3.2 Islamismus – salafistische Bestrebungen

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Beitrag aus: „Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2013“
3.2
Islamismus – salafistische Bestrebungen
Ideologie
Der Salafismus gilt als die dynamischste und am schnellsten wachsende islamistische
Bewegung in Deutschland. Er orientiert sich am Leben der ersten drei Generationen von
Muslimen, auch als „Altvordere“ (arab. as-salaf as-salih) bezeichnet, welche im 7. bis 9.
Jahrhundert lebten. Nach Ansicht der Salafisten führten nur diese Generationen ein
gottgefälliges Leben, da sie dieses ausschließlich nach dem Koran und dem Leben des
Propheten Muhammad (Sunna) ausrichteten.
Salafisten orientieren sich nicht nur inhaltlich an den Vorstellungen der ersten Muslime und
der islamischen Frühzeit, sondern auch an der Werteordnung jener Zeit. Sie streben eine
Rechtsordnung an, die ausschließlich auf Koran und Sunna basiert. Die Einführung einer
solchen Ordnung wird auch in westlichen Ländern, in denen Muslime leben, angestrebt.
Aus der buchstabengetreuen Auslegung von Koran und Sunna leitet sich das zentrale
salafistische Glaubensverständnis ab. Dessen Kern besteht in der Auffassung der Einheit
und Einzigartigkeit Gottes sowie in der Überzeugung, dass Gott der einzige legitime
Souverän und Gesetzgeber ist. Hieraus folgt, dass für Salafisten nicht die Selbstbestimmung
des Volkes die Grundlage staatlicher Herrschaftsordnung ist, sondern ausschließlich der
Wille Gottes. Die Ergebnisse demokratischer Prozesse werden als Verletzung dieser
Souveränität Gottes und deshalb als illegitim angesehen. In Anlehnung an die islamische
Frühzeit besteht das Ziel von Salafisten in der Schaffung einer vermeintlich idealen
islamischen Gesellschaft, einer Theokratie, in der Staat und Religion eine Einheit bilden.
Sämtliche religiöse Neuerungen oder gar eine Fortentwicklung der Religion im Sinne einer
Anpassung an bestehende Verhältnisse werden kategorisch abgelehnt. Dementsprechend
greifen Salafisten auf Regeln und Rechtsnormen zurück, die mit einem modernen
demokratischen Rechtsstaat unvereinbar sind. Insofern liegt auch eine politische
Bestimmtheit vor, die über eine reine Glaubensfreiheit hinausgeht. Der Islam nach
salafistischer Auslegung wird als allumfassender politischer Gegenentwurf zu einer
demokratischen Gesellschaftsordnung begriffen und öffentlich propagiert.
Salafisten betrachten sich als Kenner und Verfechter einer absoluten göttlichen Wahrheit.
Daraus leiten sie eine Deutungshoheit über den Islam ab, die Andersdenkende, auch
Muslime mit anderen Glaubensüberzeugungen, ausgrenzt, als Ungläubige ablehnt und zu
Feinden erklärt. Damit ebnet der Salafismus der Isolation seiner Anhänger den Weg und
begünstigt in westlichen Ländern die Herausbildung von integrationsfeindlichen
Parallelgesellschaften.
Strategie
Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen zwei Varianten: dem politischen
und dem gewaltorientierten jihadistischen Salafismus. Auch wenn salafistische
Bestrebungen insgesamt verschiedene Nuancen aufweisen, haben sie letztlich gleiche Ziele.
Sie unterscheiden sich jedoch in der Wahl ihrer Mittel, um diese zu erreichen. Jihadistische
Salafisten zielen mittels Gewaltanwendung darauf ab, eine auf ihren Vorstellungen
basierende Gesellschafts- und Staatsordnung zu installieren. Dafür begeben sie sich u. a. in
terroristische Ausbildungslager, z. B. in Afghanistan und Pakistan, unterstützen aktiv
islamistisch-terroristische Aktivitäten oder planen und verüben eigene Anschläge. Eine der
bekanntesten jihadistischen Gruppierungen der jüngsten Vergangenheit in Deutschland ist
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die im Juni 2012 bundesweit verbotene Vereinigung MILLATU IBRAHIM, die im Ausland
weiterhin aktiv ist. Anhänger dieser Organisation hatten zum aktiven Kampf gegen die
verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland aufgerufen. Darunter fiel auch der Einsatz von
Gewalt. Nach dem Verbot setzten sich zahlreiche Anhänger von MILLATU IBRAHIM ins
Ausland ab. Sie versuchten von dort aus ihre Bestrebungen gegen die hiesige
Gesellschaftsordnung fortzusetzen, indem sie auch im Jahr 2013 Hasspropaganda über das
Internet verbreiteten und Selbstmordanschläge glorifizierten.
Die Mehrzahl der Salafisten sind jedoch dem politischen Salafismus zuzurechnen. Politische
Salafisten sind vorrangig missionarisch aktiv, sie verteilen Informationsmaterial und
organisieren Veranstaltungen, wie Islamseminare und Vortragsveranstaltungen in
Moscheevereinen. Dabei wird versucht, die Gläubigen zu beeinflussen. Diese Einflussnahme
beginnt bereits mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. So wird beispielsweise den
Eltern auf einer salafistischen Ratgeberseite im Internet empfohlen, die Kinder zum Schutz
vor der vermeintlich feindlichen/ungläubigen Mehrheitsgesellschaft frühzeitig eng an die
salafistische Moschee zu binden und andere Kontakte zur nichtmuslimischen
1
Mehrheitsgesellschaft zu meiden .
Seine Breitenwirkung entfaltet der Salafismus durch das Internet. Salafistische
Ideologieinhalte werden durch eine Vielzahl von deutschsprachigen Webseiten, Internetforen
sowie durch zahlreiche Kurzvideos, z. B. im Internetportal YouTube, vermittelt. Salafistische
Propaganda erfolgt auch über Vorträge von salafistischen Predigern zu Dogma und
salafistischer Religionsauffassung (sog. „Islamseminare“), bundesweit organisierte „IslamInfostände“, die Verteilung von Broschüren und Flugblättern sowie Publikationen und
Übersetzungen salafistischer Grundlagenwerke.
Den „Islamseminaren“ kommt hierbei eine wichtige Rolle zu, da die Äußerungen des
salafistischen Imams maßgeblich zur Meinungsbildung der Zuhörer beitragen. Die
Vortragenden fungieren als wichtige Multiplikatoren des von ihnen erläuterten
Islamverständnisses. Die Inhalte salafistischer Predigten und Vorträge enthalten neben
religiösen Aussagen auch politische Botschaften, sind also nicht nur als
bekenntnisorientierter Islamunterricht, sondern als politisch motivierte Propaganda und
indirekte Aufforderung zum Handeln aufzufassen.
Die salafistische Szene in Deutschland ist durch formelle und informelle Strukturen geprägt.
Zurzeit ist sie überwiegend in lokale Vereine gegliedert. Entsprechendes gilt auch für die
transnationale Vernetzung salafistischer Gruppierungen.
Dem gesamten Phänomen salafistischer Bestrebungen werden deutschlandweit etwa 5.500
Personen zugeordnet, davon lassen sich ca. 100 Anhänger in Sachsen ausmachen.
Zur Lage in Sachsen
Die meisten Salafisten in Sachsen sind im Umfeld der Al-Rahman-Moschee (Leipzig)
anzutreffen. Imam dieser Einrichtung ist Hassan DABBAGH, ein bekannter Vertreter des
politischen Salafismus. Nicht nur seine Lehren selbst, sondern auch seine Strategien zu
deren Verbreitung sind eingebettet in das Wirken und Agieren von Salafisten in Deutschland.
1
Z. B. www.fataawa.de/fataawas/9. Bildung/2.Kindererziehung/0262.pdf: Islamische Schulbildung /
Erziehung im Westen
Anm.: Die Seite ist direkt mit dem Internetauftritt DABBAGHs (www.videoislaam.de) verlinkt.
Darüber hinaus wird DABBAGH hier als Ansprechpartner für religiöse Fragen genannt.
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Seit Jahren veranstaltet DABBAGH monatlich sogenannte Islamseminare bzw. IslamBildungstreffs in Leipzig2. Darüber hinaus initiiert DABBAGH regelmäßig Informationsstände
der Al-Rahman-Moschee in der Leipziger Innenstadt, bei denen die Einrichtung vorgestellt
und Handzettel verteilt werden. In der Vergangenheit wurden dabei auch Schriften mit zum
Teil verfassungsfeindlichen Inhalten ausgegeben.
Hassan DABBAGH referierte auch im Jahr 2013 bundesweit im Rahmen seiner „Mobilen
Islamischen Akademie" (Eigenbezeichnung) in vielen Moscheen, z. B. in der AS-SAHABA/DIE
GEFÄHRTEN e.V. und Moschee Berlin, im ISLAMISCHEN KULTURZENTRUM BREMEN e.V. und der
EL-SALAM-MOSCHEE MÜNCHEN, zu salafistischen Themen. Die Veranstaltungen wurden
häufig im Internet beworben3. Auf diesen Islamseminaren tritt er dabei mit weiteren
Multiplikatoren der salafistischen Szene in Deutschland auf. Die zahlreichen Aktivitäten und
Aussagen DABBAGHS lassen sich über soziale Netzwerke, z. B. Facebook, sowie
Internetportale wie YouTube, verfolgen. Seine seit Jahren umfangreichen Reisetätigkeiten
zeugen von seiner wichtigen Rolle innerhalb des politischen Salafismus in Deutschland und
belegen seine Einbindung in ein salafistisches Netzwerk.
Auch in den Freitagspredigten spiegelt sich DABBAGHS salafistisches Islamverständnis
wider. DABBAGH betont dabei ausdrücklich, dass die Welt zweigeteilt sei. Seiner Ansicht
nach gibt es nur Muslime und Ungläubige4.
Er beschwört die Gläubigen regelmäßig, die persönliche Lebensführung ausschließlich an
Koran und authentischer Sunna zu auszurichten. Dabei stellt er das Trennende zur
Mehrheitsgesellschaft in den Vordergrund und warnt vor Anpassungen. So ermahnt er die
Gläubigen, dass ein Aufenthalt in Deutschland nicht bedeutet, auch nur ansatzweise von der
salafistischen Lebensweise abzuweichen. Ein wiederkehrendes Thema in den Predigten und
Verlautbarungen sind deshalb aus seiner Sicht unerlaubte Neuerungen bzw. Verfälschungen
des Islam, welche „in die ewige Verdammnis“ führen. Konkret werden beispielsweise die
Bekleidungs- und Reisevorschriften für Frauen als unbedingt gültig herausgestellt5. Das
Selbstbestimmungsrecht der Frau bezüglich der Partnerwahl wird durch ihn negiert bzw. der
Religion untergeordnet6.
DABBAGH stellt darüber hinaus Muslime regelmäßig als Opfer der Gesellschaft dar, welche
gezielt durch Verfassungsschutz, Medien und Politik diskriminiert und bekämpft werden
würden7 8.
2
U. a. www.alrahman-moschee.de.
U. a. www.facebook.com/Imam Sheik Abu Alhussain.
4
Freitagspredigt vom 13. Dezember 2013.
5
Freitagspredigt vom 22. November 2013 - gemeint sind u.a. die Pflicht der Frau, sich zu verschleiern
sowie das Verbot, das Haus ohne Erlaubnis des Ehemannes zu verlassen.
6
Freitagspredigt vom 13. September 2013.
7
Siehe u. a. Freitagspredigt vom 1. November 2013 - „Wir leben hier seit vielen Jahren mit der
Bevölkerung haben wir keine Probleme gehabt ok manchmal schon (…) ok mit Geheimdienst mit
Verfassungsschutz mit diesen Behörden die gegen den Islam sind (...) und die wollen nicht dass die
Leute den Islam annehmen (…)“.
8
www.youtube.com/. Eine Stellungnahme zum Thema Salafismus von Scheich Hassan DABBAGH.
www.youtube.com/. Was haben „Salafismus“, „Koran“- Verteilung & Günter Grass gemeinsam?
(Scheich Hassan DABBAGH).
3
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Beitrag aus: „Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2013“
In seinen Predigten nutzt er hierfür auch weltpolitische Ereignisse, wie die Konflikte in
Afghanistan, Palästina oder aktuell in Syrien, als Beleg für die generelle Unterdrückung der
Muslime durch den „Westen“. DABBAGH verwendet diesbezüglich extreme Metaphern und
Verschwörungstheorien. Beispielsweise behauptet er, dass durch den „Westen“ gezielt
Muslime und deren Kinder getötet sowie muslimische Frauen vergewaltigt werden.
„(…) unsere Schwestern die vergewaltigt werden die sind deine Schwestern unsere Kinder
die geschlachtet werden unsere älteren Leute Männer und Frauen die gepeinigt werden und
die geschlagen werden und die getötet werden überall überall ob sie in Tschetschenien
wären oder Kaschmir Irak oder Syrien oder Palästina Ägypten Tunesien überall überall Afrika
Asien Europa überall (…)9
„(…) wenn du deine Religion praktizierst bist du Terrorist oder Schläfer oder Unterstützter
von Terroristen und dann kann man mit dir alles tun dann kann man dich töten dann kann
man dich bombardieren dann kann man die Frauen vergewaltigen und Kinder auch
massakrieren (…)10.
„(…) Schwule und Lesben die haben ihre Rechte und die dürfen alles machen und Hunde
und die Katzen die haben ihre Rechte und die dürfen alles machen aber wo sind unsere
Rechte? Wenn du nur sagst Islam wenn du nur sagst Muslim wenn du nur deine Rechte
verlangst dann bekommst du auf deinen Kopf du wirst getötet du wirst gefoltert und keiner
sagt was(…)11“
Diese in einem aggressiven Stil vorgetragenen Predigten sind geeignet, zur Radikalisierung
insbesondere von jungen und in ihrer Persönlichkeit wenig gefestigten Muslimen bzw.
Konvertiten beizutragen.
Neben der westlichen Gesellschaft werden durch DABBAGH auch Andersgläubige verbal
angegriffen. Insbesondere die muslimischen Glaubensgemeinschaften der Schiiten sowie
der Ahmadiyya werden beschimpft und zu einem Feindbild aufgebaut.
So sagte Dabbagh, ein „heuchlerischer Jude“ habe die Schia gegründet, um den Islam zu
zerstören und weiter:
„Die Schia und der Schiismus ist das Schlimmste was uns passieren kann.“12
Den geplanten Neubau einer Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde in Leipzig bezeichnete
Dabbagh als „Platz von Schirk [Polytheismus] und Kufr [Unglauben]“ und führte weiter aus:
„Wir sind für Religionsfreiheit aber nicht für so was.“13
Gleichzeitig warnte er die Gläubigen:
9
Fastenbrechenpredigt vom 8. August 2013
Freitagspredigt vom 18. Januar 2013
11
Freitagspredigt vom 23. August 2013
12
Freitagspredigt vom 7. Juni 2013, vgl. i. d. Z. auch www.youtube.com/O Muslim! Die Gefahr des
Schi´ismus unter uns! (Scheich Hassan DABBAGH)
13
Freitagspredigt vom 1. November 2013; DABBAGH erläuterte darüber hinaus, dass die Ahmadiyya
von einem „Verräter“, welcher für die Engländer arbeitete, gegründet wurde und es bekannt sei, dass
die Engländer schon immer die „Feinde des Islam“ unterstützet hätten.
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Beitrag aus: „Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2013“
„Die Ahmadiyya sind keine Muslime (…) das ist Betrug das die sich Muslim nennen (…)
derjenige [Muslim] der sagt Ahmadiyya (…) wären Muslime ist selber kein Muslim (…)14
DABBAGH spricht damit Muslimen, welche ein anderes Religionsverständnis haben bzw.
den Islam anders praktizieren als er, ab, überhaupt Muslime zu sein. Ein solches
herabwürdigendes und entrechtendes Verhalten birgt ein schwer zu kalkulierendes
Konfliktpotenzial in sich.
Fazit und Ausblick
Der Salafismus ist in Deutschland die gegenwärtig am stärksten wachsende islamistische
Bewegung. Dies spiegelt sich in geringem Maße auch im Freistaat Sachsen wider. Das
salafistische Milieu präsentiert sich dabei jedoch bundesweit sehr heterogen. Neben
DABBAGH und seinen Mitstreitern existieren weitere salafistische Gruppen
unterschiedlichster Ausrichtung.
Durch eine zielgerichtete Missionierung und Öffentlichkeitsarbeit wollen politische Salafisten
an Einfluss gewinnen, um Menschen für den Islam salafistischer Prägung zu begeistern. Ein
Rückgang dieser Aktivitäten ist nicht zu erwarten. Diese Ideologie fördert das Entstehen von
Feindbildern. Durch salafistische Propaganda wird überdies ein Abgleiten in das jihadistische
Milieu begünstigt. Die extreme Kultivierung einer Opferrolle, welche den Muslimen in unserer
Gesellschaft angeblich zukomme, kann besonders desintegrativ und radikalisierend wirken.
Insbesondere in den Verschwörungstheorien sowie der Kriegs- und Feindbildrhetorik dürften
sich salafistische Muslime in ihrem Weltbild bestätigt fühlen.
14
Freitagspredigt vom 22. November 2013.
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