philoSPIRIT SYMBOLE Universalsprache der Menschheit Im Advent schmückt ein Adventkranz unsere Wohnungen, zu Weihnachten ein Christbaum; zu Ostern färben wir Eier und schenken uns Hasen – am liebsten aus Schokolade; am 1. Mai wird ein Maibaum aufgestellt, zum Fasching verkleiden wir uns, an Geburtstagen essen wir Torten und zu Neujahr einen Sauschädel. Außerdem schütteln wir uns zur Begrüßung die rechten Hände, tragen Eheringe und zünden unseren Verstorbenen ein Licht an. Symbole sind also in unserem Alltag allgegenwärtig. Doch welche Bedeutung haben all diese Symbole? Vor allem wozu braucht sie der Mensch? Von Hannes Weinelt 22 Abenteuer Philosophie / Nr. 123 philoSPIRIT A n den Ufern der großen kanadischen Seen leben bis heute einige Stämme der Ojibway-Indianer. Über Jahrhunderte stellten sie fest, dass die ersten drei Monate des Jahres ohne Gewitter vergehen. Im April ist dann der Donner zum ersten Mal zu hören. Die Donnertage steigern sich bis zum Juli, um dann wieder abzunehmen und schließlich im Oktober zum letzten Mal Gewitter zu bringen. Gleichzeitig mit den Donnertagen kommen die Zugvögel aus dem Süden und verschwinden mit den Gewittern im Oktober, weshalb sie die „Donnervögel“ genannt wurden. Wir belächeln heute solche Bezeichnungen, denn schließlich sind Meteorologie und Ornithologie (Vogelkunde) zwei komplett verschiedene Wissenschaften, und Zugvögel haben mit dem Donner nichts zu tun. Früher nannten wir solche Völker primitiv, heute vorwissenschaftlich. Damit jedoch sind wir auf einem doppelten Holzweg: erstens wissen auch die Ojibway, dass die Donnervögel nicht die Ursache der Gewitter sind, aber es gibt eine offen- sichtliche Nähe der beiden Phänomene, was den Begriff rechtfertigt. Zweitens gibt es keinen Entwicklungs- geschweige denn Fortschritt vom Weltbild der Ojibway zu einem wissenschaftlichen Weltbild, sondern es sind grundsätzlich zwei verschiedene Betrachtungs- und Verhaltensweisen, die der Mensch gegenüber der Welt einnehmen kann. Was unseren wissenschaftlichen Augen als untaugliche Wetterkunde erscheint, ist in den Augen der Ojibway einfach eine Ordnung der umgebenden Welt aus der gelebten, praktischen Erfahrung. So wie sich bei unseren bäuerlichen Traditionen gelebte Erfahrungen von Anbauformen oder Wetterkunde ergeben, die dem Agrarwissenschaftler verborgen bleiben. Dieser verlässt sich lieber auf Pestizide als auf das Anbauen zu einer bestimmten Mondphase oder von Zusatzpflanzen, um Schädlinge fernzuhalten. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen suchte der Mensch den Sinn und die Ordnung der Dinge. Immer wurde der chaotischen Vielfalt der Welt eine Ordnung gegeben und den Phänomenen eine Ursache und ein Sinn zugeschrieben. Und diese Ordnung und Sinngebung funktioniert durch das Symbolisieren. Großartig wird dies vom Philosophen Ernst Cassirer in seiner Philosophie der symbolischen Formen dargestellt. Symbole schaffen Sinn Nach Cassirer ist Kultur die Art und Weise, wie der Mensch durch Symbole Sinn erzeugt. Symbole entstehen also stets in Verbindung zur Sinnlichkeit, haben aber einen Sinn, der über sie hinaus weist. Bleiben wir beim sinnlichen Phänomen von Blitz und Donner: Die alten Griechen schrieben dieses Phänomen dem Gott Zeus zu. Die Etrusker entwickelten aus den Blitzen hochkomplexe Prophezeiungen, für unsere heutige Wissenschaft handelt es sich um elektrostatische Entladungen. Cassirer bezeichnet Mythologie, Sprache, Wissenschaft, Religion und Kunst als gleichwertige symbolische Formen. Der Blitz als elektrostatische Entladung enthüllt uns nicht mehr und nicht weniger über Sinn und Bedeutung dieses Phänomens als der blitzeschleudernde Zeus. Nr. 123 / Abenteuer Philosophie 23 philoSOCIETY NEUE Bucherscheinung Der Autor Fernand Schwarz ist Anthropologe und widmet sich seit 40 Jahren der Erforschung der symbolischen Strukturen der antiken aber auch der modernen Gesellschaften. Preis: € 18,50 + Versandkosten für Abonnenten: € 13,50 + Versandkosten Bestellung: Verlag Filosofica, Münzgrabenstraße 103, 8010 Graz vertrieb@ abenteuer-philosophie.com, Tel.: 0043-316-481443 philoSPIRIT Kehren wir zu einem Beispiel des Anfangs zurück: warum stellen wir zu Weihnachten einen lichtergeschmückten Nadelbaum auf? Der immergrüne Baum als Symbol des ewigen Lebens in der dunkelsten Zeit des Jahres? Die Lichter als Symbol der Wiedergeburt der Sonne zur Wintersonnwende? Der Baum ist nun kein einfacher Baum mehr, er repräsentiert das Leben. Die Lichter dienen nicht einfach zur Produktion von Helligkeit, sondern repräsentieren die wiedergeborene Sonne. Das Symbolisieren enthüllt uns das Unsichtbare im Sichtbaren, enthüllt uns den im Sichtbaren verborgenen unsichtbaren Sinn. Ohne die Fähigkeit des Symbolisierens bleiben wir bei der oberflächlichen und funktionalen Bedeutung der Dinge, ähnlich wie die Tiere. Tiere sammeln Zweige, um ihren Unterschlupf auszupolstern, der Mensch jedoch kann daraus einen Adventkranz formen, einen Kreis aus immergrünen Zweigen, was wiederum das Leben ohne Anfang und Ende symbolisiert. Iustitia 24 Abenteuer Philosophie / Nr. 123 Daher ist für Cassirer der Mensch ein homo symbolicus. Der Mensch wird nicht zum Menschen durch die Fähigkeit, Werkzeuge zu schaffen, sondern durch die Fähigkeit des Symbolisierens Sinn und Bedeutung zu schaffen. Der Mensch ist das einzige Wesen der Natur, das existiert und seiner Existenz einen Sinn verleihen kann – dank des symbolischen Denkens. Wenn der Mensch bzw. eine ganze Kultur das symbolische Denken verliert, wir also den Dingen der Welt keinen Sinn mehr verleihen können, wird schließlich das ganze Leben sinn- und bedeutungslos. Woher kommen die Symbole? Zunächst erkennen wir, dass den Symbolen der verschiedenen Völker und Kulturen Das Zeichen, wie z. B. ein Verkehrszeichen, ist im Gegensatz zum eine Tradition von Mythen und Legenden zugrunde liegt. Diese Traditionen sind oft Symbol ein willkürlich bestimmtes Bild so stark in einem Kollektiv verankert, dass sie selbst durch eine neue religiöse oder eine Reihe von Interpretationsschritten: wissenschaftliche Struktur nicht zum Ver- was bedeuten die verbundenen Augen, die schwinden gebracht werden können. So Waage, das Schwert? zum Beispiel war das Ereignis der WinterBei der dritten Ebene, dem Symbol, ist sonnwende mit seiner Symbolik des Lichtes diese interpretierende Arbeit nicht notso stark in den keltisch-germanischen Tra- wendig. Das Symbol lässt seine unsichtbare ditionen Europas verwurzelt, dass das neu Bedeutung unmittelbar erahnen. Die Waage entstehende Christentum das Weihnachts- steht für „Abwägen“, für „ausgleichende fest und die Geburt von Jesus schließlich Gerechtigkeit“, das Schwert für „Kampf “ auf dieses Datum legen musste. Vielfach und „Urteilsvollstreckung“. Die Bedeutung wurden heidnische Traditionen einfach ist unmittelbar im Symbol angelegt, das mit christlichen Symbolen überlagert. Symbol ist also nicht willkürlich. Weder ein Aus heutiger philosophischer und anthro- Schaukelstuhl noch eine Friedenstaube könpologischer Sicht wird das Symbol generell nen Symbole für den Kampf sein. Zeichen unter die Idee des Zeichens eingeordnet, sind austauschbar, Symbole stehen mehr wobei man drei Ebenen unterscheidet: ers- oder weniger fest. tens das Zeichen an sich, wie zum Beispiel Schon Goethe unterschied in seinen mathematische Zeichen, oder die Noten- „Maximen und Reflexionen“ das Symbol schrift in der Musik oder auch Verkehrs- von der Allegorie. Für ihn ist das Symbol zeichen. Das Zeichen ist dadurch definiert, eine „aufschließende Kraft“, die „im Besondass der Zusammenhang zwischen dem deren das Allgemeine und im Allgemeinen sichtbaren Bild und seiner Bedeutung will- das Besondere darzustellen vermag“. „Die kürlich ist. Ein „P“ steht für Parken, ein auf Symbolik verwandelt die Erscheinung in dem Kopf stehendes Dreieck für negativen Idee, die Idee in ein Bild, und so, dass die Vorrang, usw. Die nächste Ebene ist die Idee im Bild immer unendlich wirksam und Allegorie. Diese dient dazu, eine abstrakte unerreichbar bleibt und, selbst in allen SpraIdee sichtbar zu machen. Beispielsweise chen ausgesprochen, doch unaussprechlich die Gerechtigkeit, lat. Iustitia. Sie wurde bliebe.“ Das Symbol besitzt demnach eine im Bild einer Frau mit verbundenen Augen, unendliche Bedeutungsfülle. Und diese ist Schwert und Waage zusammengefasst. Eine nicht rational und kann sogar widersprüchsolche Allegorie erschließt sich uns durch lich sein. Feuer kann zum Beispiel für Geist, philoSPIRIT Erkenntnis, Schöpfung, Transformation, das Wozu brauchen wir Symbole? Göttliche aber auch für Blenden, Zerstörung oder Krieg stehen. Niemals kann ein Bild Die Sinnfunktion des Symbols wurde den gesamten Inhalt darstellen, aber immer schon erwähnt. Ohne symbolisches Denken ist das Symbol ein Mittler zwischen der können wir den Dingen keinen Sinn versinnlichen Welt und den dahinter verbor- leihen. Zum Beispiel unseren Krankheiten: genen Ideen, zwischen dem Sicht- und dem obwohl sogar unsere Sprache diesbezüglich Unsichtbaren. voller Symbole ist, wie „die Nase voll haben“, Für C. G. Jung enthält jedes Symbol „das geht mir an die Nieren“, „etwas liegt einen „Archetypus als unanschaulichen, mir im Magen“, oder „die Galle geht mir aber energiegeladenen Bedeutungskern“. über“, haben wir verlernt, was KrankheiSymbole werden für Jung nie bewusst erson- ten uns symbolisch zu sagen versuchen. nen, sondern vom Unterbewussten produ- Indem wir die Krankheiten mit Tabletten ziert, worauf auch seine Traumpsychologie aus der Welt schaffen und schließlich auch aufbaut. Die Sprache unserer Träume ist den Tod negieren, begreifen wir auch das eine Symbolsprache, eine Sprache unseres Leben nicht mehr. Denn erst die IntegraUnbewussten und sogar eines kollektiven tion von Krankheit und Tod gibt unserem Unbewussten, das heißt diese Sprache ist Leben einen tieferen Sinn. Sobald wir an universell. Zu diesem Schluss gelangt auch unseren Tod denken, denken wir an den Erich Fromm: er nennt die Symbole die Sinn unseres Lebens. Mittels des symbo„Universalsprache der Menschheit“, die in lischen Denkens lösen wir uns vom rein allen Kulturen und zu allen Zeiten gleich oberflächlichen äußeren Schein der Dinge ist. Der moderne Mensch jedoch hat diese und erfassen ihre innere Bedeutung und Sprache verlernt, und sie ist nur noch in Wirklichkeit: ein äußeres Achselzucken unseren Träumen vorhanden. erkennen wir als innere Ratlosigkeit, ein Woher also kommen die Symbole? Geschenk als Zuneigung, einen Unfall als Von nirgendwo! Vielmehr sind sie schon Zeichen, dass ich zu schnell in meinem im Menschsein angelegt. Alles wird zum Leben unterwegs bin. Symbol, dort wo der menschliche Geist die Symbole haben aber auch eine große dahinter liegende Bedeutung erfasst, die Bedeutung als Kommunikationsmitgesamte Natur, auch wir selbst sind ein Sym- tel. Nicht umsonst heißt es „ein Bild sagt bol, all unser Erleben ist ein Symbol, sobald mehr als 1000 Worte“. Manchmal ist das wir den Sinn dieses Erlebten begreifen. Überreichen einer Blume mächtiger als tau- Symbol von symbolon I m alten Griechenland wurde beim Schließen einer Freundschaft oder eines Vertrages ein Tontäfelchen in zwei Teile zerbrochen, sodass sich die beiden Partner oder auch deren Vertreter jederzeit wiedererkennen konnten. Aus diesem Zusammenfügen (griechisch symballein) entstand der Begriff Symbol (griechisch symbolon). Das symbolon war also das sichtbare Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit, nämlich die einer Freundschaft oder eines Vertrages. Schon Aristoteles bezeichnete die Sprache insgesamt als symbolon der Vorgänge der Seele und das lateinische symbolum, mit (Kenn)zeichen oder auch (Sinn)bild übersetzt, wird schließlich zu unserem Begriff Symbol. Im alten Ägypten wurde das Symbol in Form von zwei, einen Hohlraum bildenden Händen dargestellt. Damit wird die Idee des Tragens und Beinhaltens zum Ausdruck gebracht – das Symbol als Träger eines verborgenen, nicht sichtbaren Inhaltes. Perlen haben in allen Kulturen eine große Bedeutung sende Erklärungen, das Reichen einer Hand oder eine Umarmung stärker als hunderte Ratschläge. Symbole sind die eigentliche Sprache des Menschen. Die alten Sprachen sind voll von Sprichwörtern und blumigen, symbolischen Bildern. Unsere Sprache ist sehr technisch geworden und an festen Begriffen orientiert. Symbole sprechen in jedem Menschen andere Bilder an, werden aber von jedem auf seiner Ebene verstanden. Worte dagegen führen gerade durch ihre Eindeutigkeit zu häufigen Missverständnissen. Die Symbolsprache umfasst neben dem Rationalen auch das Emotionale und das Mysterium. Eine der berühmtesten Predigten Buddhas bestand einfach darin, seinen Zuhörern eine Blume zu präsentieren, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Das Absinken der Symbole Diesen Ausdruck finden wir beim großen Religionsphilosophen Mircea Eliade in seinem Werk „Die Religionen und das Heilige“. Er führt dabei das Symbol der Perle an, die ursprünglich eine magisch-religiöse Bedeutung hatte. Als „vom Wasser geboren“ und auch „vom Mond geboren“ (Atharva Veda), außerdem in der Muschel, dem weiblichen Symbol schlechthin, herangereift, hat die Perle in allen Kulturen eine große Bedeu- Nr. 123 / Abenteuer Philosophie 25 philoSPIRIT tung für die Frau. Sie wird als Amulett für das Glück in der Liebe, für Fruchtbarkeit und das Gebären verwendet. Auch beim Totenkult spielt sie daher eine Rolle. In der Medizin wurde die Perle zu einem wichtigen Heilmittel vor allem bei Melancholie, Epilepsie und Wahnsinn. Wie man sieht, alles Krankheiten, die einen Zusammenhang mit dem Mondischen aufweisen. Schließlich jedoch sinkt das Symbol der Perle in den Aberglauben ab, wie zum Beispiel, dass man sie nicht schenken solle, da sie Tränen bringen würden, oder verkommt zu einer rein ästhetisch-ökonomischen Bedeutung. Dieses Absinken der Symbole lässt sich auch bei all den eingangs erwähnten Beispielen feststellen. Aus unseren Festen Der Beginn des Doktor Spin E dward L. Bernays gilt als Vater der Propaganda. Er half Unternehmen und Staatschefs auf der ganzen Welt. Kein Wunder: Sigmund Freud war sein Onkel. Unter diesem Titel veröffentlichte die Süddeutsche 2007 einen Artikel von Dirk Schäfer. Der 1891 in Wien geborene Bernays verstand es wie kaum ein anderer die Massen emotional anzusprechen und zu manipulieren. Aufbauend auf dem Werk seines Onkels Sigmund Freud lernte er die verborgenen und irrationalen Kräfte des Menschen gewinnbringend zu nutzen und kreierte damit quasi im Alleingang die moderne Werbe- und PR Industrie. Unter dem Motto „Amerika von einer Kultur des Bedarfs zu einer Kultur der Wünsche hinzuführen“ wurde der Grundstein der heutigen Konsumkultur, in der man das kauft, was man eigentlich nicht braucht, gelegt. Ihm gelang es, die Amerikaner zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg zu bewegen, die Europäer vom Weltfrieden mit amerikanischen Waffen zu überzeugen, die linksgerichtete Regierung Guatemalas zu stürzen, Durchschnittsamerikaner mit Bankkrediten zum Kauf von Aktien zu bewegen (wofür er auch von den Banken bezahlt wurde) u.v.m. In seinem Buch „Propaganda“ (das übrigens Göbbels Vorbild für dessen gesamte nationalsozialistische Propaganda wurde) schreibt er: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gebildet, unsere Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist. Große Menschenzahlen müssen auf diese Weise kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden Gesellschaft zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem sozialen Verhalten und unserem ethischen Denken werden wir durch eine relativ geringe Zahl an Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden ziehen, welche das öffentliche Denken kontrollieren.“ 26 Abenteuer Philosophie / Nr. 123 schwindet mehr und mehr das Wissen um ihre Bedeutung. Über 80% unserer Kinder sprechen bei Weihnachten nur noch von den Geschenken, der Christbaum ist ein Schmuckstück und Süßigkeitenlieferant. Und auch der Osterhase dient als reiner Geschenkebringer, als Fruchtbarkeitssymbol und Kulttier der germanischen Frühlingsgöttin Ostara (deren Symbol übrigens außerdem das Ei als Keimzelle des Lebens ist) ist er kaum noch bekannt. Mit dem Absinken der Symbole verlieren sich das Heilige und das Mysterium aus all unseren Lebensbereichen. Zurück bleibt das rein Profane, das Wirtschaftliche, bestenfalls das Soziale und das Ästhetische. Feste haben nur noch einen gesellschaftlichen Wert, sie stellen eine sinn-lose Tradition dar. Damit verbindet sich der Mensch nicht mehr mit dem kosmischen Geschehen, die Zeit wird nicht mehr als ein ewiges zyklisches Geschehen erlebt, in dem man sich permanent erneuert, sondern nur noch als ein sanduhrartiges Davonrinnen, in dem man stetig altert. Mit dem Verlust des symbolischen Denkens gehen dem Menschen Sinn und Bedeutung seiner Existenz verloren. Der Mensch verliert das Menschliche. Er wird funktional, mechanisch und automatisch. Eine notwendige Rückkehr der Symbole Da letztlich alles symbolisch ist, lassen sich Symbole auch nicht verbannen. Doch möchte ich hier eine bewusste Unterscheidung vornehmen zwischen den natürlichen Symbolen als „Universalsprache der Menschheit“ (Erich Fromm), und den künstlich und bewusst vom Menschen geschaffenen Symbolen, die das Wissen um das Unbewusste im Menschen zweckorientiert nützen. Politisch hat wohl kein System die Macht der Symbole so sehr benützt und missbraucht wie der Nationalsozialismus. Dieser Missbrauch wirkt bis heute in einer Art Symbolphobie nach. Aber auch 9/11 ist ein politisch instrumentalisiertes Symbol, das uns die unsichtbare Terrorgefahr allgegenwärtig macht. In unseren heutigen, sogenannten Demokratien sind bewusst instrumentalisierte Symbole allgegenwärtig. Der als erster Spin-Doktor philoSPIRIT 11. September 2001 bezeichnete Edward Bernays (ein Enkel Sigmund Freuds) sagt dazu in seinem Buch „Propaganda“: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft.“ Bernays verstand es, das ganze Wissen um die unbewussten Kräfte im Menschen zu nützen, und daraus die moderne Werbe- und PR-Industrie zur Geburt zu bringen – unterstützt durch die neuen Möglichkeiten der Massenmedien. Damit gelang es ihm unter anderem, die Amerikaner zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg zu bewegen. Gerade unsere Unbewusstheit dem Symbolischen gegenüber macht uns so anfällig für die Manipulation durch instrumentalisierte Symbole. Notwendig ist also eine bewusste Rückkehr zum symbolischen Denken. Da es in unseren Bildungssystemen von einem einseitigen Intellektualismus überlagert ist, müssen wir uns wohl selbst behelfen. In unzähligen Büchern und Filmen begegnen wir modernen Mythen mit ihrer Symbolsprache (zum Beispiel „Herr der Ringe“). Große Psychologen, Philosophen und Religionswissenschafter wie Ernst Cassierer, C. G. Jung, Mircea Eliade, Erich Fromm, Joseph Campbell u.v.a. haben das Tor zu den Symbolen als Universalsprache der Menschheit wieder geöffnet. Auch in diesem Magazin „Abenteuer Philosophie“ vermittelt die Rubrik „Symbolik“ einen Zugang dazu. Doch dieser Zugang steht jedem offen: in der Sonne, die jeden Tag die Welt in Licht und Wärme taucht, im Feuer, das entgegen der Schwerkraft immer nach oben strebt, im Wasser, das nach jedem aufwühlenden Sturm wieder sein inneres Gleichgewicht findet. Können wir wie dieses Wasser, wie dieses Feuer, wie diese Sonne sein? ☐ Nr. 123 / Abenteuer Philosophie 27