bei näherer Betrachtung
zeigt sich indes, dass manche Vor-
Anzeige
16
kommnisse fehlen. Er äußert sich
weder zur Machtergreifung der
Abbasiden noch zur prekären Lage
der Kalifen unter den Buyiden. Die
Erklärung liegt im Ziel und Zweck seiner Auftragsarbeit: Die Restauration
der Abbasiden und ihres exklusiven
Anspruchs auf das Kalifat. Mawardi
entwickelte einen pragmatischen
Ansatz, der die politische Realität seiner Zeit - die Beziehung eines schwachen Kalifen zu starken und unabhängigen Herrschern - mit den Erfordernissen des geoffenbarten Rechts
in Einklang brachte. Dies gelang ihm
mit Hilfe der Theorie der Ämterdelegation durch den Kalifen als religiöses
Oberhaupt der Muslime. Mit der
nachträglichen Legitimierung unabhängiger Herrscher wurde die göttliche Ordnung und ideologische Einheit der Muslime wieder hergestellt.
Mawardi führte die Notwendigkeit
und Zweckmäßigkeit als neue Kategorien ein. Letztlich tat er nichts
Anderes, als das religiöse Gesetz im
Kontext seiner Zeit zu interpretieren
und an neue Gegebenheiten anzupassen.
Gesellschaft
Sitten und Gebräuche in der arabischen Welt
Teil 6: Tipps für alle arabischen Länder
Text und Fotos: Barbara Schumacher
Fotografieren
Ob in der Öffentlichkeit oder im privaten oder geschäftlichen Bereich:
Nie Personen ungefragt „abschießen“, auf keinen Fall Frauen, die in
den meisten arabischen Ländern den
„bösen Blick“ des Fotoapparats
fürchten. Man sollte immer zuerst fragen, ob man ein Foto machen darf
und wird meist überrascht sein über
die freundliche Reaktion. Männer
stellen sich oft sogar in Positur, wobei
es ihnen darauf ankommt, einen würdigen Eindruck zu machen. Frauen
sind dann milde gestimmt, wenn man
ihnen (nur als Frau!) sagt, dass Makeup, Gewand und Schmuck sie besonders gut kleiden. Auch hier sollte
man auf die Geschlechtertrennung
achten. So ist es natürlich völlig
undenkbar, dass ein europäischer
Mann eine arabische Frau wegen
eines Fotos anspricht. Europäische
Frauen können im Hinblick auf Fotos
sowohl arabische Männer als auch
Frauen ansprechen, wenn das auf
sehr zurückhaltende und höfliche
Weise erfolgt. Je ausführlicher man
ins Gespräch kommt, umso besser,
und Fotos zu machen, ist dann in der
Regel kein Problem mehr. Es kann
auch sein, dass die Einheimischen
dann ein Foto von dem westlichen
Besucher machen möchten – Kameras sind auch in arabischen Ländern,
besonders in touristisch gut erschlossenen Gebieten, weit verbreitet und
werden gern genutzt. Eine solche
Fotobitte sollte man natürlich nicht
abschlagen.
Öffentliche Gebäude, militärische
Einrichtungen, Ministerien, Flughäfen
sind generell für Fotografen tabu.
Bei Verstößen muss man mit Filmentzug, Kamerakonfiszierung, endlosen
Diskussionen, Vorsprechen beim
Polizeipräsidenten oder gar Gefängnis rechnen (je nach Art des Vergehens und nach Land). Ich selbst
geriet durch Fotografieren nur einmal
(in Mauretanien) in Schwierigkeiten,
allerdings war ich mir keines Versto-
alter Mann im Souq
ßes bewusst, trotzdem landete ich
beim Polizeipräsidenten der Stadt,
der mir Berge beschlagnahmter Filme
und Kameras aller gängigen Marken
zeigte und mich – dank völliger Zerknirschung (in solchen Fällen nie
toben, schreien und auf sein vermeintliches Recht pochen – es nützt
nichts) meinerseits und dank meiner
deutschen Nationalität - ungeschoren, also mit Film und Kamera, davon
kommen ließ.
FAZIT: MIT FINGERSPITZENGEFÜHL VORGE„MUMKIN SURA?“ (DARF ICH SIE
FOTOGRAFIEREN?) IST DAS ZAUBERWORT.
HEN.
Besichtigung von
Sehenswürdigkeiten
Einladung zum Dattelnessen in der Wüste
Der Eintritt in Museen oder historische Gebäude ist während angegebener Öffnungszeiten problemlos
möglich, bei Moscheen ist Vorsicht
geboten. Bei kleinen Moscheen sollte man die Einheimischen fragen,
auch bei Gebäuden, die architektonisch oder aus sonstigen Gründen
interessant sind und oft eine Moschee beherbergen, was für Fremde
manchmal zunächst nicht ersichtlich
ist, oder erst dann, wenn man Berge
17
von ausgezogenen Schuhen sieht. In den großen,
berühmten Moscheen ist der Besuch von Nicht-Muslimen
geregelt, man darf oft nur in die Innenhöfe, nicht aber in
die Moschee selbst, oder letzteres nur zu Zeiten, in
denen keine Gebete stattfinden, was verständlich ist.
Auch hier kommt es wieder auf die vollständige Bekleidung an, in manchen Moscheen muss man zusätzlich zur
eigenen Kleidung noch lange, wirklich alles verhüllende
Umhänge tragen, die ausgeliehen werden. Auf jeden Fall
müssen die Schuhe ausgezogen werden. In den Wintermonaten können die Marmorfußböden eiskalt sein, man
sollte daher Wollsocken bereithalten (so machen es auch
viele Einheimische). Vor den Moscheen sitzen oft alte,
blinde Männer, dies sind wirklich Bedürftige, die für ein
kleines Almosen dankbar sind. In Moscheen sollte man
nur dann fotografieren, wenn die Einheimischen dies auch
tun. Betende Gläubige darf man nicht fotografieren. Es ist
unbedingt zu vermeiden, zwischen Betenden und der
nach Mekka ausgerichteten Gebetsnische hindurchzugehen. Warten Sie das Ende des Gebetes ab, bevor Sie sich
in der Moschee umsehen!
Fotografieren von Exponaten in Museen und anderen Kulturstätten ist nicht immer erlaubt. Man sollte daher fragen
oder entsprechende Hinweisschilder beachten.
Das für Fotos Gesagte gilt auch für Videokameras, Handys mit Kamera usw.
FAZIT: EINSCHRÄNKUNGEN
TEN UND AKZEPTIEREN.
BEIM
BESUCH
Straßencafé in Luxor, Foto: U. Askari
18
VON
MOSCHEEN
BEACH-
Imam in einer Moschee
Im nächsten Heft
lesen Sie Tipps zu den folgenden Themen:
Westliche Frauen in arabischen Ländern, Gesten und
Mimik. Ferner geben wir Ihnen Literaturhinweise.
www.muslimheritage.com
Ibn Khaldun:
Beobachter seiner Zeit – zeitlos aktuell?
Britta Hecking
In der aktuellen Globalisierungsforschung spielt das Verhältnis des
Lokalen zum Globalen in Wirtschaft, Politik, Kultur und sozialem Leben der Menschen eine
große Rolle. So wie im zwölften
Jahrhundert das Kalifat in lokale
Reiche zerfiel, verliert heute der
Nationalstaat zu Gunsten entterritorialisierter Räume seine Bedeutung. Die Geschichte der Menschheit wird seit jeher vom Ringen
um neue räumliche Ordnungen
und damit verbundener sozialer
Identitäten geprägt.
Auch der 1332 in Tunis geborene
Gelehrte Ibn Khaldun hat sich mit der
Beziehung zwischen gesellschaftlichen Werten, Herrschaft und räumlicher Ordnung beschäftigt. Seit seinem Tode 1407 in Kairo sind 600 Jahre vergangen und dennoch finden
sich in aktuellen wissenschaftlichen
Arbeiten direkte Einflüsse oder Spuren seiner Theorien. Sein Werk
gehört zu den wichtigsten historischen Quellen über Nordafrika im
14. Jahrhundert.
Ibn Khaldun ist zugleich Beobachter
seines Umfelds, Zeuge seiner Zeit
und Wissenschaftler von grenzenund zeitloser Bedeutung. Da er
schon damals - wie die interdisziplinär arbeitenden Globalisierungsforscher heute - Phänomene aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet
hat, wird er oft als Historiker, Politologe, Ethnologe und sogar als Vorläufer
der soziologischen Denkweise bezeichnet. Ibn Khaldun teilt das
Schicksal vieler Klassiker, „indem er
viel gerühmt, aber wenig gelesen
wird.“1
Entsprechend einseitig sind oft die
Beurteilungen seiner Bedeutung als
Wissenschaftler, die ihn je nach Perspektive als bloßes Kind seiner Zeit
unter- oder als universales Genie
überbewerten.
Ibn Khaldun und seine Zeit
Nordafrika - im 14. Jahrhundert aus
geopolitischer Sicht noch nicht der
westlichste Punkt der arabischen Welt
– litt unter dem Hegemoniestreben
kleiner Dynastien, deren Größe und
Dauer meist unbedeutend blieben.
Zahlreiche Machtwechsel und räumliche Zersplitterung bereiteten dem
Aufschwung der Region und dem
Wohlstand ihrer Zivilisation ein Ende.
Die kulturelle Blütezeit hatte ihren
Zenith bereits erreicht und dennoch
gibt es Gelehrte jener Zeit, deren
Ruhm groß genug war, um den Niedergang der Zivilisation, in der sie
gelebt haben, zu überleben. Sie werden heute meistens mit der kulturellen Blütezeit ihrer Zivilisation in Verbindung gebracht. Dazu gehört auch
Ibn Khaldun. Von seiner Geburtsstadt
Tunis aus führte es ihn – für damalige
Verhältnisse - in die weite Welt, nach
Granada, Fes und Kairo. Aufgrund
seiner edlen Abstammung und gut
positionierten Familie bekam er eine
klassische Ausbildung, studierte die
arabische Sprache, den Koran, islamisches Recht, Mathematik, Logik und
Philosophie. Zeitweise war er in
öffentlichen Ämtern als Schreiber,
Staatssekretär und später sogar als
oberster Qadi (Richter) der malikitischen Rechtsschule tätig. Er gehört
also zu jenen, die vom kulturellen
Glanz ihrer Zeit profitieren konnten.
Sein Werk jedoch zeugt schon deutlich vom Untergang dieser glorreichen Epoche: Ausführlich beschreibt
er Entstehen
und Untergehen von „Dynastien“
unter dem Einfluss der Stammesgesellschaften, nicht nur mit Hilfe von
Überlieferungen sondern auch durch
Beobachtung seiner Zeit und seines
Umfeldes Nordafrika. Die Wirren seiner Zeit wirkten sich auch auf sein
eigenes Leben aus. Nur durch seine
diplomatische Begabung gelang es
ihm, im Dienste verschiedener Herrscher und Dynastien tätig zu sein,
ohne dass seine politische Karriere
darunter zu leiden hatte. Als er
jedoch 1357 gegen den Merinidenherrscher Abu Inan, für den er im
Dienst war, intrigierte, musste er für
22 Monate ins Gefängnis.
Der zeitlose Gelehrte
Ob ihn die Unruhen seiner Zeit dazu
veranlasst haben, sich von 1375 1378 auf das algerische Hochplateau
zurückzuziehen, um eine Erklärung
für das Entstehen und Untergehen
von Dynastien zu finden, kann man
nur vermuten. Tatsache ist, dass er in
dieser Zeit engen Kontakt zu den dort
lebenden Nomaden hatte, über deren
soziale Werte und Ordnung er in der
Muqaddima2 ausführlich berichtet.
Er suchte nach einer Erklärung für die
Beziehung zwischen sozialen Werten
und dem Entstehen von Herrschaft
und fand ihren Ursprung im „Zusammengehörigkeitsgefühl unter Blutsverwandten,“ der Urform der asabiyya
(siehe Kasten). Solidarische Gefühle
und Verantwortungsbewusstsein für
Blutsverwandte seien etwas Natürliches unter den Menschen.3 Ibn Khaldun sah darin eine gottgegebene Tatsache, die dazu beiträgt, das Leben
auf der Welt zu regeln.4 Durch das
Zusammengehörigkeitsgefühl wird
19
nicht nur das
Wohl
des
Stammes sondern auch des
tunesische Briefmarke
Einzelnen
gesichert, der ohne Gemeinschaft
nicht überleben könnte.
Auch wenn Stämme über ein so genanntes Stammesterritorium verfügen, dessen Grenzen mehr oder
weniger klar „gezogen“ sind, identifizieren sie sich weniger mit ihrer geografischen Herkunft, als mit der biologischen, der Genealogie. Ihre
Zugehörigkeit zu einem Clan steht
über der individuellen Identität.
„Genealogischen Kenntnissen kam
dabei eine wichtige gesellschaftliche
Bedeutung zu, denn das Aufsagen
der Genealogie diente der eigenen
Identifizierung und stellte gleichsam
eine Art «Ausweis» dar.“5
Ibn Khaldun geht so ausführlich auf
die asabiyya ein, weil er in ihr den
Anzeige
20
„Motor“ der Geschichte sieht. Das
Herrschaftsstreben, das dem Menschen eigen ist, führt ihn zu Eroberungen und Unterwerfungen. Je stärker die asabiyya, umso stärker der
Wille zu erobern. Aus diesem Grund
neigen die Beduinen – die einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn be-sitzen - dazu, Herrschaft zu erwerben
und zu verbreiten. Ist eine Herrschaft
von Bequemlichkeit und Luxus verdorben, wird sie von Herrschaftssuchenden Beduinen mit ausgeprägter
asabiyya angegriffen und erobert.
Ob die Theorien Ibn Khalduns sich auf
die Praxis heutiger Tage übertragen lassen, ist umstritten, da sich die Umstände geändert haben und neue Formen
politischer Herrschaft entstanden sind.
Einflüsse des Clanwesens spielen aber
auch heute noch in der Politik und
Wirtschaft einiger Staaten eine große
Rolle, ebenso wie die Konflikte zwischen Regierungen und Stämmen.
Der Mensch ist in seiner Natur ein
Gruppenmensch. Aus diesem Grund
sucht er immer eine Gemeinschaft,
mit der er sich identifiziert. Wir, die
Familie; wir, die Muslime; wir, die
Araber. Identität bedeutet Gleichheit
zweier Dinge oder Personen. Der
Einzelne sucht eine Gruppe, mit der
er sich identifiziert und durch die er
sich von den Anderen abgrenzt.
Sobald die Gruppe von Anderen
„bedroht“ wird, muss sie den Einzelnen schützen und der Einzelne die
Gruppe.
In den Staaten der arabischen Welt ist
dieses Schutzverhältnis nicht mehr so
gewährleistet, wie es einst in den
Stammesgesellschaften der Fall war.
Das traditionelle, familiäre oder tribale Modell wurde mit den Errungenschaften der Moderne langsam aufgelöst. Gründe dafür sind z. B. das
Sozialsystem, die wachsende Kluft
zwischen den Armen und Reichen,
korrupte und schlecht geführte Regierungen.6 Die Bevölkerung wird
„Ich und mein Bruder gegen meinen Cousin, ich und mein
Cousin gegen den Fremden!“ - Asabiyya
Beduine, Foto: Barbara Schumacher
unterdrückt und ausgebeutet.
Auch diese Situation ist keine neue.
In Ibn Khalduns zyklischem Geschichtsbild finden wir Beispiele aus
der Entstehungszeit des Islam, die
dessen Aufstieg erläutern.
Muhammads Wirken wurde von der
sozialpolitischen Lage in Mekka beeinflusst. Die Mekkaner waren „verweichlicht und vom Luxus verdorben,“ die ursprünglichen Eigenschaften der Beduinen wie Großzügigkeit
waren verloren gegangen, die Masse
lebte in Armut. So gelang es Muhammad, die auf einer geschwächten
familiären asabiyya beruhende Stammesgesellschaft durch eine religiöse
asabiyya zu einigen, zu stärken und
ihren Machteinfluss so zunehmend
zu vergrößern.
Angesichts der aktuellen politischen
Konflikte und sozialen Probleme
scheint es nicht verwunderlich, dass
auch heute wieder die Religion eine
größere Bedeutung für die Identität
der Menschen im Nahen Osten und
in anderen Teilen der Welt bekommt.
Ein Kampf gegen eine ungerechte
Herrschaft, der im Namen der Religion geführt wird, führe aber nur dann
zum Erfolg, wenn Gott die Propheten
In seinen Beschreibungen zur badawa (nomadische/ländliche Kultur) und
hadara (sesshafte/städtische Kultur) in der Muqaddima benutzt Ibn Khaldun
das altarabische Wort asabiyya. In seinem gesamten Werk taucht dieser
Begriff sehr häufig auf. Die Bedeutung verändert sich je nach Zusammenhang.
Schon die verschiedenen Übersetzungen von asabiyya zeigen, dass es sich
nicht um ein eindeutiges Phänomen handelt, das unabhängig von seinem
Kontext betrachtet und analysiert werden kann. Die Wurzel „a – s - b“
bedeutet „sich verbinden, vereinen“. In den verschiedenen Kommentaren
zur Muqaddima wird asabiyya je nach Kontext in Bezug auf soziale Bedeutung als sozialer Zusammenhalt, soziale Solidarität, Stammeszusammenhalt
oder Gemeinschaftsgeist, oder in ihrer politischen Bedeutung als Nationalismus, nationales Bewusstsein oder Patriotismus übersetzt.8 All diese Übersetzungen sind nur teilweise richtig, jedoch ergibt Ibn Khalduns Verwendung der asabiyya eindeutig ein bewegliches, sich veränderndes Konzept,
das nicht zu übersetzen ist.
Während die Urform der asabiyya sich auf einen kleinen Kreis, die engsten
Verwandten bezieht, kann sie, bedingt durch externe Faktoren, ihren Kreis
ausweiten und neue Verbündete in ihre Solidarität einbeziehen: „Ich und
mein Bruder gegen meinen Cousin, ich und mein Cousin gegen den Fremden!“9
Die asabiyya kann je nach Situation wirtschaftlich, politisch oder ideologisch
bedingt sein.
dafür vorgesehen habe,7 so Ibn
Khaldun.
1 Gerd Spittler: Paideuma 48, 2002, S. 261
2 Die Einleitung zu seinem sieben bändigen Geschichtswerk (Kitab Al Ibar) ist als
eingeständiges Werk anerkannt. Ibn
Khaldûn: The Muqaddimah, An introduction to History, übersetzt von Franz
Rosenthal, Princeton University Press,
1967
3 vgl. Muqadimma, S. 9
4 vgl. Muqadimma, S. 98
5 Eva Orthmann: Stamm und Macht, Dr.
Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2002,
S. 218
6 Ahmed Akbar: Ibn Khaldun’s
Understanding of Civilizations and the
Dilemmas of Islam and the West Today,
Middle East Journal, Vol. 56, Nr. 1, Winter
2002, S. 31
7 vgl. Muqadimma, S. 127
8 vgl. Abdelghani Megherbi: Le pensée
sociologique d’Ibn Khadoun, SNED,
Algier 1971, S. 157-159
9 Ali Al-Wardi: Soziologie des Nomadentums, Studie über die iraqische Gesellschaft, Hermann Luchterhand Verlag,
Neuwied und Darmstadt, 1972, S. 84
Literatur
Essad Bey: Mohammed, Komet
Verlag, Köln 2007
Salah E. Humodi: Das islamische
Staatswesen, Studien zur politischen
Struktur zur Zeit Muhammads; Peter
Lang Verlag, Frankfurt am Main 1983
Abdulkader Irabi: Arabische
Soziologie, Studien zur Geschichte
und Gesellschaft des Islam,
Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 1989
Umberto Rizzitano: Mohammed,
Edition Bernd von Nottbeck,
München 1959
Peter von Sivers: Khalifat, Königstum
und Verfall, die politische Theorie Ibn
Khaldûns, Paul List Verlag, München
1968
Infos:
www.welt.de/kultur/article88401/Aufstieg_und_Fall_der_Zivilisationen.html
www.wikipedia.org/wiki/Ibn_Khaldun
21
Ibn Battuta
Ein Weltenbummler
Hussein Gaafar
Ibn Battuta gilt als einer der bekanntesten Reisenden und Verfasser von
Reiseberichten im Mittelalter. Während seiner über 27 Jahre andauernden Reisen legte er insgesamt mehr
als 120.000 Kilometer zurück. Dabei
bereiste er neben Nord- und Ostafrika den Süden des asiatischen Kontinents vom ehemaligen byzantinischen Reich, angefangen in Anatolien
über den persischen Golf bis hin
nach China und auf die Malediven.
Kein Mensch war vor ihm so lange
und so weit unterwegs gewesen.
Dadurch erhielt er in der westlichen
Welt den Beinamen „Marco Polo der
Araber“.
Als Muhammad Ibn Ibrahim Al-Lawati Al Tanji wurde der als Ibn Battuta
bekannte Berber im Februar 1304 im
Norden Marokkos in Tanger geboren.
Seine Familie blickte bis dahin auf
eine lange Tradition als Kadis zurück,
von der auch er sich später anstecken
lassen sollte. Ibn Battuta begann sich
bereits früh für Literatur zu interessieren und studierte später religiöses
Recht, um als Rechtsgelehrter zu
unterrichten.
reisende seine Heimat, um nach
Mekka zu pilgern. Seine erste Station
auf dem Weg dorthin war Alexandria.
Nachdem er sich einen sorgfältigen
Eindruck über das zu dieser Zeit von
den Mamelucken regierte Ägypten
verschafft hatte, ging es weiter in das
ebenfalls unter mameluckischer
Herrschaft stehende Syrien. In Damaskus schloss sich Ibn Battuta einer
Handelskarawane an, die ihn zu den
heiligen islamischen Stätten von
Medina und Mekka brachte. Die Pilgerreise war für Ibn Battuta aufgrund
seiner Glaubenspflicht als Muslim
enorm wichtig. Sie war auf der anderen Seite aber auch für sein erweitertes Weltbild und seine vielen Bekanntschaften mit anderen Menschen, neben Rechtsgelehrten auch
einfachen Händlern, essentiell.
Ursprünglich hatte der tiefreligiöse
Ibn Battuta nicht die Absicht, nach
der Hadsch weiter in den Osten zu
reisen. Doch bereits auf dem Weg
nach Mekka hatte Ibn Battuta den
Drang verspürt, die islamische Kultur
näher erforschen zu müssen. Er reiste
daraufhin weiter in das von den
Mit 22 Jahren verließ der Forschungs- Mongolen besetzte Mesopotamien
und kurz darauf in das Gebiet des heutigen Irans. Im
Anschluss reiste
Ibn
Battuta
wieder nach
Mekka zurück
und hielt sich
dort für zwei
Jahre an verschiedenen
Rechtsschulen
auf. In dieser
Die Reiserouten des Ibn Battuta (grün) im Vergleich zu der des Marco
Polo (rot), www.sangam.org
Zeit erlangte er
22
den Rang eines Scheichs, der ihm bei
seinen späteren Besuchen zugute
kommen sollte. Er brach schließlich
erneut gen Osten auf, dieses Mal bis
nach Hinterindien beziehungsweise
China.
Ibn Battutas Chronologie seiner
besuchten Länder reicht aus, um zu
demonstrieren, zu welchen neuen
Dimensionen er damit der Gattung
der Rihla („Reise“) verhalf. Zu dieser
Zeit konzentrierte sich die traditionelle Rihla vorwiegend auf den Besuch
der heiligen Stätten auf der arabischen Halbinsel.1 Mit seiner unerschöpflichen Wissbegierde begründete er eine bis dahin kaum gekannte Literaturform innerhalb der arabisch-islamischen Welt: die Reiseliteratur.
Sein wohl bekanntestes Werk,
schlicht mit Rihla betitelt, ist eine Aufzeichnung seiner eigenen erlebten
Erfahrungen in den jeweiligen Ländern und ein Präzedenzexempel für
Völkerverständigung und Kulturaustausch.
Während seiner Reisen verlor Ibn
Battuta einige Male seine Notizen, so
dass er diese später aus seinem Gedächtnis heraus nachtragen musste.
Somit ist eine Authentizität seiner
Reiseberichte nicht immer garantiert.
Diese Tatsache darf allerdings nicht
darüber hinwegtäuschen, dass es sich
bei der Rihla um ein besonderes
Werk handelt, das damals in der Reiseliteratur neue und unerreichte
Maßstäbe setzte. Ibn Battuta hält
darin als interessierter Beobachter
akkurat seine Begegnungen mit den
verschiedensten Kulturen fest. Hier
von einer wertfreien ethnologischen
Forschung zu sprechen, wäre sicherlich etwas voreilig,
zumal Ibn Battuta sich nicht die Kritik an unbelehrbaren
Nichtmuslimen oder den Herrschern vor Ort verbieten
lässt. Aber dies war auch nicht sein Anliegen, zumal sich
seine Reisen eher spontan und ohne durchdachte Planungen ergaben. Vielmehr lag ihm daran, nah- und fernöstliche Regionen, die wie etwa Mesopotamien auf eine jahrtausendlange Kulturgeschichte zurückblickten, zu erkunden.
In Indien beispielsweise berichtet er über die mehrheitlich muslimische Bevölkerung, aber auch über die an den
Rand der Gesellschaft gedrängten Götzenanbeter, die in
abgelegenen Dörfern ihren Kult zelebrieren. Auch die
Tyrannei des Sultans Muhammad Schah und seine grausamen Foltermethoden lässt Ibn Battuta hierbei nicht aus.
Im erst kurz vorher islamisch gewordenen Sultanat von
Delhi erhielt der Berber das Amt des Kadis und wurde in
seiner dortigen Amtszeit reich vom Sultan beschenkt.
Dem Sultan lag vor allem daran, so viele islamische Gelehrte und Funktionäre wie möglich einzustellen, um seine Macht zu stärken. Ibn Battuta genoss in dieser Zeit
durch seine Frömmigkeit, Intelligenz und seine Wissbegierde etliche Privilegien an dessen Hof. Er blieb insgesamt sieben Jahre in Delhi und erhielt sogar das Angebot,
als Botschafter nach China zu reisen. Allerdings darf nicht
unerwähnt bleiben, dass Ibn Battuta durch seinen aufsteigenden Ruhm und sein hohes Ansehen gegen Ende seines Aufenthaltes gefährdet war, Opfer von Machtintrigen
zu werden. Der Sultan fürchtete jederzeit um sein Leben
und ließ oftmals Menschen aus seinem Umfeld, die er
willkürlich zu Thronaspiranten deklarierte, ermorden.
Dies
war
schließlich
ein Grund
für Ibn Battutas Weiterreise in den
Osten.
Ibn Battuta wird empfangen von Muhammed ibn
Tughiq, www.sangam.org
Wenn
Ibn
Battuta nicht
Opfer solcher Intrigen
wurde,
so
wurde er im
Laufe seiner
Reisen oftmals Opfer
von Überfällen und Gefangennahmen. Einige
Ibn Battuta, Zeichnung Norman MacDonald, mit freundlicher
Genehmigung von Saudi Aramco World/PADIA
Male entkam er nur knapp dem Tod, doch ließ er sich
davon nicht beirren und setzte seine Reisen konsequent
fort.
Wenn es irgendein Land in der islamischen Welt gab, das
Ibn Battuta nicht ausreichend erforscht hatte, so war das
sicherlich sein Geburtsland. 22 Jahre vor seinem Tod lebte er in seiner Heimat und genoss dort große Ehren. Ibn
Battuta verstarb 1368 oder 1377. Das Todesjahr wird in
der mittelalterlichen arabischen Literatur unterschiedlich
angegeben.
Die Rihla blieb überraschenderweise über Jahrhunderte
hinweg sowohl in islamischen als auch europäischen Kreisen unbekannt. Ab dem 19. Jahrhundert wurde das Buch
schließlich erstmals in englischer Sprache veröffentlicht.
1 The Encyclopedia of Islam. Bearman, P.J.; Leiden Brill. The
Netherlands, 2000
Literatur:
Horst Jürgen Grün (Hrsg.): Die Reisen des Ibn Battuta, Bd.
1 und 2, Allitera Verlag München, 2007
23
Ibn Sina und die arabische Medizin
Ulrike-Zeinab Askari
Alten Quellen zufolge war das Gesundheitswesen um 1000 n. Chr.
bereits so weit entwickelt, wie es in
Europa erst Ende des 19. Jahrhunderts sein sollte. Cordoba verfügte
um diese Zeit über 50 Krankenhäuser, in denen es verschiedene Abteilungen gab, wie die Ambulanz (Poliklinik), in der Kranke behandelt wurden, die nicht stationär aufgenommen werden mussten. Sie wurden
mit einem Rezept versehen, das sie
gleich in der Krankenhausapotheke
einlösen konnten. Des Weiteren gab
es eine chirurgische Abteilung, eine
innere, eine gynäkologische, eine
Augenabteilung. In allen stationären
Abteilungen gab es je einen eigenen
Operationsbereich. Die Kranken bekamen saubere Krankenhauskleidung
und regelmäßige, ausgewogene und
stärkende Mahlzeiten (soweit ihr
Gesundheitszustand dies zuließ). Der
Chefarzt machte regelmäßig morgens
mit seinen Assistenzärzten eine Visi-
te, wobei die Wärter die Verordnung
der Medikamente, eventuelle Diätvorschriften usw. niederschrieben.
Fließendes Wasser in jedem Krankenzimmer war eine Selbstverständlichkeit und die Zimmer wurden während der kalten Jahreszeit geheizt.
Im Jahr 931 gab es in Baghdad 860
Ärzte, beamtete Regierungsärzte
nicht einmal mitgerechnet.1
Im Jahr 999 verfasste Abulkasis (Abu
al-Qasim Khalaf ibn al-Abbas al-Zahrawi, 936 - 1013), sein wichtigstes
Werk: Das al-Tasrif, eine 30bändige
Sammlung medizinischen Wissens,
erörterte Albiruni die Tatsache, dass
sich die Erde um die Sonne dreht,
entdeckte Alhazen (Abu Ali al-Hasan
Ibn al-Haitham, 965 - 1040) die Gesetze des Sehens und experimentierte mit der Camera obscura sowie mit
Spiegeln (sphärischen, zylindrischen
und konischen) und Linsen. Ibn al-
Ibn Sina, Miniatur von Suheyl Unver
Nafis, ein Arzt aus Syrien (1210 oder
1213 - 1288) war der erste Mediziner,
der den Blutkreislauf, genauer den
kleinen Blutkreislauf oder Lungenkreislauf, entdeckte und beschrieb,
ebenso wie die Versorgung des Herzens durch die Koronargefäße.
Außerdem schrieb er Bücher über
Diäten und Augenkrankheiten.
Die Blütezeit der arabischen Wissenschaft und Kultur ist zwischen 1000
und 1200 n. Chr. anzusiedeln, in der
Herrschaftszeit der Abbasiden, die
sich als Förderer von Kunst, Kultur
und Wissenschaft betätigten.
Doppelseite aus dem arabischen Qanun
24
Vor allem wurden an den Höfen der
Herrscher auch die Übersetzungen
wissenschaftlicher Werke aus dem
Griechischen gefördert. Durch den
Handel bis hin nach China (Seidenstraße, Weihrauchstraße usw.) und
die Expansion des Reiches gelangten
auch andere Errungenschaften in das
arabische Herrschaftsgebiet wie etwa
die Herstellung von Papier aus China
oder das kaufmännische Rechnen
aus Indien. So gelangte die Null in
die arabische Mathematik, was wie-
derum den Aufschwung der Naturwissenschaften beschleunigte. Aus
den östlichen Nachbarländern Indien
und China kamen auch deren medizinische Errungenschaften, die auf
eine jahrhundertealten Tradition zurückblickten bis nach Baghdad,
Damaskus, Kairo und in alle anderen
Städte des Reiches. Auf ihrem Weg
nahmen sie noch manche Kenntnisse
aus dem alten Persien auf.
In diesem Milieu und Umfeld wuchs
der junge Ibn Sina (Abu Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina lat. Avicenna) auf. Er wurde 980 in Afshana
bei Buchara im heutigen Usbekistan
geboren. Im Laufe seines Lebens hat
er das damalige Samanidenreich nie
verlassen. Er wuchs in Buchara auf,
wo er als Medicus im Dienst des
Herrschers Nuh ibn Mansur (reg. 976
– 997) das Privileg genoss, dessen
umfangreiche Bibliothek benutzen zu
können. Später verbrachte Ibn Sina
einige Jahre in Ray (nahe dem heutigen Teheran), in Jargan und Qabus,
bis er schließlich nach Hamadan
kam, wo er 1037 starb, ob an Ruhr
oder Darmkrebs ist aus den Quellen
nicht klar ersichtlich.
Bereits im Alter von 21 Jahren schrieb
Ibn Sina sein erstes Buch. Er hat sich
mit Philosophie, Medizin, Theologie,
Geometrie, Astronomie und Meta-
Ibn Sina, http://staff.xu.edu
physik beschäftigt. Manche Quellen
sprechen von 21 Haupt- und 24
Nebenwerken, andere von insgesamt
99 Büchern. Seinen nachhaltigen
Ruhm begründeten allerdings seine
Kenntnisse in der Medizin.
Sein Hauptwerk ist unbestritten der
„Qanun al-Tibb“ (der Kanon der
Medizin), der durch spanische und
lateinische Übersetzungen in Andalusien und Sizilien Verbreitung in ganz
Europa fand, wo er bis ins 18. Jahrhundert als Standardwerk im akademischen medizinischen Unterricht
galt. Es war das erste arabische
gedruckte Buch und erlebte im Laufe
der Zeit mehr als 30 Neuauflagen!
Der Qanun ist auf Arabisch geschrieben und enthält fünf große Schwerpunkte zur Medizin:
1. die Theorie der Medizin (allgemeine Lehre der medizinischen
Prinzipien)
2. eine alphabetische Liste der
Medikamente (über 760!) mit ihrer
Wirkungsweise
3. Krankheiten (nach Organsystemen, mit Pathologie und Therapie)
4. Chirurgie und allgemeine Erkrankungen
5. Herstellung von Heilmitteln
Sensationell ist, dass Ibn Sina bereits
vor 1.000 Jahren die Tuberkulose als
ansteckend beschreibt, dass er betont, dass Krankheiten von Wasser
und Erde übertragen werden können.
Ferner weist er auf die Wichtigkeit
von Diäten und richtiger Ernährung
hin, auf den Einfluss von Klima und
Umwelt auf die Gesundheit und
erklärt die orale Anästhesie in der
Chirurgie. Speziell zum Thema Krebs
rät er, dass krankes Gewebe vollständig zu entfernen sei und zwar so früh
wie möglich!
Aber er berührt auch Themen, die in
die Psychotherapie hineinreichen. So
schreibt Ibn Sina auch über die
Beziehung von Gefühlen und Körper,
speziell von der positiven Wirkung
der Musik auf das menschliche Befinden. Eine weitere Empfehlung dieses
Titelblatt der lateinischen Übersetzung des
Qanun, Venedig 1544, www.incois.gov.in
Universalgenies war das Testen von
neuen Medikamenten an Tieren und
Menschen.
Ibn Sina wird heute noch in Persien
verehrt wie ein Heiliger. In der
gesamten arabischen Medizin gilt er
als einer der größten Gelehrten aller
Zeiten.
1 Sigrid Hunke, Allahs Sonne über dem
Abendland. Unser arabisches Erbe, Fischer
Verlag, Frankfurt a. M., 2001, S. 122
Literatur
Dietrich Brandenburg: Die Ärzte des
Propheten. Islam und Medizin,
Quintessenz Verlag Berlin 1992
Maher Damen-Barakat u. Gert
Baumgart: Arabische Naturheilkunde.
Die besten Therapien aus dem
Vorderen Orient, Goldmann Verlag,
München 2001
Wolfgang F. Reddig: Bader, Medicus
und Weise Frau. Wege und Erfolge
der mittelalterlichen Heilkunst
Erhart Kahle: Avicenna (Ibn Sina)
über Kinderkrankheiten im
Kinderregimen seines Qanun,
Battenberg Verlag, Regenstauf 2000
25
Fundstücke
Louvre Abu Dhabi
Die Kunst des Mega-Deals
hae/dpa/AFP März 2007
Das Emirat Abu Dhabi unterzeichnete im Frühjahr 2007 einen Vertrag mit
Frankreich über eine Louvre-Filiale.
700 Millionen Euro fließen dafür in
die Kassen der grande nation.
Das 24.000 Quadratmeter große
Museum wird unter dem Namen
„Louvre Abu Dhabi“ über einen Zeitraum von 20 Jahren wechselnde
Leihgaben ausstellen. Als Lizenzgebühr dafür erhält Frankreich rund
700.000 Millionen Euro, davon sind
400 Millionen Euro allein für die Nutzung des Markennames „Louvre“.
Der französische Staat stellt für das
geplante Museum auf einer GolfInsel Namen, Fachwissen und Kunstwerke zur Verfügung. Innerhalb von
zehn Jahren nach der Eröffnung des
Museums-Neubaus wird Frankreich
für Ausstellungen im „Louvre Abu
Dhabi“ Kunstwerke zur Verfügung
stellen. Diese sollen aus sämtlichen
Epochen stammen und „die kulturellen Werte“ beider Partner respektieren. Ihre Leihdauer soll jeweils zwei
Jahre nicht übersteigen.
Diese weltweit einzigartige Vereinbarung ist in der Kulturszene heftig
umstritten. Kritiker fürchten vor allem
eine zunehmende Kommerzialisierung von Museen, warnen aber auch
vor religiöser Zensur in dem konser-
Der Louve in Paris, Foto: Courtney Jordan
26
vativen Emirat. In Frankreich protestierte man gegen einen „Ausverkauf
des nationalen Erbes.“
In einer Petition hatten sich 4.650
Unterzeichner, darunter MuseumsExperten, Archäologen und Kunsthistoriker, gegen den Vertrag ausgesprochen. „Die Museen sind nicht zu verkaufen“, betonten sie. Der Präsident
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz,
Klaus-Dieter Lehmann, beklagte, mit
der Niederlassung in Abu Dhabi handele das weltbekannte Pariser Museum „als Unternehmen mit einer klar
definierten Strategie, die Gewinnmaximierung heißt.“
Frankreichs Kulturminister Renaud
Donnedieu de Vabres betonte dagegen, der „Louvre Abu Dhabi“ werde
zum weltweiten „Strahlen“ der französischen Kultur beitragen. Zudem
helfe das Projekt, Touristen nach
Frankreich zu locken. Mit den Einnahmen aus dem Abu-Dhabi-Deal
will der französische Staat unter
anderem die Lagerbestände des Louvre und anderer Pariser Museen
gegen eine mögliche Jahrhundertflut
der Seine sichern. Im Louvre selbst
soll ein derzeit von Restauratoren als
Werkstatt genutzter Pavillon renoviert
werden, um ihn für Gemäldeaustellungen zu nutzen. Der Pariser „Figa-
Teilentwurf der irakischen Architektin Zaha
Hadid, s. Al-Maqam, Nr. 4, 2007
ro“ meint, hätte der Louvre die Gelegenheit nicht ergriffen, dann hätten
dies „Sankt Petersburg, Madrid oder
Wien“ getan.
Der futuristische Gebäude-Entwurf
des Stararchitekten Jean Nouvel wird
bei seiner Umsetzung rund 83 Millionen Euro kosten. Die Bauarbeiten
sollen noch dieses Jahr beginnen und
werden frühestens 2012 abgeschlossen sein.
Die Louvre-Zweigstelle soll, ebenso
wie die 30.000 Quadratmeter große
Dependance des New Yorker Guggenheim Museums, auf der SaadiyatInsel („Insel des Glücks“) gebaut werden. Ein Teil der Insel im Persischen
Golf soll zu einem „Kulturbezirk“
werden. Zusätzlich soll dort ein
Nationalmuseum, ein Seefahrtsmuseum sowie ein Entertainmentzentrum entstehen.
Neben dem Kulturbezirk werden bis
2018 aber auch Luxushotels, Golfplätze, Yachthäfen und Privatvillen
auf Saadijat gebaut. Kritiker befürchten deshalb, der „Louvre in der Wüste“ werde eine Art „Disneyland“Museum.
Musik
Geschichte der arabischen Musik, Teil 3
Das goldene Zeitalter der Abbasiden-Dynastie
Mohamed Askari
Dass eine umfassende Darstellung
der Geschichte der Abbasiden und
speziell ihrer Leistungen im Bereich
Kunst und Kultur nicht auf wenigen
Seiten zu leisten ist, dürfte jedem
Leser klar sein. So ist dieser Artikel
lediglich als Überblick gedacht, der
einige wichtige Eckpunkte und Namen aufzeigen will und einen groben
Umriss zeigt, um damit vielleicht
Appetit auf mehr zu machen.
Wenn wir uns die politische Lage
näher anschauen, stellen wir fest,
dass es mindestens zwei Gründe
gibt, die den Abbasiden zur Machtübernahme verholfen haben. Zunächst der Feldzug der Omayyaden
um 740 gegen Byzanz, der mit einer
Niederlage der Araber bei Akroinos
endet. Dazu kommt, dass der
omayyadische Kalif al-Walid ll. (743 744) ein Dichter und Musiker, ein
Liebhaber von gutem Wein und Frauen war, der sich mit Künstlern umgab. Jedoch war er ein schlechter
Regent. Das führte zu Unruhen und
Aufständen, die schließlich mit der
Ermordung des Kalifen endeten. Es
folgten Machtkämpfe um den Thron.
Wegen der Zunahme der Aufstände,
hatte der Kalif Marawan ll. (744 750) versucht, alle Unruhen niederzuschlagen, um das Omayyadenkalifat in Syrien wiederherzustellen.
Doch die Aufstände begannen erneut
wegen der Unzufriedenheit der persischen Würdenträger (Mawali) und
der arabischen Geistlichen. Um 750
erlangten die Aufständischen den
Sieg über den letzten Omayyadenkalifen Marawan ll. Die Abbasiden richteten unter den Omayyaden ein
furchtbares Blutbad an, und leitete
eine neue Epoche in der arabischen
Geschichte ein.
Der Name der Abbasiden geht
zurück auf al-Abbas ibn Abd al-Muttalib, einen Onkel des Propheten
Mohammed. Die Familie gehörte zu
der Sippe der Haschimiten aus
dem Clan der Qureisch in Mekka.
Diese Epoche lässt sich kulturell
in die zwei folgenden Abschnitte
aufteilen:
Das Goldene Zeitalter 750 - 847
und den Niedergang 945 - 1258.
aus dem Manuskript des Hariri, Staatsbibliothek Wien
Nach der Machtübernahme durch Abu alAbbas, der unter dem
Namen Saffah in die
Geschichte einging, wurde der Regierungssitz
nach Babylonien verlegt
(Anbar, dann nach Hashimiyya,
768
nach
Baghdad), weil Damaskus die Heimat der
Omayyaden war, und
weil die unmittelbare
Nähe zum byzantinischen Reich eine potentielle Gefahr darstellte.
Außerdem war Damaskus zu weit
von Khorasan und Persien entfernt.
Vor allem die Perser hatten den
Abbasiden bei der Machtübernahme
geholfen. Obwohl Abu al-Abbas ein
Despot und Tyrann war, hatte er
trotzdem eine Vorliebe für Kunst und
Kultur. Für ihn gab es keinen Widerspruch zwischen der Musik und dem
islamischen Glauben. Sein Bruder alMansur (754 - 775) gründete 768 die
Stadt Baghdad, die zur Metropole
und zum Mittelpunkt des islamischen
Kulturlebens wurde. Baghdad wurde
ein regelrechter Magnet für Denker,
Musiker (Sänger und Instrumentalisten), Dichter und Wissenschaftler aus
allen Gebieten der Erde.
Der Kalif al-Mahdi (775 - 785), Sohn
des Kalifen al-Mansur, war ein Musikliebhaber. Er wird in den historischen
Quellen als trefflicher Sänger gerühmt. In seinem Palast hielten sich
ständig zahlreiche Musiker auf,
darunter die berühmten Sänger und
Oudspieler Hakam al-Wadi, Seyat,
Ibrahim al-Mausili und Yazid Huraa.
Obwohl der Kalif selbst die Musik
liebte, hat er trotzdem verboten, dass
seine Söhne Harun al-Rashid (786 809) und al-Hadi (785 - 786) mit der
Musik in Berührung kamen. Unter
Harun al-Rashid erlebte die Musikpflege in Baghdad ihren Höhepunkt.
Die Erinnerung an den Glanz des
Kalifen findet später in den Erzählungen von „Tausendundeiner Nacht“
ihren literarischen Niederschlag.
Der Musiktheoretiker Yunus al-Katib
(gest. um 765) stellte das erste „Buch
über die Lieder“ (kitab al-aghani)
zusammen und schrieb das erste arabische Werk über Musiktheorie. Es
wird schon in dieser Zeit sowohl
27
ker, den so genannten Mutazaliten,
die am Hof des Kalifen integriert
waren.
Durch die vielen Übersetzungen
berühmter griechischer Werke ins
Arabische erfuhr die Musik in dieser
Zeit eine weitere Entwicklung auf der
Ebene der Musiktheorie und der
Instrumente.
Die Entlohnung der Künstler durch den Kalifen, um 1335
vokal als auch instrumental musiziert,
die Vokalmusik wird jedoch höher
bewertet.
Im Instrumentarium behauptet die
Laute (Oud) ihre führende Stellung.
Ihre Bünde ergeben die pythagoreische Skala. Die vier Saiten sind in
Quarten gestimmt. Die zweisaitige
Pandora (tunbur) ist das Lieblingsinstrument der Sängerinnen. Außerdem ist die Violine (rabab) verbreitet.
Blas- und Schlaginstrumente sind die
gleichen wie in der Omayyadenzeit.1
Während der Machtübernahme
durch die Abbasiden gab es die erste
Spaltung der politischen Einheit
innerhalb des muslimischen Reiches.
Das Reich spaltete sich zunächst in
zwei Zentren und in der Folge in eine
ständig wachsende Zahl von selbständigen Fürstentümern. In Cordoba
im Westen entstand ein Nebenkalifat,
das eine starke Konkurrenz zu
Baghdad im Osten darstellte.
Es gab mehrere Gründe für die Entstehung der geistigen Blüte oder des
so genannten „Goldenen Zeitalters“
der Abbasiden. Zunächst die persische Unterstützung durch Militär, Ver-
28
waltungsapparat und Politik, die den
Abbasiden zur Machtübernahme
verholfen hatte, zum zweiten die
Konkurrenz von Cordoba und
Baghdad. Viele Künstler und Wissenschaftler waren von Geburt her nicht
Araber sondern zum Islam konvertierte und arabisierte Griechen, Syrer,
Perser, Juden usw.
Die Abbasidenkalifen waren nicht
nur eifrige Förderer der Literatur sondern auch vieler Bereiche der Wissenschaft wie zum Beispiel Astrologie, Mathematik, Philosophie, Musiktheorie usw. Es wurden für diese
Zwecke extra Schulen und Bibliotheken gegründet, unter anderem vom
Kalifen al-Mamun im Jahr 825 das
Bait al-Hikmah (Haus der Weißheit),
eine Art Akademie, in Baghdad.
Baghdad lockte viele Musiker, Dichter und Wissenschaftler aus den verschiedenen Gegenden des Reiches
an und bekam als Stadt einen kosmopolitischen Charakter. Es wurde zum
Mittelpunkt der islamischen Welt.
Hier lebten Nationalitäten aus aller
Herren Länder: Perser, Inder, Griechen, Chinesen usw. Das wurde
unterstützt durch die bestehende
Meinungsfreiheit der geistlichen Den-
Berühmte Künstler und Musiktheoretiker dieser Zeit waren unter anderen
Yaqub ibn Ishaq al-Kindi, 800 - 873,
ein arabischer Philosoph, Wissenschaftler, Mathematiker, Arzt und
Musiker. Er verfasste mindestens sieben musiktheoretische Abhandlungen. Manche davon sind heute in
Berlin, Wien usw. archiviert.
Abu Nasr Muhammad al-Farabi, 870
- 950, der in Europa unter dem
Namen Alfarabius bekannt wurde,
war persischer Arzt, Mathematiker,
Musiker, Mystiker und Philosoph. Er
wurde vor allem durch seine Kommentare zu Aristoteles berühmt.
Sowohl er als auch Abu al-Walid Ibn
Rusd (lat. Averroes), gest. 1198, übten
in Europa einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die christliche
Scholastik aus, die wissenschaftliche
Denkweise und Methode, die in der
mittelalterlichen lateinischsprachigen
Gelehrtenwelt entwickelt wurde.
Al-Farabi hat in seinem Werk kitab almusiqa al-kabir, dem „Großen Buch
der Musik“ keine Notenbeispiele verwendet, wohl aber rhythmische Formeln und Tonleitern. Seine Schrift
über die Wissenschaften wurde in
der lateinischen Übersetzung unter
dem Titel „De Scientiis“ in Cordoba
im Unterricht an den Universitäten
verwendet.
Abu al-Farag al-Asfahani, geb. 897,
verfasste ein Werk mit dem Titel kitab
al-aghani al-kabir, das „große Buch
der Gesänge“ in zwanzig Bänden, mit
Biographien von Dichtern, Komponis-
ten, Sängern und Instrumentalisten
sowie zu Rhythmus und Modus der
Lieder. Sowohl Ibn Sina, gest. 1037,
als auch Safi al-Din al-Urmawi, gest.
1294, stellten in Musiktraktaten die
Teilung der Oktave in 17 Tonstufen
vor.
Ibrahim Ibn Mahan (Maymun) 742 –
804, der unter dem Namen Ibrahim
al-Mausili bekannt ist, wurde in Kufa
im Irak geboren und wuchs in alMausel auf. Er stammte ursprünglich
aus einer persischen Familie und
lernte die Kunst des Gesangs bei
einem persischen Meistersänger.
Ibrahim al-Mausili wurde einer der
bevorzugten Sänger beim Kalifen
Harun al-Rashid, der ihn übertrieben
gut belohnte, was zu großer Eifersucht bei Kollegen wie Ibn Gamee
führte. Al-Mausili wurde sehr reich.
Er bekam ein monatliches Gehalt
von 10.000 Dirham vom Kalifen, 24
Millionen Dirham in Silber als Ein-
nahme aus seiner Schule und viel
mehr aus anderen Quellen wie
Grundstücken. Er war ein begnadeter Komponist, der über 900 Kunstgesänge2 schrieb. Er war ein hervorragender Oudspieler, Sänger und
Musiktheoretiker.
Seine Schüler waren unter anderem
sein Sohn Ishaq al Mausili, 767 850, Mukhareq, Abu Sodfah,
Mo-hammad ben al-Hareth und
Zalzal (gest. 791).
Abu al-Hassan ben Nafi, gest. 960,
unter dem Namen Ziryab bekannt,
war Sänger, Dichter und Oudspieler.
Ziryab siedelte 822 von Baghdad
nach Cordoba, Spanien um. Dort
hieß ihn der Prinz Abd al-Rahman ll.
willkommen. Er stellte den Ruhm
aller bisher in Spanien wirkenden
Musiker in den Schatten. Ziryab führte in Andalusien, ähnlich wie al-Kindi
im Osten, die fünfte Saite der Laute
ein. Er gründete eine Musikschule,
die sich bald von
den Fesseln der
traditionellen arabischen Schule
des Ostens befreite und die Keimzelle für die spätere andalusische
Musik
bildete.
Dort entwickelte
er neue didaktische Methoden,
um den Gesang
zu lehren.
Eine der wenigen Darstellungen von arabischen Musikinstrumenten:
Hier der Erzengel Gabriel mit einer Posaune.
Im Bereich der
Musik ist dies
u. a. auf das Wirken des Musikers
und Dichters Ibrahim al-Mahdi in
Baghdad
im
Osten zurückzuführen, der nach
Erneuerung der
arabischen Musiktradition
des
Higaz strebte. In
Cordoba im Westen arbeitete Ziryab
unter den Omayyaden eifrig an der
Entwicklung und Erneuerung der
damaligen Musik weiter. Im 11. Jahrhundert wurden in Andalusien Werke
arabischer Philosophen und Musiktheoretiker ins Lateinische übersetzt.
Die Oud (Laute) hatte immer eine
führende Stellung. Ihre Bünde sind
nach pythagoreischer Skala angeordnet. Die vier Saiten sind in Quarten
gestimmt. Ziryab hat die fünfte Saite
hinzugefügt. Die Oud hat der europäischen Laute nicht nur die Form
sondern auch den Namen gegeben.
Der Korpus ist aus dünnen Holzstreifen zusammengesetzt und hat eine
Decke mit drei Schalllöchern. Sie ist
meistens in E, A, D, G, C, F gestimmt.
Ein Vorläufer der Oud ist die Kuitra
(griech. Kithara), etymologisch verwandt mit der Gitarre. Sie wird in der
arabischen Welt heute noch als
„andalusische Kurzhalslaute“ (Kuitra)
bezeichnet, ein Hinweis darauf, wie
die islamische Hochkultur in Spanien
von 711 bis 1492 die heutige arabische beeinflusst hat. Da die Kuitra
heute eine untergeordnete Rolle hat,
spielt sie keine Soli.
Die Musik wurde sehr gepflegt. Im
Westen bildete sich eine neue,
typisch spanische lyrische Kunst. Die
arabische Dichtkunst übernahm neue
strophische Formen, welche an Oden
oder Balladen der Renaissance erinnern. Mit diesen beiden Formen veränderte sich auch die musikalische
Metrik grundlegend. Die alte Ballade
der Araber war auf eine lange Reihe
von Versen gleicher Struktur und gleicher Länge aufgebaut. Die melodische Phrase war also sehr beengt. Bei
der Berührung mit den Persern und
den Byzantinern wurde diese Einförmigkeit belebt. Ibn Muhriz (gest. 715)
erweiterte die Phrase auf zwei Verse
(a, a, b, a). Dieses klassische Schema
existiert noch heute in der arabischen
Musik.
29
Was sind die Grundlagen der
arabischen Musik?
Sprache und Musik sind in der arabischen Musik seit jeher eng miteinander verknüpft. Das Singen ist ein zentrales Element dieser Kunst. Der
Koran, das heilige Buch der Muslime,
wird gewöhnlich öffentlich laut rezitiert, wobei man sich der Melodiemodelle der traditionellen arabischen
Musik bedient. Gebetsrufe und religiöse Lieder in der islamischen Musik
nutzen das musikalische System, betonen den Text jedoch ähnlich wie
bei der Koranrezitation.
Die arabische Musik ist eine primär
modal bestimmte Kunst. Die Melodik
ist an formelhafte, traditionelle Strukturmodelle gebunden. Die Melodien
werden aus einer großen Vielzahl
von Melodiemodellen, den so genannten Maqamat (Singular: Maqam), gebildet. Unter den strukturgebenden Parametern der arbischen
Musik herrscht die Melodie vor.
Dadurch hat der Musiker einen gro-
ßen Spielraum für kreative Improvisationen. Meistens steigert sich die
Improvisations-Freudigkeit des Solisten bis zur Heterophonie mit anderen in kleinen Gruppen, die voneinander Abweichendes der gleichen
Melodie ausspinnen. Oft bestimmt
die Resonanz des Publikums die Art
und Weise wie ein Musiker seine
Improvisation darbietet. Der Zuhörer
ist ein aktiver Teilnehmer der Aufführung, der die Dauer der Darbietung
mitbestimmt und das Musikstück
sozusagen mitformt.
Der Tonraum wird definiert durch
einen Qarar (Grundton) und verschiedene weitere Töne. Die Benutzung dieses Tonmaterials in unterschiedlicher Ausführung führt zur
Darstellung bestimmter Gefühlstimmungen. Durch diese Vortragsart
kann ein Stück, das nur zehn Minuten lang ist, leicht bis zu einer Stunde
ausgedehnt werden und beim Publikum bestimmte Gefühle hervorrufen.
Diese Gefühlsausbrüche und dieses
„Bewegt-Sein“ kann dazu führen,
dass die Zuhörer während einer
Interpretation eines Stückes spontan
aufspringen und dem Musiker laut
und voller Emotionen zujubeln. Diese Emotion nennt man im Arabischen
Tarab, das ist die Freude, die man
beim Musikhören verspürt. Ghina
(Gesang) und Tarab bestimmten das
Musikleben und die Musikpflege der
Araber seit Beginn der Musikgeschichte bis in die Gegenwart. Der
Intensitätsgrad des Tarab hängt in erster Linie von der Stimme und der
Vortragsweise des Sängers ab. Meistens erklingen alle Instrumente inklusive des Gesanges in einem arabischen Orchester zusammen in derselben Melodie, aber jeder umspielt
sie ganz individuell.
Die klassische Musik des Nahen und
Mittleren Ostens wird mit dem Begriff
Maqam-Musik bezeichnet. Maqam
bedeutet wörtlich Ort oder Rang.
Maqamat sind in der Musik Tongattungen, die durch die Definition der
Töne und einen bestimmten Melodieverlauf die jeweilige Tonart ergeben. Ein Maqam setzt sich aus einer
Tonleiter und einer kompositorischen
Melodiestruktur zusammen. Eine gelungene Darbietung eines klassischen
Maqam-Stückes erfordert ein hohes
Maß an Einfühlungsvermögen des
Musikers in Bezug auf die Komposition, wie auch die Stimmung der Zuhörer. Der kreative Umgang mit den
Strukturen innerhalb eines Maqam
wird in Improvisationen, Taqasim,
zum Ausdruck gebracht.
Fortsetzung im nächsten Heft
1 Farmer, Musikgeschichte in Bildern,
S. 145
2 Abu al Farag al-Asfahani: Buch der
Gesänge, Seite 5 - 176
Literatur
drei arabische Weise - dargestellt durch den Reif um den Kopf
30
Henry Georg Farmer: Musikgeschichte in Bildern, Bd. III, 2, Islam, 1966
Al-Farabi - ein Universalgenie
Mohamed Askari
Baghdad gekommen ist. Dort studierte er Logik bei Yuhanna ben Haylan,
einem christlichen Anhänger der
griechischen Schule Alexandrias.
Geldschein aus Kasachstan mit dem Konterfei
von Al-Farabi
Über die Herkunft des Mathematikers, Arztes, Mystikers, Musikers und
Philosophen Abu Nasr Mohammed
Ibn Mohammed Ibn Tarkhan al-Farabi (870 - 950) bieten weder die
schriftlich-dokumentarischen noch
schriftlich-erzählenden Quellen eindeutige, nachweisbare Fakten. Es
herrschen zwei Hauptmeinungen:
Die erste, al-Farabi sei persischer
Abstammung, die zweite behauptet,
dass Al-Farabi türkischer Herkunft sei.
Bis heute wird immer noch über seinen Geburtsort gestritten. Alles, was
man mit Sicherheit weiß, ist, dass er
als Knabe mit seiner Familie nach
Al-Farabi galt schon vor Ibn Sina (s. S.
24f.) als der bedeutendste islamische
Philosoph. Der Sohn eines Generals
wurde vor allem durch seine Kommentare zu Aristoteles berühmt. Das
Universalgenie al-Farabi befasste sich
mit den griechischen Wissenschaften
der Philosophie und Naturwissenschaft und beschäftigte sich mit
Logik, Ethik, Politik, Mathematik, Philosophie und Musik. Er verfasste
eigene psychologische und metaphysische Abhandlungen und gehört mit
zu den herausragendsten Denkern
des 10. Jahrhunderts. Er gilt als der
größte Theoretiker der islamischen
Musikgeschichte. Sein kitab al-musiqi
al-kabir gilt als umfassendste Schrift
der islamischen Musiktheorie und
Musiksystematik. In seinen Schriften
zur Musik verband er
seine detaillierten
Kenntnisse als ausübender
Musiker
und seine sachliche
Präzision als Naturwissenschaftler mit
der Logik der Philosophie.
Illustration aus dem Kitab al-musiqi al-kabir, ein „sah-rud“
genanntes Musikinstrument, nach: H. G. Farmer, Musikgeschichte
in Bildern
Zu seinen berühmtesten Schriften gehören das „Siegel der
Weisheit“ (Fusus alHikam) und die Abhandlung über die
Idealstadt (Risala fi
Ara Ahl al-Madinat
al-Fadila). In dieser
wissenschaftlichen
philosophisch-sozilogischen Abhand-
al-Farabi, www.levity.com
lung stellt er die musterhafte Gesellschaftsordnung einer von Weisen
regierten idealen Gemeinschaft dar.
Die Abhandlungen al-Farabis sind
mystisch angehaucht, von sufischem
Geist erfüllt. Seine Lehren fußen auf
der gedanklichen Einheit der Philosophie. Ob die philosophischen Systeme von Aristoteles oder von Platon,
für ihn waren sie nur verschiedene
Ausdrucksformen ein- und derselben
Wahrheit. Der Hauptverdienst alFarabis war, dass er als Erster der arabischen Welt die Lehren der griechischen Philosophie erschloss. Er
übte einen starken Einfluss auf die
Scholastik aus.
Eine Auswahl seiner Schriften zur
Musik:
Kitab ihsa al-iqaat
Buch der Klassifikation der Rhythmen
Kitab fi-l-iqaat
Buch über Rhythmen
Kitab ihsa al-ulum
Buch über die Einteilung der Wissenschaften
Kitab al-musiqa al-kabir
Das große Buch der Musik
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Orientalismus
Das Lächeln der Odaliske, Teil 2
Ansichten über „Orient-Malerei“
Svetlana Georgieva
Die künstlerischen Mittel, die persönliche Beziehung zum
Orient darzustellen, sind denkbar vielfältig. Grundsätzlich
besteht keine Schule der Orientmalerei. Die Bilder sind
weniger stilistisch als inhaltlich miteinander verwandt.
Schauen wir uns die „Odalisken“ von Jean-AugusteDominique Ingres, Eugène Delacroix oder Pierre-Auguste
Renoir an: Es handelt sich dabei um drei berühmte Orient-Bilder mit gleichem Thema. Doch stilistisch unterscheiden sie sich fundamental. Jedes von ihnen ist einer
anderen Schule zuzuordnen. Die leidenschaftliche,
„unfertige“ Malweise Delacroixs steht in scharfem Kontrast zur ruhigen, kühlen, liniengenauen und additiven
Gestaltungsweise bei Ingres.
Ihren Höhepunkt erlebte die Orient-Malerei im 19. Jahrhundert. Die Anfänge reichen bis zum Exotismus der Antike zurück. Im 15. Jahrhundert wuchs das Interesse an der
Darstellung orientalischer Themen. Für viele Maler des
18. und 19. Jahrhunderts wie Gérôme, Chassériau, Gaugin, Delacroix und Ingres bot der Orient als Modell bzw.
als Projektionsfläche eine Möglichkeit, sich von klassischen Schönheitsidealen und Normen zu distanzieren
und zu befreien. Den gemäßigten und geordneten Vorstellungen der Antike wurde eine eher maßlose Schönheit entgegengesetzt. Selbst Ingres Odaliske, die als Sinnbild des Formvollendeten gilt, weist keine perfekten Proportionen auf. Der ins Auge fallende, schwungvoll gebogene Rücken ist aus anatomischer Sicht mindestens drei
Wirbel zu lang. Aus künstlerischer Sicht trägt diese Überlänge zu einer Verschiebung des Perfekten, Genormten
ins Absonderliche bei.
Andere Maler bedienten sich eines großzügigen Farbeneinsatzes und stellten vor allem Frauen in unverschämt
unbefangenen Positionen dar. Die Hingabe an sinnliche
Genüsse wie Schmecken, Duften, Lauschen oder Zusehen diente oft als Grundthema der Bilder und infizierte
die Vorstellungskraft der europäischen Betrachter.
In einem ständigen Wechselspiel mit westlichen Modeströmungen können unterschiedliche Phasen des Schaffens in der bildenden Kunst beobachtet werden. Im 18.
Jahrhundert waren die „Turquerien“ besonders beliebt,
während die „Ägyptomanie“ im 19. Jahrhundert tonangebend war. Andere Phasen waren wiederum eher persisch, indisch oder chinesisch gefärbt. Je nach dem
Geschmack der Zeit entwickelten sich neue Stile und
Techniken. Zum Anbruch des 20. Jahrhunderts floss die
sinnlich aufgeladene Orientmalerei in den verschnörkel-
32
Jean-Auguste-Dominique Ingres: Odaliske,
1814
ten Jugendstil ein
und wurde von dort aus verstärkt für Werbezwecke eingesetzt.
Eine Vielzahl der Werke haben die Vorliebe für Farben,
das romantische Verweilen am Detail – die Borte eines
Kleides, das Muster auf Teppichen und Mosaiken, der filigrane Schmuck der Frauen, flüchtige Gesten, Gebrauchsgegenstände, Architektur usw. - sowie das Auffangen von
Licht auf der Leinwand gemeinsam.
An der Schwelle zwischen Romantik und Impressionismus
rückt die Stimmung der Szenerie immer mehr in den Vordergrund. Der Übergang wird bei Eugène Delacroix deutlich vernehmbar. Wegen der Lebhaftigkeit seiner Vorstellungskraft und seines großzügigen Umgangs mit den Farben gilt er als Wegbereiter des Impressionismus. Die
Gemälde, die er im Pariser Salon ausstellte, erregten die
Gemüter. Kritiker empörten sich über seine unkonventionelle Art und malerische Exzessivität.
Nach den Impressionisten Renoir und Manet ließen sich
auch Avantgardisten wie Matisse, Kandinsky und Macke
vom exotischen Sujet faszinieren, wobei das Formale
Jean Pierre Simonet: Females on the terrace, 1870
gegenüber dem Inhaltlichen an Bedeutung gewann.
Aufgrund der politisch-gesellschaftlichen Umstrittenheit
fiel die ästhetische Wirkung der Bilder kaum ins Gewicht.
Mittels ihrer lauten Farbigkeit und unerhörten Szenarien
fesseln sie das Auge. Unendlich Filigranes lädt ein zum
Verweilen und Eintauchen in eine Welt, die anders ist. Auf
ihre verspielte Art lassen sie den Betrachter unendlichen
Märchen und Geschichten folgen. Anhand des Hintergrundes – Himmel, Wüste, Mauer, Diwan usw. – und mittels feinster Nuancierung des Lichtes werden, wie von
Zauberhand, zarte Stimmungen auf die Leinwand
gebannt. Kräftiges Rot, schillerndes Gelb und glänzendes
Braun lassen die Bilder erstrahlen.
Und doch gelingt es den üppigen Gemälden wohl kaum,
den Betrachter in emotionale Ergriffenheit zu versetzen.
Schauen wir uns noch einmal Ingres Odaliske an. Thematisch könnte die Dame einen Harem bewohnen oder
einem Märchen aus „1001 Nacht“ entspringen. Bei aller
Sorgfalt der Linienführung, der reinen Form, der sensiblen
Hell-Dunkel-Verteilung und der Liebe zum Detail wirkt sie
gewissermaßen uninteressiert, zwar echt, doch unwirklich. Trotz der Darstellung eines enthüllten, weiblich
gerundeten, zart leuchtenden Körpers und den verspielten türkischen Accessoires lässt das Bild keinen Hauch
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von Sinnlichkeit verspüren. Alles nur leere
Versprechungen? Die
Bilder spielen mit den
Erwartungen
der
Zuschauer. Ein Bild ist
niemals nur ein AbBild. Es spiegelt nicht
nur das Verhältnis des
Malers zum Objekt seiner Begierde sondern
auch den Bezug des
Betrachters, der es aufgrund seines Wissens
und Empfindens beurJohn Singer Sargent: Fumée d’Ambre
teilt.
Gris, 1880
Womöglich lag es an
der farbigen Fülle, an
der Progressivität der Fleischlichkeit, an dem dargestellten
Überschwang, dass die Orient-Bilder als bunter Kitsch
belächelt wurden. Durch das Fehlen des Anspruchs, den
Betrachter zu berühren, wurden die Bilder vermutlich
leicht als Phantasmagorien abgestempelt und die Bedeutung hoher Kunst abgesprochen. Moralisierende Tendenzen prägten den öffentlichen Geschmack und ließen den
Blickwinkel schrumpfen.
Hand in Hand mit dem Orient-Boom der letzten dreißig
Jahre ist in Westeuropa das Interesse an den Orient-Bildern gewachsen. In einen neuen, durchaus zugespitzten
Kontext gestellt, erfahren die Bilder eine Aufwertung, die
sich nicht nur auf das Dargestellte bezieht sondern auch
die Art und Weise, die Ausdrucksstärke und Wirkung der
Bilder mit einbezieht.1 Die Betrachtungsweise wird dabei
sowohl von einer kritischen Sicht als auch von einem Fasziniert-Sein getragen.
1 Wolf-Dieter Lemke: Staging the Orient. Beirut, 2004
Literatur
Hélène Gill: The Language of French Orientalist Painting (=
Studies in Art History; Vol. 6), Lewiston, Edwin Mellen Press,
New York, 2003
Gérard-Georges Lemaire: Orientalismus. Das Bild des
Morgenlandes in der Malerei. Ullmann/Tandem,
Königswinter 2005, ISBN 978-3833135774
Infos
www.orientalist-art.org.uk
www.alloilpaint.com/orientalist/p1.htm
www.evelinapapazova.com/pageit.php?P=119&SP=121
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Veranstaltungen
Kreativität und Experimentierfreudigkeit
Orientshow vermittelt die Lebensphilosophie des Orientalischen Tanzes
Text: Ines Hofmann
Klangsprache des Stepptänzers
Sebastian Weber, wofür es begeisterten Beifall gab.
Nashira; Foto: © Bernd Koschay
Die Show „Superstrass - Bauchtanz
vom Feinsten“ zog im Juli die Leipziger Zuschauer in ihren Bann. Vor der
außergewöhnlichen Kulisse des alten
Filmtheaters UT Connewitz nahmen
nationale und internationale Tänzerinnen das Publikum mit auf eine Reise durch den Orient. Von klassisch
indischem Bauchtanz über Gypsy bis
zum modernen Schleiertanz reichte
dabei das Repertoire. Traditionelle
Tänze wurden mit anderen klassischen Tanzformen und modernen
Elementen verknüpft, Klischees wurden bewusst aufgebrochen, angestaubte orientalische Rhythmen
durch moderne Rock- und Popmusik
ersetzt, die Tänzerinnen durch ein
auf Leinwand ausgestrahltes Videoprojekt in Szene gesetzt. So wurden
die Showbeiträge zur zeitgemäßen
Tanzkunst, die auch szenefremde
Zuschauer begeisterten.
Gleich zu Beginn gab es ein tänzerisches Highlight: Die Leipzigerin
Mohini begann die Orientreise mit
einem Mohiyattam aus Indien, der
das Publikum bezauberte. Inayah aus
Magdeburg, Nisrin aus Chemnitz und
die Berlinerin Shalymar El Amar zeigten mit einem Trommelsolo, dem
Shamadan und klassischer Routine,
wie facettenreich und phantasievoll
der orientalische Tanz ist. Die Initiatorin der Show, die Leipziger Tanzikone Natalie, improvisierte zur
34
Ihr folgte der Weltraumtänzer Axel
Schwemmer, der einzige Mann der
Show, der sich mit seinem Auftritt keineswegs hinter den Frauen verstecken musste. Gemeinsam mit Natalie
präsentierte er eine „Schleierhaftmoderne Liebestragödie“ – eine Choreographie, die Farben, Licht und
Musik zu einer getanzten Liebesgeschichte verschmelzen ließ. Die Leipzigerin Lina und Nashyra aus Frankfurt überzeugten die Zuschauer mit
klassischer Routine und einem Trommelsolo mit Isis-Flügeln. Das Duo
Hayal nahm mit seiner Darstellung,
die insbesondere durch augenzwinkernde Komik glänzte, das Publikum
gefangen und erhielt stürmischen
Applaus. Dieser hielt an, bis die
Offenbacherin Eliana ihr Tribal Fusion
beendet hatte.
Unbestrittener Star des Abends war
Petite Jamilla, Ensemblemitglied der
„Bellydance Superstars“, deren Show
in den USA bereits mehr als eine halbe Million Zuschauer besuchten. Mit
ihren ausgefeilten Choreographien
bewies sie, dass sie zu Recht zu den
Superstars der Bauchtanzszene gehört.
Dinge zeichneten die Show dabei
aus: Zum einen die Kreativität und
Experimentierfreudigkeit, mit der
Natalie die Veranstaltung realisierte Videokünstler projizierten die Tänzer
auf Leinwand, Tänze verschiedenster
Stilrichtungen wurden verbunden
und mit modernen Elementen und
Licht neu inszeniert. Zum anderen
überzeugte die Show durch die hohe
Professionalität der Tänzerinnen und
Tänzer, von denen die meisten eine
jomdance-Ausbildung absolvieren
bzw. bereits abgeschlossen haben (s.
Al-Maqam 2/2006).
Der Abend machte dem Publikum
deutlich, dass orientalischer Tanz viel
mehr ist, als eine Abfolge ästhetischrhythmischer Bewegungen: Er vermittelt eine Lebensphilosophie, erzählt Geschichten und weckt Emotionen. Genau diese Faszination sprang
auf das Publikum über.
Die insgesamt vierzehn Tänzer demonstrierten an diesem Abend, dass
der orientalische Tanz auch hierzulande ein hohes Niveau erreicht hat
und inzwischen zu einer eigenständigen Kunstform geworden ist. Zwei
Ines Hofmann
hat in Leipzig gerade ihr
Journalistikstudium abgeschlossen
und tanzt selbst.
Nashira, Foto: © Michael Ehritt
Fantasia Orientale
Orientalische Impressionen aus Hamburg
Text und Fotos HFJ Möller
Im Oktober 2007 präsentierte die
1001 Nacht Event Agentur im DelphiShowpalast in Hamburg einen abwechslungsreichen Abend aus dem
Morgenland.
Eingeladen hatte Magdy Rezkalla die
Tänzerinnen Shahrazad und Joumana sowie Zarefah und Shammadan
aus Hamburg, ferner den Derwischtänzer Shinouda. Eingebettet waren
die Tänze in eine Geschichte von
Magdy über „die Menschwerdung,“
erzählt von Christa Hopf und eindrucksvoll untermalt von Adam Saidani mit Oud und Geige.
Zu Beginn der Darbietungen kam das
Licht auf die Erde. Die Szene war
ganz in Gold gehalten, im Hintergrund zwei Tänzerinnen als Engel mit
ausgebreiteten Isis-Flügeln, im Vordergrund Shammadan, die einen
mystischen Leuchtertanz mit vielen
feinen Shimmis und Akzenten zeigte.
(Die Interpretation des Lichts, der
Choreographie Magdy Rezkalla.)
Es folgte der „Schlag der Herzen.“
Stargast Shahrazad versinnbildlichte,
untermalt von afrikanischen Trommeln, mit ausdrucksvollen Armbewe-
Shammadan
Zarefah
gungen und Körperkontraktionen sowie ausgeprägten
Beckenbewegungen, den Herzschlag. Als Gegensatz dazu der Auftritt von Joumana, die uns als Göttin
Hathor ins alte Ägypten entführte
und die Entstehung der Liebe dargestellte. Das nächste Bild malte Zarefah mit einem fröhlichen TamburinTanz, hierbei verfehlte ihr strahlendes
Lächeln – so auch das Thema – seine
Wirkung nicht. Ausdrucksstark Shahrazad mit dem „Lüften der Schleier
von unseren Sinnen.“ Hierbei wurden
nacheinander sieben Schleier abgetanzt.
Der Mensch fand dann „die Musik als
gemeinsame Sprache.“ Joumana
spielte in ihrem temperamentvollen
Tanz – teilweise mit Zimbeln – mit
dem Publikum. Bevor das Publikum
in die Pause entlassen wurde, wurde
es voll auf der Bühne. Antar, das tanzende Pferd, Shinouda als Stocktänzer und Magdy als Omda, ägyptischer Bürgermeister mit Stock, der
sich kaum auf den Beinen halten
konnte und beim Tanzen öfter stürzte
und sofort wieder aufstand, brachten
das Publikum zum Lachen.
Nach der Pause eröffnete Zarefah mit
einem wunderschönen Schleiertanz nach der
Choreographie
von Magdy Rezkalla und führte
uns ins Reich
der
Träume.
„Wie ich mir die
Welt erträume“
war der Titel.
Später zeigte sie
ihr
Temperament mit einem
Zimbeltanz.
Weitere Statio-
nen der Menschwerdung zeigte Joumana mit einem Shaabi und einem
klassischen Tanz.
Shammadan tanzte nach Choreographien von Magdy Rezkalla einen
Melaya Leff und später einen Balady
im typischen Kairoer Stil. Shahrazad
zeigte uns „die Welt hinter der Welt.“
Der etwas mystische Tanz wurde
durch die leuchtfarbenen Flächen auf
dem Rock eindrucksvoll unterstrichen. Ebenfalls ausdrucksstark waren
ihr Hagalla, mit dem Thema „Weg zur
Liebe“ sowie ihr klassischer Tanz.
Beendet wurde der Abend mit Shinouda, der einen Tanoura, ebenfalls
choreographiert von Magdy Rezkalla,
zeigte. Endlich durfte er auf der Bühne sein Können zeigen. Es war ein
Tanz mit einigen ausgefallenen und
überraschenden Elementen. Eindrucksvoll sein Sprung von der Bühne, bei dem er seinen schweren Rock
über dem Kopf drehte.
Insgesamt war es ein gelungener,
bunter Reigen, der uns viele Facetten
des orientalischen Tanzes näher
brachte. Das Publikum war durchweg
begeistert. Nach der Show konnte
noch bis 3 Uhr in der Früh auf und
vor der Bühne zu orientalischer
Musik bei der After-Show-Party gefeiert und getanzt werden.
HFJ Möller
ist Orient-Liebhaber und bereiste
viele Male Ägypten und die Türkei.
Er begann bereits vor vielen Jahren,
Berichte und Fotos über seine Reisen
sowie über seine Besuche von kulturellen Veranstaltungen zu verfassen.
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Literatur
Das Neueste von 1001 Nacht
Interview mit der Übersetzerin Dr. Claudia Ott
Das Interview führte Christian M. Jolibois
Al-Maqam:
Woher stammt 1001 Nacht?
Dr. Claudia Ott: 1001 Nacht ist ein
zeitloses Werk der Weltliteratur, das
durch zwei Kulturen gewandert ist,
bevor es in der arabischen ankam.
Es entstand in Indien und gelangte
über Persien durch Übersetzungen
im 8. Jahrhundert in die arabische
Literatur. Dann, viele Jahrhunderte
später, löste die Übersetzung aus
dem Arabischen ins Französische
einen Orientboom in Europa aus.
Schließlich kam es, als Re-Import
sozusagen, wieder in die arabische
Kultur zurück. Erst danach erhielt das
Werk auch in der arabischen Welt die
ihm gebührende Wertschätzung. Das
Werk hat eine über 2000-jährige
Geschichte hinter sich.
Wie kamen Sie als Übersetzerin
zu 1001 Nacht?
Ich glaube, dass es schicksalhaft war.
Der Auftrag ereilte mich nach meiner
Doktorarbeit. Ich wollte unbedingt
noch orientalische Musik studieren
und bin deswegen nach Kairo gegangen. In dieser Zeit bekam ich die
Anfrage, ob ich nicht dieses große
Werk übersetzen wolle. Ich habe die
Herausforderung angenommen und
dann drei Jahre täglich daran gearbeitet.
Bereits davor hatte ich Gedichte
übersetzt von denen einige veröffentlicht wurden. Meine Dissertation
behandelt arabische Epik, die von
Berufserzählern als Geschichten vorgetragen werden. Über einen solchen Erzähler habe ich gearbeitet.
Die Werke, die er vorlas, habe ich bis
zu den ersten Manuskripten zurückverfolgt. Daraus ist meine Dissertati-
36
on entstanden. Aufgrund dieser
Arbeit wurde ich als Übersetzerin
vorgeschlagen. Die Dissertation trägt
den Titel Metamorphosen des Epos
und beschreibt wie diese Riesenwerke entstanden sind, sich in den verschiedenen Handschriften weiterentwickelten und schließlich von den
Erzählern heute vorgetragen werden.
Dieses Changieren zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit bei der
Überlieferung der Werke ist das Thema meiner Doktorarbeit.
Was ist das Besondere an Ihrer Übersetzung von 1001 Nacht?
Es ist die erste deutsche Übersetzung
der ältesten bekannten Handschrift
von 1001 Nacht. Vieles daran ist
anders als an früheren Übersetzungen. Insbesondere betrifft das die
Überschriften. Früher bezeichnete
man das Werk als die „unterhaltsamen und merkwürdigen“ Geschichten aus 1001 Nacht. Für mich stand
dabei die Haltung und Sichtweise des
Königs Schahriyar im Vordergrund.
Schahriyar musste immer neugierig
auf die Fortsetzung der Geschichte
bleiben. Jede musste so spannend
und aufregend sein, dass er Schahrasad nicht töten ließ. Diese Spannung
habe ich in den Vordergrund gestellt
und deshalb sind es für mich „Die
spannenden und aufregenden“ Geschichten aus 1001 Nacht.
Claudia Ott, Foto: © Ulrike Schmidt-Parusel
wie beispielsweise in dem Gedicht
Die männliche Schönheit
Die Schönheit selbst sollte sich
mit ihm vergleichen,
Da blickte die Schönheit
beschämt auf die Knie.
Man fragte: „Hast du, liebe
Schönheit, schon einmal ...“
Sie sagte: „ ... solch einen gesehen? Noch nie!“
Was ist an der 9. Auflage Ihrer 1001
Nacht anders?
Das Nachwort. Die Reaktionen auf
die Übersetzung, die Fragen, die mir
am meisten gestellt wurden und was
ich in den drei Jahren seit der Erstveröffentlichung erlebt habe, habe ich in
das neue Nachwort mit eingebaut.
Gibt es neue Übersetzungen von
1001 Nacht in anderen europäischen
Sprachen?
Was war bei der Übersetzung von
1001 Nacht besonders zeitaufwändig?
Es gibt von demselben Manuskript
eine Übersetzung ins Dänische, Englische und Niederländische. Meine,
die derzeit aktuellste und jüngste,
endet in der 282. Nacht, so wie das
arabische Manuskript.
Die Gedichte, die mir bei der Übersetzung sehr wichtig waren. Ich habe
versucht, Reim und Metrum der arabischen Vorlage in der deutschen
Übersetzung anklingen zu lassen,
Wie waren die Reaktionen auf Ihre
Übersetzung von 1001 Nacht?
Meine arabischen Kollegen haben sich sehr darüber
gefreut, dass das Werk ganz nah am arabischen Original
übersetzt wurde. Viele frühere deutsche Ausgaben sind
Weiterübersetzungen aus dem Französischen oder ganz
freie Nacherzählungen. In der arabischen Welt wurde
meine Übersetzung recht gut bekannt durch einige
Rezensionen und Vorträge, die ich dort gehalten habe.
Bei den Fachleuten ist das ähnlich. Der größte Erfolg für
mich ist, dass es von nicht-fachlichen Lesern so gut angenommen wird. Die meisten anderen Übersetzungen
haben eine gewisse literarische oder wissenschaftliche
Distanz zum Text. Die bewusst gewählte zeitgenössische
Sprache ist vielleicht das Geheimnis des Erfolgs meiner
Übersetzung.
Die Littmann’sche Übersetzung - entstanden zwischen
1921 und 1928 - ist ein Kind jener Zeit. Es ist eine sehr
gute Übersetzung, die teilweise etwas trockener erscheint
als meine. Das liegt auch an dem von ihm benutzten arabischen Text, der bereits eine literarisierte Fassung ist. Diese Littmann-Übersetzung kannte ich natürlich, hatte sie
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aber während der Zeit meiner Übersetzung gar nicht aufgemacht, um mich nicht allzu sehr davon beeinflussen zu
lassen.
In einer meiner ersten Lesungen wurde ich auch zu meinem Verhältnis zu der Übersetzung von Littmann gefragt.
Ich sagte, dass in meinem Bücherregal der Littmann
genau neben meiner Übersetzung stehe, auf der selben
Ebene. Nach der Veranstaltung kam die Dame, die mich
danach gefragt hatte zu mir. Sie sagte, sie sei Littmanns
Tochter und ihre Begleiterin seine Enkeltochter. Zu ihr
habe ich einen sehr guten Kontakt. Wir organisierten
gemeinsam eine Ausstellung über Littmann, anlässlich seines 50. Todestages im kommenden Jahr. So ähnlich wie
Littmann sehe ich fast alle anderen Übersetzungen auch.
Jede Übersetzung hat ihren eigenen Wert. Jede hat ihre
Ausrichtung und ihr Zielpublikum. Bei mir stehen sie alle
nebeneinander. Keine macht der anderen Konkurrenz.
Kann 1001 Nacht als epische Erzählung bezeichnet werden?
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Claudia Ott, Foto: © Claudia Ramstein
Ich dachte vorher immer, dass 1001
Nacht ebenfalls zur epischen Tradition gehört und dass die Erzähler bestimmt auch Geschichten von 1001
Nacht erzählen. Dann war ich auf
meiner Feldforschung in Marrakesch
bei dem Erzähler, der das in meiner
Dissertation behandelte Werk vorgetragen hat. Ich durfte mich mit dazu
setzen und ebenfalls zuhören. Das
Publikum ist mir im Rahmen dieser
Feldforschung sehr ans Herz gewachsen. Anfänglich haben sich einige darüber gewundert, dass eine Europäerin sich so dafür interessiert und so
oft mit dabei war. Das normalisierte
sich mit der Zeit, und ich konnte mit
ihnen über alles Mögliche ganz wunderbar reden. Nach einer Weile habe
ich den Erzähler und das Publikum
gefragt, warum nicht auch mal 1001
Nacht drankäme. Da waren auf einmal alle ganz empört.
Warum? Da kämen viel zu viele
Dschinnen und fliegende Teppiche
und Nixen vor, das gebe es ja alles
gar nicht, alles Lüge. Für dieses Publikum gehörte 1001 Nacht in die Welt
der Fiktion. Im Gegensatz zur Epik,
die ja vorgibt, wahre Geschichte zu
38
erklären. Behandelt wird die Geschichte der Araber, die Ausbreitung
des Islam in Nordafrika, die verschiedenen Eroberungs- und Kreuzzüge,
die Einnahme von Konstantinopel
usw. Das ist die eine Richtung. Die
andere Richtung ist 1001 Nacht. 1001
Nacht ist Fiktion. Das war für diese
Leute nicht das Gleiche und dieser
Unterschied ist ganz wichtig. Das hat
mich sehr überrascht.
Zählt 1001 Nacht zur Gattung der
Kindermärchen?
Ja und nein. Einzelne Geschichten
aus 1001 Nacht sind immer Kindern
erzählt worden. Die mündliche
Überlieferung ist etwas ganz typisch
Weibliches in der orientalischen
Erzählkultur. Nirgends kann man es
so schön sehen wie bei 1001 Nacht.
Diese Linie läuft von der älteren Frau
zum Mädchen und betrifft einzelne
Geschichten aus 1001 Nacht. Ich
habe viele Interviews mit Frauen
geführt, die aussagten, die Geschichte zu kennen, in der der Ifrit (arab.
boshafter, listiger Dämon) das Mädchen gefangen hält, das ihn mit anderen Männern betrügt, sobald er ein-
geschlafen ist. Oder sie kannten Geschichten von bösen Menschenfresserinnen, die harmlosen Wanderern
am Wegesrand auflauerten. Diese
Geschichten, obwohl sie teilweise
auch erotische Details enthalten,
kannten die Mädchen, das war gar
keine Frage. Sie wurden ihnen von
Frauen und meistens ohne den Hinweis, dass es sich dabei um 1001
Nacht handelt, erzählt. Das ist die
eine Linie der Überlieferung.
Die andere Linie ist die schriftliche
Überlieferung. Soweit wir sie historisch nachvollziehen können, verläuft
sie von Mann zu Mann. Die Bücher
und Aufzeichnungen sind alle von
männlichen Schreibern verfasst.
Wenn ich Männer gefragt habe, wie
sie denn mit 1001 Nacht in Berührung
gekommen sind, fällt mir als schönstes Beispiel Gamal al-Ghitani ein, der
berühmte Autor aus Ägypten, der
selbst einen Nachdruck von 1001
Nacht editiert hat. Er sagte mir, er
habe das Buch als Neunjähriger mit
nach Hause gebracht und durfte es
nicht lesen, weil sein Vater sagte, das
sei nichts für kleine Jungs. Also las er
es heimlich. Solche Geschichten erzählen einem die Männer: Dass sie
verbotenerweise an den Bücherschrank des Vaters gegangen sind,
wo dieses Buch irgendwo in einer
unteren Ecke lag, weil es eben doch
nicht zur höheren arabischen Literatur zählt sondern eben diesen Anstrich von Trivialliteratur hat. Diese
unterschiedliche Weitergabe ist bei
1001 Nacht etwas ganz Besonderes.
Eigentlich sind es eher Märchen für
Erwachsene. Allein schon aufgrund
des Inhalts. Da ist viel von Erotik und
Gewalt die Rede. Dann die mangelnde Abgeschlossenheit der Geschichten, die für eine kindliche Geduld zu
groß sind. Die Spannung wird immer
weiter aufrecht erhalten, damit der
König neugierig und Schahrasad am
Leben bleibt. Ebenso verhält es sich
mit den Fortsetzungen der Geschichten. Ein Kindermärchen braucht nach
einer gewissen Anzahl von Seiten
einen Abschluss. Für Kinder ist es ganz wichtig, dass das
Gute siegt und sie nicht verzweifeln angesichts dieser
Märchen. Nicht jede Geschichte von 1001 Nacht ist durch
ein Happy-End abgeschlossen. Woran man es auch
erkennen kann, ist das Alter der Helden. Bei den Märchen der Gebrüder Grimm sind es Kinder, mit denen sich
jedes Kind leicht identifizieren kann. In 1001 Nacht sind
die Helden Erwachsene.
Welchen Stellenwert besitzt 1001 Nacht in der arabischen
Welt?
Es wird als Unterhaltungsliteratur angesehen. Jeder kennt
den Titel und bestimmte Bilder, die damit assoziiert werden. Es gab eine Zeit, in der das Werk im Orient weniger
privilegiert war. Vor dem Orient-Boom in Europa galt es
zunächst nicht viel in der arabischen Welt. Ich nenne das
gerne den „Pizza-Effekt“. Etwas, das in der Ursprungsregion zunächst nicht sehr angesehen war, wie z. B. die Pizza
ehemals in Italien. Diese gewann im Ausland große
Beliebtheit und wurde daraufhin im Ursprungsland neu
bewertet. So ist es auch mit 1001 Nacht. Seit den Anfängen der modernen arabischen Literatur so um das Jahr
1900 hat man sich sehr viel mit 1001 Nacht beschäftigt
und sich oftmals darauf bezogen. Es gibt von Nagib Machfus einen Roman, „Layali alf Layla“ (die Nächte der 1000
Nächte). Eigentlich haben fast alle großen Schriftsteller
irgendwann eine Variation über das Thema geschrieben.
Das war davor nicht so. Wohl aber seit dem Beginn der
modernen arabischen Literatur, die ihren Blick ja nach
Westen gerichtet hatte, wo 1001 Nacht sehr beliebt war.
Seitdem ist das Ansehen des Werks in der arabischen Welt
sehr gestiegen.
Gibt es einen geschichtlichen Bezug für 1001 Nacht?
Einen sehr starken sogar und zwar für jede Geschichte
einen anderen. Das ist das Komplizierte daran. 1001
Nacht hat eine Rahmenhandlung. Die Geschichte von
König Schahriyar, der wie sein Bruder von der Ehefrau
betrogen wird. Beide stellen fest, dass die „Tücke der
Weiber“ ungeheuerlich sei. Sie ziehen in die Welt hinaus,
um jemanden zu finden, dessen Unglück noch schrecklicher ist als das ihre. Sie stoßen auf den Ifrit mit der Truhe,
in der eine junge Frau eingesperrt ist, die ihn jedes Mal
betrügt, wenn er sich schlafen legt. Sie hat bereits mit 98
Männern geschlafen, bevor diese beiden Könige als Nummer 99 und 100 an der Reihe sind. Nachdem die beiden
Brüder das erlebt haben, sind sie sicher, dass es auf der
ganzen Welt keine anständige Frau gibt. Daraufhin
beschließt König Schahriyar jede Frau nach der Hochzeitsnacht zu töten, um vor ihrer vermeintlichen Bosheit
und Arglist in Sicherheit zu sein. Das ist die Rahmenge-
schichte von 1001 Nacht. Bis dann Schahrasad auftaucht
und ihm jede Nacht einen Teil der unendlichen Geschichte erzählt, so dass der König immer wieder neugierig
bleibt auf die Fortsetzung.
Diese Rahmengeschichte hat eine vollkommen andere
Historie als die Einzelgeschichten, die Schahrasad erzählt.
Wir wissen, dass die Motive der Rahmengeschichte um
die Zeitenwende, zum Jahr Null bereits in der Sanskritliteratur kursierten. Alle drei Motive sind in der indischen
Literatur eindeutig belegt. Das Motiv der beiden Brüder,
die von ihren Frauen betrogen werden, der Ifrit mit der
Truhe auf dem Kopf sowie die schöne Prinzessin oder das
Mädchen, das dem König, um ihn zu besänftigen und am
Leben zu bleiben, jede Nacht eine Geschichte erzählt. Es
ist bekannt, dass das Werk in die persische Literatur einging und dort den Namen „Hazar Afsanah“, Tausend
Abenteuergeschichten erhielt. Ebenfalls nachweisbar ist,
dass das Werk um das Jahr 800 aus dem Persischen ins
Arabische übersetzt und dann mit arabischen Geschichten angefüllt wurde. Für mich ist 1001 Nacht ein Geschichtenmagnet, der alles anzieht, was die Bedingung
erfüllt, spannend und aufregend zu sein.
Wie kam 1001 Nacht nach Europa?
Es wurde 1704 ins Französische übersetzt. Der damalige
erste Übersetzer Antoine Galland hatte das Glück, dass er
bei seiner Suche nach 1001 Nacht sofort auf das älteste
Manuskript stieß. Das ist allerdings ein Torso, der nach der
282. Nacht aufhört. Galland hat 1001 Nacht im Französischen vervollständigt, indem er andere Manuskripte hinzunahm und sich weitere Geschichten diktieren ließ.
Von März bis Oktober 1709 hielt sich der syrische Christ
Hanna Diab bei einem Freund von Galland in Paris auf.
Der Übersetzer bat den Syrer darum, ihm weitere Geschichten für seine französische Fassung zu erzählen.
Während Hanna Diab dieser Bitte bereitwillig nachkam,
machte sich Galland Notizen. Diese mündlich vorgetragenen Geschichten gingen bereits durch Gallands Redaktion
während sie erzählt wurden. Von diesen kennen wir keine
schriftlichen arabischen Originale. Lediglich Gallands französische Originale sind bekannt. Das sind keine Fälschungen oder westliche Erfindungen, wie es oftmals behauptet
wird. Erzählt hat sie der syrische Christ Hanna Diab, der
sie nicht erfand, nur damit Galland Geschichten hatte
sondern aus dem Gedächtnis wiedergab, was für ihn zu
1001 Nacht gehörte.
Unter denen befinden sich auch diejenigen, die bei uns
am beliebtesten geworden sind. Aladdin und die Wunderlampe, Ali Baba und die 40 Räuber. Warum sind es
gerade diese Geschichten, die bei uns so besonders
beliebt sind und die auch in diese Kinderecke gehen? In
dieser Zeit, so um das Jahr 1700, gab es in Frankreich eine
39
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literarische Mode namens „Contes
des Fées.“ Feenmärchen und
Geschichten, die in Richtung Bildungs- und Kinderliteratur tendierten. Während Galland redigierte und
schrieb, formulierte er so, wie es dieser damaligen Mode entsprach. Die
erste französische Version von 1001
Nacht wurde auch als „Contes Arabes“ bezeichnet. Damit gab er
bereits die Richtung vor, in die diese
arabischen Märchen umformuliert
wurden: Kinder- und Hausmärchen.
Solche Versionen kamen aus Europa
zurück in die arabische Welt. Die
ursprüngliche Handschrift hat nichts
davon.
Was entspricht in der europäischen
Literatur im weitesten Sinne 1001
Nacht?
Mir fällt sofort das Decamerone ein,
das auch eine Rahmengeschichte
hat, in der dann einzelne Geschichten erzählt werden. Ansonsten, glaube ich nicht, dass die europäische
Literatur etwas Eigenes, Vergleichbares in dieser Richtung hervorgebracht
hat. Das war auch nicht nötig, weil
1001 Nacht es sofort zu einer unglaublichen Verbreitung in Europa
gebracht hat. Diese Gattung, diese
Art von Literatur war eben bereits
von 1001 Nacht besetzt und ist es bis
heute. Das Werk steht für sich selbst
und ich glaube, es hat auf der ganzen
Welt kein Ebenbild, gerade auch weil
es so ein Geschichtenmagnet ist. Von
Anfang an gab es offene Stellen.
Wenn sich eine andere Geschichte
fand, wurde sie eingefügt. Es ist eine
Art offenes Werk, in das man Geschichten aufnehmen kann, ohne
dass es weiter auffällt. Jeder Übersetzer und jeder Herausgeber hat seine
eigene Version zusammengestückelt.
Auf diese Weise entstand etwas
Lebendiges, ein Werk das in dem
Sinn nicht abgeschlossen ist und mit
der Zeit mitgehen kann.
Wie stellt sich das Frauenbild in 1001
Nacht dar?
Das Frauenbild in 1001 Nacht ist ein
sehr vielfältiges. Wir haben ganz
negative Protagonistinnen und auf
der anderen Seite der Skala die eine
große Frauengestalt Schahrasad, die
das Ganze dominiert. Der Blick richtet sich viel mehr auf die Frauen als
auf die Männer. Selbst in den Geschichten in denen der Mann der
Held ist, geht es eigentlich immer um
Frauen.
Literaturwissenschaftler haben das als
psychologische Taktik interpretiert.
Schahrasad trat mit dem Anspruch
an, den König fast wie eine Therapeutin von seinem Trauma zu heilen.
Der König musste erfahren, wie
schrecklich er von seiner Frau betrogen wurde. Schahrasad erzählt ihm
mit Absicht solche Geschichten, bei
denen am Anfang auch betrügerische
Frauen im Mittelpunkt stehen. Das
lässt sich so interpretieren, dass sie
ihm aufzeigt, dass er mit seinem
Trauma nicht alleine ist und es anderen Männern ebenso erging. Je weiter sie fortschreitet, desto positiver
werden die Frauen dargestellt, desto
selbstbewusster und auch begehrenswerter werden diese Frauen, so dass
der König im Laufe dieser 1001 Nächte ganz langsam von seinem negativen Frauenbild abkommt. Das Bild
der Frau in 1001 Nacht wandelt sich.
Welche ist Ihre persönliche Lieblingsfigur in 1001 Nacht?
Schahrasad, weil sie alles überblickt
und die Fäden zieht.
Gibt es Situationen, in denen Sie sich
an 1001 Nacht erinnert fühlen?
Zwei solche Situationen beschreibe
ich im Nachwort. 1001 Nacht ist ein
Buch, das das Leben schrieb, Geschichten, die aus dem Leben ganz
einfacher Menschen berichten. Man
hat das Buch auch die Bibel der
Handwerker, Händler und einfachen
Bewohner der Stadt genannt. Als
deren Lebensbild in arabischen
Großstädten, wie Aleppo und Bagdad, Damaskus und Kairo, das dort
portraitiert wird. Wenn man sich in
den Basaren arabischer Städte aufhält, kommen einem ständig solche
Szenen aus 1001 Nacht vors innere
Auge, da sich diese Szenen oftmals
dort abspielen.
Vermittelt 1001 Nacht einen Einblick
in das tägliche Leben der arabischen
Stadt?
Man muss sicher immer aufpassen,
das nicht gleichzusetzen. Vom Gefühl und der Atmosphäre her sicherlich. Aufpassen, weil man so eine Art
von Literatur natürlich nicht mit
einem Dokumentarfilm verwechseln
darf. Betrachtet man es als Kulisse,
dann ist es durchaus authentisch. Wie
gesagt, nicht als historische Realität,
aber als Atmosphäre. Es ist und bleibt
Unterhaltungsliteratur.
Dr. Claudia Ott
studierte Orientalistik in Jerusalem,
Tübingen und Berlin sowie arabische
Musik in Kairo. Sie arbeitet als Übersetzerin, Autorin, Moderatorin und
Musikerin. Seit 2000 ist sie außerdem
wissenschaftliche Assistentin am
Institut für orientalische Philologie der
Universität Erlangen.
www.tausendundeine-nacht.com
Info
Tausendundeine Nacht, Claudia Ott
(Übersetzerin), Beck Verlag,
München, 9. Auflage 2007,
ISBN-13: 978-3406516801
Weitere Informationen:
Rezension zur 9. Auflage von 1001
Nacht
www.tausendundeine-nacht.com
Titelbild und Portrait von Dr. Claudia
Ott: www.chbeck.de
41
Veranstaltungen
Iftar - Fastenbrechen
Deutsch-Arabische
Freundschaftsgesellschaft e.V.
Die DAFG e. V. feiert mit den arabischen Botschaftern
Text: Bruno Kaiser, Fotos: M. El Sawaf
Das allabendliche Fastenbrechen Iftar
ist ein Symbol des Dialogs und des
Zusammentreffens von Menschen
unterschiedlicher Herkunft. Die
DAFG e.V. versteht sich als Bindeglied zwischen den Kulturen und
nutzte den Brauch des Fastenbrechens, um im Kreis der arabischen
Botschafter sowie einiger Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft das Thema Kultur und Bildung in der Auswärtigen Politik zu
erörtern. Nach der Begrüßung durch
den Präsidenten Dr. Otto Wiesheu,
leitete der Politische Direktor des
Auswärtigen Amtes, Dr. Volker Stanzel, mit einem Vortrag in das Thema
des Abends ein. Er betonte, dass die
Kulturpolitik ein hervorragendes Medium sei, die Köpfe und Herzen der
Menschen zu erreichen.
Interkulturelle Verständigung gilt als
Basis aller internationalen Beziehungen. Dementsprechend ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
stark in der deutschen Außenpolitik
verankert. Beim Kulturdialog gehe es
insbesondere darum, das kreative
Potential zu schützen, welches in den
Differenzen zwischen unseren Kulturen und Gesellschaften liegt.
S. E. Al-Orabi, Dr. Wiesheu, Herr Dr. Stanzel
42
S. E. Abdul Nabi Mussayab, Botschafter der Arabischen Liga, Herr Dr. Stanzel, Dr. Otto Wiesheu
Nach Diskussionsbeiträgen von S. E.
Mohamed Al-Orabi (Botschafter
Ägyptens), S. E. Dr. Hussein Omran
(Botschafter Syriens) und S. E. Dr.
Baha´aldin Hanafi (Botschafter des
Sudans) ergab sich eine lebhafte Diskussion um die Meinungsfreiheit, den
staatlichen Einfluss auf die Medien
und die öffentliche Meinung. Die
DAFG will durch ihre Arbeit für die
Vermittlung einer differenzierten Meinungsbildung eine Plattform bieten.
Präsident Otto Wiesheu verwies auf
das von der DAFG geplante Veranstaltungsformat „DAFG Salon“, das
die Chance biete, Vertreter unterschiedlicher
Kulturen
zusammenzubringen.
Gleichfalls biete das geplante
Medienforum die Chance, „arabische
Themen“ in der deutschen Öffentlichkeit präsenter zu machen. Das
DAFG-Mitglied Prof. Dr. Hans J.
Brauns betonte die Notwendigkeit
eines Deutsch-Arabischen Jugendwerkes. Dieser Vorschlag stieß bei
dem Vertreter des Auswärtigen Amts
auf positive Resonanz. Er ermunterte
die DAFG, dieses Projekt weiter zu
verfolgen. S. E. Mohamed Al-Orabi
regte abschließend die Stiftung eines
deutsch-arabischen Preises an, adäquat zu dem kürzlich ins Leben geru-
S. E. Dr. Omran, Herr Tiedt, Frau Müller
Der syrische Großmufti Dr. Badr Hassoun in Berlin
Eine Veranstaltung der DAFG e.V. im Deutschen Bundestag
Text: Bruno Kaiser, Foto: Sami Al Habbal
Die DAFG e.V. und die Parlamentariergruppe
„arabischsprachige Staaten des Nahen Ostens“
im Deutschen Bundestag veranstalteten einen
Die DAFG lud im Oktober 2007 in Kooperation mit der
Bundestags-Parlamentariergruppe „arabisch-sprachige Staaten des Nahen Ostens“ zu Vortrag und Diskussion mit
dem Großmufti von Syrien, S. E. Dr. Badr Hassoun, ein. Der
Großmufti wurde von S. E. Antoine Audo, dem Erzbischof
von Aleppo, begleitet. In der Begrüßung betonte der Abgeordnete Joachim Hörster, Vorsitzender der Parlamentariergruppe arabischsprachige Staaten des Nahen Ostens, die
Bedeutung des Deutschen Bundestages als Ort dieses
Zusammentreffens. Er verwies auf die intensive Diskussion in
Deutschland hinsichtlich des Zusammenlebens von Muslimen und Christen in demokratischen Gesellschaften. Der
Präsident der DAFG, Dr. Otto Wiesheu, erläuterte den
Anspruch der DAFG, das Zusammenleben der Kulturen und
Religionen zu fördern. S. E. Dr. Hussein Omran, Botschafter
Syriens, dankte für die Gelegenheit des Dialoges. Er rief die
muslimischen Mitbürger unseres Landes dazu auf, sich im
Hinblick auf den Islam besser zu artikulieren und die
Gemeinsamkeiten unserer Religionen stärker zu betonen.
Religion solle die Menschen zusammenführen, wobei jeder
auf seine Art und Weise zum Himmel blicke.
Der Großmufti Dr. Hassoun fühlt sich in Parlamentsgebäuden
nicht fremd, da er acht Jahre Mitglied des syrischen Parlaments war. In seinem Vortrag betonte er die besondere Rolle
seiner Heimat und der Region des Nahen Ostens bei der
Entstehung der verschiedenen Religionen. Gleichzeitig verwies er auf die großen Gemeinsamkeiten der Religionen:
Wer den Koran lese, lese auch immer das Evangelium mit.
Religion sei nicht aufteilbar. Das einzige was sich ändere,
seien religiöse Vorschriften. Er selbst bete sowohl in
Moscheen, Kirchen als auch Synagogen, da sie alle Häuser
Gottes seien. Dr. Hassoun stellte das Individuum und die
Zivilisation in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Demzufolge gebe es keine unterschiedlichen Zivilisationen, je nach
Religionen, sondern nur eine. Daraus leitet sich auch seine
Überzeugung von einer Trennung von Staat und Religion ab.
Wenn sich ein Staat auf eine Religion gründe, führe dies zu
Spannungen zwischen den Religionen. Ebenso wird sich
nach seiner Auffassung ein Staat, der sich nur auf ethnologischer Grundlage aufbaut, auflösen. Daher forderte er einen
Herr Hörster, S. E. Omran, Großmufti Dr. Hassoun
zivilen Staat. Dass es sich hierbei um einen säkularisierten
Staat handeln muss, ist für Dr. Hassoun selbstverständlich. So
gebe Säkularisierung jedem Menschen Würde und Rechte.
Er selbst bezeichnete sich als säkularisierten Moslem. Diese
Aussage bildete die Brücke für eine hochpolitische Aussage
des geistlichen Würdenträgers: Er glaubt nicht an eine dauerhafte Zweistaatenlösung zwischen Israel und Palästina.
„Ich glaube an ein einziges Land, das Juden, Muslime und
Christen gemeinsam umfasst,“ war sein politisches Credo.
Der Großmufti lobte Deutschland als Vorbild für den zivilisatorischen Aufbau. Er hob insbesondere das Engagement der
deutschen Bevölkerung hervor, das zum Einreißen der
Mauer in Berlin geführt hat. Er forderte die Anwesenden auf,
die Mauer in Palästina ebenfalls einzureißen, damit Christen,
Juden und Muslime friedlich zusammenleben könnten.
Er forderte eine allgemeinverbindliche, weltweite Fatwa
gegen Waffenlieferungen. „Liefern Sie keine Waffen in unsere
Länder, liefern Sie keine Waffen nach Israel oder in arabische
Länder,“ lautete sein Aufruf an den Westen. Seine Forderung
ist eindeutig gerichtet auf Dialog zwischen den Menschen.
Der Forderung schloss sich auch der Erzbischof von Aleppo
an, der von einem problemlosen Zusammenleben unterschiedlicher Religionen in Syrien und anderen arabischen
Ländern berichtete. Trotzdem gelte es, kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen, insbesondere auch in der Perzeption
von Seiten des Westens.
43
Feierliche Eröffnung der DAFG-Geschäftsstelle
Text: Bruno Kaiser, Fotos: Simon Harik?
Ibrahim Hazimeh vor einem seiner bekanntesten Bilder
Die DAFG e. V. lud am 13. Dezember 2007 zur feierlichen Eröffnung
ihrer Geschäftsstelle in der Friedrichstraße. Präsident Dr. Wiesheu konnte
zahlreiche arabische Botschafter, Abgeordnete des Deutschen Bundestages und wichtige Persönlichkeiten aus
Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und
Medien in den neuen Geschäftsräumen willkommen heißen. Erfreulich
war, dass auch viele Mitglieder der
Einladung folgten, um sich einen Eindruck von der zentral gelegten
Geschäftsstelle in Berlin Mitte zu
machen. Insgesamt fanden an diesem Abend gut hundert Gäste ihren
Ibrahim Hazimeh erläutert sein Werk
44
Dr. Otto Wisheu, S. E. Al-Orabi und Prof. Dr. Shobokshi bedanken
sich für die bewegenden Worte Hazimehs
Weg zur Gesellschaft. Die zahlreich
erschienenen Gäste belegten, welches Ansehen sich die DAFG in den
letzten Monaten erworben hat.
Der Empfang bot Gelegenheit, sich
bei orientalischen Köstlichkeiten über
die deutsch-arabischen Beziehungen
auszutauschen und sich über die
Aktivitäten der DAFG zu informieren.
Ein Höhepunkt des Abends war die
Eröffnung der Kunstausstellung
Unsterbliche Hoffnung des palästinensischen Künstlers und DAFG-Mitglieds Ibrahim Hazimeh, dessen
Werke noch bis zum 13. März 2008
in den Geschäftsräumen der DAFG
zu sehen sind.
Präsident Dr. Wiesheu und DAFGMitglied Dr. Hassan Hakam lobten
die künstlerische Ausdruckskraft der
Bilder von Ibrahim Hazimeh. Der
Künstler selbst sieht sein Werk im
Dienst des erhofften Friedens in
seiner Heimat. Dem stimmte der
Doyen der arabischen Botschafter,
S. E. Mohamed Al-Orabi, zu. Er
beglückwünschte im Namen seiner
Kollegen die DAFG e.V. zur Ausstellung und zur Eröffnung der neuen
Geschäftsstelle.
Dr. Hassan Hakam mit dem Künstler
Termine der DAFG e.V.
Deutsch-Arabische
Freundschaftsgesellschaft e.V.
bis 17. März 2008
Ausstellung des palästinensischen Künstlers Ibrahim Hazimeh
in den Geschäftsräumen der DAFG e.V.
28.01.2008
18:00
Einladung zum Neujahrs- und Wirtschaftsempfang der DAFG e.V.
im Haus der Deutschen Wirtschaft, Breite Str. 29, 10178 Berlin
07.02.2008
16:00
Verleihung der Ehrenmedaille in Gold der Freien Universität Berlin
an H.H. Sheikh Mohammed bin Rashid al Maktoum
(Teilnahme nur mit persönlicher Einladung)
13.02.2008
19:00
DAFG-Salon in der Generaldelegation Palästina
25.02.2008
19:00
Wirtschaftsempfang in der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., München
Beiratssitzung
28.02.2008
06.03.2008
19:00
Vortrag Martin Weiss „Sonderfall Nord-Irak“ in der DAFG GS
11.03.2008
18:00
Vorstandssitzung
12.03.2008
18:00
DAFG-Salon
16.04.2008
Delegationsreise / Wirtschaft nach VAE und Katar
09. - 11.06.2008
Delegationsreise / Wirtschaft nach Marokko und Algerien
Von Januar bis Dezember wird es regelmäßig Vorträge und Diskussionen zu kulturellen und aktuellen
Themen in der DAFG - Geschäftsstelle geben. Die Termine dazu erfahren Sie auf www.dafg.eu.
Die DAFG e.V. - Geschäftsstelle
Friedrichstr. 185
Kontorhaus Mitte
D-10117 Berlin
Telefon: +49 (0)30. 20 64 88 88
Telefax: +49 (0)30. 20 64 88 89
Web: www.dafg.eu
Mail: [email protected]
Ibrahim Hazimeh: Palästina, Land meiner Träume
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Die Idee zur Gründung des „West-östlichen Diwan“ entstand bei einem arabisch-deutschen
Schriftstellertreffen 2000 im Jemen. Die irakische Dichterin Amal al-Jubouri hatte Günter
Grass, Hans Magnus Enzensberger und andere überzeugt, dass gerade jetzt ein intellektueller und emotionaler Dialog mit arabischen Kollegen dringend notwendig sei. Sie gründete
parallel in Bagdad und in Berlin dieses Kulturforum als Brücke zwischen den Welten, die auf
der einen Seite unter Zerstörung und Hass leiden und auf der andern in Gleichgültigkeit über
die Schicksale in der nächsten Nachbarkultur versinken.
Ein neu gestaltetes Domizil in der Berliner Kulturbrauerei stimmt die Gäste auf regelmäßig
stattfindende Lesungen, Filme, Ausstellungen und Diskussionen ein.
Ein kleiner, internationaler Kreis von Liebhabern der Kultur arabischer Länder unterstützt das
Programm des „Diwans“ und bietet einem allgemeinen Publikum in regelmäßiger Folge
Veranstaltungen und Informationen. Alle Seiten, Araber, Deutsche und die Nachdenklichen
aller Länder finden Anregungen aus sonst kaum erreichbaren Quellen und ungewöhnliche
Gelegenheiten zur Begegnung mit Akteuren, die den Mut und die Verantwortung fühlen, sich
gegen das drohende Auseinanderfallen der geistigen Welt zu wehren. Wir wollen Zeichen
setzen gegen Unterdrückungen jeglicher Art, die Mutigen in ihren Visionen und Hoffnungen
hören und unterstützen sowie Beschneidungen der Freiheit anprangern. Erinnerungen an
große Werke der Vergangenheit sollen neben Ermunterungen für junge Künstler stehen, die
Diskussionen werden Informationen und Kritiken austauschen und die gegenseitige
Anerkennung fördern. Die Gründerin sponsert die Räume bei freiem Eintritt – weiteres
Engagement und Unterstützung fördern dieses auf Dynamik gebaute Begegnungsforum.
Ende Oktober 07 zeichnete die Gründerin und Präsidentin
unseres Vereins Amal Al-Jubouri den streitbaren Dichter und
Publizisten Hans Magnus Enzensberger mit dem Diwan-Orden
aus.
In ihrer Laudatio kam Amal Al-Jubouri auf den Kern ihres Anliegens
und unseres Vereins zugleich zu sprechen. Sie erinnerte an das
Dichtertreffen 2002 und ein spezielles folgenreiches Gespräch ...
Zitat: „In Alexandria war die Diskussion zwischen uns sehr heftig.
Der Leiter des Goethe-Instituts in Kairo begleitete uns damals. Er
dachte, wir bekriegten uns“. „Nein, wir diskutieren“, sagte ihm
Enzensberger. „So sollte der Dialog sein.“ Seine Devise war: es gibt
Unterschiede, aber das hindert uns nicht, den anderen dazu zu
bewegen, dass wir weiter diskutieren.
Es geht nicht darum, Übereinstimmung zu erreichen, sondern den
anderen zu akzeptieren und über die kulturellen Unterschiede zu
reden, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen, sodass beide Seiten
ebenbürtig sind.
Und ich ergänzte: „Wir müssen von der kulturellen Entwicklung
lernen, Kritik akzeptieren, um wieder aufbauen zu können und um
den Krebs der Restauration zu bekämpfen, eine Krankheit, die
Völker überfällt, wenn sie Niederlagen erleben. Das geschieht heute
in der gesamten arabischen Welt.
Wir diskutieren, das heißt, wir existieren …“
West-East Cultural Association Berlin-Baghdad
Programm – 1. Vierteljahr 2008
in Kooperation mit der Deutsch-Arabischen
Freundschafts-Gesellschaft e.V. (DAFG)
Diwan-Forum
– jeden 1. Dienstag im Monat, 20:00 Uhr
(Eintritt frei – mit Getränkeverkauf)
8. Januar
Adonis (Ali Ahmad Said)
Ausstellung: neue Collagen von Adonis;
Musik: Ashraf Kateb (Geige)
Thesen von Adonis zur „Kritik des monotheistischen
Religionsverständnisses“, anschließend Diskussion
5. Februar
Joachim Sartorius
Vorstellung des Diwan-Readers ‚Zwischen Berlin und Beirut’,
Ulrike Draesner liest Marokko-Gedichte
anschl. Diskussion in Anwesenheit weiterer Autoren
4. März
Adel Karasholi
Lesung aus „Wenn Damaskus nicht wäre“ und
„Also sprach Abdulla“ – anschließend Diskussion
Diwan-Film
– jeden 3. Dienstag im Monat, 20:00 Uhr
(Eintritt frei – mit Getränkeverkauf)
15. Januar
Underexposure
Irakischer Spielfilm von Oday Rasheed, 2005,
Org. mit dt. UT.; in Anwesenheit des Regisseurs
19. Februar
Baghdad Correspondent
- The Story of Jawad Khadom
Irakischer Dokumentarfilm von Koutaiba Al-Janabi,
2007, Org. mit engl. UT
18. März Timimoun
Deutscher Spielfilm von Michael Roes, 2004/2005;
in Anwesenheit des Regisseurs
west-östlicher diwan e.V.
in der Kulturbrauerei –
(neben der Literatur-Werkstatt)
Schönhauser Allee 36-39 (Geb. 9.2) III. Stock, 10435 Berlin – Tel. 20 61 99 81
Wünsche, Kritiken und Vorschläge an: [email protected]
Viele Informationen im Netz
www.diwanev.com
Bücher
Michael Lüders
Allahs langer Schatten
Warum wir keine Angst vor dem Islam haben müssen
UA
Auf verhältnismäßig knappem Raum unternimmt Lüders
in seinem neuesten Buch den Versuch, einen Spagat
durch die Geschichte und die Begrifflichkeiten des Islam
sowie die historischen Zusammenhänge und politischen
Wirrnisse in der islamischen Welt zu machen, um damit
das Schreckgespenst Islam zu enttarnen.
Es ist eindeutig ein unbequemes Buch, ein mutiges, das
eine deutliche Sprache spricht. Es ist die Stimme eines
besonnenen Kenners der Materie. Immerhin hat Lüders
arabische Literatur, Islamwissenschaft und Politologie u.
a. in Damaskus studiert.
Lüders tritt gleich in seiner Einleitung „Warum es falsch ist,
den Islam zu verteufeln“ dafür ein, den Dialog auf gleicher Augenhöhe zu suchen. „Die Beziehung zwischen
Orient und Okzident ist asymmetrisch, nicht getragen von
einer Begegnung unter Gleichen.“ (S. 11) ist die wesentliche Feststellung und Forderung seines Buches. Einer
anderen Religion oder Kultur insbesondere dem Islam mit
Respekt und Toleranz zu begegnen, kann sogar gewinnbringend sein.
Dazu erklärt Lüders auf nicht einmal dreißig Seiten das
Wichtigste zur Geschichte des Islam. Auf weiteren zwanzig Seiten erläutert er sozusagen Reizworte zu Themen
wie Scharia: „Die Scharia ist jedoch keine Variante des
Bürgerlichen Gesetzbuches.“ (S. 51), Die Stellung der
Frau: „Diese Strukturen reichen zurück bis in vorislamische
Zeiten und sind vom islamischen Recht, der Scharia, eher
integriert als überwunden worden.“ (S. 58), Kopftuch und
Schleier „In ländlichen Gebieten setzte sich der Schleier
erst in den letzten 100 Jahren durch.“ (S. 56), Koran, Die
fünf Säulen des Islam. Weitere Kapitel befassen sich mit
der geschichtlichen Entwicklung in der arabisch-islamischen Region und dem Aufstieg und Niedergang der islamischen Hochkultur.
Schließlich legt Lüders den Finger in die Wunden des
Westens, der nicht unbeteiligt ist an der heutigen politischen Situation. In zu vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens haben die USA sich eingemischt und eher
das Gegenteil von dem bewirkt, was sie ursprünglich
erreichen wollten („Die Fehler der Amerikaner, S. 158ff.).
Lüders scheut sich nicht, auch die israelische Politik der
verbrannten Erde gegenüber den Palästinensern zu benennen und zu kritisieren.
Meiner Meinung nach
hätte sich Lüders jedoch
auf die historische und
politische Analyse beschränken sollen, denn
(islamwissenschaftliche) Erklärungsversuche gibt es
bereits und in der Regel
viel ausführlichere und
verständlichere wie z. B. Der Islam von Peter Heine oder
Der Islam. Eine Einführung von Annemarie Schimmel.
Dagegen ist Lüders Spezialgebiet ja eindeutig die Analyse
von politischen und historischen Zusammenhängen, die
zu der bekannten verfahrenen Situation geführt haben.
Und diese Analyse hätte für meinen Geschmack ruhig
noch ausführlicher sein können. Auch hätte ich mir Literaturangaben und Hinweise zum weiteren Studium
gewünscht.
Ob dem Buch mit dem etwas reißerischen Titel Allahs langer Schatten ein Gefallen getan ist, wird sich noch zeigen
müssen. Wobei ich meine, dass ein Verlag wie Herder
doch eigentlich für die Qualität seiner Bücher spricht und
es gar nicht nötig hätte, auf derartige Titel und Umschlaggestaltungen zu setzen.
Herder, Freiburg 2007, 223 Seiten,
ISBN: 978-3451296642,
19,90 Euro
47
Claudia Roden
Arabesque - 180 orientalische Rezepte
Ein ausgezeichnetes Kochbuch
cmj
Nach dem Titelbild beeindruckt der
Einband. Robustes Papier, das den
Inhalt des gewichtigen Bandes
schützt und einiges von dem aushält,
was Büchern in der Küche so passieren kann. Dann die Bilder. Ungewohnte Perspektiven zeigen faszinierend angerichtete Speisen mit dem
Blick auf die wesentlichen Details.
Die bereits vielfach für ihre orientalischen Kochbücher ausgezeichnete
Engländerin Claudia Roden wuchs in
Kairo auf. Ihr Buch „Arabesque“
beinhaltet die Esskultur und landestypischen Rezepte von Marokko, der
Türkei und dem Libanon, gegliedert
nach Vorspeisen, Hauptgerichten
und Desserts. Die Einführungen zu
den nach Ländern geordneten Kapiteln schildern die Entstehung, Entwicklung und Besonderheiten der
jeweiligen Regionalküche, angereichert mit persönlichen Anekdoten
und zahlreichen Hinweisen. Unkompliziert beschreibt die Autorin die
Rezepte traditioneller Speisen und
Hausmannskost sowie die vielfältigen
Angebote der populären Straßenküchen und noblen Gourmet-Restaurants.
In Marokko beginnt ein typisches
Essen mit einer Auswahl an Pürees
und Salaten, Pasteten und Suppen,
zu denen Brot gereicht wird. Couscous und Tagines - Hauptgerichte,
die in einem flachen Tontopf mit
kegelförmigem Deckel geschmort
werden - repräsentieren die Küche
des Maghreb. Marokko besitzt „die
feinste und raffinierteste in ganz
Nordafrika.“ Tagine-Variationen mit
Fisch, Geflügel und Lamm, in Verbindung mit Obst und Gemüse sowie
„narrensichere“
Filmplakat Bab el WebMethoden für die
48
Couscous-Zubereitung dominieren
den Abschnitt. Sehr empfehlenswert
ist die Lamm-Tagine mit karamellisierten Zwiebeln und Birnen. Früchte
und süße Pasteten schließen das
Essen ab. Für Kinder empfiehlt sich
als Nachtisch ebenfalls der Couscous
mit Früchten, Honig und Nüssen.
In der Türkei wird neben Brot auch
Raki zu den warmen und kalten Vorspeisen angeboten. Bemerkenswert
ist die große Auswahl an gefülltem
und geschmortem Gemüse sowie
Blätterteig- und Nudelgerichten.
Wichtige Bestandteile der türkischen
Küche sind Joghurt und Auberginen,
Bulgur und Pilaw, die oft mit Fisch
und Hähnchen serviert werden. Sehr
beliebt und einfach zuzubereiten
sind frittierte Rotbarben mit Knoblauch und Petersilie. Als Desserts
locken Kuchen und Puddings. Die
Variation mit gemahlenen Mandeln
nennt die Autorin als persönlichen
Favorit.
Die libanesische Küche zeichnet sich
durch ihre Weltoffenheit und regionale Eigenständigkeit aus. Die Haltbar-
machung von Lebensmitteln prägt
die traditionelle Zubereitung der
Gerichte. Das christliche Fastengebot
spiegelt sich in den vielen fleischlosen Gerichten wider. Die Auswahl an
Vorspeisen in der arabischen Welt ist
im Libanon am größten. Von den
beschriebenen Dips besticht die Walnuss-Granatapfel-Paste mit ihrem
außergewöhnlichen Geschmack. Die
Variationen von geschmorten Auberginen und frischen Tomaten in Verbindung mit Kichererbsen sprechen
alle Sinne angenehm an. Für Pizzateig lässt sich auch Joghurt verwenden. Als Belag schlägt Claudia Roden
Lammhackfleisch, Pinienkerne und
Tomaten vor, gewürzt mit Granatapfelsirup. Der Abschnitt endet mit
einem wahrhaft königlichen Lammgericht. Unter den Desserts ragen
zwei besonders hervor: das schnell
herzustellende Sahneeis und das in
seiner Zubereitung etwas anspruchsvollere Pistazienkonfekt.
Nach der ersten Lektüre von „Arabesque“ bestätigt sich der Ersteindruck angesichts der Reichhaltigkeit
und Vielfalt der auserwählten Speisen. Claudia Rodens Anweisungen
sind einfach und klar. Ihr Buch macht
zweifellos Appetit und ermutigt, die
Zutaten immer wieder neu zu kombinieren.
Christian Verlag,
München 2007, 352 S.,
100 Farbfotos,
ISBN-13: 9783884727379
34,95 Euro
www.christian-verlag.de
Robert Hillenbrand
Claudia Ott
Kunst und Architektur
im Islam
Tausendundeine Nacht
Neues von 1001 Nacht (9. Auflage)
cmj
Ua
Das bereits 1999 auf
Englisch erschienene
Buch des Professors für
islamische Kunst Robert
Hillenbrand wurde vor
zwei Jahren im Wasmuth Verlag, der für
seine
Publikationen
über Museen und Ausstellungen bekannt ist,
auf Deutsch herausgegeben. Er hat hiermit
ein
grundlegendes
Werk veröffentlicht, das
durch die gesamte islamische
Geschichte
(und alle Dynastien) die Errungenschaften und Neuerungen in der Architektur, in der Herstellung von Keramiken,
Stoffen, Glas- und Metallwaren beschreibt. Sehr ausführlich geht Hillenbrand auf die verschiedenen Einflüsse ein,
die durch politische und geographische Aspekte bedingt
sind.
Mehr als 200 Abbildungen machen das Buch fast zu
einem Bildband. Etwas verwirrend ist die Nummerierung
am äußeren Rand des Textes, die den Leser im Unklaren
lässt, ob sie sich lediglich auf im Text besprochene Objekte bezieht, oder auf in einer Ausstellung gezeigte Objekte.
Das Glossar ist etwas kurz geraten. Seine Sprache ist
gewöhnungsbedürftig, da Hillenbrand sich durchgängig
eines gehobenen Fachjargons befleißigt.
Für Leser, die das Buch mehr oder weniger als Nachschlagewerk zu bestimmten Dynastien oder Objekten benutzen wollen, ist es ein Tresor an Informationen und Wissen.
Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen, Berlin, 2005,
288 S., Broschiert
ISBN 3-80304027-2
24,80 Euro
Wer kennt sie nicht, die Erzählungen aus 1001 Nacht?
Den Wenigsten ist indes bekannt, dass es sich dabei um
Weiterübersetzungen handelt.
300 Jahre nachdem 1001 Nacht
ins Französische übertragen
wurde, veröffentlichte der
Beck-Verlag die erste deutsche
Übersetzung der Orientalistin
Claudia Ott. Gerade erschien
die überarbeitete 9. Auflage
der Erstveröffentlichung von 2004, versehen mit einem
neuen Nachwort der Übersetzerin. Darin schildert sie die
Geschichte des über 2000-jährigen Erzählwerks und lässt
den Leser anekdotisch an der Entstehung ihrer Übersetzung in Kairo teilhaben.
Claudia Ott übersetzte das älteste erhaltene arabische
Manuskript aus dem Jahr 1450, das der Iraker Muhsin
Mahdi 1984 erstmals in einer wissenschaftlichen Edition
herausgab. Der Text hat nur wenig mit den uns bekannten
Kindermärchen gemein. Sindbad der Seefahrer, Aladdin
und die Wunderlampe oder Ali Baba und die vierzig Räuber kommen in dem Fragment der Handschrift, das mit
der 282. Nacht endet, nicht vor.
Neben der Rahmenhandlung (siehe Interview mit Claudia
Ott S. 38ff.) erzählt Schahrasad zehn weitere Geschichten,
in denen wiederum zahlreiche Protagonisten ihre „spannenden und aufregenden“ Erlebnisse schildern. Bei Claudia Otts Übersetzung kommt der Orient selbst zur Sprache. 1001 Nacht wird von einem unbekannten Verfasser
eingeleitet, der kundtut, „dass dieses köstliche und sehnlich erwartete Buch mit der Absicht geschrieben wurde,
einem jeden nützlich zu sein, der darin liest. Hier finden
sich höchst lehrreiche Lebensgeschichten, dazu wunderbare Gedanken für Menschen von hoher Bildung.“ Der
weltweite Erfolg und die Beliebtheit von 1001 Nacht
geben ihm Recht.
Verlag C.H Beck, München 2007, 688 S.,
ISBN-13: 978-3406516801
29,90 Euro
49
Johann Christoph Bürgel
Klassiker arabischer Literatur
Anthologie der wichtigsten Autoren und Werke
CMJ
Tausendundeine Welt bietet einen kompakten Überblick über mehr als 50 Autoren und Werke der arabischen Literatur,
von der Entstehung des Korans im 7. Jahrhundert bis zu dem Soziologen Ibn Khaldun (1332-1406). Der emeritierte Schweizer Professor der Islamwissenschaft
Johann Christoph Bürgel hat hierfür alle
Texte neu übersetzt, die so teilweise erstmalig in deutscher Sprache vorliegen.
Das Werk umfasst drei Teile: Es beginnt
mit religiöser Prosa, an die sich die Wissenschaften, Reiseberichte und Biographien anschließen und endet mit der
schönen Literatur.
Die Besonderheit der arabischen Literatur
liegt in dem allgegenwärtigen Bezug auf
den Koran und die Hadithe, mit denen
der erste Teil beginnt. Die Standard-Biographie über Mohammed und seine Zeit,
editiert von Ibn Hisham (gest. um 830),
vermittelt einen realistischen Eindruck. In
den ersten Jahrhunderten nach Mohammeds Tod im Jahr 632 häuften sich
Hadithe, deren Ursprung nicht als gesichert galt. Im 9. Jahrhundert entstanden
die sechs angesehensten Sammlungen
mit authentischen Überlieferungen. Beispielhaft zitiert Bürgel aus dem Werk von
al-Buchari (gest. 870).
Zu den einflussreichen Autoren religiöser
Prägung zählen der Perser al-Ghazali
(1058-1111) und der Andalusier Ibn Arabi
(1165-1240). Al-Ghazali widmete sich der
Suche nach der Wahrheit und widerspricht der aristotelischen Tradition im
Islam. Ibn Arabi gelang es, Theologie,
Mystik und neuplatonische Gedanken zu
vereinen. Seine Grundthesen sind in dem
Werk „Ringsteine der Weisheit“ zusammen gefasst. Darin äußert er sich über die
religiöse Toleranz und die Frau, „als vollkommenste Manifestation göttlicher
Schönheit.“
Zu den geläufigeren, im zweiten Teil
50
behandelten einundzwanzig Autoren
zählen Ibn Sina (Avicenna) und Ibn
Ruschd (Averroes) sowie Ibn Battuta und
Ibn Khaldun. Mit al-Kindi (um 801-866)
nahm die islamische Philosophie ihren
Anfang. Seine Schriften behandeln die
Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft.
Von dem persischen Kapitän Buzurg Ibn
Schahriyar zitiert Bürgel aus „Die Wunder
Indiens“, das Erzählungen und Seemannsgarn über seine Reisen enthält und
an Sindbad aus 1001 Nacht erinnern.
Masudi, der ebenfalls im 10. Jahrhundert
lebte, berichtet ausführlich über Alexander den Großen. Der Andalusier Ibn
Dschubair (1145-1217) schildert seine Pilgerfahrt und Erlebnisse mit den Muslimen
in Sizilien unter der Herrschaft von König
Wilhelm dem Guten. Der Biograph Ibn
Challikan (1211-1282) verfasste ein Lexikon mit über 800 Einträgen zu Personen
aus der islamischen Geschichte. Als Beispiel wählt Bürgel die ausführliche Biographie von Dschafar Ibn Yahya, dem
Wesir des Kalifen Harun al-Raschid.
Der arabische Begriff Adab umfasst die
Thematik des dritten Teils. Die vorgestellten Autoren „waren Meister der Beobachtung, liefern farbenprächtige Kulturbilder
in Form kurzer Anekdoten und Schwänke,“ kritisieren die Unmoral und Skrupellosigkeit sowie den Missbrauch der Religion durch die Mächtigen.
Ibn al-Muqaffa (um 724-756) gehört mit
seinen Übersetzungen aus dem Persischen zu den Pionieren des Adab.
Berühmt ist der Fabelzyklus von „Kalila
wa Dimna“, den zwei Schakalen am Hofe
des Löwen. Der Essayist und Gesellschaftskritiker al-Dschahiz (um 776-868)
ragt unter den Adab-Autoren am deutlichsten hervor. Der spielerische Umgang
mit der Sprache, der journalistisch anmutende Stil sowie die ungewöhnliche Themenauswahl - wie z. B. Zahnspangen -
sind kennzeichnend für seine Werke.
Dem umfangreichen Werk „Buch der Lieder“ von al-Isfahani (897-967), das die
arabische Kulturgeschichte, Biographien
von Künstlern und Hintergründe von
Gedichten kompiliert, räumt Bürgel den
meisten Platz ein. Einen der ersten philosophischen Romane der arabischen Literatur verfasste Ibn Tufail (um 1105-1186).
Sein Protagonist Hayy wird von einer
Gazelle aufgezogen. Nach deren Tod
entdeckt er die Welt, stellt sich philosophische Fragen und trifft auf Dorfbewohner, die einer geoffenbarten Religion
angehören.
Tausendundeine Welt hält, was es verspricht. Streiten lässt sich darüber, ob alle
der „wichtigsten Autoren und Werke“
vertreten sind, wie es der Umschlagtext
verkündet. Einmalig ist der „Überblick“
allemal. Die mutige Auswahl verdient
Respekt, ebenso wie die Übersetzungen,
deren Wert nicht zu unterschätzen ist.
Die üblicherweise vorgebrachte Kritik an
solchen Anthologien, dass Themen gar
nicht, zu kurz oder dann doch wieder zu
ausführlich behandelt seien, lässt sich mit
einem Verweis auf den Titel entkräften.
Dem Herausgeber dürfte es nicht schwer
fallen, genügend weitere Autoren zu finden, um die 1001 zu erreichen. Ein Band
zur arabischen Lyrik ist bereits in Vorbereitung.
Verlag C. H. Beck,
München 2007, 528 S.,
inklusive weiterführender Literatur und Glossar,
ISBN 978-3406563218
29,90 Euro
Alaa Al-Aswani
Wie viele Schicksale passen unter ein Dach?
Der Jakubijân-Bau
HG
Alaa Al-Aswanis Roman stellt vieles
dar, was es im alltäglichen Ägypten
gibt, worüber aber nie mit dieser
Offenheit gesprochen wird: Homosexualität, Korruption und religiöser
Fanatismus sind die Hauptmotive, die
den Rahmen der einzelnen Handlungen im Buch bilden. Al-Aswani besticht dabei mit einer detailgetreuen
Beobachtungsgabe und deckt unzensiert die tiefen Mechanismen und
Strukturen der ägyptischen Gesellschaft auf.
Mitten im Zentrum Kairos (Wust alBalad) steht der berühmte JakubijânBau, von dem alle weiteren Handlungen im Roman ausgehen. Das
vielköpfige Personal ergibt ein
Panoptikum, dass die ägyptische Gesellschaft repräsentiert. Da ist der
verträumte Bonvivant Saki Bey, der
homosexuelle Chefredakteur Hatim
Rachid, der korrupte Regierungspolitiker Hagg Muhammad Asam und
der in die Fänge des religiösen Fanatismus getriebene Taha Al-Schasli.
Äußerlich betrachtet eine gelungene
Auswahl an medieneffizienten Stereotypen, um daraus einen erfolgreichen Roman zu erschaffen. Al-Aswani machte jedoch im Vorfeld bereits
deutlich, das ihm nicht daran lag, die
Themenpunkte als Vorlage für einen
guten Roman zu nutzen. Vielmehr,
so Al-Aswani, entstehe erst durch
den Roman ein gutes Thema anstatt
umgekehrt. Und das wird im Jakubijân-Bau auch deutlich.
Der Roman beginnt mit Saki Bey, der
mal wieder eine Frau in seinem Büro
empfängt und am nächsten Tag von
ihr beraubt wird. Zu allem Unglück
verschwindet dabei auch der Ring
seiner Schwester Daulat, mit der er
noch gemeinsam eine Wohnung teilt.
Daulat erträgt den Lebensstil ihres
niedergeschlagenen Bruders schon
lange nicht mehr und leitet gegen
diesen ein Entmündigungsverfahren
ein. Das Chaos ist vorprogrammiert
und Saki Bey flüchtet sich in ein
Leben voller Sehnsüchte nach Ruhm,
Ehre und Macht vor Ausbruch der
sozialistischen Revolution 1952.
Und dann ist da Taha Al-Schasli.
Wenn man beispielsweise sein
Schicksal betrachtet, ergibt sich
daraus ein Bild von einem Ägypten,
das in Bezug auf die islamische Entwicklung nach und nach deutlich
strenger geworden ist. Das ägyptische moderate Verständnis des
Islams ist der wesentlich strengeren
wahabitischen Auffassung durch die
zurückgekehrten ägyptischen Wanderarbeiter aus Saudi-Arabien gewichen. Al-Schasli durchlebt eine radikale Kehrtwende in Bezug auf seinen
Glauben, nachdem ihm der Zugang
zu einer Polizeischule verwehrt
geblieben ist. Al-Aswani beschreibt
diesen Zustand innerhalb der ägyptischen Gesellschaft als Verschlossenheit und Rückständigkeit im Land.
Der Jakubijân-Bau ist ein lesenswerter Roman, dessen Autor in der
Nachfolge von Nagib Machfus und
besonders seinem Roman Die
Midaq-Gasse steht, in dem ein sozialer Mikrokosmos in der Altstadt Kairos vorgeführt wird. Al-Aswani verlagert den Mikrokosmos in das Zentrum, wo die Hauptcharaktere in
einem symbiotischen Verhältnis zueinander stehen. Er schlägt dabei
gekonnt eine Brücke zwischen Orient
und Okzident, weshalb das Buch
außer in Ägypten auch in Frankreich
und Italien bereits zum Bestseller aufgestiegen ist. In der arabischen Welt
zählt es zu den meistverkauften
Romanen der letzten Jahre. Die
Neue Zürcher Zeitung fand bei der
Herausgabe des Romans in deutscher Sprache die passenden Worte:
„Al-Aswani malt nicht schwarzweiss.
Sein Roman schillert in allen Farben,
klingt, riecht und schmeckt nach
Leben ...“
Übersetzt wurde das Buch übrigens
von Hartmut Fähndrich, der bereits in
der Vergangenheit durch seine zahlreichen Übersetzungen arabischer
Werken ins Deutsche von sich Reden
machte.
Lenos Verlag, Basel, 2007,
ISBN-13: 978-3857873812,
19,90 Euro
www.lenos.ch
51
Saddek & Sabine Kebir
Maria und Jesus im Islam
Illustrationen von Konrad Golz. Für Kinder, Jugendliche, Eltern und Erzieher
UA
Das wunderschöne (Bilder)Buch, das
die Geschichte von Maria und Jesus
aus der Sicht des Islam erzählt, ist
52
sowohl eine Geschichte für Kinder
als auch ein Leitfaden für Eltern und
Erzieher zum tieferen Verständnis der
islamischen Auffassung von Jesus und
dem Stellenwert von Maria, der Mutter Jesu.
Im ersten Teil wird die Geschichte
der Geburt Jesu erzählt, wobei die
Person Marias einen breiten Raum
einnimmt, was bereits verdeutlicht,
wie wichtig sie den Muslimen ist. Im
zweiten Teil des Buches sind die
Koran-Passagen abgedruckt, in denen
von Maria und/oder Jesus (Isa) die
Rede ist. Und schließlich gibt es
zusätzliche Informationen über die
Verbreitung der Erzählung der Geburt Jesu und seiner Wundertaten.
Nirgends in dem Buch finden sich indoktrinierende Passagen, sondern es
ist ein aus wissenschaftlicher Sicht
heraus erläuternder Leitfaden für
einen wertfreien „Unterricht“, wobei
sicher so mancher Erwachsene das
ein oder andere Aha-Erlebnis haben
wird.
Die schönen Illustrationen von Konrad Golz – ganzseitige Bilder sowie
Ornamente auf jeder Seite – machen
das Buch auch optisch einzigartig.
Und es ist sicher nicht nur zur Weihnachtszeit ein sehr gutes Geschenk
für Groß und Klein.
Interkulturelle Dialoge
Peoples Globalization Edition,
o.O. 2007,
ISBN 978-3-00-023018-9,
18,- Euro
www.sabine-kebir.de/aktuellebuecher.html
CD-Vorstellung
Radio Marrakesch
Jazz mit Rhythmen und Klängen orientalischer Kulturen
SG
Radio Marrakesch
CD produziert von Dirk Engelhardt und Manfred Schiek, 2005
Länge: 51:45 Min.
Dirk Engelhardt (T-Sax), Ali Baba
(Qanun, Akkordeon; Libanon),
Andreas Willers (Gittare), Rainer
Winch (Perkussion), Ramani Krishna
(Bass; Indien)
Wer zu dieser CD greift, in der An-
nahme, es handle sich um Musik aus
Marokko, wird sicherlich enttäuscht,
zumindest überrascht sein. Die
Gesänge im „Café du Detroit“ in Tanger/Marokko werden im Booklet als
Inspiration ausgewiesen. Als Hörer
kann ich diesen Einfluss nur wage
nachvollziehen.
Bei der von Dirk Engelhardt und
Manfred Schiek produzierten CD
handelt es sich um Jazzstücke, die
mit Rhythmen und Klängen orientali-
scher Kulturen korrespondieren.
Vor allem eingängige traditionelle
arabische Melodien werden durch
die herausfordernden Dialoge der
einzelnen Instrumente aufgebrochen. Die Protagonisten wie Gitarre,
Saxophon, Akkordeon, Qanun treten
solistisch glanzvoll in den Vordergrund, um dann wieder in dem
raumfüllenden,
atmosphärischen
Sound fließend zueinander zu finden. Das Zusammenwirken einzelner Instrumente aus unterschiedlichen musikalischen Traditionen ist
keineswegs selbstverständlich. Den
zarten, fast flüsternden Klang eines
Qanun neben einer vorpreschenden
E-Gitarre wirkungsvoll zur Geltung zu
bringen, ist eine Herausforderung,
die dem multikulturellen Ensemble
gelungen ist.
Ich fühlte mich an die Musik der 70er
Jahre erinnert, eine Zeit, zu der Einflüsse aus dem Orient in der Rockmusik hörbar waren. Der Sound ist
reich an Klangfarben und Stimmungsumschwüngen – passend zu einem
sonnigen Herbstmorgen – in Marra-
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53
Weihrauchbaum in der Wüste
54
Aus der Natur
Weihrauch in Oman
Text und Fotos: Barbara Schumacher
Eine der Sehenswürdigkeiten der südlichen Provinz Dhofar ist die Weihrauchgegend. „Aus diesen knorrigen Sträuchern werden pro Jahr 6.000 Tonnen Weihrauch gewonnen,“ so Ahmed, der sich mit dem kostbaren Harz auskennt, weil er in der Erntezeit als Aufseher dort arbeitet.
„Weihrauch wächst nur wild. Es ist unmöglich, Weihrauchkulturen anzulegen. Pro Jahr sind hier 3.000 Menschen
mit der Ernte beschäftigt. Das Meiste wird exportiert und
von der Kosmetikindustrie verarbeitet. Die dabei entstehenden Öle sollen gut sein gegen Faltenbildung. Auch für
Parfum wird Weihrauch verwendet. Luban, (Weihrauch mit
medizinischer Wirkung) war früher eine kostbare Handelsware, teurer als Gold, und brachte großen Reichtum: ein
Grund dafür, dass die Römer das Land „arabia felix“ nannten. Schon die Römer versuchten, in dieser Gegend der
Weihrauchsträucher Fuß zu fassen. Dies konnte nicht gelingen, da sie übersahen, dass weit und breit nur Wüste war.
Kaiser Nero soll bei der Beerdigung seiner Frau die ganze
Jahresernte Arabiens „verdampft“ haben. Nach der Ernte
und einer gewissen Lagerungszeit wurde der Weihrauch
mit Kamelen durch die Wüste transportiert und dann verschifft.
Die Weihrauchstraße ist noch heute ein Begriff. Beim Verbrennen von Weihrauch entwickeln sich Phenoldämpfe,
die desinfizierende Wirkung haben. Schon früher wurde in
Tempeln bei großen Menschenansammlungen Weihrauch
verbrannt. Dies hatte kulturelle und religiöse Gründe,
diente aber auch der Vermeidung der Ausbreitung von
Krankheiten. Die Ernte des Weihrauchs erfolgt vor der
typische Weihrauchgefäßé aus Oman
Monsunzeit. Man benutzt dazu ein spezielles Messer, ein
Mangaf, mit dem der Baum eingeritzt wird. Nach zehn
Tagen ist das Harz ausgetreten - das sieht aus wie Tränen -,
wird dann eingesammelt und an speziellen Plätzen
getrocknet. Ein Baum bzw. Strauch wird 2 - 5 m hoch und
produziert etwa zehn Kilo Weihrauch. Ein und derselbe
Strauch wird während einer Saison drei- bis viermal angeritzt, danach kann er sich „ausruhen.“ Die echten Weihrauchsträucher wachsen nur in der Provinz Dhofar mit den
größten Beständen, im Hadramaut (Jemen) und in Somalia, sonst nirgendwo auf der Welt. Viele Geschichten ranken sich um den Weihrauch. Wenn es dämmert, kann man
sich mit ein wenig Phantasie vorstellen, dass bei der bizarren Form der braunen Äste sich kleine Schlangen um die
Äste zu winden scheinen. Vor der Ernte des Weihrauchs
führen die Arbeiter spezielle Waschungen durch. In der
Regel ist die Weihrauchernte Männersache.“
Für Einheimische und Besucher ist der Weihrauchsouk in
Dhofars Hauptstadt Salalah attraktiver Treffpunkt. Der
Preis des Weihrauchs richtet sich nach der Qualität. Man
unterscheidet vier Sorten, in der Reihenfolge der Qualität:
Al-Hojari (beste Sorte), Ashazri, Annajdi und Asha’bi. Als
Faustregel gilt: Je heller die Farbe, desto besser die Qualität. Auch die Weihrauchbrenner kann man im Souk kaufen. Früher waren die manchmal künstlerisch durchbrochenen Tongefäße bunt bemalt, die echten, traditionellen
Weihrauchbrenner kann man in den original eingerichteten Forts sehen. Heute gibt es moderne Ausführungen in
den verschiedensten Materialien, Größen und Farben.
Weihrauch gehört zur Kultur im Land: Bei offiziellen
Anlässen gehört er zur Begrüßungszeremonie, an vielen
heiligen Orten, wie z. B. in der Grabmoschee von Hiob,
wird Weihrauch verbrannt und die Henna-Nacht einer
Hochzeitsfeier ist ohne Weihrauch undenkbar. Die meisten Familien pflegen ihre eigene Weihrauchtradition und
eine besondere Ehre ist es, als Gast ein Döschen mit
Weihrauch geschenkt zu bekommen.
Weihrauchverbrennung
55
Ein Rohstoff begründet den Reichtum des Arabia Felix
Weihrauch
Ulrike-Zeinab Askari
„Was steigt da herauf aus der
Wüste wie ein gerader Rauch, wie
ein Duft von Myrrhe, Weihrauch
und allerlei Gewürz des Krämers?“ Hohelied Salomons, 3, 6
Gold, Weihrauch und Myrrhe brachten die Heiligen Drei Könige Kaspar,
Melchior und Balthazar dem Christuskind dar, die kostbarsten Geschenke, die es damals gab. „Als sie den
Stern sahen, wurden sie hoch erfreut
und gingen in das Haus und fanden
das Kindlein mit Maria, seiner Mutter,
und fielen nieder und beteten es an
und taten ihre Schätze auf und
schenkten ihm Gold, Weihrauch und
Myrrhe.“ (Matthäus, 2, 10) An mehreren Stellen der Bibel wird Weihrauch
erwähnt1, so im Alten Testament im
Hohelied Salomons: „Du bist ge-
wachsen wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen mit Narden, Narde und
Safran, Kalmus und Zimt,
mit allerlei Weihrauchsträuchern, Myrrhe
und Aloe, mit
allen feinen
Gewürzen.“
(4,14)
fand der Weihrauch Eingang in die
europäische Naturheilkunde,
wo er bis etwa 1870
noch be-nutzt wurde,
da er in pharmakologischen
Büchern
immer wieder empfohlen
wurde.
Tatsächlich sind
Weihrauch oder
Weihrauch und
Olibanum ist der
andere Kräuter,
Inbegriff
heiligen
die in ähnlicher
Räucherwerks. HerFunktion benutzt wurgestellt werden die
den wie der kostbare Olibanum, Foto: Peter Presslein
gelben Tränen aus
Weihrauch, seit einigen Jahrtausenden bekannt. In der dem eingetrockneten Milchsaft von
indischen Naturmedizin Ayurveda Boswellia carteri und anderen Boswird Weihrauch seit 5.000 Jahren ver- welliaarten. Früher kam der Weihwendet. Zur gleichen Zeit fand der rauch aus dem „Arabia Felix“
Weihrauch bei den Alten Ägyptern genannten Teil der Arabischen HalbVerwendung bei der insel. Die genaue Herkunft des WeihMumifizierung. Auch rauches konnte lange Zeit geheim
die Sumerer, Babylo- gehalten werden, was auch den
nier und Perser kann- sagenhaften Reichtum dieses Teils
ten den Weihrauch. des arabischen Reiches begründete.
Sein
bekanntester Alle Welt importierte den Weihrauch
Verfechter in der ara- zu religiösen, kosmetischen und auch
bischen Medizin war zu medizinischen Zwecken.
Ibn Sina (980 – 1037
n. Chr.). In Europa Die Kirche hatte schnell erkannt, dass
fand der Weihrauch der Weihrauchduft die spirituelle
Verbreitung
durch „Arbeit“ förderte und eine AtmoKaiser
Konstantin sphäre von Frieden und innerer Ruhe
(272 – 337 n. Chr.), erzeugte. Neben der Verwendung als
der das Christentum Räucherwerk in religiösen Zeremoförderte und für die nien kann auch sein Öl verwendet
Ausbreitung
der werden, das in der Parfumherstellung
christlichen Kirche seiner fixierenden Wirkung wegen
sorgte.
eingesetzt wird. Der Duft von Weihrauch ist noch heute so beliebt, dass
Über die arabische es in vielen Teilen der arabischen
Medizin und den Welt zu den HochzeitsvorbereitunGebrauch in den gen gehört, die Braut und den BräutiBoswellia sacra - arabischer Weihrauch, aus: Franz Eugen Köhler:
Köhler’s Medizinal-Pflanzen, 1887
Ritualen der Kirche gam sowie deren gesamte Kleidung
56
Im medizinischen Bereich wird der
Weihrauch heute hauptsächlich wegen seiner anregenden und zugleich
beruhigenden Wirkung eingesetzt.
Früher war er auch wegen seiner
wundheilenden, adstringierenden
Kräfte geschätzt. In einem Rezept des
Paracelsus zur Wundheilung findet
sich neben Terpentin- und Johanniskrautöl auch Weihrauch. Bei Ibn Sina
(vgl. S. 24f.) findet sich Weihrauch
neben vielen anderen aromatischen
Heilmitteln.
Heute kommt Weihrauch auch aus
China, Indien und Äthiopien. Dabei
gibt es große qualitative Unterschiede, die sich u. a. in der Farbe bemerkbar machen. Von weißen Perlen
bis fast rotem und bräunlichem Harz
ist alles zu haben. Und immer noch
wird der Weihrauch in der Kirche
benutzt. Aber auch viele andere
Menschen haben den Weihrauch
entdeckt: Z. B. findet er Verwendung
bei spirituellen Zeremonien. In der
Naturkosmetik wie in der Naturmedizin erlebt das alte Gold der Araber
eine regelrechte Renaissance.
Aromen und Essenzen
UA
Nach dem Untergang des Römischen Reiches existierten viele alte Traditionen in Byzanz, das immerhin eine tausendjährige Geschichte hat (330 –
1453), weiter. Von dort übernahmen die Araber viele Kenntnisse und Fähigkeiten und bauten sie weiter aus. So auch das Wissen um die Wirkung von
Heilpflanzen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die Byzantiner
bereits die Destillation kannten (von Aetius von Amida um 500 n. Chr.
beschrieben). Sie wurde später von Ibn Sina weiter ausgefeilt und perfektioniert.
Die Alchemie und Pharmazie waren zwei große Bereiche, in denen Pflanzen eine wichtige Rolle spielten. Die technischen Mittel übernahmen die
Araber von den Griechen, Alten Ägyptern, Mesopotamiern, Indern, zum
Teil sogar von den Chinesen.
Dass die Aromakunde in der arabischen Welt einen so hohen Stellenwert
erlangte, liegt u. a. daran, dass der Prophet Muhammad gesagt hat, dass
drei Dinge sein Herz erfreuen können: Frauen, Kinder und Parfum.
Der Islam verstand sich nie als sinnenfeindliche Religion, denn er hatte eher
das Ziel, Gott auf dem Weg über Ekstase und Exaltation der Sinne zu erfahren.
Das Lieblingsparfum der Araber, der Moschus, wurde früher sogar beim
Bau von Moscheen in den Mörtel eingemischt und der feine Duft verbreitet
sich bis heute. Salah al-Din ließ nach der Eroberung Jerusalems 1187 die
Moschee des Omar „mit Rosenwasser reinigen, um die Ausdünstungen der
„Ungläubigen“ gründlich zu entfernen.“
Foto: B. Schumacher
vor der Hochzeit mit Weihrauch zu
räuchern. Bestimmte Arten von
Weihrauch werden in Ägypten und
anderen arabischen Ländern heute
noch gekaut – und haben eine
euphorisierende Wirkung.
Literatur
1 Insgesamt wird Weihrauch in der Bibel
24 Mal erwähnt, s. http://www.bibelonline.net unter dem Suchwort
Weihrauch.
Martin Henglein: Die heilende Kraft der Wohlgerüche und Essenzen. Lübbe
Verlag, Bergisch-Gladbach 1990, ISBN-13: 978-3404621255
Susanne Fischer-Rizzi: Botschaft an den Himmel. Anwendung, Wirkung und
Geschichte von duftendem Räucherwerk, AT Verlag Baden/München, 2002, ISBN13: 978-3855028757, 28,90 Euro
57
Aktuelles
Humor in der arabischen Kultur
Symposium an der FU Berlin 2007
Katja Schönke
Im Sommer fand an der Freien Universität Berlin ein internationales
Symposium zu dem globalen Thema
„Humor“ statt. Eingeladen hatte Prof.
Dr. Georges Tamer vom Seminar für
Semitistik und Arabistik und es
kamen viele Fachleute aus aller Welt
sowie zahlreiche Gäste.
Die Tagung fand in Zusammenarbeit
mit dem Zentrum Moderner Orient
(ZMO) statt und wurde gefördert von
der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften
der FU, der Botschaft Qatars und
dem Rat der Arabischen Botschafter
in Deutschland.
Thema der Konferenz waren die Existenz und Ausdrucksformen von Humor in den Gesellschaften der arabischen Welt von gestern bis heute wie
auch das Verständnis von Humor im
jüdischen und christlichen Denken.
So ging es gleich zu Beginn um die
Frage, ob Araber eigentlich Humor
haben und wenn ja, ob er anders ist
als der der Europäer oder der Deutschen. Prof. Tamer erläuterte dazu,
dass Humor kontextabhängig ist.
„Und Humor ist keine Einbahnstraße es sind immer zwei Seiten beteiligt. …
Der Islam ist nicht humorfeindlich.
Ich habe neulich in der Spruchsammlung Mohammeds gelesen, da steht
sogar, dass Gott lacht. Aber religiöses
Denken ist ernst. … Ich glaube, den
Humor einer anderen Kultur zu verstehen, ist ein Stück Integration. Ich
war schnell integriert, ein Freund
nannte mich nach zwei Jahren den
Preußen aus dem Libanon.“1
Um zunächst einmal eine gemeinsame Gesprächsebene zu schaffen,
begann das Symposium mit dem
Themenblock „Humor und Religion“.
58
Die erste Referentin legte dar, dass
der Koran keine eindeutigen Aussagen über den Humor oder das
Lachen macht. Es finden sich lediglich – ähnlich wie bei der Frage nach
der Musik – nur Hinweise, dass gelächelt wird, gelacht oder auch gespottet, wobei das Spotten der Gläubigen
übereinander verboten ist. Allerdings
habe selbst der Prophet Mohammed
gern gescherzt, zumindest mit Wortspielereien. Die Meinungen in den
Hadithen (den Aussprüchen des Pro-
Warum lachen wir eigentlich
nicht?
Lachen ist eine Schande.
Es gibt nichts zu lachen.
Noch einmal: Es ist eine Schande
zu lachen.
Ohne Grund zu lachen, ist kein
gutes Benehmen.
Schwule lachen trotzdem!
Letztendlich sterben wir sowieso.
Warum also bitteschön lachen?
pheten) über das Lachen sind widersprüchlich.
Weitere Themenblöcke befassten
sich mit Humor in der arabischen
Literatur sowie Humor in der Moderne (Theater, Literatur und Medien).
Dazu waren u. a. der algerische Karikaturist Slim und der marokkanische
Journalist Driss Ksikes geladen.
Fazit für mich: Alle Menschen
lachen, aber worüber, das hängt von
politischen, kulturellen, wirtschaftlich-sozialen, religiösen, pädagogischen und anderen Umständen ab.
Eine wichtige Veranstaltung, bei der
viel gelacht wurde. Insgesamt vielleicht immer noch zu wenig, aber je
mehr Menschen unterschiedlicher
Herkunft miteinander lachen können, umso friedlicher wird unsere
Welt!
1 George Tamer: „Der Islam ist nicht
humorfeindlich“, Interview mit Silke Lode,
Süddeutsche Zeitung vom 6. 7. 2007
Vorschau
Die nächste Ausgabe,
1/2008
erscheint im März 2008
Palästina
* Geschichte Palästinas
* Ibrahim Hazimeh, Mahmoud Shahin,
Mahmoud Darwish
* Der Felsendom
Ibrahim Hazimeh: Fünf Schwestern
* Palästinensischer Film
* Sitten und Gebräuche, Teil 7
* Geschichte der arabischen Musik, Teil 4
* u. v. m.
Impressum
ISSN
1431-7974
Herausgeber
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Wilhelmstr. 42, 10963 Berlin
Tel. 030 -61 65 96 51
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Mohamed Askari ma, Ulrike-Zeinab Askari ua,
André Elbing, Hussein Gaafar hg,
Svetlana Georgieva sg,
Britta Hecking bh, Ines Hofmann,
Christian M. Jolibois cmj, Bruno Kaiser,
Veronika Leichs, Andrea Moritz , HFJ Möller,
Andreas Paelchen, Katja Schönke, Brit Schuster,
Barbara Schumacher, Jürgen Sorge
Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt
der Verlag keine Haftung. Redaktionelle Bearbeitung behalten wir
uns vor. Die Urheberrechte der Artikel, Fotos und Annoncenentwürfe bleiben beim Verlag. Nachdruck auch einzelner Teile bedarf der
schriftlichen Genehmigung.
Titel: Die Entlohnung der Künstler
durch den Kalifen, aus einem arabischen Manuskript um 1335
Covergestaltung: mediaAGENT, Berlin
Bild Rückseite: Foto: HFJ Möller
59
Omda – Puppentheater, Foto: HFJ Möller
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